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한국문화

S p e z i a l : K o r e a n i S c h e l i t e r at u rSchiefertafel, Schulbuch, tablet-pc literatur digital in Südkoreas Schulen

„bücher Sollten neue perSpeKtiven Schaffen, horizonte öffnen“ eine Südkoreanerin in österreich schreibt über Grönland

ein beStSeller iSt nicht in Sicht Koreanische literatur in Deutschland verlässt selten die nische

Kultur Korea Ausgabe 4/2012

Titelbild: Set Byol Oh

Blick auf den Gwanghwamun-Platz im Zentrum von Seoul sowie auf die Rückseite der Statue von König Sejong (1397-1450), dem Begründer der koreanischen Schrift Hangeul.

e D i t o r i a l

In dieser Ausgabe von Kultur Korea widmen wir uns der koreanischen Literatur - nicht zuletzt aus Anlass der Frankfurter Buchmesse (10. – 14. Oktober).

Um einen allgemeinen Überblick über die historische Entwicklung der Literatur Koreas zu geben, spannen wir einen Bogen von der Frühzeit bis in die Gegenwart. In der Jetztzeit angelangt, stellen wir neben aufstrebenden Autoren der jüngeren Generation den Schriftsteller Yi Munyol und den Dichter Ko Un vor – zwei der bekanntesten zeitgenössischen Autoren Koreas. Sie erfahren auch über aktuelle Strömungen auf dem koreanischen Büchermarkt – über die Abschaffung des Buches in koreanischen Klassenzimmern und dessen Ersatz durch digitale Medien sowie über die gegenwärtige Popularität historischer Romane.

Ein Fokus liegt auch auf der Frage der Rezeption koreanischer Literatur in Deutschland und umgekehrt. In diesem Zusammen-hang schildert Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, seine persönlichen Erfahrungen mit dem Gastlandauftritt Koreas 2005, und Anita Djafari, Geschäftsleiterin der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. (litprom), zeigt mögliche Perspektiven für koreanische Literatur in Deutschland auf. Des Weiteren berichten wir über eine deutsche Kinderbuchautorin, die mit ihren Titeln in Korea Höchstauflagen erzielt. Da der Erfolg von Literatur auf dem weltweiten Buchmarkt nicht zuletzt von der Qualität der Übersetzung abhängt, wird in einer separaten Rubrik „Von der Kunst des Übersetzens“ die Rede sein.

Anhand von koreanischstämmigen Autoren, die außerhalb Koreas aufgewachsen und dort auch literarisch tätig sind, erörtern wir die Frage, was überhaupt unter „koreanischer Literatur“ zu verstehen ist. Mit dem Autor Martin Hyun stellen wir einen in Krefeld geborenen ehemaligen Bundesliga-Profi der Deutschen Eishockeyliga vor, der in seinem neuesten Buch beschreibt, wie er den täglichen Vorurteilen begegnet, die sein Migrationshintergrund mit sich bringt.

Zur Herbstsaison wünschen wir Ihnen viel Freude beim Eintauchen in die Welt der koreanischen Literatur!

Ihre Redaktion Kultur Korea

1KULTURKOREA

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2KULTURKOREA

1 EDITORIAL2 InHALT

h i S t o r i S c h e S

4 SPRAcHE UnD MAGIEWirkendes Wort in der frühen koreanischen Literaturvon Hans-Jürgen Zaborowski

7 DAS „LIED VOM JAHRESLAUF DES BAUERn“ - ein aktueller Klassiker von Prof. Dr. Anja Katharina Haftmann

10 LITERATUR DER KOLOnIALEn ZEIT In KOREA (1910 - 1945) von Hanju Yang

12 SÜDKOREAnIScHE PROSA VOn DEn 1950ER JAHREn BIS EnDE DER 1980ER JAHRE von Gesine Stoyke

15 TEnDEnZEn ZEITGEnöSSIScHER KOREAnIScHER LITERATUR von Thorsten Traulsen

n a h a u f n a h M e - a u t o r e n i M f o K u S

17 YISAnG: Dichter, Maler, Architekt von Gitte Zschoch

20 DER SÜDKOREAnIScHE ScHRIFTSTELLER YI MUnYOLvon Dirk Godder

22 LITERATUR UM IHRER SELBST WILLEn – ein Gespräch mit Ko Un (고은) von Malte E. Kollenberg

p e r S p e K t i v e n W e c h S e l

26 EIn BESTSELLER IST nIcHT In SIcHTKoreanische Literatur in Deutschland verlässt selten die nische von Anne Schneppen

28 KOREAnIScH-DEUTScHE LITERATURBEZIEHUnGEn 7 JAHRE nAcH DEM GASTLAnDAUFTRITT KOREAS AUF DER FRAnKFURTERBUcHMESSE von Juergen Boos

30 ÜBER DAS nIScHEnDASEIn DER KOREAnIScHEn LITERATUR In DEUTScHLAnD – UnD PERSPEKTIVEnInterview mit Anita Djafari von Nina Klein

32 „ In KOREA WIRD SEHR GERnE GELAcHT“. Interview mit Franziska Biermann, Bestsellerautorin auf dem koreanischen Kinderbuchmarkt von Gesine Stoyke

34 „In KOREA GIBT ES EInE IMMER LEBEnDIGER UnD SELBSTBEWUSSTER WERDEnDE KInDERBUcHSZEnE“Interview mit der Literaturagentin Susanne Koppe von Gesine Stoyke

35 WEIBLIcHKEITSEnTWÜRFE UnD FAMILIEnMODELLE In DER EURO-PäIScHEn UnD KOREAnIScHEn LITERATUR von Dr. Sylvia Bräsel

v o n D e r K u n S t D e S ü b e r S e t z e n S

37 DAS LTI KOREA (Literature Translation Institute of Korea) von Dr. Stefanie Grote

38 „ALS PREISTRäGER WäRE IcH nIcHT STOLZ, SOnDERn GLÜcKLIcH“, Interview mit dem Übersetzer Hans-Jürgen Zaborowski von Dr. Stefanie Grote

40 „KULTUR - ÜBERSETZEn“ Das LTI Korea-Forum im Koreanischen Kulturzentrum von Dr. Stefanie Grote

K o r e a n i S c h e l i t e r at u r i M a u S l a n D

43 REUE UnD HOFFnUnG Rezension von Elke Kressin

44 GEDIcHTAUSWAHL „Blüten des Augenblicks“, Ko Un

45 MITTLER ZWIScHEn DEn KULTUREn Auf der Suche nach einer neuen Heimat von Andrea Steinbach

47 „BÜcHER SOLLTEn nEUE PERSPEKTIVEn ScHAFFEn, HORIZOnTE öFFnEn“ - Eine Südkoreanerin in österreich schreibt über Grönland, Interview mit der Autorin Anna Kimvon Dr. Stefanie Grote

50 BUcHVORSTELLUnG Martin Hyun: „Ohne Fleiß kein Reis“

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3KULTURKOREA

51 IM PLAUDERTOn GEGEn RASSISMUS Rezension von Karin Schädler

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52 ScHIEFERTAFEL, ScHULBUcH, TABLET-Pc Literatur digital in Südkoreas Schulen von Malte E. Kollenberg

55 HISTORIScHE ROMAnE In SÜDKOREA BELIEBT von Sebastian Ratzer

57 FRÜHE KOREAnER In DEUTScH-LAnD - Studium und Aktivitäten von Yi Geungno (1893-1978) in Berlin von Dr. Sonja Häußler

D e u t S c h e S i c h t e n a u f K o r e a61 ALS LEIBARZT, ScHULDIREKTOR UnD OBERHOFMEISTERIn IM OFFIZIELLEn AUFTRAG In KOREA Gedanken zu den Reiseberichten von Dr. med. Richard Wunsch, Johann Bolljahn und Emma Kroebel von Dr. Sylvia Bräsel

64 MEInE PERSönLIcHE BEGEGnUnG MIT KOREA SEIT DEn AcHTZIGER-JAHREn von Dr. Ursula Diezemann

65 „MAn SOLLTE VORBEHALTLOS OFFEn FÜR DAS nEUE SEIn“, Interview mit Dr. Ursula Diezemann von Dr. Stefanie Grote

p o l i t i S c h e K u lt u r

66 KOREAS VEREInIGUnG UnD DIE EnTWIcKLUnGSPERSPEKTIVEn DES SOZIALSTAATS IM WAHLJAHR 2012 – einige deutsche Eindrücke von Prof. Dr. Stephan Leibfried

K o r e a i n K ü r z e

69 DOKDO - ökosystem im Ostmeervon Dr. Stefanie Grote

p o r t r Ät

70 „KOREA IST nIcHT nUR EInE WIRTScHAFTSMAcHT, SOnDERn AUcH EIn LAnD MIT EInER REIcHHALTIGEn KULTUR“, Interview mit Kim Jae-shin, Botschafter der Republik Korea in Deutschland von Anne Schneppen

72 „DEUTScHLAnD IST BUnT UnD VIELFäLTIG“, Interview mit der TV-Moderatorin nela Panghy Leevon Dr. Stefanie Grote

K o r e a i M a l lta G

74 REZEPT Japchae - Koreanischer Glasnudelsalatvon Eun-Young Cho

75 KLEInER SPRAcHFÜHRER

v e r a n S ta lt u n G e n KoreaniScheS KulturzentruM

76 KURSE

77 AUSSTELLUnGEn / KOnZERTE / KInO / WORKSHOP/ WETTWERB

78 „ERSTES AUFTRETEn DER KOREA-nIScHEn WELLE In DER LITERATUR“ – die Lesung der koreanischen Autorin Kyoung-Sook Shin in Berlin von Y.C. Yuna Cho

79 KOREA EnT.DEcKEn von Gesine Stoyke

bunDeSWeite veranStaltunGen

80 EnTDEcKUnG KOREA! ScHäTZE AUS DEUTScHEn MUSEEn von Dr. Uta Werlich

82 KOREA BEI DER dOKUMEnTA 2012 (Rückblick)von Gesine Stoyke

83 VERAnSTALTUnGSKALEnDER

84 nAcHRUF AUF PROF. DR. BRUnO LEWIn

85 IMPRESSUM

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S p r a c h e u n D M a G i e W i r k e n d e s W o r t i n d e r f r ü h e n k o r e a n i s c h e n L i t e r a t u r

Von Hans-Jürgen Zaborowski

4KULTURKOREA

In vielen Kulturen der Welt beginnen Aufzeichnungen von Sprache, beginnt Literatur mit religiösen Texten, mit Gebeten, mit Sprüchen aus dem Bereich der Magie. Das Verständnis solcher Texte war und ist nur für die

möglich, die in der jeweiligen Religion groß geworden sind, die eingeweiht wurden. Für Außenstehende erscheinen sie großzügig gesehen als Ausdruck „primitiven Denkens“ (was immer das sein mag).

Wenn wir uns Korea zuwenden, werden wir feststellen müssen, dass es dort eine doppelte Hürde zum Verständnis alter Texte gibt. Die koreanische Schrift, die wir heute kennen, ist erst im 15. Jahrhundert im Auftrag des Königs Sejong (1397 - 1450, reg. ab 1418) geschaffen worden. Bis dahin wurde in chinesischer Sprache und Schrift geschrieben. Wobei man sich durchaus bewusst war, das die klassische chinesische Schriftsprache in der Form, wie sie der große Meister Konfuzius in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends benutzt hat, eine völlig andere Struktur hatte als das Koreanische. Auf der einen Seite das chinesische, für das - großzügig gesehen - ein Schriftzeichen in der Aussprache einer Silbe entsprach. Und der Bedeutung nach oft nicht nur ein Begriff ausgedrückt wurde, sondern ein ganzes Feld von Begriffen, die je nach Stellung im Satz unterschiedliche Funktionen übernehmen konnten (z.B. als Subjekt „Oberteil“, das „Obere“, als Prädikat „hinaufgehen“, „steigen“). Die Grammatik beschränkte sich weitgehend auf Stellungsregeln im Satz und wenige Hilfswörter. Dagegen gab und gibt es im Koreanischen oft mehrsilbige Wörter und lange grammatische Endungen.

Schon früh muss Koreanern der Unterschied bewusst gewesen sein. Denn schon in frühen Texten wie der Grabinschrift für den 413 n. chr. verstorbenen Goguryeo-König Kwanggaet’o (die auf dem chinesischen Ufer des Grenzflusses Yalu in der Stadt Ji’an erhalten ist) gibt es Beispiele für die Schreibung koreanischer Personen- und Ortsnamen und von Beamtentiteln mit chinesischen Zeichen – ihrer Aussprache nach. Sie werden mit einer gewissen Systematik verwendet. ähnliches findet sich auch in anderen, leider nur kurzen Inschriften. Das macht die Grabinschrift umso eindrucksvoller: 7 Meter hoch, 4 Meter Umfang mit etwa 1700 lesbaren chinesischen Zeichen, eine wichtige Quelle nicht nur für die koreanische Geschichte, sondern für ganz Ostasien – auch mit kulturgeschichtlichen, literarischen Aspekten.

Der nächste Schritt waren Versuche, ganze Texte mit Hilfe chinesischer Zeichen zu schreiben. Dabei wurde der Wortstamm seiner Bedeutung nach benutzt, die Zeichen wurden beim Lesen in das ihnen entsprechende koreanische Wort übersetzt. Bei den grammatischen Endungen wurden Zeichen ihrer Aussprache, ihrem Lautwert nach benutzt, dafür wurde wegen der zahlreichen langen grammatischen Formen die Zeichen standardisiert und oft auch in ihrer Struktur,

ihrer Strichzahl gekürzt (darin liegt die Wurzel der beiden japanischen Silbenschriftsysteme).

Solche Beispiele früher koreanischer Dichtung sind in einer der bedeutenden historischen Quellensammlungen für die Zeit der Drei Reiche Koreas (Goguryeo, Baekje und Silla), also etwa für das erste nachchristliche Jahrtausend, in den „Historischen Überlieferungen der Drei Reiche“ enthalten, das 1279 der buddhistische Mönch Ilyon (1206 – 1289) aus älteren Textvorlagen zusammengestellt hat. In einem in bester chinesischer Schriftsprache geschriebenen Zusammenhang tauchen Textpartien auf, die für jemanden mit chinesischen Sprachkenntnissen oder für einen chinesen unverständlich bleiben. Insgesamt enthält das Werk 14 solche Texte, die später als „Ländliche Lieder“ oder als „Lieder der Heimat“ bezeichnet wurden. Elf weitere solche Lieder sind in der Biografie ihres Autors, eines buddhistischen Mönches, enthalten und stellen die nachdichtung eines ursprünglich indischen Textes mit Hilfe dessen chinesischer Übersetzung in koreanischer Sprache dar.

In den vierzehn Liedern aus den „Historischen Überlieferungen“ bietet sich ein Schlüssel für das Denken, Fühlen und Handeln des koreanischen Volkes in dieser Epoche. Für jedes der Lieder werden die Umstände ihrer Entstehung dargelegt, in die der eigentliche Liedtext eingebettet ist.

Wohl berühmtestes der Lieder ist das ch’oyong-ga. ch’oyong ist einer der sieben Söhne des Drachenkönigs aus dem Ostmeer. Der Herrscher des Silla-Reiches hatte ihn und seinen Hofstaat zu einem Bankett an den Strand unweit der Hauptstadt eingeladen. Dabei entschloss sich ch’oyong, nicht zurückzukehren, sondern dem menschlichen König zu dienen. Er wurde mit einer schönen jungen Frau verheiratet, um die enge Beziehung zwischen den beiden Reichen zu dokumentieren und zu festigen. Aber, wie das nun einmal war (und oft noch ist?), ging er gerne abends mit Freunden zum gemeinsamen Umtrunk. Wenn es dann aus sehr menschlichen Gründen auch einmal später, sehr spät wurde, war das auch durchaus nicht ungewöhnlich. Doch eines Tages gab es eine unangenehme Überraschung. Er kam gegen morgen in seine Heimstatt zurück – und fand im ehelichen Schlafgemach: zu viele Beine. Ein böser Geist, ein Krankheitsgeist, der für die Pocken verantwortlich war, hatte die Schönheit der jungen Frau wahrgenommen und die Gelegenheit genutzt, mit ihr die nacht zu verbringen, verwandelt in einen jungen Mann. Wie sollte ch’oyong angesichts dieser Tatsache reagieren? Was soll er gegen den bösen Geist unternehmen? Völlig ruhig, völlig gefasst, improvisierte er ein Lied, sang es und tanzte dazu:

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Hans-Jürgen Zaborowski hat an den Ostasienabtei-lungen der Universitäten in Berlin (FU), Bonn, Frankfurt und an der Hankuk University in Seoul unterrichtet. Er ist Übersetzer von Texten aus allen Gattungen der koreanischen Literatur.Fo

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Lied des ch’oyong

Die Hauptstadt in Mondlicht getaucht,spät in der nacht vom vergnüglichen Spielkehr ich heim und find in meinem Bettvier Beine.

Zwei davon gehören mir,doch wem die anderen beiden?Zwei davon gehörten mir –Er hat sie genommen, was soll ich nur tun?

Der Pockengeist wurde von der Macht, der Wirkung der Worte, von der Haltung des Sängers so gepackt, dass er einfach verschwand und gelobte, niemals mehr dorthin zurückzukehren, wo der name des Sohnes aus dem Drachenreich genannt würde, wo irgendetwas an ch’oyong erinnerte. Das Lied wurde später als Maskentanz in das Hofzeremoniell aufgenommen zum neujahrsfest, um das Land und sein Volk vor Krankheiten zu schützen, die von bösen Geistern verursacht wurden. Im einfachen Volk hat man zum Jahreswechsel Bilder des Drachensohnes an die Hoftüren geklebt mit dem gleichen Ziel. Der Drachen - ein Element der alten Volksreligion Koreas, des Schamanismus? Sicherlich. Lied und Tanz als Bestandteil des schamanistischen Rituals? Ja, gewiss. Auf jeden Fall Worte, aber von unglaublicher Wirkkraft. Auch in späterer Zeit, in einer Zeit mit rationalen Grundideen der koreanischen Gesellschaft, blieben das Lied und sein Kontext im Volk erhalten. Am Königshof wurde es Bestandteil von Unterhaltungsprogrammen. Immerhin.

In Gedichten und Liedern finden sich im gesamten, uns bekannten Zeitraum der koreanischen Literatur immer wieder Beispiele für eine solche magische Wirkung des Wortes, im Kontext mit dem Schamanismus, dem Buddhismus und auch dem chinesischen Taoismus, der in Korea so etwas wie eine Unterströmung der Geistesgeschichte geworden ist. Auch in der Prosa finden sich immer wieder Kostbarkeiten, die in diese Richtung weisen. Schätze, die noch zu übersetzen sind, Schätze die wir für uns noch heben sollten…

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Jiphyeonjeon ist der Ort, an dem die Gelehrten von Joseon das koreanische Alphabet Hangeul schufen.

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Vo n Pr o f. D r. A n j a K a t h a r i n a H a f t m a n n

7KULTURKOREA

Eine der Handschriften des „Nonga-weollyeong-ga“; in Besitz von Prof. Kang Shinhang , Seoul

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Fast alle Koreaner haben während ihrer Schulzeit vom „nongga-wollyeong-ga“ (농가월령가) gehört. Doch den wenigsten ist bekannt, dass im „Lied vom Jahreslauf des Bauern“ umfassendes traditionelles

Wissen verborgen ist. Der Text bietet einen ausgezeichneten Überblick über herkömmliche landwirtschaftliche Verfahren und alte Kulturtechniken und illustriert zugleich den hohen Bildungsstand der Bauern. Und das macht ihn − in einer Zeit, in der man sich in Korea für derartige Themen wieder interessiert − unerwartet aktuell.

Das „nongga-wollyeong-ga“ ist ein Langgedicht; diese Gattung wird im Koreanischen als „Gasa“ (가사) bezeichnet. Gleichzeitig wird es dem Genre der Jahreszeitgedichte zugerechnet. Bis heute ist nicht endgültig geklärt, wer als Verfasser des Textes zu gelten hat: Man diskutiert die beiden Gelehrten Taechon Go Sangan (1553 - 1623) und Unpo Jeong Hagyu (1786 - 1855) als Autoren. Da im Verlauf der neueren Forschung letzterem mehr und mehr der Vorzug gegeben wird, stammt das „nongga-wollyeong-ga“ vermutlich aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Gesamtstruktur des Gedichtes ist dreigeteilt. Es besteht aus vierzehn Strophen − den zwölf Mondmonaten, eingefasst von einer einleitenden und einer beschließenden Strophe. Die Strophen selbst sind von unterschiedlicher Länge. Sie setzen sich aus Versen zusammen, welche syntaktisch jeweils in zwei Halbverse untergliedert werden.

Inhaltlich erläutert die Einleitung den Zusammenhang zwischen der Bewegung der Himmelskörper und dem Entstehen der Jahreszeiten bzw. der Monate und erklärt so die Herkunft des Mondkalenders (Strophe 1, Zeile 6−9):

대디샹 동셔남북 Dadurch, dass nord, Süd, Ost und West곳을•라 틀니기로 auf der Erde Richtungen markieren,북극을 보••야 lässt sich mit Hilfe des nordpolarsterns원근을 마련•니 systematisch der Himmel einteilen:이십• 졀후를 Vierundzwanzig Zeitabschnitte십이삭에 분별•야 umfasst das Sonnenjahr.•삭에 두졀후가 Einer dauert vierzehn Tage,일망이 •이로다 die Monate enthalten jeweils zwei.

Der umfassende Hauptteil bietet zu jedem der zwölf Mondmonate ausführliche Informationen. Dabei werden in zum Teil belehrender Form Ratschläge zur Anwendung verschiedener agrartechnischer Methoden erteilt und die Bauern wiederholt dazu aufgerufen, alle verfügbare Kraft in ihre Arbeit zu investieren. Die einzelnen Monatsstrophen sind

in sich wiederum strukturiert. Zu Beginn werden jeweils die beiden oben beschriebenen Perioden eines Mondmonats genannt. Daran schließt eine kurze landschaftliche Beschreibung an, die die jahreszeitliche Stimmung einfängt (Strophe 2, Zeile 1−3):

뎡월은 •츈이라 Der Erste Monat ist Frühlingsanfang:닙츈우슈 졀긔로다 Frühlingsbeginn und Regenwasser heißen seine Zeiten.산즁 간학에 In den Schluchten im Gebirge빙셜은 남아스나 liegen zwar noch Schnee und Eis,평교 광야에 doch im weiten offenen Land운믈이 변•도다 schimmert schon das Frühlingslicht.

Es folgt jeweils eine detaillierte Darstellung bäuerlicher Tätigkeiten, die im Hof, auf den Feldern und im Haus zu verrichten sind. Die Bandbreite der behandelten Themen reicht dabei von Aussaat, Einbringen und Verarbeiten verschiedener Feldfrüchte über Techniken zum Entfasern von Hanf und zum Weben und Färben verschiedener Stoffe bis hin zu Einzelheiten bezüglich der Vieh-, Bienen- oder Seidenraupenzucht (Strophe 5, Zeile 18-22):

누에셥도 •려니와 Macht Strohgebinde und Reisiglager곳치나무 쟝만•쇼 als Stützen beim Spinnen der Kokons고치을 •오리라 Wenn die Zeit kommt, sie abzusammeln쳥명•날 갈희여셔 wählt einen klaren, heiteren Tag.발우희 엷게널고 Legt sie zum Trocknen in der Sonne폭양의 말니우니 auf Bambusmatten aus.•고치 무리고치 Feste schneeweiße und leicht verschmutzte,누른고치 흰고치을 gelbe und schlecht geformte Kokons•ㄷ이 분별•야 werden dem Aussehen nach sortiert.

In dieser Hinsicht ist das „Lied vom Jahreslauf des Bauern“ insbesondere für Leser mit Interesse an traditioneller koreanischer Landwirtschaft aufschlussreich.Doch auch naturkundlich interessierten Personen hat es einiges zu bieten. Listen verschiedener Heilkräuter wie man sie in der klassischen Medizin verwendete und Aufzählungen von Wildpflanzen, mit denen man den Speiseplan ergänzte, können Anregungen geben für wellbeing und health food, − zwei derzeit nicht nur in Korea stark im Trend liegende Themen (Strophe 3, Zeile 46−48):

8KULTURKOREA

젼산의 비가•니 Sobald in den Bergen der Regen endet,살진향• •오리라 sammeln wir würziges Wildgemüse:삽쥬두룹 고•리며 Disteln, Aralien, Adlerfarn,고비도랏 어아리을 Glockenblumen, Forsythien und Königsfarn.일분은 역거달고 Ein Teil wird zum Trocknen aufgehängt,이분은 무쳐먹셰 der Rest gewürzt und gegessen.

Erwähnenswert ist auch der volkskundliche Aspekt des Gedichts, denn in vielen der zwölf Monatsstrophen werden die an den Feiertagen üblichen Sitten und Gebräuche geschildert. Das Spektrum reicht dabei von Tagen, die auch heute noch festlich begangen werden − zum Beispiel das neujahrsfest Seollal (설날) oder das Mittherbstfest Chuseok (추석) − bis zu solchen, die allmählich in Vergessenheit geraten. Zu diesen zählen unter anderem der Hansik-Tag (한식), Dano (단오), das Yudu-Fest (유두) oder der Tag der Wintersonnenwende (Strophe 12, Zeile 13-14):

동지• 명일이라 Die Sonnenwende wird festlich begangen,일양이 ••도다 denn täglich gewinnt die Sonne an Kraft.시식으로 팟쥭쑤어 Alle nachbarn feiern dies gemeinsam닌이와 즐기리라 mit süßem Brei aus roten Bohnen.

In der letzten Strophe des „nongga-wollyeong-ga“ werden dann abschließend die Vorzüge des bäuerlichen Lebens sowie die Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat gepriesen.

Eine vollständige Übersetzung des Langgedichts ist in Vorbereitung. 517 abwechslungsreiche Verse über die traditionelle koreanische bäuerliche Gesellschaft − für eine literaturwissenschaftlich interessierte Leserschaft ebenso aufschlussreich wie für Anthropologen, Biologen und Pharmazeuten. Wer durch diesen kurzen Beitrag neugierig geworden ist und den aktuellen Klassiker „nongga-wollyeong-ga“ vergleichend auf Koreanisch, Deutsch und Englisch lesen möchte, freue sich auf die Publikation von Prof. Dr. Werner Sasse und mir, für die sich hoffentlich ein mutiger Verlag findet.

Prof. Dr. Anja K. Haftmann ist promovierte Koreanis-tin. Die Handschriftenlage des „Nongga-wollyeong-ga“ war 1998 Thema ihrer Doktorarbeit. Heute ar-beitet sie als Management-trainerin, wobei interkul-turelles Training Korea sowie die Vorbereitung auf Auslandsaufenthalte zu ih-ren Arbeitsschwerpunkten zählen. Südkorea besucht sie regelmäßig seit über 20 Jahren. Sie ist Mitglied der Außenhandelskammer in Seoul und darüber hinaus vor Ort gut vernetzt.

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9KULTURKOREA

1. Vorzuchtbeet für Reispflänzchen2. Anbau von Ginseng

3. Zum Trocknen aufgehängte Pflanzen4. Kräuter und Tees auf dem

traditionellen Markt 1 2

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l i t e r at u r D e r K o l o n i a l e n z e i t i n K o r e a ( 1 9 1 0 - 1 9 4 5 )

Vo n H a n j u Ya n g

Über die Literatur der kolonialen Zeit zu sprechen, heißt, sich über die paradoxe Situation klar zu werden, in der die Autoren damals schrieben. Korea hatte seit seiner öffnung 1876 die Impulse

für die Aufklärungsbewegung (kaehwagi 개화기, 1876 - 1910)1, die zur Modernisierung Koreas hinführen sollte, von Japan empfangen. Von der Modernisierung hatte sich Korea eine unabhängige nation erhofft, die sich in der imperialistischen Zeit würde behaupten können. Die aus dem neuen nationalbewusstsein entfachte Hangǔl-Bewegung [kugŏgukmunhakundong 국어국문학운동, Bewegung der nationalen Sprache und Schrift] war eine wichtige Weichenstellung für die Herausbildung einer selbständigen nation und Literatur. Das alte sinozentrische Weltbild mit konfuzianischen Wertnormen wurde verabschiedet und damit auch die alte Literatur in chinesischer Schriftsprache hanmun [한문]. Zeitungen erschienen übergangsweise im Mischstil von Sino-Koreanisch und Hangǔl. Schriftsteller wie Yi Kwang-su (이광수, 1892 - 1950), choi nam-sŏn (최남선, 1890 - 1957) und andere zeitgenössische Autoren schrieben nur noch in Hangǔl.

Gerade Japan aber unterwanderte die Entwicklung Koreas in Richtung einer eigenständigen nation mit eigener Sprache und Literatur. Dafür sorgten nach dem „Protektionsabkommen“ 1905 eine Reihe von Gesetzen: Japanisch wurde zur offiziellen Landessprache [kukŏ 국어], Koreanisch zur Wahlsprache [chosŏnŏ 조선어] degradiert, in den 1940er Jahren sogar verboten. Mit der Annexion 1910 wurden alle Zeitungen verboten, auch eine lange Liste der Literatur, die sich um die Eigenständigkeit der koreanischen nation und die Aufklärung des Volkes bemühte.

In der Zeit der kolonialen Herrschaft zu schreiben wurde zu einem doppelbödigen Spiel. Man stellte als unabhängiger Autor seine Literatur nicht mehr wie früher in den Dienst der Tradition und Systemerhaltung. Andererseits gab es kein richtiges Schreiben unter den falschen Verhältnissen, wie die kritische Bemerkung des nationalistischen Unabhängigkeitskämpfers Sin ch’ae-ho (신채호, 1880 - 1936) über die Literatur nach der März-Unabhängigkeitsbewegung 1919 [samil-undong 삼일운동]2 nahelegt: Die neue Literatur

[sinmunye 신문예] sei das Paradies, in dem die neue Generation hypnotisiert schwelge, eine Schande sei die Trostliteratur, die die Liebeshymne singe.

Die Modernisierung nach westlichem Muster, vermittelt über Japan, schien vielen Schriftstellern der einzige Ausweg für Korea zu sein. Der 1917 erschienene Liebesroman „Herzlos“ [muchŏng 무정] von Yi Kwang-su ist ein Sinnbild dafür, besonders das Romanende: Die Irrungen und Wirrungen nehmen erst ein Ende, als die Protagonisten, junge Männer und Frauen, zum Auslandsstudium aufbrechen, das ihnen allen eine hoffnungsvolle Zukunft zu versprechen scheint. So war es vom Modernisierungsfieber hin zur Kollaboration kein weiter Schritt, wie bei den Autoren Yi Kwang-su und choi nam-sŏn.

Die März- Unabhängigkeitsbewegung, die von japanischen Armee- und Polizeikräften gewaltsam niedergeschlagen wurde, blieb nicht ohne Folgen. Unter dem namen „Kulturpolitik“ lockerte Japan seinen Herrschaftsstil. Gewichtige Zeitungen wie Ostasien Tageszeitung [dongailbo 동아일보 ], Chosŏn Tageszeitung [조선일보 ] und noch andere sowie Verlage wurden gegründet. Diese etwas enthemmte Stimmung wirkte sich auf die literarische Entwicklung positiv aus. Es entstanden literarische Gruppierungen, und man kann ohne Übertreibung von einer vielfältigen Literaturlandschaft der 1920er Jahre sprechen. Diese ist grob in drei Lager zu unterteilen, nämlich die nationalistische, die proletarische und die populäre Literatur. Die nationalistische Literatur betonte die Volksseele [chosŏnhon 조선혼] und die Tradition und verknüpfte die tradierte Metrik mit neuen literarischen Ausdrucksformen aus dem Westen. Das gelungene Beispiel dafür ist die Lyrik des Volksdichters Kim So-wŏl (김소월, 1902 - 1934). Er brachte das kollektive Gefühl Han (한, Groll und Trauer aus der verzweifelten Ausweglosigkeit) und den Verlust der Heimat in eine eigene Form und Sprache. Die Gedichte Han Yong-uns (한용운, 1879 - 1944) sind in dem Zusammenhang der Suche nach der eigenen lyrischen Sprache nicht zu vergessen. Auch die alte Gedichtform Sijo [시조] wurde als eigenständige Gattung wiederbelebt.

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Die Gruppe der proletarischen Literatur KAPF (Korean Artist Proletariat Federation) wurde 1925 gegründet und stellte die Literatur in den Dienst der Politik, mit dem Ziel der Befreiung der Arbeiterklasse. Bis zur Verhaftungswelle von 1934 agierte die KAPF in der koreanischen Literaturszene sehr aktiv. Der führende Kopf war Im Hwa (임화, 1908 - 1953), Schriftsteller, Literaturkritiker und Aktionist.

Die sogenannte erste Generation der modernen Literatur der 1910er Jahre kam immer mehr von ihrem Anspruch ab, Aufklärungsliteratur zu sein und wanderte in die populäre Literatur, die als Serienromane in Tageszeitungen mit den Themen der freien Liebe, zerrütteten Familien und des Aufpralls von alten und neuen Werten auf den seichten Geschmack der breiten Leserschicht abzielte.

In den 1930er Jahren trat eine neue literarische Generation auf, die sich von der Volks- und marxistischen Literatur absetzte. Dieses Literaturverständnis wird in Korea „Modernismus“ genannt und steht in Europa der literarischen Moderne am nächsten. Um die „Gruppe neun“ (kuinhoi 구인회, 1933 gegründet) sammelten sich ambitionierte Autoren wie Kim Ki-rim (김기림, 1908- ?), Yi Tae-jun (이태준, 1904-?)3, chŏng chi-yong (정지용, 1902 - 1950), Pak Tae-wŏn (박태원, 1909 - 1986), Yisang (이상, 1910 - 1937), Kim Yu-chŏng (김유정, 1908 - 1937) usw. Das neue dieses Modernismus war es, die Sprache nicht essenziell als Gefühls- oder Inhaltsträger zu sehen, sondern als Medium und Zeichen, mit dem der Autor den Text zu konstruieren hatte.

Unter dem Eindruck der weltweiten Wirtschaftskrise und des Militarismus kehrte in den 1930er Jahren die unerbittliche Politik der Unterdrückung zurück. Von 1938 an verfolgte Japan eine kriegerische Politik, gewappnet mit einer Ideologie des Panasianismus als Strategie zur Überwindung der als Verwestlichung verstandenen Moderne (kǔndaeǔi- ch’ogǔk, 근대의 초극). Demnach sollten alle ostasiatischen Länder vereinigt werden unter der Herrschaft des japanischen Kaisers. So propagierte Japan die Gleichstellung von Mutterländern und Koloniebürgern (naesŏn ilch’e 내선일체). nach der Anweisung zur Regelung der zivilen Angelegenheiten chosŏns vom 10. november 1939 wurden die Koreaner gezwungen, ihre Familiennamen in japanische umzubenennen (ch’angssigaemyŏng 창씨개명). Es war eine der Maßnahmen, um die Rekrutierung der jungen Koreaner zu erleichtern und zu legalisieren. Es waren 80 % der damaligen Koreaner, die sich im Zeitraum von Februar bis August 1940 der kaiserlichen Anweisung beugten. Die koreanische Sprache wurde von 1941 an offiziell verboten.

Die Zeit vom Ende der 1930er bis zur Befreiung im August 1945 markiert das dunkelste Kapitel der Literaturgeschichte Koreas [amhǔkǔi- sidae 암흑의 시대]: „jetzt treibt keinerlei geist mehr keime“.4

1 Aufklärungsbewegung (kaehwagi, 개화기1876-1910): die Periode von den Anfängen der Modernisierung nach der Öffnung des Landes bis zur Annexion durch Japan

2 März-Unabhängigkeitsbewegung 1919 [samil-undong 삼일운동]: eine landesweite Unabhängigkeitsbewegung, die mit einer Großdemonstration in Seoul am 1. März begann. „Die in koreanischen Quellen angegebenen Zahlen von ca. 7500 Toten, 15.000 Verletzten und 45.000 Verhaftungen bis zum Ende des Jahres sind womöglich nicht übertrieben“ (M.Eggert/J.Plassen: „Kleine Geschichte Koreas“, 2005, S. 138).

3 Das Todesdatum der beiden Autoren, die der Säuberungsaktion der 1950er Jahre nach dem Koreakrieg (1950 - 1953) im kommunistischen Nordkorea zum Opfer fielen, ist unbekannt.

4 Aus dem Gedicht „schluss“ von Yisang: „Mogelperspektive“. Graz 2005, S.155.

Hanju Yang, geb. in Mopko, Südkorea, lebt seit den 1980er Jahren in Deutsch-land: Sie studierte Germa-nistik und Koreanistik und ist Literaturübersetzerin und Lektorin an der Sek-tion Sprache und Kultur Koreas, Ruhr-Uni Bochum. Vorliegende Übersetzun-gen: Yisang: „Mogelper-spektive“, mit Marion Eggert (2005), Kim Chi-ha: „Blütenneid“, mit Matthias Göritz (2005), Kim Young-ha: „Schwarze Blume“, mit Heiner Feldhoff (2010).

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h i S t o r i S c h e S

S ü D K o r e a n i S c h e p r o S a v o n D e n 1 9 5 0 e r J a h r e n b i S e n D e D e r 1 9 8 0 e r J a h r e

Vo n G e s i n e S t o y ke

Die Befreiung von japanischer Kolonialherrschaft (1945), die koreanische Teilung und der Koreakrieg (1950

- 53) sind einschneidende historische Erfahrungen, die einen prägenden Einfluss auf die südkoreanische Literatur hatten. Insbesondere der Koreakrieg, der rund drei Millionen Zivilisten das Leben kostete, ideologische Gräben innerhalb einzelner Familien aufriss, unzählige Familien für immer voneinander trennte und die Teilung Koreas bis heute zementierte, hinterließ tiefe Wunden in der Psyche des koreanischen Volkes, die bis in die Gegenwart nicht verheilt sind.Der Koreakrieg zog eine Verhärtung der ideologischen Fronten nach sich. Unter der repressiven Regierung von Präsident Rhee Syng-man, der mit aller Härte gegen Oppositionelle vorging, zogen sich linksgerichtete Schriftsteller aus der südkoreanischen Literaturszene zurück oder gingen in den norden. Die Mehrheit der Schriftsteller, die sich im Süden öffentlich artikulierte, nahm einen liberalen oder konservativen Standpunkt ein. Traumatisiert vom Koreakrieg und beherrscht vom alltäglichen Überlebenskampf, thematisierte der überwiegende Teil der Autoren die belastenden Kriegserfahrungen sowie not und Elend in einem von Krieg zerstörten Land. Auch wenn die Schriftsteller

der damaligen Zeit die tragischen Konsequenzen der Teilung in ihrem vollen Umfang erkannten, waren die meisten von ihnen noch zu paralysiert von den Geschehnissen, um das Individuum im größeren historischen Kontext eines geteilten Landes zu betrachten. Viele Werke kreisten um die existentialistische Suche nach dem menschlichen Selbst. Ha Geun-chans „Sunan Idae“ (1957, 수난이대, „The Suffering of two Generations“) und Lee Beom-seons „Obaltan“ (1959, 오발탄, „A Misfired Shot“) sind zwei repräsentative Kurzgeschichten der nachkriegszeit, deren Protagonisten sich ihrem Schicksal mit Fatalismus ergeben. In „Obaltan“ stellt Lee das Leiden nordkoreanischer Intellektueller dar, die nach ihrer Flucht in den Süden ein von Armut und Entfremdung geprägtes Dasein im „Freiheitsdorf“, einem Ghetto für nordkoreaner in Seoul, fristen. Thema seiner Erzählung ist die Verzweiflung des koreanischen Volkes, das er mit Irrgängern vergleicht, die wahllos ins Universum abgefeuert wurden.Am 19. April 1960 kam es in Südkorea zu einem Protest durch Arbeiter- und Studentenverbände, der schließlich zum Rücktritt des Präsidenten im selben Jahr führte. Auch wenn die demokratischen Bestrebungen, die darauf folgten, bereits 1961 durch einen Militärputsch im Keim erstickt wurden,

hatten die Massendemonstrationen von 1960 den Menschen die Macht kollektiven Handelns zum Erreichen politischer Ziele vor Augen geführt – eine Erkenntnis, die sich auch auf die Literatur auswirkte. So bildete sich in den 1960er Jahren eine neue Generation von Autoren heraus, die sich verstärkt politischen und sozialen Themen zuwandte. Diese Generation wurde auch die „Generation vom 19. April“ oder die „Hangeul-Generation“ (한글) genannt. Die erstgenannte Bezeichnung erhielt sie aufgrund ihrer Rolle in der Studentenbewegung von 1960 und die zweitgenannte, da es sich um die erste Generation handelte, die nach der Unterweisung in klassischen chinesischen Schriftzeichen während des Joseon-Reiches (1392 - 1910) und nach dem erzwungenen Unterricht in japanischer Sprache während der Kolonialzeit (1910 – 45) in der koreanischen Alphabetschrift Hangeul unterrichtet wurde. Einen Wendepunkt bildete der Roman „Gwangjang“ (1960, 광장, „The Square“) von choi In-Hun, der weit über die vorherrschenden Formen politischer Erzählungen des nachkriegskoreas hinausging und sowohl Süd- als auch nordkorea kritisch hinterfragte, um seine Vorbehalte gegen ein von Ideologien kontrolliertes Zeitalter zu formulieren.

