Aziz Sahmaoui...er vom Zawinul Syndicate kannte, testete er Melodien, di e e schon lang im Kopf...

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Aziz SahmaouiModernisierer nordafrikanischer Traditionen

Im Maghreb ist Aziz Sahmaoui für viele Musiker der neuen Generation eine wahre Inspirationsquelle. Ob beimOrchestre National de Barbes oder in Joe Zawinuls Band - Sahmaoui hat die traditionelle Musik des Maghreb bestän-dig in sehr moderner Weise weiterentwickelt. Er arbeitete mit führenden Jazzkünstlern, darunter Gitarrist NguyenLe und Posaunist und Pianist Michael Gibbs. 2005 lud Joe Zawinul ihn ein, sein Doppel-Livealbum Vienna Nights imJazzclub Birdland in Wien aufzunehmen, und Sahmaoui wurde permanentes Mitglied der Gruppe Zawinul Syndicate.

TEXT: MARTINA ZIMMERMANN

i/»Wir schöpfenaus unsererKultur undbringen neueTöne hinein.«

„Der Swing des Jazz hat mich im Syndicateerwischt", bekennt Aziz Sahmaoui. Jazz gehör-te bis dahin nicht zu seiner Kultur. Es bedurf-te körperlicher und technischer Ausdauer, umeinen schnellen Rhythmus über Minuten zuhalten. Hinzu kam die Kunst der Improvisa-tion. „Das war magisch", erinnert er sich. „Inder Band Joe Zawinuls musstest du immerbereit sein. Zawinul gab ein Zeichen, dem Per-cussionisten, dem Sänger, einem von uns -jetzt bist du dran. Und du hast geantwortet,sofort." Sahmaouis erstes Soloalbum entstand2011 im Studio Davout unter der Regie desProduzenten Martin Meissonnier (Fela Kuti,Khaled, Papa Wemba, Page/Plant) mit seiner

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damals neuen Band University of Gnawa. ImNovember 2014 kam das zweite Album Mazalheraus, das sein Talent einmal mehr bestätigt.Außer in Paris war der Musiker, der viel unter-wegs und ständig in Bewegung ist, im Januardieses Jahres in der Wüste Südmarokkos anzu-treffen. Um zum dortigen Taragalte-Festivalzu gelangen, braucht es fast eine Flugstundevon Casablanca plus vier Stunden im Auto bisnach M'hamid El Ghizlane. Noch einmal sie-ben Kilometer weiter steht in den Sanddünenmitten in der Wüste ein Zeltdorffür die Festi-valbesucher. Aus der ganzen Region sind auchNomaden gekommen und haben ihre eigenenZelte in der Nähe der Bühne aufgebaut. Wenn

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die Hitze des Tages zurückgeht und die Son-ne in tollen Farben über den Dünen untergeht,erklingt Musik. Aziz Sahmaoui ist der Höhe-punkt des drei Tage dauernden Festivals. Mitverschiedenen Rhythmen und einem ener-giegeladenen Groove versetzt er seine Fansin Trance. „Das Wichtigste ist, die Schönheitim Licht, die Ewigkeit in jedem Blick, in jederBegegnung und in jedem Ton zu fühlen, sieauszudrücken, sie zu singen", meint der PoetSahmaoui. „Dieses Engagement macht aus unsallen Menschen von morgen, die dank der Lie-be und der Vermischung für eine bessere Weltmit Frieden eintreten."Taragalte bedeutet in der Berbersprache„Treffpunkt". Es ist die frühere Bezeichnungvon M'hamid El Ghizlane, die dem Wüsten-festival den Namen gab. Im Mittelalter hatteTaragalte zwanzigtausend Einwohner, Musli-me und Juden. Heute leben in dem Dorf nurnoch viertausend Menschen. Dank des Musik-festivals soll der Ort erneut zum Treffpunktfür Menschen aus aller Welt werden.Von südlich der Sahara kamen auch dieschwarzen Sklaven, die ihre Kultur mitbrach-ten und sie in Nordafrika mit arabischenEinflüssen und Klängen der Berber zu einereigenen Musik vermischten, die nach ihnenbenannt wurde: Gnawa-Musik. Der in Mar-rakesch geborene und in Paris lebende AzizSahmaoui ist mit dieser Musik aufgewachsen,die er mit der der Voodooreligion in Haiti ver-gleicht: „Früher waren es Bettler, sie spieltenim Viertel, um Geld zu sammeln zum Leben,aber auch für das Opfer bei ihrer Zeremonie.Die Gnawa waren ursprünglich arm." Das hatsich geändert. „Heute sind sie in der Gesell-schaft angekommen, geben Konzerte, tretenauf großen Bühnen auf und reisen bis nachNew York, Paris, London."Der Marokkaner Mahmoud Guinea ist einAngehöriger einer Gnawa-Bruderschaft. Er isteiner der bekanntesten Vertreter dieser rhyth-mischen Musik. Im blauen, reich besticktenDschellaba betritt er die Bühne des Taragal-te-Festivals. Auch er singt und spielt, wie Sah-maoui, das Saiteninstrument Gimbri. Seinein Weiß gekleideten Sänger tanzen und dre-hen sich wie Derwische. Der dreiundsechzig-jährige Musiker ist bereits mit Carlos Santa-na und anderen internationalen Berühmthei-ten aufgetreten. Er spricht auf Arabisch, sei-ne Frau Malika Mechhour übersetzt: „MeinVater und Großvater waren bereits Meisterder Gnawa-Musik. Damals wurde diese nurbei Zeremonien gespielt, um die Menschenzu Heilungszwecken in Trance zu versetzen."Es handelte sich um Lobgesänge oder Appel-le an die Götter. Sahmaoui sei wie ein Sohn.„Er nimmt an unseren Tranceabenden teil, erliebt die Musik Mahmouds", erklärt sie. DasPaar macht einen Unterschied zwischen Leu-ten, die eine Musik lieben, und denen, die sievon der Familie erben. „Der Meister zum Bei-spiel hat die Arbeit seines Vaters geerbt. Unse-re beiden Söhne arbeiten mit uns, sie habenunsere Musik geerbt", erläutert MahmoudGuinea. „Aziz hingegen ist aus Liebe in dieWelt der Gnawa eingetreten", freut sich Mali-

