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FINANZIERUNG_Kommunen
16_results_Deutsche Bank
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results_Deutsche Bank_17
Viel zu tun für wenig GeldDeutschlands Kommunen haben nur eingeschränkten Einfl uss auf ihre Ausgaben, Defi zite sind dadurch programmiert. Und auch die Finanzierung wird zusehends schwieriger – erst recht, wenn mit Basel III alle Banken kritischer hinsehen müssen als zuvor. Für viele Kämmerer bedeutet dies, erstmals Finanzierungsquellen jenseits des klassischen Bankkredits zu fi nden
Eigentlich müsste der Mann ganz zufrieden sein.
Harald Riedel, als Finanzreferent oberster Hü-
ter der Nürnberger Stadtkasse, rechnet für 2012
erstmals seit Jahren wieder mit mehr Einnahmen als
Ausgaben im städtischen Etat. Die Steuerzufl üsse
sollen deutlich zulegen, allein die Einnahmen aus der
Gewerbesteuer steigen im dritten Jahr in F olge. Und
dennoch: Auch im Überschussjahr 2012 muss Riedel
für seine Stadt neue Kredite aufnehmen. Große, nicht
länger aufschiebbare Investitionen stehen an, allein
die Sanierung der Nürnberger Schulen addiert sich
auf bis zu eine halbe Milliarde Euro.
Und dabei geht es der Stadt Nürnberg noch ver-
gleichsweise gut. Viele der rund 13 000 Städte, Land-
kreise und Gemeinden quer durch die Republik sind
weit härter getroffen von Strukturwandel, Arbeits-
losigkeit und notorischer Unterfi nanzierung. Rund
zehn Prozent aller deutschen Kommunen, so hatte
es der Münchner Oberbürgermeister und Pr äsident
des Deutschen Städtetags Christian Ude unlängst
berichtet, seien so überschuldet, dass sie sich aus ei-
gener Kraft nicht mehr zu helfen wüssten. Im vom ewi-
gen Strukturwandel geplagten Nordrhein-Westfalen
sitzen Großstädte wie Dortmund, Essen oder Ober-
hausen jeweils auf Schulden von rund zwei Milliarden
Euro. „Die Großstädte des Ruhrgebiets“, schrieb vor
kurzem eine große deutsche Tageszeitung, „das sind
unsere Griechen.“ Es war einmal die reichste Region
der Republik.
Meist sind es keine überteuerten Prestigeprojek-
te, keine Spaßbäder, Theaterbauten oder schicken
Fußgängerzonen, die die Kommunen in die fi nanzi-
elle Not getrieben haben. Vielmehr geht es um ein
klassisches Dilemma: Auf das Gros ihrer Einnahmen
und Ausgaben haben die Kommunen keinen Einfl uss.
Die von Bund und Ländern aufgebürdeten Sozialaus-
gaben sprengen aber oft den Haushalt . In Nürnberg
etwa verzehren allein die Sozialaufwendungen rund
70 Prozent der städtischen Steuereinnahmen. Riedel:
„Wir werden fi nanziell zu knapp gehalten.“
Und das lässt sich belegen, etwa am sogenannten
Kommunalisierungsgrad. Dies ist eine Kennziffer, die
den Ausgabenanteil der Kommunen an den gesamten
Ausgaben aller öffentlichen Haushalte von Bund und
Ländern misst. In vielen Städten liegt er über 50 Pro-
zent. Doch oftmals fl ießen den Kommunen weit weni-
ger als 50 Prozent der Einnahmen zu. Die Folge: Rund
180 Milliarden Euro Schulden schleppen Deutschlands
Städte und Gemeinden inzwischen durch ihre Haus-
halte – Tendenz: weiter steigend. Selbst eine prospe-
rierende Großstadt wie Frankfurt am Main budgetiert
für 2012 ein Defi zit von 270 Millionen Euro.
Wie unzureichend die Finanzausstattung der
Kommunen ist, zeigt auch der Anstieg der sogenann-
ten Kassenkredite, ursprünglich gedacht als eine Art
Dispo bei schwankenden Einnahmen. Anders als die
sonstigen langfristigen Verbindlichkeiten müssen
diese Überziehungskredite von keiner Aufsicht sbe-
hörde genehmigt werden und unterliegen somit kei-
ner Begrenzung. Belief sich die Summe aller Kassen-
kredite Anfang der neunziger Jahre noch auf beinahe
null, so waren es 2011 schon 44 Milliarden Euro.
