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Rundbrief der Sozialwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum Sommer 2009
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Freie Hochschule für Geisteswissenschaft
Goetheanum
Sektion für Sozialwissenschaften
R U N D B R I E F
Sommer 2009
Die Revolution sind wir!
Das Wesen der „Geistigen Stiftung“
Ethik oder Gier?
Finanzmarktkrise und sozialer Organismus Goetheanum
Veranstaltungsrückblicke
Berichte aus der Sektionsarbeit
Veranstaltungsvorblick
2 3
Geleitwort 3Aus der Forschungsarbeit Die Revolution sind wir! 4 Das Wesen der „Geistigen Stiftung“ 13 Ethik oder Gier? 23 Finanzmarktkrise und sozialer Organismus Goetheanum 28
Veranstaltungsrückblick und Arbeitsgruppen Hochschultreffen der Familienkultur (Kolloquium) 33 Menschenwürde (Kolloquium) 35 Die Herausforderung der Globalisierung 39 Konfliktforschung (Kolloquium) 40 Initiativkreis Ernährung 2009 (Kolloquium) 42 Arbeitskreis Verbraucher 46 Bericht vom Verbrauchertreffen 52
Berichte aus der internationalen Sektionsarbeit Indien: Stand der Demeter-Bewegung 53 Indien: Gateway-Zweig in Mumbai 54 Indien: Sadhana Village 56
Veranstaltungsvorblick Ins Gespräch kommen – soziale Verantwortung fördern 58
Veranstaltungsüberblick 59
Hausmitteilungen und Impressum 60
I N H A L T
2 3
Liebe Freunde
Es ist mir eine Freude, Ihnen
diesen neuen Rundbrief
vorstellen zu dürfen. Mit Hilfe
von Benjamin Kohlhase-Zöllner
haben wir es geschafft, einen
Rundbrief zu konzipieren, der
unserer Arbeit ein neues Gesicht
gibt. Der Sektionsbrief soll dazu
dienen, ein Gespräch „unter
den Sektionsangehörigen“
zu ermöglichen. Er soll ein
Austauschorgan sein für alle
Menschen, die weltweit mit
der Sektion in Zusammenhang
stehen. Projekte, Ideen und
Arbeitsergebnisse sollten
vorgestellt werden können.
G r u s s w o r t
So hoffe ich, dass mit der
neuen Gestalt des Rundbriefes
dieses „Gespräch unter den
Beteiligten an der Sektion“ eine
Intensivierung erfahren darf.
Gerne wünsche ich Ihnen alles
Gute für Ihre Arbeit.
Mit herzlichen Grüssen
Paul Mackay
4 5
Die Revolution sind wir! (Joseph Beuys)
Individualität als der Quell für soziale Veränderung
von Ulrich Rösch
Viele Menschen erschrecken heutzutage,
wenn sie etwas von Revolution hören.
Soziale Revolutionen bringen meistens nur
äußere Veränderungen mit großem Leiden
für die betroffenen aber unschuldigen
Menschen mit sich. Man muss sehen, dass
Revolutionen meistens dadurch verursacht
wurden, dass nötige Veränderungen
nicht rechtzeitig auf evolutionärem Wege
stattgefunden haben.
Entwicklungen gehen ihren Weg! Ähnliches
geht aus Ähnlichem hervor. Manchmal
gibt es Stauungen oder Stockungen, dann
braucht es wieder Sprünge. Konservative
oder phlegmatische Menschen fürchten
heftige Veränderungen. Manchmal muss
sich der Organismus aber bei Stauungen
wehren, damit nicht ganze Organe
absterben. Und so meint Beuys, dass
unser sozialer Organismus dringender
Veränderungen benötigt, damit er nicht
ganz in seiner Totalität zugrunde geht.
Beuys weist mit seinem Multiple „La
rivoluzzione siamo noi“ darauf hin, dass
wirkliche Transformation nur vom Menschen
ausgehen kann. Der Mensch selbst kann
nur der Quell für eine menschengemäße
Aus der Forschungsarbeit
Veränderung sein. Dazu kommen muss aber
das „wir“! In der modernen Zeit kann der
Einzelne nicht mehr autokratisch und solitär
handeln, sondern immer nur in Abstimmung
mit den anderen Menschen. Eine solche
Evolution wäre die Grundlage für ein
gesundes Zusammenleben.
Unser soziales Leben ist in eine tiefe Krise
gekommen. Die Finanzkrise ist davon nur
ein äußeres verdichtetes Phänomen. Alles
schreit nach Veränderung. Bestehendes ist
aber träge und möchte verharren. Wo sind
4 5
die Vorbilder, das Neue zu gestalten? Damit
wir das Neue finden, bedarf es zunächst
einmal Zukunftsbilder, Visionen. Diese
dürfen nicht willkürlich und spekulativ sein.
Sie müssen einem klaren und vertieften
Denken entspringen. Das aber bedarf einer
willensmäßigen Anstrengung in unserem
Denken. Der Begriff, die Idee, als Grundlage
unserer Vision sozialer Prozesse und
Gestaltungen muss von jedem einzelnen
individuell auf dem Schauplatz des je
konkreten Bewusstseins hervorgebracht
werden. Diese unabdingbare Voraussetzung,
um unsere Welt zu einer besseren zu
machen, ist schon schwer genug – doch
nicht ausreichend. Hinzukommen muss die
Verständigung mit einer genügend großen
Zahl von Menschen, damit eine neue Idee
wirksam werden kann.
Man könnte sagen: Zu dem
erkenntnismäßigen Erfahren des gesetz-
mäßig Wirkenden muss ein künstlerisch-
kreativer Prozess des freien Entwerfens
sozialer Möglichkeiten hinzukommen.
Dieser künstlerische Prozess kann aber nicht
vom Einzelnen vollzogen werden, sondern
nur in der Gemeinschaft, einem Kollegium,
einer Assoziation freier Individualitäten. Hier
kann und muss die Soziale Plastik wachsen,
ein erneuerter, erweiterter Kunstprozess.
So hätten wir uns also auf den Weg zu
begeben von der Sozialwissenschaft zur
Sozialen Kunst, d.h. wir müssen den
Wissenschaftler durch den Künstler in uns
ergänzen. Darin können wir die Beuyssche
Nachfolgeschaft antreten. Er kann uns da
als eines der bedeutendsten Vorbilder in der
neueren Zeit gelten.
Damit sind wir bei der Sozialen Kunst.
Die bestehenden sozialen Verhältnisse,
die menschlichen Beziehungen und
Organisationen sind das plastische
Material, mit dem der Künstler zu arbeiten
hat und deren Gesetzmäßigkeiten er
selbstverständlich kennen muss. Die
„schöne“, künstlerische, soziale Form ist
es, die es zu schaffen gilt. Die sozialen
Fähigkeiten, die wir uns erworben
haben, entsprechen dem handwerklichen
Können des Künstlers. Die Idee, nach
der wir hinarbeiten, entspringt den
Gesetzmäßigkeiten des Sozialen. Es bedarf
jedoch der künstlerischen Intuition, mit
den anderen Menschen gemeinschaftlich,
zum rechten Zeitpunkt, das Richtige zu
tun. So können im Zusammenwirken freier
Individuen der soziale Organismus oder
Teile davon als Kunstwerk erscheinen.
Nicht darum geht es, ein „Utopia“ zu
schaffen, sondern die Welt nach ihren
Gesetzmäßigkeiten so umzugestalten, dass
sie den „schönen Schein“ (Schiller) einer
6 7
dem Menschen würdigen Gesellschaft
erhält.
So findet man Beuys‘ politische Aktionen in
vollständiger Übereinstimmung mit diesem
Freiheits- und Sozialimpuls. Besonders
durch sein Wirken auf der Dokumenta
1972 in Kassel wurde der Zusammenhang
mit der damals beginnenden neuen Drei-
gliederungsbewegung, den „Demokratie-
und Dreigliederungsimpulsen“ deutlich.
Angeregt durch diese Begegnungen
mit den Vertretern des Achberger
Dreigliederungszentrums beschäftigte
sich Joseph Beuys nun auch mit dem
bedeutenden Goetheanisten und Mitglied
der Dornacher Freien Hochschule,
Wilhelm Schmundt, dem er anlässlich
des Jahreskongresses 1973 in Achberg
begegnete. Eigenständig erforschte
dieser die Wirklichkeit des sozialen
Organismus. Klar und eindeutig zeigte
er sich als Platoniker, der ganz in seinen
erlebten Ideengefügen beheimatet war.
Phänomenologie statt Ideologie war sein
Grundsatz. Sein Grundwerk „Der soziale
Organismus in seiner Freiheitsgestalt“
wurde durch Herbert Witzenmann,
dem Leiter der Sozialwissenschaftlichen
Sektion und Vorstand am Goetheanum,
als Studienmaterial der Freien Hochschule
herausgegeben.
Viele der treuen anthroposophischen
Sozialkundler fanden Schmundts Arbeiten
viel zu eigenständig und nicht mit ihrem
eigenen Ansatz und ihren Vorstellungen
übereinstimmend. Ganz anders Beuys,
der von Anfang an die Bedeutung dieser
goetheanistisch-sozialwissenschaftlichen
Arbeiten Wilhelm Schmundts verstand.
Er verehrte ihn als „unseren großen
Lehrer“. Seinen Brief an den „lieben, sehr
verehrten Wilhelm Schmundt“ endet er
„In nicht nachlassender Liebe zu Ihnen und
Ihrem Werk, stetig Ihr Joseph Beuys“. Das
Beuyssche Werk lässt sich nach 1973 ohne
Berücksichtigung dieser entscheidenden
Begegnung mit Schmundt nicht richtig
verstehen.
Die Tafel zeigt die Verbindung Beuys‘ zu den
Ideen der Dreigliederung und wie er gerade
in der Kunst, dem künstlerischen Gestalten
die Grundlage für die Kapitalbildung sah.
Aber auch die – heute wieder ganz aktuelle,
in die öffentliche Diskussion getretene
– Trennung von Arbeit und Einkommen
findet ihren Niederschlag in der Tafel: Arbeit
kann und darf nicht bezahlt werden. „Wenn
also bezahlt werden muss, dann muss mit
Kunst bezahlt werden; es muss mit dem
erweiterten Kunstbegriff, der identisch
mit dem erweiterten Ökonomiebegriff
ist, bezahlt werden. Und wenn nur mit
diesem Kapital (siehe Tafel) bezahlt werden
kann, muss es mit Menschenwürde und
Menschenrecht bezahlt werden.“
Der soziale Organismus entwickelt sich. Er
macht Verwandlungen, Metamorphosen
durch. So hat er sich von der Tauschwirtschaft
zur Geldwirtschaft und schließlich zur
Fähigkeitenwirtschaft gewandelt. Die
Produktion findet ausgehend von den
individuellen Fähigkeiten in umfassender
Zusammenarbeit statt. Das Wirtschaftsleben
hat sich zu einem „integralen System“
(Eugen Löbl) entwickelt.
Innerhalb des Wirtschaftslebens haben
wir es ausschließlich mit Waren- und
Werteströmen zu tun. Dem sozialen Glied
des Wirtschaftslebens steht gegenüber das
Geistesleben, welches im Wesentlichen
6 7
auf den menschlichen Fähigkeiten beruht.
Dazwischen liegt das dritte Gebiet, das
Rechtsleben. Dort soll nur das allgemein
Menschliche, nicht das Individuelle,
nicht das Kollektive wirken. In diesem
und durch dieses Rechtsgebiet muss die
Menschenwürde geschützt werden.
Das Geld vermittelt die Rechtsprozesse in den
wirtschaftlichen Vorgängen. Es hat in der
heutigen Zeit keinen Warencharakter mehr,
es wird von den Zentralbanken in einem
freien Vorgang geschöpft. Der geschöpfte
Kredit wird über die Kreditbanken als
kurzfristiger Kredit an die Unternehmen zur
Finanzierung der Produktion weitergegeben
und somit zum Unternehmerkapital. Es
fließt durch die Einkommen aller Mitarbeiter
in den Konsumbereich und wird dort
zur Berechtigung, alle produzierten
Waren und Dienstleistungen am Markt
zu kaufen. Da sich der Geldkreislauf im
modernen Wirtschaftsleben zu einem
Ausschnitt aus einer Tafel von Joseph Beuys „Jeder Mensch ist ein Künstler – Auf dem Weg zur
Freiheitsgestalt des sozialen Organismus“, die am 23. März 1978 in Achberg entstanden ist.
8 9
geschlossenen System entwickelt hat,
muss das Bankensystem dafür sorgen,
dass alles herausgegebene Geld innerhalb
eines bestimmten Zeitrahmens wieder
zurückfließt, so dass der Kreislauf wieder
geschlossen wird.
Schon aus diesen wenigen Andeutungen
kann deutlich werden, dass das Geld ein
reines Rechtsdokument geworden ist.
Überall dort, wo das Geld Warencharakter
annimmt, muss es die sozialen Zusammen-
hänge behindern. „Dadurch aber, dass
das Geld ein wirkliches Wirtschaftsobjekt
geworden ist, spiegelt es wirklich etwas
Imaginäres den Menschen vor, und indem
es so wirkt, tyrannisiert es zu gleicher Zeit
die Menschen.“ (Rudolf Steiner: Soziale
Zukunft, Dornach 1977, S. 50).
Das dritte soziale Gebiet, das Rechtsleben,
beinhaltet also alles das, was nicht
unmittelbar mit der kreativen menschlichen
Individualität zu tun hat und nicht mit der
Zirkulation der wirtschaftlichen Werte. Es ist
der Bereich, der jeden Menschen in gleicher
Weise betrifft, darum nur das allgemein
Menschliche zur Wirksamkeit kommen
soll. So sieht man durch das unbefangene
Studium der Phänomene, dass sich der
soziale Organismus in der neueren Zeit zur
Dreigliederung entwickelt hat: Erstens
haben wir den Bereich, der es mit den
Fähigkeiten des Menschen zu tun hat, die
ganz an seine Individualität gebunden sind,
das Geistesleben. Das, was der einzelne
aus seinem persönlichen Schicksal mit auf
die Erde bringt, kann auch nur aus dem
einzelnen Bewusstsein beurteilt werden.
Hier darf nur eines zum sozialen Prinzip
werden: die Freiheit, „die Selbstbestimmung
eines jeden Tätigen aus der Erkenntnis des
Notwendigen heraus“ (Wilhelm Schmundt:
Erkenntnisübungen zur Dreigliederung des
sozialen Organismus, Achberg 1982, S. 44).
Dem gegenüber steht das Gebiet, in dem
es um die Verwirklichung sozialer Initiativen
geht, das Wirtschaftsleben. Freie
Angebote der Produzenten werden hier
beurteilt durch gemeinschaftlich handelnde
Konsumenten. Rudolf Steiner spricht hier
von Assoziationen. Die Zusammenarbeit
bringt die Warenwerte hervor, die immer
auf andere Menschen gerichtet sind.
Hierin verwirklicht sich in objektiver
Weise das Prinzip der Brüderlichkeit.
Dazwischen steht der ganze Bereich des
Vereinbarens, Verpflichtens, Berechtigens,
das Rechtsleben. Aus dem Prinzip der
Freiheit, die wir aus dem Wesen der
Individualität jedem Menschen zugestehen
müssen, erfolgt konsequent, dass für die
Rechtssphäre das soziale Prinzip für jeden in
gleicher Weise Gültigkeit haben muss und
somit die Gleichheit hier Grundbedingung
sein muss.
Hier müsste ein neuer Begriff von „Unter-
nehmereigentum“ gebildet werden,
der es dem Unternehmer ermöglicht,
seine freie Initiative, seine Kreativität mit
den entsprechenden Produktionsmitteln
auszustatten. Er kann im Rahmen seiner
Beauftragung durch die Assoziation
selbstverantwortlich darüber verfügen. Die
Produktionsmittel dürfen nicht willkürlich
verkauft oder vererbt werden, der Begriff
des privaten Eigentums entfällt – dieser
macht im modernen Wirtschaftsleben
keinen Sinn.
Der zweite sinnwidrige Begriff ist Profit
als Wirtschaftsantrieb. Der Überschuss
8 9
der Einnahmen über die Ausgaben kann
kein Verfügungsrecht über irgendeinen
Wirtschaftswert begründen. Es kann also
das Erzielen eines solchen Gewinns nicht
die Absicht sein, so wie dies die heutige
Wirtschaft aus ihren tauschwirtschaftlichen
Begriffsbildungen heraus praktiziert. Diese
kann nur sein, qualitativ hochwertige
Waren mit möglichst wenig Aufwand an
Arbeit und Ressourcen für den Bedarf der
Konsumenten unter menschenwürdigen
Arbeitsbedingungen zu erzeugen. An
die Stelle des materiellen Anreizes wird
das Interesse am anderen, bedürftigen
Menschen treten können. Dazu bedarf
es aber der Vermittlung von Einsichten in
den Gesamtzusammenhang der sozialen
Verhältnisse, welche selbstverständlich alle
Menschen auf der Erde einschliessen.
Lohnarbeit ist der dritte Begriff, der noch aus
der mittelalterlichen, tauschwirtschaftlichen
Begriffswelt herrührt. Damit stehen die
wichtigsten sozialen Konflikte und Probleme
der Industriegesellschaft in Verbindung.
Die Forderung von Karl Marx: Arbeitskraft
darf nicht zur Ware werden, resultiert aus
diesen überkommenen Lohnarbeitsver-
hältnissen. Der moderne Mensch fühlt sich
dadurch, dass seine Arbeitskraft zur Ware
wird, in seiner Menschenwürde verletzt. In
Wirklichkeit ist das Einkommen-Geben an
die Mitarbeiter und an den Unternehmer
selbst, überhaupt kein Wirtschafts-, sondern
ein reiner Rechtsvorgang. Eine Bezahlung
der Arbeit widerspricht der modernen
Unternehmenswirtschaft. Also kann es sich
nur darum handeln, allen Mitarbeitern im
Rahmen des sozialen Ganzen ein gerechtes
Einkommen zu gewährleisten. Der Vorgang
des Einkommen-Gebens muss aus dem
Wirtschaftsleben herausgehoben werden
in die Sphäre des Rechtslebens. Jeder
Mensch hat Recht auf ein Einkommen,
damit er ein menschenwürdiges Auskom-
men hat. Nur dann kann er seine Fähigkeiten
den Mitmenschen in Freiheit zur Verfügung
stellen.
Man sieht, wie sich aus dem gewandelten
Kapitalbegriff weite Konsequenzen
ergeben. Es handelt sich nicht darum,
Verbesserungsvorschläge zu machen, wie
man das heutige Leben etwas humaner
gestalten könnte. Es geht darum,
Prozesse, die überall schon geschehen,
mit den wesensgemäßen Begriffen zu
schildern. Hat man jedoch einen solchen
gewandelten Kapitalbegriff zur inneren
Erfahrung gebracht, so kann sich daraus
eine umfassende volkspädagogische
Bewegung ergeben, die bei einer breiten
Öffentlichkeit Verständnis findet. Joseph
Beuys ging mit großem Beispiel voran!
Erst wenn eine genügend große Zahl von
Menschen aus solchen neuen Einsichten
und Begriffen heraus die Gestaltung der
Welt in die Hand nehmen wird, werden wir
eine Gesundung der sozialen Verhältnisse
erfahren können. Es kann sich nicht darum
handeln, einen paradiesischen Zustand
anzustreben, sondern die Krankheitsherde
unserer Gesellschaft zu heilen, damit sich
der soziale Organismus seinem Wesen
entsprechend in einer gesunden Weise
entwickeln kann.
Alle Menschen, die daran aktiv
mitwirken, sind Mit-Gestalter, Mit-
Künstler an der Sozialen Skulptur.
10 11
Auf der Tafel „Kunst = Kapital“ findet man den Geldkreislauf in erweiterten
Zusammenhängen.
10 11
Anhang von Ulrich Rösch in „Was ist
Geld?“, FIU-Verlag Wangen
Unter diesem Titel zeichnet Beuys einen Pfeil
von der Kunst zur Ökonomie und darunter
den gegenläufigen Pfeil, wobei er die
wechselseitige Abhängigkeit kennzeichnet.
Darüber erläutert er, indem er schreibt:
„Kunst – Gestaltung – Kreativität = Arbeit“.
Damit zeigt Beuys seinen Arbeitsbegriff auf.
Die Arbeit urständet im Kreativitätspotential
des Menschen. Sie wird tätig in den
Unternehmen, um die Natur zu verwandeln,
sodass sie ein konsumierbares Gut wird.
Einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt
erhält diese Tafel dadurch, dass die
demokratische Zentralbank hier als
Herzorgan gezeichnet wird (mitte/links).
