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Das neueErwachsenenschutzrecht
- ein Überblick
Referat für Curaviva NidwaldenHergiswil
vom 10. Juni 2013
Simone Schmucki, lic. iur.,Rechtsanwältin und Notarin in St. Gallen
Inhalt• Neue Vertretungsrechte
• Vorsorgeauftrag / Patientenverfügung• Beistände• Vertretungsrechte von Angehörigen (Kaskadenordnung)
• Dokumentationen und andere Pflichten• Notfallhandling• Einschränkung der Bewegungsfreiheit / Demenz• Urteilsfähigkeit: Voraussetzungen und Prüfung• Änderungen für Ärzte / Zuständigkeiten, Triage• Zusammenarbeit mit KESB (Kindes-und
Erwachsenenschutzbehörde)• Wichtigste Anpassungen für Institutionen10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht
- ein Überblick
Ziel der Gesetzesrevision
• Förderung Selbstbestimmung unter höchstmöglicher Fürsorge (ethischer Konflikt)
• Schutz der Urteilsunfähigen bzw. Schutz der Persönlichkeit
• Stärkung Familiensolidarität (Vertretung)
• Freiheitsbeschränkungen als ultima ratio
• Erneuerung Behörde / Massnahmen
10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein Überblick
10.06.2013
Vertretungsverhältnisse nach neuem Recht
• „Bevollmächtigte“ Vertreter– Vorsorgeauftrag– Patientenverfügung
• Behördliche Vertreter: Beistand (KESB)
• Gesetzliche Vertreter– Allgemeine gesetzliche Vertretung (Ehe)– Vertretung bei medizinischen Massnahmen
Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein Überblick
Eigene Vorsorge – Vorsorgeauftrag
• Vorsorgeauftrag (360 ZGB ff.)– Solange handlungsfähig (also auch urteilsfähig)– Regelung sämtlicher Lebensbereiche (Aufgaben)– Auftrag an natürliche / juristische Person– Hinterlegung / Widerruf möglich
• Erstellung und Gültigkeit– Eigenhändig (handschriftlich, datiert, unterschrieben)– Öffentliche Beurkundung– KESB überprüft den Vorsorgeauftrag und erstellt
Urkunde mit Befugnissen für Beauftragte10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Eigene Vorsorge – Patientenverfügung
• Patientenverfügung (370 ZGB ff.)– Solange urteilsfähig– Regelung Aspekte der Gesundheitsversorgung
• Direkt (Regelung diagnostische, therapeutische, pflegerische Massnahmen, auch palliative Methoden, auch Seelsorge)
• Bezeichnung entscheidberechtigter Vertreter (natürl. Person)
– Hinterlegung / Widerruf möglich
• Erstellung und Gültigkeit– schriftlich, datiert, unterschrieben– Meldung an KESB bei Unstimmigkeiten
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Beistandschaft („Behördliche“ Vertreter)
• Ausdruck staatlicher Fürsorge
• Schutz der Persönlichkeit steht im Vordergrund, möglichst wenig Einschränkung der Selbstbestimmung– Daher subsidiär zu eigener Vorsorge und zu
gesetzlicher Vertretung– Massgeschneidert (Verhältnismässigkeit)
• Nur natürliche Personen
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Beistandschaft (388 ff.)
• Voraussetzung:– Wenn keine eigene Vorsorge getroffen wurde
oder diese als ungenügend erscheint zum Schutz der urteilsunfähigen Person
und – die gesetzlichen Vorschriften (Massnahmen
von Gesetzes wegen) bei Urteilsunfähigen ungenügend sind
• Errichtung einer Beistandschaft: KESB10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Beistandschaft
• Massgeschneidert für alle Bereiche des Lebens (vgl. Vorsorgeauftrag)– Personensorge– Vermögenssorge– Vertretung im Rechtsverkehr
• Begleitung / Vertretung / Mitwirkung
• Mit oder ohne Einschränkung Handlungsfähigkeit
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Gesetzliche Vertreter Ehe• Allgemeine gesetzliche Vertretung durch
Ehegatten oder eingetragene Partner (374)• (nur subsidiär zu Vorsorgeauftrag/Beistand)
– Ordentliche Vermögensverwaltung– Rechtshandlungen für Unterhaltsbedarf (inkl.
