View
2
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
Orteder Erinnerungund MahnungKassel 1933 -1945
Ein Wegweiser
flyeraussen.qxd 12.07.2008 14:27 Uhr Seite 1
Foto Umschlag: Zerstörte historische Bauwerke an der nordöstlichen Seite des Friedrichsplatzes,23.10.1943, am Morgen nach dem Großangriffauf Kassel unerlaubt fotografiert. Fotograf F. Unkel
ImpressumHerausgegeben vom Stadtarchiv und
Stadtmuseum der Stadt KasselRedaktion: Frank-Roland Klaube, Alexander Link
Texte: Dietfrid Krause-VilmarGrafik: Stephan von Borstel, Kassel
Fotos: Stadtarchiv Kassel,Stadtmuseum Kassel, S. v. Borstel,
D. Krause-Vilmar, S. Link, D. Schwerdtle© Kassel 2008
Stadtarchiv Kassel
Wildemannsgasse 1, 34117 Kassel Tel.: 0561. 787 40 50 Fax: 0561.787 40 60stadtarchiv@stadt-kassel.dewww.stadt-kassel.de
Stadtmuseum Kassel
Ständeplatz 16, 34117 KasselTel.: 0561. 787 14 00 Fax: 0561. 787- 41 02stadtmuseum@stadt-kassel.dewww.stadtmuseum-kassel.de
Informationsstelle zur Geschichte des Nationalsozialismus in Nordhessen
Univ. Kassel, FB 5, Nora-Platiel-Str. 1Tel.: 0561. 804 28 27 / 28 32 Fax: 0561. 804. 31 62infonsnh@uni-kassel.de www.uni-kassel.de/fb1/infonsnh
Gedenkstätte Breitenau
Brückenstraße 12, 34302 Guxhagen,Tel.: 05665. 35 33 Fax: 05665. 17 27gedenkstaette-breitenau@t-online.de www.gedenkstaette-breitenau.de
Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945 Eine Dokumentation. Herausgegeben von Jörg Kammler undDietfrid Krause-Vilmar. Fuldabrück 1984.
Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945 Band 2: Studien. Herausgegeben von Wilhelm Frenz,Jörg Kammler und Dietfrid Krause-Vilmar. Fuldabrück 1987.
Mahnmale sind zeitlich gebunden und nicht seltender Absicht einer kritischen Vergegenwärtigung ver-gangener Ereignisse entsprungen. Sie sind Denk-anstöße, Orte des Innehaltens, des Nachdenkens,des Gesprächs.
Die Orte der Mahnung und Erinnerung an die Zeitnationalsozialistischer Barbarei, von denen es seitdem Untergang des Hitler-Staates in Kassel einigegibt, sind aus sich selbst heraus verständlich. Gleich-wohl sind einige wenige Informationen vielleicht hilf-reich. Dies möchte der vorliegende Wegweiser leisten.
Die Stadt Kassel selbst hat früh Forschungen der Uni-versität zur Geschichte der Stadt in der NS-Zeit ange-stoßen und gefördert. In Ausführung des Beschlussesder Stadtverordnetenversammlung von 1984, dieErinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus inKassel wach zu halten, wurden elf historische Stättenausgewählt und an diesen Orten in den folgendenJahren Gedenktafeln angebracht. Damit wurde eineneue Dimension des Gedenkens eröffnet: Die ausge-wählten Häuser, Baracken oder staatlichen Einrich-tungen führen zu den Orten der Schande und desVerbrechens in der Stadt selbst. Durch Einbeziehungneuerer Forschungsergebnisse kommen in diesemHeft an einigen Stellen auch Menschen, die an diesenOrten gelitten haben, zu Wort.
| W
EIT
ER
FÜH
RE
ND
EH
INW
EIS
E
flyerinnen.qxd 12.07.2008 14:21 Uhr Seite 1
Über die hier näher vorgestellten Gedenkorte selbstgab und gibt es in der Stadt weitere bedeutendeGedenkorte, die wir knapp aufgeführt haben.Andere Monumente und Kunstwerke sind seit denJahren der Anbringung der Gedenktafeln der Stadthinzugekommen. Einige wurden in Behörden undSchulen aufgestellt, so dass sie der Öffentlichkeitnicht jederzeit zugänglich sind. Andere haben nur für eine bestimmte Zeit bestanden. Einzelnen Ver-folgten gewidmete Straßennamen oder Tafeln, wiedas Erinnerungszeichen für Herta und Erich Lewinskiin der Schanzenstraße / Stahlbergstraße, oder dasjeni-ge für Lilli Jahn in der Motzstraße sind hinzugekom-men. Insofern will der vorliegende Wegweiser nichtden Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondernzur Fortsetzung der Spurensuche auffordern.