Beuys verbindet damit auch eine neue
physiologische Anschauung, die im
Goetheanismus begründet ist, welcher das
Herz als ein Harmonisierungsorgan und
keinesfalls als Pumpe ansieht. So ist die
Zentralbank nie als hierarchisches Organ
zu verstehen, das Geld nach eigenem
Gutdünken in die Wirtschaft hineinpumpt,
sondern sie stellt sich als ein reines
Regulierungsorgan dar.
Die Bewegung des Geldes wird durch die
Initiative der Menschen hervorgerufen. So
schreibt Beuys bei den Unternehmungen
(rechts daneben) dass es die „Fähigkeiten“
der Menschen sind, die kreditiert werden. Sie
werden auch als das „Produktionskapital“
bezeichnet.
In diesem Bild finden wir ebenfalls die
Produktions- und Konsumtionsseite, die
durch eine horizontale Linie angedeutet
ist. Links unterhalb der Zentralbank
steht der Begriff „Rechtsdokumente“.
Das Geld ist kein Wirtschaftswert mehr,
sondern ein Element des Rechtslebens
geworden. Beuys zeichnet auf der
Produktionsseite die verschiedensten Arten
von Unternehmungen, charakterisiert durch
geometrische Figuren, darunter die „Natur“
in ihren vielfältigen Formen. Die Menschen
ergreifen in gemeinschaftlicher Produktion
mit ihren Fähigkeiten die Naturgrundlage
und verwandeln sie zu Konsumgütern.
Der Begriff „Lohn-Arbeit“ wird von Beuys
mit einem dicken „X“ durchgestrichen;
er ist Vergangenheit. Heute geht es um
„Trennung von Arbeit und Einkommen“.
Das eine ist die Tätigkeit im wirtschaftlichen
Bereich, das andere ein Rechtsanspruch.
Ganz unten auf der Tafel erwähnt Beuys
den tschechoslowakischen Wirtschaftswis-
senschaftler Eugen „Loebl“, der eine Zeitlang
Präsident der Staatsbank in Bratislava
war und der in seinen Untersuchungen
dargestellt hat, dass sich die gesamte
Produktionsseite heute zu einem integralen
System entwickelt hat.
Die in den Unternehmungen hergestellten
Konsumgüter fließen auf den Markt
(rechts/oben: „Schwelle“ u. großes
„M“). In die „Preise“ der Waren muss
all das Geld einkalkuliert werden, das
an die Unternehmungen innerhalb eines
Währungsgebietes herausgegeben wurde.
An der Schwelle des Marktes werden die
produzierten Güter dem Wirtschaftskreislauf
entnommen, das Geld fließt zu den
Unternehmen zurück. Es muss jetzt aber
dafür gesorgt werden, dass das Geld – so
Beuys – „ohne Beziehung zu irgendeinem
Wirtschaftswert“ (mitte/oben) zur
demokratischen Zentralbank zurückkommt.
12 13
Über dem Herzorgan des modernen Geldkreislaufes schreibt Beuys den Namen des Goetheanisten
Wilhelm „Schmundt“, den er als „unseren großen Lehrer“ verehrt hat.
Gerade neu erschienen: Die zweite Auflage
der Podiumsdiskussion
WAS IST GELD?
Joseph Beuys diskutiert mit einem
Finanzwissenschaftler (Prof. Werner
Ehrlicher), einem Alternativ-Wirtschaftler
(Prof. Hans Binswanger) und einem
Alternativ-Banker (Freiherr von
Bethmann). Der Band enthält einen
erläuternden Text von Ulrich Rösch:
Zum Geld- und Kapitalbegriff von
Beuys – Man kann Joseph Beuys
erst verstehen, wenn man ihn schon
verstanden hat.
104 S., Taf.-Zeichn. - 24 x 20 cm
ISBN: 978-3-928780-00-1
Im FIU-Verlag Wangen, €uro 19
Dieser Artikel ist ein Beitrag für die Tagung im Threefold Educational Center in Chestnut Ridge (NY) USA „Inner Transformation and Social Renewal“ vom 8. - 11. August 2009.
12 13
Vom Wesen einer „Geistigen Stiftung“von Peter Gutland
I. Vorwort
Im November 2006 wurde im Troxler-Haus
Wuppertal nach mehrjähriger Vorbereitung
die Troxler-Haus-Stiftung gegründet als
ein Instrument zur Zukunfts-Sicherung der
Arbeit mit und für Seelenpflege-bedürftige
Menschen.
Das ist angesichts der erkennbaren
Absichten des Staates, sich, zumindest
teilweise, aus der Finanzierung der sozialen
Arbeit in Deutschland zurück zu ziehen, ein
Akt der Überlebenssicherung.
Sollte diese ungünstige Prognose nicht
eintreffen, stellt die Stiftung ein Instrument
dar, das die bestehende staatliche
Finanzierung erweitern könnte für die
Bedürfnisse, die aktuell nicht oder nur
unvollständig genehmigt werden, und
deren Finanzierung durch ein ebenfalls
zurückgehendes und schwankendes
Spendenaufkommen nur partiell realisiert
werden kann.
Durch breite Unterstützung und eine
Erbschaft, ist das Stiftungsvermögen in
zwei Jahren zu einem beachtlichen Umfang
angewachsen. Dies dürfen wir aber nicht als
selbstverständlich hinnehmen, sondern als
Ansporn betrachten, das Interesse möglichst
vieler Menschen anzuregen, an dem
weiteren Wachstum mitzuarbeiten.
Matthias Reichert, ein langjähriger Freund
des Troxler-Hauses und Mitglied von
Trägerrat und Stiftungskuratorium, gab
uns die Anregung, neben der „äußerlich“
errichteten und wirksam werdenden Troxler-
Haus-Stiftung – eine „Geistige Stiftung“
zu gründen. Alles physische Geschehen
hat seinen Ursprung im Geistigen. Aus
dieser Erkenntnis sollte versucht werden,
der Stiftungsgründung eine geistige
Grundlage zu schaffen, die geistige Realität
anzuerkennen und zu würdigen. Doch:
Was ist eine „Geistige Stiftung“?
Die folgenden Überlegungen sind erste
Versuche, dies zu verstehen. Sie müssen
ergänzt und weiterentwickelt werden.
Zuvor werden die Begriffe „Stiftung“
sowie „Geld“ kurz dargestellt, um dann zu
versuchen, daraus Antworten zum Thema
abzuleiten.
II. Was ist eine Stiftung
Fragt man: „Was ist eine Stiftung?“
so findet man im Lexikon die Antwort:
„Zuwendung von Vermögenswerten zu
einem vom Stifter bestimmten Zweck.“
Das Grundprinzip der meisten Stiftungen ist
Aus der Forschungsarbeit
14 15
deutlicher beschrieben:
„dass Vermögen bzw. Vermögenswerte
von einer oder mehreren Personen (auch
juristischen Personen wie Unternehmen oder
Einrichtungen) hingegeben, d.h., „gestiftet“
werden. Dieses Stiftungsvermögen soll
dann gewinn-bringend eingesetzt/angelegt
werden, um Erträge zu erzielen. Der
oder die Stiftungsgründer legen in der
Stiftungssatzung fest, wie und wofür die
Erträge zu verwenden sind. Zusätzlich ist
dort bestimmt, welche Personen hierüber die
Entscheidungsbefugnis erhalten bzw. wie
und durch wen diese Entscheidungsträger
(Stiftungsorgane) zu bestimmen sind.“
Wenn über Verwendung der Erträge
gesprochen wird, impliziert dies, dass mit
dem gestifteten Vermögen Gewinne erzielt
werden sollen. Der Begriff „Vermögen“
umfasst unterschiedliche Arten von
Eigentum (neben Geld, also Liquidität
z.B. Immobilien, Grundstücke, Aktien,
Anlagen etc.), die auch alle in eine Stiftung
eingebracht werden können.
Hier wird ausschließlich auf die
Vermögensart „Geld“ geschaut, da dies
eine häufige Art der Stiftungskapitalbildung
darstellt und die Betrachtungen auch auf
die anderen Vermögensarten übertragen
werden können.
Bevor auf den Begriff „Geld“ eingegangen
wird, soll die Entwicklung von Stiftungen
dargestellt werden, um einen umfänglichen
Eindruck vom Thema zu erhalten.
III. Die Stiftung in ihrer Entwicklung
„Stiftungen hat es immer gegeben. Die
Stiftungsgeschichte beginnt mit den
Kultstiftungen der Antike. Träger der antiken
Stiftungen waren gleichsam die Götter
selbst. Ihnen wurden die Tempelschätze
geweiht. Mit ihnen wollte man sich durch
Schenkungen vereinigen.
Eine „Verweltlichung“ des Stiftungs-
gedankens erfolgte durch die römische
Denkungsart. Diese verband mit Stiftungen
bereits den Wohlfahrtsgedanken und den
Gedanken der Mildtätigkeit.“ (1)
Stiftungen entwickelten sich dann weiter
(besonders im kirchlichen Zusammenhang
gewannen sie große Bedeutung) durchs
Mittelalter bis in die neuere Zeit und fanden
auch notwendigerweise ihren Raum in der
Rechtssprechung. Sie hatten aber hier wie
da lange Zeit keine wirkliche gesellschaft-
liche Bedeutung. Das änderte sich gegen
Ende des auslaufenden 20. Jahrhunderts.
„Nachdem das Stiftungsrecht über viele
Jahre ein Schattendasein geführt hatte,
kam in der zweiten Hälfte der neunziger
Jahre der Stein zur Modernisierung des
Stiftungsrechts ins Rollen“ (2)
Das „Gesetz zur weiteren steuerlichen
Förderung von Stiftungen“ im Jahre 2000,
das „Gesetz zur Modernisierung des
Stiftungsrechtes“ 2002, und dann ganz
besonders im Herbst 2007 das „Gesetz
zur Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements“ (2) haben den Rahmen und
die Anreize für eine deutliche Zunahme von
Stiftungsgründungen geliefert.
„Die Zahl der jährlichen Neugründungen ist
von 200 Stiftungen im Jahr 1990 auf rund
800 jährlich angestiegen.“ (3)
Immer wieder werden Neugründungen
einer Stiftung bekannt, die sich mit dem
Namen einer als sehr reich geltenden
Persönlichkeit verbinden wie z.B.: Bill
Gates, Warren Buffet oder in Deutschland
14 15
Peter Schnell. Interessant ist hierbei die
Ähnlichkeit der Beweggründe: „82 %
der Stifter geben an, dass die Gründung
einer Stiftung einen konkreten äußeren
bzw. situativen Anlass hatte, zum Beispiel
das Erleben von Notsituationen, den Zufall
eines Vermögens, das Vorbild anderer, das
Erkennen sozialer Ungleichheit oder das
Erreichen fortgeschrittenen Alters.“ (4)
Betrachtet man aber die Zahl der
Personenstifter, also Menschen, die mit
ihrem Vermögen, oder einem Teil davon,
eine Stiftung gründen, so muß man diese
Zahl als relativ gering bezeichnen, wenn
man berücksichtigt, dass beispielsweise
2004 in Deutschland 800.000 Millionäre
lebten. Eine mögliche Erklärung wäre, dass
es an Wissen über Möglichkeiten und Wege
mangelt. (s. Krelhaus)
„Die Zahl der Stiftungsneugründungen
durch einzelne Personen nimmt nach
Aussage der Bertelsmann-Stifterstudie
dagegen deutlich ab. Der Stiftungsboom ist
demnach kein Stifterboom.“ (2)
Dagegen ist ein zahlenmäßiger Anstieg von
Stiftungsgründungen durch Unternehmen,
Körperschaften und öffentlichen
Einrichtungen zu verzeichnen.
Bei allen unbestreitbaren Erfolgen und
positiven Auswirkungen der Stiftungen
gibt es auch Kritikpunkte. Eine solche Kritik
richtet sich gegen die Dauer von Stiftungen.
„Dass Stiftungen „für die Ewigkeit“
gemacht wurden und werden sollten, das
galt und gilt im deutschen Stiftungswesen
und Stiftungsrecht, basierend auf
kirchenrechtlichen Vorgaben, als
ausgemacht, wenngleich diesbezüglich
Aufweichungstendenzen unübersehbar
sind. ...Der Rechtsgedanke dahinter
ist einleuchtend: Stiftungen wurden
ursprünglich von Todes wegen errichtet,
häufig zugunsten oder verwaltet von einer
schon bestehenden „moralischen Person“
(Kirche, Gemeinde, Kloster o.ä.)“ (5)
Die „ewige“ Dauer von Stiftungen
begründet sich in Deutschland aus dem
BGB, ist aber unter Rechtsgelehrten nicht
mehr unangefochten, d.h., die Diskussion
hierüber hat begonnen.
Festzuhalten ist, dass besonders in den
letzten Jahren die Zahl von Stiftungs-
Gründungen stark zunimmt und der
Gesetzgeber, besonders in den letzten
zwei Jahren, dies insbesondere durch die
deutliche Erhöhung der Steuervorteile
unterstützt.
Ist seit dem Römischen Reich der
Stiftungsgedanke mit Wohlfahrt und
Mildtätigkeit verbunden, so erweitert
sich langsam (notwendigerweise?) die
Zielrichtung von Stiftungszwecken.
Thomas Jorberg stellt fest:
„Dabei ist es längst keine neue Erkenntnis
mehr, dass sowohl die staatlichen Systeme
als auch das System der kapitalorientierten
Marktwirtschaft zunehmend außerstande
sind, die nichtmateriellen Bedürfnisse der
Menschen zu befriedigen. In den folgenden
drei Lebensbereichen ist weder der Markt
noch zunehmend auch der Staat wirklich
leistungsfähig:
1. Kunst, Kultur, philosophisch-religiöse
Entwicklung und Bildung
2. Solidarität, soziales Miteinander sowie
Gesundheit und Pflege
3. Pflege und Schutz der Natur.
16 17
Auch die Kirchen sind nicht mehr in
der Lage, dieses zunehmende Defizit
auszugleichen. Und genau hier setzt die
Eigenverantwortung der Menschen, das
bürgerschaftliche Engagement ein, bei dem
das Stiftungswesen eine entscheidende
Rolle spielt. …..Es findet „Investition“ in
Kultur, Soziales und Umwelt noch in viel zu
geringem Maße statt.“ (6)
Wenn man die sozialpolitischen Signale
und die damit einhergehende Erhöhung
der steuerlichen Anreize durch den Staat
kritisch betrachtet, muß die Frage erlaubt
sein, ob auf politischem Feld langfristig an
einen Umbau des Sozialstaates gedacht
wird, dass sich der Staat ganz oder teilweise
aus der Finanzierung der sozialen Aufgaben
zulasten der Stiftungen zurückziehen will.
Das würde ein ganz anderes Licht auf
die eigentlich zu begrüßende, staatliche
Unterstützung der Stiftungsgründungen
werfen. Das ist aber nicht unser Thema.
Kommen wir nun zum Begriff des Geldes
sowohl allgemein als auch aus geisteswis-
senschaftlicher Perspektive.
IV. Was ist Geld?
Im Rückblick auf die Geschichte der
Menschheit wird deutlich, dass wir sehr
wenig aus der Zeit wissen, die mehr als
fünftausend Jahre zurückliegt, dennoch
können wir sagen, dass es damals noch kein
Geld in unserem heutigen Sinne gab.
Erste historische Hinweise auf „Vorläufer
des heutigen Geldes“ stellen Funde im
alten Sumer, Babylon, Ägypten und die
Keilschrifttafeln des Hammurabi dar.
Die ersten Münzen oder Metallstücke
dienten hauptsächlich dem Handel, der
Erleichterung des Tauschhandels und den
Abgaben an die Tempel. Die Tempel waren
auch der „Ort des Geldes“, Geld wurde
aufbewahrt, bewertet und der Handel nicht
unmaßgeblich beeinflusst. Im weiteren
Verlauf der Entwicklung wurden die Tempel
dann durch die Banken abgelöst.
Im alten Orient durchaus verbreitet, war
es im christlichen Europa verboten,
Geldgeschäfte zu machen und Zinsen beim
Geldverleihen zu nehmen. (kanonisches
Zinsverbot) Bis ins späte Mittelalter wurde
aus diesem Grunde „die Geldleihe“ fast
ausschließlich von Juden betrieben.
Die Handelstechnik bzw. Buchhaltung
fand ihre erste, wenn man so sagen darf,
wissenschaftliche Bearbeitung durch den
Venezianer Mönch Luca Paccioli 1494,
um sich dann immer weiter zur Volks- und
Betriebswirtschaft, also einer Wissenschaft,
zu entwickeln. (7) Sehr schnell wurde dabei
auch der Zins als Wirtschaftsfaktor entdeckt
und ist heute „frei von aller Moral“.
Von den vielen großen Denkern seien
stellvertretend genannt: Adam Smith
(1723 – 1790, Begründer der klassischen
Nationalökonomie) und J.M. Keynes (1863-
1946, Hauptwerk: „Allgemeine Theorie der
Beschäftigung, des Zinses und Geld“). Sie
alle machen Produktion, Geld und Handel
zu einer Wissenschaft.
Diese Wissenschaft schreibt dem Geld die
drei Funktionen zu (s. Woll, 1969):
- allgemeines Tauschmittel
- Recheneinheit
- Wertaufbewahrung
Zum Abschluß sei noch erwähnt, dass
das Geld einen großen Wandel in seiner
Erscheinungsform durchmachte. Sind
es in den Urzeiten der Menschheit zu-
nächst Metallstücke, kommen im 6./7.
vorchristlichen Jahrhundert die ersten
16 17
geprägten Münzen in Umlauf. Im späten
Mittelalter, von Goethe in seinem Faust
sehr prophetisch und zutreffend als
gefährlich erkannt, kommt der Geldschein
in die Menschheit. Mit dem Übergang ins
Maschinenzeitalter tritt dann das Buchgeld
auf, welches den bargeldlosen Geldverkehr
eröffnet und im Computerzeitalter
darin gipfelt, dass das Bargeld „seinem
Ende“ oder seiner Bedeutungslosigkeit
entgegenzugehen scheint.
Mit dieser Entwicklung geht die Zunahme
einer großen Gefahr einher, vor der nicht nur
Steiner gewarnt hat, die aber überwiegend
unberücksichtigt blieb. Fern der Zeit, wo
die Staaten als Monopolisten der Währung
diese noch durch Gold, zumindest teilweise,
decken mussten, haben wir heute eine Zeit
erreicht, wo ein gigantisches Finanzvolumen
in den Maschinen rund um den Erdball
„fliegt“, das fern jeder Deckung oder
tatsächlichen Produktion steht.
Den Finanzvolumina stehen heute nur noch
zum Teil tatsächlich produzierte Werte
gegenüber, zum immer größer werdenden
Teil bestehen sie aus Illusionen, aus
Hoffnungen und Erwartungen, die jederzeit
platzen können, wie gerade die jüngsten
Ereignisse zeigen.
Es soll nun kurz die Geldtheorie als Teil der
„Dreigliederung des sozialen Organismus“
von Steiner angedeutet werden.
V. Was ist Geld – geisteswissen-
schaftlich betrachtet?
Ab etwa 1917 beginnt Steiner mit der
Darstellung der, wie er es nennt,
„Dreigliederung des sozialen Organismus“.
Darin geht er von der Gesellschaft als einer
Gesamtheit, einem sozialen Organismus
aus, der eine gewisse Entsprechung im
menschlichen Organismus findet (siehe u.a.
6. Anhang in „Von Seelenrätseln“, GA 21).
In seiner Darstellung der Evolution der
Menschheit und des einzelnen Menschen
ist die dazu adäquate, gesellschaftliche
Gliederung, die das Wesen des heutigen
Menschen geradezu fordert, diese
Dreigliederung des sozialen Organismus
heute noch nicht erfüllt. Nur durch diese
Dreigliederung sei die soziale Not, so
Steiner, zu überwinden. Die drei Glieder
dieses Organismus definiert er als:
- Wirtschaftsleben (Warenproduktion, -
zirkulation, -konsumption)
- Rechtsleben (Staatsleben, Verhältnis von
Mensch zu Mensch)
- Geistesleben (Kunst, Wissenschaft,
Religion, Pädagogik)
Die damit verbundene Grundforderung
lautet, daß diese drei Glieder völlig autonom
und selbstverwaltet ihren Aufgaben
nachgehen müssen, wobei Geistes- und
Rechtsleben aus den Überschüssen des
Wirtschaftslebens finanziert werden.
