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Verfassungsrecht12., überarbeitete Auflage
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Dieses Standardwerk stellt das österreichische Verfassungsrecht in über-schaubarer Form dar. Besonderer Wert wurde auf eine verständliche Sprache gelegt. Eine auf den leitenden Verfassungsprinzipien aufbauende Gliederung und zahlreiche Binnenverweise erleichtern das Verständnis und machen Zusammenhänge sichtbar. Durchgehend werden Wechselwirkungen und Ver-schränkungen des Verfassungsrechts mit dem Europarecht dargestellt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die ausführliche Darstellung der Grundrechte.
Die 12. Auflage befindet sich auf dem Stand Dezember 2018.
Dr. Theo Öhlinger ist emeritierter ordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Wien.
Dr. Harald Eberhard ist Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.
THEO ÖHLINGER | HARALD EBERHARD
ISBN 978-3-7089-1727-6
facultas.at
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autoren oder des Verlages ist ausgeschlossen.
Copyright © 2019 Facultas Verlags- und Buchhandels AGfacultas Universitätsverlag, 1050 WienAlle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitungsowie der Übersetzung, sind vorbehalten.Satz: Wandl Multimedia-AgenturDruck: Finidr, s.r.o., Cesky, TésinPrinted in AustriaISBN 978-3-7089-1727-6
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 5
Vorwort
Seit der letzten Auflage sind über zweieinhalb Jahre vergangen, die es galt, in der Darstellung dieses Lehrbuches entsprechend zu verarbeiten. Die Dynamik des Verfassungsrechts hat in dieser Zeit ungebrochen angehalten, wozu vor allem die Judikatur auf österreichischer, aber auch europäischer Ebene einen entschei-denden Beitrag geleistet hat. Wiewohl es keine gravierenden Änderungen im Ver-fassungsrechtsbestand zu verzeichnen gab, waren etwa mit der Neuordnung der Schulverwaltung oder dem mit dem In-Kraft-Treten der DSGVO im Mai 2018 völlig veränderten Datenschutzrecht quer durch die Bereiche des Verfassungs-rechts neue Entwicklungen einzufangen. Dies in verständlicher und damit sowohl für die Studierenden als auch für die Praxis leicht handhabbarer Form darzustel-len ist seit über einem Vierteljahrhundert das erklärte Ziel dieses Werkes. Die nach wie vor überaus erfreuliche Aufnahme durch unsere Leserinnen und Leser spornt uns immer wieder aufs Neue an, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Die vorliegende – 12. – Auflage dieses Werks gibt den Stand des Verfas-sungsrechts von Dezember 2018 sowie der bis zum Jahresende 2018 veröffent-lichten Judikatur des VfGH und der für Österreich relevanten Rechtsprechung des EGMR wieder.
Tatkräftig und sachkundig unterstützt wurden wir bei dieser Auflage von Philipp Haas, LL.M. (WU), Eva-Maria Kittl, LL.M. (WU), Mag. Emanuel Matti, Daniel Peter Schmidt, LL.B. (WU) und Mag. Antonia Wagner sowie Thomas Zahrl, LL.M. (WU). Die Schreib- und Kontrollarbeiten lagen daneben in den be-währten Händen von Esra Cinar. Ihnen allen sei sehr herzlich gedankt. Unser aufrichtiger Dank gilt zudem dem facultas Verlag, im Besonderen Peter Witt-mann, für die wie stets angenehme und unkomplizierte Zusammenarbeit.
Für das erhaltene Feedback sagen wir schließlich einmal mehr herzlichen Dank. Über Anregungen und Kritik würden wir uns auch weiterhin freuen. Eben-so sind wir für Hinweise auf etwaige Fehler dankbar. Gerichtet werden sie am besten an esra.cinar@wu.ac.at.
Wien, im März 2019
Theo Öhlinger Harald Eberhard
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 7
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................. 19
I. Zu den Begriffen Verfassung und Verfassungsrecht .............................. 25 1. Verfassungsrecht im formellen Sinn ............................................................... 25 2. Die Rechtsquellen des Verfassungsrechts ....................................................... 26 3. Der Rang des Verfassungsrechts ..................................................................... 27 4. Die Funktion der Verfassung .......................................................................... 28 5. Interpretation des Verfassungsrechts ............................................................... 31 5.1. Die einzelnen Interpretationsmethoden ................................................. 31 5.2. Besonderheiten der Verfassungsinterpretation ....................................... 35 5.2.1. Der ältere Stil der Verfassungsinterpretation in Österreich ......... 36 5.2.2. Veränderungen des Interpretationsstils in neuerer Zeit ................ 37 5.3. Exkurs: Verfassungskonforme Interpretation ......................................... 38 6. Lehre und Studium des Verfassungsrechts ..................................................... 40
II. Kurze Geschichte der Bundesverfassung .................................................. 43 1. Die Entstehung des B-VG ............................................................................... 43 2. Die Novellen 1925 und 1929 .......................................................................... 45 3. Ständestaat und Nationalsozialismus .............................................................. 46 4. Von 1945 bis 1966 .......................................................................................... 46 5. Rechtsüberleitung ........................................................................................... 48 6. Die Entwicklung seit 1966 .............................................................................. 49 7. Reformbestrebungen ....................................................................................... 51
III. Die Grundprinzipien der Bundesverfassung ............................................ 53 1. Die verfassungsrechtliche Grundordnung ...................................................... 53 2. Die einzelnen Prinzipien ................................................................................ 55 2.1. Demokratisches Prinzip ......................................................................... 55 2.2. Republikanisches Prinzip ....................................................................... 55 2.3. Bundesstaatliches Prinzip ...................................................................... 57 2.4. Rechtsstaatliches Prinzip ....................................................................... 58 2.5. Gewaltenteilendes und liberales Prinzip ................................................ 59 3. Die Grundprinzipien als Auslegungsmaximen und als Maßstab der unterverfassungsgesetzlichen Rechtsordnung ................................................ 61 4. Verfassungsrechtliche Grenzen der Verfassungsgesetzgebung ....................... 67
IV. Staatszielbestimmungen und Verfassungsaufträge ................................ 69 1. Theoretische Grundlegung ............................................................................. 69 2. Einzelne Staatszielbestimmungen ................................................................... 69 2.1. Das Verbot nazistischer Tätigkeit .......................................................... 69 2.2. Die dauernde Neutralität ........................................................................ 70 2.3. Umfassende Landesverteidigung ........................................................... 71 2.4. Gesellschafts- und umweltbezogene Staatsziele .................................... 72 2.5. Atomfreies Österreich ............................................................................ 73 2.6. Gleichbehandlung von Behinderten und Gleichstellung von Mann und Frau ....................................................................................... 73 2.7. Schutz der Volksgruppen ....................................................................... 74
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Inhaltsverzeichnis
2.8. Schule und Bildung .................................................................................74 2.9. Rundfunk als öffentliche Aufgabe ......................................................... 75 2.10. Ziele der öffentlichen Haushaltsführung ............................................... 76 2.11. Achtung der Autonomie der Sozialpartner ............................................ 77 2.12. Staatszielbestimmungen im Landesverfassungsrecht ............................ 77
V. Verfassungsrecht und Völkerrecht .............................................................. 78 1. Theorien über das Verhältnis von staatlichem Recht und Völkerrecht ........... 78 2. Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts ..................................... 79 3. Völkerrechtliche Verträge ............................................................................... 80 3.1. Begriff .................................................................................................... 80 3.2. Staatsverträge des Bundes ...................................................................... 80 3.2.1. Kompetenz des Bundes ............................................................... 80 3.2.2. Organe des Vertragsabschlusses ................................................. 81 3.2.3. Erfüllungsvorbehalt .................................................................... 82 3.2.4. Der Rang von Staatsverträgen im staatlichen Recht ................... 83 3.3. Staatsverträge der Länder ...................................................................... 84 3.4. Durchführung der Staatsverträge ........................................................... 85 4. Beschlüsse Internationaler Organisationen ..................................................... 85 5. Die Europäische Menschenrechtskonvention ................................................. 86
VI. Verfassungsrecht und Europäische Integration ...................................... 90 1. Der Beitritt zur EU .......................................................................................... 90 1.1. Das Beitritts-BVG .................................................................................. 90 1.2. Die gesamtändernde Wirkung des Beitritts auf das Bundes- verfassungsrecht ..................................................................................... 90 2. Die Rechtsnatur der EU ................................................................................... 91 2.1. Europäische Union ................................................................................. 91 2.2. Die Strukturmerkmale des Unionsrechts ............................................... 91 2.2.1. Autonome Geltung und unmittelbare Anwendbarkeit ................ 92 2.2.2. Vorrang vor staatlichem Recht .................................................... 92 2.2.3. Unionsrechtskonforme Auslegung von staatlichem Recht ......... 93 2.2.4. Die Umsetzungspflicht und Verantwortlichkeit des Staates ....... 93 3. Die „Verfassung“ der Union ........................................................................... 95 3.1. Primärrecht als Verfassung ..................................................................... 95 3.2. Das Verhältnis zwischen dem Recht der Union und dem österreichischen Verfassungsrecht .......................................................... 96 3.2.1. Der Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem Verfassungsrecht ................................................................. 96 3.2.2. Der Verfassungsverbund von Union und Mitgliedstaaten .......... 97 4. Die Unionsbürgerschaft .................................................................................. 97 5. Die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten ...... 98 5.1. Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ..................................... 98 5.2. Subsidiaritätsprinzip .............................................................................. 99 5.3. Arten der Zuständigkeiten ...................................................................... 99 6. Staatliches Unionsverfassungsrecht .............................................................. 100 6.1. Die Mitwirkung Österreichs in den Organen der EU ........................... 100 6.1.1. Wahl des Europäischen Parlaments .......................................... 100 6.1.2. Mitwirkung Österreichs im Rat ................................................ 101 6.1.3. Mitwirkung Österreichs an der Bestellung sonstiger Organe der EU .......................................................................... 102
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 9
Inhaltsverzeichnis
6.2. Die Mitwirkung von Nationalrat und Bundesrat an Vorhaben der EU .................................................................................................. 103 6.3. Subsidiaritätskontrolle ......................................................................... 104 6.4. Die Mitwirkung der Länder an Vorhaben der EU ................................ 105 7. Rechtskontrolle ............................................................................................. 105 7.1. Auswirkungen auf die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle ....... 106 7.1.1. Prüfung des Unionsrechts durch staatliche Gerichte? .................................................................................... 106 7.1.2. Die Prüfung staatlichen Rechts am Maßstab des Unionsrechts: Inzidentkontrolle ................................................ 107 7.1.3. Die doppelte Bindung des staatlichen Normsetzers ................. 108 7.2. Rechtsschutz gegenüber individuellen Verwaltungsakten ................... 111 7.3. Die Rolle des EuGH ............................................................................. 112
VII. Der Bundesstaat ............................................................................................. 114 1. Begriff ........................................................................................................... 114 2. Der Gesamtstaat ............................................................................................ 114 2.1. Die Republik Österreich ...................................................................... 114 2.2. Staatsgebiet .......................................................................................... 115 2.3. Staatsbürgerschaft ................................................................................ 116 2.4. Staatssprache ........................................................................................ 117 2.5. Staatssymbole ...................................................................................... 118 3. Bundesverfassungsrecht und Landesverfassungsrecht ................................. 118 4. Die Kompetenzverteilung ............................................................................. 119 4.1. Die Kompetenz-Kompetenz ................................................................. 119 4.2. Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung .................................. 119 4.3. Typen der Kompetenzverteilung .......................................................... 122 4.3.1. Allgemeine Kompetenzverteilung ............................................ 122 4.3.1.1. Die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung und Vollziehung .......................................................... 122 4.3.1.2. Die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung, des Landes zur Vollziehung ........................................ 123 4.3.1.3. Die Zuständigkeit des Bundes zur Grundsatz- gesetzgebung .............................................................. 124 4.3.1.4. Die Zuständigkeit des Landes zur Gesetzgebung und Vollziehung .......................................................... 125 4.3.2. Sonderfälle ................................................................................ 126 4.4. Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Finanzen ..................... 128 4.5. Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Schulen ...................... 133 4.6. Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Vergaberechts ............. 134 4.7. Strukturmerkmale und Auslegungsregeln der Kompetenz- verteilung ............................................................................................. 134 4.7.1. Exklusivität und Vollständigkeit ............................................... 134 4.7.2. Versteinerungstheorie ................................................................ 135 4.7.3. Adhäsionsprinzip ...................................................................... 137 4.7.4. Gesichtspunktetheorie und Kumulationsprinzip ....................... 137 4.7.5. Berücksichtigungsprinzip ......................................................... 138 4.7.5.1. Berücksichtigungsbefugnis ........................................ 139 4.7.5.2. Rücksichtnahmepflicht ............................................... 139 4.7.6. Föderalistische Auslegungsmaxime .......................................... 140