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Die von der Regierung ab den 1960er Jahren vorangetriebene Industrialisierung führte zur Entstehung von modernen, exportorientierten Großindustrien, die eine allgemeine Anhebung des Lebensstandards nach sich zog. Die Kehrseite dieser Entwicklung zeigte sich in einer Landflucht und dem dadurch bedingten Zusammenbruch der ländlichen Strukturen und traditionellen Lebensweisen, einer Vergrößerung des Gefälles zwischen Arm und Reich und einer zunehmenden Umweltverschmutzung.Die Prosaliteratur der 1970er Jahre thematisierte verstärkt die negativen Auswirkungen der Industrialisierung und übte unter anderem Kritik an der Verschlechterung des sozialen Klimas und der Ausbeutung der Arbeiterschaft. Viele Schriftsteller portraitierten in ihren Werken charaktere, die durch die Modernisierung an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden; darunter war auch cho Seheui, Autor von „nanjangi-ga ssoaollin jageun gong“ (1976, 난장이가 쏘아올린 작은 공, „A Dwarf Launches a Little Ball“), auch er ein Vertreter der „Hangeul-Generation“. „nanjangi-ga...“ ist ein beeindruckendes Werk voll beißender Sozialkritik, das auf die erzwungene Stadtentwicklung Seouls in den 1970er Jahren und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Menschen fokussiert. Viele Koreaner betrachten den Roman1 als eines der kritischsten Werke der Dekade. Darin wird die Familie eines kleinwüchsigen Gelegenheitsarbeiters zur Zwangsräumung ihrer slumähnlichen Unterkunft am Stadtrand gezwungen, um einer modernen Apartmentsiedlung Platz zu machen. Der Arbeiter begeht daraufhin Selbstmord. Auch Yun Heunggil und Lee Mungu griffen in ihrem Werk das Thema der Industrialisierung auf. Yun befasst sich in seinem Epos unter anderem mit der städtischen Armut, und Lee thematisiert in Werken wie „Gwanchon Supil“ (1972 – 77, 관촌수필, „Gwanchon Essays“) die

Transformation des ländlichen Lebens als Folge des technologischen Fortschritts. Den koreanischen Autoren, die in den 1970er Jahren auf Koreakrieg und Teilung eingingen, gelang dies mit einer größeren Objektivität als früheren Generationen.

1979 kam der amtierende koreanische Machthaber Park chung-hee bei einem Attentat ums Leben, worauf ein durch ein Wahlgremium gewählter Interimspräsident eingesetzt wurde. Hoffnungen auf einen politischen Wandel wurden jedoch schon bald wieder enttäuscht, als der Interimspräsident im gleichen Jahr durch einen Militärputsch entmachtet wurde. Forderungen nach mehr Demokratie wurden daraufhin immer lauter und gipfelten schließlich in Massendemonstrationen im ganzen Land. Um ein Exempel zu statuieren, schlug die neue Militärregierung im Mai 1980 die „große Bewegung für die Demokratie“ in der Stadt Gwangju, eine der Protesthochburgen, blutig nieder. Das erschreckende Ende des Aufstands löste unter koreanischen Intellektuellen Schockwellen aus und führte dazu, dass viele Schriftsteller kurzzeitig das Schreiben aufgaben. Es gab aber auch Autoren, die die Geschehnisse in Gwangju nicht nur als eine Tragödie sahen, sondern als neuanfang, der das politische Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung stärkte. Dieser Gedanke kommt beispielsweise in Hong Hui-dams Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel „Gitbal“ (깃발, „The Flag“) zum Ausdruck, die allerdings erst acht Jahre nach dem tragischen Ereignis erschien (1988). Zu den großen realistischen Erzählungen über Gwangju zählt das vierbändige „Bomnal“ (1997, 봄날, „Spring Days“) von Ihm cheol-Woo.

Bereits Ende der 1970er Jahre war eine neue literarische Tendenz entstanden, die sich zur Hauptströmung der 1980er Jahre entwickelte: Minjung Munhak (민중문학, „Volksliteratur“), die sich mit den Menschen an der Basis der

Choi In-Huns „Gwangjang“ (1960, 광장, The Square) in deutscher Übersetzung

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koreanischen Gesellschaft - Arbeiter, Bauern und Fischer - solidarisierte. Die Minjung-Bewegung, die auf populären Forderungen nach einer Demokratisierung von Politik und Gesellschaft basierte, fand sich nicht nur in der Literatur, sondern auch in Kunst, Musik, Drama, Geschichte, Soziologie und Wirtschaft.

Die Literatur der 1980er Jahre, die von einer neu erstarkten Demokratiebewegung beflügelt wurde, war geprägt von einer radikaleren, kritischeren Herangehensweise an soziale Fragen. Es entstand unter anderem eine Arbeiter- bzw. Arbeitsliteratur, die eine Verbesserung der Konditionen für die Arbeiterschaft erzielen wollte, indem sie ein schonungsloses Portrait der realen Beschäftigungsbedingungen lieferte. Der historische Roman entwickelte sich zu einer weiteren literarischen Hauptströmung der Dekade, und es gab eine Fülle an Werken, die sich mit Teilung, Koreakrieg und frühen historischen Themen befassten. Erst mit einem nachlassen der Zensur zum Ende der chun-Doo-hwan-ära waren die Autoren in der Lage, auch Themen der jüngsten koreanischen Geschichte wie den Gwangju-Aufstand zu thematisieren.

1987 kam es zu einer Verfassungsreform und der ersten Direktwahl des Präsidenten durch die Bevölkerung seit 1961. Unter der Regierung von Ex-General Roh Tae-woo wurden etliche Erfolge auf dem Weg hin zu einer demokratischen Gesellschaft erzielt und

viele Reformen auf den Weg gebracht. Im Zuge einer neu eingeführten Meinungsfreiheit wurde 1988 auch das Verbot für nordkoreanische Literatur aufgehoben. 1992 wurde mit Kim Young-sam die erste Zivilperson seit 32 Jahren zum Präsidenten gewählt. Die fortschreitende Demokratisierung hat das Gesicht der koreanischen Literatur seit Ende der 1980er Jahre gewandelt, die sich heute einer größeren Vielfalt und Freiheit denn je erfreut.

1 Das Werk ist eine Sammlung von separat veröffentlichten Kurzgeschichten, die allein stehen oder sich gegenseitig ergänzen können.

Quellenauswahl: Im Heon-yeong, “The Korean Novel in the Eighties”, Korea Journal 26/7, 1986.

Kim U-chang, „The Agony of Cultural Construction“ in Hagen Koo (Hrsg.) State and Society in Contemporary Korea. Ithaca und London: Cornell University Press 1993.

Kwon Young-min, “Contemporary Korean Literature as Division Literature”, Korea Journal 27/7, 1987.

Lee Namho, Un Chanje, Lee Kwangho, Kim Mihyun: „Koreanische Literatur des 20. Jahrhunderts.“ Deutsche Übersetzung von Jung Youngsun und Herbert Jaumann. München: IUDICUM Verlag 2011.

O’Rourke, Kevin, “Literature After the Korean War”, Korea Journal 17/6, 1977.

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Gesine Stoyke,Redaktion Kultur Korea

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t e n D e n z e n z e i t G e n ö S S i S c h e r

K o r e a n i S c h e r l i t e r at u r

Vo n T h o r s t e n Tra u l s e n

Waren vorangegangene Generationen koreanischer Literaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch mit der Aufarbeitung der japanischen

Kolonialherrschaft bis 1945 und der Teilung des Landes nach dem schmerzlichen Bruderkrieg 1950 - 53 (die sogenannte Han’gŭl-Generation1) sowie mit dem Kampf gegen die Unterdrückung während der Militärdiktatur unter Park chung-hee und nach dem Kwangju-Aufstand 1980 (die 386-Generation2) beschäftigt, trat mit der Konsolidierung der Demokratie durch die Wahl des Zivilisten Kim Young-sam 1992 zum Präsidenten und dem zunehmenden wirtschaftlichen Aufschwung ab den 1990er Jahren auch die Literatur in eine neue Epoche. Der Schriftsteller als politischer Überzeugungstäter und moralische Instanz in Zeiten der Unterdrückung diente zusammen mit diesen Zeiten aus. An seine Stelle trat nun in dieser Phase der „Verinnerlichung“ (naemyŏnhwa 내면화) der genaue Beobachter des alltäglichen Lebens und seiner Identitätsfragen in einer sich rapide wandelnden Gesellschaft. Die politische Allegorie weicht einer stellenweise grotesk-surrealen Erzählweise und einer zunehmenden Gewichtung und Explizität der Darstellung von Sexualität.

Auch sprachlich schlägt die neue Autorengeneration andere Wege ein: Bezugspunkte sind nunmehr weniger eine irgend geartete Form koreanischer Klassiker, sondern das sich in Korea schon sehr früh verbreitende Internet mit seinen neuen Kommunikationsformen wie E-Mails und Blogs einerseits sowie der koreanische Film, der seit Ende der 1990er Jahre im Rahmen der „Koreanischen Welle“ (hallyu 한류) vor allem in Form von TV-Serien über ganz Asien schwappte, andererseits. Die Erzählperspektive der ersten Person mit ihrem psychologisierenden und subjektivierenden Potenzial wird ausgiebig genutzt und kennzeichnet einen weiteren Weg weg von der Literatur einer historischen oder politischen Wahrheit, die es zu berichten gilt.

Kein Autor verkörpert diesen Wandel besser als der 1968 geborene Kim Young-ha (김영하), der 1996 mit dem Roman „Ich habe das Recht, mich selbst zu zerstören“ (Nae-ga na-rŭl p’agoe-hal kwŏlli-ga itta 내가 나를 파괴할 권리가 있다; in Deutschland erschienen als „Das Gottesspiel“) debütierte. In Korea von Kritikern und Lesern gleichsam gefeiert und im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2005, auf der sich Korea als Gastland präsentierte, als Aushängeschild zeitgenössischer koreanischer Literatur

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Kim Young-ha

Shin Kyung-Sook

Jo Kyung Ran

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vorgestellt, liegen inzwischen zahlreiche seiner Werke auch in westlichen Sprachen vor.

Mit der Entpolitisierung der Literatur einher geht auch ihre Diversifizierung. Kein geteiltes historisches Trauma eint die Generation der neuen Schriftsteller mehr. Vielmehr sucht jeder für sich nach den Themen der Zeit und einer Lebensform zwischen Tradition und den sich nun auftuenden Freiheiten der Moderne und ihrer Urbanität.

Insbesondere die Frauenliteratur etabliert sich in dieser Phase als sehr erfolgreiches Genre und feiert mit Shin Kyung-Sook (신경숙 *1963) und Jo Kyung Ran (조경란 *1969) ihre beiden bekanntesten Vertreterinnen. Waren die allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen durch das rapide Wirtschaftswachstum und der damit einhergehenden Urbanisierung schon dramatisch, so erfuhr das Rollenbild der Frau einen noch drastischeren Wandel, der in den familiären Folgen des Wohlstandes, wie sie weltweit überall zu beobachten sind – niedrige Geburten- und hohe Scheidungsraten –, Ausdruck findet. In ihrem Debüt-Roman „Das purpurfarbene Sofa“ (Na-ŭi chajutpit sop’a 나의 자줏빛 소파) von 1998 schildert Jo Kyung Ran das Leben einer Single-Frau in der Großstadt und ihre Identitätskrise, ein Topos, das auch in vielen anderen Erzählungen dieses Genres anzutreffen ist.

Wollte man für die Zeit seit den 1990er Jahren tatsächlich eine Beziehung zwischen Politik und Literatur finden, so ließe sich diese in Form der 1995 vom damaligen Präsidenten Kim Young-sam ausgerufenen „Globalisierung“ (segyehwa 세계화) finden. Auffallend ist, wie sehr das außerkoreanische Fremde nun in vielen Erzählungen anzutreffen ist. Sei es als Topos der Begegnung auf koreanischem Boden oder in Übersee; sei es als Ort der Identitätsfindung außerhalb des gesellschaftlichen Bezugssystems der Heimat; sei es als „unbekannter Dritter“, der durch seine Präsenz ein ähnliches Befremden bewirkt wie es das Aufbrechen der traditionellen Gesellschaft tut; sei es als symbolische oder metaphorische Verwendung nicht-koreanischer – vor allem westlicher – Kulturgüter, die über das bloße Zurschaustellen eines globalen

Bildungskanons hinaus die ständige Präsenz einer fremden Kulturvorgabe vor Augen führt. Doch auch die oben skizzierte Literaturlandschaft Koreas ist weiter im Wandel begriffen, und Autoren wie Kim Young-ha und Jo Kyung Ran gehören nicht mehr zur Speerspitze literarischen Erfindungsreichtums, auch wenn ihr Erfolg ungebrochen ist. Haben sie in den späten 1990ern die Tür geöffnet in eine postmoderne Literaturwelt Koreas, sind es Schriftsteller wie Park Min-gyu (박민규 *1968) oder cheon Woon Young (천운영 *1971), die – wenn auch vom Alter her zur gleichen Generation gehörend – den so geschaffenen Raum vermessen. Aber auch hier gilt wie überall: eine treffende Bewertung der zeitgenössischen koreanischen Literatur wird erst im Rückblick möglich sein.

1 Benannt nach dem koreanischen Alphabet, das nun nach dem Verbot der koreanischen Sprache Ende der Kolonialzeit endgültig zum Medium koreanischer Literatur wurde.

2 D.h. geboren in den 1930ern, politisch aktiv in den 1980ern und nun in den 1990ern in den Sechzigern ihres Lebens.

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Thorsten Traulsen arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für „Sprache und Kultur Koreas“ der Ruhr-Universi-tät Bochum. Daneben ist er seit 2005 Mitherausgeber der „Hefte für ostasiatische Literatur (HOL)“ (iudicium Verlag) und dort verant-wortlich für den Koreateil. Ko-übersetzt liegen von ihm vor „Was du mir bedeu-test“ (Kim Young-ha; als Seminarprojekt zs. übers. mit Kang Eui-Young, Tihana Sifter, Kim Kyung-Hwa, Kim Yong, Felix Sigmund, Helmut Schmidt ) sowie „Die Seele legt sich schlafen im See“ (Yi Sun-weon; zs. übers. mit Yang Hanju und David Renz). Beide Erzählungen sind in den HOL erschie-nen. Ein von ihm geführtes Verzeichnis koreanischer Li-teratur auf Deutsch (KLD) seit 2005 findet sich auf der Homepage des Instituts (www.rub.de/skk).

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n a h a u f n a h M e - a u t o r e n i M f o K u S

Y i S a n G : D i c h t e r, M a l e r, a r c h i t e k t

Vo n G i t t e Z s c h o c h이상

„Gäbe es einen Arzt, der Städte therapiert, lautete die Diagnose für Seoul: ‚Kurzzeitige Amnesie‘. Wie ein Alzheimerpatient leidet die Stadt an einer Krankheit, durch die sie all ihre jüngsten Erinnerungen verliert“,

schreibt der südkoreanische Autor Kim Young-Ha über die heutige Megacity Seoul für die Süddeutsche Zeitung.1 Mehr als 70 Jahre zuvor lebte in derselben Stadt der Schriftsteller Yisang (1910 - 1937), der wahrscheinlich eine ähnliche Diagnose gestellt hätte. Zu jener Zeit wurden in Seoul nach koreanischer Tradition gebaute Häuser und Hütten abgerissen und durch Kaufhäuser ersetzt, auf den breiten Straßen fuhren elektrische Bahnen, und Hollywood-Stummfilme konkurrierten mit traditionellen Schauspieltruppen. neues traf auf Altes, Fremdes auf Eigenes. Dieses Aufeinanderprallen der Gegensätze und die damit einhergehenden Veränderungen stellten die Menschen vor Herausforderungen. Die Auseinandersetzung erfährt im Werk und in der Person des Schriftstellers Yisang einen Höhepunkt. Er flaniert im weißen Smoking durch Seoul, was ihm den Ruf eines Dandys beschert, wobei an der symbolhaften Kleiderwahl der Anzug

neu und modern, die Farbe Weiß jedoch schon seit jeher die Farbe koreanischer Kleidung ist. Yisang überschritt zudem die definierten Genregrenzen: Seine Gedichte sind alles andere als konventionell, und er war nicht nur Schriftsteller, sondern fügte Veröffentlichungen auch Illustrationen bei, wie der zu seiner berühmtesten Erzählung, „Flügel“2 („nalgae“). Die Karriere Yisangs allerdings war kurz. Als ältester Sohn in eine ärmliche Familie geboren und von seinem Onkel adoptiert, wurden in den zukünftigen Stammhalter große Hoffnungen gesetzt. Diesen wurde er zeitlebens allerdings nicht gerecht: „Woher soll ich all das Geld nehmen? Ein Roman bringt keine drei Groschen. […] Sogar die Skelette im Grab fordern etwas von mir“, verzweifelt das Lyrische Ich in einem Gedicht. Sein Künstlercafé, das innerhalb kürzester Zeit zum Künstlertreff avanciert war, musste er aus Geldgründen 1935 schließen, und es begann eine rastlose Zeit, bis er schließlich 1937 seine letzte Reise ins intellektuelle Tōkyō antrat. Dort wurde er aufgrund ‚antikolonialistischer Bestrebungen‘ verhaftet und erlag 1937 einer Tuberkulose. Ursprünglich hatte er Architektur studiert – seine Leidenschaft war das Malen, und Architektur kam dieser ‚brotlosen Kunst‘ am nächsten – und währenddessen begonnen, westliche Literatur in japanischer Übersetzung zu rezipieren und selbst dichterisch aktiv zu werden. Insgesamt existieren von ihm rund einhundert Gedichte, mehrere Erzählungen,

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Essays und ein Roman, und dazu zahlreiche Illustrationen und Entwürfe für Titelblätter von Zeitschriften. Die große Bedeutung Yisangs für die moderne Literatur Koreas ist unumstritten. Entsprechend ist Yisang in viele Sprachen, darunter ins Japanische, Englische, Französische, Spanische und Portugiesische, übersetzt worden. In deutscher Sprache liegt ein Gedichtband mit dem Titel „Mogelperspektive“ vor.3 „Mogelperspektive“ (kor. „Ogamdo“) gehört zu Yisangs Hauptwerk und ist der Titel einer Serie von fünfzehn Gedichten, die Yisang 1934 in der Zeitung Chosŏn Jungang Ilbo veröffentlichte. Die Veröffentlichung wurde aufgrund starker Leserproteste allerdings vorzeitig eingestellt. Verantwortlich dafür waren die auffallende, mit allen Konventionen traditioneller Lyrik brechende grafische Form sowie die als extrem verstörend und unverständlich empfundenen Inhalte. Die Gedichte sind durchnummeriert, sie sind grafisch ungewöhnlich, reihen Ziffern und Symbole aneinander, vermischen Sprachen. Eine überlieferte Anekdote besagt, dass man bei der Zeitung, in der die Serie ursprünglich veröffentlicht wurde, „Ogamdo“, („Rabenperspektive“), für einen Schreibfehler gehalten hatte: „chogamdo“, also übersetzt „Vogelperspektive“, hätte es heißen sollen. Die jeweils ersten Silben unterscheiden sich nur durch einen Pinselstrich. Diese ähnlichkeitsbeziehung macht sich Yisang zu nutze: Der einfache, unbedarfte Vogel wird zum Raben, der mit Unglück, Bösem und Zwielichtigem konnotiert wird. Die deutsche Ausgabe „Mogelperspektive“ birgt ebenso negative Konnotationen in sich. „Mogeln“ impliziert Falschheit und Betrug; „Mogelperspektive“ das Fingieren einer Perspektive oder Sicht. Das „gedicht nr. 1“4 soll hier als Beispiel dienen, wie dieses Spiel mit

der Perspektive und dem negativen Paradigma weiter verstärkt und damit gespielt wird.

gedicht nr. 1 13 kinder rennen auf der straße.(als straße ist eine sackgasse geeignet.) das 1. kind sagt es macht angst.das 2. kind sagt auch es macht angst.das 3. kind sagt auch es macht angst.das 4. kind sagt auch es macht angst.das 5. kind sagt auch es macht angst.das 6. kind sagt auch es macht angst.das 7. kind sagt auch es macht angst.das 8. kind sagt auch es macht angst.das 9. kind sagt auch es macht angst.das 10. kind sagt auch es macht angst. das 11. kind sagt auch es macht angst.das 12. kind sagt auch es macht angst.das 13. kind sagt auch es macht angst.13 kinder angsterregende kinder ängstliche kinder nur solche kinder haben sich versammelt. (es sollte möglichst keine anderen ursachen geben.)

1 kind davon kann genausogut angsterregend sein.

2 kinder können genausogut angsterregend sein.2 kinder können genausogut ängstlich sein.1 kind kann genausogut ängstlich sein.

(als straße ist auch eine durchgangsstraße geeignet.)13 kinder können genausogut nicht auf der straße rennen.

Die Angst ist in diesem Gedicht Hauptthema. Es wird nicht klar, wer oder was sie auslöst – sie steht einfach im Raum. Unter den Kindern sind sowohl „angsterregende“ als auch „ängstliche“ Kinder. Die Kinder scheinen wegzulaufen, weil sie Angst haben, aber wovor, das bleibt undefiniert. Es ist nicht klar, ob die Angst von den Kindern selbst ausgeht oder ob diese ihr ausgeliefert sind. Der starke rhythmische charakter des Gedichts, der durch die ständigen Wiederholungen und Lautähnlichkeiten entsteht, kreiert zudem eine Monotonie, die die Angst weiter heraufzubeschwören scheint. Die Uneindeutigkeit der Perspektive und das Ausweglose der gesamten

“gedicht nr. 1”, veröffentlicht in der Chosŏn Jungang Ilbo, am 24. 7.1934

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Situation werden weiter durch die symmetrische Spiegelung der ersten und letzten beiden Zeilen verstärkt. Semantisch gesehen hebt sich das Gedicht dadurch selbst auf. Indem die Ausgangssituation – Kinder rennen, beispielsweise in einer Sackgasse – am Ende umgekehrt, aber nicht revidiert, sondern nur als Möglichkeit angedeutet wird, verschwindet die beschriebene Handlung oder der Zustand in die Bedeutungslosigkeit. Es wird keine wirkliche und endgültige Aussage getroffen, und somit bleibt alles in der Schwebe. Man kann den ‚Raben‘ des Titels ‚Ogamdo‘ auch als Beobachter der Szene, die sich auf der Straße abspielt, begreifen. Die zitierte Rede impliziert eine Sprecherinstanz, die das Geschehen von oben, eben aus einer Perspektive der Überschau, verfolgt. Vielleicht löst dieser Sprecher auch die Angst aus? Denn einzig bleibt am Ende diese Angst.Das „gedicht nr. 1“ steht exemplarisch für die Lyrik Yisangs: Es zeigt, dass seine Werke einen stark verstörenden charakter haben, gleichzeitig aber formal durchkomponiert sind. Sein Genie besteht darin, Gedichte zu verfassen, die auch heute noch

‚bedeuten‘, die aufwühlen und zum nachdenken anregen, und zudem visuell so anspruchsvoll sind wie die Bildlyrik eines Apollinaire oder Mallarmé. Es wird Zeit, auch Yisang in die Sphären der Weltliteratur einzuschreiben.

1 „Megacity Seoul. Kollektives Alzheimer“, 23.02.2007.

2 Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Chogwang, Juni 1936.

3 Yisang (2005) „Mogelperspektive“. Gedichte, hg. u. übers. v. Marion Eggert, Hanju Yang u. Matthias Göritz, Graz u. Wien: Literaturverlag Droschl.

4 Siehe Fußnote 3, S. 13.

“gedicht nr. 4”, veröffentlicht in der Chosŏn Jungang Ilbo, am 28. 7.1934

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Gitte Zschoch studierte Allgemeine und Ver-gleichende Literatur-wissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Uni-versität in München und Moderne Koreanische Literatur an der Seoul National University. Im Moment ist sie für das Goethe-Institut in Johannesburg tätig.

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D e r S ü D K o r e a n i S c h e S c h r i f t S t e l l e r Y i M u n Y o lVo n D i r k G o d d e r

n a h a u f n a h M e - a u t o r e n i M f o K u S

Der Südkoreaner Yi Munyol i st e iner der e inf lussre ichsten lebenden Schr if t stel ler se ines Landes . Er i st zudem einer der ersten Bestsel lerautoren, dessen Werke auch über die Grenzen Südkoreas bekannt w urden. Dazu gehör t bei spiel swei se der Roman „Der entstel lte Held“, der die Geschichte e ines Schulal ltags erzählt und in Korea Schul lektüre i st . Die auch auf Deutsch erschienene Erzählung 1 i st e ine Parabel über die Ausübung und den Missbrauch von Macht. Al s Meister werk g i lt in se inem Land der Roman „ Shi-In“ („Der Dichter“) 2 von 1992, in dem Yi das Leben e ines Poeten nacherzählt .

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Yi Munyol in seinem Schreibzimmer in Ichon

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Mit freundlichem Lächeln tritt Yi Munyol aus der Einfahrt zu seinem Garten hervor und begrüßt

seinen Besucher. Sein Anwesen in Ichon ist rund anderthalb Stunden Autofahrt von Seoul entfernt. Abgesehen von einem dreijährigen Aufenthalt in den USA von 2006 bis 2009 wohnt der südkoreanische Schriftsteller bereits seit 25 Jahren dort - relativ abgelegen von der naheliegenden Großstadtregion. Sein Wohnhaus hat er damals mitentworfen. Doch zurückgezogen wohnt er mit seiner Frau nicht. Zu seinem Anwesen gehört außer einem großen Garten, in dem der 64-Jährige unter anderem Tomaten züchtet, Obstbäume pflegt und mit seinen Enkeln spielt, auch ein separates Gebäude mit zahlreichen Gästezimmern. Hier beherbergt er seit vielen Jahren immer wieder junge Menschen, mit denen er Ideen austauscht und diskutiert.

Auch mischte sich der Schriftsteller immer wieder in politische Diskussionen in seinem Heimatland ein. Mit seinen Ansichten eckte er dabei oftmals an. „Ich bin einer der Schriftsteller, die immer engste Beziehungen zu den Lesern gepflegt haben“, sagt er. Doch mit einigen Lesern sei er in Konflikt geraten. Als Yi Anfang dieses Jahrhunderts in einem Meinungsbeitrag für eine der auflagenstärksten konservativen Zeitungen des Landes progressive Organisationen mit den „Roten Garden“ in china - radikale Studentengruppen während der Kulturrevolution - verglich, zog er sich viele Feinde zu. Einige junge Menschen seien sogar in seinen Garten gekommen und hätten dort seine Bücher verbrannt, erzählt Yi. „Die Situation machte mich wütend.“ Später entschied er sich, einige Zeit in den USA zu leben, um Abstand zu gewinnen und neue Energie zu sammeln.

Trotz seines nicht ungebrochenen Ruhms wird Yis Schreibkunst nach wie vor hoch eingeschätzt. Auch wird er

immer wieder als möglicher Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt. Viele junge Menschen suchen bei dem bekannten Dichter unter anderem Anregung, Weisung und Rat. „Seit 1985 betreibe ich eine Art Autorengruppe“, erzählt Yi. „Das heißt aber nicht, dass ich sie zu ehrgeizigen Schriftstellern machen will.“ Es gehe mehr um den Ideen- und Gedankenaustausch, um Gespräche über Politik, Kultur und das Leben allgemein. „Ich habe keinen Lehrplan. Sie können schreiben und lesen, was sie wollen.“ Sollte der eine oder andere auch Rat für seine Schreibambitionen holen wollen, so verschließe er sich nicht, betont Yi. „Es gibt aber kein Geheimnis des Schreibens.“

Yi hat in seiner Heimat früher mit seinen Werken Millionenauflagen erzielt. Sein Oeuvre umfasst rund 100 Bücher. Auch in Europa sind einige seiner Erzählungen, novellen und Romane erschienen. Allerdings seien bisher nur wenige Bücher ins Deutsche übersetzt worden, hingegen zehn seiner Werke ins Französische und acht ins Italienische, sagt er. Einem breiteren Lesepublikum wurden Yi und andere südkoreanische Schriftsteller in Deutschland durch die Frankfurter Buchmesse 2005 bekannt, als Südkorea Gastland war.

Seit Mitte der 80er Jahren haben sich mehr als 50 junge Gäste – überwiegend Männer – während ihres längeren Aufenthalts auf Yis Anwesen in Ichon diversen Studien gewidmet. Doch nur 15 von ihnen seien letztlich auch Schriftsteller wie er geworden, sagt er mit einem Lachen. Einige hätten bis zu drei Jahre bei ihm gewohnt. Aktuell wohnt auch ein Amerikaner dort. „Louis bezeichnet sich selbst als Bohemien. Er liebt china und kehrt nach seinem Besuch dort immer wieder hierher zurück. In die USA will er nicht mehr zurück.“ Zwischen 1985 und 1997 waren es immer unter fünf Personen, die auf Yis Grundstück wohnten, manchmal sogar nur ein einziger Gast. Seit 1997

erhöhte sich die Zahl. Die maximale Zahl der Gäste sei 15 gewesen, sagt der Romancier.

Das Verhältnis der jungen Leute zum bekannten Schriftsteller lässt sich eher im traditionellen Sinn als das zwischen einem Gelehrten und einem Schüler beschreiben – doch ohne strikte Verhaltensregeln. Yi verweist in diesem Zusammenhang auf die alte konfuzianische Akademie Dosan Seowan in Andong im Osten des Landes. Die Akademie, in der die Studenten lebten und arbeiteten, wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Schülern des berühmten Gelehrten Yi Hwang und anderen Lehrmeistern gegründet. „Die Schüler konnten frei Fragen stellen und mit den Lehrern Ideen austauschen. Das ist es auch mehr oder weniger, was ich hier betreibe“, sagt Yi Munyol.

Sein Schwerpunkt liege noch immer auf dem Schreiben, nicht auf der Tätigkeit eines „Lehrers“. Zurzeit arbeitet er an einem historischen Roman, der mit der Periode der drei alten koreanischen Königreiche Goguryo, Baekje und Silla zu tun hat und auch das Thema Vereinigung beleuchten soll. Allerdings sei er weniger produktiv als früher, als er noch zwei Bücher pro Jahr abgeschlossen habe, sagt Yi. Jetzt sei es schwierig, selbst noch ein Buch in einem Jahr zu schreiben. „Ich weiß nicht genau warum, vielleicht bin ich müde oder zu alt.“

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Dirk Godder ist in Oberhau-sen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seit Ende der 90er Jahre berichtet er als Korrespondent in Seoul über politische, wirtschaftliche, kul-turelle und sportliche Ereignis-se in Süd- und Nordkorea.

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l i t e r at u r u M i h r e r S e l b S t W i l l e n – e i n G e s p r ä c h m i t K o u n (고은)

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k a u m j e m a n d h a t d i e j ü n g s t e k o r e a n i s c h e G e s c h i c h t e m i t e r l e b t w i e k o u n . G e b o r e n u n d a u f g e w a c h s e n i n d e r j a p a n i s c h e n k o l o n i a l z e i t , w u r d e e r i n d e n n a c h k r i e g s j a h r e n d i c h t e r, u n t e r d e m a u t o r i t ä r e n r e g i m e v o n P a r k c h u n g - h e e z u m W i d e r s t ä n d l e r u n d i n d e n l e t z t e n J a h r e n z u k o r e a s h e i ß e s t e m a n w ä r t e r a u f d e n L i t e r a t u r n o b e l p r e i s . J ä h r l i c h c a m p i e r e n J o u r n a l i s t e n v o r d e r B e k a n n t g a b e n d e r n o b e l p r e i s t r ä g e r v o r s e i n e m h a u s i n a n s e o n g b e i s e o u l . k o u n s W e r k e s i n d i n m e h r a l s e i n d u t z e n d s p r a c h e n ü b e r s e t z t w o r d e n . M a l t e e . k o l l e n b e r g h a t k o u n z u h a u s e b e s u c h t u n d m i t i h m ü b e r f r e i h e i t , G o e t h e s „ f a u s t “ u n d s e i n n e u e s t e s W e r k z u r W i e d e r v e r e i n i g u n g k o r e a s g e s p r o c h e n .

W e r i s t k o u n ?

Das ist sehr schwer zu definieren. Ich kann nicht sagen, wer ich bin. Ich kann nicht einmal sagen, was genau der Fluss vor meinem Haus ist. Ich bin, wer ich bin; und ich bin nicht, wer ich bin. Ich kann nicht entscheiden, welcher der beiden Ausdrücke der richtige ist.Stellen Sie sich eine Pusteblume vor. Deren Samen verteilen sich in alle Winde, zufällig. Wäre ich in Westeuropa geboren, wäre ich vielleicht ein Einwohner von Düsseldorf. Aus diesem Grunde ist nationalität doch etwas völlig Willkürliches. In meinem Fall war dieser Zufall eben, in Korea geboren zu werden und Literatur zu verfassen. Ironischerweise versuche ich aber auch, mich gegen genau das aufzulehnen.

W i e h a t s i c h i h r e L i t e r a t u r v e r ä n d e r t ?

Als ich angefangen habe zu schreiben, starben viele Menschen in diesem Land. Die Stadt war zerstört, und die Menschen lebten unter jämmerlichen Umständen. Unter dem Einfluss dieser Umgebung bin ich Dichter geworden. Ich bin einer der wenigen, die diese Zeit überlebt haben. Mein Überleben war ein Aufschrei, ein Aufschrei für jeden, der damals gestorben ist. So habe ich angefangen. Dieser Aufschrei, dieser

Grund für mich, Autor und Dichter zu werden, existiert heute nicht mehr. Über die Zeit hat sich mein Schreiben verändert.Jedes Mal habe ich ein anderes Thema an die Welt gerichtet. Mal war es die Schönheit, mal die Wahrheit, mal war es der Kampf gegen den Schwindel, um die Wahrheit zu schützen. Mal war es das Verlangen nach Freiheit. Heute träume ich von Worten, die all das verinnerlichen.Um es mit einem Goethe-Beispiel zu sagen: „Faust I“ ist anders als „Faust II“. Wie Faust sich entwickelt, entwickelt sich jeder Mensch mit unterschiedlichsten Gesichtern im Laufe eines Lebens. Mein literarisches Leben war nicht viel anders. Es hat viele verschiedene Gesichter. Beispielsweise habe ich 25 Jahre gebraucht, um das Gedicht „Maninbo“1 zu vollenden. Der Anfang und das Ende sind sehr unterschiedlich, wie bei „Faust“.

W i e s e h e n s i e d i e a k t u e l l e k o r e a n i s c h e L i t e r a t u r u n d j u n g e a u t o r e n h e u t e ?

Das ist schwierig. Es gibt zahlreiche vielversprechende Schriftsteller. Unterschiedliche Autoren mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen und Themen. Ich fühle mich ein wenig so, als wäre Korea als Land gar nicht ausreichend, um diese Vielfältigkeit aufzunehmen. Viele schreiben ja auch gar nicht in Korea, sondern sind irgendwo im Ausland.

i h r e W e r k e s i n d i n v i e l e s p r a c h e n ü b e r s e t z t w o r d e n . W a s b e d e u t e t e s f ü r s i e , e i n W e r k i n e i n e r a n d e r e n s p r a c h e z u s e h e n ?

Als ich jung war, war es nur möglich, den nil in ägypten zu erleben, indem man eine Geschichte oder ein Gedicht las. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, in meinem Herzen und meiner Fantasie diesen Ort zu besuchen. Das ist nur möglich, wenn Übersetzungen erhältlich sind.Ein literarisches Stück kann für sich selbst bestehen, sollte aber auch ein Land verlassen und nicht eingeschlossen werden. Dass es auch chinesisches Essen in Großbritannien gibt, verdeutlicht doch gut, wie wichtig es ist, auch die kleinsten Dinge auf der ganzen Welt zu verteilen.Die menschliche Existenz allein ist ja schon eine Art der Übersetzung. Literatur an sich ist so gesehen schon eine Übersetzung. nichts kann

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sich der Übersetzung erwehren.Alles Geschriebene ist der Weg des Autors, die Welt in Worte zu übersetzen. Jedes Gedicht ist lediglich eine neuzusammensetzung von Worten, die in anderer Form bereits bestanden haben. Aus dieser Sichtweise bin ich lediglich ein Übersetzer. Der Originaltext sollte deshalb in so viele Sprachen wie möglich übersetzt werden.Wenn das 20. Jahrhundert die Epoche der Übersetzung war, wird das 21. Jahrhundert hoffentlich die Epoche, in der die Unterschiede zwischen Original und Übersetzung beseitigt werden.

s o l l t e d i e k o r e a n i s c h e r e g i e r u n g m e h r u n t e r n e h m e n , u m k o r e a n i s c h e L i t e r a t u r i m a u s l a n d p u b l i k z u m a c h e n ?

Ich war sehr glücklich, als meine Werke ins Englische, Deutsche und Japanische übersetzt worden sind. Aber ich bevorzuge es, dass so etwas ohne Unterstützung oder Einmischung der Regierung stattfindet. Für mich ist es wichtig, dass sich etwas aus der Zivilgesellschaft heraus entwickelt, nicht unterstützt durch die Regierung. Ich habe mich gefreut, als meine Werke einfach von Bürgern diskutiert worden sind, ohne vorher von der Regierung angefasst worden zu sein. Aber selbstverständlich muss ich zugeben, dass es mit Unterstützung der Regierung um einiges schneller gehen kann, Literatur zu verbreiten.

M a n c h e M e n s c h e n s a g e n , e s w i r d Z e i t f ü r k o r e a , e i n e n e i g e n e n s t o l z , e i n e e i g e n e L e b e n s a r t z u e n t w i c k e l n . e t w a s , d a s ü b e r d a s s t r e b e n n a c h e i n e r b e s s e r e n Z u k u n f t h i n a u s g e h t . W i e s e h e n s i e d a s ?

Verglichen mit unseren Vorfahren, leben wir in einer weit glücklicheren Welt. Viele junge Menschen haben unter Park chung-hee sehr unter fehlenden Freiheiten gelitten. In Familien wurden Frauen schlecht behandelt. Heute ist der Status der Frau völlig anders als früher. Die Freiheit jedes Einzelnen ist heute weitreichender. Ich sehe das als ein absolutes Zeichen für Vielfalt.Unter den OEcD-Mitgliedsländern nimmt aber Korea eben auch den Spitzenplatz bezüglich der Selbstmordraten ein. Gleichzeitig hat das Land die niedrigste Geburtenrate. Diese Zahlen zeigen, dass wir in einer hoffnungslosen Welt leben. So kann es nicht weitergehen. Das passt nicht zur 13. größten Volkswirtschaft der Welt.

W a s w ü r d e n s i e s i c h f ü r d i e Z u k u n f t d e s L a n d e s w ü n s c h e n ?

Korea hat eine unvollständige Geschichte. Das Einzige, was daran etwas ändern könnte, wäre die Wiedervereinigung. Viele Länder waren geteilt und sind heute wiedervereinigt: der Jemen und Deutschland oder Vietnam. Aber nicht viele Koreaner wünschen sich die Vereinigung, das macht mich traurig.Mein Traum ist die Wiedervereinigung, und den werde ich nicht aufgeben. Die Sprache in beiden Koreas hat sich unterschiedlich entwickelt. Deshalb arbeite ich an einem Wörterbuch, das diese Unterschiede berücksichtigt. Wenn es zu einer Vereinigung kommt, werden wir mehr Möglichkeiten haben, das Buch zu benutzen. In fünf Jahren wird es fertig sein.

G l a u b e n s i e , d a s s e s s o s c h n e l l a u c h e i n e W i e d e r v e r e i n i g u n g g e b e n k ö n n t e ?

Ich habe geweint, als Deutschland wiedervereinigt wurde. Ich habe auch darüber geschrieben. Einer meiner Leser hat mir damals ein Stück der Berliner Mauer geschickt. Ich wünsche mir sehr, ohne die Trennung am 38. Breitengrad zu leben. Und ich bin sicher, in fünf bis zehn Jahren wird es soweit sein.

Das Interview führte Malte E. Kollenberg

1 „Maninbo“ (Zehntausend Leben) ist ein 30-teiliges Gedichtepos. Seit Mitte der 1980er Jahre hatte Ko Un daran gearbeitet, bevor er das Werk 2010 für abgeschlossen erklärte.

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Malte E. Kollenberg, aufgewachsen in Bonn und Gummersbach, hat in Bamberg und Seoul Politik- und Kommunika-tionswissenschaft studiert. 2007 hat er zusammen mit einem Partner das Journalistenbüro KOL-LENBECKER gegründet. Jetzt lebt und arbeitet er als Korrespondent in Seoul.©

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p e r S p e K t i v e n W e c h S e l

Wer sich in Deutschland auf die Suche nach Korea macht, wird schnell fündig: Jede Menge Hyundais und Kias auf deutschen Autobahnen. Flachbildschirm-Fernseher

von LG in den Wohnzimmern. Samsung-Smartphones laufen Apple den Rang ab. In Berlin eröffnet derzeit alle paar Monate ein neues Restaurant mit Bulgogi und Kimchi, koreanische Filme locken nicht nur zur Berlinale cineasten ins Programmkino. Ganz zu schweigen von Taekwondo. Im deutschen Alltag ist Korea sichtbarer denn je.