Zu der „Dreigliederung des sozialen
Organismus“ gehört auch eine neue
Geldtheorie, L. Vogel nennt sie eine
„organische Geldtheorie“. (9) Dieser
Geldtheorie liegt die Unterscheidung in
- Kaufgeld
- Leihgeld
- Schenkungsgeld
zugrunde, verbunden mit der Forderung,
dass das Geld altern und „sterben“ muß,
ebenso, wie die produzierten Waren nach
einer gewissen Zeit verderben. Steiner
warnt eindringlich vor der „Illusion Geld“
und davor, „Geld mit Geld“, also ohne
18 19
tatsächliche Produktion, zu verdienen.
Durch die heutige Verquickung und
Einflussnahme der Wirtschaft auf den Staat
und das Geistesleben, sowie des Staates auf
das Wirtschaft- und Geistesleben, herrscht
große soziale Not, und diese wird durch das
falsche Geldverständnis, der Faszination der
Geldillusion, immer größer werden.
Was z.B. die Bodenschätze eines Landes für
seine Wirtschaft bedeuten, das bedeutet
ein freies Geistesleben, die Entwicklung der
Fähigkeiten der Menschen, für den sozialen
Organismus, also die Gesellschaft. Wird
dieses Geistesleben durch Fördergelder oder
Forschungsaufträge korrumpiert oder durch
staatliche Regelungen eingeengt, kann es
sich nicht frei entfalten und seiner Aufgabe
gerecht werden – der soziale Organismus,
die Gesellschaft, erkrankt, es entsteht
soziale Not.
Unter Berücksichtigung derartiger
Gesichtspunkte könnte die Mittelver-
wendung einer Stiftung den anfänglichen
Beginn zur „Befreiung des Geisteslebens“
darstellen.
Bevor im letzten Kapitel ansatzweise
versucht werden soll, eine Antwort auf die
Frage: - „Was ist eine geistige Stiftung?” -
zu geben, muß ein letzter, wichtiger Aspekt
dargestellt werden.
VI. Warum „Wesen“ einer Stiftung?
Diese Ausführungen gehen davon aus,
dass, wenn Menschen zusammenkommen,
um gemeinsam zu wirken, um z.B. die
Stiftungsziele zu erfüllen, es nicht genügt,
dass diese Menschen eine Gruppe bilden.
Wenn auf anthroposophischer Grundlage
gearbeitet wird, besteht die eigentliche
Aufgabe darin, eine „Gemeinschaft“ zu
bilden.
Was ist also eine „Gemeinschaft“?
Der Begriff „Gemeinschaft“ wird heute von
Philosophie, Soziologie oder im kirchlichen
Zusammenhang unterschiedlich definiert.
Man unterscheidet z.B. Gruppen
und Schichten von Menschen, je
nachdem wie, wozu, für wie lange sie
zusammengekommen sind (z.B. Familie,
Nachbarschaft, Partei, Schule, Beruf, Verein
usw.).
Im Sprachgebrauch wird der Begriff
vielfältig benutzt, die Unterschiede sind
selten deutlich oder bewußt. Ist eine
Ehe, Familie oder ein Freundeskreis eine
Gemeinschaft? Kann die Belegschaft einer
Firma Gemeinschaft genannt werden? Ist
eine Gruppe von Menschen, die z.B. aus
höchster Not gerettet wird, damit eine
Gemeinschaft?
Lievegoed (10) unterscheidet
zusammenarbeitende Menschen, die in ihrer
Arbeit von der Anthroposophie ausgehen,
nach den Arbeitsfeldern
- Institute (Waldorfschulen,
heilpädagogische Einrichtungen,
Ausbildungen, Kunstausbildungen u.ä.)
- Gemeinschaften (Anthroposophische
Gesellschaft, Zweige u.ä.)
- Organisationen (Produktionsstätten,
Verteiler, Geschäfte u.ä.)
und engt dabei den Begriff Gemeinschaft
zu sehr ein.
Gemeinschaft wird hier so verstanden, dass
es nicht darauf ankommt, aus welchem
Anlaß, zu welchem Zweck oder auf was für
eine Dauer Menschen zusammenkommen,
dass also eine Definition über
Äußerlichkeiten erfolgt. Wann immer
Menschen zusammenkommen, bilden sie
eine Gruppe und können eine Gemeinschaft
18 19
werden. Worauf es ankommt ist, in welcher
Gesinnung, mit welchem Bewusstsein sie
dies tun, ob sie eine Gemeinschaft, nach
anthroposophischem Verständnis eine
Geistgemeinschaft, bilden wollen.
Um die Geistdimension anzudeuten, mit
der hier „Gemeinschaft“ in Zusammenhang
gebracht wird, und um zu zeigen, welch
hohe Geistwesen daran ihren Anteil haben,
muß auf den größtmöglichen Rahmen aus
geisteswissenschaftlicher Sicht hingewiesen
werden.
Im Werk Rudolf Steiners finden wir seine
Darstellung der Entstehung der Erde und
des Menschen vom alten Saturn, der alten
Sonne und dem alten Mond bis zu den
allerersten Anfängen der Entwicklungsphase
Erde, und wir erfahren, wie da in
gewaltigen, kosmischen Vorgängen,
geistige Wesenheiten, Wesenheiten der
höchsten Hierarchien, sich hingeopfert
haben, ihre eigene Substanz hingegeben
haben, um den Menschenkeim entstehen
zu lassen.
Ob es die Throne sind, die die erste
„Wärme-Feuer-Substanz“ durch ihr Opfer
entstehen lassen, aus der dann die ersten
Anlagen unseres heutigen physischen
Leibes entstehen, die Cherubim, die die
ersten Anfänge unseres heutigen Tierkreises
bilden und daraus die menschliche Gestalt
veranlagen, bis hin zu den Geistern der
Form (Exusiai), die aus dem eigenen Leib
die Substanz für unser menschliches Ich
hergeben.
Auch die Taten der dritten Hierarchie
gehören dazu, bis hin zu den Engeln, die
seit der atlantischen Zeit die Menschen
unterweisen, leiten und noch heute den
Menschen (d.h. sein Ich) von Inkarnation zu
Inkarnation begleiten. Wenn man dies alles
erfährt, kann uns nur tiefste Dankbarkeit
gegenüber diesen höheren Wesenheiten
erfüllen. (11)
Im Vortrag vom 01. Juni 1908 (12) erfahren
wir, dass der Mensch in grauer Vorzeit
„noch als ein zu einer Gruppenseele
gehöriges Wesen war“. Seit dem Mysterium
von Golgatha, wirklich deutlich erst in der
Neuzeit, ist unser Ich soweit entwickelt,
dass es sich seiner selbst bewusst wird
und immer mehr seine Entwicklung selbst
übernimmt bzw. übernehmen soll. Vorher
geschah all das durch das Wirken der
höheren Hierarchien. Wir erfahren dann
weiter: „Es wird für die Menschheit immer
unerlässlicher werden, das Wesen der
Gruppenseele zu begreifen. Denn dieses
Wesen der Gruppenseele zu erkennen, wird
auch in der rein äußerlichen Entwicklung der
Menschheit eine große Rolle spielen.“
Und weiter:
Aber dadurch, dass die Menschen
sich in freiwilligen Zusammenhängen
zusammenfinden, gruppieren sie sich um
Mittelpunkte herum. Die Gefühle, die so
zu einem Mittelpunkt zusammenströmen,
geben nun wiederum Wesenheiten
Veranlassung, wie eine Art von Gruppenseele
zu wirken, aber in einem ganz anderen
Sinne als die alten Gruppenseelen. ...
....… Diese neuen Wesenheiten aber sind
vereinbar mit der völligen Freiheit und
Aufrechterhaltung der Individualität der
Menschen. ...........Je mehr Zusammenhänge
gebildet werden, und je mehr da
Gemeinschaftsgefühle bei völliger Freiheit
ausgebildet werden, desto mehr erhabene
Wesenheiten werden zu den Menschen
20 21
heruntersteigen und desto schneller wird
der Erdenplanet vergeistigt werden.“ (12)
Wir verdanken also der geistigen Welt, den
Opfern höherer geistiger Wesenheiten,
unsere Erden- und Menschheitsentwicklung.
Die Ziele dieser Entwicklung sind „Freiheit“
und „Liebe“.
Freiheit beginnt mit dem Interesse an
Geistigem. Wirkliche Gemeinschaftsbildung,
das Ideal einer karmischen Gemeinschaft,
braucht die „Liebe des Nächsten“ von
jedem seiner Mitglieder – dann kann sich
der soziale Organismus in der richtigen
Weise entwickeln und Freiheit entstehen.
Steiner definiert „sozial“, wenn wir „die
Not des Mitmenschen zum Motiv des
eigenen Handelns machen“.
Es wird noch lange Zeit dauern, bis wir
den Weg unserer Entwicklung allein gehen
können. Doch schon heute, mit unserem
heutigen Wissen, ist zu berücksichtigen:
Die geistige Welt benötigt und wartet
auf das Erreichen unserer Erden-
Entwicklungsziele.
Der Mensch muß geistige Erkenntnis
erringen, u.a. die des Wesens der
Gruppenseele, und sich wieder mit der
geistigen Welt vereinigen. Wir schulden der
geistigen Welt Gemeinschaftsbildung, um
die Hierarchien zu unterstützen, zur Erde
herunterzusteigen und sie zu vergeistigen.
Noch eine weitere Aufgabe wurde uns
durch die Mitteilungen unseres Lehrers für
die Gemeinschaftsbildung gegeben. Mit
einer Gemeinschaft von Menschen, also
einem lebendigen Organismus, ist auch
immer, so Rudolf Steiner, ein geistiger
Organismus verbunden, und so wie ein
natürlicher Organismus physische Nahrung
zum Leben benötigt, so benötigt ein
geistiger Organismus „geistige Nahrung“,
die durch esoterisches Arbeiten entstehen
kann. (13)
Fazit:
Gemeinschaft, also das Ideal einer
Geistgemeinschaft, wird hier verstanden als
ein Kreis von Menschen, der in Dankbarkeit
und im Bewusstsein der Hilfe aus der
geistigen Welt und in Verantwortung für die
Entwicklungsziele der Menschheit intensiv
und kontinuierlich zusammenarbeitet im
Erkenntnisbemühen und in dem Vertrauen,
dadurch auch den „geistigen Organismus“
zu ernähren.
Das wird angedeutet mit dem Begriff „vom
WESEN einer geistigen .....“
Es bleibt die Aufgabe zu erarbeiten,
was unter einer „geistigen Stiftung“
verstanden werden kann. Dies ist eine
zukunftsorientierte Aufgabe, heute daran
zu arbeiten kann nur ein Anfang sein.
VII. Geistige Stiftung
Zur Gründung einer geistigen Stiftung
ist demzufolge eine Voraussetzung, dass
die beteiligen Menschen sich bewusst
entschließen, eine Gemeinschaft, also eine
Geistgemeinschaft, zu bilden.
Diese Gemeinschaftsbildung ist primär
Aufgabe der Menschen, die in der Stiftung
wirken –, ihr können sich auch andere
Menschen, z.B. von der „Empfängerseite“
anschließen.
Der Stiftung, d.h., den Menschen darin, stellt
sich dafür, neben den äußeren Aufgaben der
Verwaltung, noch eine weitere Aufgabe.
Axel Janitzki fragt in seinem Vortrag
„Vom Geist einer Stiftung“: „Gibt es eine
Möglichkeit, eine Stiftung aus der rein
20 21
seelischen Ebene heraus zu entwickeln in
einer Weise, dass sie einen eigenen Geist
erhält, der sich unabhängig von der Person
des Stifters begründen und weiterentwickeln
kann?“(14)
Janitzki kommt dann in seinem Vortrag zum
anthroposophischen Schulungsweg und
zur Meditation um den „Durchbruch zum
Geistigen“ zu schaffen.
Er sieht also in der Meditation eine
Möglichkeit, die Stiftung von der Person des
Stifters zu befreien, damit sie einen eigenen
Geist erhalten bzw. diesen finden kann.
Dies ist hier nicht das Ziel, – aber der Weg,
den er vorschlägt, ist notwendig, um eine
geistige Stiftungsgründung zu unterstützen.
Sinn einer geistigen Stiftung ist es, eine
geistige Parallele zum äußeren Wirken der
Stiftung zu finden.
Wie dargestellt, wird in eine Stiftung Kapital
gegeben, es wird „persönliches“ Eigentum
freigegeben, damit Erträge bzw. Gewinne
erzielt werden, die anderen Menschen und/
oder Zwecken bzw. unterschiedlichen Zielen
zur Verfügung gestellt werden.
Nun verfügt jeder Mensch über „geistiges
Kapital“, – seine Kenntnisse, Fähigkeiten,
Erfahrungen usw. in allen beruflichen und
privaten Bereichen.
Durch fachliche Fort- und Weiterbildung
erhöhen wir unsere Fähigkeiten – durch
das anthroposophische Arbeiten, durch
die Meditation und den Schulungsweg,
erweitern wir diese Fähigkeiten zu „geistigem
Kapital“, um dadurch zunehmend bewusster
die geistigen Qualitäten (Imagination,
Inspiration und Intuition) zu entwickeln, und
– wie Lievegoed sagt, – die notwendigen
Überschußkräfte – in unser Tun einfließen
lassen zu können.
Durch geisteswissenschaftliches Bemühen
entstehen also zusätzliche Erträge,
zusätzliche, höhere Fähigkeiten und
Erkenntnisse, die wir anderen Menschen,
vergleichbar einer Stiftung, zugänglich
machen sollten.
Zusammengefasst bedeutet das Ideal einer
geistigen Stiftung und damit verbunden die
Bildung einer Geistgemeinschaft:
- durch dieses Tun den Hierarchien für ihr
Geschenk an der Menschheit zu danken
- Geistgemeinschaften zu bilden, damit
erhabene Wesenheiten weiter Anteil
nehmen können an der Erdenentwicklung
- durch gemeinsames Arbeiten
Erkenntnisbemühungen zu unterstützen,
die Voraussetzung dafür sind, daß sich die
Menschheit wieder mit der geistigen Welt
verbinden kann
- durch dieses Arbeiten am Schulungsweg
den geistigen Organismus zu ernähren und
Zukunft zu gestalten und es bedeutet: durch
das gemeinsame Tun „geistiges Kapital“ zu
bilden und es „frei zu geben“, es anderen
Menschen zur Verfügung zu stellen.
Das führt im Troxler-Haus dazu, dass
bewusst an Gemeinschaftsbildung
gearbeitet wird und dass Angebote an Fort-
und Weiterbildung eingerichtet werden
für alle interessierten Menschen, nicht zu
vergessen unsere betreuten Menschen.
Hier, in der Stiftung, strömen
Gesinnungen und Gefühle zusammen,
um eine freie Geistgemeinschaft zu
bilden, die „eine regelrechte Bedingung
für das Wirksamwerden der Götter
in der Erdenzivilisation und damit ein
Mysterienimpuls ist.“ (15)
Diese Ausführungen sind erste Gedanken,
die als Ansatz verstanden werden wollen,
um weiterentwickelt und vertieft zu werden.
22 23
Dazu sind alle interessierten Menschen
eingeladen.
Literaturhinweise
(1) Axel Janitzki: „Vom Leben
einer Stiftung“, Vortrag vom 17.11.2006
anlässlich der Begründung der Troxler-Haus-
Stiftung in Wuppertal
(2) Bernd Andrick: Editorial in „Die
Stiftung, Jahresheft zum Stiftungswesen“ 2.
Bochumer Stiftungsrechtstag am 18. Januar
2008 an der RUB in Bochum
(3) Axel Janitzki: „Aktuelle
Entwicklungen im Stiftungs- und
Gemeinnützigkeitsrecht“, in Tagungsband
des 1. Stiftungsrechtstages an der Ruhr-
Universität Bochum
(4) Lisa Krelhaus: „Die Psychologie
des Stiftens“ in Tagungsband des 1.
Stiftungsrechtstages an der Ruhr-Universität
Bochum am 19. Januar 2007
(5) Klaus Neuhoff: „Zur historischen
Herkunft von („ewige“) Dauer und „Nach-
haltigkeit“ im Stiftungsrecht“ in „Die
Stiftung“ Jahresheft, 2. Stiftungsrechtstag
2008
(6) Thomas Jorberg: „Bürgerschaft-
liches Engagement durch Stiftungen“ in
Tagungsband, 1. Stiftungsrechtstag 19.
Januar 2007, Ruhr-Universität Bochum
(7) Erich Gutenberg: „Einführung in
die Betriebswirtschaftslehre“ 1958
(8) Joachim Luttermann: “Dreig-
liederung des sozialen Organismus“,
Dissertation Göttingen, 1988, Peter Lang
Verlag
(9) Zu dem Thema Geldtheorie siehe
insbesondere:
Rudolf Steiner: „Nationalökonomischer
Kurs“ (GA 340/341)
Georg F. v. Canal: „Geisteswissenschaft und
Ökonomie“
Lothar Vogel: „Die Verwirklichung des
Menschen im sozialen Organismus“
Rudolf Mees: „Was ist Geld?“
Hans G. Schweppenhäuser: „Das Mysterium
des Geldes“
Manfred Schmidt-Brabant: „Spirituell
verstandenes Bankwesen“
„Wesen und Funktion des Geldes“,
Sozialwissenschaftliches Forum, Bd. 3
(10) Bernard Lievegoed: „Über
Institutionen des Geisteslebens“ Heft 1,
Sonderheft zur Zeitschrift „Seelenpflege in
Heilpädagogik und Sozialtherapie“, April
1988
(11) Rudolf Steiner: insbesondere:
- Geheimwissenschaft (GA 13)
- Welt, Erde Mensch (GA 105)
- Ägyptische Mythen und Mysterien (GA
106)
- Geistige Hierarchien und ihre Wider-
spiegelung. (GA 110)
(12) Rudolf Steiner: „Das Hereinwirken
geistiger Wesenheiten in den Menschen“,
(GA 102), Vortrag vom 01.06.1908
(13) Rudolf Steiner: Vergangenheits-
und Zukunftsimpulse im soz. Geschehen,
(GA 190)
(14) Axel Janitzki: Vom Geist einer
Stiftung, Vortrag vom 10.04.2002,
Kurzfassung in „Die Drei“, Heft 11/2002
(15) Ingo Hoppe: “Die neuen
Mysterien“ in „Nachrichten für die
Mitglieder“ Gotheanum 06/09
22 23
Die Wirtschaftsentwicklung im regellosen
und globalen freien Markt ist zwar
erfolgreich, aber zugleich zerstörerisch und
zukunftslos. Was sind die Ursachen dieser
Fehlentwicklung?
Meine Antwort: Zwei grosse Geschenke
der Schöpfung an die Menschen
werden missbräuchlich benutzt und
missachtet.
Das erste Geschenk: Der Menschheit
wurden die Ressourcen der Erde
geschenkt: die beschränkten und
deshalb erschöpflichen Lager an Wasser,
Erzen, Kohle, Erdöl und Erdgas und die
unerschöpfliche Energie der Sonne.
Der neoliberale Kapitalismus ignoriert
weitgehend die Sonnenenergie, beutet
dafür rücksichtslos die beschränkten
Ressourcen aus. Die Preise sprechen nicht
die Wahrheit, weil die Erschöpflichkeit
und die sozialen und ökologischen
Kosten nicht berücksichtigt werden.
Die Menschheit und die Natur werden
dadurch auf äusserst effiziente Weise von
einer kleinen Minderheit von geldgierigen
Geschäftemachern geplündert.
Was sind die Fakten? 1992 zeigte das
UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), dass
der reichste Fünftel der Weltbevölkerung
82.3 % des Welteinkommens für sich
beanspruchte, während sich der ärmste
Fünftel mit 1,4 % begnügen musste, also 60
Ethik oder Gier?von Pierre Fornallaz
Mal weniger. Hat sich seither die Situation
gebessert? Nein, im Gegenteil! Richard
Gerster zeigt in seinem Buch „Globalisierung
und Gerechtigkeit“, dass 1960 der reichste
Fünftel nur 30 Mal mehr beanspruchte,
1990 waren es die oben erwähnten 60 mal
mehr und 2000 bereits 80 mal mehr! Die
wirtschaftliche Entwicklung der letzten 50
Jahre war also in höchstem Masse unsozial.
Die Klimaerwärmung beweist, dass sie
ebenso unökologisch war.(1)
Wir müssen also feststellen, dass
eine entfesselte Geldgier, welche auf
falschem Rechnen basiert und unsere
Lebensgrundlagen zerstört, weltweite
Verarmung, Klimaerwärmung, Hungersnöte
und als Letztes die Finanzkrise zur Folge hat.
Was kann man dagegen tun?
