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FOKUS|BRANCHE fokusbranche 08|2010 Verteidigung Paradigmenwechsel im Defence-Sektor Standpunkt Die aktuelle Berichterstattung über Milli- ardenabweichungen bei einigen europäischen Rüstungsprojekten, den Einsatz einer Strukturkommission, die Abschaffung der Wehrpflicht oder die mangelnde Ausstattung der Streitkräfte im Einsatz lassen nur als Skizze die anstehenden, massiven - und unbedingt erforderlichen - Veränderungen im Bereich des Rüstungssektors erahnen. Die Reduzierungen der europäischen Ver- teidigungsbudgets scheinen sich in Zukunft noch eher zu verstärken - money makes the world go round. Ein Paradigmenwechsel steht Rüstungsunternehmen und –Konzernen, der Politik und zu guter Letzt den (Verteidigungs-) Strukturen selber bevor. Dabei geht der häufig verwendete Begriff der Transformation nicht weit genug. Lernen, wie mit Veränderung umzugehen ist – Veränderungen, die viele Industriebereiche in der letzten zwanzig Jahren selber schon vollzogen haben, stehen jetzt auch dem Verteidigungssektor bevor - nur er hat lange nicht soviel Zeit. Wie stellt sich ein zukunftsfähiges Unternehmen im Vertei- digungssektor zukünftig auf? Veränderung der Anforderungen In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Anforderungen an die Streitkräfte massiv verändert. Nicht mehr die klar definierte Bedrohung steht im Vordergrund, sondern ausgeprägte Fähigkeiten um auf zukünftige, aktuell nicht klar zu definierende Be- drohungslagen zu reagieren. Diese setzen nicht mehr auf ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern sind asymmetrisch. Dabei bietet heute nicht mehr eine plattform- und materialbezogene Ausrichtung der Streitkräfte die Antwort. Der Einsatz erfordert den konsequenten Einsatz von Wissen und Information und dies übergreifend und integriert. Vielleicht ist dieser Wandel mit Unternehmen zu vergleichen, die sich weg vom produzierenden Unternehmen auf den Weg zu einer wissensbasierten Organisation machen. Symposien, Kongresse, Nato-Gipfel und Konzeptpapiere zeichneten den Wandel ab. Bereits der Prager Nato-Gipfel 2002 machte deutlich, daß Veränderungen in Strukturen und Prozessen unausweichlich sind. Die neuen Ansätze wurden bereits in verschiedensten Konzeptpapieren skizziert, so beispielsweise das US-Amerikanische Konzept aus dem Jahr 2003. "Power to the Edge" zeigt eine moderne netzwerkorientierte Verteidigungskonzeption im Informationszeitalter. (Teil-)Streitkräfte und ihre Einheiten spielen nur eine Rolle im Systemverbund: joint und combined sind die Schlagwörter einer Integration über alle Führungsebenen. Die für die Bundeswehr definierten Fähigkeitskategorien Führungsfähigkeit, Nachrichtengewinnung und –aufklärung, Mobilität, Wirksamkeit im Einsatz, Unterstützung und Durchhaltefähigkeit sowie Überlebensfähigkeit und Schutz stellen schon eine umfassendes und flexibles Konzept dar, um auf zukünftige, in ihrer Ausprägung und Intensität nicht bekannte Einsatzszenarien zu reagieren. Aber Konzeptionen eben, weitgehend nur als Blaupause. Vielfältige Konzepte und neue Systemarchitekturen sind die eine Seite, jetzt ist man aber an dem Punkt angekommen, an dem diese auch unter den aktuellen herausfordernden Rahmenbedingungen umgesetzt werden müssen. Systeme und Organisationen sind jetzt an der Grenze angekommen, um aus den Konzepten auch wirkliche Lösungen und Produkte zu realisieren. Solche Konzepte umzusetzen, sie

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WolffPartners Positionspapier für den Defence-Bereich aus 08/2010