ThesenLeere Kassen: Viele deutsche
Kommunen sind stark über-
schuldet. Doch aus eigener Kraft
können sie ihre Lage oft nicht
ändern. Der Finanzierungsbedarf
wächst.
Basel III: Zugleich sind Banken
gezwungen, infolge von
Basel III ihre Geschäftspolitik
auch gegenüber Kommunen zu
hinterfragen.
Kapitalmarkt: In Zukunft
werden Kommunen verstärkt
mit Unternehmen am Kapital-
markt konkurrieren, schätzen
Experten. Darauf sollten sie
sich rechtzeitig vorbereiten.
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Allein in den vergangenen drei Jahren, berichtet
der Deutsche Städtetag, seien die kommunalen Kas-
senkredite um fast 50 Prozent gestiegen.
Schon heute ist die Aufnahme von Krediten nicht
mehr ganz so einfach und unkompliziert wie vor der
ersten Finanzkrise. Bis dahin besorgten die deutschen
Banken praktisch alle Fremdmittel, die nötig waren. Für
die Institute traditionell ein eher margenschwaches,
dafür aber sicheres Geschäft. So profi tierten alle.
Mit diesem Einklang aber ist es bald vorbei. Aus-
gelöst durch die Finanzkrise ziehen sich immer mehr
Banken aus der Kommunalfi nanzierung zurück. Und
das heißt: Die Auswahl an Kreditgebern beginnt zu
schrumpfen. Es kommt noch dicker. Denn in diesen
Monaten wird ein weiteres Banken-Regelwerk in deut-
sches Recht gegossen, das auch die Fremdfi nanzie-
rung der Kommunen verändern und aller Voraussicht
nach erschweren wird: Basel III (siehe auch results
4/2011). Fortan fl ießen Kommunalkredite ungewich-
tet in die Summe aller ausgereichten Kredite einer
Bank ein. Und diese Sum me ist durch Basel III über
die sogenannte Leverage Ratio auf das 33-Fache des
Eigenkapitals der jeweiligen Bank begrenzt.
Das heißt zum einen, dass sich auch die stärkste
Bank in ihrer Kreditvergabe zukünftig beschr änken
muss. Und dass sie in Zukunft rechnen wird, welche
Kredite sich wirtschaftlich lohnen und welche nicht.
Auch ein Teil der niedrig bepreisten Kommunalkredi-
te steht dann zur Disposition. „ Alle Banken müssen
ihr Geschäftsmodell gegenüber den Kommunen über-
denken“, sagt Jens Michael Otte, Leiter Öffentlicher
Sektor und Institutionen bei der Deutschen Bank.
„Kommunen werden mit Unternehmen und anderen
Kundengruppen um Kredite konkurrieren.“ Und das
bedeutet: Das Angebot an Kommunalkrediten wird
abnehmen, und es wird für Kommunen schwieriger ,
sich zu fi nanzieren (siehe Interview Seite 21).
Für die Kommunen kommt dies zum Glück nicht
ganz überraschend. Eine bereits im vergangenen
Herbst durchgeführte Umfrage auf der Hauptver-
sammlung des Städtetags zeigt , dass Basel III für
Städte und Gemeinden längst ein Thema ist . So
rechneten drei von vier der befr agten kommuna-
len Finanzexperten damit , dass sich Basel III auch
in ihrer Arbeit bemerkbar machen wird. 61 Prozent
erwarteten schlechtere Konditionen als bisher. Auch
Nürnbergs erster Kassenwart Har ald Riedel ist si-
cher: „Basel III wird die Finanzierungsbedingungen
verschlechtern.“ Zwar böte der Markt aktuell noch
„unglaublich attraktive Konditionen“, so Riedel. Doch
davon, warnt der Nürnberger, sollte sich keine Kom-
mune täuschen lassen. Denn schon jetzt verengt sich
das Angebot bei Laufzeiten länger als drei Jahre.
Es gibt zwei scheinbar unumstößliche Regeln in
diesem Markt: Eine Kommune kann nicht pleitege-
hen, da das Land als Gewährsträger haftet. Und eine
Kommune bekommt immer Kredit , da diese Kredite
absolut ausfallsicher sind, siehe Gewährstr äger-
Haftung. Aber wie sieht dies aus in einer Welt, in der
sogar Eurostaaten insolvenzbedroht sind und in der
deutsche Oberbürgermeister sagen, sie möchten
Ist eine Pleite wirklich undenkbar?