Das zweite Geschenk sollte diesem
Zwecke dienen: Der Mensch ist zwar Teil
der Natur, aber nicht vollumfänglich von
der Biologie bestimmt. Er kann wählen
zwischen Egoismus und Willkür oder aber
Menschlichkeit. Menschlichkeit ist nicht
gegeben, sondern muss kulturell erarbeitet
und verankert werden. Alle Menschen haben
gleiche Rechte, haben denselben Anspruch
auf die Güter dieser Erde. Menschlichkeit
heisst auch Schutz der Schwachen.
Wir sind also aufgefordert, in Freiheit die
Regeln der Ethik zu wählen, an die wir
uns halten wollen. Damit schaffen wir
Menschlichkeit. Es geht nicht nur darum,
Aus der Forschungsarbeit
24 25
ein „guter Mensch“ zu sein, sondern vor
allem, die Zukunft unserer Nachkommen
zu sichern. (2)
Die zwei Realitäten
Wann triumphiert die Ethik über die Gier?
Um die Entwicklung der letzten Jahrzehnte
zu verstehen, müssen wir uns bewusst
werden, dass zwei unvereinbare Realitäten
bestehen:
- Einerseits die Realität der nachhaltigen
Entwicklung, die ethisch und wissenschaft-
lich abgesichert ist. Die Weltgemeinschaft
bekennt sich zu dieser Realität, glaubt aber,
in diesem Sinne nicht handeln zu können.
- Anderseits die heute ökonomisch
praktizierte Realität, die deshalb zukunftslos
ist, weil sie auf volkswirtschaftlich
falschem Rechnen basiert und langfristig
unsere Lebensgrundlagen zerstört.
Die Weltgemeinschaft fühlt sich aber
gezwungen, entsprechend dieser Realität
zu handeln.
Das gemeinsame Ziel muss durch
ehrliche Kooperation und Koordination
der Anstrengungen der Vertreter beider
Realitäten so rasch als möglich verwirklicht
werden. Statt gegeneinander anzutreten
und aneinander vorbei zu reden, geht es
darum, miteinander die Mängel der heute
praktizierten ökonomischen Realität ans
Licht zu bringen und nach und nach zu
beheben.
Wie könnte ein Miteinandergehen der
Vertreter beider Realitäten gestaltet
werden?
Die einen müssten bereit sein, die
Sachzwänge der heutigen ökonomischen
Realität anzuerkennen und auch nicht voll
befriedigende Kompromisse zuzulassen,
sofern sie Schritte in die richtige Richtung
sind. Die andern müssten bereit sein, den
ethischen Auftrag und die wissenschaftliche
Korrektheit einer gelebten nachhaltigen
Entwicklung anzuerkennen und deshalb
aktiv an der Eliminierung der heutigen
zukunftslosen Sachzwänge mitzuwirken.
Der Miteinander-Weg
Dieser Weg ist sehr anspruchsvoll und nicht
vergleichbar mit dem, was heute unter
dem Namen Nachhaltigkeit getan wird.
Um ein Miteinander zu ermöglichen, muss
die Bevölkerung wahrheitsgemäss über
die bestehenden Tatsachen und die zu
lösenden Probleme orientiert werden. Das
ist heute nicht der Fall. Politik, Wirtschaft,
Wissenschaft, Hochschulen, Organisationen
der Zivilgesellschaft, Kirchen und Medien
sind aufgefordert, im Rahmen ihrer
Möglichkeiten zu handeln.
Politik
Realpolitiker können der heute ökonomisch
praktizierten Realität in ihrer kurzfristig
orientierten Tätigkeit nicht ausweichen.
Umso mehr sollten sie den Gegensatz zu
den langfristigen Forderungen der ethischen
und wissenschaftlich abgesicherten
Realität betonen und echte, praktikable
Kompromisse auf dem Weg zu einer
gelebten Nachhaltigkeit erarbeiten und
durchsetzen.
Wirtschaft
Die Wirtschaft ist von der ökonomisch
praktizierten Realität abhängig. Sie ist
nur dann in der Lage zu handeln, wenn
die Mehrkosten der ethischen und
wissenschaftlich abgesicherten Realität
24 25
finanziert werden. Der Miteinander-Weg
sollte diese Finanzierung nach und nach
ermöglichen. Viele KMUs wünschen,
Schritte zur praktizierten Nachhaltigkeit
ausführen zu können. Grosskonzerne sind
weitgehend nur geldgesteuert und nicht in
der Lage zu handeln, solange die Aktionäre
es nicht fordern.
Organisationen der Zivilgesellschaft
Die meisten dieser Organisationen
vertreten grundsätzlich die ethische und
wissenschaftlich abgesicherte Realität,
aber sie bekennen sich nicht gerne
öffentlich dazu, wahrscheinlich aus Angst,
wohlhabende Geldgeber, die vom heutigen
System profitieren, zu verärgern. Auch ist
es leichter, Menschen zum Geldspenden
zu animieren, indem man auf Not und
Elend hinweist. Damit wird aber vor allem
Reparaturarbeit finanziert für Schäden, die
das heutige Wirtschaftssystem verursacht.
Viel heikler ist die Aufgabe, wenn man das
Fokus auf die notwendige Veränderung
des Systems legt, womit sich langfristig
Reparaturarbeit erübrigen würde.
Kirchen
Die Kirchen setzen sich grundsätzlich
für Ethik ein, ihre Wahl zwischen beiden
Realitäten ist also vorgegeben. Leider
weigern sie sich jedoch, angesichts ihrer
eigenen Finanzsorgen, die unethischen
Aspekte des Gelderwerbs, welches ohne
Leistung zugunsten der Gesellschaft
erfolgt, zu thematisieren. Die evangelisch-
reformierte Kirche Basel Stadt rühmte
sich sogar im September 2000 durch
Spekulation an der Börse „als erste und
bisher einzige Kirche Europas mit ihren
Finanzen neue Wege gegangen zu sein”.
Das Spekulationsgeld ermögliche ihr, Gutes
zu tun. Auf die Frage, wieviel Elend das
Spekulationsgeld wohl verursacht habe,
weigerte sie sich einzugehen.
Hochschulen
Als Vertreter der Wissenschaft sollten sie
unmissverständlich das langfristige Ziel
anstreben. Leider versagen sie oft und ziehen
es vor, die Argumente der kurzfristigen (und
kurzsichtigen) Interessen von Politik und
Wirtschaft zu übernehmen. Es wäre aber
für die Allgemeinheit äusserst wichtig, eine
sowohl geisteswissenschaftlich als auch
naturwissenschaftlich kompetente Auskunft
über den langfristig unausweichlichen Weg,
der zu beschreiten ist, von berufener Seite
zu erfahren. Auch hier eine persönliche
Erfahrung: Ich habe mit Bezug auf das
ETH Globe Magazin Nr.1/07, das sich mit
dem Thema „Zukunft Energie” befasst,
dem Rektor der ETH geschrieben. Ich
habe anhand von drei Beispielen die sehr
höflich formulierte Frage gestellt, warum
wissenschaftliche Aussagen immer vermischt
werden mit Aussagen aus Politik und
Wirtschaft, die zwar wissenschaftlich falsch,
aber leider realistisch sind. Er antwortete mit
einem Einzeiler: Er habe meinen Brief mit
grossem Interesse gelesen.
Medien
Auch in der alltäglichen Berichterstattung
wäre es wichtig, klar zwischen den zwei
Realitäten zu unterscheiden und falsche
Informationen zu vermeiden. So kann man
beispielsweise immer wieder lesen oder
hören, dass Energien aus unerschöpflichen
Quellen leider noch unwirtschaftlich seien
oder dass Atomenergie billig sei. Richtig
ist, dass die Erstgenannten oft teurer
26 27
erscheinen, weil die heute genutzten
erschöpflichen Energien ihre Kosten nicht
decken. Atomenergie ist ihrerseits nur
deshalb scheinbar billig, weil die Kosten
von Entsorgung und Sicherheit ignoriert
werden.
Der Weg des einzelnen Menschen
Mit Ausnahme der Opfer des heutigen
Systems, die sich aus Armut diesen Weg gar
nicht leisten können, kann selbstverständlich
auch jeder einsichtige, überzeugte
Mensch handeln. Er muss aber einen
anspruchsvollen Weg beschreiten, denn es
ist nicht der Weg der Mehrheit. Man muss
sich orientieren, Auskünfte suchen, der
Werbung widerstehen und vor allem: man
muss bereit sein, die Rolle des scheinbar
„Dummen” zu übernehmen, der freiwillig
höhere, aber echte Preise zahlt, und auf
unberechtigte Renditen verzichtet. Gelebte
Ethik kostet Geld. Es ist immer billiger, sich
egoistisch und rücksichtslos zu verhalten.
Man kann diesen anspruchsvollen Weg
folgendermassen zusammenfassen:
Diejenigen, die es sich leisten können, sollen
das verdiente Geld, das sie nicht zum Leben
brauchen, in die Realwirtschaft investieren
und nicht in spekulative Anlagen. Unter
Realwirtschaft verstehe ich eine Entwicklung,
welche Lebensqualität schafft, welche die
heutigen Probleme mindert oder löst und
keine neuen Probleme heraufbeschwört.
Die Rolle des Geldes und der Banken
Damit kommen wir zur Rolle der Banken
und zur Finanzkrise.
Wir verfügen über ein Geldsystem,
welches den Austausch von Leistungen
zwischen Menschen mit verschiedenen
Begabungen und Fähigkeiten, aber auch
mit verschiedenen Ansprüchen, sehr leicht
macht. Leider haben wir dieses System
pervertiert und missbrauchen es, um
masslose Geldgewinne zu ermöglichen,
ohne entsprechende Leistungen zugunsten
der Mitmenschen erbracht zu haben.
Man spricht gerne von Investoren und
vermeidet das ominöse Wort „Spekulant”.
Was ist der Unterschied? Der Investor
ermöglicht die Entwicklung der oben
definierten Realwirtschaft. Er setzt dafür
Geld ein, das er nicht für sein Leben braucht,
und ist deshalb auch bereit, Verluste in Kauf
zu nehmen. Wesentlich ist, dass für die
Zukunft wichtige Entwicklungen stattfinden
oder mindestens angestrebt werden.
Dagegen versuchen Spekulanten nur ihr
Vermögen zu vergrössern, ohne eigene
Leistung zugunsten der menschlichen
Gesellschaft und unter Ausbeutung der
ärmeren Menschen und/oder der Natur.
Die Banken müssen sich auf ihre
Grundaufgabe konzentrieren: die
Finanzierung der Realwirtschaft, welche
Leistungen zugunsten der ganzen
Gesellschaft ermöglicht. Leider haben
sie sich im Kasinokapitalismus zu
Spekulationszentren entwickelt. Spekulative
Geldgewinne ohne Leistung, die nur den
Reichen möglich sind, haben in den letzten
30 Jahren gewaltig zugenommen. Im Jahre
1975 dienten noch 50 % der globalen
Kapitalverschiebungen von 20 Milliarden
$ pro Tag der Bezahlung von Waren und
Diensten in der realen Wirtschaft. Die
andern 50 % waren spekulativer Natur.
Im Jahr 2000, 25 Jahre später, betrugen
26 27
die globalen Kapitalverschiebungen das
Hundertfache, nämlich 2000 Milliarden
$ pro Tag. 98 % davon waren reine
Spekulation auf leistungslose Gewinne und
nur 2 % dienten der realen Wirtschaft. Der
bekannte Finanzfachmann Bernhard Lietaer
stellt fest: „Die reale Wirtschaft ist nur noch
Dekoration auf dem Spekulationskuchen”.
(3)
Entsprechend haben sich die
Managerbezüge in Banken und Konzernen
entwickelt. Ich spreche ausdrücklich von
Bezügen und nicht von Verdienst, denn
im Begriff Verdienst ist das Wort „Dienst”
enthalten. Leistungsunterschiede ergeben
sich aus angeborenen und erworbenen
Fähigkeiten, sowie aus dem Willen und der
Kraft, diese Fähigkeiten in den Dienst eines
Unternehmens und/oder der Gesellschaft
zu stellen. Diese Leistungsunterschiede
rechtfertigen Verdienstunterschiede von
etwa 1 : 5. Als lobenswerte Beispiele
seien zwei erfolgreiche Unternehmungen
angeführt.
Die Alternative Bank Schweiz (ABS) weist
bei einem Jahresumsatz von rund 800
Millionen Franken eine Spanne vom tiefsten
zum höchsten Lohn von 1 : 3.1 aus.
- Die Metallbauunternehmung E.
Schweizer AG weist bei einem Jahresumsatz
von 124 Millionen Franken eine Spanne von
1 : 4 aus. Die Spanne bezieht sich auf das
Verhältnis vom tiefsten Vollzeitlohn zum
Durchschnittslohn der Geschäftsleitung.
Wie sind die heutigen Spannen von 1 : 100
bis 1 : 700 in Banken und Konzernen zu
rechtfertigen? Sie sind in höchstem Masse
unethisch! Sie ergeben sich offensichtlich
nur aus Vergleichen unter geldgierigen
Managern. Sie haben mit Verdienst und
Leistung nichts zu tun.
Der Lösungsweg
Der Weg aus den Problemen, welche die
wirtschaftliche Fehlentwicklung geschaffen
haben, ist vorgezeichnet:
- Die Menschheit und insbesondere
die reiche Minderheit der Menschheit,
die handeln kann, besinnt sich auf ihren
ethischen Auftrag.
- Die Institutionen beschreiten
beharrlich den Miteinander-Weg.
- Die Ökonomie berechnet Kosten
volkswirtschaftlich richtig.
- Die Banken dienen der
Realwirtschaft und verzichten auf das
Spekulationsgeschäft und auf Gewinne
ohne Leistung.
Das schreibt sich sehr einfach, ist aber
anspruchsvoll. Sollte man nicht die
Finanzkrise als Chance nutzen, um ein
System, das versagt hat, endgültig zu
verlassen und den Weg in die Zukunft
miteinander zu suchen ?
Lieteratur:
1.) Richard Gerster, „Globalisierung und
Gerechtigkeit”, h.e.p.verlag ag, Bern,
2001
2.) Hans Ruh, Thomas Gröbly, „Die Zukunft
ist ethisch – oder gar nicht”, Waldgut
Verlag, Frauenfeld, 2006
3.) Bernhard Lietaer, „Das Geld der
Zukunft”, Riemann Verlag, 1999.
28 29
Worauf kommt es heute an?
Diese Frage stellt sich mittlerweile
überall. Schon mehr als ein Jahr vor der
Finanzmarktkrise gab es viele Stimmen,
die auf diese Krise hinwiesen. Aber worauf
wiesen sie eigentlich genau hin?
Diese Stimmen wiesen allesamt darauf hin,
dass man dran und drauf war einer grossen
Illusion, angefacht durch ein hohes Mass
an Begeisterung und Überinterpretation,
entgegen zu gehen. Grundsätzlich
glaubte man vor der Krise, da nun alles
möglich war, auch gigantische Gewinne,
ein unbeschwertes Leben mit all seinen
Verführungen und Möglichkeiten realisieren
zu können. Eine Illusionsblase als Ausdruck
eines Vakuums, die stellvertretend einer
Sinn-, Werte- und Zielkrise auftrat.
Die Krise zieht mehr und mehr Unternehmen
und Organisationen in ihren Strudel. Nie
in der Geschichte der Menschheit wurden
solch gigantischen Finanzwerte zerstört
wie im vergangenen Jahr. Die Blase aus
Trug- und Wunschbildern ist zerplatzt.
Meist bleibt nur noch ein Scherbenhaufen
bei vormals glänzenden Unternehmen
und Organisationen zurück. Daneben ist
aber auch das Feld für Macht eröffnet.
Unternehmen gibt es nun teils zu
Spottpreisen. Dadurch entsteht eine Chance
Finanzmarktkrise und
sozialer Organismus Goetheanumvon Benjamin Kohlhase-Zöllner
Konkurrenten zu schlucken und der Staat
greift ebenfalls teils ordentlich zu.
Aber was geschieht eigentlich? Vielleicht
lässt es sich bildlich besser verstehen.
Es erscheint wie das Wechselspiel zweier
grosser Mächte. Dieses Wechselspiel ist
ein natürlicher Vorgang, der jedoch nur
in Krisen starke Schwankungen ausweist.
Vergleichbar ist das Wechselspiel mit dem
Rhythmus zwischen Winter, Frühling,
Sommer und Herbst. Diese Kräfte, die
einerseits luziferischer, andererseits
ahrimanischer Natur entstammen, ringen
um den Pol der individuellen Freiheit, der
Entwicklung und Leben ermöglicht.
In diesem Wechselspiel zwischen Ebbe
und Flut kann man jedoch auch folgende
Aus der Forschungsarbeit
28 29
Bewegungen beobachten. Waren es vor
der Krise eher ahrimanische Kräfte, die
vor einer Blase warnten und zu mehr
Bodenständigkeit und Realitätssinn
mahnten, sind es in der Krise nun eher
luziferische Kräfte, die davor warnen, jetzt
Beratern zu folgen, die nur auf Effizienz,
Kostenreduktion und der Frage nach den
Kernaufgaben setzen.
Welche Kräfte braucht es aber nun?
Einerseits braucht die Wirtschaft die
luziferischen Kräfte, um überhaupt zur
Kreativität zu gelangen und unmögliches
möglich zu denken. Andererseits braucht
es auch die ahrimanischen Kräfte, um
Unmögliches möglich zu machen. Und
gerade Krisen auf beiden Seiten stellen
immer auch eine Chance für Bewusstseins-
und Entwicklungsschritte dar.
Steckt eine Wirtschaft in der Depression,
braucht es vor allem die luziferischen
Kräfte, um wieder aufzustehen und gesund
zu werden. Diese Kräfte fragen vor allem
nach: Was wäre möglich? Umgekehrt,
wenn das Luziferische zu stark geworden
ist und krankhafte bzw. ungesunde
Züge angenommen hat, braucht es die
ahrimanischen Kräfte, die wiederum
heilend durch eine Krise ihre Wirkung tun,
in dem sie fragen: Was ist wirklich wichtig
und gewollt. Und zwischen diesen beiden
Kräften ringt der Mensch, aber auch die
Wirtschaft, um einen ständig labilen und
fluktuierenden, gesunden Zustand. Dieser
Zustand des Gleichgewichts, der Balance, ist
geprägt und Ausdruck zugleich von grosser
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Heute stehen wir mitten in der Krise. Sie
ist vermutlich noch eine ganze Zeit lang
nicht zu Ende. Daher wird es wichtig,
sich der Frage zu widmen, was für die
Zukunft wirklich wichtig ist. Es ist eine
Möglichkeit, wie im Winter, zur Besinnung
zu kommen, nachzudenken und sich der
Frage des „worauf kommt es wirklich an“
zuzuwenden.
Der Weg zur Antwort auf eine solche Frage
geht meist einher mit einem gewissen
Leidensweg. In Unternehmen wird zu erst
bei Produkten und Leistungen gestrichen,
die sich so oder so oft nicht selber trugen,
dennoch dazu führten, dass man den
Umsatz um ein letztes Quäntchen erhöhen
konnte und Leerzeiten ökonomisch nutzte
bzw. das Image aufpolierte. Nach diesen
ersten Maßnahmen geht’s schon bald an die
Substanz – bis zu einem ganz bestimmten
Punkt. Dieser Punkt betrifft in erster
Linie die Frage der Existenzberechtigung.
Dieser Scheitelpunkt kann sich, je nach
Beantwortung dieser Frage, zu einem
Wendepunkt in zwei Richtungen entwickeln,
wieder nach oben oder endgültig nach
unten.
In diesem Punkt kristallisieren sich jedoch
sämtliche Fragen und Werte des Seins,
weil es darüber hinaus ein gesunder,
ernsthafter, aber auch lebendiger Punkt
ist. Es ist eigentlich ein Punkt, an dem man
sich zurück erinnern kann an das, was
ursprünglich tendiert und gewollt war. Es
ist somit eine Rückschauübung, die deutlich
machen kann, ob sich der eingeschlagene
Weg noch zum gleichen und ursprünglich
motivierten Ziel führt oder korrigiert
werden muss. Es ist somit auch ein Punkt,
in dem es um Wahrheit und Offenheit
geht. Eine solche Situation lässt sich am
30 31
ehesten meistern, wenn die notwendigen
Rahmenbedingungen und eine gewisse
Kultur vorhanden sind. Eine Kultur, die vom
zuhören, erkennen, verstehen und vertrauen
geprägt ist.