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Inhaltsverzeichnis
5. Die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes und vice versa .......................................................................... 141 5.1. Der Bundesrat ..................................................................................... 141 5.1.1. Kompetenzen .......................................................................... 141 5.1.1.1. Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung .................. 141 5.1.1.2. Sonstige Kompetenzen ............................................. 141 5.1.2. Zusammensetzung .................................................................. 142 5.1.3. Beschlusserfordernisse ........................................................... 143 5.2. Zustimmungsrechte der Länder zu Bundesgesetzen .......................... 143 5.3. Mitwirkung des Bundes an der Landesgesetzgebung ........................ 144 5.4. Mittelbare Bundesverwaltung ............................................................ 145 5.5. Mittelbare Landesverwaltung ............................................................. 148 6. Aufsichtsrechte des Bundes ........................................................................ 148 7. Der kooperative Bundesstaat ...................................................................... 149 7.1. Bund-Länder-Verträge und Verträge der Länder untereinander ......... 150 7.2. Gemeinsame Organe .......................................................................... 152 7.2.1. Verfassungsgerichtshof ........................................................... 152 7.2.2. Verwaltungsgerichtsbarkeit .................................................... 153 7.2.2.1. Erstinstanzliche Verwaltungsgerichte ....................... 153 7.2.2.2. Verwaltungsgerichtshof ............................................ 153 7.2.3. Rechnungshof ......................................................................... 153 7.2.4. Volksanwaltschaft ................................................................... 153
VIII. Die demokratische Republik ..................................................................... 154 1. Der Demokratiebegriff der Bundesverfassung ........................................... 154 1.1. Repräsentative Demokratie ................................................................ 154 1.2. Parlamentarisches Regierungssystem ................................................ 155 1.3. Rechtsstaatliche Demokratie .............................................................. 158 1.3.1. Legalitätsprinzip ..................................................................... 158 1.3.2. Demokratie und Grundrechte ................................................. 159 2. Die politischen Parteien .............................................................................. 160 3. Die Verbände ............................................................................................... 164 4. Die Volksvertretungen ................................................................................. 165 4.1. Wahl ................................................................................................... 165 4.1.1. Die Grundsätze des Wahlrechts .............................................. 165 4.1.1.1. Allgemeines Wahlrecht ............................................. 166 4.1.1.2. Gleiches Wahlrecht ................................................... 167 4.1.1.3. Unmittelbares Wahlrecht ........................................... 167 4.1.1.4. Persönliches Wahlrecht ............................................. 168 4.1.1.5. Geheimes Wahlrecht ................................................. 168 4.1.1.6. Freies Wahlrecht ....................................................... 169 4.1.1.7. Keine Wahlpflicht ..................................................... 170 4.1.1.8. Die Grundsätze der Verhältniswahl .......................... 170 4.1.2. Das Verfahren der Nationalratswahlen ................................... 173 4.1.2.1. Verteilung der Mandate auf die Wahlkreise .............. 173 4.1.2.2. Ausschreibung der Wahl ........................................... 173 4.1.2.3. Wahlbehörden ........................................................... 174 4.1.2.4. Erfassung der Wahlberechtigten ............................... 174 4.1.2.5. Wahlvorschläge ......................................................... 174 4.1.2.6. Abstimmungsverfahren ............................................. 175 4.1.2.7. Erstes Ermittlungsverfahren ..................................... 175
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4.1.2.8. Zweites Ermittlungsverfahren ..................................... 176 4.1.2.9. Drittes Ermittlungsverfahren ....................................... 176 4.1.3. Wahlen zu den Landtagen ......................................................... 177 4.1.4. Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Wahl ................................... 178 4.2. Gesetzgebungsperiode, Tagungen, Sitzungen ...................................... 178 4.2.1. Gesetzgebungsperiode .............................................................. 178 4.2.2. Tagungen ................................................................................... 179 4.2.3. Sitzungen .................................................................................. 179 4.3. Die Auflösung der Parlamente ............................................................. 180 4.3.1. Nationalrat ................................................................................ 180 4.3.2. Bundesrat .................................................................................. 181 4.3.3. Landtage .................................................................................... 181 4.4. Die Rechtsstellung der Abgeordneten .................................................. 181 4.4.1. Beginn und Ende der Rechtsstellung der Abgeordneten zum Nationalrat ......................................................................... 181 4.4.2. Mandat auf Zeit ......................................................................... 182 4.4.3. Das freie Mandat ....................................................................... 182 4.4.4. Rede- und Abstimmungsfreiheit (berufliche Immunität) .......... 183 4.4.5. Verfolgungsfreiheit (außerberufliche Immunität) ..................... 184 4.4.6. Inkompatibilität ......................................................................... 186 4.4.7. Bezüge ...................................................................................... 188 4.5. Organisation ......................................................................................... 189 4.5.1. Nationalrat ................................................................................ 189 4.5.1.1. Rechtsgrundlagen ........................................................ 189 4.5.1.2. Organe .......................................................................... 189 4.5.1.3. Öffentlichkeit .............................................................. 191 4.5.2. Bundesrat .................................................................................. 192 4.5.3. Bundesversammlung ................................................................. 192 4.5.4. Landtage .................................................................................... 192 4.6. Die Funktionen des Parlaments ........................................................... 193 4.6.1. Gesetzgebung ............................................................................ 193 4.6.1.1. Weg der Bundesgesetzgebung ..................................... 194 4.6.1.1.1. Initiativrecht .............................................. 194 4.6.1.1.2. Begutachtungsverfahren ........................... 194 4.6.1.1.3. Notifikationsverfahren .............................. 194 4.6.1.1.4. Das Verfahren im Nationalrat ................... 195 4.6.1.1.5. Die Mitwirkung des Bundesrates .............. 197
4.6.1.1.6. Volksabstimmung ...................................... 198 4.6.1.1.7. Beurkundung ............................................. 198 4.6.1.1.8. Kundmachung ........................................... 199 4.6.1.1.9. Exkurs: Kundmachung von Verordnungen ............................................. 200 4.6.1.1.10. Zeitlicher und räumlicher Geltungs- bereich ....................................................... 201
4.6.1.2. Exkurs: Wiederverlautbarung ..................................... 201 4.6.1.3. Elemente der direkten Demokratie ............................. 202 4.6.1.3.1. Das Volksbegehren .................................... 202 4.6.1.3.2. Die Volksabstimmung ............................... 203 4.6.1.3.3. Die Volksbefragung .................................. 204 4.6.1.3.4. Landesverfassungsrechtliche Regelungen ............................................... 205
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4.6.2. Das Haushaltsrecht des Bundes ................................................ 206 4.6.2.1. Begriff und Rechtsnatur ............................................ 206 4.6.2.2. Budgetgrundsätze ...................................................... 208 4.6.2.3. Abweichungen .......................................................... 209 4.6.2.4. Budgetprovisorien ..................................................... 209 4.6.2.5. Budgetvollzug ........................................................... 209 4.6.2.6. Rechnungslegung ...................................................... 210 4.6.3. Genehmigung von Staatsverträgen ........................................... 210 4.6.4. Mitwirkung am ESM ................................................................ 211 4.6.5. Kontrolle der Verwaltung ......................................................... 211
4.6.5.1. Fragerecht ................................................................. 211 4.6.5.2. Resolutionsrecht ........................................................ 213 4.6.5.3. Untersuchungsausschüsse ......................................... 213 4.6.5.4. Kontrolle der Staatspolizei und Geheimdienste ........ 214 4.6.5.5. Im Besonderen: die Rechte der Opposition .............. 214
4.6.6. Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung .................................................................... 215 5. Der Bundespräsident ..................................................................................... 216 5.1. Die Wahl und Amtszeit des Bundespräsidenten ................................... 217 5.2. Die Verantwortlichkeit des Bundespräsidenten ................................... 218 5.2.1. Immunität ................................................................................. 218 5.2.2. Politische Verantwortlichkeit .................................................... 218 5.2.3. Rechtliche Verantwortlichkeit .................................................. 219 5.2.4. Inkompatibilität ........................................................................ 219 5.3. Vertretung ............................................................................................. 219 5.4. Kompetenzen ....................................................................................... 220 5.4.1. Allgemeines .............................................................................. 220 5.4.2. Der Bundespräsident als Verwaltungsorgan .............................. 220 5.4.3. Die einzelnen Aufgaben ........................................................... 220 5.4.4. Delegierbarkeit ......................................................................... 222 5.5. Die Bindung an Vorschlag und Gegenzeichnung ................................ 223 5.5.1. Vorschlag .................................................................................. 223 5.5.2. Gegenzeichnung ....................................................................... 224 6. Die Verwaltung ............................................................................................. 224 6.1. Die obersten Organe der Verwaltung ................................................... 225 6.1.1. Bundesregierung und Bundesminister ...................................... 226
6.1.1.1. Ministerialsystem ...................................................... 226 6.1.1.2. Der Bundeskanzler .................................................... 227 6.1.1.3. Vertretung .................................................................. 228 6.1.1.4. Bestellung und Amtserledigung ................................ 229
6.1.2. Landesregierung ....................................................................... 229 6.1.2.1. Bestellung ................................................................. 229 6.1.2.2. Kollegialsystem und monokratisches System ........... 230 6.1.2.3. Notverordnungsrecht ................................................ 230
6.2. Nachgeordnete Verwaltungsorgane ...................................................... 231 6.2.1. Das Weisungsprinzip ................................................................ 231 6.2.2. Der öffentliche Dienst .............................................................. 232 6.3. Schulbehörden ...................................................................................... 234 6.4. Sicherheitsbehörden ............................................................................. 235 6.5. Das Bundesheer ................................................................................... 236 6.5.1. Wehrpflicht ............................................................................... 236
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 13