Was möchte dieser Wegweiser leisten? Zum einenenthält er Grundinformationen zu den Gedenkorten in der Stadt und möchte die Wegsuche durch Abbil-dungen erleichtern. Dem dient auch der Übersichts-plan. Zum andern eröffnen Dokumente und Zeug-nisse einen Blick in die Geschichte der Verfolgung und Misshandlung von Menschen. Und drittensmöchte dieser mit Unterstützung des Stadtarchivs,des Stadtmuseums der Stadt Kassel und der Gedenk-stätte Breitenau erstellte Wegweiser zu vertiefenderLektüre und zur eigenen Spurensuche anregen.
Dietfrid Krause-Vilmar
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:28 Uhr Seite 1
Die Geheime Staatspolizei Kassel
Im Jahre 1933 befand sich die Staatspolizeistelle für denRegierungsbezirk Kassel im damaligen Polizeipräsidium,später in einem eigenen Gebäude in der Wilhelmshöher Allee32, nach dessen Bombardierung in Baracken in der Goethe-anlage, in Breitenau / Guxhagen und am Panoramaweg. DieGeheime Staatspolizei (Gestapo) war eine Machtsäule desNS-Staates. Sie verhaftete, verhörte und misshandelte tausen-de Unschuldige. Sie verantwortete die Deportationen derJuden, Sinti und Roma und anderer zu Volksfeinden erklärterMenschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager. IhreAngehörigen begingen schwerste Verbrechen, besonders anausländischen Zwangsarbeitern, darunter Polen, von denenzahlreiche wegen Beziehungen mit einer deutschen Frauöffentlich exekutiert wurden. Allein in den letzten Märztagen1945 ermordeten ihre Kommandos in Guxhagen, auf demWehlheider Friedhof, am Bahnhof Wilhelmshöhe und ananderen Orten in der Stadt Kassel mehr als einhundertzwan-zig ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.
1
Der Werkschutz der Gerhard Fieseler-Werke hatte im Juli 1941 Inschriften auf einer Werkstoilette entdeckt, darunter die folgende:
»Die Welt geht zurück ins Altertum. Sie wollen
kein Christentum, sondern als Heiden leben.
Menschen aufhängen ist heidnisch.«
Der Werkschutz notierte daraufhin:
»Die Inschriften sind als Auswirkung des Aufhän-
gens zweier Polen im Eichwäldchen anzusehen.
Die Stapo ist eingeschaltet.«
➔
Blick auf das ehemaligePolizeipräsidium aus derFriedrich-Engels-Straße
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:28 Uhr Seite 2
| K
ÖN
IGST
OR
Das Polizeipräsidium nach seiner Fertigstellung 1907
Die Angehörigen der Staatspolizeistelle Kassel haben sich fürdie von ihnen veranlassten Verbrechen nach dem Krieg nichtvor deutschen Gerichten verantworten müssen. Es hat - bisauf einen Fall wegen willkürlich angeordneter Tötungsver-brechen - keine systematische Ermittlung und Anklageerhe-bung gegen sie gegeben. Zumeist beriefen sich die ehemalsmächtigen Gestapo-Offiziere darauf, zur Ausführung vonBefehlen höheren Orts verpflichtet gewesen zu sein.
