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Zur „Würde des Tieres“ im Straf- und Verwaltungsrecht
Vorläufige Zwischenergebnisse
Dr. iur. Antoine F. Goetschel,Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich,
Stiftung für das Tier im Recht (TIR), Stiftungsrat
Hochschule LuzernFreitag, 7. November 2008
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Übersicht
1. Verfassungsschutz (Art. 120 Abs. 2 BV)1.1. Historischer Abriss1.2. Allgemeines Verfassungsprinzip1.3. Konkretisierung auf Gesetzesstufe
2. Tierwürde als fundamentales TSchG-Prinzip2.1. Ausdrückliche Aufnahme im TSchG2.2. Elemente2.3. Güterabwägung
3. Anwendungsfälle4. Würdemissachtung im Strafrecht / vorläufige Sichtweise aus Praxis
4.1. Ausrichtung 4.2. Mögliche Praxisfälle
5. … und woran denken Sie?
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1. Verfassungsschutz
1.1. Historischer Abriss
Lauritz Smith (1754-1794) / Karl Barth (1886-1968; 1945)
1980: § 14 der Kantonsverfassung Kanton Aargau: "Lehre und Forschung haben die Würde der Kreatur zu achten“
Übergang vom anthropozentrischen zum ethischen Tierschutz Tiere sind empfindsame Mitgeschöpfe und um ihrer selbst willen zu schützen
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1992: Art. 24novies aBV (Gentechnologie im Ausserhumanbereich):
"Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten“.
1999: Art. 120 Abs. 2 BV
weltweit (noch immer) einzigartig
1989: BGE 115 IV 254 (Mitgeschöpflichkeit)
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1.2. Allgemeines Verfassungsprinzip
Würde der Kreatur umfasst auch die Tierwürde
Art. 120 Abs. 2 BV ("Gentechnologie im Ausserhumanbereich")
umfasst gesamten menschlichen Umgang mit Tieren
allgemeines Verfassungsprinzip, dem in sämtlichen Rechtsgebieten Nachachtung zu verschaffen ist
unmittelbares, d.h. direkt anwendbares Recht
schützt das Tier auch ausserhalb physischer und psychischer Belastungen in seinem Selbstzweck
Tiere überwiegend Zweck an sich statt bloss Mittel
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insbesondere von Verwaltungsbehörden, aber auch von Gerichten bei der verfassungskonformen Gesetzes-
auslegung und -anwendung zwingend zu beachten
Grundsatz bindet nicht nur Gesetzgeber, sondern auch alle anderen staatlichen Instanzen (Behörden und Gerichte) und gilt daher auch in jedem Rechtsanwendungsverfahren
allgemeiner Verfassungsauftrag: richtet sich auch an Privatpersonen in ihren alltäglichen Handlungen
Würde der Kreatur ist "unbedingt, stets und überall" zu beachten (Peter Saladin)
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1.3. Konkretisierung auf Gesetzesstufe
Zivilrecht (ZGB, OR, SchKG) 2003: Tier keine Sache
Gentechnikgesetz (GTG) 2003
Patentrecht 2005
NEU: Tierschutzgesetz und –verordnung 2008
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2. Tierwürde als fundamentales TSchG-Prinzip
2.1. Ausdrückliche Aufnahme im TSchG
Tierwürde als Grundprinzip ist tragende Säule des neuen Tierschutzrechts
bedeutendste Neuerung des revidierten Tierschutzrechts
Verdeutlichung der fundamentalen Bedeutung der Tierwürde
allgemeines Verfassungsprinzip wäre aber auch ohne ausführende Bundesgesetzgebung anzuwenden
Anwendungsbereich TSchG: Wirbeltiere (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische) sowie Kopffüssler und Panzerkrebse
vs. Anwendungsbereich BV: Würdeschutz für sämtliche Tiere
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Art. 1 TSchG (Zweck)
"Zweck dieses Gesetzes ist es, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen".
Art. 3 TSchG (Begriffe)
In diesem Gesetz bedeuten:
lit. a) Würde: "Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss. Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Bela-stung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann. Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insbesondere Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst ver-setzt oder erniedrigt wird, wenn tief greifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermässig instrumentali-siert wird".
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Art. 4 TSchG (Grundsätze)
(…)
2 Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten. Das Misshandeln, Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren ist verboten.