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6.5.2. Eingliederung in die Verwaltung .............................................. 236 6.5.3. Aufgaben .................................................................................. 237 6.6. Selbstverwaltung .................................................................................. 238 6.6.1. Begriff und verfassungsrechtliche Kriterien ............................ 238 6.6.2. Die Gemeinde ........................................................................... 239
6.6.2.1. Die Gemeinde als Gebietskörperschaft ..................... 239 6.6.2.2. Die Gemeinde als Selbstverwaltungskörper ............. 240 6.6.2.3. Der eigene Wirkungsbereich ..................................... 241 6.6.2.4. Die staatliche Aufsicht .............................................. 243 6.6.2.5. Der übertragene Wirkungsbereich ............................ 244 6.6.2.6. Das Prinzip der Einheitsgemeinde ............................ 244 6.6.2.7. Die Organisation der Gemeinde ................................ 245 6.6.2.8. Wien als Gemeinde und Land ................................... 247
6.6.3. Sonstige Selbstverwaltung ....................................................... 248 6.6.4. Die Universität ......................................................................... 250 6.7. Ausgliederung und Beleihung .............................................................. 251 6.8. Verfassungsrechtliche Prinzipien der Verwaltung ................................ 252 6.8.1. Legalitätsprinzip ....................................................................... 252 6.8.2. Weisungsgebundenheit ............................................................. 252 6.8.3. Amtsverschwiegenheit und Auskunftspflicht ........................... 252 6.8.4. Amtshilfe .................................................................................. 253 6.8.5. Amtshaftung ............................................................................. 254 7. Rechnungskontrolle ...................................................................................... 254 7.1. Rechnungshof ...................................................................................... 254 7.1.1. Der Rechnungshof als Organ des Bundes und der Länder ....... 254 7.1.2. Prüfungsgegenstand .................................................................. 255 7.1.3. Prüfungsinitiative ..................................................................... 256 7.1.4. Prüfungskriterien ...................................................................... 257 7.1.5. Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses und Berichtspflicht ..... 257 7.1.6. Weitere Aufgaben des Rechnungshofs ..................................... 258 7.2. Landesrechnungshöfe .......................................................................... 258 8. Volksanwaltschaft ......................................................................................... 259 8.1. Organisation ......................................................................................... 259 8.2. Aufgaben .............................................................................................. 260 8.2.1. Missstandskontrolle .................................................................. 260 8.2.2. Schutz der Menschenrechte, insbes Verhütung von Folter ....... 261 8.3. Initiative ............................................................................................... 261 8.4. Befugnisse ............................................................................................ 262 8.4.1. Empfehlungen .......................................................................... 262 8.4.2. Bericht ...................................................................................... 262 8.4.3. Anfechtung von Verordnungen ................................................. 262 8.5. Exkurs: Der Bürgerbeauftragte des Europäischen Parlaments ............ 263 8.6. Parlamentarische Bundesheerkommission ........................................... 263
IX. Der Rechtsstaat .............................................................................................. 264 1. Das rechtsstaatliche Prinzip der Bundesverfassung ...................................... 264 1.1. Legalitätsprinzip .................................................................................. 264 1.1.1. Der rechtsstaatliche Gehalt des Legalitätsprinzips ................... 264 1.1.2. Der Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit der Gesetze ............................................................................... 265
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1.1.3. Legalitätsprinzip und Privatwirtschaftsverwaltung .................. 271 1.1.4. Legalitätsprinzip und Selbstverwaltung .................................... 272 1.2. Gewaltenteilung ................................................................................... 273 1.2.1. Gesetzgebung – Verwaltung ..................................................... 274 1.2.2. Gesetzgebung – Gerichtsbarkeit ............................................... 275 1.2.3. Gerichtsbarkeit – Verwaltung ................................................... 275
1.2.3.1. Trennung von Justiz und Verwaltung ......................... 275 1.2.3.2. Materielle Gewaltentrennung ..................................... 276
2. Die ordentliche Gerichtsbarkeit .................................................................... 277 2.1. Die Organisation der Gerichtsbarkeit .................................................. 277 2.2. Die Organe der Gerichtsbarkeit ........................................................... 278 2.2.1. Richter ....................................................................................... 278 2.2.2. Laienrichter ............................................................................... 279 2.2.3. Rechtspfleger ............................................................................ 279 2.2.4. Staatsanwälte ............................................................................ 279 2.3. Gerichtsbarkeit als Rechtsanwendung ................................................. 280 2.4. Verfahrensgrundsätze ........................................................................... 280 2.4.1. Mündlichkeit ............................................................................. 281 2.4.2. Öffentlichkeit ............................................................................ 281 2.4.3. Anklageprozess ......................................................................... 281 2.4.4. Rechte des Angeklagten ............................................................ 281 2.5. Amtshaftung und Organhaftung der Gerichte ...................................... 281 3. Verwaltungsgerichtsbarkeit ........................................................................... 282 3.1. Völkerrechtliche und unionsrechtliche Grundlagen ............................ 282 3.2. Die Verwaltungsgerichte ...................................................................... 284 3.2.1. Das „9+2“-Modell ..................................................................... 284 3.2.2. Organisation .............................................................................. 284 3.2.3. Verfahren ................................................................................... 285 3.2.4. Aufgaben ................................................................................... 285 3.2.4.1 Beschwerdegegenstände ............................................. 285 3.2.4.2. Verteilung der Aufgaben ............................................. 287 3.2.5. Beschwerdelegitimation ............................................................ 288 3.2.6. Reformatorische Gerichtsbarkeit .............................................. 288 3.3. Der Verwaltungsgerichtshof ................................................................. 289 3.3.1. Organisation .............................................................................. 289 3.3.2. Aufgaben ................................................................................... 289 3.4. Grenzen der Zuständigkeit des VwGH gegenüber dem VfGH ............ 290 4. Rechtsschutzbeauftragte ............................................................................... 292 5. Amtshaftung, Organhaftung, Staatshaftung .................................................. 293
X. Die Grundrechte ............................................................................................ 296 1. Allgemeine Grundrechtslehren ..................................................................... 296 1.1. Begriff .................................................................................................. 296 1.2. Rechtsquellen ....................................................................................... 297 1.2.1. Bundesverfassungsrecht ............................................................ 297 1.2.2. Die Rechtsprechung des VfGH ................................................. 300 1.2.3. Reformbestrebungen ................................................................. 301 1.2.4. Landesverfassungsrecht ............................................................ 302 1.3. Grundrechtstheorien ............................................................................. 302 1.3.1. Grundrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte ........................ 303 1.3.2. Grundrechte als Prinzipien ........................................................ 303
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 15
Inhaltsverzeichnis
1.3.3. Grundrechtliche Gewährleistungspflichten ............................... 304 1.3.4. Institutionelle Garantien ........................................................... 306 1.3.5. Soziale und demokratische Grundrechte .................................. 306 1.4. Grundrechtsträger ................................................................................ 307 1.4.1. Staatsbürgerrechte und Jedermannsrechte ................................ 307 1.4.2. Grundrechtssubjektivität ........................................................... 308 1.4.3. Im Besonderen: juristische Personen ........................................ 308 1.5. Schutzrichtung (Bindungswirkung) ..................................................... 309 1.5.1. Vorbemerkung: Eingriff und Verletzung ................................... 309 1.5.2. Bindung der Gesetzgebung ....................................................... 310 1.5.2.1. Gesetzesvorbehalte ..................................................... 311 1.5.2.1.1. Formelle Gesetzesvorbehalte .................... 312 1.5.2.1.2. Materielle Gesetzesvorbehalte .................. 312 1.5.2.1.3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ................. 314 1.5.2.1.4. Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt ....... 315 1.5.2.1.5. Verfahrensgrundrechte .............................. 316 1.5.2.2. Typologie zulässiger gesetzlicher Beschränkungen .... 317 1.5.3. Bindung der Verwaltung ........................................................... 318 1.5.3.1. Verordnungen ............................................................. 318 1.5.3.2. Individuelle Verwaltungsakte ..................................... 318 1.5.3.2.1. Grundrechte unter Gesetzesvorbehalt ....... 318 1.5.3.2.2. Ausgestaltungsvorbehalt ........................... 322 1.5.3.2.3. Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt ....... 322 1.5.3.2.4. Verfahrensgrundrechte .............................. 323 1.5.3.3. Fiskalgeltung .............................................................. 323 1.5.4. Bindung der Gerichte ................................................................ 325 1.6. Das Problem der Drittwirkung ............................................................. 325 2. Die einzelnen Grundrechte ........................................................................... 327 2.1. Recht auf Leben ................................................................................... 327 2.2. Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung .................................................................................. 329 2.3. Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft, der Zwangs- und Pflichtarbeit sowie die Aufhebung jedes Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbandes ............................................................................ 333 2.4. Gleichheitssatz ..................................................................................... 334 2.4.1. Rechtsquellen und Grundrechtsträger ....................................... 334 2.4.2. Gleichheitssatz und Gesetzgebung ............................................ 338 2.4.3. Gleichheitssatz und Vollziehung ............................................... 359 2.4.3.1. Generelle Verwaltungsakte ......................................... 359 2.4.3.2. Individuelle Akte der Vollziehung .............................. 360 2.4.3.2.1. Willkürverbot ............................................ 360 2.4.3.2.2. Verhältnismäßigkeit .................................. 363 2.4.3.3. Fiskalgeltung des Gleichheitssatzes ........................... 364 2.4.4. Drittwirkung ............................................................................. 364 2.4.5. Gleichheit im Bundesstaat ........................................................ 364 2.5. Recht auf gleiche Zugänglichkeit öffentlicher Ämter .......................... 365 2.6. Freizügigkeit und Freiheit des Aufenthaltes, der Einreise und der Auswanderung ........................................................................ 366 2.7. Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ............................. 368 2.7.1. Privatleben ................................................................................ 368 2.7.2. Familienleben ............................................................................ 371
