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Psychosomatische Medizin –braucht‘s das?
15.05.2017
Lehrstuhl und Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Martin Teufel
03.07.2017www.uni-due.de
Psychosomatische Medizin –das braucht‘s!
24.04.2017
Lernziele
Wissen.
•Was ist Psychosomatische Medizin?
•Wozu Psychosomatische Medizin?
•Wer ist Psyche?
•Mehrdimensionale Diagnostik und Bio-Psycho-Soziales Modell
•Relevanz von Kommunikation in der Diagnostik
Wissen wie.
•Initiale Psycho-Diagnostik in der Somatik und Reaktionsweise
•Screening psychischer Störungen
•Differenzierung von faktisch und post-faktisch: Einfluss von Erwartung auf Symptomschwere erkennen
•Umgang mit Hürden auf Patienten- und Arztseite, die eine Diagnostik komorbider psychischer Störungen verhindern/erschweren
Psyche Entering Cupid's Garden
John William Waterhouse, 1904 Bild aus Copyrightgründen entfernt
Ärztliche Psychotherapeuten
Was alles auf der Seele brennt..
Seele aus der Balance, BMBF 2010
Ausbildungswege zum Psychotherapeuten
• Transplantationspsychosomatik
• Psychoonkologie
• Psychodiabetologie
• Psychokardiologie
Ambulanz und Konsiliarbereich
• Psychokardiologie
• Gynäkologische Psychosomatik
PM 2 Station Uexküll
n=23
Therapiepfad
Anorexia nervosa
Therapiepfad
Bulimia nervosa,
Binge Eating Störung,
Adipositas
Therapiepfad
Somatopsyche und
Stresserkrankungen
PM 1 Station Mitscherlich
n=23
Therapiepfad
Psychotrauma-
tologie
Therapiepfad
Somatoforme und
Schmerzstörungen
Therapiepfad
Arbeits-
psychosomatik
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten die:
•Diagnose Diabetes mellitus Typ 1
•Indikation Amputation eines Beines
•Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose
•Diagnose metastasiertes Bronchialkarzinom
Persönlichkeit Coping-erfahrungenBiologie
Diagnostik und Therapie
Distresskontinuum
„Normale Reaktion“ Anpassungsstörung Angststörung auf Erkrankung Depression
PTSD
Soziale Unterstützung
SpiritualitätSoziale Auswirkungen
Teufel M und Zipfel S 2014
Psychische Auswirkungen
Deutsches Ärzteblatt 40: 2000
Bild aus Copyrightgründen entfernt
Dauer der spontanen Sprechdauer von Ambulanzpatienten
Langewitz et al. 2002 BMJ
The average patient visiting a doctor in the United States gets 22 seconds for his initialstatement, then the doctor takes the lead.
Mean spontaneous talking time was 92 seconds
Ungeteilte Aufmerksamkeit und Verständnis
Bild aus Copyrightgründen entfernt
Wichtige Fragen
� Was macht krank? Risikofaktoren: Belastungen / Traumata
� Was hält gesund? Schutzfaktoren: Ressourcen / ResilienzSalutogenese
� Wie hängen Risiko- und Schutzfaktoren zusammen?
� Was hilft Menschen, damit sie mit Belastungen/Stress besser umgehen können?
�Hat KULTUR einen Einfluss auf Krankheit und Gesundheit?
Psychosomatische/somatopsychische Sicht: Symptomatik als Kontinuum
Körper Psyche
z. B.
Immunologische Prozesse (Atopie)
z. B.
Angststörung
Somatoforme Störung
Biperspektivische Simultandiagnostik
Verstehen
Erklären Materie, BiosSymptomErklären Materie, Bios
Psyche, LogosKultur, Soziales
Symptom
Modif. nach Danzer G 2012, 2014
Verstehen
Erklären Maß und Zahl
Biperspektivische Simultandiagnostik
Erklären Maß und Zahl(Nomothetik)
Sinn und Bedeutung(Ideographik)
Symptom
Modif. nach Danzer G 2012, 2014
Verstehen
ErklärenKörperliche Untersuchung,
Betty Ford
Biperspektivische Simultandiagnostik
ErklärenKörperliche Untersuchung,Bildgebung, Histologie, Rezeptorstatus, TNM
Biographie, Coping, Stresserleben,Ressourcen, Resilienz, Milieu-DiagnostikWeltanschauung
MammaCa
Modif. nach Danzer 2012, 2014
Diagnostische Ebenen der Psychosomatischen Medizin
Biologische Ebene• körperliche Symptome• körperliche und apparative Untersuchungsbefunde• körperlicher Erkrankungsverlauf• bisherige Therapiemaßnahmen und therapeutische Notwendigkeiten
Psychische Ebene • psychosoziale Auffälligkeiten und Störungen
Mehrebenendiagnostik!