Abschluss Betreuungsvertrag)– Bei Bedarf: Post öffnen und erledigen
• Vertretung bei medizinischen Massnahmen (nur subsidiär zu Patientenverfügung/Vorsorgeauftrag/Beistand)
• „Vertretung“ im Verfahren vor KESB10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Vertretungsberechtigte Personen bei medizinischen Massnahmen
• Ermächtigte Person (per Patienten-verfügung oder Vorsorgeauftrag)
• Beistand mit Vertretungsrecht für medizinische Massnahmen
• Angehörige nach Kaskadenordnung(Zusatzkriterien: gemeinsamer Haushalt und persönlicher Beistand)– Entscheidend ist persönliche Nähe/Fürsorge
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Kaskade Angehörige bei medizinischen Massnahmen
• Person oder Angehöriger, der per Vorsorgeauftrag/ Patientenverfügung hiezu ermächtigt oder Beistand ist
• Ehegatte/eingetragener Partner
• Konkubinatspartner / Mitbewohner
• Nachkommen
• Eltern
• Geschwister10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Kaskade Angehörige bei medizinischen Massnahmen II• Zusatzvoraussetzungen bei Angehörigen
– Ehe: Gemeinsamer Haushalt oder persönlicher, regelmässiger Beistand
– Konkubinat / WG: Gemeinsamer Haushalt und persönlicher, regelm. Beistand
– Nachkommen: persönlicher, regelm. Beistand– Eltern: persönlicher, regelmässiger Beistand– Geschwister: persönlicher, regelm. Beistand
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Dokumentationspflichten
• Schriftlicher Betreuungsvertrag (382 ZGB)– Bei Betreuung von Urteilsunfähigen für längere Zeit in
einer Einrichtung– Festlegen Leistungen und Entgelt– Vertretung durch Angehörige gemäss Kaskade (378)
• Schriftlicher Behandlungsplan (377 ZGB)– Bei Urteilsunfähigkeit ohne Pat.verfügung– Planung durch Arzt unter Einbezug Vertreter– Einbezug Urteilsunfähige in Planung
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Meldepflicht 386 II
Meldepflicht Institution bei hilfsbedürftiger Person ohne Kontakt gegen aussen
• Gesetzestext Art. 386 II ZGB:
„Kümmert sich niemand von ausserhalb der Einrichtung um die betroffene Person, so benachrichtigt die Wohn- oder Pflegeeinrichtung die Erwachsenenschutzbehörde.“
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Pflichten zum Schutz der Persönlichkeit
Punktuell in Art. 386 ZGB aufgelistet:
• Pflicht zur Förderung von Kontakten gegen aussen
• Benachrichtigung der KESB, wenn sich niemand um urteilsunfähige Person kümmert
• Freie Arztwahl
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Notfallhandling
• Medizinische Behandlung / Pflege– handeln gemäss PV oder im mutmasslichen Willen
und Interesse des Pat. (379 ZGB / GoA)– Nachträgliche Information Pat./Vertreter– Allenfalls Anpassung an dessen Entscheid
• Heimeintritt (nur bei Urteilsunfähigen ohne Vertreter problematisch)
– Zunächst GoA, Kontakt Angehörige für Unterschrift– Meldung an KESB für Ersatzhandlung/ Errichtung
Beistandschaft bei längerem Nichterreichen Angehörige
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Bewegungseinschränkende Massnahmen
• Gesetzlich geregelt: Art. 383 – 385 ZGB
• Anwendbar bei Urteilsunfähigen ab 2013
• Medikamentöse Einschränkung der Bewegungsfreiheit gehört zu den medizinischen Massnahmen; zur Anwendung kommen Art. 377 ZGB
• BeM bei fürsorgerischer Unterbringung: Art. 438 ZGB
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Einschränkung der Bewegungsfreiheit (BeM, 383)Die Bewegungsfreiheit darf nur einge-schränkt werden, wenn weniger einschnei-dende Massnahmen nicht ausreichen /ungenügend sind und die Massnahme dazu dient, Gefahr für Leib und Leben der Person oder Dritter abzuwenden oder schwerwiegende Störungen des Gemein-schaftslebens zu beseitigen.
