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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MIT T WOC H, 8. DEZEMBER 2010 NR. 286 SEITE 29Feuilleton
Die Deutsche Oper Berlin wagteinen Kraftakt mit den komplettenTrojanern von Berlioz. DavidPountneys bunte Antikenregie gertallerdings in Schieflage. Seite 31
Ein tolldreister Graf schlgt sich beiMonicelli mit dem Papst; BruceSpringsteen produziert eine Platte;und Roman Polanskis Fall wirdnoch einmal aufgerollt. DVD 32
Vor fnfundzwanzig Jahren lief dieLindenstrae zum ersten Mal.Man wird nicht sagen, dass sich dieFernsehserie verndert htte. Dasertrgt nicht jeder. Medien 33
Sie lagen im Clinch, jetzt liegt seinBuch auf ihrem Empfehlungstisch:Oprah Winfrey lud Jonathan Fran-zen in ihre Sendung ein. Ein Treffenmit weitreichenden Folgen. Seite 30
Hectors Geist in Spree-Athen
Die Dunkelheit am Rande
In der Zeitmaschine
Korrekturen einer Beziehung
Heute
Ein akademisch-publizistischer Schatzgeht nach Marbach: Das Deutsche Lite-raturarchiv erhlt den Vorlass vonHans Ulrich Gumbrecht. Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaft-ler berlasst dem Archiv umfangreicheBestnde an Arbeitsnotizen, Briefen,Urkunden und annotierten Handexem-plaren seiner Verffentlichungen. Vonbesonderem theorie- und kulturge-schichtlichem Wert drfte etwa dieKorrespondenz zu den Stanford Presi-dential Lectures und den Symposiain the Humanities sein, mit Briefenvon Jacques Derrida, Wolfgang Iser,Christo und Jeanne-Claude oder auchdem Literaturnobelpreistrger WoleSoyinka. Hans Ulrich Gumbrecht, Le-sern dieser Zeitung auch als Kommen-tator und Rezensent bekannt, lehrt Ver-gleichende Literaturwissenschaft inStanford und ist Autor zahlreicher B-cher, darunter Eine Geschichte derspanischen Literatur. F.A.Z.
Von Derrida bis IserGumbrechts Vorlass fr Marbach
E ine vertrackte Folge von Gedan-kengngen fhrt vom BerlinerLandwehrkanal, aus dem Rosa Luxem-burgs verweste Leiche gefischt wurde,ber Joyces Finnegans Wake zu ei-ner schwermtigen schottischen Balla-de ber einen Ertrunkenen, der seinerGeliebten im Traum erscheint. DieseElemente schwebten der schottischenKlangknstlerin Susan Philipsz durchden Kopf, als sie die alte Weise Low-lands Away fr ihre gleichnamige In-stallation aufnahm. Dazu muss manwissen, dass das Wasser die zusammen-fhrende Idee bildet, der Kanal, in dendie ermordete Rosa Luxemburg gewor-fen wurde, die Flsse, welche die W-scherin Anna Livia Plurabelle in Joycesletztem Roman verkrpert, und dasMeer, das den ertrunkenen Schottenaus der Ballade umsplt. Ursprnglichin Glasgow, der Geburtsstadt der Knst-lerin, beim Internationalen Festival frbildende Kunst unter drei Brcken desClyde dargeboten, wurde das aus dreiberlagerten Varianten der Ballade be-stehende Werk fr die diesjhrigeSchau der vier Turner-Preis-Bewerberin eine Galerie von Tate Britain trans-poniert. Bis auf drei Lautsprecher, ausdenen der geisterhaft-melancholischeGesang von Susan Philipsz trieft, istder Raum leer. Die Knstlerin verstehtsich als Bildhauerin, die mit Lauten mo-delliert. Statt eines Meiels setzt die inBerlin lebende Schottin die eigene Stim-me als Werkzeug ein, wobei der Aus-gangspunkt stets die Pltze sind, auf de-nen sie ihre Werke ortet, seien es Gale-rien, Supermrkte oder Freirume. Esgeht ihr dabei um die skulpturalen Ei-genschaften des Klangs und um dieemotionalen und psychologischen Ef-fekte, die ihr fast aufdringlich intimes,obgleich entkrperlichtes Singen beimZuhrer erweckt. So weit, so gut. DieStrapazierung des herkmmlichen Be-griffs von bildender Kunst ist schon lan-ge Bestandteil des Turner-Preises. Je-des Jahr wird ein britischer oder ein inBritannien arbeitender Knstler vonunter fnfzig Jahren mit dieser begehr-ten Auszeichnung versehen. Diesmalist erstmals die Klangkunst prmiertworden. Lowlands Away verlsst sichganz auf gedankliche Bilder, die der Zu-hrer fr sich malen muss, sofern erempfnglich ist fr diesen sinnlichenberfall und der Aufforderung folgt,ber das Selbstgefhl im Raum zureflektieren. Susan Philipsz treibt dieAbstraktion auf einen Gipfel mit einerKunst, die ohne visuelle Anhaltspunkteauskommt. Das sei nicht bildendeKunst, sondern Musik, rufen die Kriti-ker. Aber die Anything-goes-Kultur hatsich lngst von solchen Kriterien verab-schiedet. G.T.