• biografische Entwicklung • Interaktion in der Patient-Therapeut-Beziehung• Konflikte, psychische Struktur, Persönlichkeit• Krankheitsverhalten und Behandlungsmotivation• Ressourcen (Salutogenese, Resilienz)
Soziale und ökologische Ebene• Ausbildung und berufliche Situation• familiäre Situation• ökonomische Situation• soziale Risiken
George ENGEL (1914-1999): Bio-Psycho-Soziales Modell
Biologisches, Psychisches und Sozialessind Teile eines Ganzen, die in Wechselwirkungsbeziehungen stehen und sich gegenseitig beeinflussen.
„Wir leben in einem
postfaktischen Zeitalter“
Bilder aus Copyrightgründen entfernt
Ebenen der Diagnostik in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie
�Befunderhebung / - dokumentation
�Störungsdiagnostik�Störungsdiagnostik
�Ätiologische Diagnostik
�Beziehungsdiagnostik
Beziehung
- der Bezug in einem System
- Kausalität: der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang
- Mathematische Relation
- Struktur
Beziehung und Wirtschaft
- Kundenbeziehung, Customer-Relationship
- Geschäftsbeziehung
- Arbeitsbeziehung
- Handelsbeziehung - Handelsbeziehung
- Lieferantenbeziehung
Beziehung und Gesellschaft
- Soziale Beziehung
- Eltern-Kind-Beziehung
- Partnerschaft
- Liebesbeziehung
- Freundschaft
- Gemeinschaft zwischen zwei oder mehreren Personen
- Beziehungen , materiell vorteilhafte Verbindungen zu anderen Menschen, „Vitamin B “
• - Soziales Netzwerk
• - Virtuelle Beziehung
Patient-Arzt-Beziehung
Arzt-Patient Kommunikation –Psychosomatische Grundkompetenz!
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Bild aus Copyrightgründen entfernt
Michael Balint (1896 –1970)
• “…Why does it happen so often that, in spite of earnest efforts on both sides, the relationship on both sides, the relationship between patient and doctor is unsatisfactory and even unhappy?”
• M. Balint (1957) The Doctor, His Patient and the Il lness
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Paternalistisches Modell
• - Der Arzt hat die Rolle des "Halbgottes in Weiß"
• - Patient bleibt passiv und wird auf seinen körperlichen Befund reduziert seinen körperlichen Befund reduziert
• - Geringachtung der Autonomie des Patienten
Dienstleistungsmodell
• - Der Arzt stellt den Dienstleister dar, der Patient den Kunden
• - Der Arzt ist Experte, die Entscheidungskompetenz bleibt beim Entscheidungskompetenz bleibt beim Patienten
• - Problem dieses Modells: viele Patienten wollen ihren Arzt nicht als technischen Experten sehen, sie erwarten eine emotionale Anteilnahme
Partnerschaftliches Modell
• - Kooperative Zusammenarbeit
• - Patient wird als mündiger Mensch respektiert
• - Der Arzt hat die Aufgabe, den Patienten so aufzuklären, dass dieser zur begründeten Entscheidung befähigt wird Entscheidung befähigt wird
• - Arzt und Patient sind gemeinsam für alle Entscheidungen verantwortlich
• - Empathie, Echtheit und positive Wertschätzungals Grundlagen des Arztes dienen der optimalen Nutzung der therapeutischen Beziehung und der Verstärkung der Wirkungen des ärztlichen Handelns
Kommunikationsmodell Schulz von Thun
Sender
Empfänger
KommunikationsmodellSchulz von Thun - Beispiel
Sachebene„wie schön, dass Du mal wieder vorbei schaust“
Selbstoffenbahrungsebene„ich war einsam“
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Beziehungsebene„ich mag Dich gern“
Appellebene„komm doch bitte öfter
vorbei“
Bild aus Copyrightgründen entfernt
SachinhaltSelbst-
mitteilung
„Ich habe immer
„Ich bin entmutigt“ „Ich habe
Schmerzen“
KommunikationsmodellSchulz von Thun – Sicht Patient/in
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AppellBeziehung
„Ich habe immer
noch starke
Schmerzen!“
„Sie sind derjenige, der
mir helfen kann!“
„Helfen Sie mir!“
SachinhaltSelbst-
mitteilung
„Ich habe immer
„Sie ist vorwurfsvoll“
„Ihre Schmerzen sind noch
nicht besser“
„Sie ist verzweifelt“
KommunikationsmodellSchulz von Thun – Sicht Ärztin/Arzt
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AppellBeziehung
„Ich habe immer
noch starke
Schmerzen!“
„Was glaubt die, wer ich bin;
kann ich hexen?“
„Ich soll endlich etwas
gegen die Schmerzen
unternehmen“
� Man kann nicht nicht kommunizieren
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http://www.paulwatzlawick.de/axiome.html
Nonverbale KommunikationAnteile
30% = verbal
70% = nonverbal
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Bild aus Copyrightgründen entfernt
Paul Watzlawick -Verbale vs. Nonverbale Kommunikation
• Kommunikation besteht aus
• 1. digitalen Anteilen (Sachinhalt / verbale Kommun.)
