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25.APRIL2013 DIEZEIT N°18
Gans lästig Millionen Wildgänse verursachen Millionenschäden. »Abschießen«, fordern Landwirte. »Vogelmörder«, schallt es ~urück. Was ist zu tun? voN HANS SCHUH ·
m Anfang war das Baggerloch. Statt Sand und Kies
ten Jahr noch zahlreicher einfallen. Abschüsse wiederum empören Tier- und Vogelschützer.
besten Umgang mit den riesigen Gänsescharen. Die wachsen sonst unaufhörlich - und mit ih-
Chinas Kampf um Rom Das Dorf Liqian sucht nach seinen angeblich römischen Wurzeln S. 33 · ---
Hunderttausende Nonnengänse rasten im
Frühjahr in Deutschland. Sie verzeichnen
den größten Zuwachs
sollen Platz machen für Millionen Zuggänse aus Skandinavien. Russbnclnncl cle.r Arkri .~ . clif' im
KinderZEIT Wie kommt der Wurm ins Ohr? Und wie wird man ihn bloß ~ieder los? S. 39 ---
Alter Schwede!
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Schützt gesunder Lebensstil die Gesell~chaft vor Demenz?
Sorgenvoll beobachten Demografen und Politiker das Nachlassen der geistigen Kräfte in alternden Nationen. Weil in Deutschland immer mehr Menschen immer länger leben, so lautet ihre Argumentation, nehmen die Altersleiden drastisch zu. Auf das Stichwort »demografischer Wandel« folgt zuverlässig die Warnung vor der anrollenden Flut von Alzheimer- und anderen Demenzerkrankungen. Anfang April prognostizierte das von der Europäischen Kommission gef<)rderte Alzheimer-Kooperationsprojekt Aleave eine Zunahme in Europa von heute sechs auf zehn Millionen Erkrankte im Jahr 2040. Medizinische Hilfe ist nicht in Sicht, Durchbrüche in der Demenzforschung bleiben aus. In der westlichen Welt ist die Demenz das Schreckgespenst des 21. Jahrhundert~.
In diesem Kontext verblüfft eine aktuelle Studie aus Schweden. Dort haben Wissenschaftler des Zentrums für Alternsforschung am
· berühmten Karo-linska-Institut z.Wei
Ein Knoten im Taschentuch als
Datenreihen aus der Gedächtnisstütze Hauptstadt Stock-holm analysiert.
Über die vergangenen 20 Jahre hatten Forscher das Auftreten von Demenz bei Menschen protokolliert, die älter als •75 Jahre sind. Das erstaunliche Fazit ihrer Analyse publizierten sie jetzt in de~ Fachzeitschrift Neurology: ~eil an Demenz erkrankte Patienten wegen besserer medizinischer Ver-. sorgung heute erheblich länger leben als früher, wäre ein Anstieg der Gesamtzahl zu eryvarten gewesen. In Stockholm aber ist die Gesamtzahl der Demeqzkranken in den vergangenen 20 Jahren nicht angestiegen. 0<>r<>l1< f'nlo-Prn rliP AnrnrPn r1-.oo .rliP 7.,hJ
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mAnfang war das Baggerloch. Statt Sand und Kies nur noch Wasser. Der leblose See wurde renaturiert und in den Sta<;ltwald integriert, als Schutzgebiet für Vögel. Gleichzeitig entstand so in
Neuss ein Freizeitpark, mit klarem Badewasser, grünen Liegewiesen, Spiel- und Grillplatz. Bald hieß das beliebte Ausflugsziel im Volksmund »dat Jröne Meerke«, das Grüne Meerchen.
Dann kamen die Schneegänse. Anwohner hatten sie eingesetzt. Die Vögel sind meist schneeweiß wie Hausgänse, aber zierlicher. Mit ihren schwarzen Flügelspitzen wirken sie wie eine Designervariante unserer fetten Hausgans. Tierfreunde fütterten ihre Ziergänse, die auf einer Insel im J rönen Meerke fleißig Gössel ausbrüteten. Rasch mauserte sich die Kolonie zur ornithologischen Sensation: Mit weit über hundert Tieren bildet sie nun die größte freie Schneeganspopulation Europas.