Julian Assange hat etwas erreicht, fr dasso schnell kein Vergleich parat steht. Viel-leicht muss man ins achtzehnte Jahrhun-dert zurckgehen, um diesen Mann undseinen Effekt zu begreifen. Damals gab eseine klandestine Enthllungsliteratur, diemit den Lastern des Ancien Rgime ab-rechnete, die Korruption der Mchtigengeielte, ihre Verachtung des Volkes, ihreschiere Dummheit. Man wrzte solcheStreitschriften gern auch mit pornogra-phischem Material ber die Knigin Ma-rie Antoinette. Abgesehen von diesemletzten Punkt erscheint Julian Assange alsein Wiedergnger jener Aufklrer, nur imglobalen Mastab und ohne Zeitverzge-rung.
Selbst wenn manche Neuigkeiten nichtso sensationell waren fr den Laien er-scheint es doch so, als wren die Scheibendes Aquariums einmal grndlich geputztworden, und er she jetzt klarer die gro-en und die kleinen Fische und vor allemdie Schwrme, die da miteinander im en-gen Verbund ziehen. Ein groer Fisch istder franzsische Staatsprsident NicolasSarkozy, der schon vor seiner Wahl als deram deutlichsten proamerikanische Politi-ker seines Landes galt. Ausweislich vonBotschaftskabeln erwog er die Entsen-dung franzsischer und internationalerTruppen in den Irak, um den VereinigtenStaaten bei der Lsung zu helfen. DassSarkozy der Liquidator des traditionellamerikaskeptischen Gaullismus war undist, kann auch nicht als bermig strenggehtetes Geheimnis erstaunen; aber esaus der Botschaft im O-Ton zu erfahren istein Gewinn fr den Brger.
Ein kleiner Fisch wie der in der ameri-kanischen Botschaft plaudernde FDP-Mann Helmut Metzner, der in seinemBlog MunterMacherMetzner inzwi-schen alle Inhalte gelscht hat, lie dochden Link zur Achse des Guten intakt(neben der zu seiner Partei ist es der einzi-ge auf der Seite) also zu einer, sagen wires vorsichtig: publizistischen Einfluss-agentin der Vereinigten Staaten und iro-nischerweise zu einem Eintrag dort, derausgerechnet eine matte Witzelei zu Wi-kileaks anbietet. Ansonsten: Error 404 Not found. Die Plaudertasche istschweigsam geworden. Die FDP wieder-um hat ihre Verbindung zu Metzner, imNetz jedenfalls, ihrerseits gelscht.
Beide Seiten die politische Klasseebenso wie Julian Assange selbst umge-ben sich mit Geheimnissen. Auch Wiki-leaks entgeht nicht der Dialektik von Auf-klrung und Konspiration, die sich mit ar-kanen Vereinigungen der Knigs- und Kir-chenfeinde im achtzehnten Jahrhundertherausbildete. Assange berwarf sich mitmanchen seiner Kampfgenossen, die frgrere Transparenz von Wikileaks einge-treten waren.
