View
221
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
www.nlga.niedersachsen.de
Roesebeckstr. 4-630449 HannoverFon 0511/4505-0Fax 0511/4505-140
Sprachliche und kulturelle Barrieren abbauen –
Umgang mit Migranten im Krankenhaus
30.11.2009, AOK-Symposium: „Patientenautonomie und Patientenbeteiligung im Krankenhaus“
Dr. Urs-Vito Albrecht0511/4505-379
Vertrauensstelle
Niedersächsisches Landesgesundheitsamt
1/23
Gliederung
Migration und Gesundheit Ansprüche an die Krankenhausbehandlung Abweichende Erwartungserfüllungen bei Migrantinnen/
Migranten und Einhemischen Sprachbarriere und kulturelle Barriere Maßnahmen zum Abbau der Barrieren Fazit
2/23
Statistik
Im Jahr 2005 hatte fast 1/5 der in Deutschland ansässigen Menschen einen Migrationshintergrund.
Es handelt sich hier um 15 Millionen Menschen, die entweder zugewandert oder Kinder resp. Enkel von zugewanderten Personen sind.
Heterogene Gruppe der „Migrantinnen und Migranten“: Sämtliche Nationalitäten sind vertreten: vorrangig allerdings die Türkei, GUS und Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
3/23
Quelle: Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes „Migration und Gesundheit“, RKI 2008
United Nations Population Devision, Replacement and Migration
Quelle: www.un.org/esa/population/publications/migration/germany.pdf (29.11.2009)
[...]Figure IV.6 shows, for scenarios I, II, III and IV, the population of Germany in 2050, indicating the share that are post-1995 migrants and their descendants. By the end of 1997, foreigners accounted foralmost 9 per cent of the total population in Germany. This should be compared to the proportion by the year 2050 of the post-1995 migrants and their descendants: 20 per cent in scenario I; 28 per cent in scenario III; 36 per cent in scenario IV; and 80 per cent in scenario V. In absence of migration, the figures show that it would be necessary to raise the upper limit of the working-age to about 77 years in order to obtain in 2050 the same potential support ratio observed in1995 in Germany, i.e. 4.4 persons of working-age per each older person past working-age.
4/23
Migration und Gesundheit
Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht grundsätzlich „kränker“...
...doch unterliegen sie höheren Gesundheitsrisiken, bedingt durch Umstände der Migration (Verfolgung, Folter, Trennung von der Familie und Heimat):
Migrantinnen und Migranten haben überdurchschnittlich häufig einen niedrigeren sozioökonomischen Status, gehen einer gefährlicheren Arbeit nach oder sind arbeitslos oder leben in schlechteren Wohnsituationen.
Unklar ist, welcher Anteil der Gesundheitsbelastung auf migrationsbedingte Faktoren und welcher auf statusspezifischen Faktoren zurückzuführen ist.
5/23
Quelle: Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes „Migration und Gesundheit“, RKI 2008
Höhere Gesundheitsrisiken
Das Versterben im Zusammenhang mit der Geburt und im ersten Lebensjahr.
Tuberkulose und andere Infektionserkrankungen. Einzelne erbliche Stoffwechselerkrankungen.
Besonders vulnerable Gruppen: Frauen, Kinder und Jugendliche, Ältere und Personen ohne rechtlich gesicherten Aufenthaltsstatus
6/23
Quelle: Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes „Migration und Gesundheit“, RKI 2008
Zwischenfazit
Krankenhäuser werden in Zukunft unausweichlich mit
neuen Herausforderungen aufgrund unterschiedlicher
Herkunft, Sprache, Kultur sowie Gesundheits- und
Krankheitsverhalten bei wachsendem Anteil
an Patienten und Mitarbeitern mit Migrationshintergund
konfrontiert.
7/23
Ansprüche an die Krankenhausbehandlung
Das Bedürfnis aller Patientinnen und Patienten im Krankenhaus ist
prinzipiell gleich und unabhängig von einem Migrationshintergrund:
Sie sind krank und möchten nach ihren Vorstellungen
versorgt werden!
Die Vorstellungen unterscheiden sich im Grunde nicht von denen der
Einheimischen: Wunsch nach Begleitung, Linderung und Heilung Akzeptanz und Annahme des Menschen Respekt Gerechtigkeit und Vertrauen!