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2.7.3. Schranken gesetzlicher Eingriffe ............................................ 373 2.7.4. Schranken der Vollziehung ..................................................... 375 2.8. Rechte von Kindern ............................................................................. 378 2.9. Recht der Eheschließung und Familiengründung ................................ 379 2.10. Schutz des Brief- und Fernmeldegeheimnisses ................................... 379 2.11. Datenschutz ......................................................................................... 380 2.12. Persönliche Freiheit ............................................................................. 385 2.13. Schutz des Hausrechts ......................................................................... 394 2.13.1. Recht auf gesetzmäßige Hausdurchsuchung („Schutz des Hausrechts“ im engeren Sinn) ........................... 394 2.13.2. Recht auf Achtung der Wohnung ............................................ 399 2.14. Eigentum .............................................................................................. 400 2.14.1. Rechtsquellen und Rechtsträger .............................................. 400 2.14.2. Schutzbereich und Eigentumseingriffe ................................... 400 2.14.3. Bindung des Gesetzgebers ...................................................... 404 2.14.4. Im Besonderen: das Problem der Entschädigung ................... 407 2.14.5. Bindung der Vollziehung ......................................................... 408 2.14.6. Rückübereignung .................................................................... 409 2.15. Freiheit des Liegenschaftsverkehrs ..................................................... 410 2.16. Freiheit der Erwerbsbetätigung ........................................................... 411 2.17. Freiheit der Berufswahl und der Berufsausbildung ............................. 418 2.18. Petitionsrecht ....................................................................................... 419 2.19. Wahlrecht ............................................................................................. 419 2.20. Vereins- und Versammlungsfreiheit ..................................................... 420 2.21. Kommunikationsgrundrechte .............................................................. 426 2.21.1. Meinungsfreiheit ..................................................................... 426 2.21.2. Medienfreiheit ......................................................................... 436 2.21.3. Informationsfreiheit ................................................................ 438 2.22. Freiheit der Wissenschaft .................................................................... 438 2.23. Unterrichtsfreiheit/Recht auf Bildung ................................................. 440 2.24. Freiheit der Kunst ................................................................................ 441 2.25. Glaubens- und Gewissensfreiheit ........................................................ 443 2.26. Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften ................. 446 2.27. Recht auf Wehrdienstverweigerung ..................................................... 448 2.28. Recht auf den gesetzlichen Richter ..................................................... 449 2.29. Nulla poena sine lege ........................................................................... 453 2.30. Recht auf ein faires Verfahren ............................................................. 454 2.31. Recht auf Parteistellung im Strafverfahren ......................................... 465 2.32. Recht auf eine wirksame Beschwerde ................................................. 466 2.33. Weitere Verfahrensrechte ..................................................................... 468 2.33.1. Recht auf eine nachprüfende Instanz im Fall einer gerichtlichen Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung ................................................................................. 468 2.33.2. Recht auf Entschädigung für Fehlurteile ................................ 468 2.33.3. Ne bis in idem ......................................................................... 469 2.34. Rechte der Volksgruppen ..................................................................... 470
XI. Verfassungsgerichtsbarkeit ......................................................................... 473 1. Organisation .................................................................................................. 473 1.1. Einrichtung .......................................................................................... 473 1.2. Organisation und Rechtsstellung der Mitglieder ................................. 473
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 17
Inhaltsverzeichnis
1.3. Organe des VfGH ................................................................................ 474 1.3.1. Justizverwaltung ....................................................................... 474 1.3.2. Rechtsprechung ........................................................................ 475 2. Kompetenzen ................................................................................................ 476 2.1. Kausalgerichtsbarkeit .......................................................................... 476 2.2. Kompetenzgerichtsbarkeit ................................................................... 478 2.2.1. Kompetenzkonflikte ................................................................. 478 2.2.2. Kompetenzfeststellung ............................................................. 480
2.2.2.1. Feststellung der Zuständigkeit von Bund und Ländern ............................................................... 480 2.2.2.2. Feststellung der Zuständigkeit des Rechnungshofs .. 480 2.2.2.3. Feststellung der Zuständigkeit der Volksan- waltschaft .................................................................. 481
2.3 Zuständigkeiten im Zusammenhang mit Untersuchungs- ausschüssen .......................................................................................... 481 2.4. Prüfung von Verordnungen und Gesetzen ........................................... 482 2.4.1. Allgemeines und Überblick ...................................................... 482 2.4.2. Prüfungsgegenstand und -maßstab ........................................... 483
2.4.2.1. Verordnungsprüfung .................................................. 484 2.4.2.2. Gesetzesprüfung ........................................................ 485
2.4.3. Antragslegitimation .................................................................. 487 2.4.4. Weitere Prozessvoraussetzungen .............................................. 488
2.4.4.1. Präjudizialität ............................................................ 488 2.4.4.2 Genaue Bezeichnung ................................................. 490 2.4.4.3. Rechtliche Bedenken gegen die Norm ...................... 490 2.4.4.4. Abgrenzung des Aufhebungsgegenstandes ............... 491
2.4.5. Individualantrag ........................................................................ 493 2.4.5.1. Betroffenheit in einer Rechtsposition ........................ 493 2.4.5.2. Umwegszumutbarkeit ................................................ 497
2.4.6. Parteiantrag auf Normenkontrolle ............................................ 498 2.4.7. Formelle Voraussetzungen in sämtlichen Normen- kontrollverfahren ...................................................................... 500 2.4.8. Parteien des Verfahrens ............................................................ 500 2.4.9. Erkenntnis ................................................................................. 500
2.4.9.1. Umfang der Aufhebung ............................................. 501 2.4.9.2. Wirkung der Aufhebung ............................................ 501
2.5. Prüfung von Staatsverträgen ................................................................ 504 2.6. Prüfung von Vereinbarungen ............................................................... 505 2.7. Prüfung von Wiederverlautbarungen ................................................... 506 2.8. Prüfung von Wahlen ............................................................................ 506 2.8.1. Anfechtung von Wahlen ........................................................... 506
2.8.1.1. Gegenstand der Wahlprüfung .................................... 506 2.8.1.2. Anfechtungsberechtigung .......................................... 507 2.8.1.3. Anfechtungsgegenstand, Antrag und Frist ................ 508 2.8.1.4. Prüfungsmaßstab ....................................................... 508 2.8.1.5. Erkenntnis .................................................................. 509
2.8.2. Ausspruch eines Mandatsverlustes ........................................... 510 2.8.3. Entscheidungen über Volksbegehren, Volksabstimmung, Volksbefragung und Europäische Bürgerinitiative ................... 510 2.8.4. Entscheidungen über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen und Streichung von Personen aus Wählerevidenzen ...................................................................... 511
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2.9. Staatsgerichtsbarkeit ........................................................................... 511 2.10. Entscheidungsbeschwerde .................................................................. 512 2.10.1. Prüfungsgegenstand ............................................................... 512 2.10.2 Beschwerdelegitimation ......................................................... 512 2.10.3 Prüfungsmaßstab .................................................................... 513 2.10.4. Weitere Prozessvoraussetzungen ............................................ 514
2.10.4.1. Keine Zulässigkeitsfragen der Revision ................. 514 2.10.4.2. Beschwerdefrist und Antrag ................................... 515
2.10.5. Verfahren ................................................................................ 515 2.10.6. Entscheidung .......................................................................... 515 2.11. Exkurs: Grundrechtsbeschwerde ......................................................... 517 2.12. Das VfGH als Völkerrechtsgerichtshof .............................................. 518 3. Allgemeines Verfahrensrecht ........................................................................ 518 3.1. Prozessvoraussetzungen ...................................................................... 518 3.1.1. Formerfordernisse einer Eingabe ........................................... 519 3.1.2. Wahrung von Fristen .............................................................. 519 3.1.3. Res iudicata ............................................................................ 519 3.2. Aufschiebende Wirkung und einstweiliger Rechtsschutz ................... 520 3.3. Vorverfahren ........................................................................................ 521 3.4. Mündliche Verhandlung und Beratung ............................................... 521 3.5. Kostenersatz ........................................................................................ 521 3.6. Exekution ............................................................................................ 522
Stichwortverzeichnis .................................................................................................. 523
Inhaltsverzeichnis
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 25
I. Zu den Begriffen Verfassung und Verfassungsrecht
Lit: Bezemek, Materielle Perspektiven eines formellen Verfassungsverständnisses, FS Ko-rinek (2010) 437; Gamper, Verfassungsrevision und „Bewahrung“ der Verfassung, ZÖR 2005, 187; Gamper, Staat und Verfassung4 (2018); Depenheuer/Grabenwarter (Hg), Verfassungsthe-orie (2010); Lachmayer, Vom österreichischen Verfassungsbegriff zum internationalen Verfas-sungsrecht, FS Korinek (2010) 411; Lachmayer, Eine Sprache, zwei Rechtskulturen: deutsches und österreichisches Verfassungsrechtsdenken, in: Kischel (Hg), Der Einfluss des deutschen Verfassungsrechtsdenkens in der Welt: Bedeutung, Grenzen, Zukunftsperspektiven (2014) 65; Öhlinger, Stil der Verfassungsgesetzgebung – Stil der Verfassungsinterpretation, FS Adamovich (1992) 502; Öhlinger, Die Zukunft der Verfassung, JRP 2011, 67; Öhlinger, Die Verfassung der demokratischen Republik: ein europäischer Sonderfall?, in: Helms/Wineroither (Hg), Die österreichische Demokratie im Vergleich (2012) 81; Öhlinger, Verfassung und Verfassungsrecht zwischen Politik und Recht, in: Ehs/Gschiegl/Ucakar/Welan (Hg), Politik und Recht (2012) 51; Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht (2004); Pöschl, Die Zukunft der Verfassung (2010); Pürgy, Die Bedeutung der Verfassung im politischen System – Das österreichische Ver-fassungsverständnis, JRP 2011, 15
Spricht man in der Rechtswissenschaft von „Verfassung“, so meint man in der Regel das Verfassungsrecht und damit einen Komplex von Rechtsvorschrif-ten, der sich von der übrigen Rechtsordnung durch besondere Merkmale unter-scheidet. In diesem Sinn ist der Begriff „Verfassung“ zugleich mit den ersten Verfassungsgesetzen im 18. Jahrhundert in Nordamerika und Europa entstanden. Entstehung und Entwicklung dieses Begriffs ist Thema der Allgemeinen Staats- und Verfassungslehre.
1. Verfassungsrecht im formellen SinnDie besonderen Merkmale, die das Verfassungsrecht von „einfachen“ Gesetzen
unterscheiden, bestehen in formeller (das Verfahren seiner Erzeugung betreffend) und materieller (inhaltlicher) Hinsicht. Deshalb differenziert man auch zwischen
– Verfassung im formellen Sinn und– Verfassung im materiellen Sinn (Rz 13 f).
Die formelle Eigenheit des Verfassungsrechts besteht darin, dass es in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren – dh: in einem im Vergleich zur („ein-fachen“) Gesetzgebung erschwerten Verfahren – erlassen und abgeändert wird. Einmal erlassen, legt die Verfassung die Regel ihrer Abänderbarkeit selbst fest. Die einzelnen Verfassungen unterscheiden sich verständlicherweise in diesem Punkt. Rechtsvergleichend gehört die österreichische Bundesverfassung zu den relativ leicht abänderbaren Verfassungen und ist in diesem Sinn flexibel. Erleich-tert wird die Abänderbarkeit und damit die Flexibilität des österreichischen Ver-fassungsrechts auch durch die Möglichkeit von Verfassungsrecht außerhalb des B-VG (s Rz 6 f).
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I. Zu den Begriffen Verfassung und Verfassungsrecht
Eine Änderung des österreichischen Bundesverfassungsrechts bedarf (Art 44 Abs 1 B-VG):
a. einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Stimmen im NR (Kon-sensquorum), wobei mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend sein muss (Präsenzquorum), sowie
b. der ausdrücklichen Bezeichnung als „Verfassungsgesetz“ bzw „Verfas-sungsbestimmung“.
Eine Gesamtänderung der Bundesverfassung muss – neben den erwähnten Beschlusserfordernissen für Bundesverfassungsgesetze – einer Volksabstim-mung unterworfen werden (Art 44 Abs 3 B-VG). Man versteht unter einer Ge-samtänderung eine Aufhebung oder gravierende Änderung eines leitenden Prin-zips der Bundesverfassung (s Rz 64 f).
Zum Gegenstand „Verfassungsrecht“ als rechtswissenschaftliche Disziplin gehören auch einfache Gesetze, die verfassungsgesetzliche Regelungen näher ausführen. Dazu gehören die Wahlordnungen für die Wahlen zum NR und zu den Landtagen, das VolksbegehrenG, das Volks-abstimmungsG, die Gesetze über das Bundesgesetzblatt und die Landesgesetzblätter, die Ge-schäftsordnungen parlamentarischer Körperschaften, das BundespräsidentenwahlG, das VfGG und andere. Eine genaue begriffliche Abgrenzung ist nicht möglich.
Vom rechtswissenschaftlichen Begriff des Verfassungsrechts ist der Rechtsbegriff „Bun-desverfassung“ in Art 10 Abs 1 Z 1 B-VG zu unterscheiden. Er umfasst ebenfalls neben dem Bundesverfassungsrecht im formellen Sinn auch einfachgesetzliche Ausführungsregelungen. Dieser Rechtsbegriff hat genaue Grenzen, die nach den besonderen Regeln über die Auslegung der Kompetenztatbestände zu ermitteln sind (s Rz 270 ff). Ähnliches gilt für den Begriff der „Verfassungswidrigkeit“ in Art 140 B-VG (s Rz 1008).
2. Die Rechtsquellen des Verfassungsrechtsa. Eine weitere formelle Eigenart des österreichischen Bundesverfassungs-
rechts liegt darin, dass es nicht – wie die meisten anderen Staatsverfassungen – in einem einzigen Gesetzeswerk, einer „Verfassungsurkunde“, niedergelegt ist. Verfassungsurkunde (auch: „Stammgesetz“) in diesem Sinn ist das „Bundes-Ver-fassungsgesetz (B-VG)“. Es ist seit seiner Wiederverlautbarung nach der großen Novelle 1929 (s Rz 45) bereits mehr als 120-mal novelliert worden (zuletzt mit BGBl I 2019/14).