Abb. rechts:Zweigeschossige Baracke der Gestapo am Ostende
der Goetheanlage (markiert)
Abb. unten: Eingangstürenim Zellentrakt des Polizei-
präsidiums und die von KZ-Gefangenen erbaute
Baracke am Panoramaweg
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:28 Uhr Seite 3
2
Das Haus der Arbeiterwassersportler
Dieses Gebäude wurde von Mitgliedern der Arbeitersportbe-wegung (Wassersportler) in eigner Arbeit selbst errichtet unddiente als Vereinshaus. Im Jahre 1933 übergaben die Behör-den das Haus dem Kasseler SS-Pioniersturm. SS-Angehörigefolterten hier überzeugte Gegner des Nationalsozialismus ausden Reihen der Arbeiterbewegung, die in den Polizeiverhörenstandhaft geblieben waren. Es liegen mehrere Berichte vonpolitischen Gefangenen vor, die hier von SS-Angehörigenmisshandelt wurden, nachdem die Polizei sie der SS »über-lassen« hatte.
»Hiermit gebe ich die Eidesstattliche Erklärung ab,
dass Herr Georg Lörper mit mir am 15.8.1933 von der S.S.
verhaftet und in das Polizeipräsidium Kassel eingeliefert
wurde. Nach mehrtägiger Vernehmung wurden wir der
S.S. übergeben, welche uns in das Pionierheim am Fulda-
damm einlieferte. Nach furchtbaren Misshandlungen
wurden wir am Abend von der Polizei abgeholt und wie-
der in das Polizeigefängnis eingeliefert. […] «
Arno Schminke im Jahre 1950
➔
Im Jahre 1938 wurdedas Haus der Marine-
Hitlerjugend über-geben, die es als
»Gorch-Fock-Heim«weiterführte.
Das WVC-Haus imJahre 2008. Nachdem Krieg erhieltdie »Wassersport-vereinigung Cassel«ihr Haus zurück
DaDe
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:28 Uhr Seite 4
AU
ED
AM
M
| S
PO
HR
STR
ASS
E
Das Gewerkschaftshaus
Das Gewerkschaftshaus in der Spohrstraße wurde bereits am7. März 1933 von einer großen Menge von Nazis gestürmtund verwüstet. Die regionalen NS-Führer Roland Freisler undKarl Weinrich setzten sich an deren Spitze und erklärten dasGewerkschaftshaus für besetzt. Ein telegrafisches Hilfeersu-chen Kasseler Gewerkschafter an den Reichspräsidenten Paulvon Hindenburg blieb folgenlos. Am 2. Mai 1933 besetztenSA- und SS-Angehörige erneut das Haus, beschlagnahmtendie Akten und Bücher und hissten die Hakenkreuzfahne.Inhaftierung, Entlassung und/oder Misshandlung einzelnerengagierter Gewerkschafter folgten. Die Freien Gewerk-schaften wurden aufgelöst und blieben bis zum Ende des NS-Staates verboten.
3
Gewerkschaftliche Protestkundgebung gegen Sozialabbau auf dem Friedrichs-platz 1930
Das Haus desDeutschenGewerkschafts-bundes Kassel im Jahre 2008
Das Haus des AllgemeinenDeutschen Gewerkschafts-
bundes Kassel um 1928
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 5
4
Die Strafanstalt Wehlheiden
In der Strafanstalt Wehlheiden wurden in der Nazizeit zahl-reiche Unschuldige aus politischen und rassischen Gründeninhaftiert: Gegner des Regimes, unerschrockene Kritiker,Helfer und Retter verfolgter Menschen. Zum Tode Verurteiltewurden hier mit dem Fallbeil umgebracht. Durch eine hoheÜberbelegung herrschten gegen Kriegsende unerträglicheLebensumstände. Wer die Haftstrafe verbüßt hatte, war nochnicht frei; in vielen Fällen deportierte die Gestapo den geradeEntlassenen in ein Konzentrationslager.
Finkenstein wurde alspolitischer Gegner und
als Jude verfolgt und war fast acht Jahre lang(1935-43) unschuldig in
Kasseler Gefängnis-sen inhaftiert, bevor
er nach Breitenau undvon dort nach Ausch-
witz deportiert wurde,wo er ums Leben kam.
»So dunkel werden meine letzten
Lebensjahre sein:
Lebendig eingesargt bin ich der Welt
entrückt und fern.
