Gitarre & Laute XXX/2008/Nº 3-4

Preview:

DESCRIPTION

Gitarre & Laute XXX/2008/Nº 3-4

Citation preview

Gitarre & Laute ONLINE, XXX/2008/Nº 3–4

Interview mit Hopkinson Smith

Zum Tod von Leo Witoszynskyj

Geschichte der Lautenmusik

Gitarre stimmen?

Rossini/Giuliani: La Cenerentola

Regondi, de L’Hoyer, Molitor … Neue Noten

Guitarrefreund

Alirio and Senio Diaz,

Ennio Morricone and Roma Sinfonietta,

Sting and Edin Karamazov,

Kazuhito Yamashita, Vicente Amigo band,

Dusan Bogdanovic, Oscar Ghiglia, Roland Dyens,

Costas Cotsiolis, Roberto Aussel, Badi Assad,

Hubert Kappel, Colin Cooper, Xuefei Yang,

Pavel Steidel, Zoran Dukic, Aniello Desiderio,

Carlo Marchione, Roberto Fabbri,

Michele Libraro, Alfred Eickholt,

EOS Guitar Quartet, Miroslav Tadic,

Vlatko Stefanovski, Teodosije Spasov,

Zarko Ignjatovic, Damjan Stanisic,

Srdjan Bulatovic, Predrag Stankovic,

Liviu Georgescu, Ivana Ziher, Tal Hurwitz

Hristu Mular and the best Serbian guitarists.

The10thAnniversaryInternationalGuitarArtFestivalandCompetitionwith:

07 -14 February 2009Belgrade, Serbiawww.gaf.rs

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 3

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Liebe Leserinnen, liebe Leser,die traurige Pflicht des Chronisten ist es, zuberichten, wenn jemand die Bühnen dieserWelt für immer verlassen hat. In der letztenAusgabe war es Alexandr KamillowitschFrauči, dessen Tod ich zu beklagen hatte,jetzt ist es Leo Witoszynskyj, der völlig un-erwartet und plötzlich im Alter von 67 Jah-ren in Graz verstorben ist. In dieser Ausga-be finden Sie einen Nachruf, ebenso einenerneuten Abdruck des Interviews, das ichvor einigen Jahren mit ihm gemacht habe.Im Blog von Gitarre & Laute ist der Nachrufauch veröffentlicht, dort können Sie, wennSie möchten, Kommentare hinzufügen:www.gl-blog.de.Beide Musiker, Frauči und Witoszynskyj habeich persönlich gut gekannt, war mit ihnenbefreundet. Beide hinterlassen schmerzhaftempfundene Lücken in dieser Welt.Im September dieses Jahres gab es in Va-

raždin in Kroatien ein Barockfest. Hier hatteich die Gelegenheit, mit Hopkinson Smithwieder einmal ein Interview zu führen, dasich Ihnen jetzt gern anbiete. Es geht umFrancesco da Milano und eine Neue CD, dieHopkinson Smith aufgenommen hat.Neue Bücher, Noten und CDs stehen in die-ser Ausgabe im Mittelpunkt des Interesses.

Gitarrenmusik wird weitaus weniger produ-ziert, als noch vor einigen Jahren, dafür istdie editorische Qualität der Ausgaben deut-lich gesteigert worden. Einige neue Ausga-ben werden vorgestellt, in denen nicht nurRepertoire-Raritäten erscheinen, sondern re-gelrechte Entdeckungen. Zum Beispiel sindStücke von Regondi wiedergefunden wor-den, die man zwar namentlich kannte, vondenen aber bisher weder originale Druckaus-gaben noch Handschriften nachgewiesenwerden konnten. Nun sind die Quellen ge-funden worden und die Neuausgaben aufdem Markt! Lesen Sie die Besprechungen un-ter „Neue Noten“.Und wenn auch Sie noch einmal eine syste-matische Darstellung zum Thema „Stim-men“ wünschen, wir haben Sie für Sie! Indiesem Heft lesen Sie die Ausführungen desKöniglich Bayerischen Hofmusikers HeinrichScherrer aus dem Jahr 1900 (S. 49–52) unddie von Simon Molitor (S. 43), im nächstendie von Martin Lange. Er ist als Ingenieurund Gitarrist prädestiniert, dieses Thema sy-stematisch zu behandeln, zumal er beklagt:„Durch die Einführung preiswerter Stimmgerä-

te gerät die Kunst, ein Instrument nur mit ei-

ner Stimmgabel zu stimmen, mehr und mehr

in Vergessenheit.“Seine Anmerkungen zum Thema „Das Stim-men einer Gitarre“ lesen Sie in AusgabeXXX/2008/Nº 5.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit Ih-rer Zeitschrift!Ihr

Peter PäffgenChefredakteur/Herausgeber

GL

BLOGKommentar gefällig? Sie sind

eingeladen, im neuen GL-BLOG

Kommentare abzugeben.

Folgen Sie diesem Link!

http://www.gl-blog.de

4 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

… was ich noch sagen wollte …hier gebe ich Ihnen in lockerer Form

Bemerkungen mit auf den Weg,von denen ich glaube, sie wären von

allgemeinem Interesse. Es wird sich dabeiwie heute um Bemerkungen über neu er-

schienene Bücher oder CDs drehen, die viel-leicht auch mit der Gitarre oder der Lauteüberhaupt nichts zu tun haben. Oder viel-

leicht gilt es auch, einen Geburtstag zufeiern oder aus anderem Grund an einen

Großen unserer Zunft zu erinnern. Sollte ichSie langweilen oder sollten Sie Vorschläge

machen wollen,schreiben Sie doch einfach an:

mailto:peter.paeffen@MusiCologne.eu

Peter Päffgen

Dafür, dass Heitor Villa-Lobos als „bedeu-

tendster und weltweit erfolgreichster Kompo-

nist Südamerikas“ gilt, gibt es beschämendwenig deutschsprachige Literatur über ihn… gemeint ist nicht die Spezialliteratur, mitder sich Gitarristen befassen und wo es umoffene Fragen spieltechnischer oder auffüh-rungspraktischer Art geht, nein, gemeint istallgemeine Literatur zu Heitor Villa-Lobosund seinem Œuvre. Im Klappentext des im-mer noch als Standardliteratur geltendenBuches von Lisa M. Peppercorn („HeitorVilla-Lobos: Ein Komponist aus Brasilien“,Zürich u.a. 1972) heißt es schon: „Dieses

Buch füllt eine Lücke unter den Musikerbiogra-

phien aus, denn es gibt bis heute kaum Litera-

tur über den größten Komponisten Brasiliens

– in deutscher Sprache überhaupt nichts.“

Über dreißig Jahre sind vergangen seit Pep-percorn und nichts hat sich geändert, wasdie Literaturdichte zum Thema Villa-Lobosangeht … bis jetzt, im Herbst 2008, diesesbemerkenswerte Buch erschien:

Manuel Negwer

Villa-Lobos: Der Aufbruch der brasilia-

nischen Musik

Mainz u.a. 2008 [ED 20316, ISBN: 978-3-

4957-0168-0] € 22,95

Der Autor, das als Entwarnung vorweg, hatzwar unter anderem Gitarre studiert (beiSiegfried Behrend), bei seinem Buch han-delt sich aber um keines, in dem die Le-bensgeschichte von Heitor Villa-Lobos vor-nehmlich oder gar ausschließlich aus derPerspektive eines Gitarren-Apologeten be-trachtet wird. Sie kommt vor, die Gitarre,aber nur in dem Maße, wie sie im Lebenund Schaffen von Heitor Villa-Lobos vorge-kommen ist.Manuel Negwers Buch ist eine Biographiemit, sagen wir, deskriptiv-analytischenWerkbeschreibungen. Und es ist ein Buch,das den Komponisten vor dem politischenund kulturellen Hintergrund seiner Zeit dar-stellt … und da gibt es viel zu erzählen. Am 5. März 1887, das scheint jetzt unwider-legbar festzustehen, ist er in Rio de Janeirogeboren. Schon der gerade im Nebensatzangedeutete und gleichzeitig ausgeräumteZweifel, was das Geburtsdatum des Kompo-nisten angeht, lässt ahnen, welche Widrig-keiten Negwer bei seiner Arbeit zu überwin-den hatte: unzählige Legenden, an denender Maestro oft nicht unschuldig war, dazudie schon erwähnte Ignoranz seitens der in-ternationalen Fachpresse und Wissenschaftund das daraus resultierende Nicht-Vorhan-densein verlässlicher Vorarbeiten.Noch einmal: Am 5. März 1887 ist er in Riode Janeiro geboren. Ein, zwei Jahre späterwurde in Brasilien die Monarchie gestürzt,die Republik ausgerufen und im gleichenAtemzug die Sklaverei abgeschafft. Mit die-

sem Paukenschlag begann das Leben desHeitor Villa-Lobos. Und der Paukenschlagtönte nach: Eine dreiviertel Million Sklavenwar frei und begann, in den GroßstädtenUnterkünfte zu sichern. Die ersten „favale-as“ entstanden und musikalisch etabliertensich sehr langsam afrobrasilianische Ele-mente.1891 wurde eine neue Verfassung verab-

schiedet – Brasilien wurde eine föderativeRepublik, wie wir sie aus Deutschland ken-nen. Gleichzeitig türmten sich wirtschaftli-che Probleme auf: Kaffeekrise, Zuckerkriseund das Ende des Kautschukbooms, der Bra-silien Wohlstand versprochen und zeitweiseauch geleistet hatte. Villa-Lobos interessierte sich schon als Kindfür Musik – das hatte er von seinem Vater,der als Amateur Cello und Klarinette ge-spielt hat. Und zwar war es die populärebrasilianische Musik, die ihn anzog, derChoro hauptsächlich. In Choro-Gruppen, diein bürgerlichen Kreisen nicht angesehen wa-ren, spielte er Gitarre … sie war das Instru-ment der Gaukler und Straßenmusiker, der„Chorões“ eben. Für die andere Musik, die„música erudita“, die gelehrte Musik, hatteer sein Cello – das erste hatte ihm sein Va-ter aus einer alten Bratsche gebaut. Aberhier war Villa-Lobos schon mit dem Konfliktkonfrontiert, der ihn sein Leben lang beglei-ten sollte: Gehörte seine Leidenschaft der„música popular brasileira“ oder der klassi-schen Musik, die hauptsächlich europäischbeeinflusst war und wo war die Grenze zwi-schen den beiden Sphären?Villa-Lobos begann, in Brasilien zu reisenund lernte Volksmelodien kennen, die ersammelte und in seinen eigenen Komposi-tionen verarbeitete … so jedenfalls stellte eres gern dar. Heitor Villa-Lobos hatte nebenseinen musikalischen eine andere Fertigkeitund Leidenschaft, nämlich die, sich zu in-szenieren. Die meisten Melodien stammtenaus Publikationen ethnologischer Forschun-gen, die damals betrieben wurden – anderehat Villa-Lobos schlicht und einfach erfun-den.Aber unser Komponist hatte Startschwierig-keiten: Er war gerade 27, als der Erste Welt-krieg ausbrach, zur gleichen Zeit plagtendie beschriebenen wirtschaftlichen Proble-me sein Land. Am 30. Juni 1923 fuhr erzum ersten Mal nach Paris, der kulturellenHauptstadt Europas … aber es war enttäu-schend. Die Avantgarde sprach eine andereSprache. Schönberg, Strawinsky, Berg, We-bern, auch Richard Strauss … Villa-Lobos’Konzerte wurden mit höflichem Desinteres-se quittiert. Er reiste, auch weil sein Budgetaufgebraucht war, schon im September1924 zurück nach Brasilien. Dort vertratenzur gleichen Zeit die Anhänger des „Moder-nismo“ die Emanzipation brasilianischer

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 5

Kultur: „Europa und die alte Kolonialmacht

Portugal hatte nach dem Weltkrieg als kultu-

relles Vorbild für Brasilien ausgedient“. „An-tropofagia“ wurde eine künstlerische Rich-tung genannt, Kannibalismus. Angespieltwurde damit auf die brasilianischen Tupí-Indianer, die jahrhundertelang unterdrücktworden waren. Sie waren Kannibalen.Eine zweite Reise führte Villa-Lobos 1926nach Paris, dieses mal war sie erfolgreicher.Einflüsse aus fremden Kulturen wurden zudieser Zeit gierig aufgenommen und verar-beitet. „Was die Weltstadt Paris nicht mehr

wollte, war die ständige Wiederbegegnung mit

abgestandenen Surrogaten ihrer eigenen Kul-

tur.“ Villa-Lobos gefiel sich in der Rolle des „sau-vage brésilien“ und wehrte sich nicht gegenPresseartikel, in denen von „Kannibalenmu-sik“ die Rede war … vielleicht hatte er sieselbst lanciert? „Die Beschwörung des Regen-

waldes, die Tänze und Flötenklänge der India-

ner, die undefinierbaren Geräusche exotischer

Instrumente, de Schreie tropischer Vögel, das

Gesumme der Insekten und das Blinken der

Glühwürmchen“, das wollten die Europäererleben … und Villa-Lobos lieferte. „Weit

über hundert Werke entstanden in den Jahren

zwischen 1923 und 1929 , die meisten davon

mit betont brasilianischem Charakter.“1930 wurde Getúlio Dornelles Vargas(1883—1954) zum brasilianischen Präsiden-ten gewählt, ein Rattenfänger, wie sie zudieser Zeit an verschiedenen Stellen der Er-de agierten. Vargas versprach Besserungund gründete 1937 sogar einen „Estado No-vo“, einen neuen brasilianischen Staat, indem Parteien, Gewerkschaften und Streiksverboten waren und der Kongress abge-schafft wurde. Viele glaubten an seine Ver-sprechungen, auch Heitor Villa-Lobos: „Der

Künstler ist für die Massen unverzichtbar und

ich denke, dass man auf der ganzen Welt ver-

wirklichen sollte, was Mussolini in Italien an-

geordnet hat: den Musiker in jeder Art und

Weise einzusetzen“. Vargas zeigte sich beiVilla-Lobos mit wohl honorierten Ämternerkenntlich, die SEMA, die Superintendên-cia de Educação Musical e Artística“ grün-dete er eigens für ihn. Er war erfolgreich,fungierte als eine Art kultureller Botschaftseines Landes … zog aber die Kritik vielerIntellektueller auf sich.Heitor Villa-Lobos befasste sich nicht mehrmit der Pariser Avantgarde, seine „Bezugs-

partner waren jetzt die auf nationalistische

Verlässlichkeit pochenden Funktionäre des

Vargas-Regimes und die unerfahrenen und we-

nig weltläufigen Musiklehrer.“ Seine Komposi-tionen wurden traditioneller, brasilianischer.In den vierziger Jahren entstanden übri-gens auch die fünf Préludes für Gitarre, vondenen das erste und vierte in Brasilien eineaus unserer Sicht unerwartete Popularität

6 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

la-Lobos-Repertoire auf einige Klavierwerke

und das Gitarrenwerk zusammen.“Die Lektüre des vorliegenden Buches vonManuel Negwer ist nicht nur mangels Alter-nativen jedem zu empfehlen, der sich mitHeitor Villa-Lobos befasst. Es erlaubt Einbli-cke in seine Lebensgeschichte, die einemVieles erklärlich machen. Seine Leidenschaftsich selbst zu inszenieren zum Beispiel undseinen elastischen Umgang mit musikali-schem Stil und politischen Gepflogenheiten.Villa-Lobos hat sein Leben lang berechtigteoder nicht berechtigte wirtschaftliche Sor-gen gehabt – bis auf die Zeit, als er für denfaschistischen Staatspräsidenten GetúlioVargas arbeitete … aber auch dieses Enga-gement hat ihm à la longue kein Glück ge-bracht. Das Buch könnte, was die Werkbeschreibun-gen angeht, etwas weitergehend analytischsein. Über manche Kompositionen werdennur mehr oder minder statistische Angabenangeboten.Negwers Buch über Heitor Villa-Lobos ent-hält als Krönung noch eine Bonus-CD undallein ihretwegen kann man seine Anschaf-fung empfehlen. Der Komponist persönlichspielt das erste Prélude und „Choros Nr. 1“auf der Gitarre, danach einige Klavierstückeund ein paar Stücke für Gesang und Klavier.In der Gitarrenwelt wusste man schon lan-ge von diesen Aufnahmen, die ausnahmslosim Besitz des Museu Villa-Lobos in Rio deJaneiro sind – aber nur wenige haben sie jegehört. Jetzt liegen sie als CD vor!

Zum Thema Heitor Villa-Lobos: CD 7 seinerKlavierwerke ist bei NAXOS erschienen, ge-spielt von Sonia Rubinsky. Neben ein paarsehr frühen Werken („Valsa Scherzo“ von1907 oder „Valsa Lenta“ von 1911) sind hier„Bachianas Brasileiras 2“ mit dem Titel„Lembranças do Sertão“ hören, „FeijoadaSem Perigo …“ sowie ein paar spätere Wer-ke, die teilweise hier in Ersteinspielungenvorliegen. Und, das wird vor allem die Gi-tarrenfreunde interessieren, Sonia Rubinsky

haben. Sie „tauchen […] immer wieder als Er-

kennungsmelodien in der Fernsehwerbung und

in Telenovelas auf.“Getúlio Vargas wurde 1945 abgewählt,schaffte es 1951 zwar noch einmal, die Prä-sidentschaft wieder zu erringen, schieddann aber 1954 durch Suizid aus dem Le-ben. Die Korruption hatte in Brasilien sodramatisch zugenommen, dass ein geordne-tes politisches Leben unmöglich gewordenwar. Brasilien stand vor einer großen innen-und vor allem außenpolitischen Reform. Zu-sammenarbeit mit den kapitalistischenwestlichen Ländern war jetzt angesagt …auch bei Villa-Lobos. Er reiste in die USA,auch wieder nach Paris. „In Europa prägten

Avantgardisten wie Pierre Boulez, Luigi Nono,

Hans Werner Henze und Karl-Heinz Stockhau-

sen den musikalischen „Wiederaufbau“. In

den USA wirkten Emigranten wie Kurt Weill

und Arnold Schönberg, gleichzeitig wurde

John Cage zur Leitfigur der Neuen Musik wäh-

rend Duke Ellington und Charlie Parker den

Jazz zu neuen Höhepunkten führten.“ Villa-Lobos war immer noch bekannt wegen sei-ner erfolgreichen Werke „Bachianas Brasilei-ras“, der Choros oder der symphonischenDichtungen, aber er musste jetzt wiederkomponieren, um Geld zu verdienen. SeineZeit als gut bezahlter Musikfunktionär un-ter Getúlio Vargas war vorbei. Er versuchtesich als Filmkomponist für Hollywood. Seinerstes Produkt wurde aber zu „einem gran-

diosen Misserfolg“, obwohl Audrey Hepburndie Hauptrolle spielte. Dann schrieb er eineOper mit dem Titel „Yerma“ nach Textenvon Federico García Lorca. Erst 1971, langenach Villa-Lobos’ Tod, konnte das Werk inSanta Fé uraufgeführt werden. Schließlichentstand ein Ballett zu einem Drama vonEugene O’Neill. „Nach dem von der französischen Musik ge-

prägten Frühwerk, der „brasilianischen“ Pari-

ser Phase, der neobarock-retrospektiven Var-

gas-Zeit und dem eher gefälligen Mainstream-

Stil der New Yorker Zeit deutete sich in den

letzten Jahren eine fünfte Schaffensperiode

an. […] Es entstanden nun Werke, die eine für

Villa-Lobos eher außergewöhnlich nüchterne,

zurückgenommene Haltung aufweisen …“ Ei-nige große Werke entstehen noch, einigeSinfonien, Streichquartette, eine „Fantaisieconcertant“ für Klavier, Klarinette und Fa-gott. Villa-Lobos reist rastlos von einem gro-ßen Konzert zum nächsten, sieht sich aberenttäuscht: „Ich habe alles unternommen,

um Brasilien eine wahrhaftige Musikkultur zu

bringen. Es ist sinnlos. Das Land wird von der

Mittelmäßigkeit beherrscht. Für jede mittelmä-

ßige Person, die stirbt, werden fünf neue gebo-

ren.“ Am 17. November 1959 starb HeitorVilla-Lobos in Rio de Janeiro. Danach„schrumpfte das international aufgeführte Vil-

GL

BLOGKommentar gefällig? Sie

sind eingeladen, im neuen

GL-BLOG zu diesem Beitrag

Kommentare abzugeben.

Folgen Sie diesem Link!

http://www.gl-blog.de

spielt die „Préludios para Guitarra“ in einerBearbeitung für Klavier, die José VieiraBrandão (1911—2002) angefertigt hat. Derwar Schüler und später Assistent von Villa-Lobos und wurde als Pianist und Komponistin seinem Heimatland bekannt … nicht sobekannt übrigens, dass er in dem Buchüber Villa-Lobos von Manuel Negwer er-wähnt wäre.Die Präludien, von denen Negwer schreibt,sie hätten in Brasilien eine hier ungeahntePopularität, haben natürlich durch die Tran-skription und die Darstellung auf dem Kla-vier einen gewissen Ernüchterungsprozessdurchlaufen. Die Bass-Melodie im ersten Pré-lude zum Beispiel hat den Schmelz und dieSanglichkeit eingebüßt, die sie in der origi-nalen Version hat. Dafür ist das Stück na-turgemäß voluminöser geworden, imschnellen Mittelteil klarer und dezidierter.Im zweiten Prélude, das die Überschrift„Melodia capadóica – Melodia capoeira:Homenagem ao malandro carioca“ trägt,ist die Klavierversion spritziger, spieleri-scher und witziger als das Original. Über-setzt heißt die Überschrift übrigens „Rohe

und rüpelhafte Melodie: Hommage an den Rü-

pel aus Rio“.Das dem Andenken an Johann SebastianBach gewidmete dritte Prélude wirkt plötz-lich enorm voll und imposant – mit langaushaltenden tragenden Bässen. Schade,dass die Gitarre kein Pedal hat!

Villa Lobos: Piano Music 7

Sonia Rubinsky, Klavier

Aufgenommen im Februar 2007, erschie-

nen 2008

NAXOS (naxos.com) 8.570503

Nº 4 mit dem Motto „Homenagem ao índiobrasileiro“ oder „Hommage an den brasiliani-

schen Indianer“ wird auf der Gitarre meistbreiter, lyrischer gespielt und wirkt hiereher kühl, fast emotionslos. Aber zugege-ben: Natürlich habe ich dieses Stück bishernur auf der Gitarre gehört … mir fehlt inder Klavier-Version etwas!Das fünfte Prélude gefällt mir in der Piano-Version überhaupt nicht, und daran ist diePianistin nicht unbeteiligt. Für meinen Ge-schmack stimmt das Tempo nicht, es ist zuelegisch, zu verhalten. Die permanent, fastpenetrant gebrochenen Akkorde passennicht auf das Klavier und sollen wohl ir-gendwie das Klangbild der Gitarre evozie-ren … weil da ja bekanntlich jeder Akkordgebrochen wird. Die Überschrift ist übri-gens mehr als interessant: „Homenagem àvida social: Aos rapazinhos e mocinhas fres-quinhos que frequentam os concertos e osteatros no Rio“/ „Hommage an das gesell-

schaftliche Leben: Den Backfischen und Jüng-

lingen gewidmet, die in Rio Konzerte und

Theater besuchen“.

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 7

Ich frage mich, warum José Vieira Brandãodie Préludes seines Lehrers Villa-Lobos fürKlavier transkribiert hat. James Melo, derAutor des Textes im Booklet, meint: „Die

technische Virtuosität dieser Transkriptionen

macht aus den Stücken wirklich transzendente

Klavieretüden“ ganz als wären sie, auf derGitarre gespielt, nicht transzendent. Aberwas hat Manuel Negwer noch über die Stü-cke geschrieben? „Sie tauchen […] immer

wieder als Erkennungsmelodien in der Fern-

sehwerbung und in Telenovelas auf.“ Dasheißt, die Stücke sind in Brasilien jedem be-kannt, so bekannt, dass sie wie hier Passa-gen aus Carl Orffs „Carmina burana“ in derSchokoladenwerbung verwendet werden.Wollte er sie denen zur Verfügung stellen,die nicht Gitarre spielen? Aber sie sind fürund auf die Gitarre geschrieben, daran be-steht bei niemandem Zweifel … außerdemhat Heitor Villa-Lobos das Klavier nie ge-liebt. Erst spät hat er es zu spielen gelernt,und zwar von seiner Frau Lucília Guimarães.Aber die Préludes sind natürlich nicht alles,was diese CD attraktiv macht. Die vonMaestro Villa-Lobos selbst angefertigte Kla-vierversion seines Orchesterwerks „Amazo-nas“ ist ein Beispiel für die Phase in seinemgroßen musikalischen Schaffen, als er ver-suchte, sich stilistisch an die europäischeAvantgarde anzulehnen, an die Ballettmusi-ken von Igor Strawinsky vor allem. Gleich-zeitig versuchte er, die tropische Landschaftund Atmosphäre seines Heimatlands-- Brasi-lien musikalisch darzustellen und so einenBaustein für eine brasilianische Nationalmu-sik zu schaffen. „Bailado indígena brasilei-ro“ ist der Untertitel der Klavierversion von1932: „Brasilianisches Indianerballett“.Grundsätzlich andere Ansprüche an Musikstellte Ernesto Nazareth (1863—1934), SeinMetier war die „Salonmusik“.