Das gilt allerdings nicht für die koreanische Buchkultur, die in Deutschland nach wie vor ein nischendasein fristet, ganz im Gegensatz zu deutscher Literatur in Korea. Während man dort Schiller, Goethe, Hesse und Hölderlin liest, sogar zeitgenössische deutsche Romane auf der Bestsellerliste landen, ist koreanische Literatur trotz vieler lesenswerter Autoren hierzulande vor allem etwas für Liebhaber und Spezialisten. Stichprobe in einer gut sortierten Berliner Buchhandlung: Prosa aus Korea? Vorhanden, aber nicht vorrätig. Die Verkäuferin antwortet knapp: „Wird nicht verlangt.“

Viele Hoffnungen richteten sich 2005 auf die Frankfurter Buchmesse, bei der Korea Gastland und Schwerpunktthema war. Wer zuvor nichts von koreanischer Literatur gehört hatte, kam jetzt nicht mehr um sie herum. Vom „Reiz

des Fremden“ schrieb der Stern euphorisch, „vielfältig und reizvoll“, lobte der Spiegel. Sieben Jahre danach ist die Aufbruchstimmung verflogen. nur selten erscheint die Rezension eines koreanischen Buches im deutschen Feuilleton. „Das Interesse an Korea als Literaturland ist noch geringer als vor der Buchmesse“, konstatiert Verleger Günter Peperkorn, dessen gleichnamiger Verlag nun schon seit 16 Jahren ungeachtet aller Trends und Moden koreanische Literatur herausgibt. Rund 40 Titel hat er im Sortiment: koreanische Prosa, Lyrik, Volksdichtung, renommierte Autoren wie Ahn Jung-hyo, Kim Soo-young, choi In-hun, Oh Jung-hee. Einer der erfolgreichsten Bände ist ein koreanisches Sprachlehrwerk, immerhin in der 3. Auflage. „Zur Buchmesse ist Korea sehr gepusht worden, auch von den Medien, die nach 2005 regelrecht übersättigt waren“, sagt Peperkorn. Heute sei es „schwierig, ein koreanisches Buch überhaupt auf den Tisch von Kulturredakteuren zu bekommen“. Die Auflagen sind klein, ein Bestseller ist nicht in Sicht. Und noch eine Erkenntnis: Lyrik läuft besser als Prosa.

nur wenige Verlage in Deutschland nehmen das Wagnis auf sich, koreanische Literatur zu verlegen. neben der Edition Peperkorn aus dem ostfriesischen Thunum ist dies zum Beispiel der Münchner Iudicium Verlag, der Übersetzungen aus dem Koreanischen und Japanischen, Fachbücher und auch Romane veröffentlicht. „Obgleich Deutschland und

e i n b e S t S e l l e r i S t n i c h t i n S i c h tK o r e a n i s c h e l i t e r a t u r i n D e u t s c h l a n d v e r l ä s s t s e l t e n d i e n i s c h e

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auch Korea Länder sind, die durch die Landesteilung etwas gemeinsam haben sollten, scheint das Interesse an der koreanischen Literatur bei uns eher gering zu sein“, erklärt Aimée Dornier vom Iudicium Verlag. „Es liegt vielleicht gar nicht so sehr an den Themen als an der Tatsache, dass das Interesse an china und an Japan schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts sehr groß war und Korea nie so sehr ins Blickfeld gerückt wurde. Es gibt viele Japanologen und Sinologen, aber wenige Koreanisten. Auch nehme ich an, dass die Deutschen eher nach china oder Japan reisen als nach Korea.“ Eine Entwicklung hinsichtlich der nachfrage in den letzten Jahren kann man bei Iudicium nicht feststellen. „Leider werden keine hohen Auflagen der Bücher verkauft.“

Der Dritte im Bunde, der Bielefelder Verleger Günther Butkus (Pendragon), kam 1998 über Kim Wonils „Wind und Wasser“ zur modernen koreanischen Literatur. Seither publizierte der Pendragon Verlag eine ganze Reihe mit 30 Bänden, darunter Yi Munyol, Ahn Jung-hyo, Ko Un und Lee Hochol. Koreanische Literatur sei nie der „große Bringer“ gewesen, sagt Butkus, wenngleich manche Bücher durchaus eine 2. Auflage erreicht haben. Daraus aber nun abzuleiten, koreanische Literatur werde in Deutschland stiefmütterlich behandelt, hält er – ebenso wie Peperkorn – für unfair. Das Interesse an deutscher Kultur hat in Korea eine lange Tradition, und es ist deutlich auf die Vergangenheit gerichtet. Tatsächlich lasse auch in Korea die Liebe zu den deutschen Klassikern, der deutschen Sprache, der Germanistik inzwischen merklich nach, so Butkus. Die vergleichsweise verhaltene Wahrnehmung koreanischer Literatur in Deutschland sehen die Verleger gelassen: Gleiches könne man auch für die Literatur des afrikanischen und arabischen Raums, ja sogar für viele europäische Länder sagen, deren Literatur in Deutschland – von einzelnen bekannten Autoren abgesehen - letztlich auch wenig gelesen werde. Wer kennt hierzulande schon zeitgenössische griechische oder finnische Literatur? Und auch für das literarisch vielseitige Japan ist Haruki Murakami eine glückliche und untypische Ausnahmeerscheinung. Im Übrigen sei Deutschland, so Butkus, „das Land mit der größten Dichte an Übersetzungen“ – Korea hat auf dem deutschen Buchmarkt viel Konkurrenz.

Was macht nun speziell koreanische Literatur zur schweren Kost für den deutschen „normalleser“? Liegt es an Themen, Fremdheit, Qualität der Übersetzungen? Den oft ernsten Stoffen - Bruderkrieg, Diktatur und Teilungstrauma -, die Verständnis für Land, Geschichte und Kultur voraussetzen? Die wenigsten Deutschen kennen Korea vom Reisen her, was die neugier beflügeln könnte. christina Youn-Arnoldi, Dolmetscherin und Übersetzerin aus Berlin, hat selbst einige Bücher aus dem Koreanischen übertragen (zum Beispiel Yi Munyols „Jugendjahre“ und Lee Hye-kyoungs „Das Haus auf dem Weg“). Sie vermisst vor allem zweierlei: Unterhaltung

und Spannung. „Lange Zeit folgte koreanische Literatur in erster Linie dem Anspruch, zu bilden. Es gab ernste Literatur auf der einen und comics auf der anderen Seite, aber keine Trivialliteratur.“ Auch im Original sei koreanische Prosa oft mühsam zu lesen, übersetzt würden vor allem Bücher, die als literarisch hochwertig angesehen würden. Was als „moderne Literatur“ aus Korea den deutschen Markt erreicht, ist oft schon Jahrzehnte alt. Dabei gibt es, so Youn-Arnoldi, seit einigen Jahren junge koreanische Autoren, die mit unterhaltsamen und globalen Themen und Sprache vielleicht gerade bei der jüngeren Lesergeneration gut ankommen könnten.

Aus Sicht der Verleger ist manches besser geworden: Die Qualität der Übersetzungen zum Beispiel, was Günter Peperkorn unter anderem auf bessere Ausbildung und Förderung zurückführt. nicht unerheblich ist die finanzielle Unterstützung durch private und staatliche koreanische Stiftungen, die Übersetzungen ins Deutsche und viele andere Sprachen überhaupt erst möglich macht. Doch das ist nur die eine Seite. Ganz allgemein ist das Buchgeschäft in den vergangenen Jahren hart geworden, nicht nur, aber besonders für die kleinen Verlage mit ihrem nischensortiment. Amazon, E-Book, veränderte Lesegewohnheiten stellen die Verleger vor neue Herausforderungen mit ungewisser Zukunft. Da steht vielen nicht mehr der Sinn nach Risiko und Experimenten. Pendragon-Verleger Günther Butkus hat inzwischen die notbremse gezogen und sich vor zwei Jahren von der koreanischen Literatur zurückgezogen, das Programm insgesamt geschrumpft. Günter Peperkorn in Ostfriesland macht weiter. Im nächsten Jahr kommen in seiner koreanischen Reihe zwei neue Bände heraus, einer mit Theaterstücken: „Der kleine Kreis interessierter Leser ist immer noch da.“

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Anne Schneppen lebte von 2005 bis 2007 mit ihrer Familie in Seoul und arbeitete von dort - wie schon zuvor aus Tokio - als Fernost-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In Korea beschäf-tigte sie sich vor allem mit politischen, aber auch gesellschaftlichen Themen.

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e i n e W e c h S e l S e i t i G e b e z i e h u n G b e r u h t n i c h t n u r a u f l e i D e n S c h a f t, S o n D e r n a u c h a u f S t r u K t u r

k o r e a n i s c h - d e u t s c h e L i t e r a t u r b e z i e h u n g e n 7 J a h r e n a c h d e m G a s t l a n d a u f t r i t t k o r e a s a u f d e r f r a n k f u r t e r B u c h m e s s e

Vo n J u e r g e n B o o s

„Der koreanische Gastlandauftritt in Frankfurt war einer der ästhetischsten, schlüssigsten und eindrucksvollsten, den ich je gesehen habe“, sagte mir eine Kollegin neulich, die schon seit Jahren mit der Koordination der Gastlandauftritte betraut ist. Ich stimme ihr zu: Auch mich hat der koreanische Auftritt 2005 sehr berührt – es war nicht nur das erste Mal, dass ich als Direktor der Frankfurter Buchmesse ein Gastland begrüßen konnte. Es war auch die Art und Weise, wie die koreanischen Organisatoren versuchten, uns, dem Westen, Deutschland, ihr Land und ihre Literatur näherzubringen. Kim Uchang, der das Projekt von koreanischer Seite aus leitete, sagte damals: „Unsere deutschen Freunde sind immer wieder überrascht, wie viel deutsche Kultur in Korea bekannt ist – vor allem Ihre Musik, Philosophie, Dichtung und Ihre Erziehungstheorien. Leider ist dies immer eine sehr einseitige Beziehung gewesen. In Deutschland war man sich dieser Tatsache kaum bewusst. Wir glauben, dass … aus dieser bisher oft unerwiderten Liebe eine wechselseitige Beziehung werden sollte.“ Über 60 Autoren waren 2005 aus Korea nach Deutschland gekommen, darunter ausgezeichnete Schriftsteller wie Ko Un, Hwang Sok-yong oder Yi Munyol, aber auch jüngere Autoren wie Kim Young-ha oder Han Kang. Rund 200 Veranstaltungen fanden statt.

Ein Grund für die beklagte „unerwiderte Liebe“ war sicherlich damals die pure Unkenntnis der deutschsprachigen Leser. Als Lobby-Instrument für

unbekannte Literaturen war das Gastland-Prinzip der Frankfurter Buchmesse 1976 eingeführt worden, und es basiert bis heute auf einer einfachen Erkenntnis: Fremde Literaturen können ein Fenster öffnen in andere Welten, sie können Menschen zueinander führen, Fremdes zu einem Teil des Eigenen werden lassen. Tatsächlich war die koreanische Literatur hierzulande vor 2005 fast unbekannt, wenn überhaupt, wurde sie von einem kleinen Kreis Eingeweihter wahrgenommen, und vor allem im politischen Kontext rezipiert. Gerade einmal 20 Bücher jährlich waren aus dem Koreanischen ins Deutsche übersetzt worden, im Gastland-Jahr stieg diese Zahl auf 100. Heute ist die Zahl der Übersetzungen aus dem Koreanischen ins Deutsche wieder gesunken. Was heißt das nun für die Verankerung der koreanischen Literatur im deutschsprachigen Raum? Ist der Versuch, das Fremde zu einem Teil des Eigenen werden zu lassen, eine wechselseitige Beziehung aufzubauen, gelungen oder nicht?1

Es fällt mir schwer, hier konkret zu werden, denn ich bin – trotz der intensiven Berührung mit der koreanischen Literatur 2005 – weit davon entfernt, Experte zu sein. Eher bin ich ein ganz normaler deutscher Durchschnittsleser, mit einer zugegebenermaßen großen Kenntnis des internationalen Literaturbetriebs. Deshalb kann ich allgemein sagen: Heute sind Leser weltweit - nicht zuletzt wegen des Internets und seiner

grenzüberschreitenden Wirkung – viel eher daran gewöhnt, Fremdes zu rezipieren. Gleichzeitig haben sich viele Literaturen, auch die koreanische Literatur, geöffnet für einen Leser, der nicht unbedingt aus dem eigenen Land stammt. Es gibt also einen Trend, nicht nur das spezifisch „Eigene“ des jeweiligen Landes ins Zentrum des literarischen Schaffens zu stellen, sondern sich zu öffnen für Themen, die weltweit verständlich sind. Die Zahl der Übersetzungen steigt nicht nur in Korea stetig an, sondern auch in Deutschland. Dieses verstärkte Interesse an fremder Literatur hier wie dort macht zuversichtlich.

Gleichzeitig ist klar, dass es sehr viel Arbeit bedeutet, eine „wechselseitige Beziehung“ aufzubauen, wie sie sich die Organisatoren des Gastlandauftritts damals wünschten. Denn eine wechselseitige Beziehung beruht nicht nur auf Leidenschaft, sondern auch auf Struktur. Das heißt, dass eine Literatur nur erfolgreich sein kann in einem anderen Land, wenn sehr viele Menschen sich dafür einsetzen und begeistern, und wenn gleichzeitig nachhaltige Instrumente der Förderung von Literatur geschaffen werden. Konkret heißt das: Kritiker, Übersetzer, Lektoren, Verleger, Buchhändler – sie alle sind Teil eines „Transmissionsriemens“, der fremde Literatur „über-setzt“. Dieser Transmissionsriemen braucht Strukturen, um funktionieren zu können, braucht Institutionen, Programme, gezielte Förderung. Der Gastland-Auftritt 2005 hat hier sicher einen

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Anschub geben können. Ein Beispiel dafür sind die Förderungen durch das staatliche Literature Translation Institute Korea2, oder auch die Tatsache, dass sich die koreanische Botschaft insbesondere seit 2006 ausdrücklich zum Ziel gesetzt hat, koreanische Literatur in Deutschland zu verankern. Diese Strukturen ermöglichen Begegnungen mit der Literatur, geben aber auch finanzielle Anreize. Denn die Übersetzungskosten sind für kleine und mittlere Verlage oft entscheidend, wenn es um die Frage geht: „Machen wir es oder machen wir es nicht?“

Aus dieser Einsicht heraus – dass feste Strukturen nötig sind, um den Anschub-Effekt des Gastland-Auftritts nachhaltig zu unterstützen – hat die Buchmesse schon Anfang der 1980er Jahre mitgeholfen, eine ganz spezielle Institution zu gründen: „litprom - Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V.“. Koreanische Literatur wird von der litprom ebenfalls gefördert – 2011 standen gleich drei koreanische Werke ganz oben auf der „Bestenliste“ der litprom, einer Art Empfehlungskanon: Ko Uns „Blüten des Augenblicks“, Yi Munyols „Der Dichter“ und Jo Kyung-Rans „Feine Kost“. Für mich persönlich war das der Moment, in dem ich wieder neugierig wurde auf die koreanische Literatur – und damit anknüpfte an das Jahr 2005.

In diesem Sinne wünsche ich der koreanischen Literatur in Deutschland noch mehr professionelle, leidenschaftliche und neugierige Vermittler, die dazu beitragen, dass aus der „unerwiderten Liebe“ eine „wechselseitige Beziehung“ wird.

1 Siehe dazu den Beitrag: „Ein Bestseller ist nicht in Sicht von Anne Schneppen in dieser Ausgabe (Anm. der Red.).

2 Siehe dazu den Beitrag „ Das LTI Korea“ von Dr. Stefanie Grote in dieser Ausgabe (Anm. der Red.).

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Juergen Boos studierte nach seiner Ausbil-dung zum Verlagsbuchhändler Betriebswirt-schaftslehre in Mannheim. Er arbeitete einige Jahre als Verkaufsleiter bei der Droemer-schen Verlagsanstalt, im Literarischen Verlag, Carl Hanser Verlag und im Springer Verlag in Berlin, wo er anschließend als Leiter Interna-tional Sales tätig war. 1997 wechselte er als Bereichsleiter Marketing / Sales / Distribution zum Verlag Wiley-VCH in Weinheim. Seit April 2005 ist er Direktor der Frankfurter Buchmesse.

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W a s t u t l i t p r o m k o n k r e t f ü r d i e f ö r d e r u n g a s i a t i s c h e r – u n d s p e z i e l l k o r e a n i s c h e r – L i t e r a t u r ?

litprom – die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. tut seit mehr als 30 Jahren genau das, was ihr langer name sagt. Litprom macht sowohl Lobby-Arbeit für außereuropäische Literaturen, also auch für die der asiatischen Länder und somit auch für koreanische Literatur. Wir sind so etwas wie eine „Anlaufstelle“ oder nonprofit-Agentur. Das heißt, man kann litprom Titel vorschlagen, denen man eine Übersetzung ins Deutsche wünscht, und litprom informiert mit Hilfe von Gutachten und Übersetzungsproben interessierte Verlage. Darüber hinaus können Autoren oder einzelne Werke in der Vierteljahreszeitschrift „Literaturnachrichten“ vorgestellt werden. Auf der von litprom herausgegebenen Bestenliste „Weltempfänger“ empfiehlt eine Jury aus Literaturprofis regelmäßig Belletristik aus Afrika, Asien oder Lateinamerika, die bereits ins Deutsche übersetzt ist. Da waren auch schon koreanische Titel dabei, von den Gedichten des nobelpreisanwärters Ko Un1 bis zum schräg-bissigen Roman „Feine Kost“ von Jo Kyung Ran.2

s i e h a b e n 2 0 0 5 a n l ä s s l i c h d e r f r a n k f u r t e r B u c h m e s s e e i n e r e i h e v o n L e s u n g e n i m r a h m e n d e s e h r e n g a s t - a u f t r i t t s k o r e a o r g a n i s i e r t . W i e w a r d a m a l s d i e r e a k t i o n d e s d e u t s c h e n P u b l i k u m s ?

Als ich damals als Freiberuflerin im Auftrag des koreanischen Organisationskomitees (KOGAF) sämtliche Lesungen auf der Buchmesse, aber vor allem die Lesereisen vor der Buchmesse organisieren durfte, war ich beeindruckt von dem großen Engagement der Koreaner für diesen Ehrengast-Auftritt: Angefangen vom hohen Standard bei der ästhetischen Ausgestaltung des Pavillons, der Professionalität und Unermüdlichkeit der koreanischen Kollegen bis hin zum Staunen darüber, wie gut sie Deutsch sprachen und sich in der deutschen Literatur und Kultur auskannten. Das war fast beschämend, weil wir umgekehrt so gut wie gar nichts wussten. Trotzdem waren die Lesungen durchweg gut besucht, von München über Ulm bis Heidelberg und Hamburg fand sich interessiertes Publikum, das natürlich zum Teil aus hier lebenden Koreanern bestand. Ich habe bei Lesungen selten so gute Diskussionen danach und so interessierte Besucher erlebt. Die koreanischen Auftraggeber

Anita Djafari ist Geschäftsleiterin der Gesell-schaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. (litprom) und Chefredakteurin der LiteraturNachrichten. Sie hat u.a. die Weltempfänger-Bestenliste mit initiiert. Studium der Germanistik und Anglistik, ausgebildete Buchhändlerin, nach dem Studium Tätigkeit in Verlagen, 3 Jahre Auslandsaufenthalt in Peru, dort Gründung der Sprachschule ACUPARI, viele Jahre freiberuflich als Übersetzerin, Lektorin und Organisatorin von Veranstaltungen/Lesereisen tätig.

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legten allerdings auch großen Wert auf äußerst sorgfältige Vorbereitung, das hat sicher zu diesem erstaunlichen Erfolg beigetragen.

W a s i s t v o n d e r P r ä s e n z d e r k o r e a n i s c h e n L i t e r a t u r i n d e u t s c h l a n d g e b l i e b e n – j e t z t , n a c h s i e b e n J a h r e n ?

Ich fürchte, die vorbildlichen Anstrengungen, koreanische Literatur hier vorzustellen, haben nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Letztendlich ist sie fremd geblieben, obwohl eine enorme Bandbreite zu erleben war, von konventionell erzählten und eher historischen Themen bis hin zu sehr modernen Formen und Fragestellungen der jüngeren Autorinnen und Autoren.

W a s k a n n z u m e r f o l g d e r k o r e a n i s c h e n L i t e r a t u r h i e r z u l a n d e b e i t r a g e n ? W i e k a n n d i e „ f r e m d h e i t “ ü b e r s e t z t w e r d e n , s o d a s s d e r L e s e r s i e s i c h a n e i g n e n , i n e t w a s „ e i g e n e s “ u m w a n d e l n k a n n ?

Wenn man genau hinschaut, passiert da trotz der eben geäußerten Skepsis schon viel Gutes. Ich denke, es wäre ein Fehler, die Texte in irgendeiner Form anpassen oder nach unserem Geschmack aussuchen zu wollen. Gleichwohl bedarf es sehr kompetenter Übersetzer/innen und Lektoren, die souverän mit der „Fremdheit“ der Themen und deren Umsetzung umzugehen wissen. Es gibt zum Beispiel einige sehr gute Übersetzer/innen-Tandems, die diesen Transfer ausgezeichnet hinbekommen, weil sie ihre Kenntnisse aus beiden (Sprach-) Welten zusammenbringen. natürlich gelingt das auch alleine, aber die Anforderungen, auch an das Lektorat, sollte man nicht unterschätzen. Hier gilt für Korea das, was für andere fremdsprachige Literaturen auch gilt: Hilfreich für Übersetzer sind Übersetzungs-Workshops und Austauschprogramme. Kurz: gegenseitiges Kennenlernen auch unter Einbeziehung von Kritikern und Verlagsmenschen. Gut organisierte Veranstaltungen können helfen, auch ein nobelpreis kann einiges bewirken. (lacht)

B r a u c h e n w i r m e h r V e r l a g e , d i e s i c h a u f k o r e a n i s c h e L i t e r a t u r s p e z i a l i s i e r e n ?

Spezialisierte Verlage gibt es ein paar wenige, aber die haben das Problem, dass sie nur in der nische existieren, und in die nische fällt nicht unbedingt immer ausreichendes Licht. In den Publikumsverlagen gibt es durchaus Lektoren, die sich für koreanische Literatur einsetzen.

M a n g e l t e s v i e l l e i c h t a u c h a n k e n n e r n u n t e r d e n r e z e n s e n t e n u n d L i t e r a t u r k r i t i k e r n ?

Selbst wenn unter den Literaturkritikern und –redakteuren vielleicht noch nicht allzu viele Kenner sind: Gute welthaltige Literatur erschließt sich auch ohne ausgesprochene Spezialisierung. Es bedarf nur einiger Geduld und Hartnäckigkeit auf der einen und Offenheit auf der anderen Seite.

i n d r e i s ä t z e n : W e l c h e m W e r k d e r k o r e a n i s c h e n L i t e r a t u r w ü n s c h e n s i e m e h r a u f m e r k s a m k e i t i m d e u t s c h s p r a c h i g e n r a u m – u n d w a r u m ?

Schon 2003 hat Oh Jung-Hee den Frankfurter LiBeraturpreis3 für ihren Roman „Vögel“ bekommen. Diesem warmherzigen sensiblen Buch über zwei verlassene Kinder wünsche ich sehr viele Leser/innen, die Autorin gilt als Grande Dame der koreanischen Literatur. Und wer Gedichte mag, dem empfehle ich „Blüten des Augenblicks“4 des ‚größten lebenden Zen-Dichters‘ Ko Un.

Das Interview führte Nina Klein (Frankfurter Buchmesse)

Weitere Informationen unter: www.litprom.de

1 Siehe dazu den Beitrag: „Literatur um ihrer selbst Willen – ein Gespräch mit Ko Un (고은)“ von Malte E. Kollenberg in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

2 Siehe dazu LESEPROBE: Jo Kyung Ran in Kultur Korea, Ausgabe 2/2011 (Anm. d. Red.).

3 Der „LiBeraturpreis“ ist ein Literaturpreis, der seit 1987 vom Ökumenischen Zentrum Christuskirche in Frankfurt am Main an Autorinnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika vergeben wird (http://de.wikipedia.org/wiki/LiBeraturpreis).

4 Siehe dazu die Gedichtauswahl auf S. 44 in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

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p e r S p e K t i v e n W e c h S e l

„ i n K o r e a W i r D S e h r G e r n e G e l a c h t ! “ i n t e r v i e W M i t f r a n z i S K a b i e r M a n n , b e S t S e l l e r a u t o r i n a u f D e M K o r e a n i S c h e n K i n D e r b u c h M a r K t

W i e k a m i h r e r s t e r k o n t a k t n a c h k o r e a z u s t a n d e ?

Mein Buch „Herr Fuchs mag Bücher” erschien 2001 im Rowohlt Verlag in Deutschland. Die Geschichte von Herrn Fuchs, der Bücher so gerne hatte, dass er sie am liebsten mit Salz und Pfeffer verspeiste, löste bei vielen Buchliebhabern große Freude aus, und schnell wurde das Buch bekannt und beliebt.Rowohlt arbeitete mit einer koreanischen Agentur, für die SoonSeop Song tätig war: Bis heute betreut er meine Bücher auf dem koreanischen Markt, und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er verstand meine Sprache, erkannte, dass Philosophie und Humor des Buches bestens nach Korea passten, und konnte das Interesse des Verlags GimYoung wecken. GimYoung verdanke ich nicht nur gutes Marketing, sondern auch eine wunderbare Übersetzerin für den FUcHS: Kyung-Yun Kim übertrug den Text sensibel und den Witz erhaltend.

Im letzten Jahr kam dann eine Einladung aus changwon. Auf Frau Kims Empfehlung hin wurde ich gebeten, die erstmals dort stattfindende Kinder- und Jungendbuchmesse zu eröffnen. So reiste ich also am 25. Oktober 2011 zusammen mit meiner Agentin Susanne Koppe für eine Woche nach Korea. Es war mein erster Besuch in Asien überhaupt, und ich war sehr gespannt auf dieses Land, seine Kultur, insbesondere seine Buchkultur. Ich wurde dort unglaublich freundlich empfangen. Für die Zeit meines Aufenthaltes wurde mir eine Dolmetscherin zur Seite gestellt, die mir viele spannende Gespräche und Begegnungen ermöglichte. So besuchte ich zum Beispiel die Kyungnam University und hatte dort ein Gespräch mit Literaturstudenten und Professoren. Ich las aus meinem Buch in der großen Kinderbibliothek, national Library for children & YA in Seoul, besuchte das Musical, das in Anlehnung an „Herrn Fuchs” ebenfalls in Seoul gespielt wurde und hatte natürlich jede Menge Kontakt zu meinen Lesern, den koreanischen Kindern.

i h r B u c h b i l d e t e a l s o d i e V o r l a g e z u e i n e m M u s i c a l ?

Ja, „Herr Fuchs mag Bücher” wurde auch schon in Deutschland als Theaterstück auf die Bühne gebracht, aber in Korea hat man daraus ein für deutsche Verhältnisse ziemlich schrilles Musical gemacht. Dort spielen neben Herrn Fuchs auch ein Salzstreuer und eine Pfeffermühle in den Hauptrollen. Die Musik ist stilistisch an den aktuellen K-Pop angelehnt, und die Handlung wird mit allerlei modernen Soundeffekten akzentuiert.

Während ich das Musical in Seoul anschaute, stellte ich mir ein Gastspiel des Stückes in Deutschland vor... und dachte, hier würden einige Kinder vermutlich, geschockt von so viel poppigen Regieideen, schon nach zehn Minuten anfangen zu weinen - oder vielleicht zu tanzen beginnen? - Mir hat es jedenfalls ganz toll gefallen!

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W i e i s t d i e r e s o n a n z a u f i h r e B ü c h e r i n k o r e a ?

Der Erfolg von „Herrn Fuchs” auf dem koreanischen Markt war für mich eine totale Überraschung. Das Buch ist in Korea tatsächlich ein absoluter Bestseller, bis heute wurde es über 700.000 Mal verkauft. Auch meine späteren Titel „Der faule Kater Josef” und „Der magnetische Bob” scheinen richtig gut anzukommen, die Gesamtauflage meiner Bücher liegt bei über einer Million.

W i e e r k l ä r e n s i e s i c h d i e s e n e r f o l g ?

nachdem ich aus der Ferne vor allem kulturelle Gründe für den Erfolg meiner Bücher in Korea verantwortlich gemacht habe, wurde ich bei meinem Besuch dort, in den Gesprächen besonders mit Eltern und Kindern, aber auch noch auf eine sozialpolitische Komponente aufmerksam, die ich ohne Kenntnisse der koreanischen Wirklichkeit sicher übersehen hätte.

Wie ich in Gesprächen erfuhr, ist der enorme Leistungsdruck, dem Eltern wie Kinder in Südkorea standhalten müssen, nahezu unerträglich. Der in der koreanischen Gesellschaft offensichtlich feste Glaube, dass nur durch Fleiß erzeugte Leistungen auch gute, erfolgsversprechende Leistungen sind, treibt viele Familien zu einer Art „Bildungs-Wettkampf”. neben allgemeinen nachhilfekursen und diversen sportlichen und musischen Bildungsangeboten gibt es für Kinder in Korea nur noch sehr wenig Zeit für Muße und Kreativität. Der kreative Freiraum wird enorm eingeschränkt, vielleicht, weil er eben auch das Risiko des Scheiterns beinhaltet.

Für mich ist Humor und der liebevolle Blick auf die Unzulänglichkeiten meiner charaktere die Basis aller meiner

Geschichten. In „Herr Fuchs mag Bücher” ist der, hier aus der not geborene, kreative Umgang mit Bildung ein Aspekt, der mit Sicherheit auch für die Popularität der Geschichte bei koreanischen Eltern und Kindern verantwortlich ist. Herr Fuchs ist ein Underdog, der sich durch die eigene Kreativität nicht nur selbst aus der Patsche zieht, sondern seine Lage noch verbessert, sogar reich und berühmt wird. Vielleicht ist das der schöne Traum, von dem koreanische Kinder wie Eltern gemeinsam träumen möchten.

neben meinem grafischen Stil, der offensichtlich in Korea sehr gut ankommt, ist es aber auch der leicht schräge Humor, den ich mit meinen koreanischen Lesern teile. Das habe ich auch bei meiner Reise gemerkt: In Korea wird sehr gerne gelacht!

W a s w a r e n f ü r s i e d i e p r ä g e n d s t e n e r l e b n i s s e a u f i h r e r a u t o r e n r e i s e n a c h k o r e a ?

Meine siebentägige Reise war gesäumt von Terminen mit Menschen, die mehr über mich wussten, als ich über sie — das war insgesamt einfach überwältigend.Alles in allem war ich begeistert von der Freundlichkeit, mit der ich überall aufgenommen wurde. Ich war bei Autogrammstunden verblüfft, wie viele koreanische Kinder meine Bücher kannten, schätzten und Spaß daran hatten, sich beim Fuchsmaskenbasteln selber in kleine Lesefüchse zu verwandeln. Das Treffen mit den Literaturprofessoren und Studenten an der Kyungnam University war auch ziemlich beeindruckend. Wenn einem solche Ehre und Aufmerksamkeit zuteil wird, fühlt man sich plötzlich ganz seltsam... ein Tässchen Tee im Büro des Dekans! Dazu habe ich es in Deutschland noch nicht gebracht.

Das Interview führte Gesine Stoyke

Franziska Biermann studierte an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung. Seit 1999 schreibt und zeichnet sie Kinderbücher in der Hamburger Ateliergemeinschaft Freudenhammer. 2002 erhielt Franziska Biermann für ihr Buch „Herr Fuchs mag Bücher“ den Troisdorfer Bilderbuchpreis. Seit 10 Jahren sind ihre Bücher kontinuierlich auf den Bestsellerlisten in Korea.

Illustrationen: Franziska Biermann

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i n w i e f e r n u n t e r s c h e i d e t s i c h i h r e r e i n s c h ä t z u n g n a c h d e r d e u t s c h e v o m k o r e a n i s c h e n k i n d e r b u c h m a r k t ? W e l c h e t r e n d s h e r r s c h e n v o r ?

Zunächst einmal die große Gemeinsamkeit: In beiden Ländern gibt es eine sehr internationale Kinderbuchwelt; der Anteil von Übersetzungen ist groß. Und in beiden Ländern hat das historische Gründe: In Korea ist die eigenständige Kinderliteratur relativ jung, in Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg eine bewusste öffnung allem Internationalen gegenüber. Momentan scheint sich hier jedoch ein Wandel zu vollziehen: In Korea gibt es offensichtlich eine immer lebendiger und selbstbewusster werdende Kinderbuchszene, langsam beginnt man sich nicht nur als Lizenzeinkäufer, sondern auch als Verkäufer zu betrachten. Im deutschsprachigen Raum ist die Infrastruktur hier schon viel ausgeprägter, es gibt bereits Weltklassiker wie Erich Kästner, christine nöstlinger, Helme Heine oder cornelia Funke. Dennoch hetzt der deutsche Buchmarkt den internationalen Fantasy-Bestsellern hinterher, besonders gerne den „all-age-Titeln“ [Titel für alle Altersstufen]. In Korea scheint man da ein klein wenig gelassener zu sein, baut eher auf Bücher für etwas jüngere Leser, die noch ihre Lesekompetenz üben sollen. Oft sind koreanische Lizenzausgaben von unseren Titeln grafisch schöner gesetzt und auf

wunderbarem Papier gedruckt, dazu gibt es sehr ansprechende und gut gemachte Werbemittel. Man merkt deutlich, dass in diesem Land sehr viel Wert auf gute Illustrationen und Ausstattung gelegt wird, und es gibt auch großartige Kinderbuchillustratoren im Land. Ganz wunderbar ist zum Beispiel das auch ins Deutsche übertragene Bilderbuch WOLKEnBROT von Baek He na und Kim Hyand Soo (Mixtvision Verlag).

W i e l ä s s t s i c h i h r e r a n s i c h t n a c h d e r e r f o l g a u s l ä n d i s c h e r k i n d e r b ü c h e r a u f d e m k o r e a n i s c h e n B u c h m a r k t e r k l ä r e n ?

Ich denke, es gab lange Zeit ein gewisses Vakuum, die so rasant vom Agrarstaat zur Industrienation umstrukturierte koreanische Gesellschaft brauchte einfach „Lesestoff“. Und man war sicher neugierig auf die Welt außerhalb Asiens. Mit den unmittelbaren nachbarn Japan und nordkorea hatte man kein unbeschwertes Verhältnis, china war wirtschaftlich und politisch kein Vorbild. Also orientierte man sich am Westen und holte sich die fremde Kultur sozusagen ins Haus. Bis heute erhoffen sich offensichtlich viele Koreaner, dass ihre Kinder durch Lesen gebildet werden – und, das sollte man nicht vernachlässigen, man genoss wohl einfach, dass man sich all diese Importe leisten konnte, dass plötzlich so eine ungeheure Auswahl in den Buchläden vorhanden war und ist: In Korea liest man offensichtlich sehr gerne. Sehr beeindruckend für mich war

in diesem Zusammenhang der Besuch der Kinderbibliothek in Seoul, die auf einem Topniveau arbeitet, und in der Verlagsstadt am Stadtrand von Seoul: Das ist ein bisschen wie ein literarisches Hollywood.

Das Interview führte Gesine Stoyke

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Susanne Koppe studierte Germanistik in München (Magister Artium) sowie Children`s Literature am Simmons College in Boston (Master). 1989 stieg sie als literarischer Scout und als Übersetzerin ins Verlagsge-schäft ein, außerdem schrieb sie für DIE ZEIT, SZ und andere Medien. 1997 wurde Koppe Programmleiterin in der Redaktion Rotfuchs des Rowohlt Verlags. 2002 gründete sie in Hamburg die Agentur „AUSERLESEN – AUSGEZEICHNET“ für Literatur und Illustration. Mit Franziska Biermann verbindet sie seit über fünf-zehn Jahren eine intensive freundschaftlich-kreative-geschäftliche Beziehung, die auch in gemeinsamen Büchern mündete.

„ i n K o r e a G i b t e S e i n e i M M e r l e b e n D i G e r u n D S e l b S t b e W u S S t e r W e r D e n D e K i n D e r b u c h S z e n e “ I n t e r v i e w m i t d e r L i t e r a t u r a g e n t i n S u s a n n e K o p p e

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p e r S p e K t i v e n W e c h S e l

W e i b l i c h K e i t S e n t W ü r f e u n D f a M i l i e n M o D e l l e i n D e r

e u r o pÄ i S c h e n u n D K o r e a n i S c h e n l i t e r at u r

Vo n D r. Sy l v i a B rä s e l

Frauenfiguren wie die Heilige Johanna, Iphigenie, Julia, Emilia, Sim-cheong (심청), chunhyang (춘향), Madame Bovary, Donna Anna oder Anna Karenina durchziehen die Literaturen

und geben Auskunft über historisch gewachsene Weiblichkeitsvorstellungen. Diese Entwürfe von Weiblichkeit pendeln zwischen aufopferungsvoller Hausfrau/Tochter, Heiligenfigur, Amazone und Hure. Die dämonischen Verführerinnen (wie z.B. Pandora oder die Fuchsfee 狐狸精 hǔlijīng in der chinesischen Mythologie) machten im 20. Jahrhundert unter dem Begriff „Femme Fatale“ Schlagzeilen. Hinzu treten bereits in den Mythen und Märchen starke oder ambivalente Mutterfiguren. So offenbaren die „erzählten Familien“ bis in die jüngste Vergangenheit (z.B. bei Lee Kwang-Su , Theodor Fontane etc.) und Gegenwart (z.B. Ingeborg Bachmann, Pak Kyongni, christa Wolf, Oh Jung-Hee, Han Kang, Judith Hermann) hinein patriarchalisch geprägte Geschlechteridentitäten, die mit der Funktionalisierung von Rollen verbunden sind. Die Thematik spiegelt auf diese Weise auch politische, religiöse, soziale und ökonomische Machtverhältnisse und Hierarchien, die bereits in den Mythen und Märchen der Völker aufscheinen.

Familienbeziehungen und Geschlechterdarstellungen sind somit ein unerschöpfliches Thema in Literatur und Kunst. Sie eröffnen die Möglichkeit, Alltag und Lebensformen in Geschichte und Gegenwart über Kulturgrenzen auszuloten und legen damit zugleich die Ursachen gesellschaftlicher Strukturen frei. natürlich ist es für eine solche vergleichende Studie notwendig, die Einbettung in die jeweiligen philosophischen und sozialen Systeme zu beachten.So ist es von Bedeutung, dass sowohl im Protestantismus nach Luther (1483 - 1546 ) als auch im neo-Konfuzianismus (Yul Gok (1536–1584); 율곡 ) der Stellenwert der Familie an Bedeutung gewann. Im Kontext der jeweiligen Traditionslinien bietet sich so u.a. ein Vergleich von Werken wie „Emilia Galotti“ von Lessing, „Iphigenie auf Tauris“ von Goethe und „Sim-cheongga“

(심청가)1 an. Die Stoffe wurden alle wiederholt bearbeitet. Das spricht für die Bedeutung der Problematik. Allein von Sim-cheong sollen – nach Recherchen des renommierten koreanischen Germanisten und Pansori-Sängers Ahn Mun-Yeong, dem ich für Hinweise zur Thematik verbunden bin - ca. 110 Versionen der Sage, ca. 85 Handschriften und ca. 20 Pansori (판소리) - Fassungen existieren. Iphigenie wurde u.a. von Sophokles, Euripides und Goethe gestaltet. Lessing griff auf eine Vorlage von Livius zurück. Gemeinsam ist den Texten das Opfer der Tochter für das männliche Familienoberhaupt. Die geschilderten dramatischen Familienschicksale beschreiben über Kulturgrenzen fassbare existenzielle Grundsituationen des Menschen. Jedoch werden bei näherer Betrachtung kulturell (wie philosophisch) bedingte Unterschiede sichtbar. Der egozentrische Tyrann Eduardo Galotti treibt die naive und nach den Ideen der Aufklärung unmündige Tochter Emilia zum Selbstmord. Der Vater (Agamemnon) von Iphigenie möchte ebenfalls aus machtpolitischen Eigeninteressen die Tochter zum Opfertod zwingen. Aber – zumindest in den Fassungen von Euripides und Goethe – weigert sich die kluge Iphigenie und wird von der Göttin Diane gerettet. Sim-cheong hingegen trifft ihre Entscheidung selbst aus einer tiefen Überzeugung der kindlichen Pietät und Elternliebe heraus. Interessant ist, dass ihr Vater, der blinde Sim, gegen das eingeforderte Menschenopfer (der Seeleute) Anklage erhebt, da auch hier die Opferung nur strategischen Interessen und der materiellen Gier dienen soll. Die Darstellung des Spannungsfeldes Humanität - Barbarei verbindet wiederum die Werke aus Europa und Korea, wenn auch unterschiedliche kulturelle Strategien dafür eingesetzt werden. Der Ausspruch von Goethe: „Alle menschlichen Gebrechen sühnt reine Menschlichkeit“ im Zusammenhang mit der Entstehung des Werkes „Iphigenie auf Tauris“ symbolisiert diese kulturübergreifende Botschaft auf spezifische Weise.