Den frostgen Schauder meines Tages
bannt kein Sonnenschein,
auf meiner Elendspritsche grüßt mich
nachts nicht Mond und Stern.«
Aus Kurt Finkensteins Gedicht »Verdüsterung« (1940), verfasst im Zuchthaus Wehlheiden
➔
Die Justizvollzugs-anstalt im Jahre2008
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 6
THE
OD
OR
-FLI
ED
NE
R-S
TRA
SSE
|
S
CH
ILLE
RST
RA
SSE
Das Sammellager für die Deportationen
In der Turnhalle der Bürgerschulen in der Schillerstraße richtete die Gestapo Kassel ab November 1941 ein Sammellager für Juden aus dem Regierungsbezirk Kasselein. Jeweils vor einer der drei großen Deportationen vonKassel aus wurden die Menschen von hier zum Hauptbahn-hof geführt und am 9. Dezember 1941 in das Ghetto Riga,am 1. Juni 1942 in das KZ Majdanek sowie in das Ver-nichtungslager Sobibor und am 7. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Die Gestapo hatte sie mit den Worten, dass sie im Osten angesiedelt würden,um dort Pionierarbeit zu leisten, getäuscht. Nur wenige von ihnen überlebten die Deportationen.
5
Aufriss der ehemaligen Turn-halle der Bürgerschulen. Hierbegann der oben skizzierte»letzte Weg« vieler Juden vonder Schillerstraße zumHauptbahnhof
Eingangsbereichder Walter-Hecker-
Schule, 2008
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 7
Die Synagoge
In der Unteren Königsstraße stand die im Jahre 1839 fertiggestellte große Synagoge der Jüdischen Gemeinde. Kasselwar Sitz des Landrabbinats und - seit der Emanzipation -einer bedeutenden und großen Gemeinde (im Mai 1933 ge-hörten ihr 2300 Seelen an). Viele Gemeindemitglieder hattenihre Heimat bereits verlassen, als am 7. November 1938 Nazisin die Synagoge einbrachen, ihr Inneres zerstörten, den Thora-schrein aufbrachen und Gebetrollen und Kultbücher in Brandsteckten. Die Stadtverwaltung ließ das unversehrt gebliebeneBauwerk kurz danach »abtragen«, um einer angeblichenParkplatznot zu begegnen. Bereits am 10. November 1938wurden 258 Gemeindemitglieder aus ihren Häusern »abge-holt« und in das KZ Buchenwald deportiert, darunter auchder Lehrer Willy Katz, der hierüber berichtet hat.
Landrabbiner Dr. Isaac Prager
in der Synagoge,ca. 1898
Vorbereitung des Abrisses der Synagoge Ende des Jahres 1938
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 8
| B
RE
ME
RST
RA
SSE
6
Der »Judenstern« warab September 1941 alsstigmatisierendes Kenn-zeichen von allen Judenzu tragen
Ein erstes Mahnmal zumGedenken an die Opferdes Holocaust wurde vom»Jüdischen Komittee« desDP-Lagers Hasenheckeerrichtet. Es steht heuteauf dem neuen jüdischenFriedhof Bettenhausen
Seit Juli 1938 für deutsche Judenverpflichtende Kennkarten
Nach dem Krieg nutzte dieJüdische Gemeinde zunächst die provisorisch für religiöseZwecke hergerichtete Turnhalle in der Tischbeinstraße (1945).Die Stadt beschloss 1951 ein-mütig die Errichtung einer neuenSynagoge, die 1965 übergebenwurde. Im Jahre 2000 wurde die größere neue Synagoge an der Bremer Straße eingeweiht,nachdem die alte aufgrundBaufälligkeiten abgerissen werden musste.