Auch sein Titel wurde mehrmals geändert. Ursprünglich lautete er „Bundes-Verfassungs-gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz)“. Daraus wird ersichtlich, dass – nachdem sich Demokratie und Republik schon 1918 durchgesetzt hatten – das zentrale Problem einer endgültigen Verfassung die Frage der Bundesstaatlichkeit bildete. Mit der Wiederverlautbarung BGBl 1930/1 erhielt es den Titel „Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929“. Seit der (den EU-Beitritt begleitenden) B-VGN BGBl 1994/1013 lautet er „Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)“.
Neben diesem „Stammgesetz“ gibt es jedoch noch eine Reihe weiterer Bun-desverfassungsgesetze (BVG), wie beispielsweise das BVG vom 26.10.1955 über die Neutralität Österreichs oder das Finanz-Verfassungsgesetz. Ferner be-steht die Möglichkeit, einzelne Bestimmungen eines Bundesgesetzes als Verfas-
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Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 27
3. Der Rang des Verfassungsrechts
sungsbestimmungen zu beschließen; diese haben dann ebenfalls den Rang eines Verfassungsgesetzes.
Zwischen dem B-VG selbst als der eigentlichen „Verfassungsurkunde“ und sonstigem Bundesverfassungsrecht besteht kein Unterschied des Ranges und der juristischen Qualität.
Bis 31.12.2007 konnten auch Staatsverträge oder einzelne Bestimmungen eines Staatsvertrages in den Rang von Bundesverfassungsrecht gehoben werden. Mit der B-VGN BGBl I 2008/2 wurde allerdings die Rechtssatzform des ver-fassungsändernden oder verfassungsergänzenden Staatsvertrages aus der öster-reichischen Rechtsordnung eliminiert. Bestehende Staatsverträge oder Staatsver-tragsbestimmungen in Verfassungsrang blieben allerdings als solche in Geltung (zB: die EMRK und ihre Zusatzprotokolle), sofern sie nicht im Zusammenhang mit dieser Novelle auf die Ebene eines „einfachen“ Staatsvertrages zurückgestuft wurden. Das Gleiche gilt auch für Bund-Länder-Verträge (Rz 318 f).
Als Folge dieser – in rechtsvergleichender Sicht ungewöhnlichen – Rechts-technik ist das österreichische Verfassungsrecht sehr zersplittert und unüber-sichtlich. Im Zusammenhang mit der B-VGN BGBl I 2008/2 wurden allerdings durch das Erste Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz (1. BVRBG) einige Bundesverfassungsgesetze sowie rund 1000 Verfassungsbestimmungen in Bun-desgesetzen, Staatsverträgen und Bund-Länder-Verträgen aufgehoben oder ihres Verfassungsranges entkleidet. Inzwischen bestehen aber wieder rund 30 Bundes-verfassungsgesetze und knapp 500 Verfassungsbestimmungen in einfachen Bun-desgesetzen.
b. Eine Eigenheit eines Bundesstaates ist die Differenzierung zwischen dem Verfassungsrecht des Bundes (Bundesverfassungsrecht) und dem Landesver-fassungsrecht. Auf ihr Verhältnis zueinander wird noch zurückgekommen (s Rz 232 ff). Auch für Landesverfassungsrecht gilt, und zwar von der Bundesver-fassung (Art 99 Abs 2 B-VG) vorgegeben, dass es
– nur bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Landtages– mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen geändert
werden kann. Landesverfassungsrechtlich ist in allen Ländern auch eine Bezeich-nungspflicht normiert.
3. Der Rang des VerfassungsrechtsAn die Form des Verfassungsrechts ist seine besondere rechtliche Qualität
geknüpft. Das Verfassungsrecht besitzt in der Hierarchie der staatlichen Rechts-quellen den höchsten Rang.1 Alle übrigen Rechtsakte, insbes auch „einfache“ Ge-setze, sind an die Verfassung gebunden. Ein der Verfassung widersprechendes Gesetz ist verfassungswidrig. Es ist als solches zwar nicht ungültig („nichtig“),
1 Zum Rangverhältnis von Verfassungsrecht und europäischem Unionsrecht s Rz 156 ff.
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I. Zu den Begriffen Verfassung und Verfassungsrecht
kann aber vom VfGH in einem bestimmten Verfahren aufgehoben werden (s Rz 1001 ff).
Das Verfassungsrecht ist selbst mehrschichtig. Aus der Differenzierung von Änderung und Gesamtänderung (s Rz 4) und wegen der erschwerten Regeln einer Gesamtänderung ergibt sich ein erhöhter Bestandsschutz der leitenden Grundsätze der Verfassung, aus dem wiederum ein höherer Rang dieser Grund-sätze gegenüber „einfachem“ Verfassungsrecht abgeleitet werden kann. Diese Grundsätze nehmen damit den höchsten Rang innerhalb der österreichischen Ver-fassungsordnung ein und binden auch den („einfachen“) Bundesverfassungsge-setzgeber: Verfassungsgesetze, die einen der leitenden Grundsätze (s Rz 62 ff) in einem Maß abändern, das als Gesamtänderung der Verfassung zu qualifizieren ist, sind daher verfassungswidrig, sofern nicht eine Volksabstimmung gemäß Art 44 Abs 3 B-VG stattgefunden hat. Insofern kann der VfGH auch Verfassungsrecht am Maßstab der leitenden Grundsätze prüfen und gegebenenfalls als verfassungs-widrig aufheben („verfassungswidriges Verfassungsrecht“, s Rz 88).
Landesverfassungsrecht darf (auch einfachem) Bundesverfassungsrecht nicht widersprechen (Art 99 Abs 1 B-VG) und ist diesem daher untergeordnet. (Dagegen besitzen Landesgesetze den gleichen Rang wie Bundesgesetze.)
Vereinfacht dargestellt ergibt sich daraus folgendes Bild eines Stufenbaus der Rechtsordnung (A. J. Merkl):
Grundprinzipien der Bundesverfassung
Bundesverfassungsrecht
Landesverfassungsrecht
Landesgesetze Bundesgesetze
4. Die Funktion der VerfassungAn die Form des Verfassungsrechts knüpft sich die Frage nach der Funktion
der erschwerten Abänderbarkeit und erhöhten Bestandskraft. Diese Frage stellt sich in besonderer Schärfe in der Demokratie. Denn hier bewirkt die für Ver-fassungsänderungen erforderliche qualifizierte Mehrheit, dass eine Minderheit Änderungen blockieren kann, die von der Mehrheit bzw ihren Repräsentanten gewünscht werden. Eine Minorität kann in diesem begrenzten Maß der Majorität ihren Willen aufzwingen. Die für Verfassungsrecht erforderliche erhöhte Mehr-heit versteht sich insofern nicht von selbst, sondern bedarf einer Rechtfertigung.
Es gibt allerdings typische Inhalte einer Verfassung, die den Kern des Ver-fassungsrechts im materiellen Sinn ausmachen. Es sind dies die Festlegung der
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Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 29
4. Die Funktion der Verfassung
Staatsform (Monarchie oder Republik), die Grundzüge der Verteilung der Staats-funktionen zwischen Parlament, Regierung und Gerichten, im Bundesstaat die Verteilung der Staatsfunktionen zwischen dem Oberstaat und den Gliedstaaten, die Grundrechte als inhaltliche Begrenzung der Staatsfunktionen, allenfalls auch Staatszielbestimmungen. Die Summe dieser Regeln kann man als rechtliche Grundordnung des Staates bezeichnen. Der Sinn der erschwerten Abänderbar-keit von Verfassungsrecht ist es, diese Grundordnung im politischen Alltag außer Streit zu stellen und für Stabilität des Gesamtsystems zu sorgen.
a. Vor dem Hintergrund einer arbeitsteiligen Industriegesellschaft ist es illu-sorisch, dass das Volk auch in einer Demokratie in jeder Frage selbst entscheidet. An dessen Stelle muss die Fülle der täglich notwendigen politischen Entschei-dungen von Repräsentanten und Funktionären bewältigt werden. Vergegenwärtigt man sich ferner, dass das Bekenntnis zu einem demokratischen System bedeutet, dass politische Entscheidungen in einem Meinungswettstreit fallen, benötigt man, will man chaotische Zustände vermeiden, Regeln einerseits über die Bestellung der Repräsentanten und ihre jeweiligen Kompetenzen sowie andererseits über die Art und Weise, wie ihre Beschlüsse zustande kommen sollen.
Die Verfassung enthält in diesem Sinne die Spielregeln des politischen Pro-zesses. Die höhere Bestandskraft dieser Regeln bietet den im politischen Kon-kurrenzkampf um die parlamentarische Mehrheit unterlegenen Parteien Schutz davor, dass die Mehrheit die Spielregeln des politischen Prozesses in einer Weise verändert, die einen künftigen Wechsel der Mehrheit verhindert oder erschwert. Es besteht also eine Funktion der Verfassung auch darin, die für die Demokratie essentielle Konkurrenz um die Mehrheit offenzuhalten.
Ein ähnliches Verfassungsverständnis findet sich bei Hans Kelsen, der allerdings den po-litischen Prozess auf die im Stufenbau der Rechtsordnung dem Verfassungsrecht unmittelbar untergeordnete Rechtsstufe der Gesetzgebung reduziert. Verfassungsrecht im materiellen Sinn ist damit die „Verfahrensordnung der Gesetzgebung“, dh: der Komplex von Normen, der die Organe (Zuständigkeit) und das Verfahren der Gesetzgebung regelt und in diesem Sinn „Rechts-erzeugungsregel“ (Walter: „Zwangsnormerzeugungsnorm“) ist. Dabei bleibt jedoch außer Acht, dass außer der Gesetzgebung weitere wichtige Aspekte des politischen Prozesses, wie die Stel-lung des Staatsoberhauptes oder die Bildung der Regierung, unmittelbar auf der Verfassung be-ruhen. Außerdem kann die Reduktion des materiellen Verfassungsbegriffs auf das „rechtslogi-sche“ Erfordernis eines die Gesetzgebung regelnden Normenkomplexes ihre formelle Eigenart (erschwerte Abänderbarkeit) nicht hinreichend erklären (vgl etwa das Beispiel des Vereinigten Königreichs, wo es diese erschwerte Abänderbarkeit einer Verfassung nicht gibt). Die erschwer-te Abänderbarkeit eines – die Verfassung bildenden – Normenkomplexes ist nicht rechtslogisch, sondern durch politische Erfordernisse begründet.
b. Eine rechtsstaatliche Demokratie westlicher Prägung beruht außerdem auf dem Gedanken der Begrenzung staatlicher Macht zur Sicherung individueller Freiheit. Auf diesem Grundgedanken beruhen zwei Prinzipien moderner Verfas-sungen: die Gewaltenteilung und die Grundrechte.
aa. Gewaltenteilung bedeutet, dass die gesamte staatliche Gewalt nicht bei einem einzigen Organ, auch nicht dem Parlament, konzentriert, sondern auf mehrere Organe, die sich wechselseitig kontrollieren, verteilt sein soll. Diese Be-schränkung auch des Parlaments, dh des gesetzgebenden Organs, bedarf einer der
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Gesetzgebung übergeordneten (diese bindenden) Norm, die eben durch das Ver-fassungsrecht gebildet wird. Ohne eine solche Bindung des Gesetzgebers könnte dieser eine ihn iS der Gewaltenteilung einschränkende Norm jederzeit beseitigen („totalitäre Demokratie“).
bb. Grundrechte normieren eine Selbstbeschränkung des Staates, indem sie gewisse individuelle und gesellschaftliche Freiheitsräume einer staatlichen Re-gelung oder staatlichen Eingriffen entziehen bzw solchen Regelungen und Ein-griffen Schranken setzen (Freiheit der Wissenschaft, der Presse, der Bildung von Vereinen etc). Soll diese Beschränkung auch der Gesetzgebung gegenüber wirk-sam sein, bedarf sie ebenfalls einer höherrangigen Norm.
