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Prof. Dr. Jochen Taupitz

Staatliche Gebührenordnungen bei Freien Berufen:

notwendig und zeitgemäß oder

überflüssig und anachronistisch?

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Staatliche Gebührenordnungen

schränken die grundrechtlich geschützte

• Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit des Freiberuflers (Art. 2 GG)

• Berufsfreiheit des Freiberuflers (Art. 12 GG)• Vertragsfreiheit des Auftraggebers (Art. 2 GG)

ein.

Sie bedürfen von Verfassungs wegen einer besonderen Rechtfertigung hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“.

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Staatliche Gebührenordnungen

müssen als Grundrechtseingriff zur Erreichung eineslegitimen Ziels

• geeignet

• erforderlich

• im Hinblick auf die Zweck-Mittel-Relation angemessen (verhältnismäßig) sein

und zwar stets auch vor dem Hintergrund eineseventuellen Wandels der maßgeblichen Umstände!

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Staatliche Gebührenordnung und Freier Beruf: Ein Widerspruch in sich?

Charakteristika des Freien Berufs:

• Persönliche Leistungserbringung

• von außen im Einzelfall nur schwer zu beurteilende und deshalb in hohem Maße auf Eigenverantwortung angewiesene Leistungserbringung

• aufgrund Ausbildung, Zulassung, Weiter- und Fortbildung qualifizierte Leistungserbringung

• in wirtschaftlicher Selbständigkeit

• in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Auftraggeber

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Charakteristika des Freien Berufs:

• unter ausdrücklicher Verpflichtung auf das Gemeinwohl

• reglementiert und überwacht durch (im staatlichen Auftrag handelnde) berufsständische Selbstverwaltung

• also insgesamt (paradoxerweise) besonders stark reglementiert (auch bezogen auf die Vertragsabschluss- und -inhaltsfreiheit)

• letztlich in Abgrenzung zum Gewerbe und in Freiheit von Staatsdienerstellung

• sowie mit historischen Wurzeln bei den „artes liberales“.

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Staatliche Gebührenordnung und Freier Beruf: Ein Widerspruch in sich?

Funktionen einer Gebührenordnung

• Verzicht auf (u.U. ruinösen) Preiswettbewerb als Grundlage der Qualitätssicherung

• Verhinderung einer Einflussnahme des Auftraggebers auf die Höhe des Entgelts zur Wahrung der Eigenver-antwortlichkeit und wirtschaftlichen Selbständigkeit

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Funktionen einer Gebührenordnung

• Schutz des Auftraggebers vor unangemessen hohen Entgeltforderungen (deren Angemessenheit er nicht beurteilen kann)

• Feilschen um das Entgelt würde

– das Vertrauensverhältnis zum Auftraggeber belasten,

– Erwerbsgesichtspunkte unter Zurückdrängung des Altruismuspostulats in den Vordergrund stellen

– zu Gepflogenheiten wie im Gewerbe führen

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Funktionen einer Gebührenordnung

• Qualifizierte Ausbildung sichert (relativ) gleichmäßige Qualität der Leistung, so dass sich die Notwendigkeit (relativ) gleicher Preise ergibt

und zwar gleiche Preise

- unabhängig von der Nachfrage (keine Saisonpreise, keine Rabattaktionen)

- unabhängig vom Ausmaß der Konkurrenz (keine höheren Preise „auf dem Land“)

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Funktionen einer Gebührenordnung

gleiche Preise

- unabhängig vom sozialen Status des Auftraggebers (keine Klassenmedizin)

- unabhängig vom Erfolg der Leistung (keine Über-nahme nur „einfacher Fälle“)

- unabhängig von der Angewiesenheit des Auftraggebers (kein Lebensrettungsaufschlag)

- aber mit der (beschränkten) Möglichkeit, individuellen Besonderheiten Rechnung zu tragen.

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Funktionen einer Gebührenordnung: Zusammenfassung

Maxime: Leistungswettbewerb statt Preiswettbewerb

Anstelle von Preiswettbewerb:

• Transparenz für Auftraggeber und Auftragnehmer

• Rechtssicherheit für Auftraggeber und Auftragnehmer

• Gleichheit für Auftraggeber und Auftragnehmer

• Angemessenheit für Auftraggeber und Auftragnehmer

Gerechtigkeit für Auftraggeber und Auftragnehmer

Rechtsfrieden für Auftraggeber und Auftragnehmer

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Staatliche Gebührenordnung und Freier Beruf: Ein Widerspruch in sich?

Nein!