Die politische Klasse der VereinigtenStaaten hat mit groer Heftigkeit auf As-sange reagiert. Newt Gingrich, ein altesSchlachtross der Republikanischen Par-tei, sieht ihn frmlich als kriegfhrendePartei (engaged in warfare). Assange,so gab er zu Protokoll, solle als feindli-cher Kombattant behandelt werden, alsInformationsterrorist. Und Wikileaks,so Gingrich weiter, solle man dauerhaftabschalten. Joe Lieberman, einst Vizepr-sidentschaftskandidat, heute einfluss-reich im Komitee fr Homeland Securi-ty and Governmental Affairs, also frdie innere Sicherheit, spielte eine Rolle,als der Internet-Anbieter Amazon seineVerbindung zu Wikileaks vor einigen Ta-gen beendete bis dahin hatte AssangesOrganisation sich der Amazon-Server be-dienen knnen.
Das Handelsblatt sah groen politi-schen Druck hinter dieser Entschei-dung, was Amazon umgehend (und er-wartbar) dementierte. Eine Sprecherinvon Senator Lieberman teilte der Pressemit, man hoffe, der Fall Amazon werdeeine Botschaft auch fr andere Unter-nehmen sein, die unverantwortlichenVerbindungen zu Wikileaks zu kappen.Lieberman selbst erklrte auf seiner Web-site, man werde Amazon noch ausfhr-lich zum Grad der Zusammenarbeit mitWikileaks befragen und dazu, wie Provi-der knftig daran gehindert werden knn-ten, gestohlene klassifizierte Informatio-nen zu verbreiten. Es gab in den Tagendavor grere Hacker-Angriffe auf Ama-zon, aber ein Zusammenhang wird vondem Unternehmen (auch wieder erwart-bar?) bestritten.
Die offenkundige Nervositt deutetan, dass nicht alles in den Dokumentenso putzig und provinziell zu lesen ist wiedie Geschichten des Berliner FDP-Maul-wurfs. Die Auswertung der Botschafts-mitteilungen hat erst begonnen, womg-lich ist es zu frh fr eine endgltige Be-wertung von Nutzen und Schaden. Auchwhrend des Vietnam-Krieges gab es Ge-heimnisse, die, htte man sie frher er-fahren, der ganzen Politik eine andereWendung htten geben knnen, etwa derZwischenfall von Tonkin, der tatsch-lich eine Provokation war.
Das geputzte Aquarium der weltpoliti-schen Urteile und, vor allem, der kurzeFilm ber die Liquidierung einer Gruppevon Zivilisten im Irak aus einem Hub-schrauber heraus: Das wird, was immernun mit Assange geschieht, was immeran den schwedischen Vergewaltigungs-vorwrfen dran ist, als bleibendes Ver-dienst dieses Mannes im Gedchtnis blei-ben. Solche Dinge vergisst die Weltffent-lichkeit nicht so schnell. LORENZ JGER
Klar, dass man am Erffnungstagdie Schaurume zeitweise wegenberfllung schlieen musste. So
ppige, frappant naturgetreue Faltenwr-fe, so zum Tasten reizende changierendeSeide und samtige Haut, so viel entrckte,traurige Gesten und Gesichter: das istdoch mal etwas anderes als die ausgemer-gelten Zeichen- und Dingrtsel der zeit-genssischen Kunst. Obwohl, Rtsel stel-len die altmeisterlichen l- und Acrylge-mlde Michael Triegels auch nicht wenig:Schon das erste Bild kommt geheimnis-voll, scheint es doch eine lebensgroe,wei verhllte Heiligengestalt, ehe manerkennt, dass unter dem Gebausche undGeriesel absolute Leere ist, ein menschen-gestaltiges Nichts. Doch was macht dasschon: Zwanzig Schritte weiter wartet, wo-von momentan alle reden: der Anlass al-len Andrangs Triegels Papst-Portrt.