Altstadt von Nürnberg: Trotz Überschuss sind neue Kredite notwendig. Allein die Sanierung der Schulen kostet bis zu 500 Millionen Euro
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Nürnbergs Finanzreferent Harald Riedel: Die Sozialaus-gaben verschlingen 70 Pro-zent seines Stadt budgets. „Das klassische Sparen ist ausgereizt“
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1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
QUELLE: STATISTISCHES BUNDESAMT (2010)
results_Deutsche Bank_19
FINANZIERUNG_Kommunen
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Angaben in Milliarden Euro Angaben in Prozent
Kassenkredite(für 2011, Stand: 30. 9. 2012, Prognose)
Finanzierungssaldo(für 2011/12, Prognose)
Nutzung gesamt 82
Leasing 73
Schuldscheindarlehen 21
Private-Partnerships 9
Derivate 4
Swaps 2
Sonstige 3
keine Angabe 19
Platzieren eigener Anleihen 2
Factoring (bzw. Verkauf von Forderungen)
7
Neue Finanzierungswege
Städte und Gemeinden entdecken den Kapital-
markt. Leasing ist bislang die häufi gste Finanzie-
rungsform jenseits des klassischen Kredits.
2012 wird ein besseres Jahr
Infolge der guten Konjunktur rechnen die deutschen Kommunen zumindest
in diesem Jahr erstmals wieder mit mehr Einnahmen als Ausgaben. Die kurzfristigen
Kredite steigen dennoch weiter.
QUELLE: DEUTSCHE BANK RESEARCH, STATISTISCHES BUNDESAMT (2010)
QUELLE: DEUTSCHER STÄDTETAG 2011 QUELLE: DEUTSCHE BANK UMFRAGE BEI KOMMUNALEN FINANZENTSCHEIDERN (2011)
QUELLE: DEUTSCHER STÄDTETAG 2012 (ALLE ANGABEN PROGNOSE)
Angaben in Euro pro Kopf, 2010
Kreditmarktschulden
Kassenkredite
Problemfall Kassenkredite
Vor allem in einigen westdeutschen Bundesländern
addieren sich die Kassenkredite oft schon auf die
Hälfte der Gesamtverschuldung. Eigentlich sollen sie
nur kurze Liquiditätsschwankungen ausgleichen.
Trotz allem die geringsten Schulden
Viele Städte und Gemeinden sind hochverschuldet, und der Schuldenberg
wächst weiter. Im Vergleich zu anderen öffentlichen Haushalten
stehen sie jedoch noch gut da: Je Einwohner liegen die Schulden der
Kommunen weit unter denen von Bund und Ländern.
Angaben in Euro pro Einwohner
BundLänderGemeindenGesamtstaat
Einnahmen 2012
Steuern 73,00
Zahlungen Bund/Länder 69,89
Veräußerungserlöse 4,40
Gebühren/Beiträge 18,27
Sonstiges 25,04
Gesamt 190,60
Ausgaben 2012
Personalausgaben 47,60
Sozialleistungen 45,54
Laufender Sachaufwand 39,77
Sachinvestitionen 20,37
Sonstiges 35,27
Gesamt 188,55
Woher kommt das Geld, wohin fl ießt es?
Bei vielen Einnahmen (z. B. Umsatzsteueranteil) und Ausgaben
(z. B. Sozialleistungen) haben die Kommunen keine Einfl ussmöglichkeiten.
25 000
20 000
10 000
01970 1980 1990 2000 2010
Angaben in Milliarden Euro
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20_results_Deutsche Bank
im Zusammenhang mit den vielen überschulde-
ten Kommunen „noch nicht von griechischen Ver-
hältnissen sprechen“ – und es dann in kleiner Runde
doch tun?
Eine der beiden Marktregeln ist zumindest im
klei nen münsterländischen Städtchen Ochtrup be-
reits außer Kraft gesetzt. Dort verkündete die regio-
nal zuständige Genossenschaftsbank ganz offi ziell, in
Zukunft keine Kredite mehr an klamme Kommunen
zu vergeben. Der Fall sorgte bundesweit für Schlag-
zeilen, denn für die Gemeinden ist dies ein absolutes
Novum. Beim Kommunal fi nanzierer Deutsche Bank
läuft es dagegen so: Seit Jahren steigt das Volumen
der Kredite an Städte und Gemeinden. „Bislang hat
grundsätzlich jede Kommune von uns Kredit bekom-
men“, sagt Jens Michael Otte, „ und dies soll so blei-
ben.“ Denn die Bank will auch in ihrem kommunalen
Geschäft weiter wachsen. Allerdings setzt Basel III
inzwischen klare Limits. Und das heißt: Kommunen
werden auch in Zukunft von der Deutschen Bank
Kredit erhalten – nur vielleicht nicht immer so viel
wie gewünscht.