Ernesto Nazareth

Tangos, Waltzes and Polkas

Iara Behs, Piano

Aufgenommen im November 2003

NAXOS (naxos.com) 8.557687

Nazareth war musikalisch ein Kind der Zeit,in der das musikalische Schaffen in Brasiliensich ausschließlich an europäischen Vorbil-dern orientierte. „In Nazareths Kompositio-

nen verschmelzen Chopin’sche Chromatik und

europäische Fin de siècle-Salonmusik mit dem

mitreißenden Drive und der wirkungsvollen

Synkopik der afrobrasilianischen Tanzmusik.“

[Negwer]„Odeon“ war eine seiner beliebtesten Kom-positionen … Odeon nach dem größten Ki-no von Rio de Janeiro. Ansonsten hat erüber 80 brasilianische Tangos geschrieben,40 Walzer und Polkas. „Die Tänze von Naza-

reth sind für das anspruchsvolle Publikum der

Konzertsäle bestimmt. In erster Linie sind die-

se Werke originell und bringen brasilianische

Lebensart zum Ausdruck.“, so schreibt dieInterpretin im Booklet. Heute sind ihm dieKonzertsäle weitgehend verwehrt: „Noch vor

wenigen Jahren wagten nur ganz wenige

„ernste“ Pianisten, die Musik Ernesto Naza-

reths ins Repertoire aufzunehmen […] Und

doch kann ich mich nicht daran erinnern, je-

mals jemanden getroffen zu haben, der die

Musik von Nazareth nicht geliebt hätte.“[Behs]Die Stücke von Nazareth elektrisieren. Ein-zelne kommen einem bekannt vor, obwohlman sie vielleicht tatsächlich nie gehörthat. Und etliche kennt man, ohne den Na-men des Komponisten zu wissen. Aber sierühren, bewegen … tja, elektrisieren.Iara Behs ist eine der bekanntesten Pianis-ten Brasiliens. In ihrer Heimatstadt PortoAlegre hat sie studiert, danach in Karlsruhe.Heute reist sie durch die Welt, um brasilia-nische Musik zu spielen und bekannter zumachen. Bestimmt wird sie dabei keinekompletten Nazareth-Programme spielen,dafür gibt die Musik – zugegeben – nichtgenug her. Oder sagen wir: Sie bietet nichtgenug Abwechslung. Aber seine Stücke sindsicher umjubelte Zugaben! Das ParadestückOdeon liegt übrigens in zwei unterschiedli-chen Transkriptionen für Gitarre vor, aberdas nur am Rande!

Aktuelles rund

um dieGitarre

Peter Päffgen

Die GitarreGeschichte, Spieltechnik, Repertoire

3., überarbeitete und ergänzte Auflage 2002

249 Seiten mit Notenbeispielen und

Abbildungen sowie Zeittafel,

Literaturverzeichnis und Register – gebunden

mit CD

ISBN 3-7957-2355-8 (ED 8874)

€ 29,95 / sFr 52,30

Der Autor, Herausgeber der renommierten Zeitschrift„Gitarre & Laute“, macht die Geschichte der Gitarre,ihrer Musik und Spieltechnik bis zu denKomponisten und Virtuosen des 20. Jahrhundertszum Gegenstand dieses Buches. Er spannt dabeieinen großen historischen Bogen: Er bietet denÜberblick über eine Entwicklung von mehr als dreitausend Jahren und zeigt die Gitarre als einInstrument, das die gesamte europäischeMusikgeschichte seit ihren Anfängen begleitet hat und dessen vielseitiges Repertoire zu entdecken und zu beleben sich lohnt.

Hugo Pinksterboer

Pocket Info –AkustischeGitarre• Basiswissen • Praxistipps • Mini-Lexikon

136 Seiten, broschiert

ISBN 3-7957-5126-8

(SPL 1042)

€ 9,95 / sFr 18,40

Dieses Buch enthält in kurzer und prägnanter Form alle Informationen zu Kauf, Pflege, Bau und Spieltechnik der Gitarre. Knappe, gut ver-ständliche Texte und zahlreiche Abbildungen mitInformationen rund ums Instrument machen diesesBuch zum idealen Nachschlagewerk für Anfängerund Fortgeschrittene.

Konrad Ragossnig

Gitarrentechnik kompaktGrundformen der Technik • Effektives Einspielen • Tägliches Üben

85 Seiten, broschiert

ISMN M-001-12919-0 (ED 9263)

€ 22,95

Der international renommierte Gitarrist Konrad Ragossnig hat mit diesemBand ein Übungsprogramm entwickelt, das sowohl für gründliches Ein-spielen als auch für das tägliche Üben geeignet ist. In 12 Kapiteln werdenalle wichtigen Elemente der Gitarrentechnik systematisch behandelt.Konkrete Aufgabenstellungen und Übetipps helfen dem Studierenden unddem ausgebildeten Musiker dabei, seine Technik effektiv und konzentriertzu pflegen bzw. weiterzuentwickeln.

Werner Neumann

Die Jazzmethode für Gitarre – SoloSkalen • Improvisation • Phrasierung

74 Seiten, broschiert mit CD

ISBN 3-7957-5352-X (ED 8427)

€ 24,95

Wie funktioniert eigentlich Improvisation über wechselnde Akkorde?Warum ist es wichtig, so etwas wie dorische oder mixolydische Tonleiternzu kennen oder sogar spielen zu können? Welche Funktionen habenArpeggien? Was versteht man unter Phrasierung? Anworten auf alle dieseund viele andere Fragen gibt Werner Neuman, laut Deutschlandfunk einerder führenden Fusiongitarristen Europas, in diesem Band.

Rolf Tönnes

Gitarre spielen – mein schönstes HobbyDie moderne Gitarrenschule für Jugendliche undErwachsene

96 Seiten, broschiert mit CD

ISBN 3-7957-5598-0 (ED 9475)

€ 19,95

Wer Gitarre spielen zu seinem Hobby machen möchte, liegt mit dieserSchule genau richtig. Dabei ist es egal, ob es ein Neueinsteiger ist, der dain die Saiten greift oder jemand, der vor vielen Jahren bereits einmalgespielt hat und nun wieder seine Kenntnisse auffrischen möchte. Eineausgewogene Mischung von Pop, Klassik und Folk verhindert Langeweile.Da Akkord- und Melodiespiel berücksichtigt werden, ist der Schülersowohl für den Abend am Lagerfeuer als auch für das Hauskonzertgewappnet. Die praxiserprobte Methode ist sowohl für den Unterricht alsauch für das Selbststudium geeignet, wobei die beiliegende CD alsTrainingspartner dient.

MA

_0003_0

2 ·

12/0

5

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 9

Impressum: Verlag: MusiCologne Ltd., Registered in England & Wales No. 5752198; NiederlassungDeutschland: MusiCologne Ltd., Sielsdorfer Straße 1a, D-50 935 Köln (Briefanschrift: Redaktion Gitarre &Laute, Postfach 410 408, D-50 864 Köln). Telefon: ++49-221-346 16 23. FAX: ++49-1803-5 51 84 30 17. Auf-bereitung des ePaper: CANTAT GmbH, Wien, www.cantat.com. Internet: www.MusiCologne.eu, Kleinan-zeigen: www.VerkaufeGitarre.de und www.gitarre-und-laute.de. Weblog: http://www.gl-blog.de Email:info@MusiCologne.eu (weitere Email-Adressen sind im redaktionellen Zusammenhang veröffentlicht). Erscheinungsweise: sechsmal jährlich, am Anfang der ungeraden Monate (Januar, März, Mai ...). Erschei-nungsweise im Jahr 2007: 1. Juli 2007, danach jeweils am Anfang jedes Monats bis Dezember 2007. Kün-digungsfrist: sechs Wochen vor Ablauf der Bezugsfrist. Preis: Einzelheft EUR 5,50, Abonnement für einJahr (sechs Ausgaben) 28,00 EUR inklusive Porto (In- und Ausland) und der gesetzlichen Mehrwertsteuer(19 %). Chefredakteur: Dr. Peter Päffgen. Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 13. Die namentlich gekennzeich-neten Beiträge in dieser Zeitschrift entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Für unver-langt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Terminangaben, insbe-sondere in der Rubrik „Dates“ erfolgen prinzipiell ohne Gewähr. © Nachdruck in jedweder Form und allenMedien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Aboverwaltung: Verlag, Nie-derlassung Köln. [Abo@gitarre-und-laute.de], Bildnachweis für vorliegende Ausgabe: Titelseite: Ivan And-rejewitsch Klinger, Foto aus dem Besitz von Professor Józef Powrózniak, jetzt Bildarchiv Gitarre & Laute,Köln; S. 10/11: Varaždinske Barokne Večeri; S. 15: Kunstsammlung Veste Coburg; S. 22: British Lbrary, Lon-don; S. 36: wie Titelseite; alle anderen: Autoren oder Bildarchiv Gitarre & Laute, Köln.

Gitarre & Laute

ONLINE

XXX/2008, Heft 3–4

Inhalt

Editorial3

… was ich noch sagen wollte …Heitor Villa-Lobos und Ernesto Nazareth

4

Ich bin ganz sicher, dass Glenn Gould einer der interessantestenInterpreten von Francesco da Milano gewesen wäre

Interview mit Hopkinson Smith11

Peter Päffgen

Geschichte der Lautenmusik …dargestellt anhand verschiedener CDs (einige ganz neu, einige weniger)

15

Gioacchino Rossini/Mauro GiulianiSinfonia Nell’Opera La Cenerentola

25

Neue Noten 35

Simon Molitor: Verfahren, um die Guitare rein zu stimmen43

Eingegangene Noten35

Leo Witoszynskyj 23. Juni 1941–1. Oktober 200844

Mitteilungen des Internationalen Guitarristen-VerbandesXXX/1900/Nº 3 und 4

49

Heinrich Scherrer, kgl. Bayer. Hofmusiker und Guitarrelehrer:Vom Stimmen der Guitarre

49

Neue Bücher73

Kleinanzeigen75

10 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Ich bin sicher, dass

Glenn Gould einer

der interessantesten

Interpreten von

Francesco da Milano

gewesen wäre!

Interview mit Hopkinson SmithDas Gespräch wurde am 20. September2008in Varaždin in Kroatien anlässlich der38. Varaždinske Barokne Večeri geführt.

Peter Päffgen: Als wir begannen, uns

mit Alter Musik zu befassen, waren Leute

wie Gustav Leonhardt und Nikolaus Har-

noncourt die Vorreiter einer neuen Bewe-

gung. In der Zwischenzeit ist sehr viel ge-

schehen und die Erforschung der Auf-

führungspraxis älterer Musik ist sehr weit

vorangeschritten. Vor allem sind die Er-

kenntnisse mittlerweile sehr weitgehend

in die „allgemeine Musikpraxis“ eingeflos-

sen. Kannst du das aus deiner Sicht be-

stätigen?

Hopkinson Smith: Es gab das Bestre-ben, ein natürliches Verhältnis zu dieserMusik aufzubauen und ich glaube auch,dass da viel geleistet worden ist. Esgibt heute viel mehr Menschen, die da-mit befasst sind, die Aufführungspraxiszu erforschen und die Erkenntnissedann auch in praktische Musik umzuset-zen. Und die Zuschauer und Zuhörersind begeistert. Das aktive Repertoireist viel größer geworden und es istselbstverständlich, dass die Entwick-lung noch weitergehen wird, weil nochviel zu entdecken ist.PP: Und ist es nicht so, dass die Erkennt-

nisse der Aufführungspraxis auch weitge-

hend die Musikpraxis derer beeinflusst,

die „eigentlich“ überhaupt nichts mit „Al-

ter Musik zu tun haben?

HP: Die allgemeine Kenntnis und dasBewusstsein für diese Art zu spielensind enorm gewachsen. Die, sagen wir,natürliche Instrumentalsprache, dienatürliche Art der Phrasierung und Arti-kulation sind immer mehr Teil der allge-meinen Interpretationsgewohnheitengeworden. Oder sagen wir es so: Im-mer mehr Musiker machen Alte Musikauf modernen Instrumenten. Und im-mer mehr Pianisten oder Geiger hören

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 11

12 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Lautenmusik zum Beispiel, oder Musik aufder Barockgeige. „Aha, so sollte das klin-gen!“ höre ich dann. Man denkt dann einwenig moralisch … aber es ist kein morali-scher Zwang, sondern eher die Erkenntnis,dass es einen Sinn hat, die Musik so undnicht anders zu spielen.P.P.: Du bist jetzt, nachdem du sehr viel Ba-rockmusik gespielt hast, wieder in die ziemlichfrühe Zeit der Lautenmusik zurückgegangen.Du hast eine neue CD mit Stücken von Frances-co da Milano aufgenommen.HP: Bis 2001 habe ich mich sehr mit der Ba-rocklaute befasst, aber seitdem spiele ichfast ausschließlich Renaissance-Musik. ZuerstAttaingnant, dann Dowland … und jetzt be-schäftige ich mich seit fast zwei Jahren mitFrancesco da Milano.In den sechziger bis Anfang der siebzigerJahre habe ich ein Jahr lang mit meinemProfessor in Harvard das Werk von Francesoda Milano durchgeschaut und jede Fantasieanalysiert.PP: Das muss John Ward gewesen sein. Und Ar-thur Ness hat die Ausgabe geschrieben.HS: Ja Ward , einer der ganz Großen deramerikanischen Musikwissenschaft. ArthurNess hat bei ihm studiert und er hat seineFrancesco-Arbeit betreut.Und John Ward war nicht nur ein sehr präzi-se arbeitender Historiker, er hatte auch einsehr scharfes Auge und sehr gute Ohren fürMusik. Wir haben jede Analyse diskutiertund ich habe gespielt … damals sehr beein-flusst von der Gitarre. Aber immerhin, daswar ein Teil des Projekts. Und damals sindviele Erkenntnisse über Francesco für michangelegt worden. Danach ging ich nach Ba-sel, habe viel Barockmusik gemacht mit Vi-huela und Barockgitarre. Francesco da Mila-no blieb auf Sparflamme. Aber er hat michimmer gereizt.Und dann wusste ich natürlich, dass er zuseiner Zeit überall als „Il Divino“ bekanntwar, als der Göttliche. Ich habe mich ge-fragt, wie man eine so komplexe Musik inunsere Zeit bringen kann. Und: Wie kannman das Göttliche in seiner Musik in unsereZeit bringen? Die Leute damals vor fastfünfhundert Jahren müssen hypnotisiert ge-wesen von seinem Spiel. Er muss als Musikereine unglaubliche Präsenz gehabt habenund ich habe mich gefragt, wie ich diesesGöttliche Konzertbesuchern von heute be-greiflich machen kann, die keine „professio-nellen Zuhörer“ sind. Ich wollte es probie-ren.Der spanische Musiker Salinas, der viele Jah-re in Rom gelebt hat, hat einmal geschrie-ben, er habe Francesco da Milano vor PapstPaul III. improvisieren gehört und zwarüber ein Tanzthema. Ein Tanzthema wie ei-ne Bergamesca oder wie Conde Claros. Wirhaben aber von Francesco keinen Ton Tanz-musik überliefert. Nur Ricercari, Fantasienund Intavolierungen. Ich habe also gedacht,dass ich ein ausgewogenes Programm mit

Musik von Francesco machen wollte, dassdas aber nicht geht ohne Tanzmusik. Ichhätte also Tanzmusik aus der Zeit nehmenkönnen, von Pietro Paolo Borrono zum Bei-spiel oder solche, die Castigliono 1536 ge-druckt hat, das sind alles wirkungsvolle Tän-ze, aber sie sind anders inspiriert als dieStücke von Francesco.Also habe ich fünf Tänze geschrieben, dieinneren Zusammenhalt mit den Fantasienhaben. Ich wollte Tanzmusik einbringen, dieirgendwie mit den Ricercari korrespondie-ren.PP: Sind das ostinate Tanzformen?HS: Nein, das sind freie Tanzformen. Eine Pa-vane zum Beispiel. Für eine der e-f-e-Fantasi-en habe ich eine Pavane geschrieben, in derdas Thema wieder erscheint.PP: Weiß du denn, warum in den zahlreichenDrucken mit Stücken von Francesco keine Tän-ze erscheinen?HS: Die einzige Erklärung, die ich mir vor-stellen könnte ist, dass es für Francesco un-ter seiner Würde war, solche Musik aufzu-schreiben. Oder vielleicht hat er gedacht,dass Tänze nur Musik für den Moment sindund nicht ausgeschrieben werden. Nichts,was man polieren und perfektionieren soll-te. Das Improvisieren war auf einem sehrsehr hohen Stand damals, nicht nur, wasTanzmusik angeht, sondern auch für poly-phone Musik! Das wäre meine einzige Er-klärung!PP: Arthur Ness wusste ja, als er seine Ausga-be zusammenstellte, von einer wichtigen Fran-cesco-Quelle, war aber nicht in der Lage, einExemplar davon zu finden. Ein paar Jahre spä-ter stellte man dann fest, dass die BibliothèqueNationale in Paris ein Exemplar besaß und da-von kam dann auch ein Faksimile heraus. DasBuch heißt: INTAVOLATVRA DE VIOLA O VEROLAVTO und ist 1536 in Neapel erschienen. Dasheißt, Francescos Musik ist auch auf der Violagespielt worden, dem italienischen Pendant derspanischen Vihuela. Bestand insgesamt einAustausch, was das Repertoire angeht? Schließ-lich wird die Frage immer wieder gestellt, war-um so wenig Musik für Vihuela überliefert ist.Die haben einfach Lautenmusik gespielt … undumgekehrt.HS: Zwischen Valencia und Neapel bestan-den enge Beziehungen. Politisch und kultu-rell. In dem Buch voin Luis Milan steht zumBeispiel über die Pavanas: „wie sie Italien ge-spielt werden“. Wir wissen auch, dass Luys deNarváez einmal in Rom war und sicher auchvon Francesco da Milano beeinflusst wordenist … aber natürlich ist unser Wissen lücken-haft. Wir wissen über das Repertore der Vi-huelisten zu wenig, da sind sicher noch vieleEntdeckungen zu erwarten. Milan hat gesagt, der einzige Lehrer, den erje gehabt hat, sei „la música misma“, dieMusik selbst. Aber für Vihuela ist eine sohoch entwickelte und anspruchsvolleSchreibweise angewandt worden, dass mansich das nicht vorstellen kann. Die zweite

Hälfte des Buches von Milan zum Beispielwird kaum gespielt, weil die Musik so an-spruchsvoll ist. Milan war der Erste, der einBuch herausgegeben hat und er sagt, er ha-be keinen Lehrer gehabt … aber er muss einVorbild gehabt haben, jemanden, der ihmvorgespielt hat. Wer ist das wohl gewesenund auf welchen Instrumenten haben siegespielt? Was haben sie gespielt? Hatte das,was Milan gehört hat, eine gewisse primiti-ve Dimension?PP: Gibt es keine Belege für die Vorgeschichteder Vihuela?HS: Na ja, Bermudo hat etwas geschriebenund er hat auch Namen genannt von Musi-kern vor Milan.PP: Guzman?HS: Ja, Claro Guzmán zum Beispiel.PP: Aber ist nicht das Bermudo-Buch erst 1555erschienen? Ich finde es auf jeden Fall interes-sant, dass die ersten Tabulaturen von Frances-co da Milano und der Maestro von Milan 1536erschienen sind.HS: Kennst du Franco Pavan, den Francesco-Forscher in Mailand?PP: Nein!HS: Er hat mir erzählt, dass es in der Zeit,als Francesco da Milano im Dienst des Pap-stes in Rom war, verboten war, Musiken zuveröffentlichen, die im Päpstlichen Dienstentstanden waren. Vielleicht war es kein ge-schriebenes Verbot, aber es war ein unge-schriebenes Gesetz: Musik, die hier für denPapst geschrieben worden ist, darf nirgendssonst gespielt oder veröffentlicht werden.Das war private Musik. Im Jahr 1536 habenwir plötzlich zwei Tabulaturdrucke in Vene-dig, einen in Mailand und den schon er-wähnten in Neapel.PP: Gibt es da viele Konkordanzen?HS: Na, die beiden Venezianischen Druckesind identisch.PP: Sind sie beim gleichen Drucker entstan-den?HS: Nein, die Drucker sind unterschiedlich.Es hat schon Raubdrucker gegeben in diesenZeiten. Gardano war so einer. Der hat nurunerlaubte Nachdrucke hergestellt. Aberhier, im Fall Franceso da Milano weiß ichnicht genau! PP: Aber wenn im gleichen Jahr in Italien undin Spanien solche Drucke herauskommen, wardas den beiden Seiten bekannt? Hat Milan vonFrancesco gewusst und umgekehrt?HS: Ich glaube, dass es eher Zufall war.Aber ist es nicht so, dass ein Lautenist vielZeit mit Forschungen verbringt? Wir habenhistorische Forschungen zu tun und For-schungen am Instrument selbst. Wenn inpolyphonen Stücken jede Stimme ihr eige-nes Leben hat, bedarf es sehr feinen Su-chens … ich denke jetzt an die Fantasie 41[HP singt die Melodie. Die Numerierung be-zieht sich auf die Ausgabe von Arthur Ness,The Lute Music of Francesco Canova da Milano(1497—1543) Volumes I and II, Cambrid-ge/Mass. 1870, Harvard University Press).

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 13

Die Fantasie besteht aus drei Teilen, derzweite ist ein zweistimmiger Kanon auf derOktave und Peter, du kannst dir kaum vor-stellen, wie lange ich gebraucht habe, diebeiden Stimmen so zu spielen, dass sie klarnebeneinander stehen und sich voneinanderabsetzen, so, wie Glenn Gould es auf demKlavier gemacht hätte. Ich bin sicher, dassGlenn Gould einer der interessantesten In-terpreten von Francesco da Milano gewesenwäre. Jemand, der sich von Polyphonieernährt hat ist bei Bisschen wie Francesco.PP: Kristallklar …HS: Nicht nur kristallklar, sondern auch voll-er Liebe. Ich meine jetzt nicht diese ham-merharten Bach-Interpretation, sondern eherOrlando Gibbons, den er ja auch gespielthat.PP: Übrigens, bei aller Leidenschaft für GlennGould, die wir ja offenbar teilen: Ich habe ei-ne Aufnahme mit Mozartsonaten von ihmgehört, mit der ich überhaupt nichts anfangenkann.HS: Zu Mozart hat er gesagt: Mozart istnicht zu früh, sondern zu spät gestorben.PP: Auf der Platte hat er die kleine Sonata faci-le gespielt, und zwar …HS: … wie ein Witz, oder?PP: Gab es in Italien Mitte des 16. Jahrhun-derts Lautenisten, die mit Francesco da Milanoqualitativ vergleichbar sind?HS: Borrono vielleicht. Er hat in vielen Publi-kationen mit Francesco zusammengearbei-tet. Borrono hat oft die Tänze geschriebenund Francesco die polyphonen Stücke. Esgibt auch ein paar Fantasen von Borrono,aber ich bin nicht wirklich ein Experte fürseine Musik. Aber seine Fantasien stehenstrukturell und von der thematischen Ent-wicklung her weit hinter Francesco. Die Tän-ze sind sehr unterschiedlich. Bei manchenhabe ich den Eindruck, sie seien aus einer„Improvisationsmaschine“ gekommen. DieInspiration ist total anders als bei Frances-co. Francesco konnte mit geringen melodi-schen Mitteln perfekte polyphone Strukturenentwickeln, die sehr fundamental sind. Die-se Fähigkeit macht sicher einen Teil seinerGöttlichkeit aus. Die Perfektion, eine zwei-oder dreistimmige Textur so perfekt auszu-balancieren, dass man den Eindruck hat,man brauche nicht mehr von der Laute, diessei das Höchste, das man darstellen kann.PP: Wer waren eigentlich die Konsumenten derTabulaturbücher und wie hoch waren die Auf-lagen?HS: Das ist eine gute Frage! Ich glaube, dieAuflagen waren größer, als wir denken.Wenn ich mir das Buch von Baldassar Castig-lione vornehme, Il Cortegiano, dann leseich, dass das Viola-Spielen, und gemeint istdie gezupfte Viola, das Pendant zur Vihuelaalso, zur Ausbildung gehobener Kreisegehört hat. Es muss also eine große Schichtreicher, gebildeter Leute gegeben haben, diedie Tabulaturen gekauft haben. Und die pro-fessionellen Musiker werden auch nicht nur

ihre eigenen Stücke gespielt haben, sondernauch die von Kollegen. Auch die haben dieBücher gekauft. Also, ich denke, dass dieAuflagen ziemlich groß waren.Und Francesco wurde „der Göttliche“ ge-nannt, das heißt, er muss ziemlich bekanntgewesen ein … das Phänomen haben wirheutzutage auch. Dem Pianisten ArturSchnabel sagte man nach, dass man nach ei-nem seiner Konzerte „innerlich gereinigt“war. Oder über Glenn Gould selbst wurdeeinmal geschrieben, man könne nur „mittheologischen Vokabeln“ seine Spielweisebeschreiben. Mozart, der als Spieler, Kompo-nist und Improvisator ähnlich war wie Fran-cesco da Milano, sagte man nach, er kämevom Himmel. PP: Ich hoffe also auf eine Göttliche Francesco

da Milano-CD. Vielen Dank für das Gespräch!

DieBach-Gesamtausgabefür GitarreSämtliche Lautenwerke vonJohann Sebastian Bach für Gitarreeingerichtet von Ansgar Krause

Ansgar Krause hat in den letzten Jahren alleLautenwerke Bachs kompetent für sein In-strument eingerichtet und dabei vielfachneue Wege beschritten, nicht zuletzt in derWahl der Tonarten. Die Bearbeitungen Krau-ses klingen überzeugend und unverbraucht – sie sind im Konzert erprobt und auf CDdokumentiert. Durch die Erwähnung derAbweichungen vom Lauten-Original liegentextkritische Editionen vor.

� Suite g-moll BWV 995EB 8232 € 8,90

In seinem Vorwort begründet Krause dieWahl der Tonart g-moll, mit der sich seineVersion von den gängigen a-moll-Einrich-tungen unterscheidet. Die Bearbeitungnähert sich so Bachs Violoncello-Satz, der derLautenfassung eigentlich zu Grunde liegt.

� Suite e-moll BWV 996EB 8233 € 7,90

� Partita c-moll BWV 997EB 8234 € 9,50

Krause lehnt bei BWV 997 den üblichen Titel„Suite“ als stilistisch und das gängige a-mollals satztechnisch problematisch ab, lässt dasüberzeugendere h-moll greifen bzw. (mitKapodaster) das originale c-moll erklingen.

� Prelude, Fuga und Allegro BWV 9985771002 € 9,50

� Prelude BWV 999 & Fuganach BWV 1000, 1001 und 539EB 8235 € 7,90

Die bei J. S. Bach oft mehrschichtige Überlie-ferung wird überzeugend genutzt: für dieFuge BWV 1000 liefert stellenweise Bachseigene Bearbeitungstechnik für Orgel (inBWV 539) gitarrengerechte Lösungen.