Das Karma des Berufs Controlling
In einer solchen Situation ist es hilfreich, den
Patienten Wirtschaft bzw. Unternehmen
auch „ärztlich“ zu betreuen. Ein solcher
Arzt im Wirtschaftsleben kann im Berufsbild
des Controllers gesehen werden. Seine
Aufgabe fängt jedoch nicht erst an,
wenn es eigentlich schon zu spät ist. Das
Karma seines Berufs zeichnet sich vor
allem dadurch aus, dass er eigentlich von
Anfang an fragt: Was hält die Wirtschaft
bzw. die Organisation gesund? Er stellt
somit nicht nur das betriebswirtschaftliche
Gewissen dar, sondern geht weit darüber
hinaus. Neben dem Handwerkzeug der
Betriebswirtschaft stellt er auch sämtliche
Managementaufgaben sicher und diese
beziehen sich vor allem darauf, immer im
Sinne einer Navigation dem ursprünglich
anvisierten Ziel durch alle Situationen
hindurch zu folgen und einen sicheren
und gesunden Weg dorthin zu finden.
Das Ziel setzt er dabei meist nicht selbst,
denn das kann, wie beim Menschen, nur
der betroffene Organismus selbst für sich
entwickeln und entscheiden. Die Aufgabe
des Controller ist es aber, immerzu daran
zu erinnern, wo man eigentlich hin wollte,
mit welchen Mitteln und Motiven man zu
diesem Ziel wollte und was die einzelnen
Aufgaben und Etappen sind, um dieses
Ziel zu erreichen. Es ist wie bei einem
guten Arzt, der seinem Patienten schon
bei den allerersten Anzeichen ungesunder
Zustände Maßnahmen empfiehlt, damit
er gesund bleibt und sich eben nicht
Krankheiten wie Übergewicht, Magersucht,
Krebs oder andere ungesunde Situationen
entwickeln können. Sein Berufskarma steht,
richtig verstanden, zwischen den beiden
grossen Kräften und seine Aufgabe ist
es, heilend, gesundend und befruchtend,
durch zuhören, erkennen, verstehen und
vertrauen zu wirken. Er muss jedoch alle drei
Kräfte sehr genau kennen und wissen, wie
sie zueinander stehen und wirken.
Um sichere Diagnosen als Grundlage von
Therapieempfehlungen abgeben zu können,
braucht der Controller eine Reihe von
Werkzeugen und Reagenzmöglichkeiten,
um den Zustand einer Organisation
beurteilen zu können.
Die Arbeit des Controllers ist daher
tatsächlich vergleichbar mit dem Beruf
des Arztes. Seine Arbeitsfelder sind soziale
Organismen und deren Gesundheit und
Entwicklung.
Der soziale Organismus Goetheanum
Jeder Organismus, auch der soziale
Organismus, folgt seinem individuellen
Lebensprinzip. Ein solcher Organismus
gliedert sich in drei Wesensglieder, dem
Nerven-Sinnes-System, dem Rhythmischen
System und dem Stoffwechsel-Gliedmassen-
System. Diese drei Systeme haben ihren
seelischen Ausdruck so auch z.B. im sozialen
Organismus Goetheanum:
• das Denken dem Nerven-Sinnes-
Bereich (Freie Hochschule für
Geisteswissenschaft)
• das Fühlen dem rhythmischen
Bereich (Goetheanum
Kulturhaus)
30 31
• das Wollen beziehungsweise
Handeln dem Stoffwechsel-
Gliedmaßen-Bereich
(Gesellschaft)
Die drei genannten Bereiche sind nicht
isoliert voneinander zu denken, sondern
durchdringen sich kontinuierlich und
lebendig gegenseitig. So ist der Nerven-
Sinnes-Bereich bis in die kleinsten
Verästelungen überall im Organismus mit
wirksam, und eben nur konzentriert vor
allem im Kopfe lokalisiert. Die rhythmischen
Vorgänge finden sich auch nicht nur im
Brustkorb, sondern letztendlich im gesamten
übrigen Organismus in vielfacher Art und
Weise, und auch die Stoffwechselvorgänge
finden sich im gesamten Organismus,
wenngleich sie ihren Hauptsitz in den
Bauchorganen haben.
So wie der Nerven-Sinnes-Bereich wie
ein Netzwerk den gesamten Körper auf
vielfältige Art und Weise durchzieht, so kann
auch das auf den Nerven-Sinnes-Bereich sich
stützende Denken ein fast unendlich großes
Netzwerk sich gegenseitig stützender und
ergänzender Gedanken bilden.
Und so wie Herz und Lunge mit Anspannung
und Erschlaffung (Herz) beziehungsweise
mit Einatmung und Ausatmung (Lunge)
jeweils entgegengesetzte Vorgänge
ausführen (polare Tätigkeit), so ist das daran
sich anlehnende Gefühl ebenfalls polar
angelegt: Liebe-Hass, Antipathie-Sympathie,
Freude-Traurigkeit und so weiter.
Und so wie der Stoffwechsel letztendlich
zielgerichtet Stoffwechselprodukte
hervorbringt, so sind die daran sich
anlehnenden Handlungsimpulse ebenso eine
in eine Richtung zielgerichtete fortwirkende
Kraft, die Veränderungen bewirkt.
Alle drei Teile des Gesamtorganismus
sind Grundlage für das Übergeordnete,
die geistige Individualität – das Ich einer
Organisation. Diese Individualität ist
wandelbar und dadurch nur schlecht
greifbar. Sie lässt sich nur im Laufe
eines Entwicklungszyklus beschreiben,
Entwicklung wird dadurch nur durch
Rückschau sichtbar.
Wichtigste Grundlage einer Therapie ist es,
das Lebensprinzip eines Organismus gut zu
kennen. Am Beispiel Goetheanum (gemeint
ist das „geistige Goetheanum / die Idee
Goetheanum“) ist dieses Prinzip durch die
vielen Jahrzehnte meines Erachtens etwas
verwachsen bzw. versteckt. Folgt man
dem Lebensprinzip eines dreigliedrigen
Organismus und betrachtet sich den
heutigen Organismus Goetheanum, so
stelle ich fest, dass es diesen dreigliedrigen
Organismus auch in dem Goetheanum
in den drei Bereichen Freie Hochschule
für Geisteswissenschaft, Goetheanum
Kulturhaus und Gesellschaft (Allgemeine
Anthroposophische Gesellschaft) gibt.
Lebensprinzipien
Folgt man dieser These, so kann man dazu
kommen, dass das Nerven-Sinnes-System
als Prinzip der Freien Hochschule für
Geisteswissenschaft zugrunde liegt. Dieses
System ist ja eigentlich das produktivste
und entwicklungsfähigste System eines
Organismus. Gerade durch die Fähigkeit,
bewusst Gedanken zu bilden, Forschung
zu betreiben und über ein breites Netzwerk
mit anderen Gedanken (Verbandsarbeit) zu
verbinden und sich so weiter zu entwickeln
(Studium und Weiterbildung), zeichnet es
32 33
als ein Entwicklungsorgan aus, von dem
letzten Endes alles abhängt und alle geistig
ernährt.
Das Herz-Rhythmus-System wird vielleicht im
Goetheanum Kulturhaus am deutlichsten:
Zwischen den beiden Polen Wissenschaft
und Kunst, zwischen grösst möglicher
Öffentlichkeit und möglichster Intimität,
zwischen großem Interesse und leeren
Sälen, zwischen positiver und negativer
Kritik, zwischen Liebe und Unverständnis für
den Bau, eine Tagung bzw. Aufführung ist
ein Hin- und Herströmen wahrnehmbar. All
das drückt sich in der Gefühlsebene dieses
Ortes Goetheanum bei den Besuchern
aus und prägt gleichzeitig durch sein
durchweben den ganzen Organismus
Goetheanum (geistiges Goetheanum) und
lebt schlussendlich durch das, was aus
Hochschule und AAG/Weltgesellschaft
sichtbar und erlebbar werden will.
Und zuletzt das Stoffwechsel-Gliedmassen-
System in seiner Ausprägung der AAG/
Gesellschaft als Sitz der Weltgesellschaft
im Goetheanum (Gebäude) und als
juristisch/wirtschaftliche Person, das
sich vor allem durch das zielgerichtete
Wollen und unterstützen sowie
Veränderungswirkungen auszeichnet.
Mit seinen Gliedmassen: Mitgliedschaft,
Landesgesellschaften, Zweige, Infrastruktur
etc. schafft es juristische und wirtschaftliche
Rahmenbedingungen, damit Freiräume
für Hochschule und Goetheanum
entstehen können. Mit dem Finanzstrom
der AAG wird ein Stoffwechselprozess
im Gesamtorganismus Goetheanum
ermöglicht.
Das höhere Ich des sozialen Organismus
Goetheanum entwicklungsfähig
machen
In all diesen drei Bereichen schlummert
das eigentliche Geheimnis der Gesundheit
des Gesamtorganismus bzw. des „Wesens
Goetheanum“. Eine Fülle von Aufgaben
bzw. Kernaufgaben kann man so ausfindig
machen, die Grundlagen eines gesunden
Organismus bilden können.
Auch wenn diese Systeme einer gewissen
Unabhängigkeit und Abgrenzung bedürfen
(jede kleinste Zelle zeichnet sich durch
Abgrenzung nach Aussen und Innen aus
und schafft dennoch eine Verbindung bzw.
einen Austausch über eine Membrane nach
Aussen und Innen), haben sie jedoch ihre
Wirkung auf alle anderen Systeme und
können so zu Entwicklung und Bewusstsein
bzw. der Erfüllung der Gesamtaufgabe
beitragen.
Das Wichtige dabei ist meines Erachtens,
dass es um die Entwicklung des höheren
Ichs dieses Gesamtorganismus gehen
muss. Alle drei Systeme schaffen nur
Vorraussetzungen, damit sich dieses
höhere Ich, welches von Steiner meist als
das „geistige Goetheanum“ (Die Idee des
Goetheanum als Kulturimpuls, nicht als
Hochschule, nicht als Bau oder Betrieb)
beschrieben wurde, sich entwickeln kann.
Dieses geistige Goetheanum und seine
Individualität und Entwicklungssituation
zu beschreiben, würde hier den Rahmen
sprengen.
Worauf kommt es also heute an?
Für meinen Teil sehe ich in der aktuellen
Finanzmarktkrise die Chance und mögliche
Aufgabe, auch fürs Goetheanum, sich noch
32 33
Die Kindheit: eine Art „himmlischer
Nachklang„ – die Familie: eine „Schule
sozialer Gemeinschaft“.
So das Familienleben ansehen heisst,
andere Dimensionen mit einzubeziehen.
Dimensionen, die über den täglichen,
manchmal ermüdenden Alltag
hinausgehen bzw. diesen verändern.
Begegnungsqualitäten sind gefragt: Fühlen
wie der Andere, Eintauchen in den Anderen,
Verstehen durch den Anderen.
Das kann geübt werden, da kann gescheitert
werden. Denn ist man sich unmittelbar
nicht selbst immer am nächsten? Wirklich
Hochschultreffen der Familienkulturzur 16. Klassenstunde
„Zur Wärme und zum Nachtodlichen“
von Anneka Lohn
einmal ganz neu und frisch zu organisieren, seine Organe zu gesunden, sich der Wichtigkeit
dieser oben beschriebenen drei Grundprinzipien bewusst zu sein und mit einem deutlichen
Entwicklungsschritt sich auf die eigentlichen Grundmotive und Prinzipien (Kernaufgaben)
zu konzentrieren und so mit gebündelten Kräften, weltweiten Partnerschaften (Gesellschaft
und Hochschule), vielleicht etwas schlanker als vorher in eine selbstgestaltete freie Zukunft zu
gehen.
Das spannende ist für mich, dass die Anthroposophie dabei Therapie wie Ziel ist, oder anders
gesagt, der Weg ist das Ziel.
Veranstaltungsrückblick
einzugehen auf Fremdes und Anderes
erfordert eine Fähigkeit, aus dem Umkreis
die Verhältnisse zu betrachten, die Erlebnisse
zu beurteilen.
In den Inhalten der 16. Klassenstunde
klingen Blickrichtungen und Erlebnissphären
zu diesen Fragen an. Paul Mackay hatte
diese am Freitagabend frei gehalten.
Andreas Worel vertiefte in seinem Beitrag
aus diesem Zusammenhang Gesichtpunkte
zur Wärme. Wärme hat immer etwas mit
dem Zustand von mir und dem Umraum zu
tun. Wärme in uns und um uns als irdisch-
kosmische, Leben spendende Dimension.
34 35
Wärme als Begeisterung, als „brennen“ für
den Anderen oder für das Andere. Wärme
als Quelle der ureigensten Moralität von
Innen heraus. Wärme als alldurchdringende
Kraft.
Die gemeinsame Eurythmie mit
Gioia Falk hat in ruhigen Übschritten
erfahrbar werden lassen, welche
Hinwendungskräfte mobilisiert werden
können, wenn gleichzeitig eine Offenheit
„zum Empfangen“ vorhanden sein kann
– „erwecke – erschaffe – erbitte“.
Kurze Gedankenskizzen von Paul Mackay,
Urs Pohlman und Franziska Schmidt von
Nell haben in sehr verschiedener Weise
Erfahrungsfelder aufgezeigt, wie der
Bereich des Nachtodlichen seine Beziehung
zum Jetzt entfaltet. So wie der Schlaf als
kleiner Bruder des Todes angesehen werden
kann, so kann die Aufmerksamkeit, wenn
sie auf das Einschlafen und Aufwachen
gerichtet wird, ahnen lassen, was es heisst,
in „Schwellenluft“ zu bestehen.
Öffnet man seinen Blick dahingehend
zur Frage, wie im Leben hier und
jetzt Perspektiven des Nachtodlichen
anklingen, so können zum Beispiel auch
Biographiebetrachtungen diesbezüglich
Aufschluss geben.
Deutlich ist auch, dass das Aufgeben
von Gewohnheiten im Denken, Fühlen
und Wollen mit dem „wachen Sterben“
einhergehen kann. Das bewusste Gestalten
der Seelenkräfte ermöglicht, zu einer
Verantwortung für sich aus dem Umkreis
heraus zu gelangen.
Diese Haltung, so zeigte sich im
anschliessenden Gespräch, ist die Grundlage
für eine jeden Tag neu zu erringende
Offenheit den Kindern und überhaupt allem
gegenüber.
Am 22. - 23. Januar 2010 wird das nächste
Hochschultreffen zur Familien-Kultur
stattfinden. Die Grundlage wird diesmal die
17. Klassenstunde sein.
Am 5. September findet ein Seminar statt:
Spirituelle Kultur im Alltag von Müttern und
Vätern. Samstag 5.9.2009, 9 – 18 Uhr.
34 35
Forschungskolloquium
„Zur Zukunft der Menschenwürde“
von Johanna Guhr und KunstRaumRhein (Simon Mugier)
Themenschwerpunkt: Ethik
Die Initiatorin des KunstRaumRhein,
Dorothée Deimann veranstaltete
mit ihren Mitarbeitern und der
Sektion für Sozialwissenschaften am
Goetheanum und dem universitären
Nachdiplomstudiengang «Interdisziplinäre
Konfliktforschung und Konfliktanalyse» das
6. Forschungskolloquium «Zur Zukunft der
Menschenwürde» erstmals an der Uni Basel,
diesmal zum Thema Ethik.
Klaus Leisinger von der Novartisstiftung
für Nachhaltige Entwicklung sprach über
die Chancen und Probleme, welche
sich im Rahmen der Tätigkeit eines
globalisierten Grosskonzerns ergeben.
Nicht selbstverständlich ist die vom
Referenten dargelegte Erkenntnis, dass
die grundlegenden gesellschaftlichen
Wertvorstellungen weltweit geteilt werden:
«Ich glaube, dass die Menschen überall auf
der Welt ähnliche Wertvorstellungen haben;
eine gerechtere, weniger verschmutzte
Welt. Aber wer die Veränderungen in
der Welt sehen will, muss sie selber
leben.» Probleme für Mensch und Umwelt
ergeben sich oft mehr aus systematischen
und menschlichen Fehlleistungen denn
aus zynischen Berechnungen. Moralische
Anschuldigungen tragen heute wenig zur
Lösung von Problemen bei: Gefordert ist ein
mit-verantwortliches Handeln.
Auf den individuellen Aspekt nahm auch der
Völkerrechtler Ted van Baarda Bezug. Im
niederländischen Verteidigungsministerium
schult er Entscheidungsträger von global
agierenden Streitkräften. Diese stehen oft in
einem schier unlösbaren Konflikt zwischen
völkerrechtlicher Neutralität und der an sie
gestellten Forderung nach Parteilichkeit und
Gehorsam.
Militärische Befehlshaber müssen auf
Situationen vorbereitet werden, in denen
unverzügliches und über Leben und Tod
entscheidendes Handel gefordert ist.
Wichtig ist dabei die Entwicklung der
moralischen Fähigkeit, gleichzeitig aus
Dorothée Deimann, Simon Mugier
Veranstaltungsrückblick
36 37
der Sache wie auch aus sich selbst heraus
entscheiden zu können. Oft komme es vor,
dass Menschen in Ausnahmezuständen
durch starke Emotionen ihre Befähigung
zum klaren Urteilen verlieren.
Die Entscheidung und Handlung aus
einer übergeordneten und gleichzeitig
geistig-individuellen Souveränität heraus
nennt van Baarda im militärischen Jargon
«Helicopterview». Diese ermöglicht es, auch
in Extremsituationen Übersicht, Haltung und
Würde zu bewahren. Dazu ist eine Schulung
der Ich-Sensibilität notwendig, welche eine
feste Handlungsgrundlage werden kann.
Erst wenn die eigene Würde verloren
gehe, sei es möglich, die Würde anderer zu
verletzen; dies gelte es zu verhindern.
Paul Mackay, Leiter der Sektion für
Sozialwissenschaften und Vorstand am
Goetheanum nahm Bezug auf die Frage,
in welchem Zusammenhang Karma und
Reinkarnation zur Freiheit stehen. Explizit
wurde damit auf eine «Sternstunde
Philosophie»-Sendung am Schweizer
Fernsehen referiert, in welcher Helmut
Zander, Autor des Buches «Anthroposophie
in Deutschland» meinte, dass sich die Idee
der Freiheit mit Reinkarnation und Karma
zynisch anfühle.
Ist Freiheit überhaupt möglich, wenn
mir in diesem Leben Folgen und
Begegnungen entgegen kommen, die durch
vorangegangene Leben bedingt sind? Die
Antwort: Reinkarnation und Karma mache
Freiheit erst möglich. Dadurch nämlich,
dass Taten Konsequenzen haben und
diese Konsequenzen später wieder auf uns
zukommen, ergibt sich die Möglichkeit,
dass wir uns frei dem Wiederkehrenden
gegenüber verhalten und dem Schicksal im
Verbund mit anderen Menschen eine neue
Richtung geben können. Durch die neue
Positionierung besteht die Chance zum
Wandel. «Dass ich mich konfrontiert weiss
mit meinen letzten Erdenleben, das macht
mich überhaupt entwicklungsfähig. Das
gibt mir die Chance, Mensch zu werden,
Menschenwürde zu entwickeln, Freiheit zu
entwickeln.»
Reinhard Erös, ehemaliger Arzt und
Offizier bei der deutschen Bundeswehr,
berichtete von seinen Erfahrungen in
Afghanistan, wo er seit längerem mit seiner
Familie lebt. Aus eigenem Engagement hat
er mit seiner Familie bereits 25 Schulen
aufgebaut und ist zweifellos einer der
besten Kenner der gesellschaftspolitischen
Verhältnisse Afghanistans. Sein Vortrag
war eine «Mischung aus Erlebnisbericht und
Politikerschelte», wie er zu Beginn schon
Klaus Leisinger
36 37
ankündigte.
Die Erkenntnis für den Hörer war dann
auch, dass in den Medien und damit auch
in unseren unkritischen Köpfen und bei
den Politikern viele Vorurteile und falsche
Annahmen bestehen. Kein einziger Afghane
werde international oder national wegen
islamistischem Terrorismus oder Verdacht
auf Terrorismus gesucht, führte er aus –
und dennoch wird in Afghanistan seit 2001
bis heute der Krieg gegen den Terrorismus
geführt. Das Problem der radikalen Taliban
sei wohl gegeben, aber nicht zu verwechseln
mit dem internationalen Terrorismus
von Al-Kaida. Trotzdem führt der Krieg
am Hindukusch zu einer politischen
Radikalisierung. Die Taliban organisieren
sich energisch. Man beobachte dazu die
gegenwärtige Situation in Afghanistan und
im angrenzenden Pakistan.
Die beste Massnahme gegen die Ausbreitung
eines radikalen Islams sei es, so Erös,
Schulen zu bauen. Die Lösung liege in der
heranwachsenden Generation. Die Kinder
sind die zukünftigen Entscheidungsträger
des Landes, und die entscheidende Frage
ist, ob sie in den radikalen Koranschulen
aufwachsen oder in solchen, welche andere
Werte vermitteln.