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In diesem Sinne agiert Sim-cheong als ein Musterbeispiel für konfuzianistische Grundnormen wie Mitmenschlichkeit (仁),Gerechtigkeit (義) und kindliche Pietät (孝). Hier wird bereits deutlich, dass insbesondere der neo-Konfuzianismus die menschliche Ordnung im Diesseits als zentralen Gegenstand seiner für andere Anschauungen (Daoismus, Buddhismus, Schamanismus) offenen Lehre begreift. Das Handeln von Sim-cheong symbolisiert beispielhaft das konfuzianistische Pflichtbewusstsein. Dabei vereinen sich buddhistische, schamanistische, daoistische und konfuzianistische Elemente. Ihr Treffen mit der verstorbenen Mutter symbolisiert auf daoistische Weise ihre Elternliebe. Der Mythos der Augenöffnung für den blinden Sim und andere Blinde belegt die buddhistische nächstenliebe – neben dem konfuzianistischen Pflichtbewusstsein der Tochter für den Vater. So steht hier am Ende das buddhistische Prinzip der Kausalität: nächstenliebe, Aufopferung und Pflichtbewusstsein werden belohnt. Auf einer Lotosblüte kehrt Sim-cheong in die Welt zurück.Die demonstrierte Multireligiosität erinnert an das Modell der Toleranz gegenüber den Religionen in Lessings „nathan der Weise“. Aktuell betrachtet erscheinen diese Überlegungen als bedenkenswerte Modelle für geistige Toleranz bzw. neue Formen interreligiöser Toleranz zum nutzen einer konstruktiven Verständigung in einer zunehmend materialistisch geprägten (konfrontativen) globalen Welt mit entfremdeten zwischenmenschlichen Beziehungen etc. Betrachtet man die Literatur in Südkorea wie im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahrzehnten, so lassen sich weitere Parallelen finden. Der Dramatiker Oh Tae-Suk hat u.a. in seiner Bearbeitung des Sim-cheong-Stoffes (1994) den Mythos für heutige Fragen problematisiert. In der Tradition eines Heiner Müller oder Thomas Bernhard spielt er Korruption, Käuflichkeit und Verrohung einer modernen Konsumgesellschaft ins Extreme gesteigert durch. In dem auch auf Deutsch publizierten Stück (vgl. „Warum das Mädchen Sim-Tscheong zweimal ins Wasser ging“; Edition Peperkorn, Göttingen 1996 - aus dem Koreanischen von Kim Miy-He & Sylvia Bräsel) gibt es keine Erlösung mehr. Schon in Ingeborg Bachmanns Erzählung „Undine geht“ werden korrespondierende Fragen angesprochen, die die 1970 geborene Autorin Judith Hermann mit ihrem programmatischen Erzählband „Sommerhaus, später“ weiter führt. Die ebenfalls deutlich konstruierten Handlungen in Werken jüngerer koreanischer Autoren wie Han Kang (*1970) und Kim Young-Ha (*1968) erzählen „mit koreanischen Augen“ von alltäglicher Entfremdung in einer anonymisierten Umwelt, von Liebesunfähigkeit, Anpassung, Verlust an Gemeinsamkeit zwischen Fiktion und Illusion, Bewusstem und Unbewusstem bis hin zu traumatischen Verstrickungen und durchgespielten Aggressionen. Bei Kim Young-Ha hat der „Krieg“ regelrecht die privaten

Beziehungen erreicht. Misstrauen, Egoismus und Liebesunfähigkeit offenbaren sich hinter der Fassade einer im geruhsamen Wohlstand dahinlebenden Familie der Mittelschicht. Ein Mord und eine klingende Weihnachtskarte erinnern an das Verdrängen der eigenen Biografie, an Schuld aus Gedankenlosigkeit und menschliches Versagen. Die Erzählung „Krismas Kaereol“ (in deutscher Übertragung: „Klingende Weihnachtsgrüße“: In: „Koreanische Erzählungen“, Hrsg. Von Sylvia Bräsel & Lie Kwang-Sook, dtv, München 2005, S. 119 – 147) liefert ein erbarmungsloses Psychogramm einer „polierten“ Gesellschaft, die „ihr Gesicht“ zu verlieren droht. Dabei werden zwischen Mann und Frau kaum mehr Unterschiede sichtbar. Freundschaft wie Liebe und Treue entpuppen sich als entleerte Rituale. Hier schließt sich der Kreis. Die Thematik versteht sich so auch als übergreifender Impuls im Umgang mit Lebensentwürfen und Sinnfragen menschlicher Existenz.

1 Siehe dazu den Beitrag: „Das Meer in Pansori-Gesängen“ von Matthias R. Entreß in Kultur Korea, Ausgabe 3/2012 (Anm. d. Red.).

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Dr. Sylvia Bräsel ist wissen-schaftliche Mitarbeiterin im Bereich Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt und hat zahlreiche Werke der koreanischen Literatur ins Deutsche übersetzt. Sie geht einer kontinuierlichen Lehr- und Forschungstä-tigkeit auf dem Gebiet der Kulturbeziehungsforschung und der vergleichenden Lite-raturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Korea nach. Darüber hinaus setzt sie sich unter anderem fürdie Pflege der Austauschbe-ziehungen der Universität Erfurt zu Korea sowiefür die Vorstellung moder-ner südkoreanischerAutoren in Deutschland ein.

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D a S lt i K o r e a ( l i t e r a t u r e tr a n s l a t i o n i n s t i t u t e o f K o r e a )

Vo n D r. S t e f a n i e G r o t e

Kultur spiegelt sich in den literarischen Arbeiten, die sie hervorbringt, weshalb Literatur das beste Medium sei, eine andere Kultur zu verstehen, ist Kim Seong-Kon, Geschäftsführer des LTI

Korea, überzeugt und bezeichnet diese Annäherung als „intellektuelles Abenteuer“. Um andere Kulturen über Korea zu informieren sei es unerlässlich, Übersetzungen engagiert voranzutreiben.

Das 1996 gegründete LTI Korea untersteht dem Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus Korea und hat es sich zur Aufgabe gemacht, mittels finanzieller Unterstützung für Übersetzer und Verleger, der Förderung internationaler Austausch- und Trainingsprogramme für literarische Übersetzer sowie der Vergabe von Stipendien für Studenten, die Verbreitung koreanischer Literatur und Kultur im Ausland zu fördern. Die Institution will mit qualitativ hochwertigen Übersetzungen in jede erdenkliche Sprache eine breite internationale Leserschaft koreanischer Literatur gewinnen und fokussiert hierbei auf literarische, gesellschafts- und geisteswissenschaftliche Texte sowie auf Kinderbücher.

Mit Hilfe von Zuschüssen sollen die Publikationskosten für Verleger im Ausland gesenkt werden. Die Höhe der finanziellen Unterstützung hängt vom Genre des Buches und der Reputation des Verlegers im Ausland ab. In Zusammenarbeit mit zuständigen Agenturen im In- und Ausland plant und unterstützt das LTI Korea verschiedene Literaturveranstaltungen, entsendet koreanische Autoren ins Ausland, unterstützt Workshops für koreanische Literatur jenseits der Landesgrenzen und lädt Schriftsteller, Verleger, Übersetzer und Journalisten aus der ganzen Welt zu Literaturfestivals, Seminaren, Austausch- oder Aufenthaltsprogrammen nach Korea ein. Das LTI Korea veranstaltet Aufsatzwettbewerbe in Kooperation mit Koreanistik-Abteilungen der Universitäten und Koreanischen Kulturzentren im Ausland, um das Bewusstsein für koreanische Literatur auf internationaler Ebene zu fördern.

Übersetzen sei ein Akt des Anklopfens und des öffnens der Tür zur Welt, überschreibt das LTI Korea auf der Website das eigene Logo.

Es besteht aus zwei Kreisen: der kleinere im oberen Teil repräsentiert die Welt, in der wir leben, während der äußere Kreis den Türring einer traditionellen koreanischen Haustür darstellt. Dieser steht für besagten Akt des Anklopfens von Seiten des LTI Korea, um Zutritt zu der literarischen Weltgemeinschaft zu bekommen.

Weitere Informationen unter:http://www.klti.or.kr

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LTI Korea ist Herausgeber des Quartalsmagazins list_Books from Korea und informiert über Publikationen auf dem koreanischen Buchmarkt. Die Printausgabe erscheint auf Englisch und Chinesisch.

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d e r f o k u s i h r e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n a u s e i n a n d e r s e t z u n g l i e g t v o n j e h e r a u f o s t a s i e n , i n s b e s o n d e r e a u f k o r e a . W i e e r k l ä r t s i c h i h r b e s o n d e r e s i n t e r e s s e f ü r d i e s e s L a n d ?

Ich hatte immer besonderes Interesse für alles, was nicht augenfällig ist, was nicht zum Mainstream gerechnet wird – oder nicht dazu gehört. Mein Interesse an und meine Beschäftigung mit Asien von Indien an ostwärts reicht weit in meine Gymnasialzeit zurück. Immer wieder wurde ich darauf gestoßen, dass es zu vielen Bereichen der meisten asiatischen Kulturen Material gab – aber kaum zu Korea. Ich empfand das als Herausforderung und fasste früh den Entschluss, die Sprache dieses Landes zu lernen, um damit eigene Lücken – und auch blinde Flecken in den Augen der Asienwissenschaften zu beseitigen. nach dem Abitur studierte ich an der Uni Frankfurt/M. „Ostasiatische Philologie“ und „Geschichte und Kultur Ostasiens“, wobei der Schwerpunkt immer mehr auf Korea lag. Begegnungen mit Koreanern haben dann auch das Interesse verstärkt.

d a s k o r e a n i s c h e a l p h a b e t h a n g e u l g i l t a l s e i n e s d e r w i s s e n s c h a f t l i c h s t e n s c h r i f t s y s t e m e d e r W e l t . M i t w e l c h e n B e s o n d e r h e i t e n s i n d s i e a l s ü b e r s e t z e r e b e n d i e s e s s c h r i f t s y s t e m s k o n f r o n t i e r t ?

Es mag merkwürdig sein: die Wissenschaftlichkeit der koreanischen Schrift, bei deren Schöpfung Prinzipien der modernen strukturellen Sprachwissenschaft vorweggenommen wurden - mit den einfachen grafischen Zeichen - ist tatsächlich leicht zu lernen. Aber: dem gegenüber steht eines der

kompliziertesten Lautsysteme.Diese beiden Seiten zur Deckung zu bringen, das war, ja, schweißtreibend. Beim Übersetzen von Texten gibt es nur Schwierigkeiten mit relativ neuen Texten, die im Zuge der Globalisierung Fremdwörter „koreanisieren“ – was zwangsläufig den Rückgriff auf die Herkunftssprache, die man aber erst einmal identifizieren muss, notwendig macht. Das ist nicht immer einfach, denn die entsprechenden nachschlagewerke hinken dem aktuellen Sprachstand immer mehrere Jahre hinterher.

s i e g e l t e n a l s d e r ü b e r s e t z e r u n d k e n n e r k o r e a n i s c h e r L i t e r a t u r. i h r n a m e w i r d i n s b e s o n d e r e m i t d e m b e r ü h m t e n L y r i k e r k o u n i n V e r b i n d u n g g e b r a c h t , d e s s e n W e r k e s i e d e r d e u t s c h e n L e s e r s c h a f t z u g ä n g l i c h g e m a c h t h a b e n . W a s i s t a u s i h r e r s i c h t d a s B e s o n d e r e a n d e r P e r s o n k o u n u n d s e i n e m W e r k ?

Während vieler Jahre an einer Hochschule in Seoul, der Hankuk University of Foreign Studies, konnte ich viele Künstler, Literaten und Wissenschaftler kennenlernen. Ko Un kannte ich während dieser Zeit nur von seinen Werken her. Eines seiner Gedichte, das vertont worden ist, gehörte zu meinem Repertoire beim gemeinsamen Singen (und Trinken) mit Kollegen und Studierenden. Begegnet bin ich ihm dann erst später während eines Besuchs, was er wie folgt kommentierte: „Lerne ich den Professor Zaborowski als letzter Koreaner kennen“. Es wuchs eine herzliche, eine freundschaftliche Beziehung. Zu seinem ersten Besuch in Deutschland habe ich ihn 1996 für das Ostasiatische Seminar der FU

39KULTURKOREA

Berlin einladen können. Wir haben uns dann immer wieder getroffen, mal in Deutschland, mal in Korea. Ich schätze ihn als einen Menschen, der nie seine Wertvorstellungen aufzugeben oder zu verraten bereit war.Ein weiser Mensch, vielleicht deshalb auch ein fröhlicher Mensch. Sein Werk vermag auch in der Übersetzung (in einer guten Übersetzung?) unmittelbar den Leser zu fassen, zu berühren – nein: zu rühren.

W i e w i c h t i g i s t d i e p e r s ö n l i c h e B e g e g n u n g , d e r a u s t a u s c h m i t d e m / d e r a u t o r / i n , u m d a s j e w e i l i g e l i t e r a r i s c h e W e r k i m s i n n e d e s V e r f a s s e r s v e r s t e h e n u n d ü b e r s e t z e n z u k ö n n e n ?

Die Vertrautheit mit der Biografie eines Autors, den man übersetzt, die persönliche Begegnung, eine beständige Beziehung, macht es sicher einfacher, sich in sein Werk einzulesen, einzuarbeiten und seine Gedanken, seine Inhalte in eine Fremdsprache zu übersetzen. Denn so wird der Hintergrund der Geschichte und der Kultur, in die der Autor hineingeboren und hineingewachsen ist, gleichsam personalisiert. Die eigentümlichen Brechungen und Deutungen, die darin begründet sind, zu erkennen, zu kennen, kann für die Arbeit des Übersetzers großes Gewicht haben.

1 4 k o r e a n i s c h e k i n d e r - u n d J u g e n d s a c h b ü c h e r w u r d e n b e r e i t s v o n i h n e n ü b e r s e t z t . h a b e n s i e e i n b e s o n d e r e s i n t e r e s s e f ü r d i e s e s s u b s y s t e m d e r L i t e r a t u r ? G i b t e s b e z ü g l i c h d e r h e r a n g e h e n s w e i s e o d e r d e r h e r a u s f o r d e r u n g e n m a ß g e b l i c h e

u n t e r s c h i e d e i m V e r g l e i c h z u m ü b e r s e t z e n v o n e r w a c h s e n e n l i t e r a t u r ?

Die Kinder – und Jugendbücher, die ich in den letzten Jahren übersetzt habe, waren ausnahmslos Sachbücher aus den Bereichen naturwissenschaft und Technik. Dass deutsche Verlage solche Bücher aus Korea publizieren, war für mich so etwas wie eine Genugtuung. Wenn ich zurückdenke, wie oft ich mich geradezu rechtfertigen musste, weil ich mich auf Universitätsebene mit diesem Land beschäftige, tut es gut, darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse der Pisa-Studien eigentlich hinreichend erklären, warum das geboten ist. Wenn ich an eine Diskussion Ende der 80er Jahre zurückdenke, bei der es unter anderem auch um die Wiedererrichtung einer koreanischen Abteilung an der Goethe-Universität Frankfurt (meiner Alma mater) ging, wurde ich ausgerechnet vom wirtschaftspolitischen Sprecher einer Landtagsfraktion angegriffen, dass ein solches „exotisches Orchideenfach“ ja nur Steuergelder verschwende! Ja, heute haben wir die Möglichkeit, unseren jungen Menschen mit Übersetzungen aus dem Koreanischen Grundkenntnisse in Feldern zu vermitteln, die wir als unser Eigentum betrachtet haben…

d a s v o n i h n e n ü b e r s e t z t e B u c h „ W o g e h t ‘ s l a n g ? k a r t e n e r k l ä r e n d i e W e l t “ v o n d e r k o r e a n i s c h e n a u t o r i n h e e k y o u n g k i m u n d d e r p o l n i s c h e n i l l u s t r a t o r i n k r y s t y n a L i p k a -s z t a r b a l l o w u r d e f ü r d e n d e u t s c h e n J u g e n d l i t e r a t u r p r e i s 2 0 1 2 n o m i n i e r t , d e r i m r a h m e n d e r f r a n k f u r t e r B u c h m e s s e v e r l i e h e n w i r d . i n w e l c h e m

M a ß e f ü h l e n s i e s i c h a l s ü b e r s e t z e r a m e r f o l g d i e s e s o d e r a n d e r e r B ü c h e r b e t e i l i g t ?

Ich habe immer versucht, bei Übersetzungen in der sprachlichen Ausformulierung die Zielgruppe, auch die Altersgruppe, im Auge zu behalten. Übersetzungen von Kinder- und Jugendbüchern habe ich auf ihre Verständlichkeit bei der jeweiligen Altersstufe ausprobiert, überprüft. Wenn dabei zum jeweiligen Thema weit über den Inhalt des Buches hinaus Fragen gestellt worden sind, sich ein Gespräch über die Generationsgrenze hinaus ergeben hat, dann konnte ich den Eindruck gewinnen, auf dem richtigen Weg zu sein. Auf das Urteil der Jury bin ich gespannt, aber schon die nominierung hat mich ermutigt, auch weiterhin ähnliche Dinge zu tun. Als Preisträger wäre ich nicht stolz, sondern glücklich.Und wenn dann auch noch Ko Un in diesem Jahr - wie schon lange erwartet – den nobelpreis für Literatur erhält: dann wäre das Jahr 2012 für mich wirklich ein gutes Jahr!

Das Interview führte Dr. Stefanie Grote

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v o n D e r K u n S t D e S ü b e r S e t z e n S

„ K u lt u r - ü b e r S e t z e n “ D as lti Korea-forum im Koreanischen Kultur zentrum

Vo n D r. S t e f a n i e G r o t e

Der Erfolg eines Buches auf dem internationalen Markt hängt immer auch von der Qualität der Übersetzung ab, die in ihrer Bedeutung nicht hoch genug zu bewerten ist. Sie allein ermöglicht

die Rezeption von fremdsprachlichen Texten, schafft einen Zugang zu anderen Kulturen, zu Unbekanntem. Sie vermag es, die Grenzen der eigenen Kultur zu öffnen, das Innere nach außen zu kehren, es sichtbar zu machen, teilhaben zu lassen.

Wer sich diesem Thema nähern und sich informieren wollte über die Herausforderungen der Übersetzertätigkeit, hatte am 15. Juni 2012 im Koreanischen Kulturzentrum Gelegenheit, an einem Forum des Literature Translation Institute of Korea (LTI Korea) teilzunehmen.1 Studenten, Wissenschaftler und Interessierte waren eingeladen, nachfolgend skizzierte Vorträge zu hören 2 und im Anschluss darüber zu diskutieren:

1 . „vo r t r a g s k u n s t a l s l i t e r a t u r : d i e p e r f o r m a t i v e n u n d s p r a c h l i c h e n e b e n e n i m P a n s o r i “ R e f e r e n t / i n : M a t t h i a s E n t r e ß , f r e i e r A u t o r, M u s i k j o u r n a l i s t u n d - k u r a t o r N a t a l y J u n g - H w a H a n , L e i t e r i n d e s K o r e a K o m m u n i k a t i o n s - u n d F o r s c h u n g s z e n t r u m s i m K o r e a - Ve r b a n d ( B e r l i n )

Was ist Pansori? Der Definition zufolge handelt es sich um ein narrativ-performatives Gesamtkunstwerk, um ein Theater des Erzählens, das sich einer minimalistischen Form bedient, um eine maximale Wirkung durch direkte Ansprache zu erzielen, die ihrerseits die Fantasie des Zuschauers beflügeln soll. Als Theaterform ist Pansori allenfalls mit Balladensängern und Alleinunterhaltern vergleichbar.Die Ursprünge des Pansori dürften als Teil der Marktplatz-unterhaltung in Korea etwa auf das 10. Jahrhundert zurück-gehen. Durch die gelehrten Hinzufügungen auf Wunsch der Yangbans, der aristokratischen Auftraggeber im 19. Jahr-hundert, und die moralische Kritik der christlichen Missionare hat sich Pansori als ausgefeiltes Sprachkunstwerk zur heutigen klassischen Form entwickelt. Es begegnet einem aber in Korea auch heute noch als tagespolitische Satire auf

Straßen und Plätzen. Pansori ist lebendig, aber durchaus nicht immer witzig – die meisten Koreaner halten Pansori sogar für unendlich traurig.Pansori-Texte weisen die Besonderheit auf, dass sich die direkte Ansprache auch dem Leser mitteilt und dass stets im Präsens, nicht im Imperfekt erzählt wird. Sie beinhalten unterschiedliche Sprachqualitäten, von vulgären Ausdrücken bis hin zur gelehrten Sprache.

Zu den Herausforderungen bei der Übersetzung von Pansori-Texten gehört u.a. die Frage, ob es Wortbilder zu bewahren oder Analogien im Deutschen zu suchen gilt. Verschiedene Übersetzungsbeispiele machen zudem Qualitätsunterschiede sichtbar, die im schlechtesten Fall eine deutliche Entfremdung vom Originaltext bedeuten, wie am folgenden Übersetzungsvergleich Deutsch versus Englisch deutlich wird:Deutsch:

„Wenn nolbo weder die Drei Bindungen noch die Fünf •Pflichten kennt, wie könnte er eigentlich die Regeln des Anstands gegenüber den Geschwistern kennen?“

Englisch:“nolbo doesn’t know the basic ethical rules. So he •doesn’t know how to treat his brother either.”

Eine weitere Herausforderung für den Übersetzer ist es also, das Sprachniveau im Originaltext zu erkennen und in der Sprache, in die übersetzt wird, erkennbar zu machen. Gleiche Schwierigkeit ergibt sich im Umgang mit onomatopoetischen Wörtern zur Affektverstärkung („…er kann weder fliegen noch springen und wird pokpok verdroschen“). Auch die Frage nach der Wiedergabe von verschiedenen Sprachebenen (z.B. unhöflich, höflich, sehr höflich) muss der Übersetzer für sich beantworten.

Der Vortrag endete mit dem Kapitel „Pansori als Exportschlager - Die Methode der Darbietung im Ausland “ und einem von Herrn Entreß eindrucksvoll rezitierten, fünfminütigen deutschen Textvortrag aus dem Pansori „Simcheong-ga“, dem Lied vom Mädchen Sim cheong.

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2 . „ z u m S t u d i e n g a n g ü b e r s e t z e n “ R e f e r e n t : P r i v. - D o z . D r. A l b r e c h t H u w e , M a s t e r s t u d i e n g a n g Ü b e r s e t z e n K o r e a n i s c h , A b t e i l u n g f ü r J a p a n o l o g i e u n d K o r e a n i s t i k , U n i v e r s i t ä t B o n n

Albrecht Huwe verwies in seinem Vortrag u.a. auf die Vielzahl der Aspekte, die für eine Übersetzung bedeutsam sind. Zunächst ist wichtig, ein genaues Verständnis von dem zu haben, was übersetzt wird, nämlich von den Texten. Diese bestehen nicht nur aus wahllos aneinander gereihten Einzelwörtern, sondern weisen innere Strukturen auf: etwa auf der Bedeutungsebene (Semantik), auf der Ebene des grammatischen Satzbaus (Subjekt – Prädikat – Objekt im Deutschen, Subjekt – Objekt – Prädikat im Koreanischen), auf der Ebene der Sätze und ihres Zusammenhangs (Kohäsion). Eine Klammer für alle Ebenen stellt die sog. Meta-Ebene dar, der Kulturkreis, in dem der Text entsteht und rezipiert wird. Die Entstehung und Rezeption eines Textes entspricht einer Kommunikationssituation zwischen Autor und Leser. Bei dieser Kommunikation spielen auch die Funktionstypen von Texten (informativ, appellativ, expressiv, unterhaltend) eine zentrale Rolle.Einer Übersetzung muss stets eine Analyse des zu übersetzenden Texts, des Ausgangstexts, vorausgehen. Diese Analyse lässt sich einfach mit der sogenannten W-Fragen-Formel vornehmen: „Wer schreibt für wen was, wann, warum, wozu und wie?“ Auf diese Weise erlangt man erste Klarheit über den Ausgangstext, seine externen und internen Faktoren.Dem ungehinderten Verständnis von Texten stehen aber auf der Meta-Ebene noch Verstehensvoraussetzungen (sog. Präsuppositionen) im Weg. Dabei handelt es sich um das historisch gewachsene Vorwissen einer bestimmten Gesellschaft, deren soziologische, religiöse, politische u.a. Gegebenheiten. Diese werden von den Mitgliedern der einen Gesellschaft ohne weiteres verstanden und als selbstverständlich hingenommen, nicht aber so von denen einer anderen. Hierzu folgendes Beispiel aus einem Buch von christiane nord: „Eines Morgens in Madras, Indien, las ich zu meiner Überraschung in der Morgenzeitung, die mir mit dem Frühstück serviert wurde, ‚heute nachmittag‘ seien zwei Züge zusammengestoßen. natürlich war der Text am späten

Abend des Vortages geschrieben worden, sodass

‚heute nachmittag‘ aus der Sicht des Verfassers völlig korrekt war – in einer deutschen Zeitung hätte er jedoch ‚gestern nachmittag‘ geschrieben“ (Textanalyse und Übersetzen, 4. Aufl. 1999, S. 71).

Die größtmögliche Klarheit über den zu übersetzenden Ausgangstext ist also unbedingte Voraussetzung für erfolgreiches Übersetzen. Zu Beginn des Übersetzungsprozesses steht allerdings die grundsätzliche Frage nach der Übersetzungsmethode: dokumentarisch versus instrumentell.Der Übersetzer berücksichtigt bei seiner Tätigkeit die Tatsache, dass den verschiedenen Ebenen des Ausgangstextes die entsprechenden Ebenen des Zieltextes gegenüberstehen, und ihm ist bewusst, dass dabei alle Ebenen jeweils kulturspezifischen Konventionen unterliegen können.Auf der unteren Ebene der Wörter und ihrer Bedeutung bestehen für Übersetzer weitere Hürden, etwa die der „Eins-zu-Viele-Entsprechung“. Der eine koreanische Begriff gyoyuk교육 kann beispielsweise sowohl mit „Erziehung“ als auch mit „Bildung“ übersetzt werden. Der Übersetzer muss entscheiden - wahrlich keine einfache Aufgabe.

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1. Matthias R. Entreß2. Nataly Jung-Hwa Han3. Priv.-Doz. Dr. Albrecht Huwe

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3 . „ f r i e d r i c h S c h l e i e r m a c h e r u n d d i e z w e i We g e d e s ü b e r s e t z e n s – We g e , i r r w e g e , u n w e g s a m k e i t e n “

R e f e r e n t : P r o f. D r. R i c h a r d H u m p h r e y M . A . , P h . D. ( C a n t a b. ) , H o c h s c h u l e Z i t t a u / G ö r l i t z ( A u t o r v o n m e h r e r e n b e k a n n t e n B ü c h e r n z u r Ü b e r s e t z u n g s p r a x i s u n d - t h e o r i e , s o w i e z u r L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t u n d d t . Z e i t g e s c h i c h t e )

Das Multitalent Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834), Theologe, Hermeneutiker, Philosophietheoretiker, Aphoristiker, begnadeter Übersetzer und Übersetzungs-wissenschaftler, beschäftigt Linguisten und Studenten mit seinen Sprach- und Übersetzungstheorien bis heute. In denkwürdiger Erinnerung bleibt sein Vortrag „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“, den er am 24. Juni 1813 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften Berlin gehalten hat.

„Aber nun der eigentliche Übersetzer, der diese beiden ganz getrennten Personen, seinen Schriftsteller und seinen Leser, wirklich einander zuführen, und dem letzten, ohne ihn jedoch aus dem Kreise seiner Muttersprache heraus zu nöthigen, zu einem möglichst richtigen und vollständigen Verständniß und Genuß des ersten verhelfen will, was für Wege kann er hiezu einschlagen? Meines Erachtens giebt es deren nur zwei. Entweder der Übersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen“, so Friedrich Schleiermacher.

Im Februar desselben Jahres hatte bereits Johann Wolfgang von Goethe in Weimar zum Andenken an christoph Martin Wieland einen Vortrag gehalten und folgende Position vertreten: „Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, daß der Autor einer fremden nation zu uns herüber gebracht werde, dergestalt, daß wir ihn als den Unsrigen ansehen können; die andere hingegen macht an uns die Forderung, daß wir uns zu dem Fremden hinüber begeben und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine Eigenheiten finden sollen.“

Anders als Goethe, der sowohl die einbürgernde (domesticating strategy) als auch die verfremdende (foreignizing strategy) Übersetzungsmethode gelten lässt, ist Schleiermacher ganz Romantiker und favorisiert prinzipiell nur eine Übersetzungsweise, nämlich das Verfremden.

Das Echo auf Schleiermachers Vortrag war sehr unterschiedlich, wie Prof. Humphrey weiter ausführte und u.a. auf Anthony Pym (1956 - ) verwies, der sagte: „I suspect his text, despite its title, is not about translation at all“ (‚Ich vermute, in seinem Text geht es letzten Endes, trotz des Titels, nicht um das Übersetzen‘). Lawrence Venuti

(1953 - ) wiederum erklärte mit Bezug auf Schleiermacher: „… Foreignizing translation in English can be a form of resistance against ethnocentrism and racism, cultural narcissism and imperialism, in the interests of democratic geopolitical relations. “ (‚Verfremdendes Übersetzen ins Englische kann eine Form des Widerstands gegen Ethnozentrismus und Rassismus, kulturellen narzissmus und Imperialismus sein, im Interesse demokratischer und geopolitischer Beziehungen.‘)

Dass es zu solchen Meinungsdivergenzen kommen konnte, liegt, so Humphrey, an Schleiermachers zwar suggestiver, aber auslegungsbedürftiger, metaphernreicher Rhetorik. Vor allem die Metapher der zwei Wege sei als Entweder/Oder nicht imstande, die tatsächliche Komplexität des Übersetzungsvorgangs abzubilden. Auch Schleiermachers „Entgegen“ bedürfe der Präzisierung. Jedes reelle Übersetzen sei ein reges Hin und Her zwischen Ausgangs- und Zieltext. Es komme darauf an, adäquatere Metaphern für das Übersetzen zu finden sowie auch die Bewegungen des Texts im Dazwischen kartographisch genauer zu erfassen.

Prof. Humphrey beendete seinen Vortrag mit diversen Schlussthesen, von denen drei wie folgt lauten:- „Das ‚verfremdende‘ Übersetzen fängt nicht bei Schleiermacher an, sondern bei Voß und Herder. Aber durch Schleiermacher erhält es seine – freilich noch unausgereifte – Gestalt.“- „In mehrfacher Hinsicht ist Schleiermacher, der metaphernagile Rhetor, selber zur Metapher geworden. Sein Vortrag ist mittlerweile Mythos.“- „Schleiermacher ist weniger Weg als Wegweiser, auch Wegweiser in Unwegsamkeiten.“

1 Siehe dazu auch: „Das LTI Korea (Literature Translation Institute of Korea)“ von Dr. Stefanie Grote in dieser Ausgabe.

2 Die Zusammenfassung basiert auf den Präsentationen/Vortrags- manuskripten, welche die Referenten als Rechteinhaber freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.

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Dr. Stefanie Grote,Redaktion Kultur Korea

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K o r e a n i S c h e l i t e r at u r i M a u S l a n D

r e u e u n D h o f f n u n GR e z e n s i o n v o n E l ke K r e s s i n

Was geschieht, wenn plötzlich die eigene Mutter verschwindet – aufgesogen von der

Millionen-Metropole Seoul? Ihre Familie macht sich verzweifelt auf die Suche, und dabei gerät jeder für sich völlig aus den Fugen. Der Roman „Als Mutter verschwand“ beschreibt diese Suche, die nicht nur die nach einer Vermissten ist, sondern auch die Sehnsucht nach der engen Beziehung zur Mutter, nach menschlicher nähe und auch der eigenen, persönlichen Identität. Unsentimental und doch berührend aufgezeichnet von der koreanischen Autorin Kyung-Sook Shin.

In ihrer Heimat längst Bestseller-Autorin, deren Bücher außerdem Exportschlager sind, wurde ihr Roman bisher in 19 Ländern veröffentlicht, bevor er nun – endlich – auch in Deutschland erscheint. Kyung-Sook Shins deutsches Debüt führt uns in ein doppeltes Korea: in das der traditionellen, ländlichen Lebensweise, das in Rückblenden lebendig wird, und in das moderne Korea mit seiner Zerrissenheit, die jener der westlichen Welt in vielem zu gleichen scheint. Die Kinder werden

von ihren Erinnerungen eingeholt: Die Mutter bestimmte ihr Leben. Sie sorgte für sie, arbeitete hart, um sie satt zu bekommen, drängte darauf, dass „etwas aus ihnen wurde“, erträumte sich eine goldene Zukunft für sie. War „Mutter ist immer da, wenn wir sie brauchen“ der normalzustand, so wird ihr Verschwinden zum Ausnahmezustand.

Schritt für Schritt bricht sich die Erkenntnis Bahn: Sie wissen wenig über die Frau, die sie nur als „Mama“ kennen. Wer war sie, als Kind, als Mädchen, als junge Frau – und später, als sie alt wurde und ihre Kinder nur ab und zu in Seoul besuchte? Erstaunlich sind die Antworten, die sie finden. Stück für Stück wird ein Puzzle zusammengesetzt, das ein neues Bild der Mutter ergibt: Sie kann weder lesen noch schreiben. Sie versorgte heimlich Waisenkinder. Sie überwand Brustkrebs, wird oft ohnmächtig vor Kopfschmerzen, leidet an Alzheimer. Und hatte eine große, heimlich Liebe.

Reue überfällt die Kinder: chi-Hon, zweitälteste Tochter, spricht es für alle aus: „An Silvester habe ich aufgeschrieben, was ich (…) in den nächsten zehn Jahren tun wollte. Aber es ist nichts dabei, was ich mit Mama tun wollte.“ Wer dahinter eine Botschaft in Richtung Leser vermutet, liegt richtig.

Auch der Vater leidet, als ihm klar wird: Er hat nicht nur in der U-Bahn von Seoul die Hand seiner Frau losgelassen, sodass der Zug ohne sie losfuhr und sie allein und orientierungslos auf dem Bahnsteig zurückblieb. Immer wieder hat er sie in der mehr als 50 Jahre dauernden Ehe im Stich gelassen, sie gedemütigt und verletzt. Eine Erkenntnis, die zu spät kommt.

Besonders intensiv wirkt der Roman durch die verschiedenen Perspektiven. Wir lesen in den Gedanken der rebellischen Tochter chi-Hon, des ältesten Sohnes Hyong-chol, des Ehemanns und schließlich in denen der Mutter selbst. Die Spannungen in der Familie, das Einander-nicht-Verstehen, die Verlorenheit werden klar. Jeder lebt in seiner eigenen Welt - und wird zum Spiegel der koreanischen Gesellschaft. Es geht um den Verlust der Wurzeln und um die Frage: Wer bin ich?

Am Ende ahnt Tochter chi-Hon, dass die Mutter nicht mehr zurückkehren wird. Doch die Hoffnung, dass es ihr dort, wo sie ist, gut geht, hilft ihr, loszulassen. Und auch darin liegt ein Trost.

Kyung-Sook Shin: „Als Mutter verschwand“, Piper Verlag, 2012, 256 Seiten, 19,99 Euro.ISBN 978-3-492-05510-9

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Elke Kressin, 46, ist Redak-teurin der Zeitschriften „plus magazin“ und „Frau im Leben” in Köln. Sie hat u.a. Anglistik studiert, in England gelebt und beschäftigt sich intensiv mit Literatur in englischer Sprache, vor allem mit der von Frauen. So stieß sie auf den neuen Roman von Kyung-Sook Shin, der sie sofort begeisterte.

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Gedichtauswahl

„ b l ü t e n D e S a u G e n b l i c K S “K o U n

Die nachtvögel singen aus voller Kraft,

die Sterne scheinen, so hell es geht.

Und dabei, in einer solchen Welt, leg ich mich ruhig hin

und hoffe, dass der Schlaf bald kommt.

(S. 21)

»Ich bin gekommen, Liebste,

der strenge Winter, der ist vorbei.«

Das Grab seiner Frau lacht leise.

(S. 28)

Letzte nacht in meinen Träumen

fielen mir zwei Zeilen ein für ein Gedicht,

doch als ich aufwachte,

war eine davon wieder weg.

Schneemond,

hell um Mitternacht.

Keine Worte mehr nötig.

(S. 41)

Diese steile, enge Gasse,

wo Menschen in Einklang leben miteinander.

Wahres Glück – ist es in den Hütten der Armen?

(S. 44)

Siehe auch das Interview mit Ko Un: „Literatur um ihrer selbst Willen – ein Gespräch mit Ko Un (고은)“, von Malte E. Kollenberg in dieser Ausgabe.

K o r e a n i S c h e l i t e r at u r i M a u S l a n D

Blüten des Augenblicks - GedichteD: 15,90 € Erschienen: 18.04.2011Halbleinen, 154 SeitenISBN: 978-3-518-42225-0 © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2011

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K o r e a n i S c h e l i t e r at u r i M a u S l a n D

M i t t l e r z W i S c h e n D e n K u lt u r e n a u f D e r S u c h e n a c h e i n e r n e u e n h e i M at

Vo n A n d r e a S t e i n b a c h

W a s m a c h t e i g e n t l i c h k o r e a n i s c h e l i t e r a t u r a u s ? D i e k o r e a n i s c h e S p r a c h e ? D e r e r s c h e i n u n g s o r t K o r e a ? D i e k o r e a n i s c h e n a t i o n a l i t ä t d e s a u t o r s ? K o r e a a l s t h e m a ?

D i e s e f r a g e n z e i g e n d a s S p a n n u n g s f e l d a u f, i n d e m s i c h k o r e a n i s c h e a u t o r e n d e r e r s t e n , z w e i t e n o d e r d r i t t e n a u s w a n d e r e r g e n e r a t i o n a u ß e r h a l b K o r e a s o f t b e f i n d e n . S c h r e i b e n S i e d e n n n o c h k o r e a n i s c h e l i t e r a t u r, a u c h w e n n d i e s e a u f e n g l i s c h , D e u t s c h , r u s s i s c h o d e r n i e d e r l ä n d i s c h e n t s t e h t ? G i b t e s ü b e r h a u p t G e m e i n s a m k e i t e n i m We r k d i e s e r a u t o r i n n e n u n d a u t o r e n ?