Aziz Sahmaoui & University of Gnawa_Foto: Lagos

»Die Poesie heiratet die Melodie.«ka. „Das ist unsere Kultur, sie gehört zu unse-rem Leben und zu unserem Alltag", meint Sah-maoui. „Wir lieben die Gnawa-Musik, wir lie-ben den Sound der Gimbri, die verschiedenenStimmungen schicken uns auf Reisen."Aber Aziz Sahmaoui hat auch immer dengesamten Musikkosmos im Blick. „Wir schöp-fen aus unserer Kultur und bringen neue Tönehinein mit anderen Instrumenten." Nach die-sem Rezept „kocht" er auch mit seiner Band,der University of Gnawa, die im zwanzigstenPariser Arrondissement in einer Bar namensFrench Kawa entstand. 2010 spielte er dort aufeiner winzigen Bühne, auf der sich Freundeund Musiker ein Stelldichein gaben. Gemein-sam mit dem Bassisten Alioune Wade, dener vom Zawinul Syndicate kannte, testete erMelodien, die er schon lange im Kopf hatte.Die Bar wurde zum Geheimtipp für Musik-freunde, weitere Musiker gesellten sich dazu:Gitarrist Herve Samb, Cheikh Diallo an Syn-thesizer und Kora und Adhil Mirghani an derDarbuka. Die Musik der Gnawa und ihre Tran-ce wurden zur Basis der verrückten Improvi-sationen der hochbegabten Musiker, und dieGnawa-Universität war geboren. „Wir spre-chen dieselbe Sprache", erklärt Sahmaoui dieMagie zwischen den Musikern. „Aus der Tra-dition entsteht eine Kreation, die diese Musikverschönert und erneuert."Für Aziz Sahmaoui ist die University of Gna-wa eine „Schlussfolgerung" der musikalischenBewegungen der letzten Jahrzehnte. Afrikani-sche Musik hatte in Paris und in der westlichenWelt schon lange ihren Platz. In den Achtziger-jahren machte Khaled den Rai bekannt. „Kha-led ist es zu verdanken, dass sich die Tür geöff-net hat für Musik aus dem Maghreb." Aber Raiist nur ein kleiner Teil der maghrebinischenMusik. Das Orchestre National de Barbes ver-bindet Stambali, einen tunesischen Musik-stil, der ebenfalls aus religiösen Zeremoni-en stammt, Ra'i und Chaabi aus Marokko undAlgerien, Gnawa-Musik, Rock und Jazz. „Alswir anfingen, hatte jeder von uns seine eigeneBand. Wir kamen zusammen und sind ein Jahr

lang auf Tournee gegangen", erinnert sich Sah-maoui. „Obwohl wir keine Veröffentlichunghatten, spielten wir vor vollen Häusern!" DasAlbum, das dann aufgenommen wurde, gefiel.„Es kam an bei den Europäern, weil Rock drinist, aber auch bei den Tunesiern, Algeriern undMarokkanern, welch schöne Mischung!"Auf dem neuen Album Mazal mischt Aziz Sah-maoui die verzaubernden Trancerhythmenmit anderen Stilen aus dem Maghreb und demRest der Welt. Seine Songs zeigen sein Talentals Autor, Komponist und Sänger. „Es sindimmer noch dieselben Professoren, AliouneWade, Herve Samb, Cheikh Diallo, Adhil Mir-ghani ... Jon Grandcamp spielt Schlagzeug,und Gitarrist Guimba Koyate aus Mali ist auchdabei. Wir stehen alle im Dienst der Musik."Sahmaouis Stimme kommt auf dem Albumbesser denn je zur Geltung. „Die Poesie heira-tet die Melodie und findet ihren Raum", sagtder Künstler bescheiden. „Das passiert dankder Musiker und ihrer Gesänge. Die GnawaUniversity ist die Magie von uns allen." ^

• www.facebook.com/azizsahmaoui

• Diskografie:

Mazal (World Village, 2014)

University Of Gnawa (NaVve, 2011)

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