Die neue Kasseler Synagoge von derMosenthalstraßeaus gesehen, 2008
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 9
▲ Kasseler Innenstadt ▼ Umgebung Fernbahnhof Wilhelmshöhe
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 10
OR
IEN
TIE
RU
NG
SKA
RTE
N
1 Die Geheime Staatspolizei KasselEhemaliges Polizeipräsidium / Königstor 31
Das Haus der ArbeiterwassersportlerVereinshaus des WVC / Auedamm 23
Das GewerkschaftshausDGB-Kassel / Spohrstrasse 6
Die Strafanstalt Wehlheiden *Justizvollzugsanstalt / Theodor-Fliedner-Str. 12
Das Sammellager für die DeportationenWalter-Hecker-Schule / Schillerstrasse 16
Die SynagogeJüdische Gemeinde / Bremer Str. 3
Der AschrottbrunnenRathaus / Obere Königsstr. 8
Der Ort eines MassenmordesPlatz des Gedenkens
Die BürgersäleKarlsplatz / Obere Karlsstraße
Zur Verfolgung der Sinti und RomaRathaus / Obere Königsstr. 8
Soldaten zwischen Verweigerung und WiderstandZentrales Mahnmal am Auehang
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
* Die Justizvollzugsanstalt ist auf nebenstehenden Karten nicht eingetragen. Sie läßt sich mit der Buslinie 27 erreichen.
Die Gedenktafeln der Stadt Kassel
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 11
7
Der Aschrottbrunnen
Sigmund Aschrott (1826 -1915) war nicht nur ein bedeuten-der Unternehmer und Begründer der Kasseler Textilindustrie;er setzte sich seit 1866 engagiert für die Schaffung einesneuen Stadtteils, des Hohenzollernviertels (später ,VordererWesten’ genannt) ein und nahm, als die städtischen Körper-schaften ihm in seinen großen Plänen nicht folgen wollten,mehr oder weniger die Sache selber in die Hand. Als bedeu-tender, jüdischer Bürger Kassels war er den Nazis ein Dorn im Auge; noch Jahrzehnte nach seinem Tod suchten sie ihnzu schmähen. Im Jahre 1908 hatte er der Stadt Kassel diesenBrunnen gestiftet, der den rechten Ehrenhof des Rathausesdekorativ beleben sollte.
Sigmund Aschrott,Portraitgemälde, um 1910
Der 1987 gestalteteBrunnen
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 12
RA
THA
US
|
OB
ER
EK
ÖN
IGSS
TRA
SSE
Bereits im September 1933 wurde der Brunnen erstmalsvon nicht ermittelten Personen schwer beschädigt.Daraufhin ordnete Oberbürgermeister Lahmeyer an, dassdie Inschrift, die den Namen des Stifters trug, entfernt wird.
Im April 1939 wurde der Brunnen erneut von Unbekanntenschwer beschädigt. Daraufhin ließ die Stadtverwaltung denBrunnen bis auf die Sandsteinfassung abtragen.
Der Brunnen,Postkarte um 1935
Der Brunnen während des Abbruchs, 1939
Abb. links:Der Kasseler Künstler Horst Hoheisel schuf im Jahre1987 den Brunnen als Negativform neu. Der in denBoden negativ versenkte Obelisk mit seinen vier kleinenPyramidentürmen stellt den Verlust dar, den die Stadterfahren hat und bildet so eine »offene Wunde derStadtgeschichte«... (Zeichnung des Künstlers)
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 13
8
Der Ort eines Massenmordes
Wenige Tage vor Ende des Krieges, am 31. März 1945, hat-ten sich italienische Kriegsgefangene aus einem verlassenenGüterzug Lebensmittel geholt, da sie keine Verpflegung er-halten hatten. Ähnliches hatten auch Deutsche zur selbenZeit getan. Ein Denunziant fand sich und meldete den Vorfall.Stunden später wurden 79 Unschuldige – ein Russe und 78Italiener – von einem Kommando der Kasseler Gestapo aufdem Gelände des Bahnhofs Wilhelmshöhe ermordet.
Der im Jahre 2005 neugestaltete »Platz desGedenkens« um dasMahnmal, das an dieumgebrachten Italienererinnert
Fotografien aus der Firmenbroschüre«Die Wohnlager Henschel und Sohn«
(1943), in der ein schöner Scheinüber die Wohnsituation der Zwangs-
arbeiter verbreitet werden sollte
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:29 Uhr Seite 14
| P
LATZ
DE
SG
ED
EN
KE
NS
Die Stadt Kassel war im Jahre 1944 (bis zum Kriegsende) vonmehr als 200 Lagern, Unterkünften bzw. Behelfsunterkünftenüberzogen, in denen ca. 25000 ausländische Arbeiter und Ar-beiterinnenhausen mussten. Die Zwangsarbeiter und Kriegs-gefangenen aus dem Ausland arbeiteten in der Industrie, imHandwerk, bei der Stadt, bei Baufirmen und bei Privatleuten.Im Druseltal hatte es ein Außenkommando des Konzen-trationslagers Buchenwald (1943-1945) gegeben.