Nicht nur eines ist zu sehen, sondernmehrere: Studien, ein unfertiges Bildnisund eins, das stutzen lsst. Auf ihm throntBenedikt XVI. zwar nicht so lssig ele-gant im Sessel wie der Papst bei Raffael,Triegels Vorbild, der 1511 Julius II. malte,sondern seltsam verkrmmt. Aber er
schaut vergleichbar prfend, fast tckisch.Da mag man das Changieren des weienOrnats, den samtigen Glanz der weienTolle und das vogelbeerig leuchtende Rotdes Sessels noch so sehr genieen, dieserBlick, der eher an den ehemaligen stren-gen Prfekten der Kongregation fr dieGlaubenslehre Ratzinger erinnert als anden heutigen Papst, lsst einen langenicht los.
Will Michael Triegel den Betrachter da-mit hinter den vatikanischen Glanz schau-en lassen? Die Frage lsst sich so schwerbeantworten wie die, ob der in Leipzigausgebildete Maler sich in die pathetischeTradition eines Werner Tbke oder dieselbstverliebte Neue Sachlichkeit desChristian Schad stellen oder ob er dieschale Postmoderne des Carlo Maria Ma-riani wiederbeleben will. Nur eines ist sp-testens nach zehn der siebzig ausgestell-ten, zwischen 1994 und 2010 entstande-nen Gemlde deutlich: Mehr als von Man-tegna, Raffael, Drer, De La Tour, Velz-quez, Caravaggio oder Otto Dix ist Micha-el Triegel besessen von sich selbst.
Das klrt bereits der erste Saal im Leip-ziger Museum der bildenden Knste dis-kret, aber unmissverstndlich: Auf einerweinroten Wand hngen zwei etwa gleichgroe Selbstportrts des Knstlers. Daseine, 1997 entstanden, zeigt ihn ver-schwenderisch drapiert und mit groemDekollet wie eine Salome von LorenzoLotto. Auf dem zweiten sorgt der weieStreif eines T-Shirts, der am Rundkrageneines schlichten schwarzen Sweatshirtsaufblitzt, fr priesterliche Aura, die, D-rers berhmtem Selbstgemlde entlehnt,der christologische Gestus seiner vor dieBrust gelegten Rechten steigert. Vollen-det wird das Arrangement von einem Ton-
do, der zwischen beiden Selbstportrtsdas Genie Michelangelo zeigt, und eineraltarhaften Vitrine mit einem Triptychon:in der Mitte Triegel la Holbein, links einTotenkopf, wie van Eycks Ratsherren mitTurban, rechts ein minutis gemalterHolzkasten, in dem eine weie Levkojeauffllt.
Die Verwandlung der Gtter heitdie Ausstellung. Themengem wimmelnin ihr Dionysos und Ariadne, Medea, Pro-metheus, Mithras, Maria, Christus, Johan-nes und Salome nebst diversen anderenMrtyrern und Heiligen. Leicht macht derKnstler es sich und uns nicht mit diesennoch immer leidlich populren Gestalten:Sein asketischer Tufer ist zugleich derselbstverliebte Narziss, lsst sich aberebenso schwer unter Retro abhaken wieseine in Selbstgrauen versunkene Medea,deren eine Hand den Sohn so ehrfrchtigsttzt wie Maria das Jesuskind, whrenddie andere ein Messer hlt, das aus demaktuellen Solingen-Katalog fr Haute-Cuisine-Kche stammt.
Dazu kommt ein undurchschaubarerAttributkult. ber Kreuzabnahmen, diekeine Auferstehung verheien, hngentuschend echt gemalte Eier an dnnenFden oder schweben brennende Herzen,aus denen sich die blutigen Stmpfe derAorta krmmen, an Kreuzen schwebengrnstichige Makrelen mit blutigen Au-gen. Und warum mischen sich immer wie-der den Surrealisten abgeschaute le-bensgroe hlzerne Gliederpuppen indas Geschehen der Bilder?