8/23
Das Krankenhaus
ist Ort der Konfliktballung: Krankheit, drohender Verlust, Tod
beschäftigt Menschen unter hohen Belastungen unterliegt Rahmenbedingungen ist ein feinabgestimmtes komplexes System ist nicht flexibel gewährt wenig Spielräume zur individuellen Gestaltung
der Arbeit.
Vor allem zeitkonsumierende Abweichungen vom Standard bedeuten eine Störung des Ablaufs und erhöhen den Stress beim Personal.
9/23
Abweichende Erwartungserfüllungen
Zugewanderte Patientinnen und Patienten fühlen sich
im Gegensatz zu den einheimischen gesundheitlich
eingeschränkter.
Migrantinnen und Migranten sind unzufriedener mit der
psychosozialen Betreuung und medizinischen
Aufklärung im Krankenhaus.
Ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung ist schlechter.
Quelle: Razum, Geiger et al. 2004, Borde 2002
10/23
Führende Versagensgründe
Mangelnde Beteiligung an Entscheidungsprozessen im
Krankenhaus aufgrund:
fehlender Austauschmöglichkeiten mit dem medizinischen Personal in einer Sprache und fehlender Orientierung (Sprachbarriere)
unterschiedlicher kulturbedingter Ansprüche, die dem medizinischen Personal nicht mitgeteilt, nicht bewusst oder aufgrund der Rahmenbedingungen nicht umsetzbar sind (kulturelle Barriere).
11/23
Sich unverstanden fühlen - Sprachbarriere
Fällt die Sprache als effektivstes Kommunikationsmittel aus, stehen nur noch weitaus unsichere und aufwendigere Strategien zum Austausch zur Verfügung.
In Krisensituationen, wie dem medizinischen Notfall, ist die Sprachbarriere mit Zeit- und Handlungsdruck des medizinischen Personals gepaart.
Das Verständnisproblem führt zur Hilflosigkeit auf beiden Seiten mit der Folge der überschießenden Aktion der Versorgenden und/oder Vermeidung und Verunsicherung auf Seite der Migrantinnen und Migranten.
Folgen: Vermehrte Diagnostik, geringere Patientenzufriedenheit, geringere Theapietreue, höhere Gesundheitskosten.
12/23
Abbau der Sprachbarriere
Die gemeinsame Sprache löst natürlich nicht alle Probleme, aber hilft sicherlich sich ihnen zu nähern!
Als erste Maßnahme muss der Kommunikation (organisatorisch) Raum und Zeit gegeben werden:
Sprachliche Schwierigkeiten sind kein prinzipielles Hindernis für Verständigung auf niedrigem Niveau:
Alltägliches kann auch mit Händen und Füßen und ohne Dolmetscher verständlich gemacht werden.
Kernproblem: Verständigungsversuche werden zu früh abgebrochen (Zeitproblem?).
Weniges Eingehen auf das sprachliche Niveau des Patienten (Zeitproblem?).
13/23
Dolmetschersysteme
Der Austausch mittels Dolmetscher ist ein flexibles Hilfsmittel, doch birgt es auch Nachteile:
Laiendolmetscher sind zwar meistens verfügbar, doch oft auch emotional gebunden, bei schwierigen Sachverhalten schlichtweg überfordert und medizinisch nicht geschult.
Professionelle Dolmetscher sind teuer und nicht flächendeckend verfügbar. Die Qualität ist, wie bei den Laiendolmetschern, nicht einheitlich und insgesamt schwer zu überprüfen.
14/23
Bilinguales Personal als Dolmetscher
Bilinguales Personal bietet medizinische Kenntnisse und ist im eigenen Haus verfügbar und wird im Allgemeinen von Migrantinnen und Migranten sowie von den Kolleginnen und Kollegen gut angenommen.
ABER: Blinguales Personal steht oft im Interessenkonflikt (Mitarbeiter und
Dolmetscher) kann dem Hausanspruch bzw. eigenem Anspruch alle Patienten gleich zu
behandeln nicht nachkommen befindet sich in einer Sonderrolle (für Migranten zuständig) ist nicht für diese Aufgabe ausgebildet nicht für alle Sprachen einsetzbar hat keine nachgewiesene Vermittlungskompetenz. gemeinsamer Migrationshintergrund als Basis für konfliktfreie
Verständigung?