3 Der Bundesrat verbietet weitere Handlungen an Tieren, wenn mit diesen deren Würde missachtet wird.
Art. 16 Abs. 2 lit. j TSchV (sexuelle Handlungen mit Tieren)
Art. 25 Abs. 1 TSchV (Tierzucht)
Art. 105 Abs. 1 lit. d TSchV (Werbung)
Art. 138 Abs. 2 TSchV (Tierversuche, transgene Tiere)
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Art. 26 TSchG (Tierquälerei)
1 Mit Gefängnis oder mit Busse*) wird bestraft, wer vorsätzlich:
aaaaaa) aein Tier misshandelt, vernachlässigt, es unnötig überanstrengtaaaaaaa oder dessen Würde in anderer Weise missachtet;
(…)
2 Handelt die Täterin oder der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Haft oder Busse bis zu 20'000 Franken.
*) Nach neuen AT StGB: statt Gefängnis: Freiheitsstrafe bis zu drei Jah-ren oder Geldstrafe (Art. 333 Abs. 2 lit. b StGB). Die bedingte oder teil-bedingte Strafe kann mit einer Busse verbunden werden (Art. 42 Abs. 4 StGB), die mangels Höchstbetrag im TSchG 10'000 Franken betragen kann (Art. 106 Abs. 1 StGB).
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2.2. Elemente
a) Empfindungsfähigkeit
Schmerzen
Leiden
Schäden
Ängste
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2.2. Elemente
b) Selbstzweck des Tieres
Würde zu haben bedeutet, um seiner selbst willen in der Welt zu sein
Art. 3 lit. a TSchG
Tiere als Mitgeschöpfe
Verbot, sie bloss als Mittel für menschliche Zwecke zu verwenden
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2.3. Güterabwägung
Verbot der Missachtung der Tierwürde gilt nicht absolut, sondern unterliegt in jedem konkreten Einzelfall einer umfassenden Abwägung aller in Frage stehenden Interessen
Rechtfertigungsmöglichkeit
"nicht jede ‚Belastung‘ ist auch eine ‚Missachtung‘ der Tierwürde“
Verhältnismässigkeitsprüfung (im Verwaltungsrecht)
- Eignung
- Erforderlichkeit
- Verhältnismässigkeit im engeren Sinn
- Kerngehalt
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Verhältnismässigkeit im engeren Sin
Überwiegende Interessen
anderer Parteien
‚Belastung‘ der Tierwürde
Grundsatz
Je schwerer die Belastungen für die Tiere, desto grösser muss der Nutzen für den Menschen sein
Zuständigkeit? Verwaltungsbehörden – Strafbehörden - Gesetzgeber
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3. Anwendungsfälle
• tiefgreifende Eingriffe in das Erscheinungsbild oder die Fähigkeiten
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3. Anwendungsfälle
• Erniedrigungen
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3. Anwendungsfälle
• übermässige Instrumentalisierungen
4. Würdemissachtung im Strafrecht / vorläufige Sichtweise aus der Praxis
4.1. Ausrichtung
• Strafrecht als letztes Mittel, gerade bei neuen und erst noch unbe-stimmten Rechtsbegriffen
• Sachte Schaffung einer klärenden Praxis – Vermeiden von negati-ven Präjudizien (Opportunitätsprinzip beachten)
• Vorerst möglichst Entscheide bei klar fehlenden "überwiegendem Interesse" an der "Würdebelastung" erwirken
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• (Teil-)Legalisierung vorerst als "überwiegendes Interesse" gegen sich gelten lassen?
– z.B. Ausnahmen Betäubungspflicht (Art. 15 TSchV)
– z.B. (fragwürdige) Elektrobügel bei Rindern (Art. 35 Abs. 4 TSchV; Übergangsfrist)
– z.B. (fragwürdiges) Enthornen und Kastrieren von Jungtieren (Art. 32 TSchV)
• -> Auftrag an Rechtssetzer?
• Vorab wegen Verstössen gegen die einzelnen zahlreichen Verbote in der TSchV anklagen und verurteilen
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4.2. Mögliche Praxisfälle (kleine Auswahl)
• Zoophilie, als Vergehen! (trotz Art. 16 Abs. 2 Bst. j TSchV)
• Fischfangen von Hand zum Stillen der (Zu-)Schaulust am TV (Rekurs hängig)
• Erniedrigende Werbung mit lebenden Tieren ohne Bewilligung (Art. 13 TSchG)
• Andere?
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!