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10 Bioelektrische Quellen Literatur zu diesem Kapitel • Bildgebende Verfahren in der Medizin, O. Dös- sel, Springer-Verlag 10.1 Ursprung bioelektrischer Quellen 10.1.1 Elektrische Felder im Organismus Organismus Zelle Supramolekulare Strukturen Molekulare Strukturen Elektrodynamik Maxwell Gleichungen Phänomenologische Thermodynamik Nernst-Planck Gleichung Statistische Thermodynamik Poisson- Boltzmann Gleichung Quanten- mechanik Schrödinger Gleichung Abbildung 10.1: Hierarchie elektrischer Strukturen und die passende Beschreibung. Elektrische Felder treten im menschlichen Organis- mus auf allen Skalen auf. Je nach Struktur verwendet man eine andere Beschreibung, um ihr Auftreten zu verstehen, ihr Verhalten zu beschreiben und die dia- gnostischen Signale zu interpretieren. Auf der ma- kroskopischen Skala des gesamten Körpers sind die Maxwell-Gleichungen am besten geeignet. Auf der Skala einzelner Zellen ergibt die phänomenologi- sche Thermodynamik interessante Erkenntnisse, bei supramolekularen Strukturen die statistische Ther- modynamik, und für atomare und molekulare Struk- turen wird die Quantenmechanik benötigt. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den elek- trischen Feldern, welche einzelne Organe erzeugen, sowie mit den Möglichkeiten, diese über körper- externe Messungen zu bestimmen und für diagno- stische Zwecke zu nutzen. Viele Funktionen des menschlichen Körpers werden durch elektrische Signale gesteuert. Die Nervenzel- len des Gehirns verarbeiten ankommende elektrische Signale von den peripheren Nerven und Sinnesor- ganen und senden Signale aus, die die Bewegung der Muskeln steuern. Der Herzschlag wird ebenfalls durch elektrische Signale gesteuert. Im Vordergrund der Abbildung bioelektrischer Quellen stehen daher auch das Herz und das Hirn. Die wichtigsten Anwen- dungen umfassen das Elektrokardiogramm (EKG; Herz), das Elektromyogramm (EMG; Muskel), so- wie das Elektroenzephalogramm (EEG; Gehirn). 10.1.2 Ruhemembranpotenzial Der Ursprung bioelektrischer Signale sind Potenzi- aldifferenzen zwischen dem Inneren und Äußeren biologischer Zellen. Diese kommen durch Unter- schiede in der Konzentration der Ionen zustande und können z.B. mit Hilfe von Mikroelektroden gemes- sen werden. Die Doppellipidschicht einer Zelle ist elektrisch iso- lierend und besitzt eine hohe Kapazität von ungefähr 1 μ F/cm 2 (Dicke der Zellmembran: 5 nm). Insbe- sondere die Membranen von Muskel- und Nerven- zellen sind in ihrem elektrischen Verhalten steuerbar. Diese Membrane enthalten Proteine, die zwischen ihren Ketten und Kreuzungspunkten Kanäle freilas- sen, und durch die Ionen wie K + , Na + , Ca 2+ , Cl - gelangen können. Die Durchlässigkeit dieser Kanäle kann gesteuert werden, und sie können selektiv wir- ken. Neben den anorganischen Ionen gibt es auch organische Ionen, z.B. negative geladene Proteine. Der passive Transport erfolgt entweder durch elek- trostatische Kräfte oder durch Diffusion auf Grund eines Konzentrationsgradienten. Es gibt auch Prote- instrukturen, die unter Aufwendung von Energie be- stimmte Ionen auch gegen diese passive Transpor- trichtung von innen nach außen (oder umgekehrt) pumpen können. 198

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10 Bioelektrische Quellen

Literatur zu diesem Kapitel

• Bildgebende Verfahren in der Medizin, O. Dös-sel, Springer-Verlag

10.1 Ursprung bioelektrischerQuellen

10.1.1 Elektrische Felder im Organismus

Organismus Zelle Supramolekulare Strukturen

Molekulare Strukturen

ElektrodynamikMaxwell

Gleichungen

Phänomenologische Thermodynamik

Nernst-Planck Gleichung

Statistische Thermodynamik

Poisson-Boltzmann Gleichung

Quanten-mechanik

Schrödinger Gleichung

Abbildung 10.1: Hierarchie elektrischer Strukturenund die passende Beschreibung.

Elektrische Felder treten im menschlichen Organis-mus auf allen Skalen auf. Je nach Struktur verwendetman eine andere Beschreibung, um ihr Auftreten zuverstehen, ihr Verhalten zu beschreiben und die dia-gnostischen Signale zu interpretieren. Auf der ma-kroskopischen Skala des gesamten Körpers sind dieMaxwell-Gleichungen am besten geeignet. Auf derSkala einzelner Zellen ergibt die phänomenologi-sche Thermodynamik interessante Erkenntnisse, beisupramolekularen Strukturen die statistische Ther-modynamik, und für atomare und molekulare Struk-turen wird die Quantenmechanik benötigt.