Gewaltenteilung und Grundrechte sind die wesentlichen Kriterien eines „Verfassungsstaa-tes“ und im Begriff des „demokratischen Verfassungsstaates“ eng mit der Idee der Volkssou-veränität verknüpft. Dieser in der amerikanischen und der französischen Revolution begründete Verfassungsbegriff bildet heute die Leitidee einer Verfassung des westeuropäisch-amerikani-schen Typus. Die österreichische Bundesverfassung steht in der Tradition dieses Verfassungs-verständnisses, weist allerdings in dieser Perspektive einige Besonderheiten und auch Defizite auf (dazu ausführlich Pernthaler, aaO, 29 ff).
c. Eine besondere Form der Gewaltenteilung bildet der Bundesstaat. In ihm sind die staatlichen Befugnisse zwischen mehreren, rechtlich gleichrangigen Parlamenten und Regierungen verteilt. Nur wenn diese Verteilung auch für den Bundesgesetzgeber bindend ist, kann von einer Gleichrangigkeit zwischen Bund und Ländern und nicht einer bloßen Delegation von Staatsgewalt an die Länder gesprochen werden. Der Bundesstaat setzt daher begrifflich eine dem Bundes-gesetzgeber übergeordnete Schicht von Rechtsnormen und in diesem Sinne eine „Verfassung“ voraus.
d. Einige Eigenheiten des österreichischen Bundesverfassungsrechts, so sei-ne extreme Dichte und seine Zersplitterung (s Rz 7), sind durch spezifische Merk-male des politischen Systems Österreichs zu erklären.
Lange Zeit war dieses politische System gekennzeichnet durch die Dominanz zweier Groß-parteien (ÖVP und SPÖ), die um die Mehrheit konkurrierten („hinkendes“ Zweiparteiensystem, im Hinblick auf das Bestehen von ein oder zwei weiteren Parteien, das absolute Mehrheiten einer Großpartei zeitweise verhinderte [s unten Rz 55 ff]). Das Verfassungsrecht erfüllte dabei mit dem Erfordernis einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit auch die Funktion, die zwi-schen den beiden Parteien erzielten Kompromisse gegen einseitige Abänderungen abzusichern. Der Einsatz des Verfassungsrechts zu diesem Zweck bereitete, solange eine Regierungskoalition dieser beiden Parteien („Große Koalition“ – s Rz 50, 55 ff) über eine Zweidrittelmehrheit im NR verfügte, politisch keine Schwierigkeiten. ÖVP und SPÖ waren in empirischer Sicht mit dem Verfassungsgesetzgeber identisch, und während einer Großen Koalition reduzierte sich die Differenz zwischen Verfassungsgesetzgebung und einfacher Gesetzgebung (weil auch einfache Gesetze aufgrund des Koalitionsvertrags stets von beiden Parteien und daher mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen im NR beschlossen wurden) auf das Erfordernis einer ausdrücklichen Be-zeichnung des Verfassungsrechts. Dies erklärt die rechtsvergleichend gesehen extreme Dichte und Detailliertheit des österreichischen Bundesverfassungsrechts.
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5. Interpretation des Verfassungsrechts
5. Interpretation des VerfassungsrechtsLit: Bezemek/Somek, Die Wiederentdeckung Weltösterreichs, Der Staat 2018, 135; Funk,
Abbildungs- und Steuerungsleistungen der Rechtswissenschaft, FS Adamovich (2002) 111; Gamper, Regeln der Verfassungsinterpretation (2012); Grabenwarter, Verfassungsinterpreta-tion, Verfassungswandel und Rechtsfortbildung, FS Mantl (2004) 35; Hiesel, Neue Wege in der Grundrechtsinterpretation?, ZfRV 2000, 53; Hiesel, Gedanken zur gerichtlichen Konkre-tisierung von Verfassungsrecht, FS Öhlinger (2004) 298; Hiesel, Die Auslegung von Grund-rechten im Spannungsfeld zwischen Gesetzgebung und Verfassungsgerichtsbarkeit, ZUV 2010, 56; Holoubek, Gedanken zur Auslegungslehre, FS Mayer (2011) 139; Lachmayer, System und systematische Interpretation im Kontext des Verfassungsrechts, FS Funk (2003) 287; Lienba-cher, Hat der Wortlaut wirklich Vorrang?, ZfV 2015, 194; Öhlinger, Auslegung des öffentlichen Rechts, JBl 1971, 284; Potacs, Auslegung und Rationalität in der europäischen Rechtsprechung, in: Herzig ua (Hg), Europarecht und Rechtstheorie (2017) 83; Potacs, Die Interpretation des Staatsgrundgesetzes, in: Merli/Pöschl/Wiederin (Hg), 150 Jahre Staatsgrundgesetz über die all-gemeinen Rechte der Staatsbürger (2018) 55; Schäffer, Verfassungsinterpretation in Österreich (1971); Somek, Wissenschaft vom Verfassungsrecht, in: von Bogdandy ua (Hg), Handbuch Ius Publicum Europaeum Bd II (2008) 637; Thürer, Die Worte des Richters. Gedanken rund um die Verfassungsgerichtsbarkeit, FS Öhlinger (2004) 272; Tiefenthaler, Gewohnheit und Verfassung (2012); Wiederin, Verfassungsinterpretation in Österreich, in: Lienbacher (Hg), Verfassungsin-terpretation in Europa (2011) 81; Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis (1971); Winkler, Wertbetrachtung im Recht und ihre Grenzen (1969)
Der Begriff „Verfassungsrecht“ meint im Regelfall die als Verfassungsgesetze beschlossenen und kundgemachten Texte. Wie jeder Text eines Gesetzes bedürfen auch diese Texte zur Ermittlung ihres Sinnes einer Interpretation. Dabei sind die besonderen Eigenheiten des Verfassungsrechts zu beachten, die spezifische – vom Zivil- und Strafrecht abweichende – Interpretationsmethoden erfordern.
5.1. Die einzelnen Interpretationsmethoden
Die Interpretation eines Rechtstextes kann auf drei unterschiedliche Aspek-te abstellen, die sich zwar in ihrer praktischen Handhabung berühren und über-schneiden, aber analytisch doch deutlich trennen lassen: den Wortlaut, die Absicht des historischen Gesetzgebers und den objektiven Sinn und Zweck einer Norm. Demnach lässt sich zwischen Wortinterpretation, historischer Interpretation und teleologischer Interpretation unterscheiden.
a. Bei der Interpretation des Wortlautes kann, je nach Problemstellung, der Sinn eines einzelnen Wortes oder die Bedeutung eines Satzes oder mehrerer Sätze im Vordergrund stehen. Je nachdem lässt sich differenzieren zwischen
– Verbalinterpretation im engeren Sinn: welche Bedeutung kommt einem einzelnen Wort zu?
– grammatische Interpretation: sie fragt nach der Bedeutung der Wörter im sprachlichen Zusammenhang nach den Regeln der Grammatik,
– systematische Interpretation: sie erforscht die Bedeutung der Sätze im gesamten Zusammenhang eines Gesetzes und darüber hinaus in der ge-samten Rechtsordnung.
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Diese unterschiedlichen Varianten oder Aspekte einer Wortlautinterpretation können je-weils für sich oder in ihrer Gesamtheit zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Eine rein auf den Wortlaut abstellende Betrachtung führt, von Routinefällen abgesehen, nur selten zu einem eindeutigen und unbestreitbaren Ergebnis. Auf der anderen Seite setzt aber der so ermittelte Wortsinn anderen Auslegungsmethoden eine gewisse – iS der Möglichkeit einer „korrigieren-den“ Interpretation allerdings nicht absolute – Grenze.
b. Historische Interpretation meint die Ermittlung dessen, was der Gesetz-geber mit der von ihm formulierten Regelung eigentlich beabsichtigt hat. Ihre Schwierigkeit in der Gegenwart liegt darin, dass an der Erlassung einer Rechts-vorschrift im Verfassungsrang stets eine Vielzahl von Personen beteiligt ist. Dazu kommt, dass die Willensäußerungen der an der Abstimmung beteiligten Abge-ordneten im NR und im BR (das ist der aus verfassungsrechtlicher Sicht „eigent-liche“ Verfassungsgesetzgeber: Art 24 B-VG) nur sehr beschränkt dokumentiert sind: Ausschussberichte sind meist sehr knapp, und die Reden im Plenum verfol-gen vielfach andere Zwecke als eine eingehende Begründung der zur Beschluss-fassung anstehenden Regelungen. Der ergiebigste Teil der „Materialien“ ist im Regelfall die RV. Die historische Interpretation arbeitet mit der Hypothese, dass die in den Erläuterungen einer RV zum Ausdruck kommende Absicht von den zustimmenden Parlamentariern übernommen wird, sofern ihr im Parlament nicht ausdrücklich widersprochen wird. Es handelt sich dabei freilich um eine Fiktion.
Die historische Interpretation kann ergeben, dass einzelne der unterschiedlichen Varianten einer Wortlautinterpretation auszuschließen und die Auslegung damit auf eine oder allenfalls einzelne der auf der Basis des „bloßen“ Wortlauts vertretbaren Vielzahl von Auslegungsvarian-ten einzuengen ist. Sie kann aber auch ergeben, dass die Absicht des Gesetzgebers im Wortlaut nicht korrekt zum Ausdruck kommt. In diesem Fall stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer korrigierenden Interpretation des Wortlauts.
Der VfGH postuliert für diesen Fall einen Vorrang des Wortlauts: „Nur wenn der Wort-laut des Gesetzes unklar ist, kann zur Auslegung auf die Materialien zurückgegriffen werden. Diese sind jedoch in keiner Weise verbindlich. Würden sie mit dem Gesetzeswortlaut in Wi-derspruch stehen, könnte nur das Gesetz und nicht die Materialien entscheidend sein“ (VfSlg 5153/1965, 7698/1975). Die tatsächliche Auslegungspraxis – auch jene des VfGH selbst – folgt dem freilich nicht immer.
Eine Grenze der historischen Auslegung liegt dort, wo es um die Frage geht, ob und wie bestehende Bestimmungen auf neu entstandene Problemlagen anzu-wenden sind (zB Art 65 Abs 1 B-VG – Vertretung der Republik nach außen – auf die Mitgliedschaft in einer nicht mehr völkerrechtlichen, sondern supranationalen Organisation wie der EU; Anwendung der Grundrechte auf die Gentechnologie, auf die Methoden künstlicher Fortpflanzung oder auf die veränderte gesellschaft-liche Einstellung zur Homo- und Transsexualität etc). Je älter eine Regelung ist, desto unergiebiger muss in solchen Fällen eine historische Auslegung bleiben. Im Verfassungsrecht kommt dazu, dass dieses von der Idee her einen stabilen Rah-men für eine auf aktuelle Probleme reagierende Politik (in Form von Gesetzge-bung und Vollziehung) gewährleisten und daher nicht selbst aus tagespolitischen Motiven heraus abgeändert werden soll. Eine schwergewichtig auf die Intentio-nen des historischen Gesetzgebers abstellende Auslegung verlangt eine ständige Anpassung des Verfassungstextes an neue Problemstellungen, verfehlt damit aber
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diese Funktion der Verfassung als stabiler Rahmen des politischen Prozesses und damit die funktionale Differenz zwischen Verfassungsrecht und einfacher Gesetz-gebung (s Rz 15), wofür es allerdings in der österreichischen Verfassungspraxis viele Beispiele gibt.