Weitere Bach-Bearbeitungen von Ansgar Krause im Katalog «Edition Breitkopf».

www.breitkopf.de

Breitkopf Härtel

NEU

NEU

14 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE …

alle zwei Monate unter

www.MusiCologne.eu

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 15

Gesch

ich

te d

er

Lau

ten

mu

sik

an

ha

nd

versch

ied

en

er C

Ds (

ein

ige g

an

z n

eu,

ein

ige w

en

iger)

er

hlt

vo

n P

eter P

äff

gen

Die älteste uns überlieferte Lautenmusik stammtaus dem 15. Jahrhundert. Damals konnte man nochkeine Noten oder Tabulaturen drucken, aber es gibteinige wenige handschriftliche Aufzeichnungen.Die Menge an insgesamt aus der Zeit von vor 1500überlieferter Musik wird beherrscht von Kirchenmu-sik … aber natürlich wurde auch ganz weltlich undvolkstümlich musiziert, gesungen und getanzt. Nuraufgeschrieben wurde diese Musik nicht … odersehr selten. Weltliche Musik wurde durch mündlicheTradition weitergegeben. Lesen und Schreiben konn-ten ohnehin hauptsächlich Ordensleute.Als dann kurz nach 1500 die ersten Lautenta-bulaturbücher gedruckt wurden,waren darin zunächst haupt-sächlich sakrale Stückeveröffentlicht, bear-beitet für Laute.Aber es warenauch „echte“Lautenstückeenthalten:PräludienPraeam-beln,Fanta-sienoder Ri-cercari… früheBeispie-le über-lieferterInstru-mentalmu-sik. DieLaute und ih-re Spieltechnikhatten sich im15. Jahrhundertsehr rasch entwickeltvon einem vierchörigenInstrument, das mit Plektrumangeschlagen wurde, zu einem fünf-bis sechschörigen, das zunächst mit Daumen undZeigefinger und dann auch mit dem Mittelfinger derrechten Hand gezupft worden ist. Mit dem Plektrumwar naturgemäß nur einstimmiges Melodiespielmöglich, jetzt konnte sich langsam instrumentalePolyphonie entwickeln.Wir reden, wenn von den ersten gedruckten Lauten-tabulaturen die Rede ist, von Venedig und da vondem „ersten Musikverleger der Weltgeschichte“: Ot-taviano Petrucci (1466—1539). Er hatte den Druckvon Noten und Tabulaturen mit beweglichen Let-tern entwickelt und besaß ein „Privileg“ seitens des„invictissimi dominii Venetiarum“ für die Herstellungund Verbreitung von Lautentabulaturen. Für zwan-zig Jahre sollte er der Einzige sein, der in Venedigsolche Drucksachen herstellen durfte.Zunächst entstanden einige Drucke in Mensuralno-tation, darunter die berühmten Bände „Odhecaton“von 1501 und 1503 und schließlich, im Jahr 1507,die erste Tabulatur: „Intabulatura de Lauto“ von

Francesco Spinacino, aufgeteilt in zwei Bände: „Li-bro primo“ und Libro secondo“. Von den beidenBänden, aber das nur am Rande, war bis zum Aus-bruch des Zweiten Weltkriegs nur je ein Exemplarerhalten, und zwar in der Staatsbibliothek in Ber-lin. Die Bücher sind seit dem Krieg verschollen. DieBibliothèque Nationale in Paris besitzt Fotos derBerliner Bücher in reproduzierbarer Qualität undanhand dieser Dokumente ist bei Minkoff in Genf1978 eine Faksimile-Ausgabe erschienen.

Francesco Spinacino: Intabulature de lauto

Massimo Marchese, liuto

Aufgenommen im Januar 2005, erschienen

2006

TACTUS (TC 451901,

www.tactus.it, in

Deutschland bei Klas-

sik Center Kassel)

… hätte ich mir

noch etwas wage-

mutiger vorge-

stellt …

PPP

Erwartungs-gemäß hatMassimoMarchesefür dieseCD haupt-sächlich die„echten“

Lautenstückeals Programm

zusammenge-stellt und nicht

die Intavolierun-gen, obwohl die

1507 in der Überzahlwaren. Und doch be-

ginnt das Programm mitder berühmten Chanson

„Adieu mes amours“ von JosquinDesprez (ca. 1440—1521), zur damaligen

Zeit ein „Schlager“, wenn man sieht, wie viele Lau-

16 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

tenisten und Vihuelisten sie in ihrem Reper-toire hatten, unter ihnen Hans Gerle, HansNewsidler und Enriquez de Valderrábano,um nur ein paar zu nennen. Ansonsten gibtes 18 Recercari, ein paar weitere Intavolie-rungen und einen „Bassadans“ – auch er istin dem Buch von 1507 eine musikhistorischeBesonderheit, weil er, zusammen mit denRecercari, ein sehr frühes Beispiel autono-mer Instrumentalmusik darstellt … aber derEindruck, das Repertoire der Spinacino-Bü-cher habe überwiegend aus eigenständigenInstrumentalstücken bestanden, ist falsch.Dort überwiegen Intavolierungen.In welche Welt entführt uns der LautenistMassimo Marchese? Wir befinden uns 1507am Anfang der Neuzeit. Vor ein paar Jahrenhat Gutenberg in Mainz das Drucken mit be-weglichen Lettern erfunden, Kolumbus hatdie Welt um eine weitere, eine „Neue Welt“erweitert, Martin Luther hat Dogmen in Fra-ge gestellt, die bis dahin als Gottgegebengalten. Vieles war in Bewegung geraten undsetzte einen neuen Menschen voraus, einenMenschen, der an Bildung und Kultur teil-hatte. Dieser neue Mensch entstand und diegesellschaftlichen Neuerungen wurdendurch Entwicklungen wie etwa die Erfin-dung von Buch- und Notendruck ermöglichtund gefördert. Schon das erste Tabulatur-buch von Spinacino/Petrucci enthält Anwei-sungen für das Lautenspiel, und zwar zuerstauf Lateinisch: „Regula pro illis qui canere

nesciunt“ und dann auf der gleichen Seitenoch auf Italienisch: „Regola per quelli che

non sanno cantare“. Das Lateinische, alsSprache der Gebildeten, wurde Schritt fürSchritt durch die jeweiligen Landessprachenabgelöst und damit wurde Bildung weiterenSchichten ermöglicht.Die Stücke bei Petrucci waren intelligente,feine Mittel der Unterhaltung. Ein paar Stü-cke für zwei Lauten sind eingeflochten,dann gibt es die populärsten Vokalkomposi-tionen der damaligen Zeit in durchaus an-spruchsvollen Bearbeitungen und schließlich

die Recercari, die meist zweistimmig sindund aus mehr oder weniger lebhaften Lei-tern und Figuren bestehen, idiomatischeWendungen einschließen und mit polypho-nen Kompositionstechniken liebäugeln … ja,mehr als Liebäugeln ist es nicht, ein Probie-ren mit Sequenzierungen und Imitationen.Das Spiel dieser für die Zeit wagemutigenStücke hätte ich mir noch etwas wagemuti-ger vorgestellt, freier und auch virtuoser,spielerischer … aber das ist Auffassungssa-che und hat Nichts mit Authentizität oderRichtig oder Falsch zu tun. Massimo Marche-se hat uns seinen Eindruck davon übermit-telt, wie vor rund fünfhundert Jahren Lautegespielt wurde.Nicht lange nach Spinacino und Petrucci ka-men auch Tabulaturdrucke und Unterweisun-gen im Lautenspiel auf Deutsch und Franzö-sisch heraus. Erwähnen kann man für diedeutsche Sprache Sebastian Virdungs „Musi-ca getutscht“ (1511) oder Arnolt Schlicks„Tablaturen Etlicher Lobgesang und lidlein“(1512) sowie auf Französisch zwei Veröffent-lichungen des Pariser Druckers und Verle-gers Pierre Attaingnant (ca. 1494—1551/52).Er brachte in den Jahren 1529 und 1530 eineLautenschule und ein Tablaturbuch heraus,derer sich Hopkinson Smith mit einer CDangenommen hat.Die Sprache der Unterweisungstexte ist da-bei nicht alles, worin sich die Lautenbücherunterschieden. In Italien, Deutschland undFrankreich wurden jeweils andere Tabulatur-systeme verwendet, die heute nach den je-weiligen Ländern ihrer Entstehung italieni-sche, deutsche und französische Lautentabu-latur genannt werden. Schon im frühen 16.Jahrhundert, in den ersten Dezennien desPublizierens von Lautenbüchern, waren diedrei Systeme, wie man sieht, schon voll aus-gebildet.

Pierre Attaingnant: imprimeur et librai-

re en musique du Roy

Hopkinson Smith, lute

Aufgenommen im November 2001, erschie-

nen 2002

ASTRÉE naïve E 8854 (in Deutschland bei

Helikon, Eppelheim)

… Alles aus einem Guss …

PPPPP

Was hat sich an der Laute und ihrer Spiel-weise in den knapp dreißig Jahren seit Spi-nacino verändert? Sie, die Laute, war zwarimmer noch sechschörig, ihre Spielweisemachte aber insofern Fortschritte, als dieTechniken der rechten Hand immer ausge-feilter wurden und daher mehr Möglichkei-ten des Spiels voneinander unabhängigerStimmen boten. Das heißt: Einem wirklichpolyphonen Spiel stand immer weniger imWeg.

Die beiden Tabulaturen, aus denen Hopkin-son Smith hier eine Auswahl eingespielthat, sind dafür allerdings nicht das besteBeispiel. In beiden sind einige Tänze veröf-fentlicht, und die sind naturgemäß eher ho-mophon. Und auch die Chansons, die meis-ten davon sind von Claudin de Sermisy (ca.1490—1562), dessen Hauptverleger Attaing-nant war, stammen nicht aus dem Reper-toire der großen, vierstimmig-polyphonenWerke, deren Blütezeit jetzt, nach 1520, erstwirklich begann. Intavoliert finden wirhauptsächlich einfachere, meist dreistimmi-ge, imitatorische Werke. Aber gleichwohl:Seit Spinacino waren gerade gut zwanzigJahre vergangen und wir hören, wie weitLautenisten mittlerweile in der Lage waren,komplexere musikalische Strukturen auf ihrInstrument zu übertragen.Und wie seine Kollegen vor 500 Jahren ver-mutlich auch, hat Hopkinson Smith nichtsklavisch Ton für Ton aus seiner Tabulatur-vorlage gespielt. Die, wie Claude Chauvel inseinem Begleittext schreibt, qualitativ nichthomogenen Arrangements, hat er teilweisevariiert und ergänzt. Er ist zurückgegangenzu den Quellen, die auch Attaingnants Bear-beitern zur Verfügung gestanden haben, erhat sich in die Person eines Lautenisten desfrühen 16. Jahrhunderts zu versetzen ver-sucht, um so zum Beispiel die Überschriftenund Namen der Tänze zu verstehen … undso ist er zum Improvisator geworden, wiees seine Kollegen vor 500 Jahren sicher auchwaren. Die Musik, die hier in Tabulaturbuch-staben gedruckt vorliegt, ist den Käufernund Benutzern der Bücher bekannt gewesenund vermutlich haben sie mehr gespielt, alsin den Büchern stand. Sie haben um das auf-geschriebene Stück herum fabuliert und er-zählt, sie haben sich an der Musik erfreutund dabei sind sie ins Tanzen und Singengekommen … und Hopkinson Smith hat ver-sucht, sich in genau diese Situation zu ver-setzen: „My hope with these pieces ist hat this

somewhat creative approach will give not only

an accurate but above all a dynamic picture

of the rich and highly colorful spirit of French

court dance music of the 1520’s.“ Es lohntsich, einmal anhand der Tabulatur oder ei-ner Ausgabe zu vergleichen, was da tatsäch-lich steht, und was der Interpret hinzuim-provisiert hat. Das Gesamtgefüge ist näm-lich so geschlossen und so dicht, dass nie-mand auf den Gedanken kommt, an der Mu-sik sei fünfhundert Jahre nach ihrem Entste-hen herumgedoktert und manipuliert wor-den. Alles aus einem Guss, außerordentlichlebhafte, vitale Musik, die nie so gewirkthätte, hätte der Interpret sich nicht ein Herzgefasst und den hie und dort unkreativenBearbeitern im Hause Attaingnant ins Hand-werk gepfuscht.

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 17

Zum Thema Intavolierungen ist noch eineinteressante CD mit Musiken von ValentinBakfark (1527—1576) zu empfehlen. Sie ent-hält Chansons, unter anderem von Claudinde Sermisy und Josquin Desprez, von denenschon die Rede war; Messesätze, unter ande-rem ein Kyrie von Thomas Créquillon(1480/1500—1557) und ein Santus von JeanMouton (1459—1522) oder Madrigale wie„Si grand è la Pietá“ von Jacques Arcadelt(1505—1568).

The Voice of Bakfark: Vocal Works by De-

sprez, Clemens non Papa, Arcadelt etc.

Voces Æquales, István Györi, Lute

Aufgenommen im Juli 2006, erschienen

2007

Hungaroton (in Deutschland bei Klassik

Center Kassel) HCD 32412

… weit mehr als eine musikhistorische

Demonstration …

PPP

Die Kompositionen werden einmal in ihreroriginalen Form vorgetragen, also gesun-gen, und einmal in der Intavolierung vonValentin Bakfark. Voces Æquales ist nur mitMännerstimmen besetzt, daher der Name,und spezialisiert auf Musik des 15. und 16.Jahrhunderts. Wie sehr die Lautenisten des16. Jahrhunderts noch mit der Vokalmusikverbunden waren, zeigt Bakfarks FantasieVIII, die erst in jüngeren Forschungen alsdie Intavolierung der Chanson „Des Muysennuys“ von Arcadelt erkannt worden ist.Sie ist genau übertragen und bisher als po-lyphone Instrumentalkomposition von derHand Bakfarks bewertet worden.Die musikalisch höherwertigen oder mindes-tens interessanteren Interpretationen dieserCD bietet das Ensemble Voces Æquales. Ist-ván Györi, der Lautenist, hat Mühe, in denmitunter über vier Minuten dauernden Inta-volierungen die Spannung zu halten … aber,zugegeben, das ist sehr schwer, weil die Zu-hörer a. anders als ihre Vorgänger vor fastfünfhundert Jahren die vokalen Vorlagen

nicht kennen und b. nicht mehr gewöhntsind, konzentriert solchen komplexen, vier-stimmigen Sätzen zu folgen.Diese CD ist weit mehr als eine musikhisto-rische Demonstration, wird aber wegen ih-res heterogenen Klangangebots vermutlichkaum anders zu konsumiert.Dass solistische Musik nur ein sehr kleinerTeil dessen ist, was im 16. bis 18. Jahrhun-dert auf den Instrumenten der Lautenfami-lie gespielt worden ist, muss nicht erwähntwerden. Vielfach ist sie in der Kammermu-sik eingesetzt worden, zur Gesangsbeglei-tung und als Continuo-Instrument.Die Handschrift, um die es im folgendengeht, trägt den Titel: „Il Libro di CosimoBottegari Fior[entin]o et Cameriere delser[enissi]mo duca Alberto di Baviera“ undwird in der Biblioteca Estense in Modenaaufbewahrt [RISM:I-MOe]. Entstanden istsie nach 1574.

Cosimi Bottegari: Il Libro di canto e

liuto

Santina Tomasello, voce, Gian Luca La-

straioli, liuto, cetra e chitarra (Prima

registrazione mondiale)

Aufgenommen im Januar 2001

TACTUS (TC 552701, www.tactus.it, in

Deutschland bei Klassik Center Kassel)

… fürstliche Unterhaltung …

PPPP

Cosimo Bottegari (1554—1620) stand, wieder Titel sagt, zur Zeit der Niederschrift derHandschrift in Diensten von Herzog Al-brecht V. von Bayern (1528—1579) in Mün-chen, zusammen mit Orlando di Lasso übri-gens, mit dem er im Streit lag, wie aus derKorrespondenz ersichtlich ist (s. „Bottegari-Affäre“ in der Lasso-Literatur!).Die Handschrift enthält 126 Kompositionenfür Gesang mit Lautenbegleitung, fünf In-strumentalwerke, achtzehn Gedichte ohneVertonung und einige Seiten Prosa. Ein Drit-tel ist von Bottegari komponiert, der Restbesteht aus Stücken zeitgenössischer Kom-ponisten, die Bottegari für die BesetzungGesang mit Lautenbegleitung arrangierthat. Die auf der vorliegenden CD eingespiel-ten Stücke sind von verschiedenen Kompo-nisten, auch wenn das aus der Tracklist lei-der nicht hervorgeht. Aber „Susanne unjour“ erscheint so oft in Tabulaturbücherndes 16. Jahrhunderts, dass auch dem unge-übten Betrachter klar wird, dass die Vorlagevon Orlando di Lasso stammt. Das Gleichegilt für „Vestiva i colli“ von Palestrina.Die meisten der eingespielten Stücke sindstrophisch, oft werden in rezitativischemTon Geschichten erzählt. Geschichten überdie Liebe, Klagen und mitunter auch bitterironische Kommentare.Die Star dieser Aufnahme ist, wie kann esanders sein, nicht der Lautenist Gian Luca

Lastraioli, der seine Rolle als Begleiter zu-verlässig ausfüllt. Nein, herausragend istdie Sängerin Santina Tomasello, die nichtnur glockenklar und in wohltuenderSchlichtheit die Lieder vorträgt, sonderndie auch hie und dort theatralisch Sinnge-halte unterstreicht und ausdeutet … neinauskostet und fast opernhaft-kabarettistischüberzeichnet.In einem seiner Lieder hat Cosimo Bottega-ri übrigens die Umgangsformen in seinerbayerischen Umgebung aufs Korn genom-men – dort stand er, als das Buch zusam-mengestellt wurde, in Diensten. Suppe,Kraut, Stockfisch und viel Bier … dort warenwohl die Sitten damals schon derber. DiesesLied „Mi stare pone totesche“ singt übri-gens nicht Santina Tomasello, sondernAmerigo Bernardi aus einer Gruppe Musi-ker, die insgesamt das Programm an der ei-ne oder anderen Stelle klanglich aufpeppen– wie in einer „jam session“, so heißt es imProgrammheft.Keine großen musikalischen Überraschun-gen erwarten Sie hier, keine epochalenKunstwerke, dafür aber ein Programm mitLiedern des 16. Jahrhunderts, die auch da-mals schon zu nichts anderem als dazu ge-schrieben und in der vorliegenden Hand-schrift zusammengestellt worden sind, alsZuhörer und sicher auch Ausführende fürst-lich zu unterhalten.Nach England kam die Laute, die auf demKontinent zur Königin der Musikinstrumen-te geworden war, erst spät … lange, nach-dem in Italien, Deutschland und Frankreichdie ersten Tabulaturen gedruckt wordensind. 1568 erschien London ein erstes Lehr-werk „A Briefe and easye instruction to le-arne the tableture“, die englische Überset-zung einer Schule von Adrian Le Roy, dieschon 1557 in Paris herausgekommen warund danach 1570 und 1583 in Neuauflagen.Kein Exemplar der drei französischen Aufla-gen ist heute nachweisbar.

18 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

… Das kann er sehr gut! …

PPPP

Anthony Holborne steht für uns, 400 Jahrenach seinem Tod, ganz im Schatten des alleüberstrahlenden, großen John Dowland(1563—1626). Der aber widmete sein zwei-tes Liederbuch im Jahr 1600 dem „Allerbe-

rühmtesten Anthony Holborne“, seinemFreund und Kollegen … dessen Nachfolger inhöfischen Diensten er gern geworden wäre.Nichts hat der große Dowland sein Lebenlang so gewünscht wie eine Anstellungbeim Hofe seiner „most Sacred Queen“ Eliza-beth I. (1533/1553—1603) – aber sie, dieAnstellung, blieb ihm versagt. Man munkel-te, er sei nie in höfischen Dienst genommenworden, weil er an seinem katholischenGlauben festhielt, obwohl Henry VIII., Eli-zabeths Vater, aus gegebenem Anlass seineeigene Kirche gegründet hatte und sie, die„Church of England“, seinen Untertanennicht ans Herz gelegt sondern ans Herz be-fohlen hatte.Elizabeth, eine kunstsinnige, liberale undweltoffene Frau, hatte Anthony Holborne an-gestellt. Viel weiß man nicht über dessen Le-ben, wohl aber, dass er „Gentleman Usher to

the most Sacred Queen Elizabeth of England“war – so jedenfalls steht es in dem bereits

erwähnten Buch „Varietie of Lute Lessons“von Robert Dowland, Johns Sohn. Dort isteines der Stücke von Holborne abgedruckt.Lee Santana, der Interpret dieser CD, steu-ert noch ein paar Informationen bei. Er ha-be „ca. fünf Töchter und einen Sohn“ ge-habt, zum Beispiel … so sicher sind unsereInformationen über den „AllerberühmtestenAnthony Holborne.“Was wir von ihm kennen, sind Kompositio-nen. Ein Buch mit Consort-Musik ist 1599 ge-druckt worden „Pavans, Galliards, Almains

Kommentarlos übernahm der Übersetzer derLe Roy-Schule, ein J. Alford, die französischeTabulatur, und dabei sollte es auch bis zumEnde der englischen Lautenmusiktraditionbleiben. Die „Instruction“ von Le Roy er-schien dann 1574 noch einmal auf Englisch,diesmal übersetzt von einem F. K. E. Gentle-man. Zwei weitere gedruckte Anthologienenglischer Lautenmusik sind uns überliefert,William Barleys „A New Booke of Tabliture“von 1596 und das (ge)wichtige Buch „Varie-tie of Lute Lessons“ von Robert Dowlandaus dem Jahr 1610, außerdem wurde das ei-ne oder andere Stück in Büchern mit Lauten-liedern veröffentlicht. Alle anderen Werkedes großen Repertoires englischer Lauten-musik sind aber ausschließlich handschrift-lich überliefert, auch die Stücke von Antho-ny Holborne.

Cradle of Conceits: Lee Santana – Anto-

ny Holborne

Fantasies, Airs and Dances composed by

Anthony Holborne (1545—1602) played

on Lute, Cittern and Bandora by Lee San-

tana

Erschienen 2008

carpe diem-Schallplatten CD 16272 (in

Deutschland bei Klassik Center, Kassel)

Raphael Sadeler I. (1561–132)

„Amor“ aus einer Folge von

8 emblematischen Darstellungen,

Kupferstich nach einem Gemälde

von Maerten de Vos (1532–1603),

Kunstsammlung Veste Coburg,

Bildarchiv Gitarre & Laute, Köln

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 19

Lorenzino del Liuto

Giovanni Pierluigi da Palestrina – Or-

lando di Lasso Cipriano de Rore

Marco Pesci, Laute

Aufgenommen im März 2004, erschienen

2006

NAXOS 8.570165

… komplexe Kompositionen …

PPP

Drei Komponisten sind auf dieser CD ange-geben, dabei sind alle Stücke von ihm, vonLorecino del Liuto, mit bürgerlichem NamenLorenzo Tracetti (ca. 1552—1590). Rätsel?Natürlich nicht! Alle Stücke dieses CD-Pro-gramms sind von dem Lautenisten geschrie-ben und veröffentlicht, nur sind einige da-von Intavolierungen von Vokalwerken, dieursprünglich Palestrina, Lasso oder Ciprianode Rore geschrieben haben.Lorenzo kennt man, weil seine Stücke in ver-schiedenen Anthologien mit Lautentabulatu-ren erschienen sind, unter anderem in demKölner Lautenbuch von Jean Baptiste Besard:„Thesaurus Harmonicus“ von 1603, auf des-sen Titel Lorenzos Name sogar mit großenLettern als Ausweis höchster künstlerischerQualität benutzt wird (s. Abbildung). Aberauch in dem schon erwähnten Buch „Varie-tie of Lute Lessons“ von Robert Dowland fin-

ist eine Art Kreativvorlage. Mal mehr malweniger wird um sie herum oder von ihrausgehend „gespielt“, meistens aber, umhier Spekulationen zu vermeiden, nah amText und immer sehr nah am Zeit- und Per-sonalstil. Was „Playfellow“ angeht, warnt erseine Zuhörer schon im Booklet: „Manchmal

[…] hat sich die Freiheit wohl etwas verselb-

ständigt und ist über die Stränge geschlagen.“Lee Santana spielt nicht so elaboriert leicht-füßig, wie wir es von Paul O’Dette und sei-nen Interpretationen englischer Lautenmu-sik kennen … und das meine ich wenigertechnisch, als es sich vielleicht anhört. Nein,ich beziehe mich dabei auf die Leichtigkeit,mit der man Musik schwingen lassen, mitder man seine Zuhörer an rhythmischen Im-pulsen teilhaben lassen kann. Aber das istetwas sehr zartes, fragiles und offenbarnicht Lee Santanas Ding. Der ist eher derGaillarden-Lautenist und weniger einer fürPavanen. Auch Tombeaux gelingen ihm weitweniger überzeugend als diese kleinen Cha-rakterstücke, die Holborne so gern einge-streut hat, und die Lee Santana immer wie-der dazu verleiten, den Faden in ihrem Sinnweiter zu spinnen und zu fantasieren. Daskann er sehr gut!