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den elek-trischen Feldern, welche einzelne Organe erzeugen,sowie mit den Möglichkeiten, diese über körper-externe Messungen zu bestimmen und für diagno-stische Zwecke zu nutzen.

Viele Funktionen des menschlichen Körpers werdendurch elektrische Signale gesteuert. Die Nervenzel-len des Gehirns verarbeiten ankommende elektrischeSignale von den peripheren Nerven und Sinnesor-ganen und senden Signale aus, die die Bewegungder Muskeln steuern. Der Herzschlag wird ebenfallsdurch elektrische Signale gesteuert. Im Vordergrundder Abbildung bioelektrischer Quellen stehen daherauch das Herz und das Hirn. Die wichtigsten Anwen-dungen umfassen das Elektrokardiogramm (EKG;Herz), das Elektromyogramm (EMG; Muskel), so-wie das Elektroenzephalogramm (EEG; Gehirn).

10.1.2 Ruhemembranpotenzial

Der Ursprung bioelektrischer Signale sind Potenzi-aldifferenzen zwischen dem Inneren und Äußerenbiologischer Zellen. Diese kommen durch Unter-schiede in der Konzentration der Ionen zustande undkönnen z.B. mit Hilfe von Mikroelektroden gemes-sen werden.

Die Doppellipidschicht einer Zelle ist elektrisch iso-lierend und besitzt eine hohe Kapazität von ungefähr1 µF/cm2 (Dicke der Zellmembran: ⇡ 5 nm). Insbe-sondere die Membranen von Muskel- und Nerven-zellen sind in ihrem elektrischen Verhalten steuerbar.Diese Membrane enthalten Proteine, die zwischenihren Ketten und Kreuzungspunkten Kanäle freilas-sen, und durch die Ionen wie K+, Na+, Ca2+, Cl�

gelangen können. Die Durchlässigkeit dieser Kanälekann gesteuert werden, und sie können selektiv wir-ken. Neben den anorganischen Ionen gibt es auchorganische Ionen, z.B. negative geladene Proteine.Der passive Transport erfolgt entweder durch elek-trostatische Kräfte oder durch Diffusion auf Grundeines Konzentrationsgradienten. Es gibt auch Prote-instrukturen, die unter Aufwendung von Energie be-stimmte Ionen auch gegen diese passive Transpor-trichtung von innen nach außen (oder umgekehrt)pumpen können.

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Abbildung 10.2: Entstehung des Ruhemembranpo-tenzials. Eingezeichnet sind diewesentlichen Prozesse für denTransport von K+ und Na+ durchdie Zellmembran.

Die wichtigsten Ionenpumpen sind die Na+/K+

Pumpen, die beständig K+ ins Innere der Zelle undNa+ nach außen befördern und dadurch eine Poten-zialdifferenz zwischen dem Inneren und dem Äu-ßeren der Zelle erzeugen. Die dafür nötige Energiewird durch ATP zur Verfügung gestellt. Es gibt auchProteine, die als Pförtner für Kanäle fungieren undso zum Beispiel für bestimmte Ionenarten den pas-siven Transport möglich machen oder verhindern.Außerdem ist die Zellwand für K+ Ionen teilweisedurchlässig. Diese erreichen deshalb eine Gleichge-wichtsverteilung zwischen Innen und Außen.

Durch die Summe dieser Teilprozesse entsteht eineungleiche Ionenkonzentration zwischen dem Zellin-neren und Zelläußeren, und daher ein Potenzial, dasden Ruhezustand der Zelle charakterisiert. Dieseswird als Ruhemembranpotenzial bezeichnet.

Die Zelle insgesamt wie auch das Zelläußere sindelektrisch neutral, aber auf der Membran ergibt sichnetto ein negativer Ladungsüberschuss im Innern derZelle und ein positiver Überschuss außerhalb derZelle. Abb. 10.3 zeigt, wie diese Ladungsdichtever-teilung ein elektrisches Feld über der Membran und

Ladungsdichte

Ladungsdichte

Zelle

Extrazel-lulärraum

MP

= -7

0 m

V

Abbildung 10.3: Verlauf des elektrischen Feldes unddes elektrischen Potenzials über dieZellmembran.

einen Gradienten des Potenzials erzeugt.

10.1.3 Zell(de)polarisation

Das Ungleichgewicht der Ionenkonzentrationen imRuhezustand wird als Polarisation der Zellen be-zeichnet. Für eine Ionenart wird die daraus resultie-rende Potenzialdifferenz durch die Nernst’sche Glei-chung gegeben. Existiert eine Potenzialdifferenz DUzwischen den beiden Seiten der Membran, so un-terscheidet sich die potentielle Energie eines Ionsmit Ladung q um DE = qDU . Gemäß Boltzmann-Statistik ist das Verhältnis der Konzentrationen aufbeiden Seiten bei einer Temperatur T in diesem Fall

c1

c2= e�

qDUkT .

Aufgelöst nach DU erhalten wir daraus dieNernst’sche Gleichung

DU =�kTq

ln✓

c1

c2

=kTq

ln✓

c2

c1

.