• 2. analogen Anteilen (non -verbal) • 2. analogen Anteilen (non -verbal) – Körperhaltung– Gestik– Mimik– Blickkontakt– Stimmklang/melodie– Sprechpausen
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Problem: oft ist man in der Konversationbereits mehr damit beschäftigt, was manselber als nächstes wieder sagen möchte,statt wirklich zuzuhören.
InteraktionAktives Zuhören
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� AKTIVES ZUHÖREN
Bild aus Copyrightgründen entfernt
Allergologie
•E.F. 58 Jahre
– leidend wirkende 58-jährige Patientin
– Vorstellungsanlass:
• 48
– Vorstellungsanlass:
▪ Abklärung V.a. Insektengiftallergie
▪ Abklärung V.a. Nahrungsmittelallergie
Anamnese
•E.F. 58 Jahre
–2007 nach Bienenstich in die Hand Parästhesien und Bewusstlosigkeit
–Diagnostik
Bild aus Copyrightgründen entfernt
• 49
–Diagnostik–Prick- / Intrakutantest mit Bienen- u. Wespengift negativnegativ–Spezifisches IgE Biene CAP-Klasse 2, Wespe CAP-Klasse 0
Allergologie
•E.F. 58 Jahre
– Weiterer Abklärungsbedarf?
– Wegen Bienengiftallergie auch Honigallergie?
• 50
– Wegen Bienengiftallergie auch Honigallergie?
Anamnese
•E.F. 58 Jahre
– Multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten (v.a. Meteorismus)
Bild aus Copyrightgründen entfernt
• 51
– Multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten (v.a. Meteorismus)– Seit 38 Jahren Rhinoconjunctivitis allergica (Frühjahr und Sommer)– Orales Allergiesyndrom nach Äpfel, Nüsse
– Diagnostik– Im Prick Sellerie, Apfel, Soja, Curry, Koriander reaktiv
Tagebuch
•E.F. 58 Jahre
14.04.08 17:00 Uhr Suppe von Rind, nicht fett,
Brühe Karotten, Kartoffeln
19:00 Uhr Baguette 50g + 2 TL Sahne
19:30 Uhr Augen jucken
• 52
19:30 Uhr Augen jucken
20:00 Uhr in Dusche
01:46 Uhr aufgewacht Augen jucken, Schnupfen,
Speiseröhre brennt
02:30 Uhr noch keine Ruhe
intensives Erlebnisintensives Erlebnis"Allergie""Allergie"
Ausweitung des ErlebensAusweitung des Erlebens
Beschwerdebeschreibung
•E.F. 58 Jahre
– „wie Krieg im Bauch“– „brennen von innen“, „ich verbrenne“– „wie ein Ball, wenn ich auf den Bauch schlage“
• 53
– „wie ein Ball, wenn ich auf den Bauch schlage“– „gehe auf“– „kein Blut in den Armen“– „es zieht überall“ (Luft)
Verhalten I
•E.F. 58 Jahre
– „nur Selbstgebackenes“– Probatorische Nahrungskarenz– Wasser vor Nahrungsaufnahme oder danach „leichter Joghurt“
• 54
– Wasser vor Nahrungsaufnahme oder danach „leichter Joghurt“– Symptome vor allem, wenn der Ehemann kocht (Konsequenz: Er darf nicht
mehr kochen)
Verhalten II
•E.F. 58 Jahre
– Häufige Arztwechsel (HNO-Arzt: „kann ihnen nicht helfen“)– „Beendigung der Büroarbeit“– Vermeidet das Öffnen von Fenstern
• 55
– Vermeidet das Öffnen von Fenstern– Bei Klimaanlage: Verlassen des Raums, „Spülen der Nase“– Kopfschmerzen seit Kindheit, Befreiung von Aufgaben– Beginn der Symptomatik nach Geburt des Sohnes– Über allem: depressiver Affekt
Diagnosen
•E.F. 58 Jahre
1)Rinoconjunctivitis allergica bei Sensibilisierung gegenüber Frühblühern und Gräsern
2)Birkenpollen-assoziierte Nahrungsmittelallergie i n der Ausprägung als orales Allergiesyndrom (OAS)
• 56
Ausprägung als orales Allergiesyndrom (OAS)
3)Typ I-Sensibilisierung gegenüber Bienengift
1)Mittelgradig depressive Störung
2)Umweltbezogene Gesundheitsstörung im Sinne einer
Überlagerung und Generalisierung der somatischen Sy mptomatik
Verlauf
• Stationäre psychosomatische Behandlung
• � leider kaum Erfolg im Sinne einer Besserung
• � Keine • � Keine Verschlechterung als Minimalerfolg… Bild aus Copyrightgründen entfernt
Initiale Diagnostik- und Beratungssituation
Informationsvermittlung zur Behandlung
•Proaktives Erfragen durch Behandelnde
•Einfache, klare und direkte Fragen
•Spezifische Problemerfassung möglich?