… in Five Parts“, eine Zister-Schule schonzwei Jahre vorher: „The Cittharn Schoole“.Stücke von Holborne sind in Lautenbücherauf dem Kontinent aufgenommen worden,andere finden wir in Handschriften. Mehrwissen wir nicht, und das obwohl Brian Jef-fery über Holborne promoviert hat, nichtüber Sor, und obwohl Masakata Kanazawaschon 1967 in der Harvard-Reihe eine Ge-samtausgabe seiner Werke herausgebenkonnte.Lee Santana spielt eine Auswahl von Holbor-nes Stücken – unter dem Titel „Cradle ofConceits“ … und schon stellt er den Betrach-ter wieder vor eine offene Frage. Es gibt ineiner Handschrift der Universitätsbibliothekin Cambridge eine Pavane mit diesem Titel,was aber heißt das? Ein „cradle“ ist eineWiege und „conceits“ sind „geistreiche, wit-zige Einfälle“, Aperçus vielleicht oder, umdas alte „deutsche“ Wort zu nehmen: „Kon-zetti“. Wollten wir den Titel von Pavane undCD unbedingt übersetzen, könnten wir viel-leicht „Geisteskinder“ oder „Inspirationen“nehmen, und so ließen sich auch die Inter-pretationen von Lee Santana betiteln. Wasdie Textgenauigkeit angeht, hält er es näm-lich ähnlich wie sein Landsmann HopkinsonSmith. Die in Tabulatur vorliegende Musik

Cr

ad

le o

f C

on

cei

ts,

Fo

to ©

CA

RP

ED

IEM

Rec

or

ds,

Ma

rku

s W

esso

lek

20 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

det sich eine Fantasie von dem „most fa-

mous and diuine Laurencini of Rome“ (fol.Fiiv).Die Stücke, die auf dieser CD zusammenge-fasst sind, sind keine Beispiele für anste-ckende Lebenslust und Spielfreude. Auchdie „technischen Schwierigkeiten, welchedie Möglichkeiten der Laute bis an ihreGrenzen ausloten“, wie der Interpret MarcoPesci schreibt, fordern selten das, was manals „Virtuosität“ bezeichnet, sondern bezie-hen sich darauf, dass Lorenzino oft sehrvollgriffig akkordisch geschrieben hat, be-sonders in den Intavolierungen natürlich,in denen er die ursprüngliche Gestalt dermehrstimmigen, polyphonen Vokalwerkestimmig auf sein Instrument übertragenund dazu noch instrumental variiert hat. Er-gebnis sind ziemlich komplexe Kompositio-nen, die Interpreten, aber auch ZuhörernKonzentration abverlangen.Der göttliche Lorenzino aus Rom gehörtheute, vierhundert Jahre nach seinem Tod,nicht zu den oft gespielten Komponistenvon Lautenmusik. Ein Grund dafür ist dieTatsache, dass sich bisher niemand die Mü-he gemacht hat, seine Werke einmal zu ka-talogisieren und in einer größeren Editionoder gar einer „Gesamtausgabe“ zur Verfü-gung zu stellen.Zehn Jahre vor Marco Pesci hat Paul Beiereine CD mit Werken von Lorenzino einge-spielt (Il Cavaliere del Liuto, DULCIMER STR33447), aber ansonsten ist es sehr still ge-worden um den hoch gepriesenen und ge-schätzten Musiker, dem Beier übrigens einlängeres Leben vergönnt hat als Pesci. Ergibt als Lebensdaten an 1550—1608, unddas hängt mit der Tatsache zusammen,dass er den „Cavaliere del Liuto“, der am23. September 1608 verstorben ist, mit un-serem Lorenzino del Liuto gleichsetzt. Mar-co Pesci gibt als Todesdatum „seines“ Lo-renzo Tracetti präzise den 20. Juli 1590 an.Vielleicht sind die komplexen Strukturenseiner Stücke tatsächlich der Grund, warumso wenige Lautenisten sich der Musik von

Lorenzino del Liuto angenommen habenund annehmen. Auch Marco Pescischafft es nicht, die Stücke so in unsere

vergleichsweise schnellerlebige Zeit zutransportieren, dass sie ähnliche Elogen aus-lösen wie seinerzeit bei Johannes BaptisteBesard.Anthony Holborne hat neben seiner solisti-schen Lautenmusik, die uns eben begegnetist, auch Lieder und Ensemblemusik ge-schrieben:

Music for Shakespeare’s Theatre

Gerald Place, Tenor, Rebecca Hickey, So-

prano, Dorothy Linell, Lute

Aufgenmommen im Juni 2007, erschienen

2008

NAXOS [www.Naxos.com] 8.570708

… außerordentlich abwechslungsrei-

ches wie unterhaltsames Programm …

PPPPP

Dass zwischen William Shakespeare (1564—

1616) und der Tradition englischer Lauten-

lieder ein Zusammenhang bestanden hat,

ist allen wegen der zeitlichen Übereinstim-

mung klar … auch, wenn man nicht ahnt,

wie dieser Zusammenhang ausgesehen hat.

Sind Texte von Shakespeare selbst in Lau-

tenliedern vertont worden? Und wenn ja:

Mit welchen Komponisten hat er zusam-

mengearbeitet?

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 21

Gerald Place weist nach, dass im Gesamt-werk von William Shakespeare 170 mal vonMusik die Rede ist und viel häufiger vonLiedern, Melodien oder Musikinstrumenten.Und er informiert auch, mit welchen Laute-nisten bzw. Komponisten der Dichter in Ver-bindung stand. Einer war Robert Johnson(ca. 1582—1633), der bekannt war für Büh-nenmusiken wie die großen „Court Mas-ques“ und der außerdem in Diensten desunter (auch heutigen) Lautenisten bekann-ten Lord Hunsdon stand, Lord Chamberlainund Förderer von Shakespeares Theater-gruppe. Dreien seiner Lieder liegen Textevon Shakespeare zugrunde und sind höchstwahrscheinlich auch in frühen Aufführun-gen gesungen worden sie finden sich natür-lich in dieser Anthologie.Ein anderer war Thomas Morley (1557—1602), Organist an St. Pauls und Nachbarvon Bill Shakespeare. Sein Lied „It was alover and his lasse“, ohne Zweifel eines derberühmtesten, wenn nicht das populärsteenglische Lautenlied überhaupt, hat seinenText von Shakespeare und wir finden es na-türlich auf dieser CD wieder – allerdingsauch vieles, das nicht so leicht und eindeu-tig zuzuweisen gewesen war. Bei einigenTexten, die durch das First Folio überliefertsind, wissen wir, dass es Liedtexte sind, wirhaben aber keine Melodien oder gar Beglei-tungen. Hier sind durch kreative, archäolo-gische Arbeit Lieder rekonstruiert … odersagen wir besser mit Texten von Shake-speare neu komponiert worden? Zusätzlichsind ein paar solistische Lautenstücke auf-genommen worden, die direkte Beziehun-gen zu dem Dichter oder seinen Werken ha-ben und auf diese Weise ist ein außeror-dentlich abwechslungsreiches wie unterhalt-sames Programm entstanden, das ebensovorgetragen wird! Die Sänger sind exzellentauf Sprache und Musik eingestellt, mit denbegleitenden Musikern bilden sie ein perfek-tes Ensemble.England um 1600? Da darf natürlich der Na-me eines Musikers nicht fehlen, der Name

des ganz Großen dieser Zeit, eines derGrößten der englischen Musikgeschichteüberhaupt: John Dowland.Seine Laute übrigens ist anfänglich immernoch sechschörig, er hat aber in seiner „rei-feren Zeit“ auch Stücke für Lauten mit biszu zehn Chören geschrieben. Die „neuen“Chöre kamen Stück für Stück im Bass dazu.

John Dowland

Complete Solo Lute Music – Jacob Lind-

berg

Aufgenommen zwischen Oktober und De-

zember 1994, erschienen 2008

Brilliant Classics [www.brilliantclas-

sics.com] (4 CD) 93698

dto.

BIS-SACD-1742 (mehr als 4 Stunden auf

einer SACD. in Deutschland bei Klassik

Center Kassel)

Erschienen 2008

John Dowland, Fancyes, Dreams and Spi-

rits. Lute Music 1

Nigel North, Lute

Aufgenommen im Juli 2004, erschienen

2006

NAXOS 8.557586

… Dowland’s Tears. Lute Music 2

Aufgenommen im Juni 2005, erschienen

2006

NAXOS 557862

… Pavans, Galliards and Almains. Lute

Music 3

Aufgenommen im Juli 2006, erschienen

2007

NAXOS 570449

… Sie ist uns so vertraut geworden,

dass wir mit ihr spielen können …

(für alle) PPPPP

Zunächst etwas zu den Produkten: BeideLindberg-Sammlungen sind auf der Basisder gleichen Aufnahmen hergestellt wor-den. Einmal sind 4 CDs, einmal eine SACD(Super Audio Compact Disc) gefüllt wor-den. Die SACD ist nicht abwärtskompatibel,darauf weisen Plattengesellschaft und Ver-triebfirmen hin, sie kann also nur auf dafürvorgesehenen Geräten abgespielt werden.Das Label BIS besitzt die Rechte an denAufnahmen, die Brilliant-Classics-Sammlungist eine Lizenzausgabe.Über John Dowland etwas zu sagen, hießeEulen nach Athen oder warmes Bier nachEngland zu tragen. Die große englische Mu-sikerin und Forscherin Diana Poulton(1904—1995) hat sich seiner angenommen,sie hat die erste Gesamtausgabe seinerLautenwerke herausgebracht und sie hatauch die erste große Monographie, die heu-te noch Bestand hat, über ihn geschrieben.Dabei hat John Dowland nicht nur wegen

22 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

seiner Lautenwerke Geltung, besonders sei-ne Lautenlieder und seine Kammermusikmit Laute sind von hoher Qualität.Der Erste, der mit Lautenwerken John Dow-lands im 20. Jahrhundert Karriere machte,war Julian Bream. Die Idee, alle seine Lau-tenwerke aufzunehmen, hätte Bream ver-mutlich nie gehabt, sie verbot sich aber al-lein deswegen, weil man keinen wirklichenÜberblick über dessen Œuvre hatte. Es ist inzahllosen Manuskripten, die auf Bibliothe-ken über die Welt verteilt sind, überliefert,mit vielen Konkordanzen natürlich, die eserst einmal zu vergleichen galt. Erst dieepochale Arbeit von Diana Poulton ermög-lichte einen Überblick und darauf basierendeine Gesamtausgabe, die dann eine Klang-aufnahme aller Stücke erst sinnvoll machte.Die vorliegende Gesamteinspielung von Ja-kob Lindberg erschien schon einmal im Jahr1995 bei BIS, im gleichen Jahr erschien dieerste CD derjenigen von Paul O’Dette, derals ausgesprochener Dowland-Spezialistgilt. Erst über zehn Jahre später begannauch Nigel North mit seiner Gesamteinspie-

lung bei NAXOS, die sicher nach Fertigstel-lung als Package herauskommen wird –jetzt sind es noch Einzel-CDs.Fragt man, ob sich in den, sagen wir, fünf-zehn Jahren seit Lindberg und O’Dette dasLautenspiel verändert hat, kann man dasbejahen. Je weiter wir uns von dem anfäng-lichen Suchen der „Alten Musiker“ wegbe-wegen, je selbstverständlicher Erkenntnisseder aufführungspraktischen Forschung insallgemeine Musizieren integriert sind, destofreier und natürlicher kann damit umgegan-gen werden. Der Anteil an Akademischemund Schulmeisterhaftem wird immer gerin-ger – schließlich geht es um vitale, lebendi-ge Musik!Es ist Nigel North, der am freiesten mitVerzierungen zum Beispiel umgeht, odermit Klangkontrasten. Synkopeneffekte wiein der „Earl of Essex his Galliard“ kostet ergenüsslich aus, auch die in der sehr modernwirkenden und selten gespielten „M. GilesHobie’s Galliard“.Aber verbinden wir den Namen Dowlandsnicht eigentlich mit Melancholie? Mit Me-

lancholie und Tränen? Die Lachrimæ-Pavanist eines seiner heute bekanntesten Stücke,„I saw my lady weep“ ist das DowlandscheLautenlied … schon bevor Sting es zusam-men mit Edin Karamazov zum Welthit ge-macht hat. Dowlands Tränen besingt NigelNorth auf seiner zweiten CD unter anderemmit seiner eigenen Bearbeitung dieses Lie-des für Laute solo – eine kühne Erweite-rung des Repertoires, die man sich „früher“nicht erlaubt hätte. Aber auch sie ist Zei-chen für den heutigen Umgang mit dieserMusik. Sie ist uns so vertraut geworden,dass wir mit ihr spielen können.Vielleicht noch ein Wort zu den Werkzusam-menstellungen. Lindberg ist nach benutztenQuellen vorgegangen, hat also alle Stückeaus „Varietie of Lute Lessons“ aneinander-gereiht, danach die aus Handschrift „X“und aus Handschrift „Y“ usw., weil es, wieer schreibt, unmöglich ist, eine akkuratechronologische Liste der Stücke zu erstellenund sich daher diese Reihenfolge nicht an-bietet. Nigel North hat die Stücke nach„Themengruppen“ sortiert ohne uns mitkompletten CDs mit Gaillarden oder Alle-manden zu langweilen. Nicht einmal Dow-land’s Tears ist eine nur melancholischeAuswahl: „Ich habe mich dafür entschieden,

sieben Paare von Pavanen und Gaillarden zu

bilden und dabei die Melancholie in den Mit-

telpunkt zu stellen, wobei die Gaillarden für

einige Aufhellung sorgen.“ Auf diese Weisehat er, bei „Fancyes, Dreams and Spirits“übrigens auch, sehr kurzweilige Programmegeschaffen. Dort finden wir die sieben gro-ßen Fantasien und dazwischen Petitessen –Theatermusiken, Präsente, Ehrungen.„Ein wahres Genie in der Kunst ist selten. In

der Welt der Laute gebührt dieses Prädikat

John Dowland ganz gewiss“, so beginnt Ni-gel North den Text zu seinen CDs. Es istspannend, dem Genie nachzuspüren, auchin den weniger bekannten Stücken.Mit dem Tod John Dowlands im Jahr 1626endete die große Zeit der englischen Lau-tenmusik. Schon mit dem Tod von KöniginElizabeth I. hatten die Künste eine großeund mächtige Fürsprecherin verloren. IhrNachfolger, James I. (1566/1603—1625),vorher James VI. von Schottland, hatte stür-mische Zeiten zu überstehen und wenig fürdas Kulturleben übrig.In Italien erlebte die Laute zur gleichenZeit eine völlig neue Hochblüte. Um dieFlorentiner Camerata herum entstand et-was, das schon von Claudio Monteverdi(1567—1643) „seconda practica“ genanntwurde und eine Vorliebe für monodischeGesänge mit sich brachte, für Sologesängemit Generalbassbegleitung.In der nächsten Ausgabe von Gitarre

& Laute ONLNE geht es um „Musik für

Barocklaute“ und neue CDs.

John Dowlands Unter-

schrift im „Album Ami-

corum“ des Johannes

Cellarius.

© London, British

Library

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 23

24 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Die Oper „La Cenerentola“ schrieb Gioacchino Rossini in

Erfüllung eines Vertrags, den er am 23. Februar 1816 un-

terschrieben hatte. Er besagte, dass der Komponist ab Ok-

tober 1816 in Rom zu sein hatte, um Musik zu einem

neuen Libretto zu liefern. Die Premiere der neuen Oper sollte am 26.

Dezember stattfinden.

Rossini kam erst Mitte Dezember nach Rom, weil die Uraufführung

seiner Oper „Otello“ verschoben worden war. Um diese Zeit wurde

auch das Sujet ausgewählt. Es war der Aschenbrödel-Stoff: „La Ceneren-

tola“. Die Uraufführung war auf den 25. Januar 1817 festgelegt und das

setzte Rossini unter enormen Zeitdruck.

Probates Mittel, mit diesem Druck fertig zu werden, ist das Verwen-

den von einzelnen Nummern, die schon in anderen Kompositionen ver-

wendet worden sind. So setzte Rossini die Ouvertüre seiner Oper „La

gazzetta“ erneut ein, das Gleiche gilt für Teile der Schlussarie „Nacqui

all’affanno“, die er aus „Il barbiere di Siviglia“ übernahm. Die Aus-

führung von Seccos erledigte ein Mitarbeiter für ihn, ebenso das Aus-

komponieren eines Chores am Anfang des zweiten Aktes und ein paar

kleinere Arien.

Die Uraufführung in Rom war ein Misserfolg, aber schon wenige Ta-

ge später war das Publikum besänftigt. Schon im nächsten Jahr, 1818,

wurde „La Cenerentola“ im Ausland gegeben (April Barceloma, August

München). 1821 sollte die Oper erneut in Rom gespielt werden und

dafür komponierte Rossini die vorher eingeschmuggelten Versatzstücke

neu, außerdem eine außergewöhnlich groß angelegte und virtuose Arie:

„Là del ciel nell’arcarno profondo“ für den Bassisten Gioacchino Mon-

cada. Heute gehört diese Arie zwingend zu jeder Aufführung, sie galt

aber zu Rossinis Lebzeiten als zu schwierig und konnte sich damals

nicht durchsetzen.

„La Cenerentola“ erlebte im 20. Jahrhundert eine Zeit sehr großer

Erfolge und war auf den internationalen Opernbühnen stets präsent. In

den siebziger Jahren erlebte sie sogar im Umfeld einer „Rossini-Renais-

sance“ eine ungeahnte Popularität. Jean-Pierre Ponelles Inszenierung

von 1969 mit Teresa Berganza als Cenerentola und Charles Mackerras

am Pult, die in San Francisco gegeben wurde und danach in allen

großen Operntheatern der Welt inklusive Glyndbourne und Salzburg,

machte „La Cenerentola“ zu einem Repertoire-Stück erster Güte.

Die Ausgabe von Giulianis Bearbeitung der Ouvertüre ist bei dem

großen Mailänder Musikverleger Giovanni Ricordi erschienen, Thomas

Heck (Mauro Giuliani: Virtuoso Guitarist and Composer, 1995) schätzt

das Erscheinen auf Mai 1828. In seinem Werkeverzeichnis hat die Aus-

gabe die Nummer WoO, G-11.

Dass Mauro Giuliani die Cenerentola-Ouvertüre für Gitarre bearbei-

tet hat, spricht für ihre große Bekanntheit und für die insgesamt hohe

Popularität, die Rossini damals genoss. Wir wissen, dass Gitarristen gern

Themen von Rossini verarbeiteten – Giuliani besonders.

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 25

18

8

15

8

13

8

3

6

3

6

3

6

3

6

3

6

3

6

3

6

3

6

10

8

3 3 3

3 3 3 3

7

8

3 3 3 3 3 3

4

8

3 3 3

8

Maestoso

Sinfonia Nell’Opera La Cenerentoladel Sig. M[aestr]o Rossini

für Gitarre eingerichtet vonGioacchino Rossini (1792-1868)

Mauro Giuliani (1781-1829)

© 2008 by MusiCologne Ltd. Köln, Kritischer Bericht im Internet: peter-paeffgen.eu

Ridotta per Chitarra Sola da Mauro Giuliani

26 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

46

8

39

8

32

8

Allegro

29

8

27

8

25

8

23

8

21

8

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 27

95

8

87

8

82

8

76

8

70

8

64

8

59

8

53

8

28 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

150

8

145

8

139

8

133

8

126

8

119

8

112

8

104

8

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 29

183

8

179

8

174

8

170

8

166

8

162

8

158

8

154

8

30 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

233

8

227

8

220

8

214

8

208

8

201

8

193

8

188

8

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 31

278

8

270

8

262

8

258

8

254

8

248

8

243

8

238

8

32 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

327

8

322

8

316

8 cresc.

310

8

304

8

298

8

292

8

285

8

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 33

366

8

361

8

356

8

351

8

346

8

341

8

336

8

331

8

34 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Notenausgaben von Gitarre & Laute

John W. Duarte

Danserie No. 2 für Gitarre solo€ 7,50 G&L 142Eduardo Falú

Gavota para Guitarra, Mit Fingersätzen versehen von Hubert Käppel, 2-3€ 5,00 G&L 112Eduardo Falú

Preludio del pastor€ 6,50 G&L 111Santino Garsi da Parma

Sämtliche Lautenwerke, Gesamtausgabe der handschriftlichen Quellen,Faksimile mit Übertragungen und Kommentar von Dieter Kirsch€ 30,00 G&L 148Jana Obrovská

Hommage à Choral Gothique f. Gitarre Solo, Revidiert von Milan Zelenka€ 8,50 G&L 122Jana Obrovská

Due Musici für zwei Gitarren€ 8,50 G&L 123

John W. Duarte

Danserie No. 2 für Gitarre solo€ 8,50 G&L 142Adrian Patino

Nevando Está, Für Gitarre bearbeitet von Eduardo Falú€ 6,50 G&L 120A. Robles und Jorge Milchberg

El Condor pasa, Für Gitarre bearbeitet von Eduardo Falú€ 6,50 G&L 116Ignace Strasfogel

Prélude, Elegie und Rondo für Gitarre, Herausgegeben von Volker Höh € 13,00 G&L 168Heinrich Marschner

Lieder mit Begleitung der Gitarre (Zwölf Lieder op. 5, Zwei Lieder vonGoethe), Herausgegeben von Oliver Huck€ 15,00 G&L 169

Der gesamte Katalog bei:

www.MusiCologe.eu

Gitarre-und-laute.de

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 35

Eingegangene

NotenBesprechung vorbehalten

Isaac Albéniz, Asturias & Malaguena,Reihe: Große Komponisten für junge Gi-tarristen, herausgegeben von TilmanHoppstock, Darmstadt 2003, Prim Ver-lag, 99 039

Isaac Albéniz, Tango El Polo orig. fürKlavier, herausgegeben von TilmanHoppstock, Darmstadt 2007, Prim Verlag,99 077

Peter Ansorge (Hrsg.), [Co-Autor BrunoSzordikowski]: Old Mac Donald plays Gui-tar. Die schönsten Volks- und Kinderlie-der für 1 - 2 Gitarren (mit D), herausge-geben von Peter Ansorge, Mainz 2008,Shott, ED 20 179

Johann Sebastian Bach, Cellosuite Nr. 1BWV 1007. 2 Fassungen, herausgegebenvon Tilman Hoppstock, Darmstadt 2002,Prim Verlag, 99 038

Johann Sebastian Bach, Cellosuite Nr. 2a-moll BWV 1008, herausgegeben vonTilman Hoppstock, Dasrmstadt 2005,Prim Verlag, 99 079

Johann Sebastian Bach, Choralvorspielefür zwei Gitarren, herausgegeben vonMartin Hegel, Berlin 2008, Ries & Erler,ISMN M-013-30032-7

Johann Sebastian Bach, Goldberg Variati-ons Arranged for two Guitars by Bene-detto Montebello, herausgegeben von Be-nedetto Montebelli, Heidelberg 2008,Chanterelle, ECH 519

Carlos Barrientos, Periwinkle Memoriesfor guitar, Columbus/Ohio 2008, EditionsOrphee, PWYS-85

Ralf Bauer-Mörkens, Hommage a JohannSebastian Bach: Preludium [!] - Fuge - Al-legro, Windhagen o. J., Manuskriptkopie

Ralf Bauer-Mörkens, Hommage a S. L.Weiss für Gitarre solo: Prelude, Alleman-de, Courante, Sarabande, Gigue, Windha-gen o. J., Manuskriptkopie

Ralf Bauer-Mörkens, Partita für Gitarre so-lo: Toccata, Fugato, Fantasie, Chaconne,Windhagen o. J., Manuskriptkopie

Ralf Bauer-Mörkens, Ulixes: MusikalischesGleichnis vom Leben des Odysseus, über-tragen auf die „innere Lebensbühne“,Windhagen o. J., Manuskriptkopie

Holmer Becker, Praeambulum: Musik fürzwei Gitarren, Essen 1997, Verlag Huber-tus Nogatz, K&N 1237

Ein besonderes Vergnügen! Choralvorspielevon Johann Sebastian Bach arrangiert fürzwei Gitarren.

Johann Sebastian Bach: Choralvorspiele

für zwei Gitarren bearbeitet von Mar-

tin Hegel, Berlin 2008, Ries & Erler

30032, € 18,—

Der Repertoire-Hit „Jesus bleibet meineFreude“ BWV 147, ist natürlich dabei, dane-ben „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ BWV645 oder „Nun komm’ der Herren Heiland“BWV 659. Wie Martin Hegel richtig im Vor-wort schreibt, ist „Jesus bleibet meine Freu-de“ kein Choralvorspiel, sondern ein Choralaus der Kantate „Herz und Mund und Tatund Segen“ – beim ersten Mal mit demText „Wohl mir, daß ich Jesum habe“, beimandren Mal „Jesus bleibet meine Freude“.Der Herausgeber meint zwar, seine Bearbei-tungen stellten „nur selten höchste techni-

sche Anforderungen an den Gitarristen“, sieseien aber „gestalterisch höchst anspruchs-

voll“, man sollte aber auch die spieltechni-schen Anforderungen keineswegs unter-schätzen.Die Ausgabe ist benutzerfreundlich in No-tensatz und Gestaltung … allerdings viel zuteuer – 18 Euro für sage und schreibe 19Seiten Noten mit gemeinfreien Kompositio-nen. Das ist dreist und eine Einladung anFotokopierer! Markus Grohen

Giulio Regondi waren in letzter Zeit einigeNeuausgabe gewidmet – drei davon injüngster Zeit:

Giulio Regondi, Ten Etudes for guitar,

Revised and edited by Matanya Ophee,

Columbus/Ohio 2008, Editions Orphee

PWYS-17RE, US-$ 17,95

Giulio Regondi, Fantasie über “Don Gio-

vanni” nach Sigismund Thalberg für Gi-

tarre, Erstdruck (Stefan Hackl), Wien

2008, Doblinger D. 19 820, € 10,95

Giulio Regondi, Air varié de l’opéra de

Bellini I Capuletti e I Montecchi, Edi-

ted by Stefan R. Hackl, Columbus/Ohio

2007, Editions Orphee PWYS-83, US-$

9,95

Die Etüden sind 1990 und 1995 schon imgleichen Verlag herausgekommen, die Don-Giovanni-Fantasie liegt erstmalig gedrucktvor und ist allein deswegen schon etwas Be-sonderes. Von Giulio Regondi (1822—1872)sind nur wenige Kompositionen erhalten,„einige der in den Konzertkritiken des 19.