Hübsch, aber mit Nebenwirkungen. Dat Jröne Meerke wird immer jröner, die Liegewiese ringsum immer brauner. Kahl gefressen und zugeschissen, nicht nur • von Schneegänsen. Auch Blessgänse, Graugänse, Kanadagänse machen inzwischen gern Station, verdoppeln zeitweilig die schnatternde Belegschaft. Jeder Starkregen spült Erde und Kot die sanften Hänge herunter, macht das Meerke zut Sickergrube. Das Umweltdezernat ließ im vergangenen Sommer tonnenweise Algen a).ls der grünen Suppe fischen. Und das Gesundheitsamt sperrte den Spielplatz: Infektionsgefahr durch Kolibalnerien und Salmonellen im Vogelkot.
Gesundheitsschutz versus Vogelschutz - die Wogen am Jrönen Meerke schlagen hoch. »Scheißgänse, abschießen!<<, schallt es von hier. »Vogelmörder!«, kommt es von dort. Das Neusser Experiment zeigt, wie wohlgemeinter Tierschutz in einer Kulturlandschaft heftige Konflikte schüren kann.
Ähnlich sieht es in Nordde~tschland und in den Niederlanden aus. Millionen Wildgänse fressen dort zeitweise Weiden und Äcker kahl. Empörte Bauern fordern die Bejagung. Sie wollen keine Schädlinge mästen, die im nächs-
Yogelschlag
ten Jahr noch zahlreicher einfallen. Abschüsse wiederum empören Tier- und Vogelschützer. Sie erfreuen sich an den Riesenschwärmen der geselligen, schönen Großvögel und bekämpfen die »sinnlose, brutale Jagd«. Mitte März dokumentierte der NDR den Gänsekrieg in Ostfriesland Frieden stiften ist schier unmöglich.
Die Neusier versuchten es mit einem: runden Tisch, um die Schuldfrage zu klären .. Natürlich waren nicht die Gänse schuld, sondern naive Tierfreunde; die sie ständig fütterten. Also wurde ein Fütterungsverbot verhängt. Daraufhin suchten hungrige Gänse in nahen Vorgärten nach Nahrung. Erneuter Aufruhr, diesmal von Gartenbesitzern. Doch auch die Tierschützet waren in Sorge: Rings um das Jröne Meerke rauschen eine vielbefahrene Straße, eine Bahntrasse und die Autobahnen A 57 und A 52. Problemlösung durch Plattfahren? Nein. Die Polizei musste her und watschelnde Scharen mit Blaulicht zum Meerke eskortieren.
Nun soll ein Zweistufenplan das gänsliche Wachstum dämmen: Die schnellen Brüter.auf der Insel dürfen nur mehr ein Ei pro Nest wärmen, die Gelege werden kontrolliert. Mittelfristig wolle man die Population umsiedeln, heißt es aus Neus~. Die Genehmigung des Landes stehe noch aus.
Die Niederländer wollen mehrere invasive Gänsearten ausrotten
Wie auch immer der Eiertanz weitergeht: Die Gänse werdei). siegen, weil sich die Zweibeiner bekriegen. Deren Fehde blockiert die sauberste ökologische Lösung: das Freisetzungsexperi-ment beenden und die aus Nordamerika stammenden Schneegänse ausrotten, bevor sie Europa besiedeln. Doch eine Gänsevernichtung im Vogelschutzgebiet ist kaum durchsetzbar, sie böte juristischen Zündstoff für J.ahre. Derweil werden sich die Schneegänse ausbreiten, . über Neuss und die Landesgrenzen hinaus.