In Deutschland überwiegt bisher koreanische Literatur mit autobiografischem Hintergrund. Seien es nun kurze Momentaufnahmen oder größere Romane. Die bekannte koreanische Autorin Gong Ji-young (공지영), die einige Zeit in Berlin gelebt hat, hat ihre Erfahrungen mit der vielschichtigen koreanischen Gemeinde dort (sie vergleicht die koreanischstämmigen Berliner mit einem regenbogenfarbenen cocktail, in dem die verschiedensten Gruppierungen miteinander und doch isoliert existieren) in mehreren Kurzgeschichten verarbeitet, die sie später unter dem Titel Byeoldeureui Deulpan (별들의 들판) veröffentlicht hat.Einen völlig anderen literarischen Blick bietet der ehemalige Eishockeyspieler Martin Hyun, der in seinen Kurzgeschichten-bänden Lautlos-Ja Sprachlos-Nein: Grenzgänger zwischen Deutschland und Korea und Ohne Fleiss kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde1 persönliche Geschichten und Begebenheiten ironisch überspitzt in der Art von Kaminers Russendisko erzählt und dabei mit Klischees und Erwartungen genauso spielt wie mit Kritik an den Integrationsbemühungen der Eltern und des Staates. Tragik und Komik stehen in diesen Geschichten oft eng nebeneinander.Um Perspektivenwechsel zwischen alter und neuer Heimat und die Frage nach Heimat allgemein geht es in dem mittlerweile

verfilmten autobiografischen Roman Der Yalu fließt (압록강은 흐른다) von Mirok Li (이미륵), der 1946 auf Deutsch erschien und erst 1959 postum in Korea herausgegeben wurde. In dem Roman muss ein junger Medizinstudent, der sich in der Zeit der japanischen Okkupation Koreas einer Widerstandsbewegung anschließt, nach Deutschland fliehen, wo er dann seine Erfahrungen zu Papier bringt.Eine Reise in die umgekehrte Richtung, nämlich von Deutschland nach Korea, betrachtet dagegen Berlin - Seoul - Berlin: Auf der Reise zu mir selbst von Miriam Yung Min Stein. Die gebürtige Südkoreanerin wuchs bei deutschen Adoptiveltern in Osnabrück auf, studierte in den USA und begab sich 2008 auf die Suche nach ihren Wurzeln in Korea.Ganz anders als die autobiografisch angehauchten Werke der deutsch-koreanischen Autoren sieht das Werk der koreanischen Minderheit Goryeo-Saram (Корё-сарам, 고려사람), in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, besonders in Russland und den Ländern Zentralasiens, aus. Während der bekannteste Goryeo-Saram Wiktor Robertowitsch Zoi (Виктор Робертович Цой/ 빅토르 로베르토비치 초이) seine Gedichte zu den ersten russischen Rock-Songs vertonte, stellte er nicht die Frage nach der sozialen Identität einer Minderheit, sondern Fragen nach der Identität einer ganzen Generation. Seine Texte waren lyrische Anklagen der aktuellen politischen Lage und forderten im Laufe der Zeit immer deutlicher eine Veränderung der politischen Situation.Ein typischeres Beispiel für einen Autoren der koreanischen Minderheit ist der auch in Korea sehr bekannte Anatoli Andrejewitsch Kim (Анатолий Андреевич Ким, 아나톨리 김), dessen Vorfahren Anfang des 20. Jahrhunderts nach Russland auswanderten. Wie viele koreanische Familien wurde auch Kims Familie deportiert, erst nach Kasachstan, dann nach Sachalin. Obwohl er bis zur Grundschulzeit ausschließlich Koreanisch sprach, verlernte er es unter dem Einfluss des Russischen und hat es sich erst Jahrzehnte später wieder angeeignet. Die ornamentale Prosa des Autors wird sowohl ©

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russischen als auch koreanischen Einflüssen zugeschrieben. Eines seiner großen Themen ist die Suche nach einer Heimat, sei sie nun geografisch, seelisch oder emotional. Zu Sowjetzeiten schickte er noch russische Protagonisten, wie im Zwiebelfeld (Луковое поле) auf diese Suche, während er nach dem Zerfall der Sowjetunion und einem längeren Aufenthalt in Korea auch Angehörige der Goryeo-Saram, wie in Плачь по матери в Сеуле, Weinen nach der Mutter in Seoul, zu Protagonisten machte.Lawrenti Djadjunowitsch Son (Лаврентий Дядюнович Сон, 라브렌티 손), dessen Lebensaufgabe es ist, die ethnischen Minderheiten Zentralasiens in Dokumentarfilmen zu verewigen, wählt in seinem literarischen Werk die Sprache als Mittel zur Identifikation. Sein 기억 (Память, Erinnerung) ist eines der wenigen Theaterstücke, die je in Goryeomal (Корё маль, 고려말) dem Dialekt der koreanischen Minderheit in der ehemaligen Sowjetunion, geschrieben wurden.Am vielschichtigsten zeigt sich die koreanisch-literarische Szene in Amerika. Das Land, das 2003 ein Jahrhundert koreanischer Einwanderer feierte, ist Heimat für die meisten koreanischen Auslandsautoren. In kein anderes Land sind so viele Koreaner ausgewandert, nirgendwo sonst wird koreanische Kultur noch so zelebriert. Das Interesse an Koreanisch als „Heritage Language“, als so genannter ererbter Muttersprache, ist groß, auch wenn für die Kinder zusehends Englisch die Sprache der Wahl wird. Wurden im letzten Jahrhundert noch viele Kinderbücher für koreanische Kinder zweisprachig gedruckt, um einen Zugang zum Englischen zu ermöglichen, ist der Grund mittlerweile eher, dass die Sprache der Eltern- und Großelterngeneration nicht völlig verloren gehen soll.neben autobiografischen Werken, die die eigene Suche nach einem Platz zwischen den zwei Kulturen zeigen (besonders lesenswert in dieser Kategorie: Trail of Crumbs - Hunger, Love and the Search for Home von Kim Sunée), leben heute viele koreanischstämmige Autoren zwischen mehr als zwei Kulturen und definieren ihre Identität immer vielschichtiger. Es gibt Autoren, die sich von ethnischen Definitionen völlig lossagen, Autoren, die in der Vielfalt der ethnischen und geistigen Einflüsse ihren Platz gefunden haben oder die sich rein über die neue Heimat definieren. Eine interessante Mixtur verschiedenster literarischer Einflüsse findet man beispielsweise in den Werken des vielgereisten Minsoo Kang, der in seinem Buch koreanische Einflüsse mit Borges, Umberto Eco oder Italo calvino zu einem neuen Ganzen verschmilzt. Manche der Bücher dieser Autoren benutzen die Heimat ihrer Eltern oder Großeltern allein als exotischen Hintergrund für ihre Romane, versuchen sich durch ihre Werke abzunabeln oder schreiben speziell für neueingewanderte Koreaner, um ihnen den Zugang zur neuen Heimat möglichst einfach zu machen. Ein lesenswertes comicbuch aus diesem Bereich ist Gina Park Comes to America von Dorothy Hong.Eine der bekanntesten amerikanischen Bilderbuchserien über ein koreanisches Mädchen, Yoon, stammt interessanterweise von einer Autorin mit osteuropäischen Vorfahren, Helen

Recorvits, die aber sowohl die Probleme beim Wechsel in eine neue Sprache (My name is Yoon) als auch in eine andere Kultur (Yoon and the Christmas Mitten) mit viel Feingefühl und Hintergrundwissen über koreanische Sprache, Kultur und Brauchtum beschreibt.Diese Suche nach Identität, die bei allen hier vorgestellten Autoren deutlich wurde, ist nichts typisch Koreanisches; im Laufe unserer Entwicklung suchen wir alle nach Identität und Heimat, egal aus welchen Ländern wir und unsere Familien stammen. Aber Menschen, die mehrere Länder als Heimat betrachten, Kinder, die zwischen den Kulturen aufgewachsen sind, stellen sich diese Frage oft drängender, und je unterschiedlicher die beiden (oder mehreren) Kulturen aus dem Spannungsfeld eines Autors sind, desto dringlicher wird die Suche nach Antworten. Man sollte dennoch nicht vergessen, dass sich nicht jeder Autor diese Frage stellt oder sich bemüßigt fühlt, in seinen Büchern darüber zu schreiben. Greg Pak, ein Autor, der bei Marvel comics an so bekannten charakteren wie Hulk, Magneto und Herkules gearbeitet hat, hatte nach eigenen Angaben nie mit Problemen wegen seiner Stellung zwischen zwei Kulturen zu kämpfen. Wenn Autoren ihre Suche nach kultureller und persönlicher Identität jedoch in ihrem Werk verarbeiten, wie es die hier vorgestellten koreanischstämmigen Autoren getan haben, dann kann jeder Leser neben interessanten Einblicken in eine andere Kultur etwas für sich und seine persönliche Suche aus der Lektüre dieser Bücher mitnehmen.

1 Siehe dazu auch die Rezension von Karin Schädler in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.)

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Andrea Steinbach ist seit ihrer Jugend fasziniert von fremden Sprachen und Kulturen. Neben diversen germanischen, roma-nischen und slavischen Sprachen hat sie 2007 das Koreanische für sich entdeckt: ihre bisher größte Herausforderung aber auch eine große Bereicherung.Ihre eigenen Lernerfahrun-gen hat die Gymnasialleh-rerin und Unilektorin als Ko-Autorin in ein Korea-nischlehrbuch einfließen lassen und versucht ihre Begeisterung für die kore-anische Sprache, Literatur und Kultur an ihre Schüler und Studenten weiterzu-vermitteln.

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K o r e a n i S c h e l i t e r at u r i M a u S l a n D

„ b ü c h e r S o l lt e n n e u e p e r S p e K t i v e n S c h a f f e n , h o r i z o n t e ö f f n e n “

e i n e S ü D K o r e a n e r i n i n ö S t e r r e i c h S c h r e i b t ü b e r G r ö n l a n DI n t e r v i e w m i t d e r A u t o r i n A n n a K i m

s i e s i n d i n s ü d k o r e a g e b o r e n , i n d e u t s c h l a n d a u f g e w a c h s e n u n d l e b e n s e i t 1 9 8 3 i n Ö s t e r r e i c h . V e r s t e h e n s i e s i c h a l s e i n e a r t k o s m o p o l i t i n ?

Der Begriff „Kosmopolit“ ist, wie mir scheint, zurzeit ein sehr beliebter, er taucht jedenfalls in den Medien immer häufiger auf. Der Duden definiert Kosmopolit u.a. auch als „eine Tier- oder Pflanzenart, die über die ganze Welt verbreitet ist“. In diesem Sinne sehe ich mich als Kosmopolitin, aber nicht nur mich, sondern jedes menschliche Wesen. Diese Einstimmigkeit der Herkunft und des Wohnortes ist und war nie die norm, sondern eine Vorstellung, die in ihrer Eindeutigkeit Sicherheit schafft und die Dinge scheinbar vereinfacht, tatsächlich sind viele, wenn nicht mehr Menschen immer schon in mehreren Ländern verankert gewesen, da aber das Ideal bis vor kurzem noch die eindeutige Zugehörigkeit war, wurde alles Uneindeutige verleugnet bzw. ihre Bedeutung heruntergespielt. Ich sagte, bis vor kurzem, weil ich glaube, dass das heutige Ideal in Richtung Kosmopolitismus geht.

i n i h r e r e r z ä h l u n g „ d i e B i l d e r s p u r “ ( 2 0 0 4 ) g e h t e s u m s u c h e n , f i n d e n , V e r l i e r e n . s i e t h e m a t i s i e r e n h e i m a t , e x i l u n d f r e m d e . a u c h i n d e m e s s a y „ i n v a s i o n e n d e s P r i v a t e n “ ( 2 0 1 1 ) f i n d e t e i n e a u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e m t h e m a i d e n t i t ä t u n d f r e m d e s t a t t . d i e n t e i h r e i g e n e s L e b e n a l s V o r l a g e ?

Ja und nein. Ich denke, das eigene Leben spielt im Schreiben immer eine große Rolle insofern, als es der Impulsgeber, Ideenlenker und Koordinatenstifter ist. Eine Literatur aber, die nur aus dem eigenen Leben schöpft, ist meines Erachtens nach zu kurz geraten: Bücher sollten vergrößern, neue Perspektiven schaffen, Horizonte öffnen und sich nicht damit begnügen, Vorhandenes abzubilden oder um das Eigene Kreise zu drehen bzw. im Eigenen zu verharren. Eines der schönsten Dinge, die man durch das Schreiben erhält, ich würde sogar so weit gehen und von einem Geschenk sprechen, sind die Einsichten in zum Teil ganz fremde Inhalte und Themen: Welten.„Die Bilderspur“ war mein erstes Buch, und wie fast jedes Debüt verweist es auf das Leben des oder der Autorin, weil man es sich anfangs nur zutraut, über Dinge zu schreiben, über die man Bescheid weiß. In den „Invasionen des Privaten“ ging ich eigentlich davon aus, dass ich – die keine privaten Bezüge zu Grönland hat – mich in ein Thema einarbeite, von dem ich bis dahin nicht viel, nur Theoretisches wusste, nämlich Kolonialpolitik bzw. koloniale Praktiken. Ich wurde von meinen Gesprächspartnerinnen zu einem Thema meines eigenen Buches gemacht, indem sie mich aufgrund meines Aussehens zu einer von ihnen machten, zu einer Grönländerin.

Anna Kim, geboren 1977 in Daejeon, Südkorea. 1979 Umzug der Familie nach Deutschland. 1995–2000 Studium der Philosophie und Theaterwissen-schaft an der Universität Wien.Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien. Bücher: Anatomie einer Nacht (Roman, Suhrkamp Verlag 2012), Invasionen des Privaten (Essay, Literaturverlag Droschl 2011), Die gefrorene Zeit (Roman, Lite-raturverlag Droschl 2008), Die Bilderspur (Erzählung, Literatur-verlag Droschl 2004). Sie lebt in Wien.

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c h a r a k t e r i s t i s c h f ü r i h r e W e r k e i s t e i n t r a g i s c h e s M o m e n t . i n „ d i e g e f r o r e n e Z e i t ‘ “ ( 2 0 0 8 ) k o n z e n t r i e r e n s i e s i c h a u f d a s t r a u m a t i s i e r e n d e e r e i g n i s d e s V e r s c h w i n d e n s ta u s e n d e r M e n s c h e n i m k o s o v o k r i e g . i m v e r g a n g e n e n M o n a t e r s c h i e n i h r n e u e s B u c h „ a n a t o m i e e i n e r n a c h t ”, i n d e m s i e d i e s e l b s t m o r d e m e h r e r e r M e n s c h e n a l s e i n e a r t e p i d e m i e b e s c h r e i b e n . W e l c h e s M o t i v l i e g t d i e s e r s c h w e r e z u g r u n d e ?

Ich sehe mich eigentlich als Autorin politischer Bücher, wobei es mir nicht darum geht, Politik zu erklären oder über sie zu theoretisieren. Mich interessieren die Auswirkungen von politischen Entscheidungen und Entwicklungen vor allem auf das oft entpolitisierte Individuum. Die Schwere dieser Themen ist vielleicht in dieser Ohnmacht zu suchen, die wir uns zum Teil selbst zuzuschreiben haben, indem wir uns immer mehr aus der Sphäre der Politik zurückziehen, zu einem großen Teil aber ist unser Leben bestimmt vom Zusammenspiel globaler Zusammenhänge, die wir nur bedingt steuern können, zumal wir sie nicht einmal verstehen. Sie verständlich zu machen, ist eines meiner Ziele, ein Grund, warum ich schreibe, denn ich glaube, Verstehen und Erkennen sind der Schlüssel zu einer differenzierteren Sicht auf die Welt und wie sie tatsächlich funktioniert.

k o l o n i a l i s i e r u n g , a u s b e u t u n g u n d k r i e g s i n d m e h r f a c h G e g e n s t a n d i h r e r e r z ä h l u n g e n . s p i e g e l n i h r e B ü c h e r h i e r d i e l e i d v o l l e n e r f a h r u n g e n d e r v o n i n v a s i o n u n d u n t e r d r ü c k u n g g e p r ä g t e n G e s c h i c h t e k o r e a s ?

Ihre Frage freut mich, denn das ist es letztlich, worauf ich hinaus möchte: Kolonialisierung und Krieg sind nicht nur Erfahrungen, die am Balkan und in Grönland gemacht wurden, sondern auch in Korea – aber nicht nur dort, diese „Geschichten“ gibt es überall, und immer ähneln sie einander, denn Zerstörung und Ausbeutung geschieht immer auf die gleiche Weise, und ihre Folgen sind auch stets die gleichen.Andererseits hat mich Korea auf eine Art und Weise geprägt, die selbst für mich nicht offensichtlich ist, ich komme erst jetzt immer mehr darauf, wie sehr. Wahrscheinlich liegt Koreas Bedeutung für mich darin, dass dieses eher schwer erreichbare Land für mich ein Sehnsuchtsort ist: die Heimat meiner Eltern und im Grunde der Ort meiner Kindheit, denn auch wenn ich meine Kindheit in Deutschland und österreich verbracht habe, war doch Korea immer da, sobald ich unsere Wohnung betreten habe.

i n i h r e n l e t z t e n b e i d e n B ü c h e r n v e r l a g e r n s i e d i e h a n d l u n g n a c h G r ö n l a n d . W i e s o f o k u s s i e r e n s i e a u f d i e s e s L a n d d e r e x t r e m e ?

Der Essay „Invasionen des Privaten“ war nicht geplant, er entstand sozusagen spontan. Während ich für den Roman „Anatomie einer nacht“ recherchierte, merkte ich, dass es Inhalte gibt, die ich nicht im Roman unterbringen kann, nicht in der Form, in der ich sie gerne darstellen wollte. Dann bekam ich ein großzügiges Reisestipendium, das mir erlaubte, ein zweites Mal und ebenso ausgedehnt wie das erste Mal nach Grönland zu reisen, allerdings

D: 19,95 €A: 20,60 €CH: 28,50 sFrErschienen: 10.09.2012Gebunden, 303 SeitenISBN: 978-3-518-42323-3

In der nacht vom 31. Au-gust auf den 1. Septem-ber 2008 nehmen sich in einer kleinen Stadt im verarmten und weitge-hend isolierten Osten Grönlands elf Menschen das Leben. Wie eine Epidemie breitet sich der Freitod in allen gesell-schaftlichen Schichten und Altersgruppen desOrtes aus, dessen Be-wohner sich »durch eine

Berührung oder einen Blick infiziert« zu haben schei-nen. Oberflächlich betrachtet, stehen diese Selbst-morde in keinerlei Zusammenhang, nur einige der Toten kannten sich flüchtig. Und doch fragt sich der außenstehende Beobachter: »Ist es nicht ein Trug-schluss zu glauben, das Leben eines Einzelnen habe Bedeutung nur für sich betrachtet? Genauso wenig wie der Tod eines Einzelnen Sinn macht, isoliert vom Leben der anderen.«

Der roman anatomie einer nacht von anna Kim erzählt die letzten Stunden von elf Menschen, und er erzählt von Grönland, diesem land der extreme, über dem so viel Kälte und einsamkeit und tröstlicher zauber zugleich liegt. behutsam und in eindringlichen bildern folgt die autorin den lebensgeschichtlichen verzwei-gungen ihrer figuren und gibt antwort darauf, warum diese eine nacht nur so ablaufen konnte, wie sie ablief.

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bat man mich, eine Reisereportage zu schreiben. Meine Reisereportage wurde mehr zu einem Essay, je mehr ich mich mit dem theoretischen Hintergrund von Kolonialismus befasste. Die „Invasionen des Privaten“ sind, so gesehen, die Rückseite des Romans „Anatomie einer nacht“. Und Grönland ist ein Land, das mich schon immer sehr fasziniert hat, auch wenn ich gar nicht sagen kann, warum genau... vielleicht, weil es ein Ort ist, der die Fantasie ankurbelt.

i h r e te x t e w e i s e n i m m e r w i e d e r a u c h e i n e a b s t r a k t e e b e n e a u f. i n „ a n a t o m i e e i n e r n a c h t “ ( 2 0 1 2 ) s c h e i n e n s i c h d i e B e w o h n e r e i n e s k l e i n e n o r t e s i n G r ö n l a n d d u r c h B l i c k e m i t d e m f r e i t o d i n f i z i e r t z u h a b e n , w ä h r e n d i n „ i n v a s i o n e n d e s P r i v a t e n “ ( 2 0 1 1 ) d i e G r e n z e z u m i m a g i n ä r e n ü b e r s c h r i t t e n w i r d u n d d i e P r o t a g o n i s t i n a n e i n e m s u r r e a l e n o r t w e i l t . i n e i n e m a u s z u g a u s d e n e r z ä h l u n g e n „ f i g u r e d u s o u v e n i r / d i e f o r m d e r e r i n n e r u n g “ ( 2 0 1 1 ) h e i ß t e s : „ s t e l l d i r v o r : e i n e p a r a l l e l e W e l t , i n d e r e r i n n e r u n g e n n u r b i s z u m n ä c h s t e n s c h l a f h a l t e n , a m f o l g e n d e n M o r g e n h a t m a n a l l e s v e r g e s s e n .“i s t d a s e i n l i t e r a r i s c h e r k u n s t g r i f f ? s i n d d e r r e a l e n W e l t G r e n z e n g e s e t z t , d i e s i c h a u f l i t e r a r i s c h e r e b e n e n u r i m s u r r e a l e n a u f l ö s e n k ö n n e n ?

Ja und nein, die reale Welt scheint natürlich begrenzt, gleichzeitig ist sie aber auch so groß und weit, dass die Begrenzung, von der man gerade noch gesprochen hat, in dem Moment absurd wird. Fantasie ist ja auch ein Teil der realen Welt, aber auch ihr sind, entgegen der allgemeinen Ansicht, Grenzen auferlegt: Unsere Fantasie ist leider schrecklich begrenzt, oft enger und kleiner als die reale Welt.Dass meine Texte immer eine abstrakte Ebene aufweisen, liegt daran, dass ich oft versuche, die Prinzipien der Dinge zu beschreiben, denn nur dann, scheint mir, komme ich der Wahrheit wirklich nahe. Die natur in Grönland etwa ist so anders als die natur in Mitteleuropa, dass ich sie nur auf diese Art und Weise erfassen konnte, aber indem ich sie als etwas vollkommen Fremdes beschrieb, wurde sie zu etwas Abstraktem. In der Erzählung, die Sie angesprochen haben, ging es mir darum, ein Gedankenexperiment an den Beginn zu stellen, eines, das im Grunde das Ende der Erzählung vorwegnimmt. Meine Erzählungen sind tatsächlich bewusst surreal, sie werden auch mal von Wesen mit verpflanzbaren Armen und Händen bevölkert, das ist jedoch eine ganz andere Form von Abstraktion, die viel konkreter ist als jene in meinen Romanen. Letztere ist ein Ausdruck meiner Verwunderung: Die Welt, wie sie ist, erstaunt mich oft, ich würde sogar sagen zunehmend, öfter allerdings befremdet sie mich, und diese Befremdung äußert sich in einer Distanziertheit – in Abstraktion.

Das Interview führte Dr. Stefanie Grote

Weitere Informationen: http://www.annakim.at

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K o r e a n i S c h e l i t e r at u r i M a u S l a n D

o h n e f l e i ß k e i n r e i sWie ich ein guter Deutscher wurde

Martin Hyun, Sohn koreanischer Gastarbeiter und deutscher Staatsbürger, schreibt entwaffnend und voller Humor über die alltäglichen Abenteuer der Ausländer in Deutschland. Er entlarvt die politische Debatte über Integration ebenso wie die gesellschaftlichen Gegebenheiten. Zählt Mitarbeiter mit Migrationshintergrund im Deutschen Bundestag. Spricht mit Philipp Rösler und schreibt über eine Begegnung mit Thilo Sarrazin vor - und nach - Erscheinen von dessen Buch. Und er erzählt über seine Reise mit Wladimir Kaminer in seine Heimat Korea und verrät, warum er niemals Tierarzt werden konnte. Mit seinen Freunden aus aller Herren Länder schlägt er sich tapfer durch im bunten Großstadtdschungel Berlin. Scharfzüngig und mit einem Augenzwinkern, zum Heulen tragisch und zum Schreien komisch.

Martin Hyun wurde 1979 in Krefeld geboren. Er ist Sohn koreanischer Gastarbeiter und studierte Politik sowie International Relations in den USA und Belgien. Er war der erste koreanischstämmige Bundesliga-Profi in der Deutschen Eishockey Liga sowie Junioren-nationalspieler Deutschlands. Seit 1993 ist er glücklicher deutscher Staatsbürger.

»Die Deutschen wissen von den Koreanern nur eins sicher, dass sie Hunde essen. Mein Bekannter Martin, ein in Deutschland geborener Koreaner, kann sehr gut Geschichten über solche Klischees erzählen, mit denen er seit seiner Geburt konfrontiert wird. Seinen Kindertraum, ein Tierarzt zu werden, musste Martin an den Nagel hängen. Kein Deutscher würde seinen Lieblingshund einem Koreaner anvertrauen.« Wladimir Kaminer

(Presseinfo btb)

€ 14,99 [D]/ € 15,50 [A] / CHF 21,90224 SeitenISBN 978-3-442-75343-7Erschienen: 08.06.2012

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Kann man Rassismus mit Humor nehmen? Tut es gut, schlagfertig auf ihn zu reagieren? Martin Hyun scheint es in gewisser Weise so zu sehen. An etlichen Stellen beschreibt er in seinem Buch, wie er cool, gelassen und witzig reagierte, obwohl er gerade abgewertet wurde. Über eine eigentlich sehr

unangenehme Situation schreibt er: „Es ist immer lustig zu sehen, wie die Menschen einen anstarren, wenn man mit einer Horde voller Asiaten ein Lokal betritt. Kein Wunder, dass die Schimpansen im Zoo manchmal ausrasten und Stöcke gegen das Plexiglasfenster werfen.“ Eigentlich ist es zwar überhaupt nicht lustig, so angestarrt zu werden, aber die Alternative, nämlich auszuflippen, ist noch weniger attraktiv. Es bleibt also nur der Galgenhumor.

Hyun reiht in seinem Buch viele lustige und interessante Anekdoten aneinander, gespickt mit spannenden Beobachtungen und Fakten. Obwohl viele der Erlebnisse unsäglich sind, schreibt Hyun sie unterhaltend auf. Das kann Entlastung schaffen. Wer selbst häufig Diskriminierendes erlebt, kann auch mal über die Idiotie der Rassisten lachen. Wer sich für den Rassismus seiner Mitmenschen schämt, profitiert ebenfalls von solchem Humor - von der entspannenden Wirkung und der deutlichen Abgrenzung („Seht her, ich lache über Rassisten, also bin ich keiner“).

Wer will sich nicht abgrenzen von all den dummdreisten Menschen, die Hyun in seinem Buch beschreibt? Etwa von einem jungen Bayern, der auf einer Multi-Kulti-Hochzeit sagt: „Da schaut‘s her! Des passiert, wennst die Linken wählst!“ Oder einer Sicherheitsbeamtin, die Hyun im Bundestag unterstellt, er habe sich dort unrechtmäßig eingeschlichen. Oder einem Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, der Hyun - einem in Krefeld geborenen deutschen Staatsbürger - in einem Bewerbungsgespräch allen Ernstes die Frage stellt, wie es um seine Loyalität zu Deutschland bestimmt sei.

neben dem Alltagsrassismus und dem systematischen Rassismus in Deutschland beschäftigt sich Hyun auch kritisch - und wieder humorvoll - mit der koreanischen und koreanischstämmigen Minderheit in Deutschland. Trotz des heiteren Plaudertons im gesamten Buch bleibt auch hier dem einfühlsamen Leser an mancher Stelle das Lachen im Halse stecken, etwa bei Sätzen wie diesem: „Aus Unwissenheit blieben wir treu ergeben in Vaters Reich, in dem Befehl und Gehorsam die tragende Säule für ein harmonisches Leben miteinander bildeten.“ Die Strenge in vielen Elternhäusern schildert Hyun mit einer Mischung aus Komik und Tragik. Seinen Auszug aus dem elterlichen Haushalt beschreibt er als Flucht in die Freiheit.

Der Buchtitel „Ohne Fleiß kein Reis. Wie ich ein guter Deutscher wurde“ ist wohl ironisch gemeint und klingt verheißungsvoll. Eigentlich beschäftigt sich das Buch eher mit der Unmöglichkeit, als Mensch mit ausländischen Eltern in Deutschland als gleichwertig betrachtet zu werden. Richtig wäre als Untertitel gewesen: „Wie ich politischer wurde“. Denn der Wille Hyuns, sich einzumischen, scheint mit jeder Seite größer zu werden. Wie man ein „guter Deutscher“ wird, erfährt ein Leser dieses Buches zum Glück nicht. Wie man ein guter Bürger wird, schon.

Martin Hyun: „Ohne Fleiß kein Reis. Wie ich ein guter Deutscher wurde“, btb 2012.

i M p l au D e r t o n G e G e n r a S S i S M u SRezension von Karin Schädler

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Karin Schädler (31) ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt vor allem zu Migrationsthemen und Außenpolitik. Zudem leitet sie Workshops in der In-ternationalen Jugendarbeit.

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K a l e i D o S K o p

SchiefertafelSchulbuchtablet-pcLiteratur digital in Südkoreas Schulen

Von Malte E. Kollenberg

Yeo Mi-jung, Englischlehrerin an der Sukjung Mittelschule in Incheon unterrichtet ihre 13 und 14 Jahre alten Schüler/innen nur noch digital. Jeder Schüler und jede Schülerin hat einen Laptop vor sich, die Tafel ersetzt ein großer, berührungsempfindlicher Bildschirm.

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Amazons Kindl hat die Literatur auf den Bildschirm gebracht. Im internetaffinen Korea soll ab 2015 auch die Bildung komplett digital ablaufen. Alle Schulen werden dann mit „elektronischen Schulbüchern“

unterrichten. Pilotprojekte sind vielversprechend, aber Bildungsexperten haben ihre Zweifel, ob die digitale Technik das koreanische Schulsystem wirklich besser macht.

Für die drei Schüler Jeong Seo-yeong, 13 Jahre, Park Seok-yeon, 14 Jahre, und Kim Ho-seon, auch 14 Jahre, hat die Zukunft bereits begonnen. Alle drei sind sozusagen Schüler 2.0, „Digital natives“ der zweiten Generation. Sie lernen mit elektronischen Büchern. Für die jungen Koreaner bedeutet das Aufwachsen mit digitaler Technik nicht mehr nur Soziales netzwerk, mp3-Player, BlueRays und Laptops zur Freizeitunterhaltung. Die Teenager gehören zu den ersten im Land, die auch digital die Schulbank drücken.

Das hat Vor- und nachteile, sagt Jeong Seo-yeong. „Es ist toll, dass wir während des Unterrichts ganz einfach Medien, Videos und Fotos einbinden können, wenn wir mit dem digitalen Textbuch arbeiten“, freut sich die Schülerin. Klassenkamerad Park Seok-yeon hält dagegen: „Ich finde den digitalen Unterricht anstrengender, weil meine Augen sehr schnell ermüden, wenn ich die ganze Zeit auf den Bildschirm schauen muss.“ Experten nennen diesen Effekt Benetzungsstörung oder Trockenes-Auge-Syndrom. „Zu lange auf den computerbildschirm zu schauen kann die Augen austrocknen, weil die Blinzelfrequenz abnimmt“, erklärt Bae cheong-hun, Augenarzt im Kangbuk- Samsung-Krankenhaus in Seoul.

In Schweden, in den USA, auch in Deutschland gibt es erste Modellklassen wie die in Korea. Dort, in Incheon, lernen die Schüler in einem der ersten digitalen Klassenräume der Sukjung-Mittelschule. Die Schule ist eine von rund 300 im ganzen Land, in der die Zukunft des Lernens und Lehrens ausprobiert wird. Bis 2015 sollen alle gut 11.000 südkoreanischen Schulen „digitalisiert“ werden, so ist der ehrgeizige Plan. 2,5 Milliarden US-Dollar lässt sich Korea die Umstellung kosten. „Smart Education“ nennt das Bildungsministerium das. Dafür müssen aus normalen Schulen „Smart Schools“ – intelligente Schulen – werden.

Kim Deong-sik, Professor für Educational Technology an der Seouler Hanyang-Universität, hält die Umstellung für wenig intelligent. Stattdessen fordert er ein komplettes Umdenken im Land: „Das gesamte Schulsystem muss reformiert werden.“ Der Forscher hat seine Zweifel, ob Korea mit der flächendeckenden, ersatzlosen Einführung der digitalen Schulbücher den richtigen Weg einschlägt. In erster Linie sei nicht die Frage, ob digital oder analog, glaubt er. „Die jungen Menschen müssen zu selbstständigem Denken angeregt werden, nicht zu einfacher Replikation.“ Für ihn steht fest: Die Einführung des „digitalen

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Textbuches“ in Korea soll vorrangig die technische Leistungsfähigkeit des Landes demonstrieren.

Wie in der Modellklasse in Incheon sollen Papier und herkömmliche Stifte bis 2015 komplett verschwinden. Die einzige, die im digitalen Klassenraum noch einen Stift benutzt, ist Lehrerin Yeo Mi-jung. Damit schreibt sie auf die Whiteboards links und rechts der digitalen Tafel. noch, denn das auch nur so lange, bis sie sich an das Schreiben mit dem Finger auf der digitalen Tafel gewöhnt hat. Auch Yeo Mi-jung ist wie ihre Schüler und Schülerinnen noch in der Erprobungsphase. Seit März dieses Jahres unterrichtet die Englischlehrerin digital.

Yeo Mi-jung erzählt von Kollegen, vor allem die älteren, die nicht so recht überzeugt seien, dass das digitale Klassenzimmer eine gute Idee ist. Auch sie selbst war zunächst skeptisch: „Ich hatte anfangs Angst vor den digitalen Textbüchern“, sagt sie. Yeo Mi-jung ist 29 Jahre alt. Eine junge Lehrerin. Auch sie ist eigentlich schon ein „Digital native“, jemand, der mit digitaler Technik aufgewachsen ist.

„Ich habe Englisch noch mit einem Buch aus Papier gelernt“, grinst sie. Für die neue Schülergeneration wird das Sprachenlernen nun interaktiv. Lösen sie eine Aufgabe im „Arbeitsbuch“, antwortet das Schulbuch auf Englisch: „Großartig“, wenn die Aufgabe richtig gelöst worden ist und „Bitte noch einmal“, wenn der Schüler nicht korrekt geantwortet hat.

nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kommt die Lehrerin mit der neuen Technik mittlerweile bestens klar. Als unterrichte sie seit Jahren mit der digitalen Tafel, wischt sie über den Bildschirm. Die Aufgaben für die Schüler tippt sie im 90 Grad-Winkel auf der virtuellen Tastatur in die ebenfalls digitale Tafel.

Geht es nach der Regierung in Seoul, wird das Projekt ein voller Erfolg und das koreanische Bildungssystem nun noch etwas besser. Der Erfolg bei der OEcD-weiten Bildungsvergleichstudie PISA scheint den Koreanern recht zu geben. Dass Korea sowohl bei der digitalen Technik als auch im Bildungssystem mit weitreichenden sozialen Problemen zu kämpfen hat, wird dabei gerne übersehen. Viele koreanische Jungendliche gelten als internet- oder computersüchtig, verbringen eigentlich das ganze Leben vor Bildschirmen. Leistungsdruck von Eltern und Mitschülern und ein unbarmherziges Schulsystem haben Südkorea zu einem traurigen Rekordhalter gemacht: In keinem anderen OEcD-Land nehmen sich mehr Menschen das Leben als in Korea. Selbstmord ist die häufigste Todesursache in der Altersgruppe der 14- bis 29-jährigen.

Dass das Klassenzimmer digital wird, steht angesichts der Entwicklungen auf dem computer-, Handy- und Tablet-Markt quasi außer Frage. Die Durchdringung der koreanischen Gesellschaft mit elektronischen Geräten, die potenziell geeignet sind, die schulischen Inhalte auch in andere Lebensbereiche außerhalb des Klassenzimmers zu tragen, ist omnipräsent.

Welches Gerät die Schüler am Ende nutzen, um auf die Lerninhalte zuzugreifen, soll letztlich auch völlig egal sein. Vom „grenzenlosen Klassenraum“ und dem „Lernen außerhalb der Schule“ träumt Bildungsminister Lee Ju-ho in dem von ihm 2011 herausgegebenen Buch „Positiver Wandel – Die Bildungs-, Wissenschafts- und Technologiepolitik Koreas“. Lernen soll so allgegenwärtig und selbstverständlich werden wie die Benutzung des Mobiltelefons.

Auch wenn viele Schüler das Lernen mit der neuen Technik toll finden, so richtig angekommen in der Freizeit ist die Schule damit noch nicht. Der grenzenlose Klassenraum wird wohl auch erst einmal eine Vision bleiben, denn die ersten Grenzen müssen den Schülern bereits im Probeunterricht aufgezeigt werden. Populäre Internetseiten wie Twitter oder Facebook können die Schüler nicht für Lernzwecke nutzen. Der 13-jährige Kim Ho-seon bringt es lachend auf den Punkt: „Ich würde ja gerne Facebook im Unterricht benutzen, aber wenn ich das mache, bringt mich meine Lehrerin um.“

Historische Romane sind in Südkorea seit vielen Jahren beliebt. Immer wieder erobern sie die vorderen Plätze der Bestsellerlisten.„Die Menschen mögen glaubwürdige fiktive Geschichten“, erklärt Lee Yong-sook, die sich als Übersetzerin vorwiegend mit deutschen literarischen Texten beschäftigt. „Auf Basis der vergangenen Realität wird der Eindruck vermittelt, dass sich die Geschichten wirklich ereigneten“, fügt sie hinzu. 2011 belegte „Goguryeo“ von Kim Jin-myeong, ein Roman über die Zeit des gleichnamigen alten Königreiches, Platz sieben der Jahresbestsellerliste von Südkoreas größtem Buchhändler Kyobo. Auf Platz 13 folgte das fürs Fernsehen verfilmte „Tree With Deep Roots“ von Lee Jeong-myeon über König Sejong den Großen und die Erfindung des koreanischen Alphabets Hangeul. Rang 17 belegte „Princess Deokhye“ von Kwon Bi-young über das Leben der jüngsten Tochter des letzten Kaisers Kojong.

hohe affinität zur GeschichteKoreas wechselvolle Geschichte bietet viel Stoff für spannende Erzählungen. Gleichzeitig haben die Südkoreaner eine hohe Affinität zur Geschichte ihres Landes.„Wir Südkoreaner sind durch den Schulunterricht gut mit der Vergangenheit

vertraut. Fiktionale Elemente machen Geschichte aber noch interessanter“, meint die Angestellte Moon Jeong-seon. „Historische Romane sind eine Wiederverwertung der Geschichte“, sagt der Angestellte Kim Jae-sam. „Mir gefällt es, wenn ich aus den Erfahrungen der Helden vergangener Zeiten lernen kann.“Autoren machen sich das allgemein große Interesse an früheren Zeiten zunutze. Häufig ließe sich die Kernhandlung auch in der Gegenwart ansiedeln. Doch die Schriftsteller wissen, dass ein historischer Roman beim Leser allgemein gut ankommt. „Man muss aber genau nachforschen, was in dem betreffenden Zeitraum wirklich passiert ist“, meint Lee, die an der Universität Frankfurt/M. Germanistik studierte.

historische romane werden gerne verfilmt Anstoß für den aktuellen Trend zu historischen Romanen gab das 1990 veröffentlichte „Dongeui Bogam“ von Lee Eun-seong. Das Werk über den Hofarzt Heo Jun bescherte MBc, neben KBS und SBS eine der drei großen Fernsehanstalten Südkoreas, 2000 einen Quotenerfolg. Die Handlung historischer Romane spielt sich meist in der Joseon-Epoche (1392 - 1910) oder zur Zeit der japanischen Kolonialherrschaft (1910 - 1945) ab. „Beides liegt weniger weit zurück und ist für den Verfasser aufgrund der Fülle an zugänglichen historischen Dokumenten und Materialien leichter zu erschließen“, weiß die Expertin Lee.Doch gründliche nachforschungen sind heute nicht mehr zwingend erforderlich. Denn der Trend zu historischen Romanen entwickelte sich weiter. Mussten sich Autoren früher an historische Fakten halten, so dürfen sie heute der Fantasie freien Lauf lassen. Auch eine Prise Herzschmerz ist beim Leser willkommen.Von Januar bis März zeigte MBc mit großem Erfolg „The Moon That Embraces the Sun“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Jung Eun-gwol. Der Roman war bereits 2005 erschienen, doch erst die Ende 2011 veröffentlichte neuausgabe erreichte dank der Beliebtheit der Serie zu Jahresanfang Bestsellerstatus. Viele der Romane werden erst dank einer Verfilmung als Serie Verkaufsschlager.

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hiStoriSche roMane in SüDKorea beliebtVon Sebastian Ratzer

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Ein Roman der im Internet entdeckten Autorin Jung Eun-gwol diente bereits als Vorlage für einen im Herbst 2010 gesendeten erfolgreichen Mehrteiler auf KBS2. „Sungkyunkwan Scandal“ basiert auf „The Lives of Sungkyunkwan confucian Scholars 1 & 2“, ursprünglich 2007 erschienen und 2009 anlässlich der Serie neu aufgelegt. Die neuauflage erreichte Platz drei der Jahresbestsellerliste von Kyobo. In ihrem Sog belegte Jungs neuestes fiktionales Prosawerk „The Days of Kyujanggak Gakshins“ Platz sieben der Jahresliste.

Geschichten werden fantasievollerIn „The Moon That Embraces the Sun“ trifft ein fiktiver Joseon-König eine Schamanin, die einst als Tochter einer Adelsfamilie sein Herz erobert hatte, als er noch Kronprinz war. Durch eine Intrige hatte sie ihre Stellung als Kronprinzessin in spe verloren, besitzt aber keine Erinnerung an den Vorfall. Für den Leser und Zuschauer ist offenkundig, dass sich die Geschichte nicht annähernd so zugetragen haben kann; die fiktiven Elemente überwiegen. Gespräche mit Südkoreanern zeigen, dass sich weibliche Leser mehrheitlich nicht daran stören. Männliche Leser hingegen mögen es häufig nicht, wenn sich Romanschreiber zu sehr von den historischen Fakten entfernen.„Je mehr Fantasie der Autor aufbringt, desto interessanter wird die Handlung“, sagt die Leserin Moon. „Zu viel Fiktion dient nur der Anbiederung an die Massen“, hält der Leser Kim dagegen.Doch im Buchladen sind sich beide Geschlechter schnell einig. Historische Romane sind bei Mann und Frau gleichermaßen beliebt. Das beweisen die konstant hohen Verkaufszahlen. nicht zuletzt dank erfolgreicher Verfilmungen werden historische Romane auch künftig bei den Südkoreanern hoch im Kurs stehen.

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Sebastian Ratzer arbeitet seit seinem Abschluss als Diplom-Bibliothekar an der Fachhochschule Köln im Jahr 2000 als Redakteur bei Südkoreas Auslandsrundfunk KBS WORLD Radio in Seoul.

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frühe Koreaner in DeutSchlanDStudium und Aktivitäten von Yi Geungno (1893-1978) in Berlin

Von Dr. Sonja Häußler

Anfang des 20. Jh. machte sich eine Reihe von Koreanern auf den beschwerlichen und weiten Weg nach Deutschland, um Bildung und Wissen an den hiesigen Universitäten zu erlangen.

Wie viele es insgesamt vor und während der Kolonialzeit waren, konnte bisher nicht hinlänglich geklärt werden. Teils liegt dies an der unbefriedigenden Aktenlage, teils an mangelnden nachforschungen. Soweit ersichtlich, war Kim Jung-se (1882 - 1946?) der erste koreanische Student in Deutschland. Er kam 1909 nach Berlin und promovierte hier 1923 im Fach Philosophie. Ein zeitgenössischer Artikel in der Sinhan minbo spricht davon, dass es im Jahre 1925 insgesamt 32 koreanische Studenten in Deutschland gab und 34 weitere inzwischen nach Korea zurückgekehrt oder zum Studium in ein anderes Land gegangen seien.1 Der Bekannteste unter ihnen ist zweifellos Li Mirok (1899 - 1950), der nach der Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung 1919 nach München kam und dort im Jahre 1928 in Zoologie promovierte. Mit seinen autobiografischen Romanen und koreanischen Erzählungen hat er sein Heimatland auf feinsinnige, künstlerische Weise den deutschen Lesern näher gebracht und sie zu rühren vermocht. Wenn von den ersten koreanischen Studenten in Deutschland die Rede ist, wird meist auch An Ho-sang genannt, der an der Jenaer Universität in Philosophie promovierte und später ebenfalls ein bedeutender Kulturbotschafter zwischen Korea und Deutschland war. Viele weitere koreanische Absolventen einer deutschen Universität in der frühen Phase sind entweder gar nicht oder nur vom namen her bekannt und warten noch auf die Aufdeckung ihrer Studien- und Lebensgeschichte.