Trotz der (auch durch den überhöhten Stellenwert der historischen Verfas-sungsauslegung in der österreichischen Praxis bedingten) häufigen Novellierun-gen des Bundesverfassungsrechts gehört das geltende Bundesverfassungsrecht bereits zu den ältesten Schichten des geltenden österreichischen Rechts. Einer seiner praktisch wichtigsten Teile, das StGG (s Rz 679), stammt aus 1867. Aber auch das B-VG ist, wenngleich sehr häufig novelliert und durch viele Bestim-mungen außerhalb des B-VG ergänzt, heute bereits eine der ältesten geltenden europäischen Staatsverfassungen.
Aus all diesen Überlegungen sind der – echten, dh auf den Willen des Verfassungsge-setzgebers abstellenden („subjektiven“) – historischen Auslegung im Verfassungsrecht enge Grenzen gesetzt. Diesen Schwierigkeiten weicht die „Versteinerungstheorie“ aus: Sie ist eine im österreichischen Verfassungsrecht entwickelte spezifische Variante einer objektiven histori-schen Auslegung, die nicht den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln sucht, sondern die vom Verfassungsgesetzgeber verwendeten Termini nach dem (objektiven) Bestand der unterverfassungsgesetzlichen Rechtsordnung im Zeitpunkt der Erlassung der jewei-ligen Verfassungsbestimmung auslegt (s Rz 31 f).
c. Jede verfassungsrechtliche Regelung erfüllt, unabhängig von der konkre-ten Absicht des Normsetzers, im (sich ständig wandelnden) politisch-historischen Kontext einen objektiven Sinn und Zweck (der sich von der ursprünglichen Ab-sicht des Verfassungsgesetzgebers abgelöst und ihm gegenüber verselbständigt hat). Nach diesem forscht die teleologische Interpretation.
Die teleologische Interpretation beruht auf der Einsicht, dass jede Regelung einen be-stimmten Zweck verfolgt, der in der sprachlichen Fassung oft nur unzulänglich zum Ausdruck kommt. Sie will diesen Zweck aber auch in solchen Fällen zur Geltung bringen, die der histo-rische Gesetzgeber nicht nachweislich bedacht hat oder – weil sie sich erst durch spätere fakti-sche Entwicklungen ergeben – gar nicht bedenken konnte. Insofern löst sich die teleologische Interpretation von der subjektiven Intention des historischen Gesetzgebers und verobjektiviert den „Sinn und Zweck“ einer Norm. Der so verstandene Sinn und Zweck einer einzelnen Rege-lung ist ferner im Konnex mit dem objektiven Sinn und Zweck anderer Normen und schließlich mit den Grundgedanken, die der Gesamtrechtsordnung zugrunde liegen, zu sehen. Auch unter diesem Aspekt verobjektiviert sich der Gegenstand der teleologischen Interpretation gegenüber den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers.
Teleologische Interpretation des Verfassungsrechts beruht letztlich auf dem Verständnis der Verfassung als eine – freiheits- und friedensstiftende – Grundordnung des Staates, die sich nicht in der Summe der einzelnen Anordnungen der verfassungsgesetzgebenden Organe erschöpft, sondern aus dieser Funktion heraus ein den einzelnen Bestimmungen vorausliegendes System bildet. Die Kriterien dieser Systembildung liegen außerhalb des „positiven“ Rechtstextes (dazu Somek/Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken [1996]). Eine teleologische Interpretation steht deshalb auch unter dem Verdacht, dass unter diesem Titel in Wahrheit „Vorurteile, Wert- und Normvorstellungen rechtspolitischer, allgemeinpolitischer, moralischer oder religiöser Art unreflektiert zur Wirkung kommen“.2 Dem lässt sich nur durch eine möglichst breite und offene
2 Busse, Was ist die Bedeutung eines Gesetzestextes?, in: Müller (Hg), Untersuchungen zur Rechtslinguistik (1989) 93 (97).
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Diskussion teleologischer Argumente begegnen. Die teleologische Interpretation wegen dieser ihr immanenten Gefährdung abzulehnen, verfehlt jedoch die Zweckhaftigkeit des Rechts. Im Übrigen wäre die Alternative in der (unter Entscheidungspflicht stehenden) Praxis dann, wenn Wortlaut und Intention des historischen Gesetzgebers nicht eindeutig sind, ein irrationaler De-zisionismus.
d. Eine teleologische Interpretation, die sich vom Wortlaut der Norm gele-gentlich weit entfernt, kann unmerklich in eine richterliche Rechtsfortbildung übergehen. Die Grenze zwischen Auslegung und richterlicher Rechtsfortbildung ist jedenfalls fließend. So wird die heute bei den Grundrechten vielfach angewen-dete Verhältnismäßigkeitsprüfung – s Rz 715 ff – von manchen Autoren als Pro-dukt einer teleologischen Auslegung der Grundrechte verstanden. Rekonstruiert man ihre Entwicklung in der Verfassungsjudikatur, so erweist sie sich eher als richterliche Rechtsschöpfung.
Die Frage nach der Legitimation und den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung in der parlamentarischen Demokratie ist eines der strittigsten Probleme der Verfassungsinterpretation.
e. Die einzelnen zuvor skizzierten Interpretationsmethoden haben nicht nur innerhalb verschiedener nationaler (bzw supranationaler3) Rechtsordnungen, sondern auch innerhalb der einzelnen Sektoren einer Rechtsordnung einen un-terschiedlichen Stellenwert. Daraus ergeben sich unterschiedliche Interpretati-onsstile. So unterscheidet sich die Interpretation im Zivilrecht, im Strafrecht, im Verfassungsrecht usw sehr deutlich voneinander.
f. Die Rechtswissenschaft ist sich heute darüber einig, dass es die einzelnen Interpretationsmethoden nicht ermöglichen, in jedem Fall eine einzig richti-ge Bedeutung eines Gesetzestextes zu ermitteln – dies schon deshalb, weil die einzelnen Interpretationsmethoden häufig unterschiedliche Sinngehalte ergeben und keine allgemein anerkannte Regel besteht, welchem Ergebnis in diesem Fall der Vorzug zu geben ist. Erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen freilich darüber, in welchem Ausmaß man sich diesem Ziel annähern kann. Während in der Theorie vielfach eine sehr kritische Einschätzung der Leistungsfähigkeit der juristischen Auslegungsmethoden vertreten wird (vgl etwa Kelsen, Reine Rechts-lehre2 [1960] 346 ff), ist in konkreten dogmatischen Untersuchungen nach wie vor die Tendenz herrschend, ein einziges „richtiges“ Ergebnis zu präsentieren.
Die unterschiedlichen Standpunkte lassen sich durch einen – jeweils vorausgesetzten – unterschiedlichen Wissenschaftsbegriff erklären. Eine an einem strengen Wissenschaftsbegriff orientierte Theorie muss letztlich zu dem Ergebnis kommen, dass mit Auslegung ein gesicher-tes Ergebnis deshalb nicht erreicht werden kann, weil Auslegungsergebnisse nicht empirisch überprüfbar sind. Für eine praxisorientierte Rechtswissenschaft („Rechtsdogmatik“) ist ein am Postulat empirischer Überprüfbarkeit orientierter Wissenschaftsbegriff freilich unbrauchbar.
3 Vgl dazu Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht. Eine vergleichende Untersuchung der Auslegungspraxis des Europäischen Gerichtshofs und der österreichischen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (1994). Zum Einfluss des europäischen Rechts auf die österreichische Auslegungspraxis vgl auch Öhlinger, Gesetz und Richter unter dem Einfluss des Gemein-schaftsrechts, FS Fleiner (2003) 719.
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5. Interpretation des Verfassungsrechts
Sie zielt auf die Lösung konkreter Probleme anhand von bestehenden Rechtsnormen ab.4 Auch wenn die Lösung letztlich durch eine Entscheidung (seitens des dazu von der Rechtsordnung le-gitimierten Organs) zu erfolgen hat, will die Rechtsdogmatik die für eine bestimmte Lösung aus der Sicht der bestehenden Normen sprechenden Argumente aufbereiten. In einem Abwägungs-prozess lassen sich dabei die „besseren“ Argumente herausfiltern. Ein solcher Abwägungspro-zess kann freilich nie Endgültigkeit für sich beanspruchen, sondern muss für neue Argumente stets offen bleiben. Auch eine höchstgerichtliche Entscheidung beendet zwar einen konkreten Rechtsstreit, verifiziert oder falsifiziert aber nicht bestimmte Auslegungen, weil sie aus rechts-dogmatischer Sicht auch als Fehlurteil qualifiziert werden kann. Maßstab der „Richtigkeit“ rechtsdogmatischer „Erkenntnisse“ ist nicht die Überprüfbarkeit an einer (in dieser Hinsicht nicht vorhandenen) Realität, sondern die Akzeptanz durch die Rechtsgemeinschaft (die sich aufgrund neuer Argumente ändern kann).
5.2. Besonderheiten der Verfassungsinterpretation
Die herrschende österreichische Verfassungsrechtslehre geht davon aus, dass die zuvor skizzierten „traditionellen“ Interpretationsmethoden auch auf das Ver-fassungsrecht anzuwenden sind. Freilich stellt die oft sehr allgemeine, formel-hafte und lapidare Sprache des Verfassungsrechts besondere Anforderungen an den Interpreten. Sätze wie: „Österreich ist eine demokratische Republik“ (Art 1 B-VG) oder „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden“ (Art 18 Abs 1 B-VG) oder „Das Eigentum ist unverletzlich“ (Art 5 StGG) unterscheiden sich in ihrem Abstraktionsgrad wie in ihrem grund-sätzlichen Charakter sehr deutlich von „normalen“ gesetzlichen Bestimmungen. Mit den herkömmlichen Methoden der Gesetzesinterpretation lässt sich solchen Sätzen in Wahrheit kein sinnvoller Gehalt abgewinnen. In abgestufter Weise gilt dies für viele andere Bestimmungen des Verfassungsrechts.
Wenn die Verfassungsinterpretation vor diesen Schwierigkeiten nicht kapi-tulieren und einem offenen oder verschleierten Dezisionismus jenes „Grenzor-gans“, das letztlich über den Inhalt des Verfassungsrechts verbindlich entschei-det – in unserem Verfassungssystem ist das im Regelfall der VfGH –, Vorschub leisten will, bedarf es einer Theorie über Sinn und Funktion der Verfassung und ihrer zentralen Institutionen (wie Bundesstaat, repräsentative Demokratie, parlamentarisches Regierungssystem, Grundrechte etc).
Die weit über grundsätzliche Regelungen hinausreichende Dichte des österreichischen Verfassungsrechts nähert freilich die sprachliche Gestaltung vieler seiner Regelungen dem ein-fachen Gesetzesrecht an. Insoweit ist die verbreitete These berechtigt, dass sich die Interpreta-tion des Verfassungsrechts von den Interpretationsmethoden anderer juristischer Disziplinen nicht grundsätzlich unterscheidet. Dabei liegt heute der Vergleich mit dem – mit dem Wortlaut freier umgehenden – Interpretationsstil des Zivilrechts näher als mit der traditionellen, stark am Wortlaut haftenden Methodik des öffentlichen Rechts (vgl Rz 36).
4 Die Rechtsdogmatik nimmt methodisch den gleichen Standpunkt ein wie ein entscheidungs-befugter Richter („Teilnehmerperspektive“). Eine einem „strengen“ empirisch-theoretischen Wissenschaftsbegriff verpflichtete Beschreibung und Erklärung des Rechts müsste sich da-gegen auf eine „Beobachterperspektive“ beschränken. Dazu Koller, Theorie des Rechts² (1997) 47 ff.