In den nahen Niederlanden droht ihnen hingegen das, was ihnen in Deutschland erspart bleibt: eine Ausrottung aus ökologischen Gründen. S~ jedenfalls lautet das Ergebnis langjähriger Debatten im Nachbarland um den
1 Milliarde Dollar gilt als unterer Schätzwert für die jährlichen Schäden, die weltweit in der Luftfahrt durch Kollisione11 mit Vögeln entstehen. Besonders gefährlich sind Schwärme von Großvögeln. So können Gänseschwärme beide Triebwerke zerstören, was 2009 einen antriebslosen Airbus zur legendären Notwasserung auf dem Hudson River in New York zwang.
besten Umgang mit den riesigen Gänsescharen. Die wachsen sonst unaufhörlich - und mit ihnen die Millionenschädeti in der Landwirtschaft, die Gefährdung des Flugverkehrs, die Versehrnutzung sauberer Gewässer, die Zerstörung seltener Vegetation in Schutzgebieten. Darum raufte .man sich zusammen und schloss Ende vergangeneo Jahres einen landesweiten »Ganzenaklcoord«. Das Gänseabkommen wurde von sieben großen Interessengruppen unterzeichnet, darunter alle zuständigen Provinzen des Landes, Bauernverbände, Landbesitzer, Vogelschützer, Umweltbehörden. Es enthält eine bemerkenswerte Liste von Grausamkeiten.
Etwa das Zusammentreiben flugunfähiger · Gänsescharen in der Mauserzeit mit anschließender C02-Ve;gasung. Diese wird bereits am Hauptstadtflughafen Schiphol praktiziert, weil Gänse immer öfter mit Flugzeugen kollidieren und Notlandungen ~uslösen. Vergasen ist laut Akkoord notwendig, ein >>onmisbare instrunient«. Ein weiteres Instrument ist dai Eierschütteln. Das tötet die Embryonen - und die Gans brütet weiter. Nähme man ihr die Eier einfach weg, würde sie neue nachlegen.
Das Hauptziel der geplanten Aktion ist eine radikale Verkleinerung der .niederländischen Gänsebestände auf etwa ein Viertel der alnuellen Population. Hierzu gehört auch die Ausrotturig nicht heimischer Arten, insbesondere Ki.nadagänse, Nilgänse oder Streifengänse. Diese vitalen, auffällig schönen Spezies wurden, ähnlich wie in Neuss, von Men~chen als Zier- oder Jagdgeflügel angesiedelt. Nun. schwirren sie Zll Tausenden umher. Mitverantwortlich für die hübsche Misere war der Tierschutz. Früher zwackten Geflügelhalter ihren Küken eine Flügelspitze ab, damit sie nicht. wegflögen und andere von der Zucht profitiertel).. Dieses Kupieren wurde als Quälerei in mehreren Ländern verboten. Die Folge waren umfassende Freisetzungen - die nun neue Grausamkeiten schaffen.
Der harte Beschluss, all diese Neubürger (Neozoen) auszurotten, ist keineswegs fremdenfeindlich. Denn das geplante Gemetzel zielt · ausschließlich auf1Standgänse, die in den Niederlanden brüten und nicht wegziehen. Sie
Tote Wildgänse dienen als Testobjekte für Triebwerke. Bei Vollgas krachen Vogel und Schaufelräder etwa mit Schallgeschwindigkeit aufeinander. Das kann Turbinen rasch zerstören. Besonders heikel ist die Startphase. Im November 2012 musste ein Airbus mit 199 Passagieren nach dem Start in Berlin-Tegel notlanden. Federanalysen zeigten die Ursache: Graugänse.