Jahrhunderts am häufigsten genannten Werke

blieben verschollen, bis ich in einem Manu-

skript aus dem Nachlass von Karl Scheit da-

rauf stieß“ (Hackl, S. 3).Die Handschrift aus der Sammlung Scheitist geschrieben von einem J[osiah]A[ndrew] Hudleston (1799—1865), einer il-lustren Figur der englischen Gitarrenszenedes 19. Jahrhunderts. Sie besteht aus zweiBänden von je 250 Seiten, von denen dererste Musik von Hudleston selbst und eini-ge seiner Bearbeitungen enthält, der zweiteAbschriften „bekannter und weniger bekann-

ter Komponisten – Sor, Aguado, Carcassi, Fos-

sa, Eulenstein, Huerta, Moretti, Ciebra, Bobro-

wicz, Süssmann und schließlich Regondi: die

erste Version der Etüden (Eight studies forthe Guitar by Giulio Regondi, dedicated toJ. A. Hudleston, 1857), vier der fünf bereits

bekannten Konzertstücke (Fête Villagoise, Rê-verie, 1re und 2me Air varié) und schließlich

die bisher nur von seinen Konzertberichten be-

kannten Stücke Solo on Don Giovanni partlyfrom Thalberg’s piece und Air varié de

Neue Noten

36 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Dusan Bogdanovic, Seeing Dimly, SanFrancisco 2007, Guitar Solo Publcations,GSP-259

Dusan Bogdanovic, Shuvi, Shuvi Has-hulamit. Song of Songs, Chapter VII forVoice and Guitar, Columbus/Ohio 2006,Editions Orphee, DTMO-9

Benjamin Britten, The Second Lute Songof the Earl of Essex, from „Gloriana“,herausgegeben von Julian Bream, Lon-don 2008, Boosey and Hawkes Ltd.,ISMN 979-060-11929-3

Alois Bröder, Jouer - Paler - Ecouter: 13sehr leichte Trios für junge Gitarristen,Wilhelmshaven 2006, HeinrichshofensVerlag, N 2611

Dietrich Buxtehude, 2 Suiten in d-moll &A-Dur orig. für Cembalo, herausgegebenvon Tilman Hoppstock, Darmstadt 2001,Prim Verlag, 21 201

Dietrich Buxtehude, Passacaglia BuxW161 orig. für Orgel, herausgegeben vonTilman Hoppstock, Darmstadt 2007, PrimVerlag, 99 074

Dietrich Buxtehude, Suite Nr. 1o BuxWV236 in e-moll, Original für Cembalo, her-ausgegeben von Tilman Hoppstock,Damrstadt 2005, Prim Verlag, 99 061

Ferdinando Carulli, Solo and Variationson „Nel cor più“ op. 107, herausgegebenvon Matanya Ophee, Columbus/Ohio2006, Editions Orphee, PWYS-76

Rafael Catalá Salvá, Encrucijada (Crossro-ad/Scheideweg), Wien 2006, Doblinger,D. 19737

Oscar Chilesotti (Hrsg.), Da un Codicedel Cinquiecento. Transcriptions for Luteor Guitar, from a 16th Centura Lute Ma-nuscript. Introduced by Stefano Toffolo,Edited by Matanya Ophee, herausgege-ben von Matanya Ophee,Columbus/Ohio 2002, LUTE-4

José Maria Ciebra, Theme and Allegrofrom the Fantaisie in the English Song„We Have Lived and Loved Together“ forguitar, herausgegeben von MatanyaOphee, Columbus/Ohio 2006, EditionsOrphee, PWYS-75

Napoleon Coste, The Complete Works forSolo Guitar, herausgegeben von SimonWynberg, Heidelberg, 2 Bde, 2007, ECH1021 und 1022

Francois De Fossa, Six Concertante Duosop. 17 for two guitars. Book 2: DuosIV—VI, herausgegeben von John Schnei-derman, Columbus/Ohio 2006, EditionsOrphee, EICM-43b

Francois De Fossa, Six Concertante Duosop. 17 for two guitars. Score, herausge-geben von John Schneiderman, Colum-bus/Ohio 2007, Editions Orphee, EICM-43

l’opera di Bellini ‚I Montecchi e Capuletti’[sic]“. Das Solo on Don Giovanni hat der He-rausgeber als Fantasie über Mozarts Don Gio-

vanni betitelt. Es war eines der erfolgreichs-ten Stücke Regondis, was seine Konzertrei-sen angeht. Hackl zitiert eine Kritik der All-

gemeinen Theaterzeitung vom 23. Dezember1840: „[Das Solo] fesselte die Aufmerksam-

keit des Publikums in einem Grad, wie ich es

noch nie bei einer Production auf der Guitarre

wahrgenommen, ja nicht für möglich gehalten

hatte.“ Und notabene: Der Virtuose war da-mals 17 Jahre alt!Wie weit Regondi auf das musikalische Ma-terial von Sigismund Thalberg (1812—1871)zurückgegriffen hat, erklärt der Herausge-ber sehr präzise: Erst das Finale ist Regon-dis ureigene Zugabe zu der Komposition, al-le anderen Sätze sind, mal wortwörtlich,mal mit idiomatisch bedingten Änderun-gen, von Thalberg übernommen, der übri-gens ein berühmter reisender Pianist war,mit Franz Liszt konkurrierte und eine neueArt der Opernparaphrase entwickelt hat.Regondis „Don-Giovanni-Fantasie“ ist ein

monströses Werk […]technisch noch an-

spruchsvoller als die üb-

rigen Werke Regondis“.Es wird eine achtsaiti-ge Gitarre mit derStimmung A-D-E-A-d-g-h-e’ vorausgesetzt,das Stück ist aberauch bei herkömmli-cher Besaitung pro-blemlos spielbar. AlsThema ist die äußerstpopuläre Arie „La cidarem la mano“ ge-wählt, die im 19. Jahr-hundert verschiedent-lich von Gitarristenverwendet worden ist– unter anderem vonJan Nepomucen deBobrowicz (1805—1881).Die „Fantasie über Mo-zarts Don Giovanni“wird vermutlich baldihren Weg ins Konzert-repertoire finden. Dievorliegende Ausgabeihres Entdeckers Ste-fan Hackl ist vorbild-lich und enthält einausführliches Vorwortin Deutsch und Eng-lisch sowie einen Revi-

sionsbericht und eine Seite Faksimile.Warum Regondis Etüden nun in einer neu-en, revidierten Ausgabe vorliegen, erklärtMatanya Ophee, der Herausgeber. Zwei Edi-tionen hat es vorher im gleichen Verlag ge-geben, die erste davon, herausgegeben vonJohn Holmquist, erschien 1990; die zweite,bereits von Matanya Ophee edierte, 1995.Alle drei Ausgaben haben die gleiche Ver-lagsnummer: PWYS-17. Die zweite trägt denZusatz „CR“, die dritte „ER“. „CR“ steht ver-mutlich für „Critical Edition“, als solche istdie Ausgabe bezeichnet, „ER“ für „RevisedEdition“. Hauptgrund dafür, dass die Regon-di-Etüden nun schon eine dritte Revision er-leben, ist die unübersichtliche Quellenlage.Ein Autograph gibt es nicht, gedruckt sinddie Etüden zu Regondis Zeit nie herausge-kommen. Die einzigen verfügbaren Quellensind Abschriften. 1990, als die erste Ausga-be herauskam, waren es zwei russischeHandschriften, auf die sich Matanya Ophee,ihr Wiederentdecker, stützte. Eine (a)stammte von dem Gitarristen Alexander Mi-chailowitsch Ivanov-Kramskoi (1912—1973),die andere von Iadviga Kovalevskaja (b).Von beiden sind der Ausgabe Bestätigun-gen beigefügt, wie sie in den Besitz derHandschriften gekommen sind und wer sie

Foto: Ivan Andrejewitsch Klinger. Das Fotostammt aus dem Besitz von Józef PowroŸni-ak (1902–1989)

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 37

Francois De Fossa, Six Concertante Duosop. 17. Book 1: Duos I—III, herausgege-ben von John Schneiderman, Colum-bus/Ohio 2007, Editions Orphee, EICM-43a

Francois De Fossa, Troisi*eme Fantaisieop. 10 sur un Theme de Beethoven, her-ausgegeben von Luis Briso de Montiano,Columbus/Ohio 2008, Editions Orphee,PWYS-91

Claude Debussy, 7 Chansons für Gesangund Gitarre für hohe/mittlere Stimme,herausgegeben von Tilman Hoppstock,Darmstadt 2002, Prim Verlag, 99 041

Mark Delpriora, Pocket Sonata for soiloguitar, Columbus/Ohio 2005, EditionsOrphee, PWYS-74

Arthur Dick, Die Große Gitarrenschulemit zahlreichen Illustrationen. 1. Teil(mit CD), Berlin 2006, Bosworth, BOE7316

John Dowland, STING: Songs from theLabyrinth. Songbook for Voice and Gui-tar, herausgegeben von Werner J. Wolff,Wien 2007, Doblinger, D. 19 779

John W. Duarte, Danserie No. 2, Köln1983, Gitarre & Laute VerlagsGmbH, GL142

Johann Dubez, Fantaisie on HungarianThemes, herausgegeben von MatanyaOphee, Columbus/Ohio 2006, EditionsOrphee, PWYS-79

Eduardo Falú, Preludio del pastor, Köln1980, Gitarre & Laute VerlagsGmbH, GL111

Gabriel Fauré, 10 Lieder für Gesang undGitarre, Darmstadt 2005, Prim Verlag, 99053

Jens Franke (Hrsg.), Romantic Guitar Ant-hology 1. 33 Original Works includingpieces by Diabelli, Paganini, Mertz andBosch (mit CD), herausgegeben von JensFranke, Mainz u.a. 2008, Schott, ED13110

Federico Garcia Lorca, 15 CancionesEspanolas para Canto y Guitarra, bearbei-tet von Rafael Catalá, herausgegebenvon Rafel Catalá, Wien 2007, Doblinger, D19 679

Richard Graf, Guitar for 2 Vol. 3 (mitCD), Wien 2006, Universal Edition, UE 33337

Enrique Granados, Valses Poeticos, Reihe:Große Komponisten für junge Gitarristen,herausgegeben von Tilman Hoppstopck,Darmstadt 2002, Prim Verlag, 22 100

Christobal Halffter, Sonata [Solo 1b] perchitarra op. 20a (1959, 1997). Arrange-ment für Gitarre Solo von Eliot Fisk nachder Sonata per Violino Solo op. 20, her-ausgegeben von Eliot Fisk, Wien 2003,Universal Edition, UE 31 588

nach welchen Quellen angefertigt hat. Dass die Regondi-Etüden zyklisch veröffent-licht werden konnten, war die Errungen-schaft dieser ersten Orphee-Ausgabe. Dassdie Stücke wirklich von Giulio Regondistammten, musste dabei allerdings als hy-pothetisch angenommen werden: „All of

which leads us to the inescapable conclusion

that until we have access to more relevant in-

formation, the question of precise authorship

of these Etudes must remain open.” (1990, S.ii) Einzelne Etüden waren vorher veröffent-licht worden, eine im Notenanhang derZeitschrift Der Guitarrefreund, zwei weiterein den Ausgaben der Augsburger Freien Ver-

einigung zur Förderung guter Guitarremusik.

Diese Vereinigung veröffentlichte Stücke,die in Verlagsausgaben nicht vorlagen, da-bei wurde jeweils der Name dessen angege-ben, der die jeweilige Ausgabe zur Veröf-fentlichung zur Verfügung gestellt hatte.Bei zwei Regondi-Etüden hieß der Stifter Ju-lius Stockmann: „Stifter: Julius Stockmann,

Kursk. Eigentum der Stifter.“ Stockmanns Na-me erschien in den Mitgliederlisten der „In-ternationalen Gitarristischen Vereinigung“in München und in denen der „Freien Verei-nigung“ in Augsburg.Es fällt auf, dass sich unser Wissen um dieEtüden Regondis um Russland dreht, undhier schienen die Kompositionen auch allge-mein bekannt gewesen zu sein, wie Opheenachweist: „The existence of the Ten Etudesby Giulio Regondi was common knowledge in

Russia of 1905.“ Mutmaßungen existieren,dass Regondi die Stücke während einerRussland-Tournee geschrieben haben könn-te … in der westlichen Literatur wird abervon einer solchen Konzertreise nicht berich-tet. Auch hält der Herausgeber es nicht fürunmöglich, dass die Etüden irgendwann inRussland als Druckausgabe erschienen sind„but so far no bibliographic information

about such a publication has come to light.“(S. iii) Einen erfolgversprechenden Hinweis gibtValerian Rusanov in einem biographischenBeitrag über den polnischen Gitarrenvirtuo-sen Marek Sokolowski (1818—1884), der1864 in London Regondi getroffen habensoll. Regondi habe Sokolowski all seineKompositionen übergeben, heißt es, undzwar mit der Bemerkung, er verlasse balddie Bühne und wolle ihm, Sokolowski, alsseinem würdigen Nachfolger, die Werkeübergeben. Auf dieses Zitat rekurrierendwiederholten verschiedene Autoren, unterihnen Fritz Buek, die Annahme, auf diesemWeg seien die Kompositionen Regondisnach Russland gelangt. Buek gar hat nocheinen draufgesetzt, indem er schrieb, „der

bereits bejahrte“ Regondi hätte Sokolowskiseine Gitarre geschenkt … wenn man be-denkt, dass Sokolowski vier Jahre älter als

Regondi war, werden diese Mitteilungen fa-denscheinig.Egal: zwei handschriftliche Quellen derZehn Etüden von Giulio Regondi hat Mata-nya Ophee gefunden und 1990 zum erstenMal herausgegeben. Der Notentext beiderManuskripte ist „beyond the occasional slip-

of-pen […] practically identical”. Die Bedeu-tung des Funds der Regondi-Etüden wurdeschnell erkannt und gewürdigt.Fünf Jahre nach der ersten erschien in Co-lumbus eine zweite, diesmal „kritische“Ausgabe der Etüden. Quelle a, genannt dasSleptsov-Manuskript, befand sich mittler-weile im Besitz des Herausgebers. Ivan An-drejewitsch Klinger soll, so Ophee, derSchreiber dieser Handschrift gewesen sein– das schließt der Herausgeber aus einigenauffälligen Schreibvarianten. Klinger war Of-fizier in der Zaristischen Armee und hat esschließlich bis zum General gebracht. Vonihm sind kleinere Kompositionen für sechs-saitige Gitarre erhalten, einige davon sindhandschriftlich in der Rischel- und Birket-Smith-Sammlung der Königlichen BibliothekKopenhagen zu finden. Geht man davonaus, das die Kopenhagener Manuskriptevon der Hand Klingers stammen, und dafürspricht Vieles, kann man die Behauptungwagen, dass er das Sleptsov-Manuskript mitden Regondi-Etüden geschrieben hat. DieÜbereinstimmungen sind tatsächlich deut-lich und in der Ophee-Ausgabe per Faksimi-le nachgewiesen. Die Quelle für Klingershandschriftliche Kopie kann dabei — dasaber ist pure Hypothese — das Autographvon Regondi gewesen sein. Klinger hatnachweislich mit Marek Sokolowski einefreundschaftliche Verbindung gehabt unddass er, Sokolowski, eine autographe Hand-schrift der Etüden hatte, wissen wir!Am Ende des Notentextes befindet sich derkritische Bericht in dem sämtliche Abwei-chungen und Ergänzungen beschriebensind und alle Diskrepanzen zwischen denbeiden Quellen.Warum nun hat Matanya Ophee dreizehnJahre später noch einmal eine Revision sei-ner Regondi-Ausgabe vorgenommen? Einedritte Quelle ist aufgetaucht: Die Hand-schrift von J. A. Hudleston, von der obenim Zusammenhang mit der Fantasie über„Don Giovanni” nach Sigismund Thalbergbereits die Rede war. Im zweiten Band die-ser Handschrift finden wir acht der zehnEtüden – kopiert vermutlich zwischen 1854und 1857. Diese Abschriften sind so etwaswie eine frühe Skizze des Zyklus, der da-nach nicht nur um zwei Etüden erweitertworden ist, sondern auch musikalisch er-gänzt und „fertiggestellt“ wurde. Und zwei weitere Abschriften der Regondi-Etüden sind aufgetaucht – auch sie stam-men aus Russland, es ist also zu vermuten,

38 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Simone Iannarelli, Italian Coffee. 12short pieces for solo guitar, San Francsi-co 2007, Guitar Solo Publications, GSP-258

Faidros Kavallaris, Kypriaka Erotika forsolo Guitar: 15 traditional songs of Cy-prus, Lefkosia, Cyprus, 2006, ISBN 9963-655-12-2

Annette Kruisbrink, Knock before youenter for guitar solo, Digital Music PrintBelgium 2008, DMP 108074

Martin Kuhnle, Die Lagerfeuer-Gitarre(Lehrwerk mit CD), Manching 2008, Edi-tion Dux, 897

Gerhard Langer, [Co-Autor: Ferdinand Ne-ges, Illustrationen von Jan Daxner]: PlayGuitar Together. Die Gitarrenschule fürden Gruppenunterricht Band 2, Wien2008, Doblinger, D.19 818

Reinhold Lehmuth, [Co- Autor: AlbrechtKuch-Weidenbrück, Bilder von WolfgangSteinmeyer]: Hurra, ich darf Gitarre spie-len! Eine Gitarrenschule für den Anfangs-unterricht mit Kindern, Band 1, Berkheim2008, Edition Lemi, 10969

Reinhold Lehmuth, [Co- Autor: AlbrechtKuch-Weidenbrück, Bilder von WolfgangSteinmeyer]: Komm, spiel einfach mit!Ein begleitendes Spielheft für den An-fangsunterricht. Begleit CD - Gruppenar-rangements, spannende Geschichten,Berkheim 2007, Edition Lemi, 10954

Antoine de Lhoyer, The Complete GuitarDuos. Critical Edition by Erik Stenstad-vold (mit CD-ROM mit Partitur, Krit. Ber.und Biographie), herausgegeben vonStenstadvold Erik, Heidelberg, 3 Bde.,2007, Chanterelle, ECH 1012, 1013 und 1

Philippe Loli (Hrsg.), [Co-Autoren AderbalDuarte, Andreas Knoblich]: Happy Birth-day Bossa Nova (mit CD), herausgegebenvon Philippe Loli, Mainz 2008, Boosey &Hawkes

Eduardo Martín, ángeles en la calle, SanFrancisco 2007, Guitar Solo Publications,GSP-251

Eduardo Martín, canciónes del calenda-rio, San Francisco 2007, Guitar Solo Publi-cations, GSP-252

Eduardo Martín, divertimentos tropica-les: i: ievitable, ii: Chacumbele, iii: lo-bisón for solo guitar, San Francsico 2007,Guitar Solo Publications, GSP-253

Eduardo Martín, para sonar contigo forsolo gutar, San Francisco, 2007, GuitarSolo Publcations, GSP-254

Eduardo Martín, preludio, son y allegrofor solo guitar, San Framcisco 2007, Gui-tar Solo Publcations, GSP-255

Jules Massenet, Mèlodie-Élédie op. 10 Nr.5. Arranged by Jaime Bosch, herausgege-

dass sie von der gleichen Quelle abgeschrie-ben worden sind. Eine ist Andrés Segoviawährend seiner Russland-Tournee im Jahr1926 als Geschenk präsentiert worden undwird heute im Segovia-Museum in Linaresaufbewahrt. Die andere stammt von einemVladislav Michailowitsch Musatov (1903—1991) und ist heute im Glinka-Museum inMoskau.Die neue Ausgabe ist einiger wenigerDruckfehler bereinigt, die im Laufe der Jah-re von Benutzern mitgeteilt worden sind.Ein paar Änderungen, die Klinger an Stü-cken vorgenommen hat, sind wieder herge-stellt worden, weil sie mittlerweile sinnvollerscheinen. Fingersätze, bei denen in denbeiden älteren Ausgaben zwischen „origina-len“ und vom Herausgeber hinzugeschrie-benen unterschieden worden war, sind stan-dardisiert worden … kurz, diese neue Aus-gabe hat etwas Endgültiges. Nach insge-samt achtzehn Jahren präsentiert der He-rausgeber der Öffentlichkeit das, was als Er-gebnis seines Suchens und Forschens blei-ben wird. Und er schildert seine For-schungsarbeiten wie eine detective story …von einem Autor, dessen Geschichten manerst aus der Hand legt, wenn man ihre Auf-lösung kennt.Die Ausgabe ist natürlich, was den Noten-satz angeht, vorbildlich in jeglicher Hin-sicht: neues Stichbild mit allen typographi-schen Tricks und Kniffen … und doch … mirgefallen die neuen Violinschlüssel nicht. Zufiligran, zu zart, zu klein! Und auch ein paarandere Details wirken auf mich überladen… zu viel des Guten. Aber: De gustibus non

est disputandum!Die Bellini-Variationen, die Stefan Hackl beiOrphee herausgegeben hat, sind auch inder „Scheit-Handschrift“ von J. A. Hudles-ton gefunden worden, die heute in der Bi-bliothek der Universität für Musik und Dar-stellende Kunst in Wien aufbewahrt wird.Das Stück ist aus der Literatur durchaus be-kannt (man sehe in diesem Zusammenhangim Teil „BUX“ vorliegender Ausgabe von Gi-tarre & Laute-ONLINE die Besprechung desRegondi-Buches von Helmut C. Jacobs). Re-gondi hat mit just diesem Werk in Konzer-ten Aufsehen erregt – das gelte allen Inte-ressenten als Empfehlung … aber auch als

Warnung. Das Stück ist spieltechnisch au-ßerordentlich anspruchsvoll! Schon dasleicht überdimensionierte Andante con moto

als Introduktion stellt dem Interpretendurchaus Aufgaben. Das Thema stammtaus der Tragedia lirica „I Capuleti e i Mon-tecchi“ von Vincenzo Bellini (1801—1835),die 1830 in Venedig uraufgeführt wordenist und der erwartungsgemäß der Text derTragödie „Romeo and Juliet“ von WilliamShakespeare zugrunde liegt. „I Capuleti e iMontecchi“ war in Operhäusern weltweit er-folgreich, bis auf Geheiß der PrimadonnaMaría Felicia Malibran (1808—1836) Num-mern der Oper durch wirkungsvollere Ver-satzstücke anderer Komponisten ersetztwurden. Das war schon 1833 also drei Jahrenach der Uraufführung! 1835 besann mansich dann wieder des Originals von Belliniund knüpfte an den Erfolg der Oper an. Auch dieses Werk Regondis ist für achtsaiti-ge Gitarre konzipiert und kann problemlosauf einer sechssaitigen gespielt werden. Ste-fan Hackls Einschätzung seiner Entdeckungkann man nur unterstreichen: „A truly exci-

ting discovery!“ Ich bin gespannt, wie langees dauern wird, bis man sie auf Bühne oderCD hört. Das Gleiche gilt für die „Fantasieüber Don Giovanni“!

Peter Päffgen

Jens Franke (Hrsg.), Romantic Guitar

Anthology

33 Original Works by Diabelli, Pagani-

ni, Mertz and Bosch

Mainz u.a. 2008, Schott ED 13110 (mit

Audio-CD), € 12,95

Das Heft hat 36 Seiten, 15 davon sind No-ten, der Rest einleitende Texte, Biografiender Komponisten, alles in Deutsch, Englischund Französisch. 33 Stücke sind enthalten,sie alle davon stammen aus anderen Schott-Publikationen wie den verschiedenen Hef-ten der „Stunde der Gitarre“, die seit zigJahren auf dem Markt sind, den Carcassi-oder Coste-Etüden und verschiedenen ande-ren „Klassikern“. Einige Stücke liegen aller-dings auch als „Erstveröffentlichung vor oder

waren vergriffen“.Die Ausgabe ist modernisiert: neuer Noten-satz, entschlackte Fingersätze und, das istfast revolutionär: „Wo immer es möglich war,

stützt sich diese Ausgabe auf die frühesten be-

Abbildung: Das „Bellini-Thema“

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 39

ben von Jaime Bosch, Columbus/Ohio2006, Editions Orphee, PWYS-77

John McCormick (Hrsg.), Early RomanticLieder with Guitar. Compiled and Editedby John McCormick, herausgegeben vonJohn McCormick, Columbus/Ohio 2006,Editions Orphee, DTMO-10

Francesco Molino, Vive Henri IV, Air Che-ri de Francas Avec Huit Variations, her-ausgegeben von Matanya Ophee, Colum-bus/Ohio 2006, Edtions Orphee, PWYS-78

Michael Morenga, Gitarren-Crashkurs. 50Drei Minuten-Lektionen erst mal ohneNoten (mit CD), Berlin 2008, Bosworth,BOE 459

Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimen-to: 5 Sätze aus den Divertimenti für dreiBassetthörner bearbeitet für 3 Gitarrenvon Hans Joachim Teschner. Partitur undStimmen, Wilhelmshaven 2007, Heinrichs-hofen, N 2639

N.N. (Hrsg.), Nur für Anfänger: GitarreSongbook 1. Das Begleitbuch zur „Nurfür Anfänger“ Methode, Berlin 2006, Bos-worth, BOE 7257

N.N. (Hrsg.), Nur für Anfänger: GitarreSongbook 2. Das Begleitbuch zur „Nurfür Anfänger“ Methode, Berlin 2006, Bos-worth, BOE 7291

Anatolij Olshanskij (Hrsg.), Russian Ro-mances for voice and guitar, Compiledand Edited by Anatoliy Olshanskiy, her-ausgegeben von Anatol Olshanskiy, Co-lumbus/OIhio 2006, Editions Orphee,DTMO-8

Matanya Ophee (Hrsg.), The RussianCollection Volume X: Selected ConcertWorks for the Russian 7-string guitar in Gopen tuning, herausgegeben von Ma-tanya Ophee, Columbus/Ohio, 2008, Edi-tions Orphee, PWYS-90

Stefan Oser, fingerstyle guitar alone &together (mit CD), Graz 2008, ergeo Mu-sikverlag, 101

Stefan Oser, Pivking Along: 15 Pieces forFingerstyle Guitar (mit CD), Wien 2008,Doblinger, D 19 821

Niccolò Paganini, Concerto per chitarraed archi Secondo la Grand Sonata. Orche-strated with new cadenzas by WolfgangLendle (mit CD). Partitur,Columbus/Ohio 2007, Editions Orphee,EICM 42a

Niccolò Paganini, Concerto per chitarraed archi Secondo la Grand Sonata. Orche-strated with new cadenzas by WolfgangLendle (mit CD). Solostimme, Colum-bus/Ohio 2007, Editions Orphee, EICM-42

Matvei Pavlov-Azancheev, The Great Pa-triotic War Sonata, herausgegeben vonMatanya Ophee, Columbus/Ohio 2006,Editions Orphee, PWYS-69

kannten Werkquellen“. Der Herausgeber istalso nicht hingegangen und hat die bisheri-gen Auflagen gesichtet, entstaubt, poliertund nach eig----+enem Gusto „modernisiert“,wie das bisher bei den meisten Ausgabenvon Gitarrenmusik üblich war. Er hat dasMotto „ad fontes!“ ernst genommen undhat Quellen gesichtet und benutzt und amSchluss, als editorische Stretta sozusagen,sogar drei Zeilen Handschrift als Faksimilebeigegeben. Ausgerechnet „Schöne Minka“,das russische Volkslied, das schon Beetho-ven von Weber, Hummel oder Silcher ver-tont und variiert haben, wird hier abschlie-ßend als Ausweis wissenschaftlicher Gesin-nung mitgeliefert und zwar nicht geschrie-ben vom Arrangeur Caspar Joseph Mertzpersönlich, sondern von Carl Oscar Boije afGännas (1849—1923), dem schwedischenAmateur-Gitarristen, der uns eine bedeuten-de Sammlung an Musikalien überliefert hat.Diese Sammlung ist von jedermann jeder-zeit im Internet unterhttp://www.muslib.se/ebibliotek/boije/in-dexeng.htm einzusehen. Die Ausgabe „Romantic Guitar AnthologyI“ liefert alterprobtes Spielmaterial, dasman vielleicht hie und dort hätte aktualisie-ren können. Aber vor allem zum Preis von€ 12.95 inklusive CD kann man die Ausgabe

nur empfehlen.Friedrich Kuhn

Antoine de L’Hoyer, The Complete Gui-

tar Duos, Critical Edition by Erik

Stenstadvold,

3 Bde., Heidelberg 2007, Chanterelle ECH

1011, 1012 und 1013, Stimmen, jeweils

mit CD-ROM, jede Ausgabe einzeln: €27,90, drei Bände zusammen: € 69,90

Eine kapitale Ausgabe: rund 450 Seiten No-tentext, pro Band eine Daten-CD mit der ge-samten (jeweiligen) Ausgabe als PDF, miteiner umfänglichen Biographie De L’Hoyers,mit dem jeweiligen kritischen Bericht undmit Sound-Files als MIDI und als MP2 zumÜben, und zwar je einmal Gitarre 1, Gitarre2 und Duo.Und Erik Stenstadvold ist ein internationalanerkannter Fachmann für diese Musik …zwei CDs hat er zusammen mit seinemDuo-Partner Martin Haug aufgenommen(die Original-Besprechungen aus den HeftenXVII/1995/Nº 1, XXI/1999/Nº 3 undXXIX/2007/Nº 5-6 finden Sie zu Ihrer Er-leichterung auf diesen Seiten als „Reprint“)und in den weltweit geführten Diskussio-nen beweist er immer wieder seine Exper-tenkenntnis.Aber was heißt das? Es bedeutet, dass die-ser Musiker und Wissenschaftler nun in ge-