Im vorliegenden Beitrag soll ein in Deutschland bisher kaum bekannter Intellektueller vorgestellt werden, der in den 1920ern an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, der Vorgängerin der Humboldt-Universität, studierte: Yi Geungno bzw. Li Kolu. Er war eine bedeutende Persönlichkeit in der koreanischen Unabhängigkeits- und Sprachbewegung der Kolonialzeit und nach der Befreiung einer der führenden Linguisten. Dass ein gewisser Li Kolu an der Berliner Universität studierte und mit dem Linguisten Yi Geungno identisch ist, erfuhr die Verfasserin erstmals durch

ihre früheren Kollegen an der Humboldt-Universität, Prof. Helga Picht und Dr. Wilfried Herrmann. Vor einigen Jahren dann recherchierte die Verfasserin im Auftrag von Herrn Go Yeonggeun, Prof. em. der Seoul national University, im Archiv der Humboldt-Universität und sichtete dort einige Studienunterlagen von Yi Geungno/Li Kolu.

Yi Geungnos Beispiel verdeutlicht, dass es in manchen Fällen nicht so einfach ist, die Identität einer Person herauszufinden, zumal, wenn es sich um Personen oder Ereignisse aus der Kolonialzeit handelt. Zahlreiche Koreaner sind in dieser Zeit über china nach Europa oder Amerika gegangen und daher an ihrem Ankunftsort oft unter der chinesischen Lautung ihres namens registriert worden. Für diejenigen, die der japanischen Kolonialmacht kritisch gegenüberstanden, war dies sicher eine willkommene, vielleicht sogar absichtlich herbeigeführte Gelegenheit, eine Registrierung als japanischer Staatsbürger zu umgehen und auf diese Weise ihre Distanz zur Kolonialmacht auszudrücken. Einige, wie der oben erwähnte Li Mirok, gelangten sogar mit Hilfe eines chinesischen Passes ins Ausland, und es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dies bei Yi Geungno ebenso der Fall war. In allen Personalpapieren der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin ist er als chinesischer Staatsbürger ausgewiesen, und sein name mit Kolu Li angegeben. Eine Ausnahme bildet seine Promotionsurkunde, in der seine koreanische Herkunft angezeigt ist: „Kolu Li, coreano“. 2 Yi Geungno selbst gibt in seinem Lebenslauf an, er sei „am 10. April 1896 als Sohn des Arztes Kenchu Li in Huan-jen-hsian in der Mandschurei geboren“. 3 Tatsächlich ist er jedoch am 28.08.1893 in Korea geboren, und zwar im Dorf Du-gok, Kreis Uiryeong, Provinz Süd-Gyeongsang. Über die Gründe, die Yi Geungno zu einer abweichenden Angabe seines Geburtsdatums veranlasst haben könnten, soll hier nicht spekuliert werden. Die Informationen zu seinem Vater entsprechen ihrem Grundgehalt nach der Wirklichkeit, berücksichtigt man, dass dessen name Yi Geun-ju in chinesischer Lautung und dessen Tätigkeit als traditioneller Heilpraktiker mit einer europäischen Berufsbezeichnung wieder gegeben sind. Der genannte Kreis Huan-jen-hsian, auf Koreanisch Hwanin-hyeon, war Yi Geungnos erster

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Aufenthaltsort in der Mandschurei, nachdem er 1911 sein Heimatland verlassen hatte. Während seiner dortigen Tätigkeit als Lehrer an einer koreanischen Schule lernte er eine Reihe bedeutender Aktivisten der anti-japanischen Unabhängigkeitsbewegung kennen. Unter dem Einfluss von Yun Se-bok (1881 - 1960) und Bak Eun-sik (1859 - 1925) schloss er sich der nationalistisch gesinnten Daejonggyo-Sekte an, die Dan’gun als Urvater des koreanischen Volkes verehrte. Von daher lag es für Yi Geungno wohl nahe, die Stätte seiner spirituellen Erweckung, die für ihn sicher ein einschneidendes Erlebnis in seinem Leben bedeutete, als seinen angeblichen Geburtsort auszugeben.Seine Hochschulreife erlangte Yi Geungno im Januar 1920, nach vierjährigem Besuch der Gymnasialabteilung der deutsch-chinesischen Tung-chi Medizin- und Ingenieurschule in Wusung bei Shanghai. nach seinem Abitur studierte er ein Semester an der Ingenieurschule der gleichen Anstalt. Im Juni 1921 fand sich schließlich eine Gelegenheit, seinen lang gehegten Traum eines Studiums in Deutschland zu verwirklichen. Von Shanghai aus fuhr er auf dem Schiffsweg über Hongkong, Saigon, Singapur und colombo durch den Suez-Kanal nach Port Said, ägypten, und gelangte dann über Rom nach Berlin, von wo er zunächst als Dolmetscher und Begleiter von Yi Donghwi einen dreimonatigen Abstecher nach Moskau machte. Im April 1922 wurde Yi Geungno an der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin immatrikuliert und studierte im Hauptfach nationalökonomie und als nebenfächer Philosophie und Ethnologie. In seinen Lebenserinnerungen erzählt er davon, dass er Seminare bei 44 Professoren besucht habe, wobei er die Professoren Schuhmacher (Wirtschaft), Sombart (Soziologie), Thurnwald (Ethnologie) und Heinrich Maier (Epistemologie) hervorhebt. 4

Während seines achtsemestrigen Studiums bemühte sich Yi Geungno, auch praktische Erfahrungen in seinen Studienfächern zu sammeln. Seine erste Reise führte ihn im August 1923 zusammen mit Kim Jun-yeon, einem weiteren koreanischen Studenten, in den Spreewald, um sich die Kultur und Lebenswirklichkeit der Wenden anzuschauen. Für diese Reise wird vermutlich nicht nur eines seiner Studienfächer, die Ethnologie, ausschlaggebend gewesen sein, sondern das generelle Interesse eines Angehörigen eines kleinen, kolonial unterdrückten Volkes, die Lebensbedingungen von ethnischen Minderheiten in anderen Ländern kennenzulernen. Eine weitere Studienreise unternahm Yi Geungno im August 1926, bei der er das Dorf Zäckerick in Westpommern besuchte, um dort den Ackerbau und die Forstwirtschaft deutscher Bauern zu erforschen. Über diese Reisen als auch seine Erfahrungen und Erlebnisse in Berlin berichtete er später in den 1930ern in zahlreichen Beiträgen für koreanische Zeitungen und Zeitschriften, wodurch er nicht unwesentlich dazu beitrug, das Wissen über fremde Länder unter seinen Landsleuten zu mehren.

Yi Geungno schloss sein Studium im Juni 19265 erfolgreich ab und promovierte bereits kurze Zeit darauf, am 27.05.1927, im Fach Staatswissenschaften an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Selbst wenn man bedenkt, dass Promotionsschriften zur damaligen Zeit nicht so umfangreich waren wie heute, ist es als eine ganz erstaunliche Leistung anzusehen, dass er schon fünf Jahre nach seiner Ankunft in Berlin zu promovieren vermochte. Von Yis außerordentlichen Fähigkeiten und seinem Intellekt zeugt außerdem der Fakt, dass seine Promotionsschrift „Die Seidenindustrie in china“ mit dem Prädikat „valde laudabile“ gewürdigt und aufgrund der ausgezeichneten Bewertung im gleichen Jahr im Verlag Wilhelm christians, Berlin, veröffentlicht wurde. Da er einer der wenigen Koreaner war, die zur damaligen Zeit eine Promotion im Ausland vorweisen konnten, wurde Yi Geungno von seinen Landsleuten sehr bewundert und geschätzt und nach seiner Rückkehr nach Korea des öfteren um öffentliche Meinungsbekundungen in den verschiedensten Bereichen gebeten.

Eine spannende Frage ist, wo Yi Geungno in Berlin wohnte. In seinen Personalpapieren für die Meldung zum Doktorexamen, datiert am 26.11.1926, findet sich die Angabe Jagowstraße 23 (heute zum Bezirk Mitte gehörig). Ob er die ganze Zeit über dort wohnte oder erst zum Ende seiner Promotionsphase hin, kann beim jetzigen Kenntnisstand leider nicht beantwortet werden.

neben seinem Studium war Yi Geungno auch stark gesellschaftlich aktiv. Gleich nach seiner Ankunft in Berlin trat er der Vereinigung koreanischer Studenten in Deutschland (유덕고려학우회, Yudeok Goryeo haguhoe) bei und entwickelte sich zu einer ihrer führenden Persönlichkeiten im anti-kolonialen Kampf. Als die Studenten von dem Blutbad erfuhren, das die Japaner nach dem Großen Kanto-Erdbeben unter Koreanern anrichteten, organisierten Yi und andere Mitglieder der Vereinigung am 26.10.1923 eine Großkundgebung der Koreaner in Deutschland (재독한인대회, Chaedok hanin daehoe), auf der sie das Gemetzel brandmarkten. In einer auf der Großkundgebung verteilten Agitationsschrift in deutscher und englischer Sprache informierten sie die ausländische öffentlichkeit über das grausame Kolonialregime und baten sie um Unterstützung des gerechten Anliegens der Koreaner, einen unabhängigen Staat wiederzuerrichten.6 Um eine breitere öffentlichkeit zu erreichen, verfasste Yi Geungno kurz darauf eine umfassendere Darstellung über die Geschichte des koreanischen Volkes, den Verlust seiner Souveränität und sein Ringen um die Wiedererlangung der Selbstständigkeit. Die 32 Seiten lange Broschüre wurde im Februar 1924 unter dem Titel „Unabhängigkeitsbewegung Koreas und japanische Eroberungspolitik“ im Berliner Verlag Siettenfeld gedruckt. Versehen mit einem persönlichen Signum ließ der Verfasser eine der Broschüren der Königlichen Universitäts-

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Bibliothek zu Göttingen zukommen, in deren nachlass sie auch heute noch zu finden ist. Eine wichtige Aktion im anti-japanischen Unabhängigkeitskampf war die Teilnahme mehrerer koreanischer Studenten und des Juristen Heo Heon am Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus, der im Februar 1927 in Brüssel stattfand. Als Vertreter der koreanischen Studenten in Deutschland nahmen daran Yi Geungno, Yi Ui-gyeong (Li Mirok) und Hwang U-il teil, aus Frankreich Kim Beom-nin. Der in deutscher, englischer und französischer Sprache vorbereitete Antrag der Koreaner umfasste drei Punkte: Die Erfüllung des Vertrages von Ganghwa 1895, laut dem Korea die Unabhängigkeit zugesichert worden war, die sofortige Auflösung des japanischen Generalgouvernements chōsen und die Anerkennung der Provisorischen Regierung in Shanghai. Zu den zahlreichen politischen Aktivitäten Yi Geungnos in Berlin zählt u. a. auch die Veröffentlichung einer zweiten, 16 Seiten umfassenden Broschüre, die den Titel „Korea und sein Unabhängigkeitskampf gegen den japanischen Imperialismus“ trug und im Mai 1927 gedruckt wurde. Ein entscheidender Wendepunkt für Yi Geungnos zukünftigen beruflichen Werdegang sollte seine Tätigkeit als Lektor für koreanische Sprache werden, die er am Seminar für

Orientalische Sprachen der Friedrich-Wilhelms-Universität von 1923 bis 1926 ausübte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass Yi Geungno damit der erste war, der an einer akademischen Institution in Deutschland einen Koreanisch-Kurs gab. Die näheren Umstände seiner Anstellung, die Frage, von wem die Initiative kam, neben chinesisch und Japanisch auch Koreanisch anzubieten, wie viele Studenten den Kurs besuchten, und andere diesbezügliche Aspekte lassen sich nach bisheriger Kenntnislage nicht erhellen. Fakt ist, dass das akademische Interesse an der koreanischen Sprache in Berlin bereits geweckt war, denn unter den Sprachaufnahmen, die in den Jahren 1916/17 im Auftrag der Königlich Preußischen Phonographischen Kommission in deutschen Kriegsgefangenenlagern gemacht wurden, befanden sich auch Sprach- und Liedproben koreanischer Soldaten der russischen Armee. Die Lautsammlung wurde im Jahre 1923 durch weitere koreanische Sprachaufzeichnungen, nachweislich jene von Kim Jungse, ergänzt.7 Warum gerade Yi Geungno mit der Aufgabe betraut wurde, Unterricht in Koreanisch zu geben, lässt sich vielleicht damit erklären, dass er bereits Lehrerfahrungen aus seiner Zeit in der Mandschurei nachweisen konnte und durch die Freundschaft mit Schülern von Ju Sigyeong (1876 - 1914), des Pioniers der modernen koreanischen Sprachwissenschaft, schon einige Einsicht in Arbeiten und Diskurse zur koreanischen Sprache und Schrift gewonnen hatte. Angesichts des damaligen Forschungsstandes war es für Yi Geungno ungemein schwer, den Erwartungen an den Sprachunterricht gerecht zu werden. Um ein Hilfsmittel für Übungen in der koreanischen Sprache zu bieten, wählte Yi Geungno einige Kapitel aus einem Roman seines Zeitgenossen Yi Gwangsu und publizierte diese, versehen mit einer eigenen Übersetzung, in die deutsche Sprache, im Jahre 1927 in den Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin, Jhrg. XXX. Für den Druck des koreanischen Ausschnittes aus dem „Heosaeng-jeon“ (허생전, in deutscher Übersetzung: „Aus dem Leben eines koreanischen Gelehrten“) verwendete die Reichsdruckerei die neu entwickelten koreanischen Schrifttypen, die Yi Geungno von Kim Dubong aus Shanghai erhalten hatte.

Wie Yi Geungno später immer wieder betonte, litt er sehr darunter, dass er während seines Studiums in Deutschland den Bitten nach Koreanisch-Unterricht nur sehr unvollkommen habe nachkommen können.8 Insbesondere die Fragen seiner Studenten, warum es keine einheitliche Orthographie und keine Wörterbücher gäbe, hätten in ihm ein Gefühl der Scham hervorgerufen und ihn dazu motiviert, sich der Erforschung und Standardisierung der koreanischen Sprache und Schrift zuzuwenden.9 nach seiner Promotion fing er daher an, sich intensiver auf sprachwissenschaftlichem Gebiet zu bilden, wobei er sich die damals bestehenden Möglichkeiten zur Beschäftigung mit experimenteller Phonetik nutzbar machte. Zu den Phonetikern, die er

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kontaktierte, zählen Dr. Daniel Jones in London, Dr. Wettler in Berlin und Dr. E. Šramek in Paris. Vor allem die praktischen Arbeiten in den phonologischen Laboratorien in Berlin und Paris wurden für ihn eine Inspiration für seine langzeitige Beschäftigung mit der koreanischen Phonologie. Aus dem Pariser Laboratorium sind uns sogar einige Stimmproben Yi Geungnos auf den heutigen Tag überliefert.10

Wie viele Koreaner, die sich für die Unabhängigkeit Koreas einsetzten, war Yi Geungno überzeugt, dass der Erhalt der koreanischen nation nur durch die Bewahrung und Pflege der koreanischen Sprache, Kultur und Geschichte zu sichern sei. Durch seine Studien in Deutschland sowie Reisen in Europa und Amerika erkannte Yi Geungno, dass eine Standardisierung der koreanischen Sprache und Schrift unabdingbar sei. nach seiner Rückkehr nach Korea trat er der Gesellschaft für koreanische Sprache (조선어학회, Joseoneo hakhoe) bei, in der er sich fortan führend engagierte, und schuf außerdem ein Komitee zur Kompilation eines Koreanischwörterbuchs. Als prominentes Mitglied dieses Komitees wurde er 1942 von den Japanern verhaftet und zu sechs Jahren Kerker verurteilt. Erst der Zusammenbruch des japanischen Kolonialregimes im August 1945 beendete seine Haft im Gefängnis von Hamheung. nach seiner Befreiung rief er mit anderen früheren Mitgliedern die Gesellschaft für koreanische Sprache wieder ins Leben, wirkte maßgebend an sprachreformerischen Projekten mit und beteiligte sich an den unterschiedlichsten Aktivitäten zur Wiederbelebung des koreanischen Kulturguts und der Rückbesinnung auf die eigene Geschichte. Gesellschaftlich setzte er sich für ein unabhängiges, einheitliches Korea ein, was im damaligen polarisierten politischen Klima des Kalten Krieges zum Scheitern verurteilt war. nachdem er im April 1948 zusammen mit Kim Gu und einer Reihe weiterer Südkoreaner an einem Kongress in nordkorea teilgenommen hatte, entschied er sich letztendlich, dort zu bleiben. Auch dort avancierte er zu einer führenden Persönlichkeit der koreanischen Sprachwissenschaft; er war u. a. Vorsitzender der Gesellschaft für koreanische Sprache und Schrift (조선어문연구회, Joseon eomun yeon’guhoe) und Direktor des Institutes für koreanische Sprache und Literatur an der Akademie für Wissenschaften. Mit seinen Ansichten über die Reinheit der koreanischen Sprache und die Standardisierung von Lexik, Phonetik und Schrift bestimmte er in bedeutendem Maße Sprachpolitik und -reform in nordkorea. Inwieweit er dabei Vorstellungen, die er bereits in früherer Zeit entwickelt hatte, umsetzte oder davon abging, kann im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht erörtert werden. Gleiches gilt für die Beleuchtung seiner politischen Tätigkeit in verschiedenen höheren ämtern.

Yi Geungnos Wirken für die Unabhängigkeit Koreas und sein Einsatz innerhalb der koreanischen Sprachbewegung in der Kolonialzeit werden heute in beiden Teilen Koreas hoch geschätzt. In der Republik Korea hat sich bereits eine Reihe

von Publikationen den nachforschungen über sein Leben und Werk gewidmet. Seine Würdigung mündete jüngst in die Gründung einer Gedenkgesellschaft, der Yi Geungno baksa ginyeom saeophoe (이극로박사 기념사업회). Begleitet wird diese Initiative namhafter koreanischer Linguisten von der Publikation einer Vereinszeitschrift mit dem Titel Goru sosik (고루소식). nähere Informationen können Interessenten auf der Homepage der Gesellschaft finden: www.goru.kr.

1 Sinhan minbo, 05.11.1925.

2 Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Rektor und Senat, Promotion, 27.05.1927, Kolu Li.

3 HU, Universitätsarchiv, Lebenslauf, undatiert, Kolu Li.

4 Go Yeong-geun. Yi Geung-no-ui sahoe sasang-gwa eomun undong. Hanguk inmulsa yeongu, Nr. 5, Seoul: Hanguk inmulsa yeonguso, 2006 (Sonderdruck), S. 334.

5 HU, Universitätsarchiv, Abgangszeugnis, 27.07.1926, Kolu Li.

6 Die englische Ausgabe mit dem Titel „Japan’s Bloody Rule in Korea“ siehe: The History of Korean Independence Movement Online. https:// search.i815.or.kr/Degae/DegaeView.jsp?nid=712 (Zugriff: 15.05.2012)

7 Siehe Lautarchiv der Humboldt-Universität: www.sammlungen.hu- berlin.de

8 Erinnerungen des koreanischen Sprachlektors an der Humboldt- Universität, Tschong Tschido, im Gespräch mit Prof. Helga Picht in den 1980er Jahren.

9 Go Yeonggeun, S. 334.

10 Siehe elektronische Datenbank der Bibliotheque Nationale de France: www.gallica.bnf.fr

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Sonja Häußler ist gegen-wärtig Professorin für koreanische Sprache und Kultur an der Universität Stockholm. Davor war sie als Gast-/Vertretungs-professorin an der Ruhr-Universität Bochum, der ELTE-Universität Budapest sowie der HU und FU in Berlin tätig. Sie lehrte außerdem an den Universitäten Wien und Hamburg.

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D e u t S c h e S i c h t e n a u f K o r e a

alS leibarzt, SchulDireKtor unD oberhofMeiSterin iM offiziellen auftraG in Korea – Gedanken zu den Reiseberichten von Dr. med. Richard Wunsch, Johann Bolljahn und Emma Kroebel –

Von Dr. Sylvia Bräsel

„Aber das Eigene muß so gut gelernt sein wie das Fremde“ ( Friedrich Hölderlin)

Auf den ersten Blick scheinen die deutschen Korea-Reisenden Emma Kroebel (1872 – 1945), Dr. Richard Wunsch (1869 – 1911) und Johann Bolljahn (1862 – 1928) wenige Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Sind doch ihre nachgelassenen Reiseerinnerungen auf unterschiedliche Weise publiziert bzw. der nachwelt übermittelt worden. Während Johann Bolljahn Artikel in verschiedenen renommierten Zeitschriften seiner Zeit über das koreanische Schulwesen, Sitten und Bräuche, Märchen und Sagen veröffentlichte, wurden die Briefe und Tagebuchnotizen des Arztes Richard Wunsch („Fremde Heimat Korea“/ 1905) erst im Jahre 1976 von seiner Tochter Gertrud claussen-Wunsch aus dem nachlass herausgegeben. Emma Kroebels Buch „Wie ich an den Koreanischen Kaiserhof kam“ erschien hingegen 1909 in dem bekannten Berliner Verlag R. Jacobsthal & co in einer gediegenen Ausgabe und löste sogar heftige Debatten in der amerikanischen Presse aus.Alle Publikationen reihen sich jedoch in die beachtliche

Anzahl von Reiseberichten (ca. 22 Bücher) ein, die über das im Westen damals kaum bekannte Korea zwischen 1835 bis 1914 geschrieben wurden. Auf den zweiten Blick überwiegen zudem die verbindenden Aspekte der auf den ersten Blick so unterschiedlichen Persönlichkeiten Bolljahn, Kroebel und Wunsch, die einer Generation von Deutschen angehören, die durch ihr Wirken in Korea die deutsch-koreanischen Beziehungen nachhaltig prägten. Der Arzt Dr. Richard Wunsch, der Schuldirektor Johann Bolljahn und die Oberhofmeisterin Emma Kroebel waren im offiziellen Auftrag in Korea während der letzten Phase der territorialen Souveränität des Landes (zwischen 1898 bis 1909) tätig. Wunsch, Bolljahn und Kroebel standen in koreanischen Diensten und nahmen im jeweiligen Gefüge eine herausgehobene Stellung ein. Sie erlebten die Umbrüche zwischen Tradition und Moderne und die schrittweise Kolonialisierung Koreas aus spezifischen Blickwinkeln und waren durch ihre Tätigkeiten mit den

Dr. Wunsch mit seinen Hausangestellten in Seoul

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daraus resultierenden Problemen konfrontiert. Wunsch und Bolljahn verband zudem eine Männerfreundschaft, die auch von den Werten der Toleranz und Akzeptanz gegenüber der anderen Kultur getragen wurde. Die vorangegangenen Auslandserfahrungen in china (Emma Kroebel) und Japan (Johann Bolljahn und Dr. Richard Wunsch) ermöglichten den drei Persönlichkeiten zudem eine bessere Einordnung der gesellschaftlichen und politischen Prozesse in Korea zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Pioniergeist und die Hoffnung, auf der Basis von Engagement deutsche Interessen vor Ort produktiv zu vertreten und gleichzeitig zum Wissenszuwachs über die andere Kultur beizutragen, prägen die Ausführungen. So fehlt in den Reiseeindrücken jener vordergründige Eurozentrismus, der in vielen Zeitquellen auffällig ist. natürlich sind auch diese Wortmeldungen nicht frei vom Geist der Zeit. Insbesondere Emma Kroebel und Johann Bolljahn vermögen ihre Berichte spannend zu „verkaufen“. Emma Kroebel und Dr. Richard Wunsch ergänzen ihre Eindrücke durch eigene Fotos, die zur Authentizität beitragen sollen. Während Richard Wunsch auf ungestellte „Schnappschüsse“ aus dem Alltag setzt, findet man im Buch von Kroebel auch Abbildungen, die den Hang zu Exotik und Fremde bedienen. Emma Kroebel (geb. Kosegarten) war übrigens die erste Deutsche, die ein Reisebuch über Korea veröffentlichte. Dieses Buch einer Frau sollte politisches Aufsehen erregen und sogar zu Stellungnahmen in der New York Times oder der Kiautschou-Post führen. Durch ihre Heirat im Jahre 1901 mit dem fast zwanzig Jahre älteren Hauptmann a. D. Ernst Kroebel (1853 - 1925) kam sie nach Ostasien. In der deutschen Kolonie Kiautschou war ihr Mann nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Militärdienst seit 1898 als einer der ersten Deutschen tätig. Als Direktor des Kantinenwesens und als selbständiger Kaufmann erwarb er sich in Tsingtau Verdienste. Das wiederum ermöglichte es Emma Kroebel, das in Korea legendäre Fräulein Sontag während deren Europa-Reise (1905 bis Herbst 1906) am Koreanischen Kaiserhof als Oberhofmeisterin zu vertreten. Zudem war Ernst Kroebel mit dem Gouverneur Oskar von Truppel (1854- 1931) seit seiner Jugendzeit gut bekannt, der wiederum Beziehungen zu Fräulein Sontag unterhielt. So erklärt sich, dass die Wahl auf die gesellschaftlich wie protokollarisch versierte Ehefrau des Hauptmanns a.D. Kroebel als geeignete Vertreterin von Fräulein Sontag fiel. Emma Kroebel war eine für ihre Zeit äußerst couragierte und recht gebildete Dame. Das belegen ihre Reiseerinnerungen in Buchform. Als erste Frau wagte sie sich an die öffentliche Beschreibung koreanischer Verhältnisse, reflektierte ihre Meinung zu Ereignissen und Personen. So verdanken wir Emma Kroebel u.a. eine ausführliche Beschreibung des Schulalltags an der

Frl. Sontag und Emma Kroebel in Seoul

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Kaiserlichen Deutschen Sprachschule in Seoul unter dem Begründer des Deutschunterrichts in Korea, Rektor Johann Bolljahn (1862 – 1928). Kroebel bezeichnet den Pommern Bolljahn als „Musterpädagogen“ und überaus „tüchtigen Schulmann“. Doch bekannt wurde Emma Kroebels Buch insbesondere durch ihre Schilderung des Aufenthaltes von Miss Alice Roosevelt, der Tochter des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt, im September 1905 in Korea. Bereits am 23.9.1905 berichtete die New York Times über den Korea-Besuch der Präsidenten-Tochter. Die junge Alice Roosevelt (1884 - 1980) reiste in Begleitung ihres späteren Ehemannes, des Politikers nicholas Longworth (1869 - 1931) und gemeinsam mit dem damaligen Secretary of War William Howard Taft (1857 - 1930). Die hochrangigen Gäste - so berichtet die New York Times - wurden in Seoul mit allen Ehren empfangen.Emma Kroebel erzählt in ihrem Buch auf den Seiten 162 bis 167, wie man am Kaiserhof um das Wohlergehen der Amerikaner bemüht war. Um die hohen Gäste besonders zu ehren, „hatte der Kaiser den Befehl gegeben, für seinen Gast ein Festessen auf der Grabstätte seiner verstorbenen

Gemahlin zu veranstalten und hierbei feierlichst zu begrüßen. Eine solche Ehrung wird, dem kaiserlichen Hofzeremoniell zufolge, nur in ganz besonderen Fällen und ganz besonders willkommenen und erlauchten Gästen zuteil“, schreibt Emma Kroebel.

Zugleich verweist sie die Leser in Deutschland auf die Ahnenverehrung und die Tatsache, dass die Grabstätte der Vorfahren dem Koreaner als heilig gilt.Dann schildert die Augenzeugin Emma Kroebel das nun folgende Geschehen an der Grabstätte. Hier hatten sich koreanische Würdenträger, Hofbeamte und Persönlichkeiten der Diplomatie zum Empfang der amerikanischen Gäste Alice Roosevelt und Mr. Longworth versammelt.„In rotem Reitkleid, die engen Reithosen in hohen blanken Schaftstiefeln, die Reitgerte in der rechten – eine cigarre im Munde, so kommt die Präsidententochter angesprengt“. Sie nimmt kaum notiz vom Begrüßungsakt der Würdenträger. „Ihre Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf die Wache haltenden Götzen und Steintiere und mit einem Sprunge schwingt sie sich rittlings auf eines dieser Kolosse, dabei Mr. Longworth zuzwinkernd, der schnell seinen Apparat hervorholt, um die seltsame Szene photographisch festzuhalten.“Das in dem Buch „Wie ich an den Koreanischen Kaiserhof kam“ geschilderte Auftreten war so spektakulär, dass es zu einem Dementi und sogar zur Verunglimpfung der Persönlichkeit von Emma Kroebel durch den Politiker Longworth in der New York Times (18.11.2009) und in der Kiautschou Post (11.12.1909) führen sollte. Die Kiautschou Post versuchte noch in der Ausgabe vom 28.5.1910 mit Hinweisen auf faktische Fehler das Buch zu diffamieren und empfiehlt (einer Frau!) „Vorsicht bei der Behandlung exotischer Themen“.Dem in den USA lebenden koreanischen Wissenschaftler Seangill (Peter) Bae ist es zu verdanken, dass die Richtigkeit der Schilderung von Emma Kroebel nunmehr belegt werden kann. Im nachlass von Mr. Straight, dem persönlichen Sekretär des damaligen amerikanischen Botschafters in Korea Edwin V. Morgan, fanden sich Fotoarbeiten, die mit der Aufschrift „Alice Roosevelt at Seoul“ die von Emma Kroebel geschilderte Szene klar aufzeigen und ihre Glaubwürdigkeit dokumentieren. Letztlich war all das nur ein Mosaikstein im unrühmlichen Paktieren gegenüber dem koreanischen Staat in dieser Zeit. Während dieser „Goodwill-Mission“ (nach den Philippinen, Japan und Korea) von William Howard Taft kam es durch den amerikanischen Politiker und späteren Präsidenten der USA (1909 - 1913) zur Aushandlung eines Geheimabkommens mit dem japanischen Premierminister Katsura Taro. Es ging als „Taft-Katsura Agreement“ in die Politikgeschichte ein und besiegelte die Kolonialisierung Koreas durch Japan.

In der nächsten Ausgabe unseres Magazins können Sie den zweiten Teil dieses Artikels über den Arzt Dr. med. Richard Wunsch und den Pädagogen Johann Bolljahn lesen.

Roosevelt - Grabritt

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D e u t S c h e S i c h t e n a u f K o r e a

Meine perSönliche beGeGnunG Mit Korea Seit Den achtziGer Jahren

Von Dr. Ursula Diezemann

Im Jahr 1988, vom 17. September bis zum 2. Oktober, war Korea Gastgeber der Olympischen Sommerspiele, an denen 8391 Sportler aus 159 Ländern teilnahmen, ein Teilnehmerrekord! Die Entscheidung, Seoul mit der

Austragung der Olympischen Spiele zu beauftragen, traf das Internationale Olympische Komitee 1981 in Baden Baden. Zwei Jahre später begann meine Tätigkeit in der Presse- und Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea. In den Jahren bis zum Beginn der Olympischen Spiele war ein Schwerpunkt der Pressearbeit, Korea in Deutschland einem breiteren Publikum bekannt zu machen, um auch möglichst viele Deutsche, für die Korea damals noch ein exotisches, nahezu unbekanntes Land war, dafür zu interessieren, nach Korea zu reisen.

Was lag da näher, als erst einmal in eine deutsche Buchhandlung zu gehen, um zu sehen, was an Reiseliteratur über Korea angeboten wurde – gähnende Leere in den Regalen. Das musste sich ändern. So entstand die Idee, einen Reiseführer über die Hauptstadt Seoul mit Ausflügen in das Landesinnere und Informationen über die Austragungssorte der Olympischen Spiele zu schreiben. Der damalige Presse- und Kulturattaché hat sich sofort für die Idee begeistert und seine Unterstützung zugesagt, da er wusste, dass mein Mann schon einige Reiseführer geschrieben hatte. Sein Bericht über unseren Plan stieß auch in Korea auf offene Ohren. Das war der Beginn meiner Beziehung zu Korea. Damals ahnte ich noch nicht, wie eng sie werden würde.

Welch ein Erlebnis, die Stadt Seoul, mit der ich durch meine Tätigkeit schon eng verbunden war, selbst zu erleben. Was uns am Stadtbild als erstes völlig faszinierte, war das nebeneinander von modernster Architektur und Monumenten aus längst vergangenen Zeiten. Ein Beispiel ist das Südtor (namdaemun), das heute inmitten eines pulsierenden Kreisverkehrs steht, umgeben von modernen Hochhäusern. Gleichzeitig konnte man in dem quirligen Treiben der Metropole in die Abgeschiedenheit uralter Palastgärten von traumhafter Schönheit entfliehen. Bei allem Fortschrittsdrang wurde das Althergebrachte bewahrt. Ein besonderes Erlebnis auf dieser Reise, die uns auch zum buddhistischen Haeinsa-Tempel, nach Gyeongju und Busan führte, war der Aufenthalt auf der Insel Jeju. Weniger als eine Flugstunde von Busan entfernt, taucht man plötzlich in eine exotische, subtropische Vegetation ein. Malerisch anzusehen waren die vielen Hochzeitspaare, die unter bizarren Bäumen oder an einem der vielen Wasserfälle

für das Hochzeitsfoto posierten – erfreute sich Jeju bei koreanischen Paaren als „Honeymoon-Insel“ doch seinerzeit großer Beliebtheit. Besonders beeindruckt waren wir von den Taucherinnen (해녀/ Haenyeo), die ohne Sauerstoffflasche bis zu einer Tiefe von 20 Metern nach Meeresfrüchten tauchen.

Inspiriert von vielfältigen Eindrücken und ausgestattet mit Film- und Informationsmaterial kehrten wir nach Deutschland zurück. Der Reiseführer erschien pünktlich zu den Olympischen Sommerspielen 1988.

Durch die Sommerspiele rückte Korea in den Fokus der Welt. nicht nur die sportlichen Leistungen standen im Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit, sondern auch die Kunst und Kultur Koreas, die in der Eröffnungs- und Abschlussfeier eindrucksvoll präsentiert wurden. Seitdem ist auch in Deutschland das Interesse an Korea stetig gewachsen.

Zahlreiche kulturelle Veranstaltungen trugen dazu bei, dass nicht nur die rasant wachsende industrielle und wirtschaftliche Bedeutung Koreas im Mittelpunkt des Interesses stand, sondern dass sich die öffentlichkeit auch immer mehr für Koreas Kultur zu interessieren begann.

Auf politischer Ebene war der dreitägige Staatsbesuch von Präsident Kim Dae-jung im März 2000 das herausragende Ereignis während meiner Tätigkeit bei der Botschaft. Bundespräsident Johannes Rau nannte Präsident Kim Dae-jung in seiner Tischrede anlässlich eines Abendessens im Schloss Bellevue den „Vater der koreanischen Demokratie“. Sieben Jahre nach seinem Staatsbesuch kam Kim Dae-jung noch einmal nach Deutschland: Ihm wurde der Freiheitspreis der Freien Universität Berlin verliehen. Er war der Erste, der diese Auszeichnung erhielt.

In den nun mehr als 100 Jahren deutsch-koreanischer Beziehungen – der Grundstein wurde 1883 durch die Unterzeichnung eines Handels- und Freundschaftsvertrags zwischen Korea und Deutschland gelegt – hat Korea eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht: von einem im Westen nahezu unbekannten Land, das im 17. Jahrhundert noch als „Einsiedel-Königreich“ bezeichnet wurde, zu einem Land, das im Blickpunkt des Weltinteresses steht, von einem durch den Koreakrieg (1950 - 53) zerstörten Agrarland zu einer führenden Industrienation.

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sie sind in den achtzierjahren für drei Wochen nach korea gereist. inwiefern war das ‚ alte korea’ im alltagsleben der Menschen noch gegenwär tig?Es fiel auf, dass die Menschen noch sehr in ihrer Tradition verwurzelt waren, was dadurch zum Ausdruck kam, dass traditionelle Feste und Feiern für sie sehr wichtig sind, und dass sie bei diesen Gelegenheiten ihre traditionelle Kleidung, wie beispielsweise den Hanbok [한복], tragen. Zudem konnte man im täglichen Umgang mit Koreanern spüren, dass ihr Leben sehr stark von der durch den Konfuzianismus vorgegebenen hierarchischen Ordnung geprägt ist.

aufgrund ihrer beruflichen tätigkeit waren sie bereits mit korea ver traut. im rahmen ihrer reise haben sie das Land schließlich ‚hautnah‘ erlebt. inwiefern korrespondier ten ihre erwar tungen mit den tatsächlichen Begebenheiten vor or t? Was hat sie am meisten überrascht? Überrascht haben mich im Straßenbild von Seoul die ernsten Mienen der Passanten. Auf meine Frage an unseren Begleiter, wieso man nicht mehr lachende und fröhliche Menschen sähe, meinte dieser, ein lachender Mensch würde den Eindruck vermitteln, dass er seine Arbeit nicht ernst nähme. Auffallend war auch, wie formell die meisten Männer und wie elegant die Frauen gekleidet waren. nach Dienstschluss waren die Koreaner dann wie ausgewechselt. Selten habe ich Menschen getroffen, die so ausgelassen feiern konnten.

Wie gut konnten sie Land und Leute in der kürze der Zeit kennenlernen? hat ihr korea-

aufenthalt ihre sichtweise veränder t? Durch unsere Reise sind mir die Kunst und Kultur Koreas sowie die Sitten und Bräuche des Landes sehr vertraut geworden. Besonders beeindruckt war ich von der engen Beziehung der Koreaner zu ihren Ahnen. Ein einschneidendes Erlebnis war der Besuch von Panmunjom [militärische Siedlung in der Entmilitarisierten Zone zwischen nord- und Südkorea, Anm. d. Red.]. In den 1980er Jahren verband Deutschland und Korea noch das gleiche Schicksal, geteilte Länder zu sein. Mir wurde sehr bewusst, wie viel einschneidender und schmerzhafter die Teilung Koreas im Vergleich zu der Deutschlands war. In Deutschland gab es auch zu Zeiten der DDR zumindest einen regelmäßigen Postverkehr, auch konnten sich die Menschen gegenseitig besuchen.

koreaner und deutsche haben eine sehr unterschiedliche arbeitskultur. können sie einige wesentliche unterschiede skizzieren? Am schwierigsten war wohl damit umzugehen, dass aufgrund des ausgeprägten hierarchischen Denkens der Koreaner ein Gespräch darüber, wie man einen erteilten Auftrag möglicherweise besser erfüllen könnte als vorgegeben, eigentlich nicht möglich war. Auch konnte ich nicht immer nachvollziehen, warum stets alles schnell erledigt werden musste. Das erzeugte eine gewisse Hektik. Auch hat es eine Zeitlang gedauert, bis ich begriff, dass man niemals sagen durfte, dass etwas unmöglich war. Um das auszudrücken, wählte man besser die Formulierung, dass es schwierig werden würde.

sie haben über 20 Jahre für die Botschaft der republik korea gearbeitet. Welche entwicklung konnten sie in Bezug auf eine annäherung der arbeitsweise zwischen deutschen und koreanern feststellen?Im Verlauf meiner Dienstzeit hat sich die hierarchische Denkweise sehr gelockert. Mitarbeiter erhielten mehr und mehr Spielraum bei der Erfüllung bestimmter Aufgaben und konnten eigenverantwortlicher handeln.

Auch wurde das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Angestellten sehr viel herzlicher.

als Pressereferentin waren sie gewiss auch mit negativer Berichterstattung über korea konfrontier t. haben sie als deutsche manchmal ‚ zwischen den stühlen‘ gesessen? Zu Beginn meiner Dienstzeit war chun Doo-hwan Präsident [1980 – 1988]. Während seiner Amtszeit gab es viele Studentenunruhen in Korea, über die natürlich in der deutschen Presse berichtet wurde. Es kam vor, dass ich entgegen der eigenen Überzeugung Presseberichte verschicken musste, in denen diese Berichterstattung kritisiert wurde.

Welches sind die Voraussetzungen, um ein wirkliches Verständnis für eine andere kultur zu entwickeln? Ein wirkliches Verständnis für eine andere Kultur kann man nur entwickeln, wenn man sich eingehend mit der Geschichte eines Landes beschäftigt und sich bemüht, die andere Kultur unter Berücksichtigung ihrer geschichtlichen Ursprünge zu verstehen. Man sollte vorbehaltlos offen für das neue sein, ohne immer Vergleiche mit der eigenen Kultur anzustellen.

Das Interview führte Dr. Stefanie Grote

„Man sollte vorbehaltlos offen für das neue sein“

Interview mit Dr. Ursula Diezemann

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Dr. Ursula Diezemann studierte in Mainz, Madrid, Kairo und New York Germanistik, Spanisch und Anglistik. Sie begleitete ihren Mann, Dr. Eckart Diezemann, weltweit auf verschiede-nen diplomatischen Posten und ver-fasste mit ihm zahlreiche Reiseführer. Zurück in Deutschland arbeitete sie mehr als 20 Jahre für die Presse- und Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea in Bonn und in Berlin.