Für die Afghanen selbst ist die grösste
Bedrohung nicht der Krieg direkt, sondern
die Armut: «Das Hauptproblem der meisten
Afghanen ist: Wie verhungere ich nicht?» So
lautet das Motto der Kinderhilfe Afghanistan
dann auch «Brot und Bildung statt Fatalismus
und Fundamentalismus.» Für Spenden,
Kontakt oder weitere Informationen zur
«Kinderhilfe Afghanistan» besteht die
Möglichkeit der Vermittlung über den
KunstRaumRhein. Infos Afghanistan:
www.kinderhilfe-afghanistan.de
Allen Rednern war gemeinsam, dass sie auf
die ethischen Fähigkeiten des Individuums
rekurrierten, welche nicht ohne weiteres
zugänglich sind, sondern in individueller
Arbeit erkämpft werden müssen. Dazu sind
umfassende Ansätze unumgänglich, die
auch die tieferen Aspekte der Problematiken
miteinbeziehen.
Dialoge sind dort möglich, wo die
Grundlagen Intelligenz und Bereitschaft
zur Anerkennung eines in der Spiritualität
fussenden Menschentums gegeben sind,
wo die westliche Welt bereit ist mit dem
Islam in Verbindung zu treten und wo dieser
seinerseits die Grundlagen des Christentums
kennen und akzeptieren lernt. Dies gilt auch
für die Binnengesellschaft. Die Moderatorin
Dorothée Deimann: «Zu den immer
positiver werdenden Wissensinhalten der
Reinhard Erös
38 39
intellektuellen Welt, die hauptsächlich unsere Köpfe versorgt, müssen wir den Mut aufbringen,
uns bewusst wieder den spirituellen Kräften zuzuwenden. Sonst bleibt es bei frommen Reden und
wirklichkeitsfremden Sozialprogrammen.»
Die bisherigen Vorträge können nachgelesen werden unter www.kunstraumrhein.com; eine DVD
mit allen Beiträgen erscheint in Kürze. Infos dazu ebenfalls auf der Webseite.
Die nächste Veranstaltung des KunstRaumRhein im Herbst findet wiederum an der Uni Basel statt,
u.a. mit Ueli Mäder über seine neueste Forschung zu Reichtum in der Schweiz und der kritischen
Würdigung von sechs Jahrzehnten Sozialer Marktwirtschaft.
Ted van Baarda / Paul Mackay
38 39
Veranstalter: Sektion für Sozialwissen-
schaften am Goetheanum, Dornach
zusammen mit der Sozialwissenschaftlichen
Forschungsgesellschaft e.V., Stuttgart
Mitte März fand in Stuttgart eine
Wochenendtagung zum Thema
„Herausforderungen der Globalisierung“
statt. Vor ca. 350 Menschen entwarfen
anthroposophische Redner wie Prof. Götz
Werner, Thomas Jorberg, Paul Mackay,
Ulrich Rösch, Gerald Häfner, Dr. Dietrich
Spitta und Dr. Christoph Strawe ein
facettenreiches Bild der wirtschaftlichen
Zusammenhänge im Zeitalter der Welt-
Finanz- und -Wirtschaftskrise.
In einem Punkt waren sich alle einig – es
ist Zeit für einen Paradigmenwechsel in der
Wirtschaft, für ein neues Bewusstsein, das
offen ist für zukunftsweisende Lösungen.
An die Stelle von Konkurrenzkampf,
Lohnarbeit und veralteten Strukturen, die
uns weltweit in die Krise gestürzt haben,
muss ein solidarisches Wirtschaften treten.
In diesem muss es um die bisher nicht
ausreichend erkannte Tatsache gehen,
dass die unterschiedlichen wirtschaftlichen
Interessen von Herstellern, Händlern
und Verbrauchern durch vertragliche
Zusammenarbeit ausgeglichen werden
können. Wir müssen miteinander
ins Gespräch kommen, müssen uns
zunehmend zu wirtschaftlichen Verbänden
Die Herausforderung der
Globalisiserung
von Katharina Offenborn
– Assoziationen – zusammenschließen
und gemeinsam Vereinbarungen treffen,
bei denen keiner Verlierer sein darf. Das
Wirtschaftsleben der Zukunft muss auf
„brüderlicher“ Kooperation aufbauen und
nicht auf Konkurrenzkampf.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Politiker
und Wirtschaftsexperten allein entscheiden
können, wo es lang gehen soll. Angesichts
einer Krise, deren Folgen längst noch nicht
abzusehen sind, geht es mehr denn je
darum, die soziale Skulptur (Beuys), die wir
sind, mitzugestalten. Es ist höchste Zeit,
tatsächlich das Volk zu werden, von dem
alle Staatsgewalt ausgeht (Grundgesetz,
Art. 20).
Die Beiträge boten insgesamt
eine ausgewogene Mischung aus
zukunftsweisenden Gedanken und bereits
praktizierten Ansätzen. Was bleibt, ist eine
starke Impulsierung, „gemeinsam in eine
Bewegung zu kommen“, wie Gerald Häfner
es sich wünschte.
Mehr dazu finden Sie demnächst in
einem beim Johannes M. Mayer-Verlag
erscheinenden Sammelband aller Vorträge
sowie in dem Aufsatz von Dietrich Spitta,
„Kooperation statt Konkurrenzkampf.
Selbstverwaltung des Wirtschaftslebens als
Antwort auf die Weltwirtschaftskrise“ im
März-Heft 2009 von „Die Drei“.
Veranstaltungsrückblick
40 41
Kolloquium zur Konfliktforschung
von Peter Gutland
Am 24./25. April 2009 traf sich das
Konflikt-Forschungs-Kolloquium zum 25.
mal seit dem ersten Treffen im September
1996. Ort war das Hofgut Hohenkarpfen
nahe Villingen-Schwenningen in Baden
Württemberg.
Drei neue Mitglieder wurden in dem
Kreis begrüßt, danach wurde gemeinsam
auf die letzte Tagung „Was ist zwischen
dir und mir? Konfliktfähigkeit und
Rechtsgefühl“ vom 21.-23. November 2008
zurückgeblickt. Erstmals wurde die Tagung
gemeinsam mit dem juristischen Arbeitskreis
„Jura Nova“ unter dem Dach der Sektion
für Sozialwissenschaften am Goetheanum
ausgerichtet. Die Veranstaltung wurde
insgesamt, sowohl von den Inhalten als auch
von der Teilnehmerzahl her, positiv gesehen.
Ein Kreis von acht Menschen bereitet eine
weitere Tagung vor.
Am Freitagnachmittag stellte Peter Gutland
aus Wuppertal seine Forschungsergebnisse
zu dem Thema: „Die Wirkungen des
Tierkreises und seine Bedeutung für die
Gemeinschaftsbildung.“ vor. Diese werden
hier, in aller Kürze zusammengefasst,
dargestellt (an einer ausführlicheren
Darstellung wird gearbeitet):
Ausgangspunkt war eine Darstellung der
Bedeutung der „Gemeinschaftsbildung“ für
die Entwicklung der Menschheitsentwicklung
(Vorbereitung der 6. Kulturepoche), für
die geistige Welt und für die Wesenheiten
der Hierarchien, wie sie bei Rudolf Steiner
umfänglich zu finden sind. (s. auch den
Beitrag über die geistige Stiftung in diesem
Bericht). Gemeinschaftsbildung hat darüber
hinaus eine zentrale Bedeutung für die
Konfliktforschung und Konfliktbewältigung.
Der Ansatz ist, Gemeinschaftsbildung
als ein Prozess zur Geistgemeinschaft zu
verstehen und aus den Tierkreiswirkungen
12 Qualitäten zu finden, die in einem Ideal
zusammenfließen.
Im Zeitalter der Bewußtseinsseelenentwick-
lung und in anbetracht des „Soziologischen
Grundgesetzes“ darf bezweifelt werden, dass
man diesen Bildungsprozess automatisch
verlaufend erwarten kann. Kommen neue
Mitglieder in die Gemeinschaft, kann
nicht vorausgesetzt werden, dass sie sich
problemlos anpassen und eingliedern.
Gemeinschaftsbildung muß sich heute in
einem zunehmend bewussten und aktiven
Dialog zwischen Gemeinschaft und
Individualität vollziehen. Arbeitet man auf
anthroposophischer Grundlage, muß das
Ziel die Bildung eines geistigen Organismus
sein. Es arbeitet nicht nur eine Anzahl von
Menschen in einer Einrichtung an den Zielen
und Aufgaben zusammen, sondern die
Gemeinschaft muß aktiv von beiden Seiten
angestrebt und weiterentwickelt werden.
Wir kennen eine Vielzahl von
Darstellungen über Zusammenhänge der
Tierkreiswirkungen mit dem menschlichen
Leben. (12 Sinne, Farben, Töne,
Konsonanten, die menschliche Gestalt
Veranstaltungsrückblick
40 41
u.v.m.) Für diese Betrachtung sind einige
Wirkungen von besonderer Bedeutung.
In den Weltanschauungen wird beschrieben,
wie unterschiedlich die Möglichkeiten von
Menschen sein können, die geistige Welt
anzuerkennen und nach ihrer Erkenntnis
zu streben. Diese Angaben können helfen,
die Fähigkeiten neuer Mitarbeiter bzw.
Mitglieder einer Gemeinschaft zu erkennen,
inwieweit sie sich mit anthroposophischen
Inhalten verbinden oder sie überhaupt
verstehen können. (z. B. der Materialist, der
jegliche geistige Welt leugnet im Gegensatz
zum Spiritualisten, der im Extremfall
Gefahr läuft, jegliches materielles Leben zu
leugnen.)
Längst nicht mehr sind alle Menschen in
den anthroposophischen Einrichtungen mit
diesen Inhalten vertraut und verbunden.
Das Hören anthroposophischer Inhalte
garantiert nicht ihr Verständnis. Verstehen
uns wirklich alle Mitarbeiter, wenn wir
über Anthroposophie sprechen, bzw.
was verstehen sie? (Und was haben wir
verstanden?) Gerade bei jungen Menschen
kommen uns neue Fragen, teilweise
große Intensität, aber auch eine hohe
Engagementbereitschaft entgegen. Es
könnten sich auch Einstellungsgespräche
verändern, wenn man solche Aspekte
berücksichtigt.
Aus den Tugenden kann der Einzelne
Anregungen für seine Selbsterkenntnis
und Selbsterziehung erhalten. Diese
ethisch-moralischen Werte verändern die
Fähigkeiten der Individualität, die sie in die
Gemeinschaft einbringen kann.
Aus den Tierkreisgesten, die Steiner für
die Eurythmie gegeben hat, sind weitere
Erkenntnisse möglich, sie beschreiben das
ganze menschliche Wesen.
Diese mehr individuell geprägten Aspekte
der Anschauungen, Gesten und Tugenden
müssen aber auch ihre Entsprechungen in
der Gemeinschaft finden. Der Einzelne hat
Erwartungen an die Gemeinschaft und will
sie darin wiederfinden.
Eine besondere Bedeutung für das Thema
wird den 12 Stimmungen zugeschrieben,
sie bergen noch viele Geheimnisse und
Hinweise für die Gemeinschaftsbildung.
Ziel der Arbeit ist, Qualitäten für den
o.g. Dialog zwischen Individualität und
Gemeinschaft zu finden, um diesen Prozeß
immer bewusster und zielgerichteter
gestalten zu können. Erste Arbeitsergebnisse
davon wurden vorgestellt, an ihnen wird
weitergearbeitet. Umrahmt wurde der
Nachmittag durch gemeinsame Eurythmie
unter der Anleitung von Lilla Boros-Gmelin.
Der Freitag wurde durch eine beeindruckend
intensive und frei gehaltene Klassenstunde
von Hans Dackweiler beendet.
Am Samstagmorgen wurde über
Möglichkeiten der Anwendung der
vorgetragenen Erkenntnisse über den
Tierkreis für die tägliche Arbeit gesprochen
und beschlossen, an diesem Thema weiter
zu arbeiten.
Anschließend wurde über den
Teilnehmerkreis des Forschungskolloquiums
und die unterschiedliche Kontinuität der
Teilnahme diskutiert. Da die hohe Qualität
der Arbeit neben der Klassenmitgliedschaft
und der eigenen aktiven Arbeit an diesen
Themen, in engem Zusammenhang gerade
mit der Kontinuität der „Kerngruppe“
gesehen wird, sollen alle bisherigen
Teilnehmer angeschrieben werden. Wer die
kontinuierliche Mitarbeit nicht leisten kann,
42 43
soll zukünftig nicht mehr eingeladen werden.
Michael Rein stellte dann noch ein Jugendprojekt mit der Oberstufe der Waldorfschule Reutlingen
vor und lud zur Mitarbeit ein.
Zum Abschluß wurden die Termine für die nächsten Treffen festgelegt; diese sind:
23./24. Oktober 2009, 16./17. April 2010, 29./30. Oktober 2010.
Initiatiativkreis Ernährung
von Marianne Nitsche und Petra Kühne
Am 8. und 9. Mai kam der Initiativkreis für
Ernährung wiederum im Kuppelsaal des
Glashauses am Goetheanum in Dornach
zusammen, um sich auszutauschen,
Kontakte zu vertiefen sowie gemeinsam
zu arbeiten. Diesmal war sogar ein
Teilnehmer aus England dabei. Mit diesem
Rundschreiben wollen wir Sie etwas
miterleben lassen von dem Treffen.
Treffen des Initiativkreises für
Ernährung 2009
Zur Einstimmung diente der Vortrag
vom 2.1.1924 von Rudolf Steiner (GA
316), den wir gemeinsam bearbeiteten.
Dann wurde das Thema „Wie wird die
anthroposophische Ernährung praktisch
umgesetzt?“ mit Praxisberichten fortgesetzt
von einem Bauernhof, einer Klinikküche und
einer Schulküche.
Ein biologisch-dynamischer Hof
Frau Schneiter, Demeter Bäuerin aus
der Schweiz betreibt mit ihrem Mann
einen12 ha großen Hof, auf dem Getreide,
Lagergemüse, Zuckermais und Viehfutter
Veranstaltungsrückblick
42 43
biologisch-dynamisch angebaut und 13
Kühe, 2 Schweine, 2 Pferde und Hühner
gehalten werden. Der Boden wird mit
dem Pferd bearbeitet. Die minimale
Mechanisierung gibt die Möglichkeit
Nahrungsmittel hautnah zu erfahren. So
werden Getreide ab und an von Hand
gesät. Oft sind Kinder, manchmal ganze
Schulklassen an der Arbeit beteiligt. Zum
Kochen werden die reifen Produkte vom Hof
verwendet, deren Qualität sehr geschätzt
wird. Die Essenszeiten gelten als tägliche
Erholung für die Gemeinschaft. Geheimnis
der Rentabilität dieses Hofes liegt zum Teil
darin, dass man sich nicht verschuldet hat,
um viele Maschinen zu kaufen.
Eine Klinikküche für Menschen
Frau Hagg, Küchenleiterin der Ita-
Wegman-Klinik berichtete von der
Versorgung von über 60 Patienten und
50 Mitarbeitern pro Tag, ferner der
Belieferung von Kindertagesstätten und
der Cafeteria, für die Tagesmenü sowie
Kaffee und Kuchen bereitgestellt werden.
Getreide ist ein wichtiger Bestandteil der
Küche. Die Getreidearten werden im
Wochenrhythmus zubereitet. Wichtig ist
die Berücksichtigung der Jahresfeste und
-zeiten, um auch die Sinne zu ernähren. 40-
50% der verbrauchten Nahrungsmittel sind
biologisch-dynamischer Herkunft, weitere
40% stammen aus biologischer Erzeugung.
Essen in einer Schulküche
Frau Dobin leitet die Küche der
Waldorfschule in Braunschweig. Es wird
ein Komponentenessen angeboten.
wo sich die Schüler das Essen selbst
zusammenstellen und z. B. zwischen
verschiedenen Gemüsearten, Beilagen oder
einem Salat wählen können. In Absprache
mit Kollegen findet eine Verknüpfung
von Unterrichtsinhalten und Speiseplan
statt, z.B. im Erdkundeunterricht mit
dem Thema Italien wird von der Klasse
ein landestypischer Speiseplan erstellt.
Die Schüler der 7. Klasse absolvieren ein
1-wöchiges Mensapraktikum, wo sie
Grundtechniken der Nahrungszubereitung
lernen. Der Speiseplan wird jahreszeitlich
gestaltet, beliebte Speisen wie Pizza
kommen etwa alle zwei Wochen auf den
Tisch. Zurzeit wird im Auftrag des Vorstands
ein Konzept für die Mensa erarbeitet.
Zuckerstudie
Anschließend stellte Frau Dr. Kühne die
von ihr erarbeitete Studie zu R. Steiners
Aussagen zum Zucker vor. In vielen Ländern
steigt aufgrund besserer wirtschaftlicher
Verhältnisse der Zuckerverbrauch bis zu
einer Sättigung an. In der Vollwerternährung
wird Zucker oft negativ bewertet. R. Steiner
hat dies differenzierter gesehen, auch für
Kinder. So vermag der Genuss von Zucker
einem melancholischen Kind helfen sich
zu lockern, ein kleiner Sanguiniker sollte
allerdings nicht zuviel davon bekommen.
Dass die Zuckerqualität nach Pflanze
und Verarbeitungsgrad unterschiedlich
wirkt, wurde im Arbeitskreis für
Ernährungsforschung mit wahrnehmender
Verkostung erprobt. Dabei ist es auch
wichtig, aus welchem Teil der Pflanze
das Süßungsmittel gewonnen wurde
(z. B. Birnendicksaft oder Rübensirup).
Die Studie ist beim Arbeitskreis für
Ernährungsforschung für 10 € erhältlich.
Welternährung und ökologischer
Landbau
Nikolai Fuchs setzte das Thema
Welternährung vom Vorjahr fort. 2008
44 45
erschien der Bericht des Welt-Agrarrates,
in dem eine Neuausrichtung in der
internationalen Agrarpolitik auf ökologisch
nachhaltige Produktionsmethoden gefordert
wird. Die Situation ist besorgniserregend.
Preissteigerungen für Lebensmittel belasten
die Ärmsten der Armen und haben zu
Hungerrevolten sogar in Schwellenländern
wie Ägypten geführt. Es gibt zwei Konzepte
zur Bewältigung dieser Probleme: eine
zweite „grüne Revolution“ mit Hilfe der
Gentechnik und die vom Weltagarrat
befürworteten alternativen Anbauweisen.
Effektive Hilfe ist zu etwa 40% eine Frage
der Anbautechnik. Die Ernteerträge im
Ökolandbau erscheinen nur in der westlichen
Welt gering, für Länder mit traditionellen
Anbaumethoden führen sie zu einer
Verbesserung der Situation. Aufgabe eines
biologisch-dynamischen Landbaus wäre es,
in der Landwirtschaft einen Kulturwandel
von unten nach oben einzuleiten. Eine
Politik, die den Menschen, den Hungernden
nicht als zu Versorgenden, sondern als zu
Befähigenden sieht. Die westliche Welt
muss aber bereit sein, ihre Märkte für diese
Produkte zu öffnen. In der anschließenden
Diskussion wurde deutlich, dass Ernährung
und Lebensmittelqualität einen anderen
Stellenwert erhalten müssen, um den
Verbraucher zu einer Umorientierung zu
bewegen. Dazu gehört auch eine deutliche
Senkung des Fleischkonsums. Vielleicht,
so kam die Frage, müssen Menschen mit
anthroposophischer Einstellung von sich aus
aktiver handeln und nicht erst warten, bis sie
gefragt werden.
Qualitätsstandards
In zwei kleineren Gruppen wurde am
Abend an Leitlinien für die Anwendung
anthroposophischer Ernährung gearbeitet.
Hintergrund dieser Aufgabe sind die
Qualitätsrichtlinien, die von der Deutschen
Gesellschaft für Ernährung bereits für
Betriebe, Schulen und neuerdings für
Kindertagesstätten veröffentlicht worden
sind1. Sie regten den Initiativkreis für
Ernährung an, eigene Qualitätsstandards
oder -leitlinien zu erarbeiten, um die
Essensqualität nach weiteren Kriterien als
nur dem Nährstoffgehalt zu bewerten. Diese
Aufgabe konnte in der kurzen Zeit natürlich
nur in Ansätzen erfolgen. Allerdings wurde
bereits deutlich, dass die Lebensmittelqualität
jeweils im Mittelpunkt stand. So war
ein Ziel, möglichst viele biologisch-
dynamische Lebensmittel zu verwenden. Zur
Realisierung wurde von einer Gruppe eine
Rangfolge von konventionell, konventionell
regional über EU Bio, Verbandsbio bis zu
Demeter aufgestellt. Ebenso wurde die
soziale Qualität von „fair trade“ bis zum
Umgang mit Mitarbeitern erwähnt. Als
Grundlage stand bei beiden Gruppen die
anthroposophische Ernährung. Dazu gehört
z.B. inwieweit die Dreigliederung der Pflanze
bei der Speiseplanerstellung beachtet wird.