Hunderttausende Nonnengänse rasten im
Frühjahr in Deutschland. Sie verzeichnen
den größten Zuwachs
sollen Platz machen für Millionen Zuggänse aus Skandinavien, Russland und der Arktis, die im Herbst ihre Brutplätze verlassen müssen, um · im milderen Mitteleuropa zu überwintern. Diese Wanderer zwischen den Welten genießen vollen Schutz: »Auf Gäste schießt man nicht.«
Auch die Schweizer merzen aus. Das sei optimal für Tier- und Artenschutz
Die Neozoen sind ursprünglich zwar auch Zuggänse, aber ihre bei uns ausgesetzten Vettern ziehen nicht. Gänse kehren nämlich instinktiv dorthin zurück, wo sie fliegen gelernt haben. Hier gezüchtete Neozoen sind daher standorttreu. Sie profitieren sogar von ihrer unnatürlichen Prägung, denn kräftezehrende, riskante Flüge über Tausende Kilometer bleiben ihnen erspart. Ohnehin sehr vital, verstärken sie die üppige flugfaule Population der Standgänse. Sie verdrängen schwächere heimische Arten oder kreuzen sich mit ihnen.
Diese künstlich verstärkte Globalisierung ' der Arten beschleunigt weltweit die Ausbreitung der Stärksten- und lokal den Untergang der Schwächsten. Deshalb fordern internationale Abkommen wie die. Biodiversitätskonvention oder die Banner Konvention (die auch Deutschland unterzeichnet hat) eine strikte Kontrolle oder Beseitigung inva.Siver Arten. Entsprechend zeigen die -Schweizer invasiven Neozoen die Rote Karte.' Etwa der Rostgans. Diese Art sei aggressiv, verdränge Nahrungskonkurrenten und heimische Schleiereulen oder Turmfalken, konstatiert das Schweizerische Bundesamt für Umwelt. >>Langfristig sollen die Rostgänse nicht mehr in der Schweiz vorkommen.« Dies sei >>in Bezug auf Tierschutz, Artenschutz und Ressourcen die optimale Lösung«.
Führende deutsche Gänseforscher sehen die Ausrottungspläne unserer Nachbarn skeptisch. >>Die Bestände der Kanada- oder Nilgänse sind bereits viel zu groß, um sie wieder auszulöschen«, sagt Helmut Kruckenberg, Autor des empfehlenswerten Einführungsbuches Wilde
·Fortsetzung aufS. 32----
Vogelmanagement Der Deutsche Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr verzeichnet jährlich mehr als 1300 Kollisionen, Teqderiz steigend. Hauptursach~n: mehr Flüge, die Landschaftsgestaltung, Naturschutz, mehr GroßvögeL Notwendig für ein verträgliches Nebeneinander von Vögeln und Luftfahrt sei ein besseres Vogelmanagement.'
re sind. Das erstaunliche Fazit ihrer Analyse publizierten sie jetzt in de~ Fachzeitschrift Neurology: ~eil an Demenz erkrankte )?atienten wegen besserer medizinischer Ver-. sorgung heute erheblich länger leben als früher, wäre ein Anstieg der Gesamtzahl zu erwarten gewesen. In Stockholm aber ist die Gesamtzahl der Demeqzkranken in den vergangeneo 20 Jahren nicht angestiegen. Daraus folgern die Autoren, dass -die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen gesunken sein muss.
Die schwedische 'Studie ist nicht der erste Hinweis darauf, dass das Dogma von der alternden urid zunehmend vergesslichen Gesellschaft nicht immer stimmen muss. Eine amerikanische und eine niederländische Untersuchung legen ebenfalls Zweifel nahe. '
Aber was unterscheidet nun die schwedische Bevölkerung vom Rest der Welt? Mit welchem Trick haben die Skandinavier das unheimliche Vergessen besiegt? Die Autoren der Karolinska-Studie können diese Fragen nicht eindeutig beantwo~ten. · Sie m\ltmaßen, dass gleichzeitig mehrere Effekte zum Tragen kommen. Die Schweden rauchen heute deutlich weniger als vor 40 Jahren, sie bewegen sich mehr und unte.t;nehmen mehr mit anderen. Das alles konn- · te offenbar sogar die negativen Folgen von Übergewicht und Diabetes mehr als kompensieren. Die Schweden haben im Schnitt einen niedrigeren Cholesterinspiegel, und ihre Blutdruckwerte haben sich ebenfalls verbessert - alles Risikofaktoren für eine Demenzerkrankung.