Grenwahn, Koketterie, Kalkl oderVerzweiflung? Da gibt es das TriptychonPrometheus: Wieder stilisiert Triegelsich, den Maler, als einzigen Heilsbringerder Menschheit und das Kunstwerk als
Altar eines Phalluskults. Auf Glaube, Lie-be, Hoffnung erscheint er als geschunde-ner Sebastian der Liebe, dem zwei kerzen-tragende Nonnengestalten glaubend undliebend die dem Krieg der Sterne nach-gestalteten sthlernen Wurfgeschossedurch pure Magie aus dem Krper ziehen.Nur wenn er Auftragsportrts erstellt, ei-nen Sammler, eine btissin, scheint Ver-trautes auf, Humanitt, Neugierde, wieseine Vorgngergeneration sie in derLeipziger Schule aufbrachte.
Humor, Ironie? Keine, auer vielleichtin Adam und Eva, wo das von Ziegel-mauern eingepferchte Paar neben einemBaumstumpf mit abgekratzter Rindehockt wie Affen in einem kahlen Freigehe-ge. Oder man lsst den Sarkasmus gelten,mit dem Michael Triegel in Auferste-hung einen bildschnen halbnacktenJngling, umhllt von der franzsischenFlagge, zwar nach oben, aber direkt gegenden festen Deckel einer riesigen Holzkisteschweben lsst.
Bedeutungsschwere, wohin manschaut, Glaubenssuche, Sehnsucht nachSinn vielleicht. Aber am Ende steigt einleichtes Ekel- und Vllegefhl auf, wie eszu spren ist, wenn man zu oft Sstoffstatt Zucker verwendet. Erleichterungbringt dann der Gang durch die Ergn-zungsschau mit frhen und letzten Zeich-nungen von Horst Janssen. Auch hier Ich-Besessenheit und Phallisches, schleichenTod und Verwesung durch vordergrndigpralles Leben. Aber dieser Maler trgt sei-ne Weltsicht rcksichtslos gegen sichselbst vor und hat damit allen viel zu sa-gen. DIETER BARTETZKOMichael Triegel. Verwandlung der Gtter. Biszum 6. Februar 2011 im Museum der bildendenKnste Leipzig. Der Katalog kostet 39,90 Euro.
Aufschrei in den hinteren Bnken derBerliner Lokalpolitik: Klaus Wowereit,der Regierende Brgermeister von Berlinund damit auch Vorsitzender im Lotto-Stiftungsrat, beantragt eine Million Eurobei ebendieser Stiftung und bekommtsie, wenig berraschend, bewilligt frein Kunstprojekt, das schon im Vorfeldfr allerlei Theater gesorgt hat.
Im vergangenen Jahr hatte WowereitGelder fr eine neue Kunsthalle bean-tragt, wurde dabei aber selbst von seinerFraktion grndlich ausgebremst, unddas mit guten Grnden: Wozu, so dieFrage, braucht Berlin auf der Brachfl-che zwischen Hauptbahnhof und demAusstellungsort Hamburger Bahnhof,am sogenannten Humboldthafen, der inWirklichkeit nur ein trauriges, vierecki-ges Wasserbassin ist, noch eine Kunst-halle wo Berlin doch mit der NGBK,der Berlinischen Galerie, den Kunst-Werken und der damals noch existententemporren Kunsthalle schon vier wahl-weise dysfunktionale oder bse unterfi-nanzierte Kunsthallen besa? Um denBrgermeister nicht ganz blozustellen,bewilligte man ihm aber sechshundert-tausend Euro fr eine Ausstellung, die
nach bisher unbekannter Berliner Ge-genwartskunst fahnden sollte. Dasklang erst einmal so, als wolle man eineimagefrdernde Kunstleistungsschaufr die etwas verstottert klingende Be-Berlin-Kampagne ausrichten, weswe-gen das Projekt wahlweise nicht beson-ders ernst genommen oder als tourismus-kompatible Verrumpelung der Kulturpo-litik beschimpft wurde. Dann aber unddas ist typisch fr Berlin, wo die bestenSachen immer aus gescheiterten Ambi-tionen wachsen entwickelte sich ausdem zweifelhaften Vorhaben wie vonGeisterhand etwas Spannendes und Viel-versprechendes, ein Projekt, fr das mandem Brgermeister sogar seine berline-risch-rustikale Art der Geldbeschaffunggern nachsieht.