Milchqualität
Der Samstagvormittag war dem Thema
Milch gewidmet. Susanna Küffer Heer
erläuterte die Zusammenhänge zwischen
Milchqualität und dem Entstehen von
Allergien insbesondere im Kindesalter.
Mit einer Studie an 15.000 Kindern aus
verschiedenen europäischen Ländern
wurden Gründe für die Zunahme an
Allergien untersucht. Bauernkinder, die sich
in Ställen aufhalten konnten und mit Tieren
in Berührung kamen, wiesen größeren
Schutz auf. Daneben spielt die Art der Milch
44 45
selber eine entscheidende Rolle. Homogenisierung, aber auch Erhitzung der Milch hat negative
Wirkungen. Entscheidend für die Bekömmlichkeit von Milch auch im Hinblick auf möglicherweise
entstehende Allergien ist die Qualität ihres Fettes. Günstig wirken Omega-3-Fettsäuren (eine
Art der langkettigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren) sowie der konjugierten Linolsäure.
Nikolai Fuchs stellte dar, dass diese Fettzusammensetzung von der Fütterung und Haltung der
Tiere abhängt. Bei intensiver Haltung muss ein Tier bis zu 12.000 Liter Milch pro Jahr liefern, bei
extensiver nur 5000 Liter. Hochleistungen verlangen eine Fütterung mit Kraftfutter wie Mais,
Getreide oder Soja. Die beste Qualität auch in Bezug auf die Fettzusammensetzung erhält man
durch eine extensive biologisch-dynamische Landwirtschaft. Weiteren Einfluss hat die Haltung im
Tal oder auf den Bergen. Auf den Bergwiesen leben die Tiere von frischem Gras und Kräutern,
während im Tal die Tiere auch Heu oder je nach Bewirtschaftung Silage bekommen.
Zum Abschluss der Veranstaltung konnte Milch erlebt werden. 5 verschiedene Milchsorten von
der Demeter-Milch bis zur Fertignahrung für Säuglinge wurden verkostet, wahrgenommen und
beurteilt. Hierbei wurde noch einmal sehr deutlich, wie gravierend Qualitätsunterschiede sein
können und was es für ein Kind bedeuten mag, wirkliche naturbelassene Milch trinken zu dürfen
und damit auch, wie wichtig es ist, an Qualitätsleitlinien weiter zu arbeiten.
Auf dem Treffen war Gelegenheit, dass sich die Teilnehmer und ihr Arbeitsumfeld vorstellten
und austauschten. Dies gab eine Vielzahl von Initiativen von einem Kochkurs in einem
Waldorfkindergarten in Prag über die Gründung eines Vereins für anthroposophische
Ernährungstherapie, der Fortbildung Anthroposophische Ernährung im Arbeitskreis für
Ernährungsforschung bis zum Führen eines Vollwertrestaurants und der Organisation
von Vorträgen. Im Anschluss an dieses Treffen trafen sich die Verbrauchervertreter der
Konsumentenvereine.
(Footnotes)1 “Qualitätsstandards für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder” download
oder Bestellung unter: http://www.dge-projektservice.de/Produkte/FITKID-Medien/
Qualitaetsstandards-fuer-die-Verpflegung-in-Tageseinrichtungen-fuer-Kinder/132004.html
Dieser Bericht erscheint auch in der Sektion für Landwirtschaft.
46 47
Arbeitskreis Verbraucher
von Marc Theurillat
Assoziativer Markt und die Rolle der
Konsumentenorganisationen
Hier stelle ich dar, wie aus meiner Sicht
eine Alternative zum heute propagierten
„freien Markt“ aussieht. Der Text ist eine
knapp formulierte „Konzept-Skizze“ für
die Mitteilungen 2/09 des Konsumenten-
Vereines Basel und Umgebung.
(1) Thema und Fragestellung
(a) Assoziativ resp. Assoziationen
Schon lange interessiert mich, wie die
Angaben von Rudolf Steiner zur Wirtschaft
konkret umgesetzt werden können. In
seinen Angaben haben die „Assoziationen“
einen wichtigen Stellenwert. Es gibt eine
reiche Literatur über die „assoziative
Wirtschaft“, die jedoch praktisch nur
innerhalb der anthroposophischen
Bewegung beachtet wird. Die aktuelle
Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt aber, wie
nötig eine grundsätzliche Neuorientierung
wäre. Ich möchte meine aus den Hinweisen
Rudolf Steiners gewonnenen Erkenntnisse
und Vorstellungen so darlegen, dass sie
für jeden Interessierten, (mindestens)
nachvollziehbar sind.
(b) Nicht behandeltes Umfeld
Ich beschränke mich hier auf den Aspekt
der „Assoziationen“. Die Hinweise von
Rudolf Steiner betreffen ein viel breiteres
Gebiet, das hier nicht auch behandelt
werden soll. So erläutere ich weder die
Fragen des Menschenbildes noch die
des gesellschaftlichen Rahmens resp. der
„Dreigliederung“. Auch die Fragen der
Einkommensbildung („bedingungsloses
Grundeinkommen“), des Eigentums an
Produktionsmitteln und die Bedeutung der
drei Geldarten (Kauf-, Leih- und Schenkungs-
Geld) können hier nicht behandelt werden,
weil ich mich ganz auf den Ausschnitt
„assoziativ“, der sich auf die Gestaltung der
Märkte bezieht, konzentriere.
Veranstaltungsrückblick
46 47
(c) Schweizerischer
Demeterverband und der KVBU
Konzeptionelle Gedanken werden in
einem Spannungsfeld von grundsätzlichen
Erkenntnissen einerseits und ganz
konkreten Situationen andererseits
entwickelt. In diesem Text geht es um die
konkrete Situation des Schweizerischen
Demeterverbandes und des KVBUs.
(d) Die Fragestellung
In diesem Aufsatz soll also folgenden Fragen
nachgegangen werden: Wodurch zeichnet
sich eine „assoziative Marktgestaltung“
aus? Was könnte dies für die Demeter-
Bewegung der Schweiz bedeuten? Was
müsste die Konsumentenorganisation KVBU
dabei leisten?
(2) Der Markt und seine
Probleme
(a) Der Markt als „Transaktions-
Ort“
Wenn ich hier von „Markt“ spreche,
so meine ich den „Ort“ (in einem
umfassenden Sinne) mit Umfeld,
Strukturen und Verhaltensweisen, an dem
mehrere gleichwertige wirtschaftliche
Güter von verschiedenen „Akteuren“ (sei
es eine Firma oder Einzelperson) an mehrere
andere gegen Geld verkauft werden. Das
kann ein konkreter Marktplatz sein; aber
auch z.B. die Gesamtheit der Demeter-
Bauern in der Deutschschweiz mit ihren
Abnehmern. Kein Markt liegt vor, wenn
entweder eine Monopol-Situation und/oder
zentrale Zuteilungen (Planwirtschaft) die
Kaufentscheidungen bestimmen.
(b) Seine zu erhaltenden Vorteile
Die wichtigen, auch in einer fairen,
solidarischen Wirtschaftsweise erwünschten
Eigenschaften eines Marktes sind: Freie
(aber verantwortliche) Entscheidungen der
Akteure, Wettbewerb (zwischen Anbietern
und zwischen Abnehmern), Angebotsvielfalt
und Abnehmer-orientierte Qualitäts- und
Mengenfestlegungen.
(c) Die Probleme und heutigen
Lösungsansätze
Da die (wenigen und besser organisierten)
Anbieter ihre Gewinne maximieren wollen,
versuchen sie eine marktbeherrschende
Stellung (mit überhöhten Preisen) zu
erwerben. Um das zu verhindern, werden
durch die Kartell-Gesetzgebung Monopole
und alle Absprachen verboten. Eine effektiv
(oder vermutet) schwache Stellung der
Abnehmer (in sozialpolitisch relevanten
Gebieten wie Miete und Medikamente, etc.)
wird durch staatliche Eingriffe kompensiert.
Kapitalintensive Produktionskapazitäten
brauchen viel längere Auf- und Abbauzeiten
als die Verhaltensänderung der Abnehmer
(z.B. Auto- und Energie-Industrie). Dafür
besteht heute kein Lösungsansatz. Die
heutige Regelung, dass der aktuelle
Marktpreis auch den „Wert“ einer Ware
darstelle (und zu diesem Wert zu buchen
sei), führt bei grossen Unterschieden
zwischen Angebot und Nachfrage zu den
enormen Vermögensänderungen („Blasen“
und „Krisen“). Kleine zu „Sonderpreisen“
gehandelte Mengen bestimmen den Wert
der grossen Bestände. Auch hier gibt es
heute keinen Lösungsansatz.
(d) Die Mängel der heutigen
Regelungen
Zusammengefasst und vereinfacht sehe ich
48 49
folgende drei Haupt-Mängel:
1.) Es gibt keine idealen Märkte;
d.h. auch die behauptete automatische
Optimierung (der „unsichtbaren
Hand“) funktioniert nicht wirklich. Der
Zufall, d.h. die vielen unkoordinierten
Einzelentscheidungen führen nicht zu
nachhaltig geordneten Verhältnissen.
2.) Wenn, wie heute üblich, „frei“ mit
„willkürlich, so wie es meinen momentanen
Interessen entspricht“ gleich gesetzt wird,
so entsteht nie verantwortliches Handeln.
Mit der nun ein Jahrhundert propagierten
Aufforderung, nur für sich selbst zu schauen,
wurden viele gesellschaftlichen Strukturen
und das nachhaltige Gleichgewicht der
Umwelt zerstört. Wir brauchen ein „frei“ als
„aus meiner individuellen Verantwortung
mir und dem Umfeld gegenüber“!
3.) Die Einsicht, dass die Märkte
sich nicht ganz überlassen werden können,
sondern verschiedene „Regulatoren“
brauchen, hat einen politisch breiten
Konsens. Diese Eingriffe sind aber alle
politisch motiviert und gesteuert. Damit
sind sie, wie die resultierende Gesetzgebung
oft gezeigt hat, keineswegs immer sachlich
richtig. Nicht alle, aber viele Regulationen
sollten nicht politisch, sondern sachgerecht
sein.
(3) Das Konzept des
„assoziativen Marktes“
(a) Die Grundidee
Die Märkte sollen, neben den
gesetzgeberischen Rahmenbedingungen
von „Assoziationen“ „reguliert“ werden.
„Assoziationen“ sind Markt- resp.
Branchen-spezifische Vertretungen von
jeweiligen Anbietern und Abnehmern,
idealtypisch von Produzenten, Händlern und
Konsumenten. Die „Assoziationen“ haben
die Aufgabe, das Geschehen der Märkte zu
beobachten, gemeinsam zu analysieren, bei
Bedarf die notwendigen Massnahmen zu
formulieren und allfällige Vereinbarungen
abzuschliessen.
Im Gegensatz zur heutigen
Kartellgesetzgebung wären Zusammen-
schlüsse und Absprachen nicht nur erlaubt,
sondern gefordert; aber immer und nur
mit der „anderen Seite“ zusammen. Der
Interessenausgleich soll nicht durch den
anonymen Kampf im Wettbewerb, sondern
durch Transparenz und Reflexion der
Konsequenzen, herbei geführt werden.
Die notwendigen Regelungen, die sich aus
übergeordneten, rechtlichen und politischen
Sichten geben (Vertragsrecht, Arbeitsrecht,
Umweltschutz, Gesundheitsschutz, etc.)
sind als staatliche Rahmendbedingungen
zu formulieren und gelten für die ganze
Wirtschaft. Die Fragen nach Qualität,
Mengen und Preisen der Waren und
Dienstleistungen (von der Herstellung,
Veredelung über die Distribution bis zum
Konsum) sind diejenigen Fragen, die durch
den „assoziativen Markt“ beantwortet
werden sollen.
(b) Anmerkungen zur konkreten
Ausgestaltung
Vom einzelnen Akteur wird in seinem
Verhalten keine moralische Grösse erwartet;
weil in der Einrichtung der „Assoziationen“
der Interessensausgleich aber offen gelegt
wird, kann kollektiv verantwortlicher
entschieden werden. Das kann
gegebenenfalls auch zu transparenten,
48 49
bewusst vereinbarten Einschränkungen
führen. Für alle diejenigen, für die die
Wirtschaft zur Befriedigung der Bedürfnisse
– und nicht für die persönliche Bereicherung
zu lasten der anderen – da ist, eine
verlockende Perspektive.
Die „Assoziationen“ sind so vielfältig wie
die Märkte zu denken: regional, national
und international; je Branche und Teilschritt
der Wertschöpfungskette; immer mit Vor-
und Nachstufe, immer mit Handel/Agenten,
wenn es diese gibt. Die Zusammensetzung
der einzelnen „Assoziationen“ ergibt sich
aus dem konkreten Markt, der begleitet/
reguliert werden soll. Wer weiss, was
geschieht und warum? Wer kann eine
Gruppe von Akteuren vertreten? Viele
Verbände nehmen heute schon Teile der
Aufgaben der Assoziationen war. Auch
Fair-Trade-Organisationen, insofern sie
eine Plattform für gestaltete Anbau- und
Vertriebsverhältnisse bieten, sind im Sinne
der „Assoziationen“ tätig.
(c) Anwendung auf Demeter-
Schweiz
Der Demeter-Markt-Schweiz ist ein kleines
und erst noch heterogenes Gebilde im
Bereich Nahrungsmittel. Vor ein paar Jahren
haben wir den Marktanteil auf 0,5 bis
1 geschätzt. Die Marke „Demeter“ wird
vom Schweizerischen Demeterverband, der
von den drei „Poolpartner“ (Produzenten,
Handel und Konsumenten) gegründet
wurde, verwaltet. Neben der Verwaltung
der Marke (Marken-Schutz und Marken-
Förderung) haben wir (positive) Erfahrungen
mit den sogenannten „Marktgesprächen“,
in welchen Hersteller, Händler und
Konsumentenvertreter bei speziellen
Produktgruppen Qualitätsanforderungen,
Logistik, Margen und Preise besprechen. Es
besteht keine Übersicht über Mengen und
Warenflüsse.
Viele Produzenten und Verarbeiter beklagen,
dass sie einen grossen Teil der Demeter-
Produkte im „Bio-Kanal“ absetzen müssen,
weil die reinen Demeter-Kanäle nicht
genügend Volumen abnehmen könnten.
Andererseits klagen Grosskunden, dass
sie nicht genügend Demeter-Produkte zu
einem tragbaren Preis erhalten würden. Es
ist unbestritten, dass auch die organisierten
KonsumentInnen (wegen hohem Preis,
mangelnder Verfügbarkeit und schlechter
Zugänglichkeit) ihren Bedarf wohl nur unter
der Hälfte mit Demeter-Produkten decken.
Aus meiner Sicht die klassische Situation
kleiner, nicht-gestalteter Märkte.
(4) Die Rolle der Konsumenten-
Organisationen
(a) Ihre Aufgaben
Um kompetente Partner für eine assoziative
Zusammenarbeit zu sein, müssen die
Konsumentenorganisationen fähig sein,
das Geschehen der Märkte zu beobachten,
zu analysieren und Massnahmen zu
formulieren. Das können sie. Eine besondere
Herausforderung stellt jedoch das auch
notwendige, verbindliche Abschliessen einer
Vereinbarung dar.
Die „Grosskunden“ sind wohl in der Lage,
wenn sie zu einem Netzwerk zusammen
geschlossen wären, für die ganze Gruppe,
ihre Bedürfnisse klar zu formulieren und auch
verbindliche Vereinbarungen abzuschliessen.
Hier besteht die Herausforderung darin,
50 51
die meist unter Zeitdruck stehenden, sehr
unterschiedlichen Individualisten von den
Vorteilen zu überzeugen und „unter einen
Hut“ zu bringen.
Die bestehenden Konsumentenvereine
können die Sicht der Einzelhaushalte
dann gut vertreten, wenn sie eine
ausreichende Grösse und einen internen
Erfahrungsaustausch aufweisen. Verlässliche
Vereinbarungen können sie bei „Aktionen“
mit Vorbestellung abschliessen. Dazu zählen
z.B. die „Gemüse-Abonnemente“ oder
unsere „Grossmengen-Aktionen“. Ihre Sicht
wird präziser, die Transparenz klarer und
die Fähigkeit, verbindliche Regelungen zu
treffen, grösser, wenn die Detaillisten als
„Konsumenten-Vertreter“ mit einbezogen
werden. Auch wenn sie selbst Händler sind,
den Produzenten und dem Grosshandel
gegenüber können sie die Sicht der
Konsumentenschaft einnehmen.
Es kann und soll nie das Ziel sein, für alle
KonsumentInnen verbindliche Regelungen
zu treffen. Eine gut ausgestaltete
Konsumentenorganisation, die
„Grosskunden“ und Detaillisten einbezieht,
kann aber sehr wohl kompetenter
Gesprächspartner sein und auch Regelungen
im Sinne von „Rahmen-Verträgen“
abschliessen. Wie verbindlich die einzelnen
Aussagen werden können, wird sich aus den
konkreten Lebensumständen ergeben.
(b) Ihre aktuelle Verfassung
Die Konsumentenvereine der Schweiz
decken mehr oder weniger die ganze
Deutschschweiz ab und sind in einem
Dachverband zusammengeschlossen. Ihr
Mitgliederbestand ist stetig leicht sinkend.
Nur in Basel hat sich ein regelmässiger
Kontakt mit den Detaillisten etabliert.
Noch nirgends sind die „Grosskunden“
eingebunden. Im Demeterverband und im
„Marktgespräch“ wird aktiv mitgearbeitet.
(5) Schlussfolgerungen für den
KVBU
(a) Die zu bewältigende
Herausforderung des KVBU
Die im Vorangegangenen erläuterten
Überlegungen bestätigen den vom
Vorstand des KVBU schon eingeschlagenen
Weg: Mehr Mitglieder, Einbezug der
„Grosskunden“ in einer besonderen
„Sektion“, Festigung der Zusammenarbeit
mit den Detaillisten und Ausbau der
„Abonnemente“ und „Grossmengen-
Aktionen“ auf Vorbestellung.
(b) Ansätze zur Lösung
Es gilt, die klassischen PR-Wege einer
Interessenorganisation zu begehen.
(6) Zusammenfassung
Wir alle sind mit den dramatischen
Verwerfungen an den Finanzmärkten und
der damit ausgelösten Wirtschaftskrise
konfrontiert. Es ist hier nicht der Ort, alle
Hintergründe und Konsequenzen auszu-
euchten. Was hier aber versucht wurde, ist
ein Aspekt davon, nämlich das Funktionieren
„freier Märkte“ und das der Alternative,
der „assoziativen Märkte“, zu skizzieren.
Dabei haben wir Konsumentinnen und
Konsumenten eine besondere Bedeutung,
wenn wir nicht nur lamentieren, sondern
auch konkret an Verbesserungen arbeiten.
Überall freie Wahl gibt keine
Nachhaltigkeit!
50 51
Den „freien Märkten“, im Gegensatz zur staatlichen Planwirtschaft, verdanken wir viel:
Auswahl und attraktive Produkte dank Wettbewerb sowie auf die Abnehmer hin orientierte
Qualitäten und Mengen. Aber das heutige System hat auch seine Schwächen: Grösse und Stärke
gewinnt, die Wünsche der kleinen Minderheiten finden keine Beachtung, wir schwanken immer
schneller zwischen „Überhitzung“ und „Rezession“ und es braucht immer stärkere staatliche
Regulationen, um die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Eines ist klar
geworden: wenn jede und jeder Einzelne „frei“ als „willkürlich, so wie es meinen momentanen
Interessen entspricht“ versteht, dann entsteht in der Summe keine nachhaltig ausgewogene
Wirtschaftsaktivität.
Die Alternative: Assoziationen
Die Grundidee der Alternative: innerhalb der gesetzlichen Randbedingungen sollen die Märkte
von „Assoziationen“, d.h. Vertretungen jeweiliger Anbietern und Abnehmern, mit auf konkrete
Situationen abgestimmten Vereinbarungen, reguliert werden. Im Gegensatz zur heutigen
Kartellgesetzgebung wären Zusammenschlüsse und Absprachen nicht nur erlaubt, sondern
gefordert; aber immer und nur mit der „anderen Seite“ zusammen. Der Interessenausgleich soll
nicht durch den anonymen Kampf im Wettbewerb, sondern durch Transparenz und Reflexion
der Konsequenzen, herbei geführt werden. Qualität, Mengen und Preise sollen durch den
„assoziativen Markt“ bestimmt werden.