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Begleitmassnahme Information
Information an betroffene Person und an Angehörige (Art. 383 n-ZGB) über:
• Was geschieht bzw. wie wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt?
• Warum wird diese Massnahme ergriffen?
• Wie lange dauert diese voraussichtlich?
• Wer ist in dieser Zeit zuständig?
• Wo kann man sich beschweren?10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Begleitmassnahme Dokumentation
• Protokollierungspflicht nach Art. 384 ZGB- Name der anordnenden Person- Zweck der Massnahme (stichhaltige Begründung)– Art der Einschränkung– Voraussichtliche Dauer
• Einsichtsrecht Vertreter für med. Mass-nahmen / betroffene Person / Aufsichtsbehörde
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Vorgehen bei BeM
- Gespräch mit Betroffenen/Angehörigen bzw. den Vertretern bei med. Massnahmen mit allen erforderlichen Informationen
- Protokoll erstellen und in Dossier ablegen (zur jederzeitigen Einsicht bereit)
- Massnahme ausführen
- Allfällige Reklamationen dokumentieren
- Regelmässige Überprüfung vorsehen
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Vorgehen bei medikamentösen BeM
- Gespräch mit Betroffenen/Angehörigen bzw. den Vertretern bei med. Massnahmen mit allen erforderlichen Informationen
Zustimmung erforderlich: Informed Consent
(Betroffener/Vertreter)
- Massnahmen in Behandlungsplan aufnehmen und in Dossier ablegen
- Medizinische Massnahmen ausführen
- Allfällige Reklamationen dokumentieren
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Vertragliche Vereinbarung Bewegungseinschränkungen
- Demenzstationen: immer geschlossene Abteilungen, also Bewegungsfreiheit eingeschränkt (Konzept Dementenbetreuung)
- Bewegungseinschränkung gehört zum Sicherheitskonzept und wird erwartet
- Vertragliche Regelung ist dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren vorzuziehen, da es sich um dauernd nötige BeM handelt
- Für weitere, über das Konzept hinausgehende BeM: Verfahren Art. 383 - 384 ZGB anwenden
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Urteilsfähigkeit n. Stoppe
Voraussetzungen nach STOPPE:
• Fähigkeit, eigene Interessen rechtsgültig zu vertreten
• Ein Problem verstehen
• Sich sachgerecht darauf einlassen
• Urteile bilden, Vor- und Nachteile abwägen
• Entscheidungen fällen (Stoppe, 2010)
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Urteilsfähigkeit n. SAMW
• Fähigkeit, Informationen in Bezug auf zu fällende Entscheidung zu verstehen
• die Situation und die Konsequenzen, die sich aus alternativen Möglichkeiten ergeben, richtig abzuwägen
• Informationen im Kontext eines (recte: seines!) kohärenten Wertsystems rational zu gewichten
• die eigene Wahl zu äussern10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Elemente Urteilsfähigkeit
• Willensbildungsfähigkeit (intellektuell)– Erkennen Sinn, Nutzen und Wirkungen von
Verhalten und Beurteilung desselben – rational nachvollziehbarer Entscheidungsweg,
nicht vernünftige Entscheidung• Willensumsetzungsfähigkeit (voluntativ)
– Fähigkeit, nach dieser Erkenntnis zu handeln– Unbeeinflusstes, freies Handeln (keine
Willensschwäche / Zwänge / Beeinflussung)
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Prüfung Urteilsfähigkeit
• Gespräch mit Person, ev. interdisziplinär
• Testung mittels Screening-Verfahren (z.B. mini mental status)
• Arztzeugnis
• Psychiatrisches Gutachten (Demenz: Gerontopsychiater mit forensischer Erfahrung)
• Zeugenbefragung?