„Der Markt wird enger“, warnt auch der Wolfenbüt-
teler Kämmerer Knut Foraita. Gab es früher für eine
Kommune vielleicht zehn potenzielle Geldgeber, wer-
den es in Zukunft vielleicht nur noch drei sein. Foraita
sieht das ganz pragmatisch: „Keine Bank ist verpfl ich-
tet, uns einen Kredit zu geben.“ Deshalb rät der Wol-
fenbütteler zu mehr Selbstdisziplin: So sollte sich
jede Kommune eine freiwillige Obergrenze geben,
wie viel Prozent ihrer Kredite sie bei einer einzigen
Bank ausleiht. Einige Kommunen fi nanzierten sich
mit bis zu 40 Prozent ihrer gesamten V erschuldung
bei nur einer Bank – und das, weiß Foraita, ist eindeu-
tig zu viel. Bislang kosten diese Kredite bundesweit
mehr oder weniger den gleichen Zins. Anders als in
anderen Märkten ist der Zins nicht risikogewichtet .
So muss selbst eine fi nanziell schwer angeschlagene
Stadt kaum mehr zahlen als eine gesunde Kommu-
ne. Doch auch dies werde sich infolge von Basel III
verändern, prophezeit Deutsche Bank Experte Jens
Michael Otte: „Wir erwarten eine stärkere Spreizung
bei den Konditionen.“
Keine Frage: In den kommenden Jahren werden die
Kredite an Deutschlands Kommunen spärlicher fl ießen –
und sie werden teurer. Damit bleibt nur ein Ausweg:
Genauso wie große Unternehmen müssen sich auch
Städte und Gemeinden aus der rein bankgestützten
Finanzierung lösen und neue Wege fi nden, um sich die
benötigten Fremdmittel zu beschaffen.
„Die Finanzierungsformen müssen sich verbreitern“,
sagt der Nürnberger Kassenwart Riedel. Und das heißt:
weniger Bankenkredite, mehr externe Kapitalgeber.
Für die Einbeziehung externer Kaptalgeber stehen
verschiedene Instrumente zur Auswahl, und nicht je-
des ist für jede Gemeinde geeignet. Klassische Anleihen
sind vergleichsweise komplexe Instrumente, lohnen
meist erst ab einem höheren dre istelligen Millionen-
betrag und sind damit nur für wenige große Städte in-
teressant. Doch es gibt ein Instrument, das auch viele
mittelständische Unternehmen erfolgreich nutzen:
Weniger Kredit, mehr externe Kapitalgeber
Städtetagspräsident Christian Ude mit Verschuldungsstatistik (siehe Seite 19) der Kommunen: Die Kassenkredite stiegen in den vergangenen drei Jahren um 50 Prozent
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020_results 20 21.06.12 13:06
FINANZIERUNG_Kommunen
results_Deutsche Bank_21
Vielen Kommunen fehlt Geld für das
Nötigste, zugleich liegen 2012
die Einnahmen über den Ausgaben.
Wie passt das zusammen?
Kurzfristig geht es wegen der guten
Konjunktur besser, langfristig bleibt
die strukturelle Überforderung
bestehen. Wir sehen das ganz klar an
der Zunahme der kurzfristigen
Kassenkredite. Damit bezahlen viele
Kämmerer inzwischen ihre laufenden
Ausgaben, weil ihnen ausreichend
Einnahmen fehlen. Das ist so, als
würde eine Privatperson ihre Miete
aus dem Dispo begleichen. Das kann
nicht gutgehen.
Bekommen Kommunen in Zukunft
schwieriger Kredit?
Es wird für Kommunen sicherlich
schwieriger werden. Wir glauben, dass
der Markt der Kommunalfi nanzierung
vor einem enormen Umbruch steht.
Schon jetzt haben sich Banken aus die-
sem Geschäft zurückgezogen.
Was tut die Deutsche Bank?
Wir halten klar dagegen. Seit Jahren
weiten wir unser Geschäft in diesem
Markt kontinuierlich aus. Nur eines
können auch wir nicht leisten: Wir kön-
nen nicht das gesamte Kreditange-
bot kompensieren, das in diesem Markt
gerade wegbricht.