Die Voraussetzung: verantwortliches Handeln der Konsumentenschaft
Das Konzept setzt allerdings voraus, dass wir KonsumentInnen beginnen, „Freiheit“ als „aus
meiner individuellen Verantwortung mir und dem Umfeld gegenüber“ zu leben. Auswahl ja,
aber falls nötig, mit Einschränkungen. Das Konzept setzt ferner voraus, dass sich nicht nur die
Hersteller und der Handel, sondern auch die Konsumentenschaft organisieren, um die Bedürfnisse
artikulieren zu können. Auch der Konsum muss zu verbindlichen Vereinbarungen fähig werden.
Der Konsumentenverein will das entwickeln
Genau das, am Beispiel der Demeter-Produkte, zu entwickeln, das ist das Ziel und die aktuelle
Tätigkeit des Konsumentenvereins Basel und Umgebung. Aber um wirksam werden zu können,
brauchen wir noch mehr Menschen, die das selbe auch tun wollen. Wir suchen <Jung und Alt>,
die unser Engagement mit den nächsten Schritten im Alltag und einer Mitgliedschaft bei uns
unterstützen. Nur zusammen werden wir stark!
52 53
Bericht vom Verbrauchertreffenvon Hans Ueli Eisenhut
(Präsident des Schweizerischen Verbandes der Konsumentenvereine zur Förderung der
biologisch-dynamischen Landwirtschaftsweise und assoziativer Wirtschaftsordnung)
1. Planung eines Konsumentenkongresses in
Zürich im März 2010
Arbeitstitel: Konsumenten – Auftraggeber
der Wirtschaft – ein Beitrag zu einer neuen
Finanz- und Realwirtschaft
2 Vorträge zum Tagungsthema
2 Vorträge von Wirtschaftsunternehmer
Forum: moderiertes Gespräch mit Vertretern
aus Politik, Landwirtschaft, Handel und
Konsumenten
Zurzeit werden Sponsoren gesucht.
2. Projekt neue Homepage
www.demeterkonsumenten.ch
Die Delegiertenversammlung vom 25.4.2009 hat
beschlossen, bis Ende Oktober 2009 eine neue
Veranstaltungsrückblick
„lebendige“ Homepage zu gestalten. Bedingung ist, dass diese regelmässig gewartet
wird und möglichst aktuelle und interessante News, Umfragen, Infos, Listen etc. bietet.
Ein wichtiger Faktor ist die Mitgliederwerbung.
3. Mitarbeit an der Sozialen Charta DEMETER
Als Mitglied eines der drei Poolpartner des Demeter Verbandes Schweiz hat eine
Arbeitsgruppe des Verbandes im April zuhanden des Demeter Verbandes einen Text
erarbeitet. Er besteht aus fünf Punkten: 1. Präambel, 2. Kulturelles Engagement,
3. Verbindlichkeit in sozialen Beziehungen, 4. Partnerschaftliches Wirtschaften, 5.
Erklärung. Wünschenswert wäre, wenn unsere Inhalte in die bestehende Version des
Vereins für biologisch-dynamische Landwirtschaft einfliessen könnten.
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Blick fürs Ganze
Anlässlich des Jahrestreffens der Biologisch-
Dynamischen Assoziation von Indien
(BDAI) in Bangalore am 10. Januar 2009
reiste Ulrich Rösch von der Sektion für
Sozialwissenschaften am Goetheanum nach
Indien. Thema war die Verbindung mit der
weltweiten Bewegung.
Unser Weg in den Süden Indiens führte
uns durch Kerala, wo auf verschiedenen
Farmen Kaffee, Tee, Gewürze und Früchte
biologisch-dynamisch angebaut werden.
Er ging durch das Kardamom-Gebirge,
durch die West Ghats auf die Kurinji-Farm
nahe Madurai, wo vor allem Mangos und
Birnen angepflanzt und verarbeitet werden.
In vielen in Europa vertriebenen Demeter-
Säften sind Kurinji-Mangos enthalten.
Kerala heißt in Indien ‹God’s own land›.
Wenn man die Fruchtbarkeit dieses Landes
und die freundlichen Menschen sieht,
kann man glauben, dass das stimmt. Aber
es ist nicht nur Paradies. Wälder wurden
abgeholzt, dafür Monokulturen für Tee,
Kaffee und Kautschuk angelegt. Trotz
vieler Bemühungen – Kerala hat die kleinste
Zahl von Analphabeten in Indien – ist die
Bevölkerung zu stark gewachsen und damit
vor allem der Mensch und Natur zerstörende
Autoverkehr.
Bei allem Erfolg – Gefahr der Isolierung
Von der Kurinji-Farm fuhren wir mit dem
Stand der Demeter-Bewegungvon Ulrich Rösch
Präsidenten der BDAI, Jakes Jayakaran,
nach Bangalore. Hier fand das Jahrestreffen
der BDAI statt. Die biologisch-dynamische
Bewegung, so erfolgreich sie in Indien
ist, dürfe sich, so Ulrich Rösch von der
Sektion für Sozialwissenschaften am
Goetheanum, nicht isoliert von den anderen
anthroposophischen Bestrebungen sehen.
Auch Umesh Chandrasekar, Direktor des
Instituts für Marktökologie in Indien, wies
darauf hin, dass bei aller erfolgreichen
Arbeit der letzten Jahre wegen großer
Arbeitsbelastung der einzelnen Initiativen
der Blick auf das Ganze manchmal etwas zu
kurz komme.
Carolin Hedman von der Initiative Sophia,
Järna (SE), bekräftigte die Bedeutung des
Internationale Sektionsarbeit: Indien
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weltweiten Netzwerkbildens. Sie begleitet junge Menschen, die von Schweden aus nach Indien
entsandt werden, um dort vor allem in ländlichen Initiativen mitzuarbeiten, zum Beispiel bei
der Initiative in Sevapur. Dort gibt es im Rahmen eines größeren sozialen und pädagogischen
Projektes auch eine biologisch-dynamische Farm.
Nirmala Diaz von der Sloka-Waldorfschule in Hyderabad gab einen Einblick in die Arbeit der
Waldorfschulen in Indien. Von einigen der landwirtschaftlichen Initiativen kam der Wunsch, eine
Erweiterung durch eine Schule zu bekommen.
Die biologisch-dynamische Ausbildung in Indien war Thema von David Hogg, dem Sekretär
der BDAI. In Zentralindien stellten vor allem Frauen die Landwirtschaft eines ganzen Dorfes auf
biologisch-dynamisch um. Hogg berichtete vom wachsenden Maikaal-Projekt und von der von
Rithu Baruah geleiteten Landbauschule. Einen herzlichen Dank sprach er an Peter Proctor aus, der
in Indien über viele Jahre biologisch-dynamische Ausbildungskurse durchgeführt hat und dort als
Lehrer ‹par excellence› verehrt wird. Jetzt musste er aus Gesundheitsgründen nach Neuseeland
zurückkehren.
Und Jakes Jayakaran berichtete über seine Arbeit in China, wo er auf großes Interesse stieß
und mehrere Kurse durchgeführt hat. Dort wird allerdings Wert darauf gelegt, dass biologisch-
dynamische Landwirtschaft mehr eine Methode und Technik ist; der weltanschauliche Hintergrund
muss sehr zurückgestellt werden.
Soziale Bedeutung
In der Weihnachtszeit 2008 besuchte Ulrich
Rösch vom Goetheanum den Gateway-
Zweig in Mumbai. Eine kleine Impression
von der Stimmung vor Ort.
Es ist für einen Mitteleuropäer schon
Gateway-Zweig in Mumbaivon Ulrich Rösch
eigenartig, wenn man am frühen
Weihnachtsmorgen nach Mumbai einfliegt
und es dort, mitten in der Nacht, noch 26
Grad Celsius hat. Obwohl die Anschläge von
Mumbai noch nicht einmal vier Wochen her
sind, ist äußerlich wie immer ein geschäftiges
Treiben vorzufinden.
Internationale Sektionsarbeit: Indien
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Am zweiten Weihnachtstag treffe ich
einige Mitglieder des Gateway-Zweiges der
Anthroposophischen Gesellschaft bei der
Familie Bana im Zentrum von Mumbai. Dort,
mitten in der Stadt an der lärmigen Grant
Road, treffen sich die Zweigmitglieder.
Die bescheidene Wohnung der Familie
Bana, wo neben Aban auch die Schwester
Dilnawaz und der 98-jährige Vater wohnen,
welcher noch täglich studiert und kleine
Dichtungen schreibt, wird links und rechts
von muslimischen Familien eingerahmt.
Im Raum fällt mein Blick sofort auf die
aufgebaute (‹Ostheimer›-)Krippe mit den
Hirten, den Königen, Maria und Joseph
und dem Christuskind. So fühle ich mich
angeregt, über das Weihnachtsgeschehen
und seine soziale Bedeutung zu sprechen,
das Hereinkommen der Weisheit durch die
Könige, das soziale Zusammenwirken der
Hirten und des Zentrums, des Christuskindes,
das uns aufruft, miteinander in eine
gerechte soziale Beziehung zu treten.
Ich bin mir bewusst, dass vor mir Hindus aus
verschiedenen Kasten, auch Brahmanen,
sitzen, Muslime, Christen und Parsis, die auf
die zarathustrische Strömung zurückgehen.
Es ist eine dichte Atmosphäre, die uns den
tosenden Straßenlärm in Mumbais Zentrum
ganz vergessen lässt.
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Sadhana Villagevon Ulrich Rösch
Soziale Umsichtigkeit
Bei Pune liegt die heilpädagogische
Einrichtung Sadhana Village. Sie wurde
vor 15 Jahren von V. N. Deshpande mit
Unterstützung der Camphill-Gemeinschaft
Copake (US) eingerichtet. Neben ihrer
heilpädagogischen Aufgabe kümmert sich
die Gemeinschaft von Sadhana Village auch
um bessere soziale Bedingungen in der
Umgebung.
Sadhana Village liegt in einem herrlichen Tal
etwa 35 Kilometer nordöstlich von Pune.
Obwohl die Einrichtung sehr abgelegen
ist, umgeben von ursprünglichen Dörfern,
hat sie neben den Beziehungen zu den
Camphill-Einrichtungen in den USA auch
zahlreiche Praktikanten aus Europa, welche
durch die Freunde der Erziehungskunst
Rudolf Steiners vermittelt und betreut
werden. Die Gemeinschaft lebt in drei
verschiedenen Häusern.
Neben der heilpädagogischen Arbeit holt
man Kinder mit Bussen nach Sadhana
Village, um ihnen in ‹Freizeitschulen›
Bildung zu ermöglichen. Viele von ihnen
weigern sich, in die vom Staat betriebenen
Schulen zu gehen.
Während meines Besuchs bemerkte ich bei
der gemeinsamen Eurythmie aller Bewohner
der Einrichtung mit Aban und Dilnawaz Bana
sofort an der Freude und dem engagierten
Mitmachen der Betreuten, dass die beiden
schon öfters dort gearbeitet haben. Es war
erwärmend zu beobachten, wie sich die
Betreuten liebevoll gegenseitig helfen. Alle
machten mit: die Betreuten, die Mitarbeiter,
die Praktikanten und die Gäste.
Aufbrechende Sozialstrukturen
Nach der Eurythmie spreche ich mit
den Praktikanten, meist ehemalige
Waldorfschüler, über den sozialen Impuls,
der einer solchen Einrichtung zugrunde
liegt. Dar?über hatten sie an ihren Schulen
nicht viel gehört. Umso engagierter war
das Gespräch, das sich an die Darstellung
anschloss. Wahrscheinlich hätte es noch
den ganzen Abend gefüllt, wenn nicht eine
Gruppe ihre 36-stündige Reise nach Kolkata
hätte antreten müssen, wo ein gemeinsames
Treffen aller Praktikanten in Indien auf
Einladung der ‹Freunde› stattfand.
Am nächsten Tag fuhren wir in die
umgebenden Dörfer. Die sozialen Strukturen
sind dort völlig am Aufbrechen. Von dem,
was einmal dort stabilisierend war, ist nur
noch ein Trümmerhaufen übrig geblieben.
Nachdem die Gemeinschaft das über eine
Studie wahrgenommen hatte, fing sie an, mit
den Dorfbewohnern Projekte aufzubauen:
den Bau von Bewässerungsanlagen,
Toiletten und ersten Anfängen einer
Abwasserbeseitigung. Insbesondere
Frauen bildeten Selbsthilfegruppen, die
Internationale Sektionsarbeit: Indien
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neben wirtschaftlichen Hilfen vor allem
Bewusstsein für sauberes Trinkwasser
entwickelten. Darüber hinaus wird den
Frauen dabei geholfen, häusliche Gewalt
abzuwehren und über Kleinkredite
unternehmerisch tätig zu werden.
Wunsch nach Waldorfschule fürs Dorf
Am nächsten Tag kam der Gründer von
Sadhana Village, um gemeinsam mit uns
zu besprechen, ob nicht in absehbarer
Zeit eine Waldorfschule für die Dorfkinder
eingerichtet werden könne. Es wäre eine
English Medium School, die bis zur 8. Klasse
relativ frei arbeiten könnte. Das Problem ist,
wie überall, die geeigneten Lehrerinnen für
solch eine Schule zu finden.
Aban Bana sagte ihre Hilfe zu und
empfahl, alle Interessenten zu ihrem
Lehrerbildungskurs, der jeden Mai im
nahegelegenen Kandhala stattfindet,
zu senden. Es war beeindruckend
wahrzunehmen, mit welcher sozialen
Umsichtigkeit der über siebzigjährige V.
N. Deshpande diesen Schritt einer eigenen
Schule vorbereitet.
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„Was ist erquicklicher als Licht?Das Gespräch.“ Aus Goethes Märchen von der Grünen Schlange und der Schönen Lilie.
Wenn über soziale Verantwortung gespro-chen wird, sind viele berührt, dass heute noch Millionen von Menschen an Hunger sterben. Wäre aber nicht ein erster nötiger Schritt, dass wir anfangen den anderen Menschen in seiner Einmaligkeit wahrzu-nehmen? Leidet nicht unsere Welt darunter, dass wir es nicht verstehen, miteinander ins Gespräch zu kommen, uns zu begegnen?
In vorbereitenden Treffen wurde deutlich, dass das Gespräch mit den anderen wichtig wurde. Wir erfuhren von Begegnungen, in denen vieles durch ein Gespräch entstanden ist. Möglichkeiten eröffneten sich oder aus der Situation wurde etwas ganz besonderes geboren. Im aktiven Interesse am anderen Menschen, das im nächsten Schritt zu einem menschheitlichen Interesse werden kann, erschließt sich eine zukünftige Dimension. Ins Gespräch kommen heißt auch geistige Zusammenhänge wahrnehmen. Wie kann ich mich als Individualität mit der ganzen Menschheit verbunden fühlen?Will ich mich selbst finden, dann muss ich In-teresse für die Nöte der Welt entfalten. Will ich die Welt verändern, so kann ich das nur aus der Wahrnehmung der anderen Men-schen und einem selbstbewusstem Denken. Welche Qualität muss das Denken bekom-men, damit richtige Gedanken über neue
VeranstaltungsvorblickIns Gespräch kommen - soziale Verantwortung fördern vom 27.-28.11.2009von Katie Dobb, Ulrich Rösch
soziale Einrichtungen entstehen können? Wie müssen Einrichtungen aussehen, damit die Menschen die richtigen Gedanken und Empfindungen gegenüber den anderen in sozialer Beziehung haben können? Die Drei-gliederung des sozialen Organismus kann uns eine Orientierung geben, damit wir in den zwischenmenschlichen Beziehungen, in der Gestaltung unserer Einrichtungen aber auch im Gestalten der Gesellschaft als Ganzem einen Beitrag leisten können. Nur so können wir einen Weg aus dem Chaos der Gegenwart heraus finden.Begegnung kann dann zu einem künstleri-schen Prozess werden, eine soziale Skulptur kann zwischen den Menschen entstehen. Wir wollen Begegnungsmöglichkeiten schaffen, in denen viele Menschen die erquickende und schöpferische Kraft des Gesprächs entdecken, mit dem Ziel, immer mehr die gegenwärtigen Nöte der Zeit und unsere aktuellen sozialen Aufgaben wahr-zunehmen.Diese Veranstaltung der Sektion für Sozial-wissenschaften und der Jugendsektion soll helfen, dass sich bei allen Teilnehmenden ein „neues“ tätiges Mitempfinden ent-wickeln kann. Das Erfahren des sozialen Ganzen benötigt die Wahrnehmung des anderen – und daraus kann ein neues sozia-les Verantwortungsgefühl entstehen. Wenn wir in der rechten Weise zusammenwirken werden, so kann dieses Wochenende zu einem einmaligen sozial-künstlerischen Er-eignis werden.
Veranstaltungsvorblick
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Veranstaltungsübersicht200908.-11. August Tagung in Nordamerika, Chestnut Ridge (NY)
Inner Transformation and Social RenewalSocial Science Section in North America
11.-12. August Treffen der Sektionsmitglieder in Spring Valley, USAKollegium der Sozialwissenschaftlichen Sektion in Nordamerika
04.-05. September Nachhaltige Entwicklung als Schicksalsfrage – das Böse stel-len Values & More (Alexandra Traun) und das Goetheanum
05. September Spirituelle Kultur von Müttern und VäternArbeitstag der Familienkultur
10.-11.September Geschwindigkeit im Unternehmen2. interdisziplinäres Wirtschaftsforum am GoetheanumPerspektiven für Veranwortliche in Wirtschaft und KulturChristine Blanke
12. September Religion - Tätigkeit der Freiheit und LiebeFortbildung zur Selbsterziehung am FamilienlebenClaudia Stockmann
20.-21. September Aufgaben einer neuen Wirtschaftswissenschaft„Methodik und Grundbegriffe des Nationalökonomischen Kurses und ihrer Beziehung zur Wirtschaftspraxis“ (auf Ein-ladung) Einleitungen: Paul Mackay, Prof. Dr. Marcelo da Veiga und Ulrich Rösch
24.-27. September Gemeinschaftsbildung im Lichte MichaelsMichaeli-Tagung 2009Allgemeine Anthroposophische Sektion
08.-11. Oktober Darwin und der Soziale Organismus (Kolloquium)Naturwissenschaftliche Sektion und Sektion für Sozialwissenschaften (auf Einladung)
23.-24. Oktober Kolloquium zur Konfliktforschung
13.-14. November Nervosität und IchheitFortbildung zur Selbsterziehung am FamilienlebenRudy Vandercruysse
26.-27. November Zukunfts-Perspektiven der SektionKolloquium (auf Einladung)
27.-29. November Ins Gespräch kommen – Soziale Verantwortung fördernSektion für Sozialwissenschaften und Jugendsektion
Veranstaltungsvorblick
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Hausmitteilung Initiative: Benjamin Kohlhase-Zöllner sucht seitens der Sektion für Sozialwissenschaften Kontakt zu Studenten mit sozialwissenschaftlichen Forschungsfragen. Gerne hilft er mit Tipps und Recherche bei Haus-, Diplom- und Doktorarbeiten um anthroposophsiche Fachliteratur in diese Arbeiten einfliessen zu lassen. Gerne können Sie ihm auch eine Kopie ihrer Arbeit für das Sektionsarchiv und die Studenten vor Ort senden. Für Fachfragen im Schwerpunkt VWL, BWL und Management steht er Ihnen gerne zur Verfügung. Aber auch beim Vermitteln von Praktikums- und Praxissemesterplätzen helfen wir nach Möglichkeit gern.Kontakt: benjamin.kohlhase@goetheanum.ch
ImpressumHerausgeber und Copy right: Freie Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum - Sektion für SozialwissenschaftenRedaktion: Ulrich Rösch, Hanna KoskinenLayout und Gestaltung: Kohlhase Verlag und Consulting www.kohlhase-consulting.comRechtshinweis: Alle Texte sind Urheberrechtlich geschützt. Die Texte spiegeln nicht zwingend die Auffassung der Sektion wieder.
201022.-23. Januar Hochschultreffen Familienkultur
Zur 17. Klassenstunde
05.-07. März In Gegensätzen miteinander
Akives Recht im Streit um die Mitte
Öffentliche Tagung zum Rechtsleben
16.-17. März Kolloquium zur Konflicktforschung in Deutschland
10. Oktober Treffen zur Altenarbeit
29.-30. Oktober Kolloquium zur Konfliktforschung
Tickets online bestellen unter: www.goetheanum.org
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