Im Gegenteil: Die Existenz einer Gebührenordnung wird vielfach als selbständiges Charakteristikum eines Freien Berufs angesehen.

Staatliche Gebührenordnungen prägen das Berufsbild eines freien Berufs

Staatliche Gebührenordnungen sichern das Berufsbild und damit die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Freiberufler im Allgemeininteresse übertragenen Aufgabe.

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... vorausgesetzt

• die Gebührenordnung ist transparent für Auftraggeber und Auftragnehmer

• die Gebührenordnung führt zu Rechtssicherheit für Auftraggeber und Auftragnehmer

• die Gebührenordnung führt zu angemessenen Entgelten für Auftraggeber und Auftragnehmer!

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... wenn das nicht der Fall ist

• beispielsweise „den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten ... [nicht angemessen] Rechnung“ getragen wird (§ 11 S. 3 BÄO)

• und dabei der (beschränkte!) Beurteilungsspielraum des zuständigen Verordnungsgebers überschritten ist,

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• verliert die Gebührenordnung ihre verfassungs-rechtliche Berechtigung, weil sie

- nicht mehr geeignet ist, die verfolgten Ziele zu erreichen,

- keinen verhältnismäßigen Grundrechtseingriff beinhaltet

• kann beim Verwaltungsgericht die Feststellung der Nichtigkeit beantragt werden

• kann jedes Gericht sie in einem Rechtsstreit über Gebührenfragen als unwirksam betrachten

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• kommt es zu einer Erosion des Berufsbildes

• und zwar von innen und von außen

• entfällt die Rechtfertigung für die besonderen Bindungen des staatlich gebundenen Berufs

• gerät das vom Freiberufler zu wahrende Allgemeininteresse (Gemeinwohl) in Gefahr.

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Nicht erst dann stellt sich die Frage:

Staatliche Gebührenordnung und Freier Beruf: Ein Widerspruch in sich?

... weil gegen den Gedanken der freiberuflichen Selbstverwaltung verstoßend?

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Einerseits:

• Selbstverwaltung ist zur Regelung der eigenen Angelegenheiten des Berufsstandes berufen, nicht aber zur Regelung der Belange Außenstehender.

• Gebührenordnung regelt auch die Pflichten der Patienten, also Außenstehender

Eine staatliche Gebührenordnung widerspricht dem Selbstverwaltungsgedanken nicht.

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Andererseits:

• Der Staat darf die öffentlich-rechtliche Selbstver-waltung (also die Ärztekammern) durchaus per Gesetz ermächtigen, Regelungen über den Kreis der Mitglieder hinaus zu treffen.

• Durch staatliche Genehmigungserfordernisse kann sichergestellt werden, dass die Interessen der Außenstehenden hinreichend berücksichtigt werden.

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Zudem:

• Der Staat ist (über die Beihilfe) faktisch Schuldner eines nicht unerheblichen Teils ärztlicher Honorar-forderungen

Der Staat ist nicht neutraler Vermittler zwischen den (naheliegenderweise konfligierenden) Interessen der Ärzteschaft und der Zahlungspflichtigen.

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Gebührenordnung durch die ärztliche Selbst-verwaltung als Alternative zur staatlichen GOÄ?

Probleme des europäischen Kartellrechts

Rechtspolitische Probleme, weil

einseitige Preiskontrolle durch Ärzteschaft

keine systematische Berücksichtigung der Interessen der unmittelbar Zahlungs-pflichtigen (Patienten)

keine systematische Berücksichtigung der Interessen der mittelbar Zahlungs-pflichtigen (PKV, Beihilfestellen)

Nein

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Konsequenz:

Modifizierte Wiederbelebung des „Vorschlags-modells“ (Interessenausgleichsmodells)

Verhandlungs-Partnerschaft der Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser?), Patienten (Einbeziehung der Patientenbeauftragten) und Kostenträger (PKV, Beihilfeträger)

Übernahme eines erzielten Konsenses (Vorschlags) durch Rechtsverordnung oder Allgemeinverbind-licherklärung nach Rechtmäßigkeitsprüfung

Adäquate Konfliktlösung bei Nicht-Einigung durch neutrale Schiedsstelle

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Alternativen:

• Resignation

eines freien Berufs unwürdig

• Flucht in die Honorarvereinbarung mit den einzelnen Patienten

individuell und berufspolitisch problematisch

• (weiterer) Versuch, den Verordnungsgeber zu überzeugen, politischer Druck

Mühsam, mühsam, mühsam ...

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Viel Erfolg!