Abbildung: Das „Bellini-Thema“

druckter Form das vorlegt, was er in jahre-langer Arbeit ermittelt hat. Und das Ergeb-nis ist niet- und nagelfest … man bedenke,dass die Sound-Files nur das wiedergeben,was in gedruckter Form vorliegt. Dies sind,das muss vielleicht für einige noch als War-nung oder Klarstellung angemerkt werden,keine Audio-Aufnahmen von Musikern, dieda spielen und vielleicht Fehler machen! Essind elektronisch erzeugte Files, die aus

40 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Antoine de L’Hoyer, Music for two Guitars

Erik Stanstadvold und Martin Haug

Aufgenommen im Januar 1993

SIMAX PSC 1119

… Diese Musik ist einer der ganz großen

Entdeckungen der letzhen Jahreun dllane

Gitarristen ist zu empfehlen, sich mit ihr

zu beschäftigen …

PPPPP

Dies ist, man wird es nicht glauben, eine Er-steinspielung! Antoine de L’Hoyer ist einer je-ner historischen Irrtümer, wie Erik Stenstad-vold sie in seinem Begleittext beschreibt: „Es ist

manchmal schwer zu verstehen, warum eine Per-

son der Musikgeschichte in der Erinnerung bleibt,

während andere, musikalisch bedeutendere, voll-

ständig in Vergessenheit geraten. In der Welt der

Gitarre ist eines der bezeichnendsten Beispiele

dafür die völlige Unkenntnis von Antoine de L’Hoy-

er und dessen Musik“. Matanya Ophee hat vorein paar Jahren Material über diesen Komponi-sten zusammengetragen und in Soundboard

und auch hier (Gitarre & Laute XII/1990/Nº 3,S. 45 ff.) veröffentlicht — viel mehr weiß mannicht … aber das wird sich vermutlich bald än-dern.Diese Musik ist einer der ganz großen Ent-deckungen der letzen Jahre und allen Gitarri-sten ist zu empfehlen, sich mit ihr zu beschäfti-gen! De L’Hoyer war anders als seine KollegenCarulli oder Sor, kein professioneller Gitarrist,sondern verfolgte zeit seines Lebens eine Mi-litär-Karriere. Geboren wurde er 1768 in Cler-mont-Ferrand. Über sein „musikalisches Leben“wissen wir so gut wie nichts, da MatanyaOphee die Daten über seinen Lebensweghauptsächlich aus dem Militär-Archiv in Parishat, wo nur Angaben über seinen militärischenWerdegang abgelegt sind. Hinweise auf dieseoder jene Verbindung bestehen … aber es blei-ben Hinweise.De L’Hoyers Musik jedenfalls ist alles andere alsamateurhaft. Formal eher traditionell, steckt sievoller Ideen und musikalischer Überraschun-gen. Erik Stenstadvold weist mit Recht auf dieRondos hin, welche die Duos abschließen: „Sol-

che kompositorischen Qualitäten waren damals

bei anderen Komponisten, die für Gitarre schrie-

ben, selten zu finden.“ Mir gefallen die Kopfsät-ze, die traditionell dem Sonatensatz-Prinzip ver-pflichtet sind, thematisch aber originell und„witzig“ geschrieben sind – weit entfernt vonjeglichem Schemadenken. Eine Entdeckung!Stenstadvold und Haug spielen diese Musik aufGitarren der Zeit, eine Lacôte und einer anony-men französischen Gitarre von ca. 1835. Und siespielen sie vorzüglich, sehr sensibel phrasie-rend, sehr delikat!

Antoine de L’Hoyer: Music for Two Guitars

Vol. 2

Erik Stenstadvold & Martin Haug

Aufgenommen im Januar 1998

SIMAX PSC 1189

… sehr sensibel …

PPPPP

Antoine de L’Hoyer hat in den letzten zehn Jah-ren an Ansehen bei Gitarristen gewonnen –gleichwohl gehört er zu den am wenigsten be-kannten Gitarren-Komponisten dieser Zeit. Ge-boren wurde er am 6. September 1789 in Cler-mont-Ferrand. In der Französischen Revolutionentschied er sich für die Royalisten, wurde Offi-ziersanwärter … und setzte damit aufs falschePferd. Im benachbarten Ausland beobachtete erdie Entwicklung in Frankreich, mischte auf Sei-ten der Österreicher mit und zog schließlichnach Hamburg, wo er sich seiner alten Leiden-schaft besann – der Gitarre. De L’Hoyers näch-ste Station war St. Petersburg in Russland undschließlich ging er zurück nach Frankreich. Wie-der fand er sich in der Armee wieder. Ein lang-wieriges Hin und Her begann, in dem es in er-ste Linie um seine Altersversorgung ging, bissich de L’Hoyers Spuren verlieren – gestorbenist er am 15. März 1852.Die Duos und Trios von Antoine de L’Hoyersind die Werke, bei denen man am allerwenig-sten zu verstehen vermag, warum sie von heuti-gen Gitarristen nicht gierig aufgenommen wer-den. Es sind großangelegte, mehrsätzige Werkevon erstaunlich hoher Qualität. Harmonischund vor allem melodisch halten die meistzweisätzigen Duos immer wieder Überraschun-gen bereit und sind weit entfernt von jeglicherBanalität.Erik Stenstadvold und Martin Haug spielen auf(auf Instrumenten der Zeit) durchaus forscheTempi, sie romantisieren die Stücke nicht –auch nicht in den langsamen Sätzen, und darantun sie sehr gut. Auch betonen sie die Virtuo-sitäten, die natürlich bei de L’Hoyer ebenso ein-gebaut sind wie bei seinen Zeitgenossen, nichtüber die Maße. Die beiden Musiker nehmen dieWerke, die sie hier präsentieren, ernst, und siegeben ihnen einen „klassischen Hintergrund“.Sehr schön gelingen ihnen die schnellen Sätze(überwiegend Rondos, eine Chasse und einMarsch), die sie nicht zu Schaustücken verkom-men lassen, sondern deren Melodienreichtumsie darstellen. Das Menuett aus op. 35/6 gefälltmir besonders, auch die Chasse aus op. 35/2.Sehr sensibel wird hier phrasiert und gewich-tet.

Antoine de L’Hoyer: Duos Concertants

Matteo Mely and Lorenzo Micheli, Guitars

Aufgenommen m Januar 2005, erschienen

2007

NAXOS [Naxos.de] 8.570146

… Dopingkontrollen bei Gitarristen?

PP

Dass Antoine de L’Hoyer seit einigen Jahrenwieder gespielt wird, verdankt er hauptsächlicheinigen Wissenschaftlern, allen voran wiedereinmal Matanya Ophee, und ein paar auf Wie-derentdeckungen spezialisierten Gitarristen wieErik Stenstadvold und Martin Haug. Vorher warer so gut wie vergessen. Es ist also durchauspositiv zu sehen, dass ein junges, aufstreben-des Duo seine erste CD ganz diesem Komponi-sten widmet. Und dass es immer unterschiedli-che Methoden gibt, sich einem musikalischenKunstwerk zu nähern und es für sich zu gewin-nen, muss ich nicht erläutern. Da gibt es dieAnalytiker, die ein Stück erst sezieren und dannspielen; da gibt es die „Vollblutmusiker“, diedas Stück schon beim Studium der Partiturhören und es dann prima vista spielen; und esgibt die Kopisten, die ein Stück erst von Kolle-gen gehört haben müssen, bevor sie selbst wa-gen, es einzustudieren. Zu dieser letzterenGruppe sollen auch einige Gitarristen gehören,heißt es.Matteo Mela und Lorenzo Micheli gehören nichtzu denen, die auf Gitarren der Zeit vorsichtigund auf Authentizität bedacht spielen. Sie ge-ben Gas und kosten die Virtuositäten dieserMusik auf ihren Boliden des modernen Instru-mentenbaus aus; sie lassen singen und klingenund haben durchaus ihre eigenen interpretatori-schen Marotten, die nicht mehr bei Segovia ab-geguckt sind; in jugendlicher Prahlerei gehensie Sätze, über denen „Poco vivace“ steht inüberhöhter Geschwindigkeit an um zu bewei-sen, dass sie unterwegs nicht aus der Kurve ge-tragen werden … und sie kommen ohne Blessu-ren ans Ziel, klangschön und nicht hinter Atem!Diese Art des Spiels ist nicht jedermanns Sache,findet aber in der Gitarrenwelt viele Bewunde-rer. Mir gefällt’s nicht, das bedarf wahrschein-lich kaum einer Erwähnung! Gibt es übrigensDopingkontrollen bei Gitarristen?

… classics …

Diese Besprechungen dieser CDs mit Musik von Antoine de L’Hoyer stammen aus älteren Ausgaben von Gitarre & Laute und werden hier zurErinnerung abgedruckt. Die ursprünglichen Erscheinungsorte sind: a. XVII/1995/Nº 1, b. XXI/1999/Nº 3 und c. XXIX/2007/Nº 5-6.

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 41

Marco Pereira, Amigo Léo, San Francisco2007, Guitar Solo Publications, GSP-260

Marco Pereira, Chama-me! for solo gui-tar, San Francisco 2007, Guitar Solo Publi-cations, GSP-261

Marco Pereira, Danca dos Quatro Ventos2001, San Franciso 2007, Guitar Solo Pu-blications, GSP-263

Marco Pereira, Elegia for solo guitar, SanFrancsico 2007, Guitar Solo Publications,GSP-264

Marco Pereira, Lis for flute, guitar & cel-lo, San Francsico 2007, Guitar Solo Publi-cations, GSP-262

Giulio Regondi, Air varié de l’opera deBellini „I Capuletti e i Montecchi“, her-ausgegeben von Stefan R. Hackl, Colum-bus/Ohio 2007, Editions Orphee, PWYS-83

Giulio Regondi, Fantasie šber „Don Gio-vanni“ nach Sigismund Thalberg. Erst-druck, herausgegeben von Stzefan Hackl,Wien 2008, Doblinger, D. 19 820

Giulio Regondi, Ten Etudes for guitar,herausgegeben von Matanya Ophee, Co-lumbus/Ohio 2008, Editions Orphee,PWYS-17RE

Franz Schubert, 12 Lieder aus „Winterrei-se“ fšr hohe/mittlere Singstimme, her-ausgegeben von Tilman Hoppstock,Darmstadt 2005, Prim Verlag, 99 703

Franz Schubert, 12 Lieder nach Textenvon Schiller und Klopstock für Tenorstim-me, herausgegeben von Tilman Hopp-stock, Darmstadt 2007, Prim Verlag, 99706

Franz Schubert, 6 Lieder aus „Schwanen-gesang“ für Tenorstimme, herausgege-ben von Tilman Hoppstock, Darmstadt2006, Prim Verlag, 99 705

Kurt Schumacher, The Blue Hour: 22Stücke für Gitarre im Blues- und Rockfee-ling, Wilhelmshaven 2007, Heinrichsh-ofen, N 2642

Andreas Schumann, Saitenkunst mit Le-na und Tom. Ensemble- und Lagenspielfšr Gitarre in zwei Bänden. Band 1: Ele-mentarbereich, Enxemblespiel, Arpeggio-technik, Vorbereitung auf das Lagen-spiel, Solo bis Quartett, Berlin 2007, Bos-worth, BOE7244

dem Notensatz resultieren, den Sie vor sichhaben. Anhand ihrer können Sie die Plausi-bilität des Satzes überprüfen und Sie kön-nen beide Stimmen im „Zusammenspiel“mit der CD üben – ein elektronisch gene-riertes „Music minus one“.Im jeweiligen Kritischen Bericht sind alleKorrekturen und/oder Änderungen verzeich-net und begründet.Das Hohe Lied auf wissenschaftliche editori-sche Verfahren kann man angesichts sol-cher Ausgaben anstimmen. Als ich selbst1978 über eine Zeitschrift namens Gitarre &Laute nachdachte, die dann schließlich auchab 1979 erschienen ist, kamen viel mehrAusgaben Gitarrenmusik als heutzutagejährlich heraus … aber editorisch herrschtenderartig raue Sitten, dass man kaum glau-ben kann, dass das gerade mal dreißig Jah-re her ist! Siggi Behrend, der selbstgekürte„Weltmeister der Gitarre“, war allgegenwär-tig mit seinen „Freien Bearbeitungen“, mitihm zusammen haben etliche Verlage gutesGeld verdient; Karl Scheit war der seriöseLehrer, Musiker und Herausgeber und seineAusgaben beherrschten den Markt und erauf diese Weise das aktive Repertoire;Schott lebte, was die Gitarre angeht, davon,dass man ein Verlag der Ersten Stunde ge-wesen war und in der Serie „Gitarre-Archiv“Ausgaben von Segovia, Pujol und Llobet so-wie viele Klassiker im Programm hatte; Ri-cordi/München hatte das Programm desSymphonia-Verlags gekauft und damit dievielen Ausgaben von José de Azpiazu, dembuchstäblich nichts heilig war. Im SektorKlavier waren längst die Urtextausgabengang und gäbe, aber die Gitarrenszenebrauchte so was nicht. In ihr tummeltensich selbst ernannte Fachleute und Spezia-listen … und wissen Sie was? Sie tun esheute noch! Nur zeigen diese Ausgaben,dass die Zeiten endgültig vorbei sind … nurmuss man hoffen, dass die Musik nach die-sen mustergültigen Ausgaben noch jemandspielt! Und man muss hoffen, dass die mus-tergültigen Ausgaben noch jemand kauft,denn natürlich haben sie einen Preis! Aberfür die knapp siebzig Euro wird hier viel ge-boten, dessen sollten Sie sich bewusst sein!

Peter Päffgen

Gottfried Müller,

Praeambulum für Laute

Berg 2004, Edition Brendel [www.editi-

on-brendel.de], EBR 2413, € 8,00

Ganz bewusst hat Gottfried Müller (1914—1993) sein Stück Praeambulum genanntund nicht Präludium oder gar Prélude. Undes ist auch bewusst für Laute und nicht fürGitarre geschrieben und veröffentlicht, ob-wohl es notiert ist und nicht in Tabulaturmitgeteilt. Wer war Gottfried Müller? Geboren wurdeer 1914 in Dresden, dort ging er zur Schulebevor er in Edinburgh und später Leipzigstudierte. Dort wirkte er dann als Dozentfür Tonsatz an der Musikhochschule, späterin Nürnberg. Sein Œuvre umfasst zahlreicheWerke für großes Orchester, mehrere Solo-konzerte mit Orchester, viel Kammermusikund ebensoviel Kirchenmusik.Während des „Dritten Reiches“ wurde Mül-ler mit einigen Kompositionen so berühmt,dass man ihn für den „kommenden Mann in

der Musik“ hielt – so jedenfalls schrieb Jo-seph Goebbels am 2. Mai 1937 in sein Tage-buch. Der Komponist hatte 1934 im Altervon neunzehn Jahren sein „Deutsches Hel-denrequiem“ op. 4 geschrieben und AdolfHitler gewidmet. Die Uraufführung wurdeso besprochen: „Unleugbar ist der große

Wurf, das echte, ungebrochene Gefühl, unleug-

bar vor allem das stupende Können, das bei

einem Zwanzigjährigen beinahe beängstigend

erscheint“ (MELOS XIII, 7.-8. Juli 1934, S.240). Ein paar Jahre später, 1943, schriebMüller sein op. 7, das sinfonische Chorwerk„Führerworte – den Helden im deutschenSchicksalskampf“ auf Texte des Führershöchstpersönlich. Hier hieß es in der Presse:„Der junge Komponist beschreitet hier in sei-

nem Entwicklungsgang folgerichtig einen Weg,

der aus heroischer Haltung heraus einen Zug

ins großartig Kühne erkennen lässt.“ (HAM-BURGER TAGEBLATT am 21. April 1944).Nach 1945 wurde das „Deutsche Heldenre-quiem“ durch den Textzusatz „Den Gefalle-

nen des 1. Weltkriegs“ entschärft und ist un-ter diesem Titel heute noch im Katalog vonBreitkopf & Härtel. Das Chorwerk „Führer-worte“ wird diskret in Biographien undWerkverzeichnissen verschwiegen – auch inder aktuellen Liste im Internet: www.gott-

Abbildung: Gottfried Müller, Praeambulum, erste Zeile

42 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

fried-mueller-komponist.de. Details wie Wid-mungsträger etc. werden nirgends erwähnt.Nun mag man einwenden, dass die vonGottfried Müller überlieferte Musik durchseine offenbar leidenschaftliche Hingabe anden Nationalsozialismus und dessen Prota-gonisten nicht schlechter geworden ist, unddas stimmt auch … sieht man von Werkenab, die durch die verwendeten Texte schonHautgout haben. Aber das Versteckspiel,das Verschweigen und Beschönigen trübenden Eindruck, den man von dem Komposi-tionen hat. Natürlich war Müller Mitgliedder NSDAP (und zwar seit dem 1. Mai 1933als Nº 2.451.981), aber das waren viele sei-ner Kollegen auch. Nur waren nicht alleganz so devot den Machthabern und ihrenIdeen ergeben wie Gottfried Müller, der, alsdie Welt schon brannte und die verbrecheri-schen Aktionen der Nazis keinem mehr ver-borgen waren, immer noch mit feurigenAppellen zur Hand war.Zur Musik: Das Praeambulum ist ein kurzes,höchst komprimiertes Stück Musik. Es istvermutlich eine Reminiszenz, und damitschließe ich den Bogen zu den anfänglichenBemerkungen, an die Präambeln von HansNewsidler und Gans Gerle, die im 16. Jahr-hundert auch in Nürnberg gearbeitet hat-ten. Entstanden ist das Stück in den siebzi-ger Jahren und nach Auskunft von HolmerBecker, Verleger des Praeambels und Kom-positionsschüler von Müller, hat der Kompo-nist es tatsächlich für Laute und keines-wegs für Gitarre konzipiert. Auf einer Lauteist es auch uraufgeführt worden, und zwarvon Christian Zimmermann in Nürnberg.Das vielleicht zwei bis drei Minuten dauern-de Stück ist ein Lehrstück in Sachen Kontra-punkt – und zwar auf engstem Raum. De-ren Techniken sind über Jahrhunderte ver-wandt worden und haben in der Zwölfton-musik schließlich neue Aktualität gefunden… aber Gottfried Müller war weit entferntdavon, sich einem so ebenso revolutionärenwie strikt reglementierten und dogmati-schen Musikdenken anzuschließen. SeineMusik ist freitonal aber tonal, sie ist aufneuen Wegen aber konservativ. Kurz vordem Ende des 20. Jahrhundert ein Praeam-bulum zu komponieren heißt, an historischGegebenes zu erinnern und in eine neueZeit retten zu wollen. Einen solchen Versuchzu verstehen bedarf allerdings einiger Kon-zentration, wenn er so konsequent und„wortkarg“ vorgetragen wird, wie in vorlie-gendem Beispiel. Eine ostinate Figur, denTonvorrat der Laute durchmessend, gibtdem Zuhörer zwar die Hand und leitet ihndurch das Stück, aber er muss sich bemü-hen!Das Praeambulum für Laute von GottfriedMüller ist so notiert, dass es problemlos aufder Gitarre spielbar ist. Die Ausgabe ist äs-

thetisch wie satz- und drucktechnisch vor-bildlich. Peter Päffgen

Simon Molitor und R. Klinger, Versuch

einer vollständigen methodischen An-

leitung zum Guitare-Spielen, Faksimile-

Nachdruck der Ausgabe von 1812, kom-

mentiert und herausgegeben von Stefan

Hackl, Band I: Theorieteil und Band II:

Notenteil, Wien 2008, Doblinger D.

19709, ISBN 978-3-900695-96-5, € 89,00,

Reihe: „Diletto Musicale: Doblingers

Reihe Alter Musik“, DM 1421

Eine Faksimile-Ausgabe zu besprechen,heißt einerseits, ihre drucktechnische Aus-führung zu würdigen. Ist der Nachdruckwirklich „simile“ genug, das heißt, ent-spricht er optisch weitgehend seinem Vor-bild? Man bedenke in diesem Zusammen-hang, dass ein Fax nichts anderes ist, alsein Faksimile — so ist es schließlich an sei-nen Namen gekommen, und dass natürlichauch eine Fotokopie ein Faksimile ist.Das Ähnlichmachen kann bei einem Faksi-mile so weit gehen, dass mit größtem Auf-wand der Einband der jeweiligen Vorlagenachgebildet wird, ebenso farbliche Beson-derheiten des Papiers oder eventuell enthal-tener Abbildungen. Das Buch als Gegen-stand spielt dann eine immer größere Rolle— weniger das Buch als Medium von Inhal-ten. Das vorliegende Faksimile hingegen istkeines für Büchernarren, für Bibliophile imSinne G[ustav] A[dolf] E[rich] Bogengs(1881—1960), als vielmehr eines für Wissen-schaftler, die sich mit der Gitarre im Wiendes frühen 19. Jahrhunderts befassen. EinReprint eher, der Nachdruck eines Werkes,das seit fast zweihundert Jahren nicht mehrvollständig in den Bibliotheken dieser Weltnachzuweisen ist.Dabei war die Öffentlichkeit spätestens seitder Dissertation von Josef Zuth („SimonMolitor und die Wiener Gitarristik um1800“, Wien o.J., vmtl. 1919 oder 1920)über die Wichtigkeit dieser Gitarrenschuleinformiert. „Der Beginn Molitors gitarristi-

scher Betätigung ist spätestens mit 1799 anzu-

setzen [!] da er mit R. Klinger (recte Wilhelm

Klingenbrunner) seine Gitarreschule schrieb,welche »wesentlich dazu beitrug, diesem bald

nachher zu großer Beliebtheit gelangten In-

strumente Bahn zu brechen« (Sonnleitner).“(ebda. S. 19) Aber Zuth beklagte auch, dasser kein Exemplar der Schule hatte nachwei-sen können.: „Nach Sonnleithners Aufzeich-

nungen ist ein Exemplar der Schule in Verwah-

rung der Gesellschaft der Musikfreunde. Trotz

eingehender Nachforschung war das Lehrwerk

nicht aufzufinden, auch ist es dort nicht kata-

logisiert. Nach Mitteilung des Herrn Dr. Adolf

Koczirz besaß auch der 1910 verstorbene Wie-

ner Gitarrist Jos. Krempl ein Exemplar; trotz

aller Bemühungen war dasselbe nicht erhält-

Fernando Sor, Marche Funèbre à la mortde S. M. l Empereur Alexandre, herausge-geben von Miron Weisbord,Columbus/Ohio 2007, Editions Orphee,PSNT-1

Fernando Sor, Variationen über das The-ma „Das klinget so herrlich“ für Gitarreop. 9, herausgegeben von Andrés Sego-via, Mainz 2007, Schott, GA 130

Nikola Starcevic, Asiana V: First PÜricein the 2007 JoAnn Falletta InternationalComposition Competition for Guitar, Co-lumbus/Ohio 2008, Editions Orphee,PWYS-86

Siegfried Steinkogler, 24 Wettbewerbs-stücke: Neue Stücke für Gitarre solo, Wi-en 2007, Universal Edition, UE 33 667

Reinhard Wolschina, Impulse für Gtarreund Klavier. Spielpartitur, Helmstadt2006, Hubert Hoche Musikverlag

Giovanni Zamboni, 2 Sonaten für Gitarre:Sonata Nr. 6 e-Moll, Sonata Nr. 9 a-Moll,herausgegeben von Stefan Hackl, Wien2007, Doblinger, D.18 953

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 43

lich. Anderweitige Exemplare im Privat- oder

Bibliotheksbesitz konnten nicht ausgeforscht

werden.“ Dies also die Bedeutung des vorlie-genden Faksimiles: Es handelt sich um einewichtige Quelle des frühen 19. Jahrhun-derts, für die bisher keine Exemplare nach-gewiesen werden konnten, jedenfalls keinevollständigen, denn, wie Stefan Hacklschreibt, war „bisher nur ein einziges Exem-

plar des ersten Bandes bekannt und der zwei-

te überhaupt verschollen.“ Er, der Herausge-ber, hat dann „die einzige [erhaltene] voll-

ständige Molitor/Klinger-Ausgabe“ entdecktund dies zum Anlass für diese Ausgabe ge-nommen – mit Recht!Zum Schluss noch eine Bemerkung zumThema „Das Buch als Ware“. Das hier zuwürdigende Faksimile ist keine Ausgabe aufhandgeschöpftem Bütten und in x-farbigemLichtdruck für Freunde bibliophiler Pretio-sen. Es ist ein Reprint, um allen Interessen-ten die als verschollen geltende wichtige Gi-

tarrenschule von 1812 neu zugänglich zumachen. Aber: Die vorliegende Ausgabe istin neuester Technik hergestellt und wider-spricht dabei beispielsweise allen die be-haupten, ein fadengehefteter Digitaldrucksei eine Contradictio in adjecto. Ist ernicht. Und dass Stefan Hackl heute der Fach-mann für dieses Kapitel der Gitarrenge-schichte ist, muss nicht erwähnt werden. Esmacht Spaß, diese Ausgabe zu lesen, esmacht Spaß, an Stefan Hackls Entdeckungs-geschichte teil zu haben und es ist gut,dass der Forschung diese Quelle wieder zurVerfügung steht. Dass der hohe aufgewand-te Aufwand seinen Preis hat, sollten Sie,als potentieller Käufer, akzeptieren!