Italienische »Militärinternierte« marschieren durchs Königstor, 1943/44
Abb. rechts:Die ermordeten Italiener wurdenzuerst auf dem Wehlheider Fried-hof bestattet. Die drei Grabsteine
(hier einer) sind auf ungeklärteWeise verschwunden
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:30 Uhr Seite 15
9
Die Bürgersäle
In der Oberen Karlsstraße befand sich die Gaststätte»Bürgersäle«, die von SA und NSDAP als Versammlungs-lokal genutzt wurde. In den Kellergewölben misshandeltenund demütigten die Nazis sozialdemokratische, gewerk-schaftliche und kommunistische Gegner und Akademiker aus dem deutsch-jüdischen Bürgertum. Rechtsanwalt Dr.Max Plaut, den die Kasseler Nazi-Presse bereits vor 1933 diffamiert und beleidigt hatte, starb an den Folgen der eine Woche zuvor dort erlittenen Verletzungen am 31. März 1933.
Blick auf die nach demZweiten Weltkriegerweiterte ObereKarlsstraße
»Am gleichen Tag wurde
der Rechtsanwalt Dalberg in der
schwersten Weise misshandelt,
und zwar am gleichen Ort und in
ähnlicher Weise wie Plaut«.
Aus dem »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-terror«. Paris 1933
➔
Dr. Max Plaut
Die Bürgersäle in der Oberen
Karlstraße,um 1938
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:30 Uhr Seite 16
OB
ER
ER
KA
RLS
PLA
TZ
| R
ATH
AU
S
Zur Verfolgung der Sinti und Roma
Die Sinti und Roma unterlagen im Nazistaat einer doppel-ten Verfolgung. Erstens galten sie als »fremdrassig«, undzweitens rechnete man sie pauschal zur Gruppe der»Asozialen«. Ab 1936 untersagte man ihnen das Umher-ziehen und die Ausübung ihrer traditionellen Berufe undsperrte sie schließlich in besondere Lager.In Kassel mussten die Sinti ab 1937 in einem bewachten,mit Stacheldraht umzäunten Lager auf der Wartekuppe inNiederzwehren leben, das sie nur zur Arbeit verlassen durften. Das abgelegene Gelände mit Tongruben und einer Ziegelei hatte im Ersten Weltkrieg als Kriegsgefan-genen- und Seuchenlager gedient. Auf einem Teil desGeländes wurden nun die Sinti mit ihren Wohnwagenuntergebracht. Um die Jahreswende 1939/40 wurden die Sinti von der Wartekuppe abtransportiert, wahrschein-lich in das KZ Buchenwald, und von dort aus weiter in die Vernichtungslager im Osten.
Die Gedenktafelbefindet sich auf
Höhe des Aschrott-brunnens am Rathaus
Rekonstruktion des »Zigeuner-Sammellagers« auf der Wartekuppe in Kassel-Niederzwehren (Christian Kleinert 1983)
10
OB
ER
EK
AR
LSST
RA
SSE
|
RA
THA
US
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:30 Uhr Seite 17
Soldaten zwischen Verweigerung und Widerstand
Die Kasseler Stadtverordnetenversammlung hatte 1985mehrheitlich beschlossen, eine Gedenktafel »zur Erinnerungan die Kasseler Soldaten, die sich dem Kriegsdienst für dienationalsozialistische Gewaltherrschaft verweigerten unddafür verfolgt und getötet wurden«, aufzustellen. Die Tafelwurde im Mai 1987 am Ehrenmal in der Karlsaue in An-wesenheit des Oberbürgermeisters eingeweiht. Vorausset-zung war eine Dokumentation von Prof. Jörg Kammler überKasseler Soldaten zwischen Verweigerung und Widerstand.Die deutsche Militärjustiz verhängte im Zweiten Weltkriegmehr als 22000 Todesurteile, davon noch einige nach derKapitulation und dem Ende des Krieges.