Mit den 1,6 Millionen Euro soll nm-lich nicht nur eine Ausstellung bestrit-ten werden, fr die mit AngeliqueCampens, Magdalena Magiera, JakobSchillinger und Scott Weaver gleich vierkluge junge Kuratoren bestellt wurden.Es wurde auch ein Architekturwettbe-werb ausgeschrieben, zu dem die unkon-ventionellsten deutschen und internatio-nalen Bros eingeladen wurden, dar-unter Arno Brandlhuber, Kuehn Malvez-
zi und Raumlabor, international bekann-te Architekten wie Sou Fujimoto, aberauch jngere Entdeckungen. Die Aufga-be fr diese Architekten lautet nun, mitrelativ wenigen Mitteln eine temporreArchitektur zu entwerfen, die Kunstnicht wieder im klassischen White Cubezeigt, sondern darber nachdenkt, anwelchen Orten Kunst noch gezeigt wer-den knnte.
Damit knnte die Berliner Sommer-ausstellung 2011 einen grundstzlichenBeitrag zur Frage leisten, welche RolleKunst in einer Stadt hat. Und ob ein Mu-seum oder Ausstellungshaus wirklich im-mer wie ein abstrahierter weier Tem-pel aussehen muss, in den man andachts-voll hineinschreitet und mit stummerMiene die hineingestellten Objekte an-schaut oder ob sich nicht die Formen,die Produktions- und Prsentations-bedingungen von Kunst lngst so grund-legend verndert haben, dass man dieFormen ihrer Ausstellung neu denkenmuss.
Dabei knnte die Etymologie des Wor-tes Museum helfen denn mit dem Mu-seion war in der hellenistischen Antikenicht ein Tempel, sondern ein ganzerStadtteil gemeint, der den Musen gewid-
met war. Das Museion war kein Solitr,sondern eine Gegenstadt der Musen undder Gaukler, ein Labyrinth der Fiktio-nen, in der man nichts kaufen konnte,sondern wandelte, beieinander sa undspielte. Das Museion war eine aus derkommerziellen, vom Handel geprgtenStadt ausgekoppelte Gegenwelt des Han-delns. So eine Gegenstadt der Kunstknnte auch Berlin nicht schaden, zumalalle neuen Pltze, die nach 1989 entstan-den, mit erstaunlicher Boshaftigkeit dieimmergleiche Abfolge von den Groki-nos und ausgemacht geschmacklosen(Alexa) Shoppingmalls versammeln.Der Museumshafen knnte hier eine Al-ternative werden, ein Fanal fr einen an-deren ffentlichen Raum.
Vielleicht werden kleine Museumsin-seln gebaut, vielleicht ein Kunst-labyrinth wie auch immer: Wenn diewie gelhmt daliegende Stadtplanungsieht, was sich hier fr eine Chance ab-zeichnet fr die Erfindung einer anderenStadt, fr einen Abschied von der bleier-nen Zeit in der Hauptstadtarchitektur,dann msste sie mindestens noch eineMillion dazugeben. Der amtierende Kul-tursenator drfte nichts dagegen haben:Auch er heit Wowereit. NIKLAS MAAK
Groe undkleine FischeNach der Festnahme:Was von Assange bleibt
Ein Kerl wie Samt und Seide
Ein Gewinn fr die Kunst der ZukunftKlaus Wowereit genehmigt sich eine Lottomillion um ein Kulturprojekt zu realisieren, das dieses Geld verdient
Klangkunst
Michael Triegel istoffizieller Portrtmalerdes Papstes. Doch in sei-nem Werk huldigt er inerster Linie neuen Rt-selmythen und sichselbst. Leipzig staunt.
Der Maler als unglubiger Thomas, der sich selbst nicht glaubt? Oder sieht sich Michael Triegel als Erlser, dem sein Alter Ego den dornigen? Lorbeer aufsetzt? Foto Katalog