Friedrich Kuhn

Noch ein Beitrag zum Thema „Stimmen“: Die entsprechende Bemerkung bei Molitor/Klinger, Faksimile-Ausgabe, Doblinger, S. 13

44 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3

Leo Witoszynskyj

23. Juni 1941 – 1. Oktober 2008

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3 45

… Ich habe Luise Walker als

meine geistige Mutter angese-

hen und Andrés Segovia als

meinen geistigen Vater …

Peter Päffgen sprach mit

Leo Witoszynskyj.

Das Interview wurde im

August 1998 in Wien anläss-

lich des Festivals

„Forum Gitarre Wien“ geführt.

Peter Päffgen: Leo, Luise Walker war Deine

erste Lehrerin was die Gitarre angeht. Wie

kam es zu der Begegnung?

Leo Witoszynskyj: Nun, das war eine schick-salhafte Begegnung! Es sollte ein Gitarren-kurs in Wien stattfinden, und ich hab michdafür interessiert, um einmal eine Gitarrezu hören. Das war scheinbar so etwas wiejugendliche Romantik, und ich habe mirvorgestellt, es müsse schön sein, Gitarren-musik zu hören. Eine Konzertgitarre hatteich jedenfalls nie gehört. Mit einem Freundzusammen habe ich mich angemeldet, undder Kurs fand nicht statt. Ich habe abernicht locker gelassen und habe schließlichvom Pfarrer eine Gitarre geschenkt bekom-men. So weit war ich also dann. Nun wollteich etwas lernen und bin durch glücklicheUmstände bei Luise Walker gelandet. Siehat sich bereit erklärt, mich eine Zeitlangzu unterrichten. Der Andrang für Gitarrewar noch nicht so groß damals. Ich war al-so im Unterricht, erste Stunde, bei LuiseWalker, und abends bin ich in ihr Konzertgegangen. Mir fiel es wie Saulus vor Da-maskus wie Schuppen von den Augen. Daswar es, was ich hören wollte, und das woll-te ich auch spielen. Ich bin nach Hause ge-gangen und habe die Entscheidung getrof-fen: „Das will ich auch machen“. Das warim April 1956. P.P.: Woran lag‘s? Am Repertoire, am Klang,

am Charisma der Musikerin?

L.W.: Das kann ich kaum trennen. Ich den-ke aber auch, dass in Menschen psychischeDispositionen für bestimmte Instrumentevorhanden sind. Ich bin scheinbar ein Typfür die Gitarre. Der Klang hat etwas subti-les, etwas, was seelische Schichten berührt,und das Instrument hat mich überzeugt.Das war ein Volltreffer. Mit dieser Entschei-dung habe ich dann die nächsten Studien-jahre verbracht, es sind neue Motivationendazugekommen, neue Aufgabenstellungen,mangagements …P.P.: Und all das hat die Walker initiiert!

Wenn man über Jahre in der Gitarrenwelt zuhause ist, lernt man viele Menschen ken-nen: Musiker und solche, die es werden wollen; Komponisten; Redakteure; gescheite

und weniger kluge Menschen; kultivierte und tumbe Weltenbürger; Leute, zu denen eseinen hinzieht und solche, um die man einen großen Bogen macht. Und wenn man

professionell die Gitarrenwelt bereist, hat man nicht einmal die Wahl, den einen oderanderen zu mögen oder nicht zu mögen … schließlich sitzt man im selben Boot!

Aber man hat Meinungen und Präferenzen, auch wenn man die nicht gleich jedem zuerkennen gibt. Es gibt Musiker, die man immer schon bewundert hat und noch immer

bewundert, weil sie einen mit dem einen oder anderen Konzert berührt haben, odermit einer Platte, die man irgendwann gehört und die einen fasziniert hat. Es gibt Men-

schen, die einem aufgrund ihres abgeklärten Urteils imponieren und die man deshalbimmer wieder gern sieht. Hier ist es eine eher sachliche, intellektuelle Ebene, auf der

man sich trifft. Es gibt Kollegen, die mit einem universalen Wissen aufwarten, dasfächerübergreifend wirkt und Phänomene miteinander in Verbindung bringt, die man

vielleicht nie im Zusammenhang gesehen hätte … und freilich gibt es Menschen, derenGesellschaft man sucht, weil sie amüsant erzählen können; die viel erlebt haben und

ihre Erfahrungen gern weitergeben ohne damit Indiskretionen zu begehen.Vor zwei Tagen erreichte mich die Anzeige, dass ein Freund viel zu früh verstorben ist,dem ich mehr als gern auf meinen Gitarren- und auch sonstigen Reisen begegnet bin:

O. Univ.-Prof. Dr. Leo Witzoszynskyj starb am 1. Oktober 2008 in Graz.In Graz, werden Sie fragen, er war doch überzeugter Wiener. Stimmt! Aber er war auch

ein sehr engagierter Lehrer – und als solcher Professor für Gitarre an der Universitätfür Musik in Graz … und Professor h.c. der Musikakademie in Lemberg. Für seine Stu-

denten hat er sich eingesetzt, für sie hat er gelebt, gearbeitet und gekämpft. Das Glei-che gilt für das österreichische Ausbildungssystem! Hier hat er sich engagiert und hier

hat so manchen Streit ausgefochten … nicht für sich, sondern für die Sache!Denn er war nicht nur Musiker, seine Eltern hatten ihn gezwungen, „etwas Anständi-ges“ zu studieren, bevor er sich der Musik widmete. Leo Witoszynskyj wurde Jurist –

daher stammt sein Doktortitel. Als Professor an der Universität für Musik in Graz undder Akademie in Lemberg kämpfte er also als Musiker und Jurist – als Fachmann in

mehrerlei Hinsicht!Virtuose, Klangzauberer, Bühnenmensch war er nie … aber Musiker war er immer. Mit

billigem Firlefanz wollte er seine Konzertbesucher nicht fangen, nicht mit „süßemGift“, wie er die Musiken gern nannte, die mit wenig Aufwand viel Show hermachen.

Nein, Musik war für Leo Witoszynskyj ein zwar sinnliches, aber auch ein in hohem Maßintellektuelles Vergnügen! Die österreichischen Komponisten des 20. Jahrhunderts und

ihre Werke lagen ihm am Herzen … und auch andere, die nicht in jedem Wettbewerbgespielt werden. Leo Witoszynskyj litt darunter, dass das große Repertoire für Gitarre

immer stärker eingekocht wird, reduziert auf die Erfolgsnummern, und dass immer we-niger Gitarristen den Mut und die Kraft haben, gegen den Strom zu schwimmen.

Aber Leo Witoszynskyj war kein Nonkonformist, der nur durch Dinge auffallen wollte,die man sonst nicht hörte, sah oder spürte. Nein, überhaupt nicht! Er war auch kein Re-

voluzzer oder jemand, der durch seine Leidenschaft für Ungesehenes oder Unerhörtesauffallen wollte – er war jemand, der einen ausgeprägten Sinn für Qualität hatte. Er er-

kannte sie und wollte sie herausstellen und bewahren —auch, wenn sie sonst kaum Anhänger fand.

Nicht die Wirkung, die Qualität war es, die ihn interessierte und beflügelte.Nie der Effekt.

Sein Buch „Cantabile e ritmico: Über die Kunst des Gitarrespiels“ [ Wien 2003, Doblin-ger] trägt diese Widmung: „Im Gedenken an Alfred Uhl, Stefan Zweig und Viktor E. Frankl

allen Musik liebenden Menschen mit fragendem Sinn.“ Alfred Uhl (1909—1992) war Kom-ponist, der auch ein paar Stücke für Gitarre geschrieben hat, Stefan Zweig (1881—

1942) Schriftsteller und Viktor Emil Frankl (1905—1997) Neurologe und Psychiater – al-le drei waren Wiener und alle drei hatten ihn, den fragenden Sinn, der auch

Leo Witoszynskyj auszeichnete.Leo Witzoszynskyj hinterlässt seine Frau Eleonore und seine beiden Söhne Nikolausund Christoph, eine große Studentenschaft und viele Freunde, die ihm nicht zuletzt

auch wegen seiner Großzügigkeit und Herzlichkeit zugetan waren und sind.

Peter Päffgen

46 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3

LW.: Ja, die Walker und die Hernández-Gi-tarre. Die beiden gehörten zusammen undsind unverwechselbar. Als Du Sie gesterngehört hast, hatte sie Saiten drauf, dienicht zu ihr passten. Als ich sie übernom-men habe, hatte sie LaBella Goldsaiten, unddas ist der Klang, den ich im Ohr hatte. P.P.: Ist das eine besondere Hernández?

LW.: Nun, es ist eine Gitarre von 1924, undich kann nur sagen: ,,Sie ist in jeder Hin-sicht perfekt“. Alles stimmt. Sie liegt per-fekt in der Hand. Sie ist ausgewogen undausbalanciert beim Spielen. Sie ist klang-lich so, dass jeder darüber staunt, wie lan-ge und weit sie sich durchsetzen kann. Einaußergewöhnliches Instrument! Sie ist fürspanische und für polyphone Musik gleichgut geeignet. Ich habe die Gitarre irgendwann in dieHand bekommen und Luise Walker hatmich eingeladen, auf ihr zu spielen. Ich ha-be die Chaconne gespielt und sie hat ge-sagt: „Ihr gehört zusammen“. Ich habeden Eindruck, als schlösse sich im Momenteine Reihe von Kreisen. Das Instrumentzum Beispiel, das ich vor zweiundvierzigJahren zum ersten Mal gesehen und gehörthabe, ist in meinen Besitz gekommen. P.P.: Hat denn Luise Walker die Gitarre bis

zum Schluss gespielt?

L.W.: Eben nicht! Sie hat in den letzten Jah-ren eine Kohno gespielt. Die Hernándezhatte einen Riss im Boden, und Luise Wal-ker hatte niemanden, dem sie das Instru-ment anvertrauen wollte. Das hat sie sehrbekümmert. Ich habe vor einem Jahr mitihr geredet, und es ging um das Festival„Forum Gitarre 97“. Wir haben über die Gi-tarre geredet und sie sagte, sie hätte soviele, große Erfolge auf der Hernandez ge-habt ... sie hatte einfach Angst, sie reparie-ren zu lassen. Sie verband so viele private,persönliche Dinge mit dieser Gitarre. Eswar ein Tabu … die Erinnerungen warenstärker als die Wirklichkeit. P.P.: Du hast also später die Gitarre restaurie-

ren lassen?

L.W.: ja, Tobias Braun hat sie sehr fachge-recht und liebevoll wieder hergerichtet. DerRiss im Boden, der einen Millimeter breitwar, ist geschlossen, und die Gitarre istwieder in gutem Zustand.P.P.: Wenn ich mir die Platten und CDs anhö-

re, die von Luise Walker überliefert sind, fällt

mir auf, dass sie, was das Repertoire angeht,

andere Wege gegangen ist, als viele ihrer Kol-

legen. Hat sie diesen „Forschergeist“ auch an

ihre Studenten weitergegeben?

L.W.: Sie hat immer die Verpflichtung gese-hen, Komponisten anzuregen, für Gitarre zuschreiben. Sie war sehr anspruchsvoll beider Klanglichkeit. Sie hat viel Einfluss aufdie Klanggestaltung genommen, und wennihr etwas nicht gefiel, musste es umge-schrieben werden. Die Gitarre ist ein In-

strument, für das viele Insider-Kenntnissenötig sind, wenn man für es schreiben will.Was auf dem Papier gut und klangvoll aus-schaut, ist auf der Gitarre lange noch nichtgut und klangvoll. Da hat Luise sehr vielEinfluss genommen. Gattermeier, Ha-senöhrl, Rebay, Alfred Uhl das waren Kom-ponisten, die sie viel gespielt hat. P.P.: Und das war ja andere Musik als das

Gros der Gitarristen spielte, oder? Das spani-

sche und südamerikanische Repertoire wurde

ja populär.

L.W.: Sie hatte natürlich auch das Bewusst-sein, dem lokalen Musikbetrieb verpflichtetzu sein. Wenn man in einer Musikstadt wieWien lebt, heißt das auch, Traditionen mit-zutragen. Wenn man ein Instrument spielt,das Bestandteil der Musikszene sein soll,muss natürlich auch die Musik integriertsein. Das ist eine Forderung, die Karl Scheitund Luise Walker gleicherweise erfüllt ha-ben. Beide haben österreichische Komponi-sten angeregt, für Gitarre zu schreiben, undsie haben sich auch für deren Werke einge-setzt. Aber Luise Walker war Widmungsträ-gerin verschiedener anderer Werke … vonSantórsola, Ponce oder Rodrigo. P.P.: Du nanntest eben den Namen Karl

Scheit. Die beiden, Luise Walker und er, ha-

ben am gleichen Institut hier in Wien unter-

richtet, aber dem Vernehmen nach waren sie

nicht die besten Freunde.

L.W.: Das ist eine sehr persönliche Sache,die ich weder analysieren noch kommentie-ren will. Es waren grundsätzlich unter-schiedliche Typen. Sie war die Virtuosinmit großem Publikumserfolg, und er warganz anderen Idealen verpflichtet. Tabula-turen, Bach, Dowland … das war ScheitsWelt. Die polyphone Musik bis zur Barock-zeit war sein Schwerpunkt. Einig waren siesich über die Bedeutung der Kammermusik.Da gab es keine Meinungsverschiedenhei-ten. P.P.: Hat denn das Anderssein der beiden in

der Wiener Gitarrenszene eine Trennung her-

aufbeschworen. Gab es ein Lager „Scheitia-

ner“ und der ,,Walkerianer“?

L.W.: Als ich studiert habe, haben wir dar-an gearbeitet, diese Gräben zuzuschütten.Wir sind nach den Konzerten zusammenge-sessen, haben ein Bier getrunken und ge-fachsimpelt. Dabei haben wir dann heraus-gefunden, wo die Schwerpunkte beim ei-nen und die Schwerpunkte beim anderenwaren. Beide Seiten haben dabei gesehen,dass überall nur mit Wasser gekocht wurde.Wir haben also begonnen, uns gegenseitigzu helfen, anstatt uns zu behindern. DieSynergie, die wir beim Biertrinken erreichthaben, war gut für alle Beteiligten. Mit die-sem Credo bin ich nach Graz gezogen! P.P.: Wie bist Du nach Graz gekommen?

L.W.: Nun, ich habe mit Marga Bäuml zu-sammengearbeitet, und wir haben viele

Jahre viele Dinge miteinander auf die Beinegestellt. Das war eine sehr fruchtbare Zu-sammenarbeit. Heute setze ich sie mit Mar-tin Myslivecek fort. P.P.: Andrés Segovia hat in Deinem musikali-

schem Leben eine Rolle gespielt, nicht wahr?

War das eine andere Welt als die der Luise

Walker?

L.W.: Das war kein Widerspruch. Im Jahre1961 hat mir Luise Walker einen Prospektin die Hand gedrückt, und da ging es umeinen Wettbewerb in Santiago de Compo-stela. Sie fragte, ob ich da nicht hinfahrenwollte. Natürlich wollte ich! Ich war zwan-zig Jahre alt und bin drei Tage und dreiNächte mit der Bahn nach Santiago gefah-ren. Zum ersten Mal in Spanien. Luise Wal-ker hat mich zu Segovia geschickt, und ichbin bei dem Wettbewerb immerhin in diezweite Runde gekommen. Ein Achtungser-folg! Ich hatte das Glück, dann zu Yepes zukommen, und ich war einen ganzen Tag beiihm. Das hat mir enorm geholfen. Alles,was nicht beantwortet war, wurde an die-sem Tag beantwortet. Für mich ist Yepestrotz der Kürze der Zeit, die ich mit ihmverbracht habe, von enormer Bedeutung. Erwusste das! P.P.: Zwischen Yepes und dem Kurs und Wett-

bewerb in Santiago de Compostela bestand

aber kein Zusammenhang, oder?

L.W.: Nein, Yepes habe ich in Madrid be-sucht. Ich habe in Santiago eine Japanerinkennengelernt, und die kannte NarcisoYepes. Mit ihr bin ich dann nach Madridgefahren und habe ihn besucht. 1963 warich wieder bei Segovia in Santiago. Daszweite Mal. Ich war damals schon einer derprofilierteren Schüler, und ich stand vor derEntscheidung, wie es weitergehen sollte. Ersagte, er würde mir eine Stellung in Ameri-ka beschaffen. Ein Jahr später hat sichdann die Stelle in Graz angeboten, und ichmusste nicht mit Segovias Hilfe nach Ame-rika. Ich bin 1965 wieder nach Santiago ... daslief dann so weiter. Ich habe ihn immerwieder getroffen, wenn er auf Konzertrei-sen war, und wir standen auch brieflich instarker Verbindung. Ich habe dann auchdie Laudatio bei der Verleihung des Ernst-von-Siemens-Preises an Segovia gehalten,und das zeigt ein wenig, wie unser Verhält-nis zueinander war. P.P.: War das eine Art Steigerung … erst bei

Luise Walker und dann bei Andrés Segovia?

L.W.: Das habe ich niemals so gesehen. Ichhabe Luise Walker als meine geistige Mutterangesehen und Andres Segovia als meinengeistigen Vater. Ich hatte eine sehr starkegeistige Beziehung zu ihm, und er hat michauch geformt: so wie Väter ihre Söhne for-dern. Heute gibt es vielleicht andere ästhe-tische Maßstäbe als damals, und es ist inkeiner Weise so, dass ich unkritisch seinen

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3 47

Weg gegangen wäre. Mir war die Gefahr,Epigone zu sein, sehr bald bewusst. 1961spielte ich zum Beispiel die Castelnuovo-Te-desco-Sonate für ihn, und da gibt es einePhrase im Menuett, wo man auf dem „es“oben so verweilt. Und ein Mann wie Sego-via muss diesen Ton natürlich zelebrieren.Ich aber habe das Menuett eher als Tanzgesehen, mehr von der rhythmischen Seite,so wie man heute ein Menuett spielt. Erhat mich unterbrochen und wollte, dass ichden Ton in seinem Sinne hervorhebe. Ichhabe mich gefragt „Soll ich jetzt mit ihmdiskutieren, was ein Menuett ist oder willich etwas lernen?“ Ich denke‚ dass die ton-liche Gestaltung bei Segovia immer nochunübertroffen ist – und das wollte ich ler-nen. Ich habe mich also in diesem Momententschieden: „Ich lerne bei ihm und nichter bei mir!“ Übrigens ist das auch wieder so ein Kreis,der sich geschlossen hat. Sieben Jahre spä-ter habe ich beim Wettbewerb in Alessand-ria wieder dieses Menuett gespielt. Nach-her hatte sich die Jury zur Beratung zurück-gezogen und die Tür stand einen Spalt of-fen. Ich hörte durch den Türspalt, wie aufdem Klavier jemand das Menuett spielte —genau die Stelle, von der ich eben gespro-chen habe. Man hat darüber gesprochen,warum das so phrasiert war, und für einenPianisten war das nicht verständlich. Für ei-nen Gitarristen war es aber eine klanglukul-lische Besonderheit. Ein Gaumenkitzel. Hierzeigt sich also, dass meine Entscheidungvon Segovia zu lernen und nicht er vonmir, richtig war. Die Jury hat sich auch inmeinem Sinne entschieden. Ich habe nichtdie gleiche direkte Abhängigkeit von derAsthetik Segovias gehabt wie andere seinerSchüler. P.P.: Kopiert hast Du sein Spiel also nicht!

L.W.: Bis zur Karikatur ist Segovia kopiertworden, das stimmt. Nein, davon war ichweit entfernt. Das, was mit Geschmack et-was übertrieben werden kann, wirkt in derKopie lächerlich. Das ist in der Mode sound bei persönlichen Gewohnheiten. Wasbeim einen original wirkt, ist beim ande-ren, der es kopiert, lächerlich. P.P.: Yepes war ja der totale Gegensatz zu Se-

govia. Wenn ich es einmal positiv fassen will,

hat er gerade und strikt gespielt, wenn ich

Häme walten lasse, war er ein Beamter und

kein Künstler.

L.W.: Ja, die totale Antithese! Aber er warwichtig! Ohne die Polarität wäre die künst-lerische Entwicklung stagniert. Aber zu je-der These gibt es irgendwann eine Antithe-se. Er hat technische Innovationen ge-bracht, neue Ansätze zum Teil vom Celloabgeleitet, hat vor allem neue, bisher unge-wohnte Arpeggien „erfunden“. Warumkann man bei Arpeggien zum Beispiel nichtspielen p-a-m-i? Der Mittelfinger greift da-

bei über den Ringfinger, und die Logik istganz klar: Der Mittelfinger ist der längereFinger. „El Abejorro“ von Emilio Pujol zumBeispiel spielt er im Vier-Finger-Anschlagund erhält damit eine Brisanz, die er mitdrei Fingern niemals erreichen würde. Immittleren Satz vom Aranjuez-Konzert spielteer die Triolen mit drei Fingern, und die lau-fen wie geschmiert. Komplizierter wird es,wenn man Vierergruppen mit drei Fingernspielt. Da ist Yepes einen Weg gegangen,den ich nicht nachvollziehen konnte. P.P.: Das „Concierto de Aranjuez“ hat Sego-

via niemals gespielt, oder?

L.W.: Nein, das hat er nie gespielt. P.P.: Alirio Diaz sagte mir, Segovia habe das

Konzert nicht gespielt, weil ihn der Anfang zu

sehr an Flamenco erinnert habe, und den

wollte er eigentlich aus der Musik für Konzert

Gitarre verbannen. L.W.: Wenn man sich entscheiden muss, obdas Glas halb voll oder halb leer ist, ist esbei Segovia auf jeden Fall mehr als halbvoll. Gut, er hat versäumt, das eine oderandere Werk in sein Repertoire zu nehmen,aber man soll nicht das Kind mit dem Badeausgießen. Wenn ihm ein Werk aus klangli-chen oder anderen Gründen nicht zugesagthat, dann ist es künstlerisch auch legitim,sich zu verweigern. Es ist legitim zu sagen:„Ich spiele Mozart und lasse die Finger vonChopin“. Jeder Mensch hat Grenzen, unddas waren eben die Grenzen von Segovia,an die er sich auch gehalten hat. Man kannschließlich auch fragen, warum die Kompo-nisten so sperrig geschrieben haben. Viel-leicht hätte eine Zusammenarbeit, wie sieLuise Walker gesucht hat, andere Ergebnis-se zutage gebracht. Mit Ponce ist das japassiert. Segovia hat ihn auf Knien ange-fleht, Dinge zu ändern, und nur bei ein,zwei Sachen hat er nicht nachgegeben. Inder „Sonata Romántica“ sind die Figurendringeblieben, und da hat Segovia die Not-bremse gezogen und hat die Stelle bei derEinspielung einfach weggelassen. Das sinddie Sechzehntelfiguren – acht Takte – ganzam Ende der Sonate. Die hat er nicht ge-spielt. Die liegen auch nicht optimal. P.P.: Welche Rolle hat damals Alirio Diaz ge-

spielt ... um bei dem Namen gerade einmal

zu bleiben?

LW.: Ich kenne noch die Zeiten, als die Kon-zerte von Alirio Diaz Ereignisse waren. Erhat auch Maßstäbe gesetzt. Ich habe nocheine alte Platte von ihm aus den fünfzigerJahren, und er spielte da Barrios. Er war dererste Gitarrist, von dem ich Barrios gehörthabe. Das hat mich sehr stark beeinflusst.Ich habe 1958 mit dem ersten Geld, das ichverdient habe, einen Plattenspieler undPlatten gekauft … zwei von Segovia, einevon Yepes und eine von Alirio Diaz – einevon Luise Walker hatte ich schon. Das warmein Horizont. Bei Diaz war es die Leichtig-

keit, das südamerikanische Flair, das michfaszinierte. P.P.: Wie siehst Du überhaupt die Zukunft des

Repertoires Segovias — wird das in Zukunft

noch jemand spielen?

L.W.: So lange man Legnani und Costespielt oder Tärrega, wird man auch More-no-Torroba spielen. Außerdem ist die „SuiteCastellana“ eines der ersten Werke, das fürGitarre geschrieben worden ist. Segoviawar sich aber darüber im Klaren, dass vonden Komponisten, mit denen er zusammen-arbeitete, Ponce an allererster Stelle stand.Es hört sich fast ein wenig peinlich an füreinen Menschen, der – wie ich – Segovialiebt, wie er über Mario Castelnuovo-Tedes-co schreibt. Er war sich wahrscheinlichnicht bewusst, dass die Briefe einmal publi-ziert werden. Er hat Ponce eindeutig überTedesco gestellt und weit dahinter stand –auch für Segovia – Moreno-Torroba. DessenGrenzen waren ihm bewusst. P.P.: Beim Ende der Ara Segovia, die ja nicht

nur bis zu seinem Tod gedauert hat, sondern

etliche Jahre länger, hat es ja verschiedene

Revolutionen gegeben, was das Repertoire an-

geht. In alle Richtungen! Eine Linie führte di-

rekt in die Avantgarde – eine andere in die

leichtere Musik. Ist es eine bedenkliche Ten-

denz, dass Gitarristen immer populistischer in

ihrer Stückeauswahl werden?