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FOKUS|BRANCHE

fokusbranche 08|2010

Verteidigung Paradigmenwechsel im Defence-Sektor

Standpunkt Die aktuelle Berichterstattung über Milli-ardenabweichungen bei einigen europäischen Rüstungsprojekten, den Einsatz einer Strukturkommission, die Abschaffung der Wehrpflicht oder die mangelnde Ausstattung der Streitkräfte im Einsatz lassen nur als Skizze die anstehenden, massiven - und unbedingt erforderlichen - Veränderungen im Bereich des Rüstungssektors erahnen. Die Reduzierungen der europäischen Ver-teidigungsbudgets scheinen sich in Zukunft noch eher zu verstärken - money makes the world go round. Ein Paradigmenwechsel steht Rüstungsunternehmen und –Konzernen, der Politik und zu guter Letzt den (Verteidigungs-) Strukturen selber bevor. Dabei geht der häufig verwendete Begriff der Transformation nicht weit genug. Lernen, wie mit Veränderung umzugehen ist – Veränderungen, die viele Industriebereiche in der letzten zwanzig Jahren selber schon vollzogen haben, stehen jetzt auch dem Verteidigungssektor bevor - nur er hat lange nicht soviel Zeit. Wie stellt sich ein zukunftsfähiges Unternehmen im Vertei-digungssektor zukünftig auf? Veränderung der Anforderungen In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Anforderungen an die Streitkräfte massiv verändert. Nicht mehr die klar definierte Bedrohung steht im Vordergrund, sondern ausgeprägte Fähigkeiten um auf zukünftige, aktuell nicht klar zu definierende Be-drohungslagen zu reagieren. Diese setzen nicht mehr auf ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern sind asymmetrisch. Dabei bietet heute nicht mehr eine plattform- und materialbezogene Ausrichtung der Streitkräfte

die Antwort. Der Einsatz erfordert den konsequenten Einsatz von Wissen und Information und dies übergreifend und integriert. Vielleicht ist dieser Wandel mit Unternehmen zu vergleichen, die sich weg vom produzierenden Unternehmen auf den Weg zu einer wissensbasierten Organisation machen. Symposien, Kongresse, Nato-Gipfel und Konzeptpapiere zeichneten den Wandel ab. Bereits der Prager Nato-Gipfel 2002 machte deutlich, daß Veränderungen in Strukturen und Prozessen unausweichlich sind. Die neuen Ansätze wurden bereits in verschiedensten Konzeptpapieren skizziert, so beispielsweise das US-Amerikanische Konzept aus dem Jahr 2003. "Power to the Edge" zeigt eine moderne netzwerkorientierte Verteidigungskonzeption im Informationszeitalter. (Teil-)Streitkräfte und ihre Einheiten spielen nur eine Rolle im Systemverbund: joint und combined sind die Schlagwörter einer Integration über alle Führungsebenen.

Die für die Bundeswehr definierten Fähigkeitskategorien Führungsfähigkeit, Nachrichtengewinnung und –aufklärung, Mobilität, Wirksamkeit im Einsatz, Unterstützung und Durchhaltefähigkeit sowie Überlebensfähigkeit und Schutz stellen schon eine umfassendes und flexibles Konzept dar, um auf zukünftige, in ihrer Ausprägung und Intensität nicht bekannte Einsatzszenarien zu reagieren. Aber Konzeptionen eben, weitgehend nur als Blaupause. Vielfältige Konzepte und neue Systemarchitekturen sind die eine Seite, jetzt ist man aber an dem Punkt angekommen, an dem diese auch unter den aktuellen herausfordernden Rahmenbedingungen umgesetzt werden müssen. Systeme und Organisationen sind jetzt an der Grenze angekommen, um aus den Konzepten auch wirkliche Lösungen und Produkte zu realisieren. Solche Konzepte umzusetzen, sie