Die . Ergebnisse sind wahrscheinlich nicht übertragbar auf ganz Europa. In Stockholm leben die besser ausgebildeten, reicheren Schweden. Und geistige Regsamkeit schützt auch. Aber einen Hinweis liefert die Untersuch!lng doch: Demenz ist kein unabwendbares Schicksal einer alternden Gesellschaft. Jetzt müssen uns die Stockholmer nur noch verraten, wie sie alniv ge-worden sind. . HARRO ALBRECHT '
Schwammerl drüber Im Pilz liegt das Glück. Nein, nicht in der psychedelischen Variante der halluzinogenen Magie Mushrooms. Der gemeine Champignon ist gemeint. Täglich anstelle von rotem Fleisch genossen, soll der Pilz das Gewicht reduzieren. Das behaupten Wissenschaftler von der Abteilung für Gewichtsmanagement an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. 73 Probanden hatten nach eineni Jahr Champignon-Diät 3,5 Kilo abgespeckt. Gut, mit Gurken, Mohrrüben oder Radieschen anstelle· von Rumpsteak wäre das wahrscheinlich auch gegangen. Aber das hätte den Auftraggeber der Studie vermutlich nicht interessiert. Der Mushroom Council vertritt schließlich die Interessen des pilzproduzierenden Gewerbes. · HAL
Gans lästig Gij.me. Sein Co-Autor Johan Mooij ergänzt: »Die Rostgans braucht nur über den Bodensee zu fliegen, In der EU ist sie streng geschützt.« Auf einer Tagung der Fachgruppe Gänseökologie der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft i?l März kritisierten die Experten die Jagd auf Wildgänse: Sie sei als >;Mittel der Schadensverhütung unwirksam«, könne »die Schäden in der Landwirtschaft sogar steigern<<. ·Weil sie die wachsamen Tiere viel scheuer mache. Häufige Fluchten großer Schwärme erhöhten deren Energiebedarf, umso mehr fräßen sie. Jäger würderrzudem versehentlich auch Vertreter geschützter Arten schießen.
Als typisches Verwechslungsopfer nennt Kruckenberg die hoch bedrohte Zwerggans. Ornitho- . logen versuchen mühsam, sie wieder anzusiedeln, etwa mit Zuchtprogrammen und Begleitflügen im Leichtflugzeug, damit die Vögel das Ziehen erlernen. »Bei der Jagd besteht erhebliche Verwechslungsgefahr«, warnt Kruckenberg. Die Zwerggans ähnelt im Flug der häufigen Blessgans, insbesondere deren Jungvögeln, die als besonders schmackhaft gelten.
Die Ornithologen bestätigen, dass die Zahl der Gänse in Deutschland und den Nachbarländern stetig steigt. Als eine Hauptursache nennt Kru-
. ckenberg die intensive Landwirtschaft: »Würde man die abschaffen, wäre 'das Populationsproblem rasch gelöst.« Nicht nur Bauern, auch die Gänse lieben nämlich energie- und eiweißreiche Pflan-
Gefiederte Invasoren, zur Ausrottung empfohlen
zen. Was dem Landwirt sein Biodiesel, Biogas oder Viehfutter, ist der Gans ihr Winterspeck, Flugbenzin oder Eiweißquell fürs rasche Legen. Ungewollt fördert die Agroindustrie eine Bevölke- · rungsexplosion ziehender Großvögel mit nahrhaf- · ten Ernterestenl Schwäne, Kraniche und Gänse laben sich an Mais, Getreide und Zuckerrüben, an kräftigen Jungpflanzen vom Raps im Frühjahr, arn Gras intensiv genutzter Wiesen.