•Art, Ausprägung und Auswirkungen der Symptomatik
•Einschätzung der Partnerschaft und Lebenssituation
•gemeinsame Suche nach Lösungen möglich?
•spezifische Angebote notwendig?
• „Haben Sie in der letzten Zeit bemerkt,
Diagnostische Sensitivität von >90% für Major Depression
durch zwei gezielte Fragen: (Brody et al. 1998; Whooley et al. 1997)
STÖRUNGSSPEZIFISCHE FRAGENDepressive Störungen
• „Haben Sie in der letzten Zeit bemerkt, dass Sie weniger Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten hatten?“
• „Fühlten Sie sich in der letzten Zeit niedergeschlagen, schwermütig oder hoffnungslos?“
somatische Ebene:• funktionale Leistungsfähigkeit ⇑• körperliche Dekompensationen ⇓
psychische Ebene :• Lebensqualität ⇑• Compliance ⇑• Krankheitsselbstmanagement ⇑
Warum psychosomatische/ somatopsychische Diagnostik im Alltag?
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• Krankheitsselbstmanagement ⇑• Krankheitsverarbeitung und emotionale Befindlichkeit ⇑
soziale Ebene:• Burnout bei Angehörigen ⇓• Stabilisierung des sozialen Beziehungsgefüges• soziale und ggf. berufliche (Re-) Integration ⇑
sozioökonomische Ebene:• Notwendigkeit zur Inanspruchnahme von Leistungen ⇓
Warum werden psychische Begleiterkrankungen nicht behandelt?
Patienten BehandlerSchuld und Scham Unzureichende Aufmerksamkeit bezüglich
Symptomen von Angst und Depression
Stigma psychischer Erkrankungen Stigma psychischer Erkrankungen
Mangel an Wissen über Depression und Angsterkrankungen
Unzureichendes Wissen zur Diagnostik und zum „Management“
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Angsterkrankungen „Management“
Widerstand gegen weitere Therapie Unsicherheit bezüglich der passenden Patienteninformation
Angst vor Nebenwirkungen Fehlen guter und umsetzbarer Leitlinien
Maskierung psychischer Symptome durch körperliche Erkrankung
Schwierigkeiten psychische von körperlichen Symptomen zu unterscheiden
Abneigung eine psychische Diagnose anzunehmen
Limitierte, nicht zureichende Zeit
Schwierigkeiten über psychische Zusammenhänge zu sprechen
Schwierigkeiten schwierige Punkte anzusprechen
AM Yohannes. Int J Geriatr Psychiatry 2009
Lernziele
Wissen.
•Was ist Psychosomatische Medizin?
•Wozu Psychosomatische Medizin?
•Wer ist Psyche?
•Mehrdimensionale Diagnostik und Bio-Psycho-Soziales Modell
•Relevanz von Kommunikation in der Diagnostik
oh là là!hoffentlich…
unbedingt
Wissen wie.
•Initiale Psycho-Diagnostik in der Somatik und Reaktionsweise/ Screening psychischer Störungen
•Differenzierung von faktisch und post-faktisch: Einfluss von Erwartung auf Symptomschwere erkennen
•Umgang mit Hürden auf Patienten- und Arztseite, die eine Diagnostik komorbider psychischerStörungen verhindern/erschweren
ganze zwei Fragen helfen enorm…
Bild aus Copyrightgründen entfernt
martin.teufel@uni-due.de
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