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“zu leben“, ist jedoch eine ganz andere Herausforderung. Und damit ist man bei der Umsetzungsfähigkeit des Systems, der Organisation und zu guter Letzt den Menschen - Systeme sind eben nicht nur in der Physik träge. Neben den Veränderungen in Organisation und Prozessen und der konsequenten Anforderungsdefinition aller Fähigkeiten an zukünftigen Einsatzanforderungen steht der Verteidigungsorganisation und der Industrie wohl der größte Paradigmenwechsel bei der eigenen Technologiestrategie bevor. Standards vs. Individuallösungen Die Technologieentwicklung für neue Plattformen und Systeme muss sich im Gegensatz zur Vergangenheit erheblich mehr an bereits am Markt verfügbaren Standard-Technologien und -Lösungen orientieren. Dies gilt für alle Ebenen einer vernetzten Operationsführung: von der Sensorebene bis hin zu den übergreifenden (multinationalen) Führungssystemen. So ist die oben beschriebene Notwendigkeit einer vernetzten Operationsführung schneller und kostengünstiger zu realisieren. Erst der Einsatz von Standardtechnologien ermöglicht langfristig auch eine vereinfachte Integration über plattformübergreifende Schnittstellen, darüber hinaus reduziert diese erheblich die Wartung und Instandhaltung und die damit verbundenen Kosten. Der Einsatz von Standards erhöht die Flexibilität bestehende Lösungen und Systeme schneller auf neue (bis her nicht gekannte) Anforderungen hin anzupassen. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil eines verstärkten Einsatzes von Standard-Technologien und –Lösungen in diesem Umfeld ist, dass für die Verteidigungssysteme die am Markt herrschenden technologische Weiterentwicklung besser für eine sukzessive Modernisierung der Systeme genutzt werden können. Zusammengefasst heißt das, ein neues Entwicklungsparadigma führt weg von den hochspezifischen, durchdesignten Individualentwicklungen (welche bei ihrer Einführung teilweise bereits technologisch veraltet sind) hin zu intelligent, an (industriellen) Standards orientierten schlank-eren Lösungen, welche kostengünstiger und schneller (weiter-) entwickelt werden können. Rüstungsindustrie: Quo Vadis? Die Rüstungsindustrie wird sich in Zukunft massiv verändern müssen, dabei fehlt noch Klarheit über den einzuschlagenden Weg:

Entwickeln sich große, eher an nationalen Interessen ausgerichtete Unternehmen oder entstehen industrielle Konzernverbünde, welche primär wirtschaftliche Interessen ver-folgen. In der aktuellen Situation versuchen alle Markt-teilnehmer noch die etablierten Strukturen zu nutzen - jedoch wird klar, das mit dem not-wendigen Paradigmenwechsel starke Ver-änderungen im operativen Rüstungsgeschäft einhergehen, mittelfristig gehen temporär Umsatz und Ergebnis sicherlich zurück. Diese Marktveränderungen bergen aber auch erhebliche Chancen, insbesondere für kleinere (mittelständische) Unternehmen, sowie neue flexible Technologieunternehmen, deren Produkte einfachere Lösungen auf Basis industrieller Standards schnell entwickeln. Als ein Beispiel für die Veränderung sei nur die Vergabe der Satellitenaufklärung SAR-Lupe an die OHB und eben nicht an die EADS Astrium genannt. Die zukünftig erfolgreichen Unter-nehmen setzen auf folgende Strategien:

Entwicklung eines neuen Kunden- und Bedarfsverständnisses

weg von Großprojekt-Ansätzen – keep it simple, small and make an evolution

kürzere Projekt- und Produktlebens-zyklen durch Standards

FOKUS|BRANCHE ist ein Positionspapier zu ausgewählten Fragestellungen in den Fokusbranchen von WOLFF|PARTNERS MANAGEMENT UND TECHNOLOGIE CONSULTANTS Bergerstrasse 19 45470 Mülheim an der Ruhr Kommunikation Telefon +49 (208) 46 15 36 Fax +49 (208) 46 15 46 Mail [email protected] Internet www.wolffpartners.de