Gänse fressen sogar auf braun gejauchten Wiesen. Bleiben grüne Streifen offen, dann äsen sie hier in würziger Luft. Ihre Vorliebe für Deftiges hat einen biologischen Grund: Sie sind schlechte Futterverwerter. Ein effektiver Verdauungsapparat mit mehreren Mägen wie bei Wiederkäuern wäre zu schwer fürs Fliegen. Also wird vorn fix gepickt - bis zu hundertmal pro Minute. Und hinten flott gekötelt- bis zu 40-mal pro Stunde. Der Verdauungsturbo der Gänse entzieht dem Gras nur ein Drittel der Energie. Der Rest düngt Wiesen oder Gewässer, dat J röne Meerke lässt grüßen.
Naturbelassene Wiesen wären für Gänse derzeit wenig attraktiv. Sie bieten überwiegend kniehohe abgestorbene Halme mit schwer verdaulicher Zellulose. In dem· Gestrüpp könnt~n der Fuchs oder andere Räuber lauern. Auch deshalb lieben Gänse weit überschaubare Äcker und Weiden. Unsere Kulturlandschaft. wird noch attraktiver durch vermehrte Schutz- und Feuchtgebiete, deren .Gewässer als Flucht- und Schlafstätten dienen.
Die Kanadagans ist die weltweit häufigste Gans, mittlerweile auch die häufigste faunenfremde Art in Deutschland. Sie breitet sich hier seit mehr als 40 Jahren stetig aus.
Am 13. 4. 2013 verstarb unser verehrter ak~demischer Lehrer,
Verlockend sind auch viele Stadtparks, ob in München, Harnburg oder Neuss.
Wie dramatisch die Wechselwirkung Wildgans/Mensch ausfallen kann, zeigt das Schicksal der Schneegans. Ihre einst riesigen Bestände brachen zusammen, als ihre Überwinterungsgebiete im amerikanischen Westen unter den Pflug gerieten. Das Präriegras musste · Äckern weichen, Feuchtgebiete wurden trockengelegt. Als in den 1930er Jahren Staubstürme die Great Plains, Oklahoma und andere Staaten verwüsteten, waren die Schneegänse fast ausgerottet.
»Die Amis haben ihre Schneegänse donaldisiert«, sagt Johan Mooij
Dann startete 1937 die Gegenbewegung in Form der Schutzorganisation Ducks Unlimited. Ihre Vision: viele Feuchtgebiete schaffen, »Um die Himmel wieder mit Wasservögeln zu füllen« -today, tomorrow and forever! Inzwischen preist sich Ducks Unlimited als weltweit führende private Schutzorganisation von Feuchtbi<Dtopen mit mehr als 700 000 Unterstützern in Kanada, den USA und Mexiko. Die Visionäre haben es geschafft: Zumindest mit Schneegänsen sind die nordamerikanischen Himmel wieder rappelvolL
Das lief so: Wachsende Schneegansschwärme begannen Äcker kahl zu fressen. Um Schadensersatzklagen der Farmer zu vermeiden, lockten die
DieNilgans ist ebenfalls Gefangenschafts-
. flüchtling und erobert von den Niederlanden aus Deutschland·. Ihr jährlicher Zuwachs beträgt rund 20 Prozent.
Herr Prof. em. Dr. Heymo Böhler im Alter von 68 Jahren.
Gänseschützer die Vögel auf Futterplätze. Das · klappte hervorragend. Die Farmer hatten Ruhe, die gemästeten Vögel brüteten in der arktischen Tundra und kehrten in wachsenden Schwärmen zurück. »Die Amis haben ihre Schneegänse donaldisiert«, sagt Johan Mooij. Als Chefredalneur, des Goose Bulletin, Fachblatt der Gänsespezialisten der Weltnaturschutzorganisation IUCN, kennt er die Szene. Und knurrt: »Die haben ein Problem. Es wachsen mehr Vögel nach, als erlegt werden können.« Die Winterfütterung einstellen könne man auch nicht, »weil dann Äcker wieder kahl gefressen . und Bauern pleitegehen würden«.