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p o l i t i S c h e K u lt u r

KoreaS vereiniGunG unD Die entWicKlunGSperSpeKtiven

DeS SozialStaatS iM WahlJahr 2012 – einiGe DeutSche einDrücKe

Von Prof. Dr. Stephan Leibfried1

Am 23. Februar 2012 hielt ich in Seoul auf einer großen, von der hohen Politik besuchten Konferenz über

„Global Korea 2012. Shared Growth: Toward a new Model of capitalism after the crisis“ einen Vortrag über die Entwicklungsperspektiven des Wohlfahrtsstaates in der OEcD. Die Konferenz fand im Hotel Lotte statt, benannt nach der charlotte in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“. Dort wurde mir oft die Frage gestellt: Was kann Südkorea von der deutschen Wiedervereinigung lernen?

Dieses Thema war schon in den Mitt-1990er Jahren aktuell. Aber es gewinnt in Südkorea eine ganz neue Bedeutung in einem Wahljahr, in dem die großen Parteien versprechen, zügig die Sozialstaatsausgaben um ca. 6,6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen und dies oben auf die ca. 8,6% BIP draufzupacken, die Südkorea derzeit für den Sozialstaat ausgibt. Das wäre ein riesiger, ziemlich einmaliger Sprung nach vorn.

Um den objektiven Entwicklungs-spielraum zu verstehen, den Südkorea hier hat, reicht es, auf den OEcD-Durchschnitt von 22,4% BIP Sozialstaatsausgaben zu verweisen

(die letzten OEcD-Daten sind von 2007). Südkorea liegt mit seinen Rahmendaten nah am wirtschaftlichen Mittelfeld der OEcD, nicht aber beim Wohlfahrtsstaat. Einschränkend wirkt, dass Südkorea schon heute 2,9% BIP für privaten sozialen Sicherungsaufwand ausgibt, während es im OEcD-Durchschnitt nur 2,4% sind. Südkorea steht also in Gefahr einer „verdrehten“ Sozialstaatsentwicklung nach Art der USA, die 17,4% BIP öffentlich und massive 10,4% privat aufwenden. Dafür haben die USA heute, vor allem im Gesundheitswesen, nur einen spaltenden Zwei-Drittel-Sozialstaat. Bei all dem haben wir die Bildungsausgaben noch gar nicht beachtet, obwohl im 21. Jahrhundert viel dafür spricht, Bildungs- und Sozialpolitik zusammen zu denken, was ohnehin der koreanischen Tradition entsprechen würde.

Je entwickelter der Sozialstaat, umso fester und massiver werden seine Strukturen sein – und umso wahrscheinlicher ist es, dass man sie im plötzlichen Vereinigungsfall allesamt nolens volens auf nordkorea übertragen muss. Sollte man dann nicht, bei einem so massiven Wachstumsschub, schon heute seinen Wohlfahrtsstaat so ausbauen, dass er

auch „vereinigungsfest“ ist und am Tag X auf den norden erstreckt werden kann? Wie könnte das aussehen?2

Im deutsch-koreanischen Vergleich fallen einige wichtige Unterschiede auf: nordkorea ist von der Fläche her größer als Südkorea, und hat etwa halb so viele Einwohner. Kurzum, eine Vereinigung aus der „Portokasse“ ist dort noch weniger möglich als bei der DDR. Und die Teilung fand in einem Folgekrieg zum Zweiten Weltkrieg statt, der aber vor allem ein Bürgerkrieg war. Das erklärt, warum die soziale und kulturelle Fremdheit zwischen nord- und Südkorea im Vergleich zu der zwischen Ost- und Westdeutschland riesig und nachhaltig ist. Hinzu kommt das Mehr an verflossener Zeit seit der Trennung, das bald keinerlei lebendige Erinnerung an eine Einheit übrig lassen wird.

Das dürfte am Tag X, wenn die Vereinigung gelingen soll, der Sozialintegration einen höheren oder mindestens den gleichen Rang mit der Wirtschaftsintegration zuweisen. Also wird der Vereinigungsfestigkeit des Sozialstaatsausbaus in Südkorea eine zentrale Bedeutung zukommen, die man beim Ausbau des Sozialstaats im Süden schon heute fest im Auge behalten sollte.

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Was könnten denn Leitlinien für einen vereinigungsfesten südkoreanischen Sozialstaat sein? Mir sind folgende aufgefallen:

Grundorientierung1. : Südkoreas Wohlfahrtsstaat ist dadurch gekennzeichnet, dass er weit-gehend Statusgruppen sichert – Militär, Lehrer, Landwirte usf. –, also „partikular“ orientiert ist. Das würde für mindestens eine Generation nicht zu dem kaum industriell und großstädtisch geprägten norden passen. Also, je „universalistischer“, bürgerrechtlicher man den Wohlfahrtsstaat im Süden zuschneidet, je vereinigungsfester wird er sein – und umgekehrt.Mindesteinkommen2. : Südkorea sollte wohl quer durch alle sozialen Sicherungen zusätzlich einen Mindesteinkommensansatz aufbauen und pflegen, sei es nun bei den Renten, bei Familienleistungen, bei Stipendien, bei den Löhnen oder bei der Einkommensfreilassung in den Steuern. Eine soziale Sicherung, die sich vornehmlich an verdientem Einkommen und am äquivalenzprinzip orientiert, wird im norden erst nach mehreren Generationen greifen können, Mindestsicherungen aber sofort. natürlich lässt sich ein solches System nach Lebenshaltungskosten differenzieren.Öffentliche Gesundheitssicherung3. : Hier wäre es wichtig, dass die Sicherung die gesamte Bevölkerung erfasst und nicht nur die Menschen, die durch einen Arbeitsvertrag gesichert sind. Das scheint im Süden durch ein Anknüpfen an den Haushalt schon weitgehend geschafft? Aber 90% der Dienstleistungen werden privat erbracht. Die Privaten werden nur schwer in den norden wandern, sodass schon heute eine langsame nationalisierung angesagt sein dürfte. Auch die Krankenhäuser

sind nur zu 10% öffentlich. Ohne vorbeugende Reform müsste Südkorea Private massiv dafür subventionieren, in den norden zu gehen. Das dürfte extrem teuer werden und wird zudem nicht schnell genug geschehen.Private soziale Sicherung eindämmen4. : Je privater, je voraussetzungsreicher im Sinne von Zahlungsfähigkeit und je immobiler im Blick auf den norden. Die Proportionen von privat zu öffentlich ähneln in Korea schon jetzt denen der USA. Wenn sich das fortsetzt, dürfte die Immobilität am Tag X festgeschrieben sein.Universalisierung des 5. Bildungssystems: Hier lauert wohl die größte Herausforderung, denn in nordkorea fehlt mehreren Generationen die Grundqualifikation für das südkoreanische Industriesystem, und Südkorea hat selbst ein schwieriges Schulsystem, das den Eltern 30% ihres Einkommens für ein ergänzendes privates Unterrichtssystem abverlangt und nicht nach norden exportierbar ist. Vielleicht läge der Ausweg in einer Strategie der Systemkombination? Sie setzt auf eine Art US-High-School-Abschluss und verdrängt so das private Zusatzsystem. Sie bereitet, als Element dieses Abschlusses, auch auf ein Berufsausbildungssystem deutscher Art vor, das für etwa die Hälfte der Schülerschaft einen neuen, von Seiten der Praxis unterstützten Zugang zum Arbeitsmarkt schafft, der nicht über das tertiäre Bildungssystem, sprich die Hochschulen, läuft.„Universellen Wohnungszugang“ 6. ausweiten: Zwar kam dieses Thema im bisherigen Wahlkampf nicht vor. Aber solche Ausgaben gehören wie die Bildungsausgaben zum ostasiatischen Wohlfahrtsstaats-profil, und hier wird Korea am Tag X massiv gefordert sein.

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Prof. Dr. Stephan Leibfried ist Forschungsprofessor an der Universität Bremen (UB) und an der Jacobs University Bremen. Er ist Politikwissenschaftler und leitet an der UB den DFG-Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“ (2003-2014).

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Verglichen mit dem deutschen Sozialstaat und seinen Anfängen in den 1880er Jahren ist der südkoreanische noch jung. Er setzt in den 1970er Jahren ein und entwickelt sich dynamisch seit der Demokratisierung. Stein Ringen, Huck-Ju Kwon, Ilcheong Yi, Tae-kyoon Kim und Jooha Lee haben 2008 die Entwicklung in The Korean State and Social Policy: How South Korea lifted itself from poverty and dictatorship to affluence and democracy (new York: Oxford University Press) geschildert. Sie haben dabei auch auf die politische Umsichtigkeit Südkoreas hingewiesen: „Very early, social policy became an indispensable instrument of rule. In turning their attention to social policy, it was as if the South Korean leaders looked to the more advanced industrial nations, saw there that the welfare state was a core instrument of rule, and said: that too we must have if we are to be an equal partner in the family of modern nations.” (S. 3) (‚Sozialpolitik wurde sehr früh zu einem unverzichtbaren Instrument politischer Herrschaft. Mit der Hinwendung zur Sozialpolitik war es so, als schauten die südkoreanischen Politiker auf die fortgeschritteneren Industrienationen, sahen dort, dass der Wohlfahrtsstaat ein Kernelement der Herrschaft geworden war und sagten sich: das müssen wir auch haben, wenn wir ein gleichberechtigter Partner in der Familie moderner nationen sein wollen.‘ - Übersetzung von SL3). Dementsprechend ist Südkorea auch vertreten in einer weltweiten Sammlung von Sozialstaatssymbolen auf Briefmarken, wie sie jüngst auf einem Sozialstaatshandbuch zu finden war – und zwar mit einer Briefmarke zur Bildungspolitik.

Am Anfang dieser Entwicklung stand in den 1970er Jahren die Entwicklung von Sozialpolitik als Teil einer Entwicklungs-Diktatur. Seit 1987, in der werdenden Demokratie, ist Sozialstaatsaufbau Dauerthema. Und das Jahr 2012 ist speziell, denn es ist von der Parlaments- bis zur Präsidentschaftswahl durch einen „Plus-6,6% Prozent-BIP“-Sozialstaatswahlkampf gekennzeichnet, in dem alle Seiten auf dessen Aufbau setzen. Auch in Deutschland entstand der Sozialstaat unter Bismarck und Wilhelm II in vordemokratischen Zeiten. Er kam erst zur Blüte in den 1950er und 1960er Jahren und wurde in den 1990er Jahren seinem größten Test, der Wiedervereinigung, unterworfen. In Südkorea geschieht das alles – bis auf die Wiedervereinigung – doppelt so schnell. Eine Vogel-Strauß-Politik wird nicht helfen, im Gegenteil.

1 Im nachfolgenden Text auch unter dem Kürzel SL erwähnt (Anm. d. Red.).

2 Das in Seoul spontan vorgetragene Argument ist im ZeS-Report der Universität Bremen (Heft 1, 2012, S. 4-12) ausführlich vorgestellt. Hier konzentriere ich mich auf die Grundzüge.

3 Im Original nicht in deutscher Sprache.

Bucheinband von Francis G. Castles, Stephan Leibfried, Jane Lewis, Herber t Obinger und Christopher Pierson, Hrsg., The Oxford Handbook of the Welfare State, Oxford: Oxford University Press, hardback 2010, paperback 2012, xxx, 876 S. Copy right: Oxford University Press. ISBN 978-0-19-957939-6 (hardback)ISBN 978-0-19-965051-4 (paperback)

Der Bezug der Briefmarken zum Sozial- und Bildungsstaat wird auf den Seiten XXVI-XXX des Handbuchs näher er läuter t. Eine goldene koreanische Briefmarke über den „Tag des Lehrers“ aus dem Jahr 1983 findet sich rechts oberhalb der schwarz-weißen Abbildung des Kopfes von Otto von Bismarck, der in der Mitte der Briefmarkensammlung zu finden ist.

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DOKDO ökosystem im Ostmeer

Von Dr. Stefanie Grote

Im östlichsten Bereich des koreanischen Territoriums befindet sich eine Ansammlung kleiner Inseln und Felsen namens Dokdo, die vor etwa 2,5 bis 4,6 Millionen Jahren durch Vulkanausbrüche unter Wasser aus Lavamassen geformt wurden. Genauer gesagt besteht Dokdo aus den zwei kleinen Inseln Dongdo und Seodo sowie aus etwa 90 Felsen und Riffen.Aufgrund der großen Entfernung zur koreanischen Halbinsel und der vulkanischen natur sind in diesem einzigartigen ökosystem mehr als 1000 Tier- und Pflanzengattungen beheimatet. Mitten im Ostmeer gelegen dient Dokdo unzähligen Zugvögeln als Raststätte auf ihrem langen Flug. Darüber hinaus bevölkern etwa 23.000 Schwarzschwanzmöven die Insel- und Felsenformation, um dort zu brüten und ihren nachwuchs aufzuziehen. Dokdo ist Lebensraum für zahlreiche bedrohte Arten, darunter der Wanderfalke und der Wespenbussard.Die Insel ist mit Ausnahme von Herrn und Frau Kim unbewohnt. Das Ehepaar hat sich bereits vor über 20 Jahren an diesem wenig komfortablen, meist regnerischen, windigen und nebligen Ort niedergelassen. Trotz der Unwirtlichkeit wollen sie bleiben - bis zum letzten Tag.

TourismusDer Zutritt zu diesem Kleinod der natur wurde im Jahr 1982 eingeschränkt, als Dokdo zum naturdenkmal # 336 bestimmt wurde (offizieller Titel: Dokdo natural Preservation Zone/ natürliche Schutzzone Dokdo). Auf Antrag ist heute allerdings zumindest der Zutritt zu Dong-do möglich.

Quellenauswahl:KOREA, People & Culture, July 2012, S. 2-11.http://en.dokdo.go.kr/index.do

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70KULTURKOREA

p o r t r Ät

„Korea iSt nicht nur eine WirtSchaftSMacht, SonDern auch ein lanD Mit einer reichhaltiGen Kultur“

Interview mit Kim Jae-shin, Botschafter der Republik Korea in Deutschland

B o t sc h a f te n h a b e n n i c h t n u r m i t Po l i t i k , so n d e r n a u c h m i t ku l t u r z u t u n . s i e we rd e n s i c h wä h re n d i h re r Z e i t i n d e u t sc h l a n d a l so a u c h m i t ku l t u r bz w. ku l t u ra u s t a u sc h b e sc h ä f t i g e n . Wa s s i n d i h re P r i o r i t ä te n a u f d i e se m G e b i e t ?

Es besteht ein aktiver wirtschaftlicher und politischer Austausch zwischen Korea und Deutschland wie z.B. das Freihandelsabkommen zwischen der Republik Korea und der Europäischen Union zeigt. Obwohl auch der kulturelle Austausch zwischen beiden Ländern voranschreitet, sollte auf diesem Gebiet noch deutlich mehr geschehen. In Korea sind insbesondere die kulturellen Leistungen Deutschlands in Bereichen wie Musik, Literatur und Philosophie wohlbekannt. In Deutschland dagegen ist die koreanische Kultur immer noch ein weitgehend fremdes Terrain. Ich werde mich bemühen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, indem ich die Leistungen Koreas nicht nur auf dem Gebiet der traditionellen koreanischen Kultur, sondern auch auf dem Gebiet der modernen Kultur herausstelle. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, die Gesamtwahrnehmung meines Landes zu erhöhen, indem ich den Akzent darauf setze, dass Korea nicht nur eine Wirtschaftsmacht ist, sondern auch ein Land mit einer reichhaltigen Kultur.

Wä h re n d m a n i n ko re a s c h i l l e r, G o e t h e, he s se u n d hö l d e r l i n l i e s t, so g a r ze i tg e n ö s s i sc h e d e u t sc h e ro m a n e, i s t ko re a n i sc h e

L i te ra t u r t ro t z v i e l e r l e se n s we r te r a u to re n h i e r z u l a n d e we n i g e r ve r b re i te t. We l c h e M ö g l i c h ke i te n se h e n s i e, ko re a n i sc h e r L i te ra t u r i n d e u t sc h l a n d e i n e n p ro m i n e n te re n P l a t z z u ve r l e i h e n ?

Im Jahr 2005 war Korea das Gastland der Frankfurter Buchmesse, und damit erhielt die koreanische Literatur die Gelegenheit, in Deutschland erstmals wirklich einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Um die Wahrnehmung der koreanischen Literatur in Deutschland zu erhöhen, sind aber nicht nur die Anstrengungen koreanischer Schriftsteller und die Qualität der Werke wichtig, sondern auch der Standard der Übersetzer und der Verlage in Deutschland, die koreanische Literatur verlegen.

B o t sc h a f te r s i n d a b e r n i c h t n u r B e a m te u n d d i p l o m a te n , so n d e r n a u c h P r i va t p e r so n e n m i t Bi l d u n g u n d ku l t u re l l e n i n te re s se n . Wa s s i n d d i e ku l t u re l l e n „ G ü te r “ i h re s L a n d e s, d i e s i e p e r sö n l i c h a m m e i s te n sc h ä t ze n u n d d e n e n s i e we i te Ve r b re i t u n g w ü n sc h e n ?

Persönlich wünsche ich mir, dass Koreas Schriftkultur noch bekannter wird. Die weltweit ersten beweglichen Drucklettern aus Metall, die koreanische Alphabetschrift Hangeul, die als eines der wissenschaftlichsten Schriftsysteme der Welt bewertet wird, und andere Errungenschaften sind Teil des kulturellen koreanischen Erbes im Bereich der Schriftkultur, deren sich Korea weltweit rühmen kann. Besonders das „Joseon Wangjo Sillok“

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V.l.n.r.: Dr. Klaus Herlitz, Vorsitzender der Buddy Bär Berlin GmbH; Michael Geier,

Botschafter a.D. und Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft; Jae-shin Kim,

Botschafter der Republik Korea in Deutschland.

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(„Die Annalen aus dem Joseon-Reich“), das in das Verzeichnis des Weltdokumentenerbes der UnEScO aufgenommen wurde, ist ein außergewöhnliches historisches Schriftdokument, das weltweit seinesgleichen sucht.

Wi e i s t i h r Ve r h ä l t n i s z u r L i te ra t u r i h re s L a n d e s ? We r s i n d i h re L i e b l i n g s a u to re n ? Bereits vor meinem offiziellen Amtsantritt war die erste Veranstaltung, die ich nach meiner Ankunft in Deutschland besuchte, die vom Koreanischen Kulturzentrum organisierte Lesung der koreanischen Autorin Shin Kyung-Sook. Ich interessiere mich sehr für Literatur, und ich möchte mich dafür einsetzen, die koreanische Literatur im Ausland noch bekannter zu machen. Als ich „엄마를 부탁해“ („Eomma-reul Butak-hae“) von Shin Kyung-Sook las, das gerade ins Deutsche übersetzt wurde (deutscher Titel: „Als Mutter verschwand“), musste ich an meine eigene Mutter denken, und es kamen mir die Tränen. Die Familie hat für die Koreaner eine besondere Bedeutung, und sie ist immer das wichtigste Thema der koreanischen Literatur. Ich liebe auch „칼의 노래“ („Kal-ui norae“) des Autors Kim Hoon, das ebenfalls in deutscher Übersetzung vorliegt (deutscher Titel: „Schwertgesang“). Sein Werk erzählt die Geschichte Koreas, die vom Eindringen fremder Mächte beeinflusst wurde, in der lebendigen Sprache einer Einzelperson. Wie sich vielleicht bereits aus dem Titel des Werks schließen lässt, wird die menschliche Leidenschaft, die sich unter einem unausweichlichen Schicksal entfaltet, mit einer Schärfe dargestellt, die einem Messer gleicht.

Wo r i n se h e n s i e e i g e n a r t u n d B e so n d e r h e i t d e r L i te ra t u r i h re s L a n d e s ? Ich persönlich meine, dass sich die moderne koreanische Literatur insbesondere dadurch auszeichnet, dass es eine Vielzahl an Werken gibt, die den Widerspruch zwischen alten und neuen Wertvorstellungen, soziale Spannungen

und andere Konflikte thematisieren, die sich durch den schnellen Übergang zu Industrialisierung und Demokratisierung ergeben. Obwohl sich diese Aspekte als eine Besonderheit der modernen koreanischen Geschichte bezeichnen lassen, kann man auch sagen, dass es sich um universelle Belange der Menschheit handelt, die auch Leser in anderen Ländern nachvollziehen können.

We l c h e s We r k a u s l ä n d i sc h e r L i te ra t u r h a t s i e b e e i n f l u s s t ?

Mich hat besonders „Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway beeindruckt. Hier werden auf prägnante Weise die Bemühungen der Menschheit symbolisiert, die naturgewalten zu überwinden, wenn auch diese Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der die Umweltfrage immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist diese Thematik erstaunlich aktuell.

u n d w i e s te h t e s u m d i e d e u t sc h e L i te ra t u r ? Wa s ke n n t u n d sc h ä t z t m a n d a vo n i n ko re a ?

Ich denke, dass die deutsche Literatur ein philosophisches Gewicht hat. In den Arbeiten von Autoren wie Thomas Mann oder Hermann Hesse scheint die spekulative Tendenz der deutschen Literatur besonders gut zum Ausdruck zu kommen. In Korea werden die Werke von klassischen deutschen Dichtern wie Goethe und Schiller bis zu den Arbeiten moderner Schriftsteller wie Günther Grass viel übersetzt und gelesen. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands erhalten auch die Werke junger Autoren Aufmerksamkeit, die sich zum Sprachrohr der Generation der Wiedervereinigung machen. Die deutsche Literatur scheint sich eher durch psychologische Beschreibungen als durch epische Darstellungen hervorzutun.

ha b e n s i e e i n e p e r sö n l i c h e Le se l i s te f ü r i h re M u ße s t u n d e n ?

We l c h e s B u c h l e se n s i e z u r Z e i t ?

Um meine Kenntnisse der älteren deutschen Literatur aufzufrischen, habe ich bereits einige deutsche Klassiker gelesen, darunter „Die Leiden des jungen Werther“, „Demian“ und „Die Räuber“. Bald will ich mir noch einmal den „Faust“ vornehmen. Außerdem möchte ich Schillers „Ode an die Freude“ auswendig lernen, die integraler Teil der 9. Symphonie von Beethoven ist, und irgendwann vor Publikum vortragen. Später werde ich mich mit der moderneren deutschen Literatur befassen.

Die Fragen stellte Anne Schneppen

Übersetzung der Antworten aus dem Koreanischen: Gesine Stoyke

Jae-shin Kim, Botschafter der Republik Korea, wurde am 30. Mai 1957 in Jeonju (Provinz Nord-Jeolla) geboren. Nach dem Studium der Politischen Wissenschaften an der Korea-Universität in Seoul trat er 1980 in den Diplomatischen Dienst seines Landes ein. Seit den achtziger Jahren war Jae-shin Kim als Diplomat in Tokio, Rangun, Washington D.C. und Peking tätig. Von 2008 bis 2010 war er Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten im koreanischen Präsidialamt. Seit September 2012 ist Jae-shin Kim mit seiner Frau Jongmin Lee in Berlin, wo er am 24. September Bundespräsident Gauck sein Beglaubigungsschreiben überreichte. Im Gespräch mit Gauck betonte Kim, dass er sich insbesondere für den koreanisch-deutschen Kulturaustausch einsetzen wolle.

p o r t r Ät

s i e m o d e r i e r e n d e r z e i t d i e s e n d u n g „ t a f f “ b e i P r o 7 . B e k a n n t g e w o r d e n s i n d s i e a l s M o d e r a t o r i n v e r s c h i e d e n e r s e n d u n g e n d e s M u s i k s e n d e r s V i V a . W i e u n d w a n n e n t s t a n d d i e i d e e , i n s s h o w b u s i n e s s e i n z u s t e i g e n ?

Während ich im Jahr 2000 mein Abitur geschrieben habe, kam mir die Idee, mich für ein Moderatorencasting bei VIVA zu bewerben. Damals hatte es leider nicht geklappt, aber dieser Beruf faszinierte mich so sehr, dass ich drangeblieben bin und auch während meines Studiums immer wieder zu castings gegangen bin, und 2004 hatte ich dann meinen Vertrag bei VIVA in der Tasche.

a l s s c h a u s p i e l e r i n h a t t e n s i e i h r d e b ü t 2 0 0 7 i n d e r Z d f - te l e n o v e l a „ W e g e z u m G l ü c k “ u n d i n d e m k i n o f i l m „ M o r d i s t m e i n G e s c h ä f t , L i e b l i n g “. M ö c h t e n s i e a n d i e s e n e i n s t i e g a n k n ü p f e n ?

Ich kann mir sehr gut vorstellen, auch häufiger als Schauspielerin zu arbeiten - auch wenn ich mit ganzem Herzen Moderatorin bin. Es müssten allerdings interessante, nicht klischeebehaftete Rollen sein, die ich spielen wollen würde, und das ist als Künstler/Künstlerin mit migrantischem Hintergrund in Deutschland sehr schwierig zu bekommen.

s i e s i n d a l s h a l b k o r e a n e r i n i n d e u t s c h l a n d g e b o r e n u n d a u f g e w a c h s e n . i n w e l c h e m L a n d s i n d s i e e m o t i o n a l b e h e i m a t e t ? W i e p r ä g e n d s i n d i h r e k o r e a n i s c h e n W u r z e l n f ü r i h r e p e r s ö n l i c h e u n d b e r u f l i c h e e n t w i c k l u n g ?

Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und fühle mich von Kopf bis Fuß deutsch. Ich interessiere mich allerdings sehr für die koreanische Kultur. Meine Familie lebt zum großen Teil in Korea, und ich freue mich sehr, wenn Korea kulturell und wirtschaftlich eine immer größere Rolle in Deutschland spielt. Meine koreanische Mutter hat mich auch typisch „koreanisch“ erzogen. Da spielten Merkmale wie Ehrgeiz, Konsequenz und Leistungsorientierung eine große Rolle, die mich als Mensch sehr geprägt haben. Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Korea

„DeutSchlanD i S t b u n t u n D v i e l fÄ lt i G “

Interview mit der TV-Moderatorin Nela Panghy Lee

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ProSieben-Moderatorin Nela Panghy-Lee

72KULTURKOREA

spielt, drücke ich aber doch Jogi Löw und seinen Jungs die Daumen.

s i e e n g a g i e r e n s i c h a u f v e r s c h i e d e n e n e b e n e n f ü r e i n t o l e r a n t e s M i t e i n a n d e r. B e i s p i e l s w e i s e w u r d e d i e P r o 7 -i n i t i a t i v e z u r e i n f ü h r u n g e i n e s „to l e r a n c e d a y “ i m f e b r u a r l e t z t e n J a h r e s i h r e r s e i t s m i t z w e i c l i p s u n t e r s t ü t z t . G e h t i h r e n g a g e m e n t a u f p e r s ö n l i c h e e r f a h r u n g e n z u r ü c k ?

ProSieben hat mich letztes Jahr gefragt, ob ich Lust hätte, bei dieser Kampagne mitzumachen. Ernsthaften Fremdenhass habe ich zum Glück bisher nicht erlebt, da ich aber am Bodensee in einer kleinen Stadt aufgewachsen bin und es damals dort fast keine Asiaten gab, habe ich mich immer als „Sonderling“ gefühlt. Trotzdem war es meinen Eltern immer sehr wichtig, dass wir uns in die Gemeinschaft integrieren. Wenn mein Bruder oder ich mit „Schlitzauge“ gehänselt wurden, haben wir einfach einen frechen Spruch zurückgegeben. Durch den offenen Umgang damit haben wir viele Freunde gehabt, die uns immer das Gefühl gegeben haben, kein bisschen anders zu sein.

s i e s i n d b e i „ t a f f “ e i n m u l t i k u l t u r e l l e s M o d e r a t i o n s t e a m . s o l l t e d i e M e d i e n b r a n c h e v e r s t ä r k t d a r a u f s e t z e n , u m a u f d i e s e W e i s e f ü r k u l t u r e l l e V i e l f a l t u n d to l e r a n z z u w e r b e n ?

Ich finde es großartig von ProSieben, dass der Sender keine Scheu hat, ein multikulturelles Team on Air zu schicken. Das entspricht eben der gesellschaftlichen Realität. Deutschland ist bunt und vielfältig. Von der Großstadt bis zum Dorf - alles lebt von unterschiedlichen Kulturen, Einflüssen und Bräuchen. nur so bleibt das Leben spannend.

M i t i h r e n f a n s p f l e g e n s i e ü b e r d i e s o z i a l e n n e t z w e r k e e i n e n d e r a r t r e g e n a u s t a u s c h , d a s s s i e s o g a r a l s „t w i t t e r - i k o n e “ g e l t e n . a l s ö f f e n t l i c h e

P e r s o n i s t i h r L e b e n s e h r t r a n s p a r e n t . W e l c h e B e d e u t u n g h a t f ü r s i e P r i v a t s p h ä r e , u n d w i e s c h ü t z e n s i e s i e ?

Ich gebe meinen Fans gerne die Möglichkeit, mit mir auf Twitter und Facebook in Kontakt zu treten. Ich poste Fotos, die mich ungeschminkt in der Maske zeigen. Ich unterhalte mich mit meinen Fans über Fußballspiele und freue mich über Feedback zu meinen Sendungen. Das lässt mein Leben sehr transparent erscheinen. Doch wenn man genau hinschaut, gebe ich kaum private Details preis, denn Privatsphäre ist das Wertvollste, das eine Person des öffentlichen Lebens hat. Dazu gehören eben auch mein Partner, meine Familie und meine engsten Freunde, weil sie mir helfen, die wichtigsten Dinge des Lebens nicht aus den Augen zu verlieren.

k - P o p i s t a n f a n g d e r 1 9 9 0 e r J a h r e i n k o r e a e n t s t a n d e n u n d d u r c h d i e „ k o r e a n i s c h e W e l l e “ / „ h a l l y u “ w e l t w e i t a u f d e m V o r m a r s c h . s i e s e l b s t h a b e n k - P o p h a u t n a h e r l e b t . W a s m a c h t d i e s e M u s i k r i c h t u n g s o e r f o l g r e i c h ? W i r d s i c h d i e s e r t r e n d i h r e r M e i n u n g n a c h f o r t s e t z e n ?

K-Pop ist bunt und macht sofort gute Laune. Die Bands sind heute das, was die Backstreet Boys in den 1990ern waren. Gutaussehende Jungs und Mädels, die von Liebe, Herzschmerz und Party singen und dabei hervorragend tanzen, faszinieren eine ganze Generation von Jugendlichen - und das nicht nur in Asien, sondern weltweit. Ich bin mir sicher, dass wir von der „Koreanischen Welle“ noch viel stärker erfasst werden.

h a b e n s i e e i n e n W u n s c h t r a u m f ü r d i e Z u k u n f t ?

nein, aber ich habe viele kleine Träume. Wenn sich ein paar von diesen erfüllen, bin ich schon zufrieden.

Das Interview führte Dr. Stefanie Grote

Nela Panghy-Lee wurde 1980 im baden-wür ttembergischen Tettnang geboren. Nach dem Abitur studier te s ie zunächst S oziologie, um dann in die Fächer Germanist ik und Journal ist ik zu wechseln. Nach e inem Workshop und ersten Er fahrungen beim Musiksender VIVA st ieg s ie dor t a ls Moderator in e in. Ihr weiterer T V-Weg führ te s ie über KiKa und das ZDF zu ProSieben, wo s ie se it 2009 das Magazin t a f f moder ier t. Im S ommer 2012 übernahm s ie d ie O nl ine -Moderat ion für d ie neue Staffe l Po p s t a r s . Auch als S chauspieler in i st Nela zu sehen, so in d iversen Folgen der ZDF-Telenovela „Wege zum Glück“ oder im Spiel f i lm „Mord ist mein Geschäf t, L iebl ing“. S ie engagier t s ich pr ivat für den B er l iner Verein Kinderschutzengel, der bedür f t igen und sehr kranken Kindern den Krankenhaus-aufenthalt er le ichtern sol l. Nela lebt in München.

73KULTURKOREA

K o r e a i M a l lta G

vorbereitunG

Shiitake-Pilze über nacht in kaltem Wasser einweichen. •Die eingeweichten Pilze durch ein Sieb gießen, kurz abspülen und leicht ausdrücken

Aus den Shiitake-Pilzen die Stiele herausschneiden • und die Pilze in dünne Streifen schneiden

Rindfleisch in dünne Streifen schneiden •

Rindfleischstreifen in eine Marinade aus 3 EL • Sojasauce, 1 TL Sesamöl, 1 TL Zucker und 1 kleinen Knoblauchzehe einlegen

Zwiebeln schälen, in der Mitte durchschneiden und in •dünne Halbringe schneiden

Möhren schälen und in dünne Streifen schneiden•

Paprika getrennt nach Farben in dünne Streifen •schneiden

Frühlingszwiebeln in ca. 3 cm lange Stücke schneiden•

zubereitunG

Das Gemüse jeweils einzeln bei mittlerer Hitze in öl kurz •anbraten und dabei leicht salzen. Das Fleisch in etwas öl braten, bis es durchgegart ist.

nach jedem Bratvorgang die Pfanne gut reinigen, • da sich sonst Farbe und Geschmack der einzelnen Zutaten vermischen.

Die Glasnudeln in reichlich Wasser kochen und wenn •sie al dente sind (Achtung! Die nudeln dürfen nicht zu weich sein), ganz kalt abschrecken.

Eine tiefe Pfanne mit öl erhitzen und die Glasnudeln •darin mit ca. 5 EL Sojasauce und 2 kleinen Knoblauchzehen bei mittlerer Hitze anbraten. Dabei gut umrühren.

Die Glasnudeln mit den angebratenen Zutaten und • dem Fleisch in einer großen Schüssel vorsichtig vermengen. Mit Soja-Sauce, Sesamöl und Zucker abschmecken. Am Ende Sesamkörner untermischen.

tippsVegetarier können statt des Fleisches in Salzwasser gekochte •Shrimps oder nur Gemüse verwenden.Statt Shiitake-Pilzen können auch Morcheln oder Champignons •verwendet werden.

zutaten

•500gkoreanischeGlasnudeln•250gRindfleisch•2mittelgroßeZwiebeln•2mittelgroßeMöhren•jeeinehalbegelbe,grüneundrotePaprikaschote•4StangenFrühlingszwiebeln•5-7(jenachGröße)getrockneteShiitake-Pilze•Speiseöl•koreanischeSojasauce•kleinegepressteKnoblauchzehen•koreanischesSesamöl•gebrateneSesamkörner•Salz•Zucker

Japchae KoreaniScher GlaSnuDelSalat(für ca. 6 Personen)

Von Eun-Young Cho

Im Herbst findet das wichtigste Familienfest der Koreaner statt: Chuseok (추석, Erntedankfest). Ein Gericht, das bei keinem Festmahl fehlen darf, ist Japchae (잡채, Glasnudelsalat).

74KULTURKOREA

Foto

: Oliv

er M

elch

ert

서점에서

K o r e a i M a l lta G

In der Buchhandlung

서울에서 큰 서점이 어디예요? [Seoul-eseo keun seojeom-i eodiyeyo?]Wo gibt es in Seoul eine große Buchhandlung?

교보문고가 크고 유명해요.[Kyobomungo-ga keugo yumyeonghaeyo.]Die Buchhandlung Kyobomungo ist groß und bekannt.

교보문고가 어디에 있어요?[Kyobomungo-ga eodi-e isseoyo?]Wo befindet sich der Kyobomungo?

광화문하고 강남에 있어요.[Gwanghwamun-hago Gangnam-e isseoyo.]Es gibt einen Kyobomungo in Gwanghwamun und in Gangnam.

어떤 책을 사고 싶어요?[Eotteon chaeg-eul sago sipeoyo?]Was für ein Buch möchten Sie kaufen?

소설책을 사고 싶어요.[Soseolchaeg-eul sago sipeoyo.]Ich möchte einen Roman kaufen.

요즘 무슨 책이 베스트셀러예요?[Yojeum museun chaeg-i Bestselleoyeyo?]Welche Bücher sind zurzeit Bestseller?

요즘 무슨 책이 새로 나왔어요?[Yojeum museun chaeg-i saero nawasseoyo?]Welche Bücher sind zurzeit neu erschienen?

교보문고에서 또 뭐 할 수 있어요?[Kyobomungo-eseo tto mwo halsu isseoyo?]Was kann man außerdem im Kyobomungo tun?

음악 cD하고 영화 DVD를 살 수 있어요.[Eumak cD-hago Yeonghwa DVD-reul salsu isseoyo.]Man kann Musik-cDs und Film-DVDs kaufen.

다양한 문구를 살 수 있어요.[Dayanghan mungureul salsu isseoyo.]Man kann verschiedene Schreibwarenartikel kaufen.

선물 가게가 있어요.[Seonmul gage-ga isseoyo.]Es gibt einen Geschenkladen.

커피숍이 있어요.[Keopisyob-i isseoyo.]Es gibt cafés.

인터넷 서점에서도 책을 살 수 있어요.[Inteonet seojeom-eseo-do chaeg-eul salsu isseoyo.]Auch in der Online-Buchhandlung kann man Bücher kaufen.

한국 인터넷 서점 주소 Einige Online-Buchhandlungen in Korea:www.Yes24.com, www.aladin.com, www.kyobook.co.kr

Kleiner Sprachführer

도서 카테고리 [Doseo Kategorie] Buchkategorien

소설 [Soseol] Roman 시 [Si] Gedichte에세이 [Essei] Essay역사 [Yeoksa] Geschichte문화 [Munhwa] Kultur종교 [Jonggyo] Religion철학 [cheolhak] Philosophie정치[Jeongchi] Politik경제 [Gyeongje] Wirtschaft예술 [Yesul] Kunst여행 [Yeohaeng] Reise취미 [chwimi] Hobby요리 [Yori] Kochen잡지 [Japjji] Zeitschrift건강 [Geongang] Gesundheit만화 [Manhwa] comic외국어 [Oegugeo] Fremdsprachen사전 [Sajeon] Wörterbuch자연과학 [Jayeongwahak] naturwissenschaft인문과학 [Inmungwahak] Geisteswissenschaft아동 도서 [Adongdoseo] Kinderbücher청소년 도서 [cheonsonyeon Doseo] Jugendbücher자기계발 [Jagigyebal] Ratgeber

[Seojeom-eseo]

75KULTURKOREA

v e r a n S ta lt u n G e n KoreaniScheS KulturzentruM

SprachKurSe KoreaniSchGrundstufe 1A (1. Quartal: neuer absoluter Anfängerkurs)Dozentin: Frau Paek-Un ChongDonnerstag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 11.10. – 13.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A (Student’s Book + Workbook)

Grundstufe 1A (2. Quartal: Fortsetzungskurs des absoluten Anfängerkurses)Dozentin: Frau Paek-Un ChongMittwoch, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 10.10. – 12.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A (Student’s Book + Workbook)

Grundstufe 1A (3. Quartal: Fortsetzungskurs der Grundstufe 1A des 2. Quartals)Dozentin: Frau Paek-Un ChongMontag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 08.10. – 10.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A (Student’s Book + Workbook)

Grundstufe 1B (1. Quartal)Dozentin: Frau Paek-Un ChongDienstag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 09.10. – 11.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B (Student’s Book + Workbook)

Grundstufe 1B (2. Quartal)Dozentin: Frau Hyunjung KimFreitag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 12.10. – 14.12.12Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B (Student’s Book + Workbook)

Grundstufe 2A (1. Quartal)Dozentin: Frau Hyunjung KimDienstag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 09.10. – 11.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 2A (Student’s Book +Workbook )

Grundstufe 2A (3. Quartal)Dozentin: Frau Hyunjung KimMontag, 17.30 – 20.00 Uhr

Zeit: 08.10. – 10.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 2A (Student’s Book +Workbook)

Grundstufe 2B (3.Quartal)Dozentin: Frau Hyunjung KimDonnerstag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 11.10. – 13.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 2B (Student’s Book +Workbook)

Mittelstufe 3B (3. Quartal)Dozentin: Frau Paek-Un ChongFreitag, 17.30 – 20.00 UhrZeit: 12.10. – 14.12.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 3B (Student’s Book + Workbook)

SonDerKurS : Koreanische Grammatik Dozentin: Frau Hyunjung KimMittwoch, 17.30 – 19.10 Uhr (inkl. 10 Min. Pause)Zeit: 10.10. – 12.12.12

Zielsetzung:Dieser Sonderkurs vermittelt eine Übersicht der koreanischen Grammatik für die Koreanisch-lerner, die bereits die Fertigkeiten Sprechen, Hören und Verstehen im Koreanischen gut beherrschen, aber keine fundierten Kenntnisse der koreanischen Grammatik haben.Voraussetzung:- Kaum sprachliche Schwierigkeiten im Alltag - Die grundlegende Kommunikation im persönlichen Umfeld ist möglich.Zielgruppe:- Koreanischlernende der zweiten Generation hier lebender koreanischer Familien- Koreanischlernende aus koreanisch-deutschen Familien- Koreanischlernende, die Sprechen, Hören und Verstehen gut beherrschen, aber keine fundierten Kenntnisse der koreanischen Grammatik haben

Der Schwerpunkt dieses Kurses liegt im Bereich der Grammatik, damit die Lernenden grammatikalisch korrekt sprechen und Sätze richtig bilden.