L.W.: Ich denke, dass ein Gitarrist offen füralle Stile sein muss. Er kann sich spezialisie-ren, aber muss einen Überblick haben.Wenn ein Zahnarzt nichts mehr von innererMedizin versteht, wird‘s bedenklich. EinMusiker muss universell gebildet sein, wasKunst und Musik angeht, und speziell Gitar-risten haben eine große Bandbreite, wasdas angeht. Sie haben ja nicht nur die klas-sische Schiene von der Renaissance bis zurAvantgarde – sie sollten sich auch im Jazzauskennen, in ihrer Country-Music. All dasist anderen Instrumentalisten versagt.Aber Gitarristen sollten sich mit all diesenDingen auskennen – im Ensemblespiel, inder Beherrschung modernen Techniken etc.Den Flamenco habe ich jetzt ausgelassen,weil das ein Spezialgebiet ist, aber „klassi-sche“ Gitarristen müssen auch davon Ah-nung haben. Man kann schlecht Turinaspielen, ohne sich den Flamenco zumindestvorstellen zu können. Für den Gitarristen ist es heute aber eineungeheure Herausforderung, sich der aktu-ellen, neuen Musik anzunehmen. Es gibtaber die Gefahr, dass das süße Gift, die Oh-renschmeichler, die beim Publikum gut an-kommen, die den Musikern aus den Hän-den gerissen werden, insgesamt eine Verar-mung mit sich bringen. Die neue Musik ausdem eigenen Land wird darüber völlig ver-gessen und der muss sich ein Musiker stel-len, sonst verliert er seine Identität. In Po-len finde ich diese Entwicklung besonders

48 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3

bedauerlich. Es gibt ein paar Musiker, diedem entgegensteuern, aber tendenziellkann man das beobachten. In der Tsche-choslowakei ist es ganz anders. Dort sindeinige sehr gute Kräfte am Werk, die her-vorragende Musik schreiben, die auch ge-spielt wird. Da sind vitale Zeichen gesetztworden. Da ist etwas Eigenständiges. P.P.: Die Popularisierung der Programme,hängt die damit zusammen, dass Gitarristensehen, dass das Interesse an ihrem Instru-ment immer weiter zurückgeht?L.W.: Kann ich so pauschal nicht sagenaber eine gewisse Sättigung ist eingetre-ten. Das stimmt. Wir haben uns bequemzurückgelehnt und haben gedacht, es geheauf der gleichen Schiene mit Mozartvaria-tionen und Villa-Lobos immer weiter. DieAkzente müssen heute aber anders gesetztwerden. Und es gibt die Akzente. Nimmdoch den Wolfgang Muthspiel– der seit re-lativ kurzer Zeit die Szene mit seinen Kom-positionen bereichert. Da kommt aus dem]azz etwas ganz vitales, und Muthspielkennt die Gitarre wie seine Westentasche.Der Mann hat Phantasie und bringt ganzneue Impulse. Aus der „klassischen“ Ecke vermisse ich imMoment die Akzente. Die Zeit der Gina-stera-Sonate, die ja auch schon sechzehnJahre auf dem Markt ist, scheint vorüberzu sein. Da kommt nichts rechtes nach.Aber der Name Muthspiel ist gefallen. Hierist etwas passiert! Swing, Jazz ... man wirdim zweiten Satz an Brouwer erinnert, undda schaut auch Strawinsky heraus mit sei-nen grotesken Intervallen und rhythmi-schen Sequenzen. Im letzten Satz hörtman dann orientalische Tonleitern ... Muth-spiel spielt mit dem Material, und es istkraftvolle Musik geworden. P.P.: Wie kommen denn heute neue Werke,wie die von Muthspiel, in Umlauf. Es ist dochvermutlich immer noch so, dass Stücke vongroßen, international bekannten Gitarristenöffentlich gespielt werden müssen, damit sichandere Musiker ihrer annehmen – so wie das„Nocturnal“ von Britten durch Bream be-kannt gemacht worden ist.L.W.: Ja, Wolfgang Muthspiel wollte eigent-lich das erste „Tonspiel“, das niemandemgewidmet ist, Julian Bream widmen. Er hatihm das per Brief vorgeschlagen, aber nie-mals eine Antwort erhalten. Vielleicht istder Brief nicht angekommen. Das Stück hatsich aber einen Weg ins Repertoire geschaf-fen – wenn Bream es gespielt hätte, wärees sicher viel schneller gegangen. P.P.: Mit welcher Musik beschäftigst Du Dichheute ganz besonders? L.W.: Die Sonate von Alfred Uhl steht anund die „Sonata Romäntica“ – das sindRückgriffe auf alte Zeiten. Ich habe die Uhl-Sonate noch mit dem Komponisten im Re-gieraum eingespielt. Und kürzlich fand ich

einen vierten Satz zu dieser Uhl-Sonate inmeinen Unterlagen, der völlig neu ist. DasManuskript bekam ich Anfang der sechzi-ger Jahre. Ich war mit dem vierten Satzder alten Fassung nie glücklich und denke,dass der Spannungsbogen der Sonate hierirgendwie abbrach. Jetzt finde ich einenanderen vierten Satz im Autograph von Al-fred Uhl, und ihn möchte ich gerne in Kon-zerten spielen. Aber ich habe in diesem Jahr vier Urauf-führungen von Werken österreichischerKomponisten gespielt, und das war eineMenge Arbeit. Ich werde die Fantasia vonRoberto Gerhard spielen, der bei Schönbergstudiert hat. Meine musikalische Bandbrei-te liegt im Moment zwischen zeitgenössi-scher Musik und ein wenig Nostalgie derdreißiger Jahre. Bei der Uhl-Sonate habe ich das Manuskriptja schon eine ganze Weile, ohne bisher hin-eingeschaut zu haben. Da gibt es einen er-sten Satz, einen zweiten, einen dritten undeinen vierten, und ich habe ganz überse-hen, dass unter dem vierten Satz ein weite-rer vierter Satz gelegen hat. Ich habe dieSonate nie nach dem Autograph gespielt,sondern nach der gedruckten Ausgabe vonScheit, die bei Schott herausgekommen ist.Der neue vierte Satz ist auf jeden Fall einüberzeugender Abschluss der Sonate. Die Sonate von Uhl trägt übrigens die Wid-mung „Für Karl Scheit“ obwohl der Kompo-nist sie eigentlich Andrés Segovia widmenwollte. Segovia hat Ponce geschrieben, erhabe eine Sonate von einem jungen öster-reichischen Komponisten mit Namen AlfredUhl bekommen, an der man sehe, dass erseine [Poncesl Werke aufmerksam studierthabe. Segovia hat sich also lobend überdie Sonate geäußert. Ich weiß allerdingsüberhaupt nicht, ob Uhl jemals ein Werkvon Ponce gehört hatte. Vielleicht ist es le-diglich die stilistische Nähe. P.P.: Wie soll es denn jetzt mit der Gitarren-musik weitergehen? L.W.: Nun, ich denke, man muss eineBrücke schlagen zwischen der komplizier-ten, strukturellen Musik, die kaum ihr Pu-blikum erreicht und der sehr populistischenMusik. Musik, die hohe Qualität hat unddie auf die Menschen zugeht — Bemühun-gen, solche Musik zu schreiben, muss manunterstützen. Die Komponisten haben bis-her oft vergessen, entweder zu den Men-schen zu sprechen oder auf die Qualität zuachten. Aber man kann es miteinander ver-binden. Das schließt sich nicht aus! Wennman es schafft, wie es Mozart und Straussja auch geschafft haben oder die Beatlesoder Duke Ellington, dann mache ich mirkeine Sorgen. Wir haben kreative Leute,und ich bin optimistisch. Aber die ausge-tretenen Pfade müssen wir verlassen. P.P.: In den letzten Jahren hat es aber auch

Brüche gegeben. Da wurde avantgardistischgeschrieben und dann minimalistisch ... heu-te wieder fast romantisch.L.W.: Kunst muss sich aber auch nach denBedürfnissen der Menschen richten. WelcheBereiche sprechen den Menschen an? Dassind die Politik, der Sport, die Religion, dieKunst … P.P.: … mir fiel da noch ein Bereich ein!L.W.: ... na ja, aber ausgerechnet die Kunstsoll sich herausnehmen und „kopfig“ wer-den. Das wäre doch verfehlt. Sollen Emo-tionen denn der Politik überlassen werdenoder dem Sport? Da fällt mir übrigensnoch eine Anekdote mit der Walker ein: Ich war vor Jahren mit ihr essen, und dasLokal war vollkommen leer. Irgendwie be-kam ich heraus, dass am gleichen Abenddas Finale der Fußballweltmeisterschaftstattfand und die Leute lieber vor demFernseher saßen als in einem Restaurant.Ich habe Luise Walker dann nach Hause ge-bracht und als sie sich bei mir verabschie-dete sagte sie: „Ach gut, dann schau ichmir noch den Schluss vom Finale an!“ Dasieht man, wie weite Kreise hier eingebun-den werden. Aber wenn Kunst nur denKopf anspricht, hat sie ihre Daseinsberech-tigung verfehlt. Die Verkopfung der Kunstwar eine Reaktion auf die Nazizeit. In derZeit wurde die Musik benutzt. Was kannFranz Liszt dafür, dass seine Musik für Pro-pagandazwecke missbraucht wurde. DieMusik ist hervorragend aber sie ist benutztworden. Die Reaktion war die Zwölftonmu-sik. Eine radikale Antwort! Aber heute müs-sen wir eine Verbindung suchen!P.P.: Leo, Ich danke Dir herzlich für das Ge-spräch!

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 49

50 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 51

52 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 53

54 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 55

56 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 57

58 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 59

60 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 61

62 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 63

64 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 65

66 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 67

68 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 69

70 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 71

72 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4 73

Helmut C. Jacobs, Der junge Gitarren-

und Concertinavirtuose Giulio Regon-

di: Eine kritische Dokumentation seiner

Konzertreise durch Europa 1840 und

1841, Bochum 2001, Augemus Verlag, Rei-

he: Texte zur Geschichte und Gegenwart

des Akkordeons, Band 7, ISBN: 3-924272-

06-9, € 30,–

Dass Leben und Werk vieler Gitarristen des19. Jahrhunderts weitgehend unerforschtsind, wissen wir. Ein Grund dafür ist dieTatsache, dass die universitäre Musikwissen-schaft sich zwar mit Laute und Lautenmusikrecht intensiv befasst hat, dass sie die Gitar-re und die für sie geschriebene Musik aberweitgehend vernachlässigt. Einige singuläreStudien wie die von Thomas F. Heck überMauro Giuliani, von Brian Jeffery über Fern-ando Sor oder Mario Tortas großer Carulli-Werkekatalog sind unternommen worden,aber das sind Ausnahmen. Die musikwissen-schaftlichen Zeitschriften lassen Gitarre undGitarrenmusik links liegen, die meistenFachblätter argumentieren eher apologe-tisch – zu oft versuchen sie, ihrem Betrach-tungsgegenstand, der Gitarre, eine Positionin vordersten Positionen der „klassischenMusik“ zuzuweisen. Und doch sind es dieFachzeitschriften, die wissenschaftliche Ar-beiten angeregt und gefördert haben unddas immer noch tun.Giulio Regondi (1822/1823—1872) gehörtzu den Gitarristen, über die wir nicht vielwissen. Nicht einmal sein Geburtsjahr istbekannt und einige seiner Werke, über dieman aus Presseberichten und anderen öf-fentlichen Notizen immer schon weiß, ste-hen seit Olims Zeiten auf den Suchlistenvieler Wissenschaftler und Bibliotheksbe-wohner. Per Zufall oder aufgrund hartnäcki-gen Forschens sind in der letzten Zeit eini-ge davon ans Tageslicht gekommen (s. vor-liegende Ausgabe von Gitarre & Laute-ON-LINE, S. 35—42).Das jetzt zu würdigende Buch beleuchtet ei-ne Episode in Regondis Lebensweg: seineKonzertreise zusammen mit dem Cellisten

Joseph Lidel (1803—1878) in den Jahren1840/1841. Jacobs betrachtet Regondi nichtdurch die Gitarristen-Brille, sondern, wennüberhaupt, durch die eines Akkordeon-For-schers (s. den Reihentitel!), aber eigentlichist er Romanist und Germanist.1840/41, als Giulio mit dem Ehepaar Lidelauf Konzertreise aufbrach (Mrs. Lidel fuhrmit, wurde aber musikalisch nicht aktiv),war die Gitarre für ihn fast schon passé. Ertrat noch als Virtuose auf Gitarre und Con-certina auf, aber schon für 1841, als Regon-di mit den Lidels wieder in London war,konstatiert Jacobs: „So machte der ohne je-

den Zweifel beste Gitarrenvirtuose seiner Zeit

die Concertina zu seinem ersten Instrument

und wurde der beste Concertinavirtuose aller

Zeiten.“ Sie, die Concertina, war, als Prototyp jeden-falls, „bereits Ende der zwanziger Jahre […]gebaut worden“. Bis dahin ist Giulio Regon-di, zusammen mit seinem Vater, als gitarri-

stisches Wunderkind von Konzertsaal zuKonzertsaal gereist: „Ein Knabe von 7 Jahren,

Julius [sic] Regondi, lässt sich mit großem

Beyfall in Paris hören. […] Er spielt die Guitar-

re nach einer ihm von seinem Vater beyge-

brachten Methode mit einer seltenen Kunst

und Anmuth“ [Allgemeiner MusikalischerAnzeiger, Wien, 1830]. Als Kind soll er zumÜben getriezt worden sein und danach alsWunderkind missbraucht: „Die Präsentation

von musikalischen Wunderkindern war damals

ein lukratives Geschäft.“ Dann ließ die Gitar-re an Popularität nach … ungefähr gleich-zeitig erfand Charles Wheatstone die Con-certina. Er wandte sich an Vater Regondi:„Als das geniale Meisterstück [die Concertina]Regondi gezeigt wurde, fragte man ihn, was

man damit machen könne. Er antwortete:

„Mein Sohn wird seine Stärken zum Vorschein

bringen, wenn es überhaupt jemand kann.“

Der Knabe erweckte es tatsächlich zum

Leben.“ Giulio musste nun also Concertinaüben, vermutlich wieder, um seinem VaterEinkünfte zu sichern. Helmut C. Jacobsmeint, es gäbe „Indizien dafür, dass er von

seinem Vater ausgenutzt wurde“ – und essind verlässliche Indizien! 1834 und 1835gab er „neunundfünfzig Konzerte“ mit derConcertina in Irland – sein Vater war dabeiund Giulio war gerade einmal zwölf oderdreizehn. „Bezeichnend für Wheatstones Ar-

beitsweise und seine Forschungen war das ste-

te Bemühen, theoretische Erkenntnisse in die

praktische Anwendung umzusetzen […] Ent-

wicklung, Konstruktion, Patentierung und kom-

merzielle Nutzung waren für Wheatstone eine

notwendige Abfolge seiner dem praktischen

Nutzen verpflichteten wissenschaftlichen Tätig-

keit.“ Das war beim Telegraphen so, an des-sen Entwicklung er maßgeblich beteiligtwar, und bei der Concertina … um nur zweiBeispiel zu nennen. Wer weiß, ob nicht dieKonzertreise zusammen mit Lidel vonWheatstone gesponsert worden ist um sei-ne Concertina in Europa bekannt zu ma-chen? Lidl war ein Cellist, der den Zenithseiner Karriere längst überschritten hatte

BUX

74 Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 3–4

und der im Rahmen der Konzertreise auchmiserable Kritiken einstecken musste … Re-gondi dagegen erlebte einen glanzvollen Er-folg nach dem andern! Jacobs fragt sich:„In Bezug auf Lidels Verhältnis zu Regondi

stellt sich die Frage, ob der Cellist der unei-

gennützige […] Betreuer des jungen Regondi

war, oder ob er […] nicht auch die eminente

musikalische Begabung Giulio Regondis in

dem einen oder anderen Sinne für seine

Zwecke ausgenützt hat“ … aber wo war ei-gentlich Giulios Vater? Noch auf Seite 16heißt es, es sei unklar „ob Giulio Regondi,

nachdem er sich im Laufe der dreißiger Jahre

von seinem Vater getrennt hatte, bei einem

Adoptivvater aufgewachsen ist“. Noch 1835war er mit seinem Vater auf Konzerttourneein Irland – im September 1840 begann sei-ne Reise mit den Lidels. Wann haben Vaterund Sohn sich getrennt? Und wie? Und wiekam das Ehepaar Lidel ins Spiel? In einem der insgesamt 129 Dokumente,die die zweite Hälfte des Buches füllen (derAutor baut hier auf „die Trennung von eige-

ner Darstellung und Quellenmaterial“), wirddie Trennung von Vater und Sohn beschrie-ben: „Als der Junge durch seine Konzerte eine

große Geldsumme verdient hatte […] verließ

ihn der Vater und nahm all die Früchte der

Mühen des Kindes mit sich und verließ den ar-

men Giulio“ (Nº 128). Diese Einschätzung ei-nes Richard Hoffmann ist aber 1910 veröf-fentlicht und vermutlich kurz vorher nieder-geschrieben, in größerem zeitlichen Ab-stand zum Geschehen also, außerdem be-zieht sie sich zum Teil auf Aussagen Dritter… wie glaubwürdig die Berichte sind, kannman nicht ergründen. Es kann sehr wohl so

gewesen sein, ohne Frage! Aber Herrn Hoff-manns Erzählungen können auch das Zielgehabt haben, der Mär um den genialenMusiker Giulio Regondi noch ein paar Facet-ten hinzuzufügen: „Seine Lebensgeschichte

war traurig und geheimnisvoll, was, zusätz-

lich zu seinem Talent, zweifellos eine weitere

Attraktion darstellte, und man flüsterte sich

über seine Geburt und seine Eltern zahlreiche

Geschichten zu.“Man sieht, von den diversen Fragen um Giu-lio Regondi konnte Helmut C. Jacobs nichtalle beantworten. Viele Dokumente hat erzusammengestellt, auch einige bisher unbe-kannte darunter, und hie und dort frage ichmich, warum er sie weitgehend unkommen-tiert seinen Lesern vorlegt. Ein paar Missver-ständnisse können beim Lesen vor allemder späteren Äußerungen über das Wunder-kind durchaus entstehen und das hätte derAutor vermeiden können. Denn die Weltder Wunderkinder und Virtuosen, in dersich Regondi bewegte, war voll von Legen-den und „gefüsterten Geschichten“. Siegehörten dazu, zum Wundergeiger Paganiniebenso wie zu Franz Liszt oder SigismondThalberg, mit denen Regondi verglichenwurde. Die zahlenden Besucher wollten sichin einem Konzert verzaubern lassen, unddas ist den Virtuosen der Zeit ganz offen-bar geglückt. Wenn man heute eine CD mitMusik für Concertina hört, wie die der „Giu-lio Regondi Guild“, und dabei die Kritikenund Berichte bei Jacobs liest, ahnt man,welche Faszination damals von den Musi-kern ausging: „Mit seinem instrumentalen Bel-

canto kam Regondi den Erwartungen einer

Zuhörerschaft, die den manuellen, jeglicher

Gesanglichkeit entbehrenden Kunststücken vie-

ler Instrumentalvirtuosen nichts mehr abge-

winnen konnte, nicht nur entgegen, es gelang

ihm mit seinem Vortrag, seine Zuhörer in ei-

nem für sie selbst erstaunlichen Maße in sei-

nen Bann zu schlagen.“Das Buch von Helmut C. Jacobs hält also,bei aller wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit,auch Lesestoff zum Verweilen, Schmökernund zum Amüsement bereit.

Peter Päffgen

Hier noch der Hinweis auf die Regondi-Guild:

The Great Regondi: Volume 2

original compositions by the 19th Cen-

tury’s unparalleled Guitarst & Concer-

tinist

performed by the Regondi-Guild

BRIDGE RECORDS 905

www.verkaufegitarre.deJosé Lopez Bellido, Granada, Baujahr 1978,Fuichte/Palisander. € 1 .500,–. Telefon: 0201-40 74 98

Verkaufe Corbellar-Kappeler Gitarre, Jahr-gang 1982. Fichte und Rio-Palisander. Schö-ner, warmer Sound. Preis Euro 3500 Euro.Weitere Informationen unter anmal@blue-win.ch

Kohno- Konzertgitarre zu verkaufen, Gebautvon Masaki Sakurai aus der berühmten Gi-tarrenwerkstatt Kohno, Modell ProfessionalR, 65er Mensur, Decke: Fichte; Boden undZargen: Palisander, Baujahr: 1999, VB 3500 €inkl. Koffer (Neupreis ohne Koffer: 8900 DM)

Zu verkaufen ist eine Flamenco Gitarre ausder Werkstatt von Valeriano Bernal, Baujahr1999. Neupreis lag bei 2,500 EUR. Die Gitar-re hat Gebrauchsspuren ist jedoch ingesamtin sehr gutem Zustand mit Hardcase. Ver-kaufsangebot: 1.350 EUR. Das Instrumentbefindet sich in Kayhude am nördlichenRand von Hamburg. Informationen und Ver-kauf durch: Christian Herzbach, Tel.04535/8529 oder 0170 81 80 585

Verkaufe Renaissance Knickhals-Laute (1960)von Hans Jordan, Abel Nagytothy-Toth,nagytot@videotron.ca

Verkaufe alte Ausgaben von GITARRE UNDLAUTE. Ich habe die Jahrgänge 1979 - 1984komplett und ca. 40 Hefte aus der Zeit 1985- 1993. Die Hefte sind gut erhalten mit le-ichten Gebrauchsspuren. Verhandlungsbasisfür alle Hefte : 150 € + V ersandkosten. BeiInteresse bitte mailen an Hans-Georg.Lorenz@t-online.de

Verkaufe Konzertgitarre von Yuichi Imai,Baujahr 1982, Decke Zeder, der Schellack iststark zerkratzt, die Mechanik augetauscht.Standort Bielefeld, Mobil: 0151 57892440

Antonio Marin Montero Bj 84, Bouchet -Modell, "kleines Modell" , sehr tragfähig,Mensur 65, Rio Fichte, sehr schöner,"schmalzig-romantischer" Ton, dazu äußersttragfähig. "Was, eine Gitarre!" (Zitat einesBesuchers in der vorletzten Reihe) In 1a Zus-tand für 3600 Euro zu verkaufen. Tel 06224174387 (Nähe Heidelberg)

Paul A.Jacobson, Nr. 102/1992, Ceder, wieneu, hervorrag. Klang, VB 3800, 0171-7653389

Teils neues, Highend-Schertler-Set günstigabzugeben zur Verstärkung f. Ensemble/Or-chesterspiel. andreas.ogger@gmx.net Tel:0711-6566810

Konzertgitarre Modell "G", 1968 von DieterHense gebaut, sehr guter Zustand, vollerKlang, Boden und Zargen aus Palisander,Decke Zeder, geschmackvolle Schallloch-In-tarsie, Preis: 2.750 Euro VB; Fotos werdenauf Wunsch per e-mail zugesandt. Terminzur Ansicht jederzeit vereinbar. Tel.: 0170/920 38 24

Solisten-Gitarre. Marke DONJA40, Hersteller:Joachim Schneider, Markneukirchen.Baujahr1989, Boden und Zargen aus Amazonas Pal-isander, Decke aus feinster Tonholzfichte,eingeschäfteter spanischer Cedrohals, Intar-sieneinlagen. Neuwert 1989: DM 8.300.--,Verhandlungsbasis EUR 2100.--, DieterAmman, Saliterweg 6, 82131 Gauting. Tel.089/8 50 43 43, E-mail:Dieter.Amman@arcor.de

10-saitige Paulino Bernabe, Bj. 1987 zuverkaufen. Preis und weitere Infos: ThomasKöthe, Tel.: 08841-40185 oder 1464-486@on-linehome.de

10chörige Renaissancelaute von WolfgangEmmerich wegen Zeitmangels zu verkaufen.Die Laute ist BJ.2005 und kaum gespielt. Sieist an einem Spahn von W. Emmerich repari-ert – ist klanglich jedoch ohne Bedeutung.Preis 1.800 Euro incl. Holzkoffer. (Neupreisdes gleichen Models ohne Reparatur 2.800zzgl. 350 Euro für den Koffer. Mehr Infosund Bilder unter rs.sander-grafik@t-online.de

Verkaufe Antonio Marin Montero neu(Bj.09/2007), Fichtendecke, mit Koffer. KeinVergleich zu den Gitarren, die er frühergebaut hat. Eine Super-Gitarre für 7500,-Euro. Tel: 0151/59 02 55 19

Mario Gropp Mod. Special I Fichte/CocoboloBj. 98: 1.800,— €, Peter Honselmann, Tel. 0 52 54 / 93 50 226, E-Mail: hon-selpeter@aol.com

Renaissance Altlaute, 8chörig Mensure 60 inbestem Zustand mit neuem Koffer - zu ver-kaufen. Gebaut in Hildesheim 1989. Ver-handlungsbasis 1.700,— Euro, Gegebenen-falls bitte mailen an: gitta.wiesner@t-onli-ne.de

Kleinanzeigen in Gitarre & Laute sind

seit fast 30 Jahren beliebte Bekannt-

macher. Da sind Instrumente verkauft

worden, oder Duo-Partner gefunden.

Da sind mit großem Erfolg Quellen

für Notenausgaben gesucht worden

oder antiquarische Noten gekauft

und

verkauft. Da sind Dudelsäcke und

Vihuelas vermittelt …

und Karrieren begonnen worden.

Jetzt, in Gitarre & Laute-ONLINE sind

Kleinanzeigen zunächst kostenlos …

sie werden allerdings moderiert,

damit nur solche Angebote erscheinen,

die für Sie, unsere Leserschaft von In-

teresse sind. Die Redaktion behält sich

vor, Anzeigen, die aus dem reaktionel-

len Rahmen fallen, ebenso natürlich

solche, die anstössig oder sittenwird-

rig sind, ohne weitere Erklärungen

oder

Rechtfertigung auszuschließen.

Kostenlos akzeptiert werden nur

private, nicht gewerbliche

Kleinanzeigen! Für gewerbliche

Kleinanzeigen wenden Sie sich bitte

an: Anzeigen@Gitarre-und-Laute.de.

Wenn Sie Ihrer Anzeige ein Foto des zu

verkaufenden oder gesuchten Objektes

beigeben wollen, berechnen wir dafür

eine Aufwandsentschädigung von

EURO 10,00 pro Foto.

Fotos werden einspaltig in Farbe in

den Anzeigentext eingebracht. Die Bil-

der schicken Sie uns bitte als TIFF

oder JPG im Anhang

Ihrer Anzeige per Email.

Im Internet sind Kleinanzeigen für

jeden einsehbar (also nicht nur für

Abonnenten), und zwar unter

www.VerkaufeGitarre.de

Dort sind die Anzeigen für

mindestens zwei Monate zu sehen. Die

Seite www.VerkaufeGitarre.de wird

ständig aktualisiert.

Gitarre & Laute-ONLINE XXX/2008 Nº 2 75

Dates … Termine von Festivals,

Wettbewerben und Konzerten,

werden nur noch im Internet

veröffenticht. Schneller und

aktueller. Dort wird auch an einem

Portal gearbeitet, in dem Sie

selbst Ihre Termin eingeben und

pflegen können. Wir informieren

Sie!

Bekommen Sie schon unseren

Newsletter? Kein Spam und keine

Werbung … versprochen! Auf un-

serer Homepage können Sie sich

anmelden!

www.MusiCologne.eu

Recommended