Aa
W
11
Das Ehrenmal amAuehang, 2008
Der 20 Jahre junge Kasseler Marinefunker AlfredGail wurde am 10. Mai 1945, zwei Tage nachder Kapitulation, wegen schwerer Fahnenfluchthingerichtet. Gemeinsam mit Kameraden hatteer sich, als er vom Ende des Krieges hörte, aufden Weg nach Hause gemacht, um derGefangennahme durch die Engländer zu entgehen.
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:30 Uhr Seite 18
Mahnmal für die Opfer des Faschismus
Das Mahnmal steht im Murhard-Park ander Weinbergstraße und wurde im Dezem-
ber 1953 in Anwesenheit des HessischenStaatssekretärs Hermann Brill und zahlrei-
cher Politiker und internationaler Gäste vonseinem Schöpfer, Professor Hans Sautter,
dem Oberbürgermeister der Stadt Kassel übergeben.
Weitere Gedenkorte
Gedenkstein für die Kasseler Juden
Am 25. Juni 1950 enthüllte der ehemaligeRabbiner der Jüdischen Gemeinde Kassel inAnwesenheit zahlreicher Politiker und Gästeauf dem (alten) Jüdischen Friedhof einen
Gedenkstein. Die in hebräischer und deut-scher Sprache verfasste Inschrift lautet:
»Der Jüdischen Gemeinde in tiefer Trauerum die Opfer der Schreckensjahre 1933-
1945 gewidmet von der Stadt Kassel.«
Denkmal für die Zwangsarbeiter
Während des Zweiten Weltkrieges wurden hunderte ausländische Zwangsarbeiter,
darunter auch diejenigen, die bei denLuftangriffen ums Leben gekommen waren,
auf dem Jüdischen Friedhof begraben. ImJahre 1960 bettete man die Gebeine derRussen, Tschechen, Bulgaren, Polen und
Rumänen auf den christlichen Friedhof inBettenhausen auf der anderen Straßen-seite um. In diesem Jahr errichtete Heinz
Wiegel das Mahnmal und die Gedenksteinemit den Namen der Toten.
»Mahnender Engel«, Brüderkirche
Vom Gesamtverband der evangelischenKirchengemeinden in Kassel im November
1958 als »Erinnerungsmal an die Opfer derBombenangriffe in Kassel« errichtet,
geschaffen von Professor Kurt Lehmann.
AM
AU
EH
AN
G
| W
EIT
ER
EST
AN
DO
RTE
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:30 Uhr Seite 19
Gedenkstein für Adam von Trott zu Solz
Im Zusammenhang mit der Einweihungder »Adam-von-Trott-zu-Solz-Siedlung«am Warteberg wurde im Juni 1960ein Gedenkstein für den Namensgeberder Siedlung enthüllt. Der Stein trägtden Namen Adam von Trott zu Solz undden Satz »Er starb für die Freiheit«.
Mahnmal »Die Rampe«
»Die Rampe. Ankunft und Ende«, 1982 von E. R. Nele geschaffen, wurde 1985von der Universität in der Moritzstraßeaufgestellt. Die Künstlerin erinnert andie Deportationen in die Vernichtungs-lager und an die Millionen Zwangs-arbeiter, die auf dem Schienenweg nachDeutschland »transportiert« wurden.
Gedenktafel für die Gestapo-Opfer
1985 enthüllte der Ortsbeirat von Wehl-heiden auf dem Wehlheider Friedhofeine Gedenktafel, die an die zwölf am30. März 1945 ermordeten Insassen derStrafanstalt Wehlheiden erinnert. Sie istneben der Gedenkstätte für die Opferder Luftangriffe angebracht worden.
»Gedenksteinsammlung«
Auf dem Kasseler Hauptbahnhoferinnert ein Gepäckwagen des KünstlersHorst Hoheisel an die Deportationender Juden aus Kassel 1941 und 1942.In Kästen sind Erinnerungen vonKasseler Schülern und anderenMenschen an die Ermordeten deponiert.