Die Kursgruppe besteht aus maximal 6 Teilnehmern (Mindestteilnehmerzahl: 4).Die Lehrmaterialien werden im Kurs von der Kursleiterin verteilt.Dieser Kurs wird komplett auf Koreanisch gehalten.Kursdauer: 10 Termine mit jeweils 2 Lerneinheiten à 45 min. Kursgebühr: 30 Euro Anmeldung und Beratung:Vor der Anmeldung für diesen Kurs ist eine persönliche Beratung erforderlich.Am Ende der Beratung kann man sich direkt für den Kurs anmelden.

Gebühr für alle Sprachkurse (außer Sonderkurs): 40,00 Euro pro QuartalUnterrichtssprache: Koreanisch/ Deutsch (bis auf den Sonderkurs)Die Anmeldung direkt bei den Kursleiterinnen per E-Mail vor Kursbeginn (außer Sonderkurs). Die Kursgebühr zahlen Sie bitte am ersten Kurstag in bar direkt an die Kursleiterinnen. Die Lehrbücher können die Kursteilnehmer bei www.seoulselection.com erwerben.Weitere Informationen zu den Kursen erfragen Sie bitte per E-Mail bei Frau Kim (hj_kim@web.de) bzw. bei Frau Chong (paekun@gmx.de).

KalliGrafie-KurSDozent: Zen-Meister Byong Oh SunnimMittwoch, 10.00 – 12.00 UhrMittwoch, 18.00 – 20.00 Uhr

Kursgebühr: 30,00 Euro pro Monat; bei Teilnehmern, die sich für eine dreimonatige Teilnahme am Kurs entscheiden, reduziert sich die Kursgebühr für drei Monate auf 80,00 Euro. Unterrichtssprache: Koreanisch/ DeutschEin Einstieg in den Kurs ist jederzeit möglich.

GaYaGeuM (zwölfsaitige Zither)

Dozentin: Frau Jee Yeon KimZeit: 08.10. – 12.12.12Anfänger: Mi., 16.00 – 17.30 UhrMittelstufe: Mo., 17.00 – 18.30 UhrKursgebühr: 30,00 Euro für zehn SitzungenUnterrichtssprache: Koreanisch

DanSo (kleine Bambusflöte) undDaeGeuM (große Bambusflöte)

Dozent: Herr Hong YooZeit: 16.10. – 18.12.12Danso: Di., 18.00 – 19.30 UhrDaegeum: Di., 19.30 – 21.00 Uhr

Kursgebühr: 30,00 Euro pro QuartalDie Instrumente können im Koreanischen Kulturzentrum käuflich erworben werden.Danso: 5,00 Euro (aus Kunststoff )Daegeum: ca. 15,00 EuroUnterrichtssprache: Koreanisch/ Englisch

KoreaniScheS YoGaDozentin: Seohee JangMittwoch: 18.00 – 19.00 Uhr, Figur 19.10 – 20.10 Uhr, Yin/YangSamstag: 11.00 - 12.00 Uhr, Balance 12.10 – 13.10 Uhr, Figur

Programm1. Balance-Yoga: Ausbalancierung des Körpers/ für jeden geeignet2. Figur-Yoga: figurformend/ Stärkung der Muskulatur 3. Yin/Yang-Yoga: Tai Chi mit Yoga-Elementen

Kursgebühr 1 Monat 3 Monate1x/ Woche EUR 20,00 EUR 50,00 2x/ Woche EUR 30,00 EUR 70,00 3x/ Woche EUR 40,00 EUR 90,00

*Der Einstieg in alle Kurse ist jederzeit möglich.Mitzubringen: eine Yogamatte und bequeme KleidungKontakt: Tel. 030/7680-4759 (Seohee Jang)

KurSeVeranstaltungsort für alle Kurse: Koreanisches KulturzentrumLeipziger Platz 3, 10117 Berlin, Kontakt: Tel. 030/ 269 52-0

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a u S S t e l l u n G e n

12. OKTOBERhangeul-KalligrafieGruppenausstellung aus Korea - KalligrafieVernissage: Freitag, 12.10.12, 18.00 UhrAusstellungsdauer: 12.10. – 06.11.12Ort: 1. OG, Koreanisches KulturzentrumKalligrafie-Wettbewerb: 12.10.12

18. OKTOBERPapierkunsthandwerkJong-Guk leeEinzelausstellung – PapierkunsthandwerkVernissage: Donnerstag, 18.10.12, 18.00 UhrAusstellungsdauer: 18.10 – 28.12.12Ort: EG, Koreanisches KulturzentrumWorkshop: 19. und 22.10.12

Workshop Jong-Guk leeVortrag: Herstellungsprozess des traditionellen Hanji (traditionelles koreanisches Papier)/ Leben in einem koreanischen Bergdorf und dessen Ambiente Eigene Anfertigung von traditionellem Kunsthandwerk aus Hanji Workshop Erwachsene: 1) Anfertigung eines Fächers und Bemalen mit einem Motiv2) Anfertigung einer Laterne und Bemalen mit einem MotivZeit: 19.10.12, 10-12 Uhr (Fächer) oder 14-16 Uhr (Laterne)Kursgebühr: 25 Euro Workshop Kinder: 1) Der Schwerpunkt liegt auf dem Papierschöpfen (Fasern aus Maulbeerbaumpapier) und der Herstellung einer Brosche Zeit: 22.10.12, 10-12 Uhr oder 14-16 Uhr Keine KursgebührTeilnehmerzahl pro Workshop: 20 PersonenBewerbung unter ausstellung@kulturkorea.org (Bitte als Betreff „Workshop für Papierhandwerk“ angeben)

Bewerbungsfrist: bis 17.10.12

14. DEZEMBERKoreanische Künstler aus frankreichAustauschausstellung – MalereiVernissage: Freitag, 14.12.12, 18.00 UhrAusstellungsdauer: 15.12.12 – 05.01.13Ort: 1. OG, Koreanisches Kulturzentrum

K o n z e r t e

11. OKTOBERWürde und Ekstase - Musik der Könige und Schamanen aus dem Alten Koreanational Gugak center KoreaZeit: 20.00 UhrOrt: Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Str.1, 10785 BerlinKontakt: Tel. 030/ 245 88-999Veranstalter: Koreanisches KulturzentrumEintritt frei, Anmeldung erforderlich unter konzert@kulturkorea.org

17. OKTOBERasian art ensemble „Verstreute Melodien“17.30 – 18.30 Uhr, Workshop für Gayageum, Daegeum, Sanjo und Sinawi19.00 – 20.30 Uhr, KonzertOrt: Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 BerlinKontakt: Tel. 030/ 200 57-0 / -100

K i n o

8. OKTOBERAus der Filmreihe „16 mm der Erinnerung“angae Gidung (안개기둥, A Pillar of Mist)Republik Korea 1987, Regie: Park Chul-sooDrama über ein verheiratetes Paar (Auszeichnung als bester Film bei den Grand Bell Awards)Zeit: 19.30 UhrOrt: Koreanisches Kulturzentrum

02. – 24. nOVEMBERRetrospektive des Filmregisseurs hong Sang-soo13 Filme Ort: Kino Arsenal, Institut für Film und Videokunst e.V., Potsdamer Str. 2, 10785 BerlinKontakt: Tel. 030/ 26955-100, www.arsenal-berlin.de

v e r a n S ta lt u n G e n KoreaniScheS KulturzentruMFo

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12.OKTOBER10.30 - 14.00 Uhrpreisverleihung und vernissage: 18.00 UhrWettwerbsinhalt: Kalligrafie in der koreanischen Alphabetschrift HangeulGröße der Werke: 30x80cm (Reispapier wird vom Koreanischen Kulturzentrum zur Verfügung gestellt)Mitzubringen: Pinsel, Tusche, Tuschreibestein, Papiergewicht, Schreibunterlage, Übungspapier (falls vorhanden), Personalausweis bewerbungsfrist: bis zum 11.10.12 (die Teilnahme am Wettwerb ist kostenlos)Motive: Aus den folgenden Sätzen können die Teilnehmer frei auswählen.

1. 아름다운 우리 한글 (Unser schönes Hangeul).2. 아름다운 우리 섬 독도 (Unsere schöne Insel Dokdo).3. 세계를 향하여 나아가는 한국문화 (Die koreanische Kultur, die in die Welt hinausgeht). 4. 꽃의 향기는 천년을 가고 사람의 덕은 만년을 지닌다 (Der Duft einer Blume hält tausend Jahre an, die Tugend eines Menschen zehntausend Jahre).5. 뿌리깊은 나무는 바람에 넘어지지 않은다 (Ein Baum mit tiefen Wurzeln lässt sich nicht vom Wind fällen). 6. 한독교류 백삼십주년 기념 세종한글 (In Gedenken an den 130. Jahrestag der Aufnahme der koreanisch-deutschen diplomatischen Beziehungen - das koreanische Alphabet Hangeul von König Sejong).

preise: Großer Preis (1. Preis, „Preis des Leiters des Koreanischen Kulturzentrums“): 1 PersonHöchster Exzellenzpreis („Preis des Vorsitzenden der Koreanischen Kalligrafievereinigung“): 2 PersonenExzellenzpreis: 3 PersonenFörderpreis: 4 Personen

Bewerbung:Koreanisches KulturzentrumKulturabteilung der Botschaft der Republik KoreaLeipziger Platz 310117 BerlinTel.: 030/ 269 52-0Fax: 030/ 269 52-134E-Mail: mail@kulturkorea.orgwww.kulturkorea.de

Im Falle der Bewerbung per E-Mail bitte als Betreff „Teilnahme am Kalligrafie-Wettwerb” angeben.

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„erSteS auftreten Der KoreaniSchen Welle in Der literatur“ Die Lesung der koreanischen Autorin Kyoung-Sook Shin in Berlin

Von Y.C. Yuna Cho

„한류“ (Hallyu), die Koreanische Welle1, erreicht nun auch durch die Literatur Resonanz in der Welt: „엄마를 부탁해“ („Eomma-reul Butak-hae“), der Roman von Kyoung-Sook Shin, sicherte sich in der englischen Übersetzung einen Platz auf vielen Bestsellerlisten, und am 10. September erschien nun auch die deutsche Fassung auf dem Markt (deutscher Titel: „Als Mutter verschwand“). Shin kam pünktlich am 9. September in Berlin an, um am internationalen literaturfestival berlin teilzunehmen und ihr Buch vorzustellen. Das Koreanische Kulturzentrum lud zur besonderen Autoren-Lesung mit Gespräch am 12. September ein.

„Wenn der Leser beim ersten Satz („Es ist schon eine Woche her, seit Mama verlorengegangen ist.“) an seine Mutter denkt, bin ich schon glücklich“, sagt Shin in der Lesung. Sie wünscht sich, dass die Leser das Buch eventuell zum Anlass nehmen werden, über ihre eigene Mutter nachzudenken. Denn jede Mutter dieser Welt wurde nicht als Mutter geboren, sondern wuchs in diese Aufgabe hinein.

Ob der Roman autobiografisch sei, lautet eine Frage aus dem Publikum. Schließlich ist Shin eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Koreas, und ihre Mutter lebt auch auf dem Lande, wie in dem Roman. Dort ist eine der Protagonistinnen eine Schriftstellerin, die Mutter kann jedoch nicht lesen. „natürlich schreibt man vieles, was man selbst erlebt hat, in seine Werke.

Meine Romane sind in der Hinsicht prädestiniert, alles von mir zu beinhalten. Aber auch die ungeordneten Ereignisse der Gesellschaft, Gedankengänge. Alle Romane sind sozusagen ,meine’ Geschichten, aber gleichzeitig auch die meiner Mitmenschen in der Gesellschaft“, antwortet Shin.

„엄마를 부탁해“: der Titel des Originals lautet „Pass auf Mama auf“ und beschreibt die Geschichte einer Familie, die sich im Epilog in eine Art religiösen Dialog mit einer höheren Instanz verwandelt. Shin erklärt dazu: „Ich wollte mich mit der Symbolik der Mutter als wunderbares Wesen auseinandersetzen und ihr Zeit und Raum als Mutter an sich geben. Meine Mutter war für mich die vertrauteste Person in meinem Leben, aber zugleich merkte ich beim Schreiben auch, dass der Umgang mit ihr auch schwierig für mich war.“ Deswegen der Hilferuf an eine höhere Macht, denn wem sonst will man seine eigene Mutter anvertrauen, wenn man selbst nicht mehr in der Lage dazu ist?

Als ein weiterer Gast fragt, ob die Mutter wiedergefunden wird oder zurückkehrt, antwortet Shin: „Ich glaube, dass wir heutzutage daran arbeiten müssen, die zwischenmenschlichen Beziehungen untereinander aufrechtzuerhalten. Uns gegenseitig ,bemuttern‘ sozusagen, und dies gesellschaftlich zu verbreiten. So kehrt auch die Mutter aus dem Roman zu uns ,zurück’.“

30 Jahre hat Shin gebraucht, um diesen Roman zu schreiben. Die Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, ein Werk für alle Mütter dieser Welt zu schreiben, war zu groß. Man darf nun gespannt sein, ob sich die deutschsprachige Leserschaft von dem Roman genauso begeistern lässt wie die Leser anderorts in der Welt und von der „Koreanischen Welle“ mitgerissen wird.

„Als Mutter verschwand“ Erschienen am 10.09.2012 im Piper VerlagGebundene Ausgabe19,90 EURISBn: 978-3-492-05510-9

1 Weltweit zunehmende Beliebtheit der modernen koreanischen Populärkultur (vor allem Popmusik, Fernsehserien und Filme) im 21. Jahrhundert, (Anm. d. Red.).

V.l.n.r.: Gesandter-Botschaftsrat Jong Seok Yun (Leiter des Koreanischen Kulturzentrums), Anja Kellner (Koreanisches Kulturzentrum), Kyoung-Sook Shin, Y.C. Yuna Cho (Dolmetscherin), Prof. Dr. Eun-Jeung Lee

(Koreastudien, FU Berlin)

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Y.C. Yuna Cho, BB.A., M.A. ist Doktorandin der Neueren Deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, Dolmet-scherin und Übersetzerin, Radio- und Fernsehmoderatorin für einen Berliner Sender, Kuratorin für Kunstausstellungen, Social Media Beraterin, Veranstaltungs-managerin und Gründerin des Berliner Interview-Magazins stylistberlin.de. Darüber hinaus arbeitet sie ehrenamtlich im Presse- und Öffentlichkeitsbereich für verschiedene internationale Institutionen.

Regelmäßigen Besuchern des Koreanischen Kulturzentrums wird vielleicht schon eine neuerung im Eingangsbereich aufgefallen sein: Ab nun steht dort ein Buddy Bear1, der das Land Korea repräsentiert.

Gestaltet wurde er von Junggeun Oh, einem seit 2004 in Berlin lebenden koreanischen Künstler, der bereits Erfahrung mit der Arbeit an Buddy Bears gesammelt hat: 2006 wurde er von der Stadt Wiesbaden eingeladen, einen Bären für ein Projekt in den Rhein-Main-Hallen zu entwerfen. Während er die Arbeit damals als sehr angenehm empfand, sei sie ihm dieses Mal sehr schwergefallen, „weil der Bär draußen vorm Koreanischen Kulturzentrum stehen sollte. Ich habe mich gefragt, wie ich diese Aufgabe bestmöglich umsetzen

kann, denn es ging ja nicht lediglich darum, eine beliebige Skulptur zu schaffen, sondern ein Symbol für die Beziehung zwischen Korea und Deutschland.” Ursprünglich dachte er daran, den gesamten Bären in Rot zu tauchen und im Stil seiner Werkserie „Zwischenräume”2 die Himmelsausschnitte nachzuzeichnen, die zwischen dem Koreanischen Kulturzentrum und seinen nachbargebäuden entstehen. Diesen Einfall verwarf er allerdings bald wieder, denn „wenn man diesen roten Bär sieht, denkt man, das sei das chinesische Kulturzentrum”, erklärt er lachend. Es dauerte eine Woche, bis er die entscheidende Idee hatte und mit der Umsetzung beginnen konnte.

Zur Vorbereitung bedeckte er den Bären vollständig mit einem großen Stofftuch, das er mit einem dünnen Seil umwickelte, und fotografierte das Ergebnis ab. Dann übertrug er die Vorlage mit einem conté-Stift auf die Skulptur. Er ließ nur die Füße frei, die er mit Acrylfarbe blau und rot kolorierte -in den Farben von Eum und Yang (음양, „Yin und Yang“), wie man sie im Zentrum der koreanischen nationalflagge findet. Zur Zeit des Gesprächs hatte Junggeun Oh den letzten Schritt seiner Arbeit noch nicht abgeschlossen: auf der Brust der Statue einen koreanischen Briefstempel aufzuzeichnen, der suggerieren soll, dass es sich bei dem Buddy Bear um ein überdimensioniertes, in Packpapier eingewickeltes Paket handelt, das von Korea nach Berlin geschickt wurde. nur der rote und der blaue Fuß lassen erahnen, wie der eigentliche Bär unter der Verpackung wohl aussehen könnte.

Während der Stil von Junggeun Oh oft sehr abstrakt und minimalistisch ist, hat er dieses Mal - abgesehen von den Füßen des Bären - eine sehr gegenständliche Darstellungsweise gewählt. Er sagt, dass zwar nicht der Gedanke dahinter, aber der Stil seines Werks ein wenig an christo erinnere. So hat der Buddy Bear einen sehr schönen Bezugspunkt zur Stadt Berlin, in der bis heute die Verhüllung des Reichstags durch den berühmten Künstler nicht vergessen ist.

Junggeun Oh hat seine Arbeit auf Koreanisch „발견” („Balgyeon”, Entdecken), auf Deutsch „Ent.deckung” und auf Englisch „Dis.covery” getauft. Er erläutert seine Idee hinter der namensgebung: „Das koreanische Wort ,발견’ bedeutet eigentlich, etwas neues, Unbekanntes zu finden. Meine Idee ist es aber, dass man etwas bereits Vorhandenes

Korea ent.DecKenVon Gesine Stoyke

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Der Buddy Bear vor seiner Fertigstellung im Atelier des Künstlers

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Von Dr. Uta Werlich

für sich selbst erschließen soll - ganz ohne Vorurteile. Das ,deckung’ und das ,covery’ stehen für die Vorstellungen und Ideen, die wir von einem bestimmten Gegenstand haben, das ,Ent.’ und das ,Dis.’ für die Befreiung von vorgefertigten Meinungen.” In diesem Sinne sollen sich die Menschen, die Korea oder Deutschland kennen lernen wollen, von allem befreien, das sie bereits über das jeweilige Land zu wissen glauben und sich auf ein unmittelbares Erleben einlassen, das frei von Vorurteilen ist. „Wenn Koreaner über Deutschland sprechen, wollen sie es manchmal aus der Perspektive des Ersten oder Zweiten Weltkriegs bewerten. Umgekehrt wird Korea von Außenstehenden oft aus Sicht des nord-Süd-Konflikts, des Koreakriegs oder der Zeit beurteilt, als Korea eines der ärmsten Länder der Welt war. Meiner Meinung nach haben sich Korea und Deutschland heute völlig gewandelt. Die Botschaft meiner Arbeit ist es, dass die Menschen beiden Ländern vorurteilsfrei begegnen und neugier für sie entwickeln sollten - das ist ein aktiver Prozess”, erklärt Junggeun Oh. Der Leipziger Platz ist ein sehr geschichtsträchtiger Ort, denn durch ihn verlief die innerdeutsche Grenze, an die heute noch eine schmale Linie aus Pflastersteinen auf der Rasenfläche vor dem Koreanischen Kulturzentrum erinnert. Zur Zeit der deutschen Teilung war der Leipziger Platz ein unbebautes niemandsland, aber heute ist er ein Symbol für die Wiedervereinigung. Deshalb gibt es vielleicht keinen besseren Standort für den koreanischen Buddy Bear und für das Koreanische Kulturzentrum, um darauf aufmerksam zu machen, dass Korea immer noch ein geteiltes Land ist. Von den acht Millionen Besuchern, die jährlich das Sony-center am Potsdamer Platz besuchen, der nur 0,4 km Luftlinie entfernt liegt, werden hoffentlich auch viele ihren Weg zum Leipziger Platz finden, um das Land Korea auf ihre ganz persönliche Art und Weise zu entdecken.

1 Der Buddy Bear ist eine Bärenskulptur, die 2001 als Wahrzeichen der Stadt Berlin entwickelt wurde und heute überall im öffentlichen Raum der deutschen Hauptstadt zu finden ist.

2 Bei seiner Werkreihe „Zwischenräume“, hat Junggeun Oh die Formen, die die Außenlinien bekannter Berliner Gebäude wie das Brandenburger Tor in den Himmel zeichnen, als minimalisierte und abstrakte Formen dargestellt. Die Serie ist in Rot und Schwarz gehalten.

Space4 unter Verwendung des Motivs „Tiger und Elster “, Joseon-Reich (1392-1911), Ende 19./Anfang 20. Jh.

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die folgenden Museen haben objekte aus ihren sammlungen für die ausstellung zur Ver fügung gestellt:

Museum für Asiatische Kunst (Staatliche Museen zu •Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz)Ethnologisches Museum (Staatliche Museen zu Berlin, •Stiftung Preußischer Kulturbesitz)Museum für Angewandte Kunst Frankfurt•Museum für Ostasiatische Kunst Köln•Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig•Museum für Völkerkunde Hamburg•Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg•Gutenberg-Museum Mainz•Linden-Museum Stuttgart•Missionsmuseum St. Ottilien•

Wenn am 12. Oktober die Ausstellung „Entdeckung Korea! Schätze aus deutschen Museen“ im Linden-Museum Stuttgart eröffnet wird, geht ein dreijähriges Projekt seinem Ende entgegen. Zehn deutsche Museen hatten sich im Herbst 2009 auf eine gezielte Anfrage des Berliner Büros der Korea Foundation hin bereit erklärt, Objekte aus ihren Koreasammlungen für eine gemeinsame Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Erstmals sollte ein repräsentativer Querschnitt der noch wenig bekannten Sammlungen einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.

Für rund 100 ausgewählte Exponate begann im Frühjahr 2010 eine zweijährige Ausstellungstournee. Keramiken, wertvolle Lackarbeiten und Malereien machten Station im Museum für Ostasiatische Kunst Köln, im Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig und im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt/M. Vom 13. Oktober 2012 bis zum 13. Januar 2013 zeigt nun auch das Linden-Museum Stuttgart als abschließender Ausstellungsort die hochkarätige Auswahl koreanischen Kunstschaffens.

Koreainteressierten sei bereits an dieser Stelle ein Besuch der Stuttgarter Ausstellung ans Herz gelegt, auch wenn sie „Entdeckung Korea!“ bereits in Köln, Leipzig oder Frankfurt gesehen haben. Das Anliegen, die Objekte in jedem der vier ausstellenden Häuser aus einer eigenen Perspektive und mit unterschiedlichen Präsentationsansätzen zu zeigen, bildete von Anfang an eine Besonderheit des Projektes. So wurden in Köln und Frankfurt die Exponate aus der Blickrichtung des Kunsthistorikers inszeniert, in beiden Häusern durch Arbeiten zeitgenössischer koreanischer Künstler ergänzt. Das Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig hatte sich zum Ziel gesetzt, den größeren kulturhistorischen Kontext der Objekte zu vermitteln.

In Stuttgart laden wir den Besucher ein, sich mit uns auf eine Reise in die koreanische Vergangenheit zu begeben und ein Land zu entdecken, dessen Kultur und Geschichte ebenso facettenreich wie beeindruckend sind. In zurückhaltenden Porzellanen aus der Joseon-Zeit (1392 - 1910) äußert sich der strenge Geist des Konfuzianismus; in bunten Genremalereien erscheinen Alltagssituationen aus dem Korea der Jahrhundertwende. Elegante Seladone der Goryeo-Zeit (918 - 1392) vermitteln einen Eindruck von der exklusiven Lebenswelt einer privilegierten Oberschicht, und Gefäßkeramiken aus dem Vereinigten Silla-Reich (668 - 935) und den Drei Königreichen (57 v. chr. - 668 n. chr.) zeugen vom Einfluss des Buddhismus, aber auch älterer, mit dem Schamanismus in Verbindung stehender geistiger Überzeugungen. Informative Texte vermitteln dem Ausstellungsbesucher die komplexen inhaltlichen Zusammenhänge. Film- und Audiostationen bieten zudem die Möglichkeit, in einzelnen Bereichen tiefere, bis in die Gegenwart reichende Einblicke in die koreanische Kultur zu gewinnen. Für Kinder ist ein kostenloses Begleitheft erhältlich, das sie spielerisch durch die Ausstellung führt.

In einem Exkurs wird die Stuttgarter Ausstellung zudem das Augenmerk auf die frühen deutsch-koreanischen Begegnungen lenken. Erstmals gezeigt werden historische Fotografien aus Korea, die Teil der umfassenden Sammlung des Linden-Museums sind. Studiofotografien und Aufnahmen ambitionierter Amateurfotografen, die aus konservatorischen Gründen nur als Reproduktionen gezeigt werden können, vermitteln einen Eindruck von der fremden Lebenswelt, auf die frühe deutsche Koreareisende im ausklingenden 19. Jahrhundert trafen.

Während die Ausstellung „Entdeckung Korea!“ sich vor allem dem „alten“ Korea widmet, richten Thementage und –wochenenden, die begleitend

zur Stuttgarter Ausstellung konzipiert wurden, den Blick auf das moderne Korea. In einzelnen Vorträgen wird die Situation koreanischer MigrantInnen in Deutschland angesprochen, ebenso wie die Frage nach möglichen Perspektiven für die geteilte Halbinsel. „Ein Fest für Kinder“, das gemeinsam mit der Koreanischen Schule Stuttgart durchgeführt wird, lädt am 16. Dezember 2012 vor allem junge Besucher zur Begegnung mit der koreanischen Kultur ein.

„Entdeckung Korea“, ein Ausstellungsprojekt, das in enger Kooperation und mit Unterstützung der Korea Foundation realisiert werden konnte, bietet eine Fülle von Möglichkeiten, Korea zu entdecken und sich einem faszinierenden Land aus unterschiedlichen Richtungen anzunähern. Das Linden-Museum Stuttgart freut sich auf Ihren Besuch!

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Dr. Uta Werlich ist Leiterin des Ostasien-Referats und Kuratorin der Ausstellung „Entdeckung Korea!“ im Linden-Museum Stuttgart.

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Am 16. September 2012 ging die 13. dOcUMEnTA in Kassel zu Ende. Über 300 Künstler nahmen teil, und mit den Arbeiten von Haegue Yang und dem Künstlerduo Kyungwon Moon & Joonho Jeon waren auch zwei Projekte aus Südkorea präsent.

Haegue Yang zeigte in einer alten Lagerhalle am Kasseler Hauptbahnhof, der inzwischen nur noch als Regionalbahnhof genutzt wird, eine Installation mit maßgeschneiderten Jalousien, die sich wie von Geisterhand in Bewegung setzten, um dann wieder stillzustehen, denn „Mobilität und Fluidität im konzeptuellen eher denn im wörtlichen Sinne bilden entscheidende Momente ihrer Arbeiten (…), die in einem ständigen Prozess der Verwandlung sind, sich falten und entfalten und eine feste Basis – im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne – meiden.“1 Bereits seit der Werksreihe „Series of Vulnerable Arrangements - Version Utrecht” (2006) tauchen immer wieder Jalousien in den Arbeiten der südkoreanischen Künstlerin auf, die dank ihrer halbdurchlässigen Struktur Grenzen ziehen und Räume für - manchmal sichtbare, manchmal verborgene - narrative Elemente schaffen. Yangs Installation wurde auch vom Standort inspiriert: Die motorbetriebenen Jalousien sind sowohl eine Anspielung auf die mechanischen Bewegungen

der Züge, die früher an dem jetzt verwaisten Bahnsteig in der Lagerhalle Halt machten, als auch auf die industrielle Vergangenheit der Stadt Kassel, die einmal von Schwerindustrie geprägt war. Im Untergeschoss der an der Karlsaue gelegenen documenta-Halle war das Gemeinschaftsprojekt „news from nowhere“ (2012) von Kyungwon Moon & Joonho Jeon zu sehen. Inspiriert vom gleichnamigen Roman von William Morris aus dem Jahr 1890 schufen die beiden Künstler/innen ein in der Zukunft liegendes, postapokalyptisches Szenario, in dem die wenigen überlebenden Menschen retrospektiv über die Funktion von Kunst im Jahr 2012 nachdenken. Ziel des Werks war es nicht, eine Vision der Zukunft zu entwerfen, sondern die Gegenwart einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Das Projekt wurde in Form eines Films, einer Installation und einer Buchveröffentlichung umgesetzt. Im Mittelpunkt des auf zwei Großleinwänden parallel laufenden Films „El fin del mundo“ (Drehbuch und Regie: Moon und Jeon) stand der Dialog zweier überlebender Künstler in der postapokalyptischen Welt, die sich der Aufgabe stellen, den Begriff von ästhetik unter den veränderten Umständen neu zu definieren. Die Installation „Voice of Metanoia“ (2011-2012) präsentierte die Lifestyle-Produkte eines fiktiven internationalen

Konzerns, der das gesellschaftliche Leben der Menschen nach der Apokalypse beherrscht, und das von Moon und Jeon neu gestaltete Buch „news from nowhere“ befasste sich mit der Frage, was die Zukunft heutigen Menschen in einer sich rapide wandelnden Welt zu bieten hat.

Künstler/innen:Die 1971 in Seoul geborene Künstlerin Haegue Yang pendelt zwischen Berlin und Seoul. Sie hatte Einzelausstellungen in Deutschland, Großbritannien, den USA und Korea und beteiligte sich 2006 an der Bienal de Sao Paulo und 2009 als Vertreterin Koreas an der Venedig Biennale. Kyungwon Moon und Joonho Jeon wurden beide 1969 in Südkorea geboren und leben in Seoul. neben diversen Einzelausstellungen nahmen sie gemeinsam an der Gwangju Biennale (2012), der Moskau Biennale (2010) und an der Biennial of Graphic Arts Ljubljana (2010) teil.

Quellen: dOCUMENTA (13). Das Begleitbuch/ The Guidebook. Katalog. Ostfildern: Hatje Cantz 2012. http://www3.documenta.de/de/

1 dOCUMENTA (13). Das Begleitbuch/ The Guidebook. Katalog. Ostfildern: Hatje Cantz 2012.

Korea bei Der docuMenta 2012Von Gesine Stoyke

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2. OKTOBERBERLIntranSfer Korea – nrW 2011/12/13berlin-SpecialMit koreanischen und deutschen Transfer-KünstlerInnenZeit: 19.00 UhrOrt: PLATOOn Kunsthalle Berlin, Schönhauser Allee 9, 10119 BerlinUnterstützt vom Koreanischen Kulturzentrum in Berlin

4. OKTOBERHAMBURGfilmfest hamburg: Verleihung des Douglas-Sirk-Preises an den südkoreanischen Regisseur Kim Ki-dukZeit: 19.30 UhrOrt: cinemaxx 1, Dammtordamm 1, 20354 HamburgIm Anschluss wird sein neuester Film „Pieta“ als Deutschlandpremiere gezeigt.

BIS 09.OKTOBERWEIDEn Ausstellung „Koreanische Keramik. Kap-Sun hwang“Zeit: Di - So 10.00-12.30 Uhr, 14.00-16.30 UhrOrt: Internationales Keramik-Museum, Luitpoldstraße 25, 92637 Weiden

11. OKTOBER DÜSSELDORFtranSfer Korea-nrW 2011/12/13Zwischenbilanz und AusblickMit Transfer-KünstlerInnen und Partnern aus Korea und nRWDie koreanischen KünstlerInnen werfen in kurzen Präsentationen einen Blick zurück auf ihren Aufenthalt in NRW – gleichzeitig geben die NRW-KünstlerInnen einen Ausblick auf ihre unmittelbar bevorstehende Residenz-Zeit in KoreaZeit: 19.00 UhrOrt: Hans Peter Zimmer-Stiftung, Ronsdorfer Str. 77a, 40233 DüsseldorfKontakt: Tel. 0202/ 698 27 00 (NRW Kultursekretariat)

AB 13.OKTOBERSTUTTGARTAusstellung „entdeckung Korea! Schätze aus deutschen Museen“Zeit: 13.10.12 – 13.01.13Di 10.00-17.00 Uhr, Mi 10.00-20.00 Uhr, Do – Sa

10.00-17.00 Uhr, So 10.00-18.00 Uhr Ort: Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde, Hegelplatz 1, 70174 Stuttgart

MUSIK

BIS 13.OKTOBER HAnnOVERJoseph Joachim - internationaler violinwettbewerb hannover Mit den koreanischen Teilnehmer/innen Kim Bomsori, Kim Jee Won, Kim Dami, Kim SoJin, Kim JaeYoung, Koh Eunae, Sir Joo Yeon und Yang In MoZeit: 30.09. – 13.10.12Ort: Richard Jakoby Saal, Emmichplatz 1, 30175 HannoverKontakt: Tel. 0511-990 5418

AB 19. OKTOBERBERLInWillows became the thread and a nightingale became the shuttle(Weiden wurden zum Faden und eine Nachtigall zum Weberschiffchen)Erstaufführung der koreanischen Bildenden Künstlerin yeesookyung und der koreanischen Gagok-Vokalistin Minhee ParkDie Zeit steht still im Gagok, der traditionellen Vokalmusik koreanischer Höfe – gesungene Poeme, deren einzelne Silben so ausgedehnt werden, dass die Worte nicht mehr zu unterscheiden sind. Wenn ein einziger Takt 20 Sekunden dauert, wird der Text zu Klangmaterial, die Musik auf den stimmlichen Ausdruck konzentriert.Zeit: 19. – 21.10.12Ort: Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, 10719 BerlinKontakt: Tel. 030/ 254 89-269

LITERATUR

12. OKTOBERFRAnKFURT A.M.verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises 2012 Nominiert ist u.a. das Buch: „Wo geht‘s lang? Karten erklären die Welt“ von der Autorin Heekyoung Kim und der Illustratorin Krystyna Lipka-Sztarballo (Übersetzer: Hans-Jürgen Zaborowski)Zeit: 17.30 – 18.50 Uhr (Einlass ab 16.45 Uhr) Ort: Saal Harmonie des congress centers der Messe Frankfurt/M., Ludwig-Erhard-Anlage 1, 60327 Frankfurt am Main Information: Eine Eintrittskarte für diese Veranstaltung ist erforderlich (jedoch keine

Eintrittskarte für die Buchmesse, da die Veranstaltung nicht direkt auf dem Messegelände stattfindet, sondern in unmittelbarer Nähe)! Da die Teilnahmebestätigungen bereits im September vorliegen mussten, besteht ggfs. noch die Möglichkeit, Stehplatzkarten zu erwerben. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an:Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. (Tel. 089/45 80 80–6, E-Mail: info@jugendliteratur.org)

13. OKTOBERFRAnKFURT A.M.Gesprächsrunde mit den preisträgern des Deutschen Jugendliteraturpreises 2012Zeit: 10.00 – 11.00 Uhr Ort: Lesezelt der Frankfurter BuchmesseModeration: Dr. Susanne Helene Becker (Vorsitzende der Kritikerjury)Keine Voranmeldung und keine Eintrittskarten erforderlich! Teilnehmer müssen jedoch im Besitz einer Eintrittskarte für die Buchmesse sein, da die Veranstaltung auf dem Messegelände stattfindet.

SOnSTIGES

20. OKTOBERHAMBURGDeutsch-koreanischer StammtischZeit: ab 18.00 UhrOrt: Sushi-Bar Dehnhaide, Barmbeker Markt 37-38, 22081 HamburgKontakt: Tel. 04191/ 7226590 (Deutsch-Koreanische Gesellschaft Hamburg e.V.)

noveMberMUSIK

03. nOVEMBERBERLInYun+…: Junge Musiker viZeit: 19.00 UhrOrt: Joseph-Joachim-Saal (= Konzertsaal Bundesallee 1-12), 10719 BerlinProgramm: Isang Yun und Franz SchubertEintritt frei, Spenden erbetenWeitere Informationen: www.yun-gesellschaft.de

30.nOVEMBERBERLInVortragsabend Klavierklasse der Dozentin Mi-Joo lee Zeit: 19.00 Uhr Ort: UdK Berlin, Joseph-Joachim-Konzertsaal, Bundesallee 1-12, 10719 BerlinKontakt: Tel. 030/ 3185-0

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Ort: UdK Berlin, Joseph-Joachim-Konzertsaal, Bundesallee 1-12, 10719 BerlinKontakt: Tel. 030/ 3185-0

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BIS 11. nOVEMBERBERLInYoonjee GeemSpinnennetz 2012Zeit: 15.09. – 11.11.12Ort: Dada Post Berlin, nordbahnstr. 10, 13409 Berlinwww.y-geem.com

BIS 18. nOVEMBERFÜRSTEnBERGvon fürstenberg nach asienAusstellung von Kap Sun Hwang, einem der führenden Porzellan-Designer der GegenwartZeit: 29.06. – 18.11.12Ort: Museum im Schloss, Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Meinbrexener Str. 2, 37699 FürstenbergKontakt: Tel. 05271/ 401-161

AB 23. nOVEMBERBERLInJi-Young: einzelausstellung Zeit: 23.11.12 - 26.01.13Ort: LEE Galerie, Brunnenstr.172, 10119 Berlin Kontakt: Tel. 030/4171 7973

DezemberSOnSTIGES

16. DezemberSTUTTGARTein fest für Kinder! Entdecke Korea: Mitmach-Aktionen und koreanisches Picknick für Kinder ab 6 JahrenZeit: 12.30 – 17.00 UhrAnmeldung für koreanisches Picknick bis 02.12.12 erforderlich:Tel. 0711/2022-444 / anmeldung@lindenmuseum.deEintritt Erwachsene: EUR 7,-/5,- inkl. Sonderausstellung „Entdeckung Korea!“ Kinder bis 12 Jahre frei, Essen extrahttp://www.lindenmuseum.de

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nachrufAm 18. Juni dieses Jahres verstarb Prof. Dr. Bruno Lewin im Alter von 87 Jahren im nordrhein-westfälischen Hilden. Er führte das Erbe Andre Eckardts (1884 – 1974), des Begründers der deutschen Koreanistik, in würdevoller und sehr erfolgreicher Weise fort. Lewin war neben Prof. Dr. Frits Vos, Universität Leiden, und Prof. Dr. William E. Skillend, Universität London, eines der Gründungsmitglieder der AKSE (Association of Korean Studies in

Europe/ Verband der Koreastudien in Europa). Als Gründungsmitglied der Fakultät für Ostasienwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und Lehrstuhlinhaber dieser Fakultät etablierte er 1965 die erste Abteilung für Koreanistik an einer westdeutschen Universität mit vollwertigem akademischen Studiengang und entsprechenden Studienabschlussmöglichkeiten. Zu seinen Schülern zählen unter anderem Prof. em. Dr. Dieter Eikemeier (lange Zeit Leiter der Koreanistik an der Eberhard Karls Universität Tübingen), Prof. em. Dr. Werner Sasse (lange Zeit Leiter der Koreanistik an der Ruhr-Universität Bochum und an der Universität Hamburg) und Priv. Doz. Dr. Albrecht Huwe (langjähriger Leiter des Diplom-/Master-Studiengangs Übersetzen Koreanisch an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Professur an der Universität Wien), die ihrerseits einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Koreanistik in der Bundesrepublik Deutschland leisteten bzw. leisten.Prof. Dr. Bruno Lewin (geboren 1925) erwarb seinen Doktortitel in japanischer Sprache und Literatur an der Universität München. Sein Interesse für Japan führte ihn später zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dessen nachbarland Korea. Im Laufe der akademischen Laufbahn Prof. Dr. Lewins entstand eine Reihe richtungsweisender Bücher und Artikel über die koreanische Sprache, Geschichte und Kultur sowie über die Bedeutung Koreas für die kulturelle Entwicklung Japans. Zu diesen Publikationen zählen u.a. „Morphologie des koreanischen Verbs“ (1970) und „Der koreanische Anteil am Werden Japans“ (1976). Prof. Lewin hat sich große Verdienste um die Koreanistik in Deutschland und Europa erworben.

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HERAUSGEBERKoreanisches Kulturzentrum

Kulturabteilung der Botschaft der Republik KoreaLeipziger Platz 3, 10117 Berlin

www.kulturkorea.de

LEITERGesandter-Botschaftsrat

Jong Seok Yun

REDAKTIONGesine Stoyke

Dr. Stefanie Grote

GESTALTUNGSetbyol Oh

MITARBEITJongmin Lee

KONTAKTTel. (030) 269 52-0

Fax: (030) 269 52-134E-Mail: redaktion@kulturkorea.org

Auflage: 5.500 Exemplare

DRUCKconcept Verlag

VERTRIEBKoreanisches Kulturzentrum

Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea

Kultur Korea erscheint vierteljährlich als Print-, Digital- (PDF-Datei)und Online-Ausgabe unter:

http://magazin.kulturkorea.deBezug gratis über den Herausgeber.

Sämtliche, von Redaktionsseite erfolgten Übersetzungen sind durcheckige Klammern kenntlich gemacht.

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S p e z i a l : K o r e a n i S c h e l i t e r at u rSchiefertafel, Schulbuch, tablet-pc literatur digital in Südkoreas Schulen

„bücher Sollten neue perSpeKtiven Schaffen, horizonte öffnen“ eine Südkoreanerin in österreich schreibt über Grönland

ein beStSeller iSt nicht in Sicht Koreanische literatur in Deutschland verlässt selten die nische

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