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Beweislast Urteilsfähigkeit bei Demenz
• Art. 16 ZGB: Vermutung Urteilsfähigkeit, ausser bei „psychischer Störung / geistiger Behinderung“: ab einem gewissen Stadium Alzheimer/Demenz greift gesetzliche Vermutung nicht mehr
• Beweis Urteilsfähigkeit durch Betroffene• Beweis über Arztzeugnis/Gutachten (prospektiv,
unter Beizug KG auch retrospektiv möglich)• Beweismass: hohe Wahrscheinlichkeit
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Änderungen für Ärzte
• Pflicht Abklärung Patientenverfügung• Schriftlicher Behandlungsplan • Heimärzte: Einverständnis Pat. (freie Arztwahl)
Weiteres (wie bis anhin)• Aufklärungspflicht• Verantwortung für Behandlung (Delegation an
Pflege: Hilfspersonenhaftung)• Abklärung Urteilsfähigkeit bei Bedarf• Kompetenz FU für max. 6 Wochen10.06.2013 Das neue Erwachsenenschutzrecht - ein
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Zuständigkeiten / Triage
• Bezugspersonen: Informationen
• Vertreter: Entscheide in allen – per PV, VA, KESB zugeteilten – Belangen, ausser BeM
• Heime: Entscheidbefugnis BeM, fachliche Verantwortung
• Ärzte: fachliche Verantwortung, Zwangsmass-nahmen nur bei FU in Klinik
• KESB: Anordnung Massnahmen zum Schutz Urteilsunfähiger, Entscheid Streitigkeiten
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Zusammenarbeit mit KESB
Zusammenarbeitsformen:
• Information: Art. 363 Vorsorgeauftrag
• Verschiedentlich Anrufung der KESB zum Entscheid/Ergreifen von Massnahmen
• Weiterleitungspflicht Beschwerde BeM
• Melderechte und Zusammenarbeits-pflichten: 386 II / 443 / 453
10.06.2013
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Zusammenarbeitspflicht 4531 „Besteht die ernsthafte Gefahr, dass eine
hilfsbedürftige Person sich selbst gefährdet oder ein Verbrechen oder Vergehen begeht, mit dem sie jemanden körperlich, seelisch oder materiell schwer schädigt, so arbeiten die Erwachsenenschutzbehörde, die betroffenen Stellen und die Polizei zusammen.
2 Personen, die dem Amts- oder Berufsgeheimnis unterstehen, sind in einem solchen Fall berechtigt, der Erwachsenenschutzbehörde Mitteilung zu machen.“
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Zusammenarbeit
• ernsthafte / unmittelbare Gefahr zur– Selbstgefährdung (erhebliche)– Schweren Schädigung Dritter (körperlich, seelisch
oder materiell) mittels Vergehen/Verbrechen
• Zusammenarbeitspflicht KESB / Heim oder betroffene Stellen / Polizei mit Entbindung Amts-/Berufsgeheimnis (gegenseitige Auskünfte)
• Melderecht Heim unter Entbindung Amts-/Berufsgeheimnis; nicht aber Pflicht zur Meldung solcher Tatbestände
10.06.2013
Anrufung KESB• Vorsorgeauftrag (Einreichen, Auslegung,
Interessengefährdung)
• Patientenverfügung (Auslegung bzw. Nichtentsprechen, Interessengefährdung, Zweifel an Gültigkeit – freier Wille)
• Gesetzliche Vertretung (Voraussetzungen erfüllt, Interessengefährdung)
• Vertretung bei med. Massnahmen (wer, bei mehreren Vertretern bei unterschiedlicher Auffassung, Interessengefährdung)
• Einschränkung Bewegungsfreiheit Beschwerde
• Gefährdungsmeldung
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Anpassungen Institutionen
• Zwingende Dokumentationen bei Urteilsunfähigen:– Betreuungsvertrag / Behandlungsplan / BeM– Demenzbetreuung: BeM vertraglich regeln
• Erfassung von Vertretungsberechtigten / Angehörigen, ev. Meldung an KESB
• Gespräch über eigene Vorsorge (Dokumente ablegen, ggf. erstellen)
• KESB-Zuständigkeit erfassen
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