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Die am einfachen Gesetzesrecht orientierte, den grundsätzlichen Charakter verfassungs-rechtlicher Regelungen verkennende Auslegung des Verfassungsrechts wirkt auf den Stil der Verfassungsgesetzgebung selbst zurück: Der Verfassungsgesetzgeber wird dadurch gezwungen, seine Regelungen möglichst präzise – und das heißt in der Praxis: detailliert bis kasuistisch – zu fassen. Damit trägt auch der herrschende und vor allem vom VfGH praktizierte Stil der Verfas-sungsauslegung zu der extremen Fülle und Dichte des österreichischen Verfassungsrechts (s Rz 8) bei (vgl dazu Öhlinger, Stil der Verfassungsgesetzgebung – Stil der Verfassungsinterpre-tation, FS Adamovich [1992] 502).
5.2.1. Der ältere Stil der Verfassungsinterpretation in Österreich
a. Das theoretische Vorverständnis der österreichischen Verfassungslehre und des VfGH war lange Zeit vom ausschließlichen Verständnis der Verfassung als Verfahrensordnung des politischen Prozesses („Spielregelverfassung“) – s Rz 15 – geleitet. Verfassungsrecht galt in diesem Sinn als „streng formales Recht“.5 Daraus wurde das Erfordernis einer strikten Wortlautinterpretation unter Ausblendung von Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung (iS einer teleo-logischen Auslegung) abgeleitet.
Damit verknüpft wurde das Postulat eines historischen Verständnisses des Textes von Verfassungsgesetzen. Dies beruht auf dem Gedanken, dass die Fortentwicklung des Verfassungsrechts dem parlamentarischen Gesetzgeber und nicht einem dazu demokratisch nicht legitimierten Interpreten – sei es die Rechtswissenschaft, sei es der VfGH – zukomme. Schon mangels Ergiebigkeit der Materialien wurde dabei aber weniger auf die Absicht der gesetzgebenden Organe (iS einer subjektiv-historischen Interpretation) abgestellt als vielmehr auf die Bedeutung, die einem Begriff in der gesamten Rechtsordnung zum Zeitpunkt der Erlassung der jeweiligen Verfassungsbestimmung zukam. Das Resultat dieser Kombination von strikter Wortlautinterpretation und objektiver Variante einer historischen Interpretation ist die Versteinerungstheorie.
Danach sind Verfassungsbegriffe im Zweifel in dem Sinne zu verstehen, der ihnen nach dem Stand und der Systematik der Rechtsordnung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der jewei-ligen Verfassungsnorm zugekommen ist (erstmals VfSlg 1327/1930 zum Begriff „Wohnsitz“; VfSlg 13.023/1992, 15.299/1998, 17.160/2004, 18.032/2006; VfGH 11.12.2018, G 205/2018).
Die Versteinerungstheorie hat bei der Auslegung der bundesstaatlichen Kom-petenzverteilung einen zentralen Stellenwert erlangt (s dazu Rz 275 ff). Im Üb-rigen ist ihr Anwendungsbereich in der Verfassungsinterpretation begrenzt, und dies schon deshalb, weil es bei Auslegungsproblemen außerhalb der Kompetenz-verteilung selten um die isolierte Sinnermittlung nur eines einzelnen Begriffes geht.
Eine versteinerungstheoretische Interpretation des Begriffs „Kundmachung im Landesge-setzblatt“ (Art 97 Abs 1 B-VG), gemäß derer nur eine Kundmachung im Stück des LGBl, nicht aber eine Loseblattausgabe – s das NÖ LGBl – zulässig wäre, hat der VfGH unter Hinweis auf „Wortsinn und Zweck“ der einschlägigen Regelungen zu Recht abgelehnt: „Für die Annahme einer Erstarrung eines technischen Vorganges der Kundmachung besteht kein Anhaltspunkt“ (VfSlg 6460/1971).
5 Adamovich sen, Probleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, JBl 1950, 73 (74).
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5. Interpretation des Verfassungsrechts
b. Die strikte Wortlautinterpretation mit historischer Akzentuierung und unter Vernachlässigung teleologischer Erwägungen hat den Stil der Ver-fassungsinterpretation in Österreich lange Zeit geprägt. Sie ist bzw war auch Ausdruck eines judicial self-restraint des VfGH gegenüber dem Gesetzgeber. Ihre auf den formalen Charakter des Verfassungsrechts iS einer „Spielregelverfas-sung“ gestützte theoretische Begründung (s Rz 30) findet eine Grenze allerdings dort, wo die Verfassung mehr und anderes anordnet als Spielregeln des politi-schen Prozesses. Das gilt etwa für Grundrechte oder für Staatszielbestimmungen. Tatsächlich bewirkte der skizzierte Interpretationsstil lange Zeit ein weitgehendes Leerlaufen der Grundrechte gegenüber dem Gesetzgeber.
Die rechtswissenschaftliche Kritik an diesem „formal-reduktionistischen“ Interpretati-onsstil wurde vor allem durch seine Unzulänglichkeit gegenüber Grundrechten und vergleich-baren Verfassungsregelungen motiviert. Schon 1956 forderte Walter Antoniolli6 eine Abkehr vom „primitiven Positivismus des nackten Wortes“. Dem wurde eine Theorie wertorientierter („materialer“) Verfassungsauslegung – iS eines Vorrangs der teleologischen Interpretation – gegenübergestellt (Winkler). Sie beeinflusste allmählich auch die Judikatur des VfGH.
Allerdings hat der VfGH einzelne Bestimmungen des Bundesverfassungsrechts von An-fang an in einer keineswegs formal-reduktionistischen Weise interpretiert. Das gilt etwa für das Legalitätsprinzip (Art 18 Abs 1 und 2 B-VG), aus dem der Gerichtshof – vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen über den Missbrauch unbegrenzter Verordnungsermächtigungen – schon sehr früh (grundlegend VfSlg 176/1923) das Erfordernis einer genauen inhaltlichen De-terminierung von Verordnungsermächtigungen ableitete; mit dem ursprünglichen Wortlaut des Art 18 Abs 2 B-VG (es hieß dort ursprünglich sogar, dass jede Verwaltungsbehörde „im Rahmen der Gesetze“ innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen könne) ließ sich dies keineswegs überzeugend begründen; hier liegt vielmehr ein sehr frühes Stück „materialer Ver-fassungsauslegung“ vor, das freilich in der Folge undifferenziert-schematisch und damit wieder-um formalistisch angewandt wurde (s Rz 601 ff). Ein anderes älteres Beispiel ist das Verständnis des Gleichheitssatzes als ein an den Gesetzgeber adressiertes Sachlichkeitsgebot (s Rz 765 ff).
5.2.2. Veränderungen des Interpretationsstils in neuerer Zeit
a. Radikale Veränderungen des formal-reduktionistischen Interpretationsstils setzen ab Beginn der 1980er Jahre in der Judikatur zu den Grundrechten und zu den leitenden Verfassungsprinzipien, insbes zum Rechtsstaatsprinzip, ein (zu Ers-terem s Rz 693, zu Letzterem Rz 79 ff). Die lapidaren Formulierungen des StGG und die noch vageren positivrechtlichen Aussagen über die leitenden Grundsätze der Verfassung werden vom Wortlaut losgelöst in richterlicher Rechtsfortbildung von Entscheidung zu Entscheidung weiterentwickelt. Faktische Rechtsquelle wird damit die Judikatur des VfGH.
Auf dieser Linie liegt es auch, wenn etwa der VfGH aus Art 90 Abs 2 B-VG („Im Straf-verfahren gilt der Anklageprozess“) die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Lenkerauskunft (VfSlg 9950/1984, s Rz 971 ff) ableitete. Das ist das genaue Gegenteil einer strikten Verbalinterpretation und hat mit den herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden nicht mehr viel zu tun. Vielmehr lässt sich dies nur als eine Aktualisierung einer hinter den his-torischen Formulierungen stehenden und zeitgemäß fortentwickelten Idee der Freiheit bzw als
6 Antoniolli, Gleichheit vor dem Gesetz, ÖJZ 1956, 646 (647).
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I. Zu den Begriffen Verfassung und Verfassungsrecht
Reaktion auf aktuelle Bedrohungen der (modern konzipierten, dh heutigen gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechenden) Freiheit begreifen.
Der VfGH folgt mit diesem Auslegungsstil – neben dem EGMR; dazu Rz 687 – dem Vor-bild des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Der deutsche Staatsrechtslehrer und ehemali-ge Verfassungsrichter Ernst Wolfgang Böckenförde sieht allerdings in diesem extensiven, vom Wortlaut des Verfassungsrechts sich weit entfernenden Auslegungsstil die Gefahr eines „glei-tenden Übergangs vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat“7 (Letzteres eine vornehme Umschreibung des Begriffs „Richterstaat“; diese Entwicklung schon vor langer Zeit diagnostizierend und fordernd René Marcic, Vom Gesetzes-staat zum Richterstaat [1957]).
b. Die Entscheidungspraxis des VfGH ist heute gekennzeichnet durch ein anscheinend systemloses Nebeneinander unterschiedlichster Auslegungsme-thoden, die von strikter und formalistischer Verbalinterpretation (s etwa VfSlg 9648/1983 und die Folgejudikatur zum ParteienG [s Rz 352]; VfSlg 16.151/2001 zu Abstimmungsfehlern im Nationalrat; VfSlg 16.152/2001 zu Kundmachungs-fehlern [s Rz 435]) bis zu nahezu freier Rechtsschöpfung (s das in Rz 34 genann-te Beispiel) reichen. Die Zersplitterung des positiven Bundesverfassungsrechts (s Rz 6 f), seine Herkunft nicht nur aus unterschiedlichen Verfassungsepochen (s insbes das StGG von 1867), sondern sogar aus unterschiedlichen Verfassungs-kulturen (s die teils vom angelsächsischen Rechtsdenken geprägte EMRK) leistet dieser methodischen Divergenz Vorschub.
Der Bundesgesetzgeber (dem Landesgesetzgeber steht diese Möglichkeit nur äußerst be-schränkt offen) tendiert aus diesem Grund gelegentlich zu einer Absicherung seiner Regelungen durch Verfassungsbestimmungen; dies führt wiederum zur vielbeklagten Zersplitterung des Ver-fassungsrechts (s Rz 87).
5.3. Exkurs: Verfassungskonforme InterpretationLit: Handstanger, Zur Verfassungskonformität der verfassungskonformen Auslegung, FS
Prisching, Bd 2 (2010) 969; Khakzadeh, Die verfassungskonforme Interpretation in der Judi-katur des VfGH, ZÖR 2006, 201; Kneihs, Wider die verfassungskonforme Interpretation, ZfV 2009, 354
a. Keine Methode der Interpretation von Verfassungsrecht, sondern eine sol-che der Interpretation von unterverfassungsgesetzlichem Recht, insbes von einfachen Gesetzen, ist die verfassungskonforme Interpretation. Darunter ver-steht man die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften im Ein-klang mit dem Verfassungsrecht. Es handelt sich somit um eine Variante einer auf die Gesamtrechtsordnung abstellenden systematischen Interpretation.
Ein Gesetz verfassungskonform zu interpretieren bedeutet, dass jene von mehreren (mit den üblichen Interpretationsmethoden gewonnenen) Interpretati-onsergebnissen ausgeschlossen werden, die mit dem Verfassungsrecht nicht ver-einbar sind. Anders formuliert: Erscheint ein Gesetzestext in verschiedener Weise interpretierbar, werden jene Interpretationen ausgeschieden, die der Verfassung widersprechen, und die Auslegung auf jene Interpretation(en) reduziert, die mit
7 Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz (1989) 61 f.
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