Ein Kredit an eine Kommune ist doch
eigentlich ein absolut sicheres
Geschäft. Das kann doch in keine
Risikobewertung einfl ießen.
Stimmt. Aber Basel III begrenzt die
Kreditvergabe. Also rechnet jede
Bank: Verzichten wir zugunsten des
margenschwachen Kommunal-
geschäfts auf andere Geschäfte mit
höherer Marge? Im Ergebnis
werden die Kommunen mit anderen
Kreditnehmern um das schrumpfende
Kreditangebot konkurrieren.
Sind die Kommunen dem engeren
Markt hilflos ausgeliefert?
Absolut nicht. Es gibt durchaus
Alternativen zum klassischen Kommunal-
kredit. Jeder Kämmerer kann sich
mithilfe einer kapitalmarktversierten
Bank nach neuen Finanzierungsquellen
umsehen.
Bislang ist aber für die meisten
Kommunen der klassische Kommunal-
kredit die günstigere Alternative.
Rechnet sich der Kapitalmarkt denn
überhaupt?
Das dreht sich ja gerade. Wenn gesamthaft
das Kreditangebot sinkt, werden die Preise
wie in jedem anderen Markt ten denziell
steigen. Das erleben wir übrigens schon
heute. Damit werden sich Kreditmarkt und
Kapitalmarkt preislich zusehends
angleichen. Zugleich verbessert sich für die
Kommunen ihre Verhandlungsposition
gegenüber den Banken.
Der Gang auf den Kapitalmarkt
erfordert aber auch mehr Transparenz.
Stimmt. Jeder Investor will nun mal
wissen, mit welchem Risiko er es zu tun
hat. Die Bonität wird deshalb eine
zen trale Frage. Als traditioneller Kredit-
geber der Kommunen prüfen wir das
natürlich schon seit langem. Das ist keine
Blackbox, sondern diesen Prozess und
seine Ergebnisse erklären wir ganz offen.
Für unsere Kunden ist das ein ganz
wichtiges Feedback, denn in unserer
Bonitätsanalyse spiegeln sich ja letztlich
alle Stärken und Schwächen einer
Kommune wider. Und dann fi nden sich
auch genug Abnehmer etwa für einen
Schuldschein. Versicherer und Pensions-
kassen investieren gern in diesen Markt.
Die suchen solche Anlageklassen.
Schuldscheindarlehen sind schon ab zehn Millionen
Euro machbar. Und dafür gibt es Nachfr age: Bei kon-
servativen Investoren wie Versicherern, Fonds, Versor-
gungswerken oder Pensionsfonds gilt die öffentliche
Hand als eine kalkulierbare und deshalb höchst inter-
essante Anlageklasse.
In den USA ist der Kapitalmarkt für Kommunen ein
etabliertes Finanzierungsinstrument. Doch auch in
Deutschland nutzen einer Umfrage zufolge schon ein
Drittel aller Kommunen über 100 000 Einwohner und
jede fünfte Stadt mit mehr als 50 000 Einwohnern das
Schuldscheindarlehen. Große Städte wie Hannov er
oder Essen haben bereits Anleihen am Markt platziert,
genauso wie die Stadt Wiesbaden mit einem eigenen
Schuldscheindarlehen. Vielen anderen Kommunen je-
doch ist der Weg zum Kapitalmarkt noch immer un-
bekannt. Dabei ist dieser Weg vielleicht neu, aber gar
nicht so schwer. Als Erstes geht es darum, eine Bank
zu suchen, die den Kapitalmarkt und seine Instrumen-
te kennt und in diesem Markt über möglichst große
Erfahrung verfügt. Danach müssen Kreditbedarf und
Liquidität prognostiziert werden. Dann gilt es, die be-
nötigten Laufzeiten zu defi nieren. Ein erster Schritt in
den Kapitalmarkt kann dann ein Schuldscheindarle-
hen über eine kleinere Summe sein.