15/23
Quelle: V. Dreissig. Interkulturelle Kommunkation im Krankenhaus. Transcript. 2005
Medizinische mobile ePhrasebooks
- Ersetzen keinen Dolmetscher in komplexen Situationen.- Als kostengünstige Alternative in Standardsituationen gut
nutzbar.- Flexibel in der Handhabung und einfach in der
Bedienung.- Geprüfte Inhalte mit großem Sprachraum (seltenere
Sprachen).- Face-to-Face Kommunikation möglich.
16/23
Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Sprachbarriere
Standardisierte Informationen in die Hauptsprachen
übersetzen und das vorhandene Material in eine leichte
deutsche Sprache überführen z.B.:
Zustimmungserklärungen Relevante Informationsmaterialien Beschilderung im Krankenhaus mit
„allgemeinverständlichen“ Piktogrammen versehen Sprechstunden und Informationsveranstaltungen
etablieren (in leichter Sprache und/oder ausgewählten Sprachen)
17/23
Quelle: http://www.google.de/url?q=http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/IB/Anlagen/2009-08-26-bundesweiter-arbeitskreis,property%3DpublicationFile.pdf/2009-08-26-bundesweiter-arbeitskreis&ei=wM0SS9-AEo2I_Aabruw1&sa=X&oi=spellmeleon_result&resnum=1&ct=result&ved=0CAcQhgIwAA&usg=AFQjCNF1245tttfLNrbbChqtYHw_H1tVvg (29.11.09)
Die kulturelle Barriere
Ohne Basis des sprachlichen Austauschs ist keine Verständigung über die kulturellen Bedürfnisse möglich.
Interkulturell unterschiedliche Ansichten zu Gesundheit und Krankheit bei verschiedenen Wertesystemen können bei vorhandener Sprachbarriere nicht thematisiert werden.
Kulturelle Besonderheiten können zu Missverständnissen im Rahmen von Diagnostik, Therapie und Pflege auf beiden Seiten führen.
Dadurch Reduktion der Behandlungsqualität.
Folge: Verständnislosigkeit, Stagnation, Isolation.
18/23
Wissen über andere Kulturen...
- ... hilft, ist aber auch keine Lösung!- Analyse, um welche Kultur es sich handelt, bedeutet
nicht gleichzeitig sie zu verstehen und schon gar nicht automatisch eine adäquate kultursensible Versorgung.
- Patienten verhalten sich auch unterschiedlich unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund.
- Wer kann alle Kulturen und ihre Besonderheiten im Stationsalltag kennen, zumal sich Kulturen permanent ändern?
- Die Problematik der Migrationserfahrung und des Migrationshintergrunds ist wesentlicher für das Verständnis!
19/23
Quelle: V. Dreissig. Interkulturelle Kommunkation im Krankenhaus. transcript. 2005
Kulturelle Schwierigkeiten überwinden
Es gibt leider keinen leichten Weg, aber es gibt einen
praktikablen:
Um mehr über die Hintergründe des Verhaltens der Migrantin/ des Migranten zu erfahren, müssen
diese befragt werden!
Dabei muss die eigene Neutralität und Authentizität erhalten bleiben.
20/23
Weitere Maßnahmen zur Überwindung der kulturellen Barriere
- Organisatorisch Raum und Zeit schaffen- Kompetenzen bilden: Fortbildungen und kultursensible
Schulungen etablieren (Ernährung, Religion etc.)- Gefühl der generellen Akzeptanz vermitteln, ohne
bevormundend oder arrogant zu sein- Akzeptanz leben: konfessionsunabhängige
Gebetsräume, interkulturelle Angebote schaffen
21/23
Fazit- Krankenhäuser werden aufgrund der demografischen Entwicklung
in Zukunft mehr Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund erwarten dürfen.
- Maßnahmen, die zur Überwindung der Sprachbarriere und der kulturellen Barriere getroffen werden, verbessern die medizinische und psychosoziale Versorgung durch Beteiligung des Individuums, erhöhen die Arbeitszufriedenheit des Personals und bewirken eine Kostenreduktion und Einsparung von Ressourcen.
Geeignete Maßnahmen sind:
- Zeit und Raum für aufwendigere Patienteninteraktionen schaffen
- sprachliche Hilfen etablieren
- kulturelle Kompetenzen ausbilden (lassen): Qualitätszirkel und Fortbildungen etablieren
- Akzeptanz leben (z.B. interkonfessionelle Gebetsräume einrichten).
22/23
Recommended