Stephan von Borstel / Dietfrid Krause-Vilmarbreitenau 1933-1945. bilder, texte, dokumente deutsch und englisch, Kassel 2008.
Jörg Kammler Ich habe die Metzelei satt und laufe über ...Kasseler Soldaten zwischen Verweigerung und Widerstand.Mitarbeit Marc Poulain. 3. erweiterte Aufl., Fuldabrück1997.
Literaturhinweise
gedenkorte-innen.qxd 12.07.2008 14:30 Uhr Seite 20
Foto Umschlag: Zerstörte historische Bauwerke an der nordöstlichen Seite des Friedrichsplatzes,23.10.1943, am Morgen nach dem Großangriffauf Kassel unerlaubt fotografiert. Fotograf F. Unkel
ImpressumHerausgegeben vom Stadtarchiv und
Stadtmuseum der Stadt KasselRedaktion: Frank-Roland Klaube, Alexander Link
Texte: Dietfrid Krause-VilmarGrafik: Stephan von Borstel, Kassel
Fotos: Stadtarchiv Kassel,Stadtmuseum Kassel, S. v. Borstel,
D. Krause-Vilmar, S. Link, D. Schwerdtle© Kassel 2008
Stadtarchiv Kassel
Wildemannsgasse 1, 34117 Kassel Tel.: 0561. 787 40 50 Fax: 0561.787 40 60stadtarchiv@stadt-kassel.dewww.stadt-kassel.de
Stadtmuseum Kassel
Ständeplatz 16, 34117 KasselTel.: 0561. 787 14 00 Fax: 0561. 787- 41 02stadtmuseum@stadt-kassel.dewww.stadtmuseum-kassel.de
Informationsstelle zur Geschichte des Nationalsozialismus in Nordhessen
Univ. Kassel, FB 5, Nora-Platiel-Str. 1Tel.: 0561. 804 28 27 / 28 32 Fax: 0561. 804. 31 62infonsnh@uni-kassel.de www.uni-kassel.de/fb1/infonsnh
Gedenkstätte Breitenau
Brückenstraße 12, 34302 Guxhagen,Tel.: 05665. 35 33 Fax: 05665. 17 27gedenkstaette-breitenau@t-online.de www.gedenkstaette-breitenau.de
Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945 Eine Dokumentation. Herausgegeben von Jörg Kammler undDietfrid Krause-Vilmar. Fuldabrück 1984.
Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945 Band 2: Studien. Herausgegeben von Wilhelm Frenz,Jörg Kammler und Dietfrid Krause-Vilmar. Fuldabrück 1987.
Mahnmale sind zeitlich gebunden und nicht seltender Absicht einer kritischen Vergegenwärtigung ver-gangener Ereignisse entsprungen. Sie sind Denk-anstöße, Orte des Innehaltens, des Nachdenkens,des Gesprächs.
Die Orte der Mahnung und Erinnerung an die Zeitnationalsozialistischer Barbarei, von denen es seitdem Untergang des Hitler-Staates in Kassel einigegibt, sind aus sich selbst heraus verständlich. Gleich-wohl sind einige wenige Informationen vielleicht hilf-reich. Dies möchte der vorliegende Wegweiser leisten.
Die Stadt Kassel selbst hat früh Forschungen der Uni-versität zur Geschichte der Stadt in der NS-Zeit ange-stoßen und gefördert. In Ausführung des Beschlussesder Stadtverordnetenversammlung von 1984, dieErinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus inKassel wach zu halten, wurden elf historische Stättenausgewählt und an diesen Orten in den folgendenJahren Gedenktafeln angebracht. Damit wurde eineneue Dimension des Gedenkens eröffnet: Die ausge-wählten Häuser, Baracken oder staatlichen Einrich-tungen führen zu den Orten der Schande und desVerbrechens in der Stadt selbst. Durch Einbeziehungneuerer Forschungsergebnisse kommen in diesemHeft an einigen Stellen auch Menschen, die an diesenOrten gelitten haben, zu Wort.
| W
EIT
ER
FÜH
RE
ND
EH
INW
EIS
E
flyerinnen.qxd 12.07.2008 14:21 Uhr Seite 1
Recommended