Ein wichtiger Arbeitsschritt: Schon vor Jahren
hat die Deutsche Bank, wie andere Banken auch, aus
aufsichtsrechtlichen Gründen eine Systematik zur
Risiko einschätzung entwickelt. Vergleichbar einem
Rating durchleuchtet die Bank dabei gesamthaft die
wirtschaftliche, demografi sche, strukturelle und po-
litische Situation einer Kommune. Neben Kennzah-
len im Hinblick auf die Einnahmen- und Ausgaben-
situation werden auch Faktoren wie die Attraktivität
der Kommune als Wirtschafts- und Lebensstandort
und die Entwicklung der Einwohnerstruktur unter-
sucht. Und auch das städtische Risiko-, Cash- und
Zins management kommt auf den Prüfstand. So be-
kommen Kommunen ein Bild davon, wie externe In-
vestoren sie bewerten würden. Gleichzeitig können
sie die wichtigen Stellschrauben erkennen und Ver-
besserungsschritte einleiten.
INTERVIEW
„Der Markt steht vor einem enormen Umbruch“Jens Michael Otte leitet den Bereich Öffentlicher Sektor und Institutionen Deutschland der Deutschen Bank
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Weitere Informationen
Kontakt
p Jens Michael Otte, Leiter Öffentlicher Sektor
und Institutionen Deutschland der Deutschen
Bank, E-Mail: jens-michael.otte@db.com
Schon heute befasst sich über die Hälfte aller
Kommunen mit mehr als 100 000 Einwohnern mit Fra-
gen der Bonitätseinstufung. Für den W olfenbütteler
Kämmerer Foraita ist die interne Risikoeinschätzung
ein gegenseitiger Lernprozess, der viel Transparenz
von den beiden Akteuren erfordert. Eine Transparenz,
die externe Kapitalgeber brauchen. So rät etwa der
Nürnberger Harald Riedel da zu, die „Karten offen
auf den Tisch zu legen“ – gegenüber Banken wie ge-
genüber den eigenen Bürgern. „Auch die Kommunen
sind Teil eines Marktes“, ergänzt sein Wolfenbütteler
Amtskollege Foraita. Deshalb müssten sie sich der
Risikoeinschätzung der Banken „offen stellen“.
Für Foraita besitzt dieser Prozess sogar einen er-
zieherischen Reiz. Die Kapitalmärkte müssten durch
ihre Mechanismen den öffentlichen Kreditnehmern
„Grenzen aufzeigen, da sonst ungezügelte V erschul-
dung droht“. Wer den Markt akzeptiert, weiß um seine
Risiken. Deshalb lässt der Wolfenbütteler permanent
alle laufenden Kredite und Derivate auf Zinsrisiken
prüfen und verfügt damit über ein hochprofessionel-
les Frühwarnsystem – in deutschen Kommunen keine
Selbstverständlichkeit. Dass sich deutsche Kommu-
nen in Zukunft anders fi nanzieren könnten, lässt sich
vielleicht auch an der Finanzierung der Bundesländer
ablesen. Heute ist nur noch die Hälfte des Schulden-
stands der Länder kreditfi nanziert.
Deutschlands Kommunen stecken in einer schwie-
rigen Lage. Viele Kämmerer wissen, dass ihnen Staat
und Land letztlich nicht helfen werden, dass sie
selbst aktiv werden müssen. „Das klassische Spa-
ren“, sagt Harald Riedel, „ist ausgereizt.“ Bereits 2005
hatte sich Nürnberg von der traditionellen kame-
ralistischen Rechnungslegung ver abschiedet und
auf Doppik umgestellt. Mit ihrem Finanzreferenten
Riedel entwickelt die Stadt nun einen ganzen Katalog
an Maßnahmen. Effektivität, Effi zienz und Kundenzu-
friedenheit sind die drei Parameter, an denen Riedel
die Arbeit der Stadt in Zukunft messen möchte.
Bis 2014 werden alle Dienststellen in ein umfas-
sendes Controlling eingegliedert , sodass sie stän-
dig über ihre fi nanzielle Lage unterrichtet sind. Ein
Dokumenten-Management-System ist installiert, das
kommunale Leistungsspektrum soll in einem kenn-
zahlgesteuerten „Produkt-Haushalt“ dargestellt wer-
den. Das Ziel: die Neuverschuldung bis zum Ende die-
ses Jahrzehnts auf null abzusenken. Es wäre für die
Stadt ein riesiger Erfolg. Und Har ald Riedel könnte
dann erstmals wirklich zufrieden sein.
STEPHAN SCHLOTE
Mehr Transparenz ist gefragt
Wolfenbüttels Kämmerer Knut Foraita sieht in einer internen Risikoeinschätzung einen wichtigen Lernprozess für Kommunen. Er glaubt: Erst die Mechanismen des Kapitalmarkts schaffen wirkungsvolle Grenzen für die Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte
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