Die Gänsemast gefährdet auch die Tundra. Mehr als fünf Millionen Schneegänse fressen großflächig ihre spärliche Vegetation kahl, die sich unter den harten arktischen Bedingungen kaum erhole~ kann. Schneegänse graben nämlich, anders als ihre Vettern, die Pflanzen samt Wurzeln aus. Appelle an Jäger, den Himmel von diesen weißen »Maden« wieder etwas zu befreien, verhallen auch, weil man kaum mehr an sie herankommt. Taucht arn Horizont nur ein Auto auf, flüchten die wachsamen Vögel.
Die Gänsejagd galt deshalb einst als Königsdisziplin. Heute soll das Wildbret wie Ungeziefer bekämpft werden. Das erzürnt auch viele Jäger. In den Niederlanden machen sie Front gegen den Ganzenakkoord, den sie ·anfänglich mitentwickelt hatten. »Wir lehnen dieses Abkommen aus ethi-
Die Rostgans lH<~.IIUJIH aus Asien, machte als Ziervogel Karriere. Als aggressiver Invasor besiedelt sie die Schweiz und das Rheinland.
sehen Gründen ab«, sagt Marlies Kolthof, Pre5sesprecherin der Koninklijke Nederlandse Jagers Vereniging KNJY, des Dachverbands nied.erländischer· Jäger. »Wir wollen keine Gänsevernichtung, sondern nachhaltiges Gänsemanagement.«
Die vom Ganzenakkoord geforderte Reduktion der Standgänse von über 400 000 auf 100 000 sei bis 20 18 fast unmöglich zu erreichen. Hierfür sei die Jagdperiode viel zu kurz, Abschüsse hauptsächlich im Sommer bedeuteten zudem »ein Sicherheitsrisiko, weil dann viele Touristen draußen sind«. Eierschütteln und Vergasen, hauptsächlich von Jagdgegnern und Naturschützern gefordert, gehörten nicht zur Kernkompetenz der Jäger. Für
. die Vergasung in Schiphol gelte wegen der Luftsicherheit eine AusnahmeregeL Ihr landesweiter Einsatz erfordere aber eine. Gesetzesänderung und die Zustimmung der EU. »Eine solche Änderung erachten wir als sehr unwahrscheinlich.«
'Auch bei den Vogel- und Naturschützern gärt es. Kenner der Szene wie der Ornithologe Kees Koffijberg schätzen, dass »die Unterzeichner des Ganzenakkoords noch mächtig Druck von ihrer Basis bekommen werden«. Es liefen »noch viele Gespräche über die Details der Maßnahmen«.
Derweil können sich die Gänse weiter mit Junkfood aus unserer Kulturlandschaft mästen. Zogen sie früher im natürlichen Umfeld zwei Gössel groß, sind es inzwischen bis zu zehn. Ducks unlimited, today, tomorrow, forever?
. .
Die Schne~gans . hat in Deutschland Fuß gefasst. In .ihrer nordamerikanischen Heimat ist sie bereits eine kaum kontrollierbare Plage, frisst Äcker und die Tundra kahl.
Gemeinsam geht es besser! Heymo Böhler hat Generationen von Studierenden und' Mitarbeitern durch seine fachliche Kompetenz . und sein menschliches Wesen für sich eingenommen.
· Sein Wirken dauert fort, sein freundschaftlicher Rat und seine Unterstützung werden fehlen.
Dipl.-Kffr. Barbara Burghardt, München Dr. Cornelia Federsel-Lieb, Arnstorf Dr. Thomas Glöckler, Bindlach Dr. Rainer Grimm, Harnburg Dr. Dirk Haid, Bayreuth p ,...,....f n,... D r.-nolrl Uo,...htf1"',...hor l.l.r.f
Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Christoph Rasche, Potsdarn Prof. Dr. Joachim Riedl, Hof Dipl.-Kfm. Uwe Riehs, Köln Dipl.-Geograph Dr. rer. pol. Bemd Sauer, Bayreuth Dr. Andreas Schaaf, München nr M~v1mi11~n ~rhrP"Pr 1\tfilnr.hpn
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