Für das Membranpotenzial sind vor allem die IonenNa+, K+ und Cl� verantwortlich, bei denen sich dieKonzentrationen im intra- und extrazellulären Raumum etwa einen Faktor 10-30 unterscheiden; die La-dungen betragen q =±e. Die resultierende Potenzi-aldifferenz ergibt sich aus einem gewichteten Mittel

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der beteiligten Ionensorten,

DU =kTe

· ln✓

PKcaK +PNaca

Na +PClciCl

PKciK +PNaci

Na +PClcaCl

.

Der obere Index zeigt an, ob die Konzentration intra-zellulär (i) oder extrazellulär (a) gemeint ist. DieseGleichung wird als Goldmann-Gleichung bezeich-net. Die Gewichtungsfaktoren Pi werden als Beweg-lichkeit oder (da es um die Durchdringung der Zell-wand geht als) Permeabilität bezeichnet. Da die Be-weglichkeit der K+-Ionen etwa 30 mal so hoch istwie für die Na+-Ionen, dominiert in der Regel derEinfluss von K+. In bestimmten Fällen muss zusätz-lich die Konzentration von Ca2+ berücksichtigt wer-den.

Auf die Ionen wirken umgekehrt elektrische undchemische Kräfte. Der Konzentrationsgradient führtzu einem Strom von Na-Ionen ins Innere der Zelle,für die K-Ionen ist der Konzentrationsgradient um-gekehrt. Das elektrische Feld erzeugt für beide po-sitiven Ionen eine Kraft, welche ins Innere der Zellezeigt. Für Na addieren sich die beiden Kräfte, we-gen der geringen Durchlässigkeit der Membran do-miniert jedoch der Effekt der Na/K Pumpe und dieKonzentrationsdifferenz bleibt groß. Beim K wirkendie Kräfte entgegengesetzt und heben sich deshalbteilweise auf.

Durch äußere Einflüsse, wie zum Beispiel elektri-sche Felder (konduktile Erregung) oder das Vorhan-densein bestimmter chemischer Botenstoffe (nicht-konduktile Erregung), kann die Permeabilität derZellmembran verändert werden. Wenn die Ionen-kanäle geöffnet werden, dann erhöht sich die Ionen-beweglichkeit durch die Membran erheblich, und diepassiven Transportmechanismen überwiegen vergli-chen mit dem “mühsameren” Pumpmechanismus.

Die Folge des Öffnens der Ionenkanäle ist ein ra-scher Abbau des negativen Ruhepotenzials. Durchdie unterschiedlichen Reaktionsgeschwindigkeiten(Na+-Kanäle öffnen im Allgemeinen schneller alsK+-Kanäle) kommt es sogar zu einem kurzzeitigenÜberschießen (Overshoot) des Membranpotenzialsin den positiven Bereich. Durch die Ionenpumpenwird nach dieser Depolarisation der Zellen der Ru-hezustand wieder hergestellt. Abbildung 10.4 zeigt

Abbildung 10.4: Ionenströme, Depolarisation undAktionspotenzial.

typische Zeitverläufe des Aktionspotenzials. Bei denHerzmuskelzellen tritt ein Plateau nach dem Über-schießen auf, das durch den Ca2+-Ionentransport ge-steuert wird.

Abbildung 10.5: Veranschaulichung der Refraktär-phase an Nervenzellen.

Bei der Anregung muss eine bestimmte Schwel-le von etwa +20 mV gegenüber dem Ruhepoten-zial überschritten werden, dann erfolgt der weite-re Ablauf selbstständig. Liegt die Anregung unterder Schwelle, dann kommt es nicht zur Depolari-sation. Bei einer Wiederholung des Reizes steigtder Schwellwert an, und ereicht mit zunehmendemzeitlichen Abstand zur letzten Depolarisation denGleichgewichtswert. Es gibt eine Phase nach einemReiz, in dem keine neue Erregung möglich ist. Diesist die sogenannte totale Refraktärphase. In dersich anschließenden relativen Refraktärphase isteine Erregung nur mit reduzierter Amplitude mög-lich und es gilt ein höherer Schwellenwert.

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10.1.4 Erregungsleitung

Die Erregung wird entlang von Nervenfasern weiter-geleitet. Dabei gibt es zwei Typen der Erregungslei-tung.

Abbildung 10.6: Kontinuierliche Erregungsleitung.a) Aktionspotenzial nur bei der lin-ken Ableitungsstelle; b) Kationen-einstrom während Erregung; c) Ak-tionspotenzial bei rechter Ablei-tungsstelle erreicht.

Die kontinuierlichen Erregungsleitung erfolgtentlang von Nervenfasern ohne Myelinscheide (sie-he Kapitel 10.1.5). Infolge der Kationeneinströmungwährend der Erregung hat das Potenzial seinen po-sitiven Pol im Intra- und seinen negativen Pol imExtrazellulärraum (siehe Abbildung 10.6). Am üb-rigen Faserteil liegt die umgekehrte Polung vor, da-her entsteht eine (zweite) Potenzialdifferenz entlangder Membran. Auf Grund des elektrischen Feldesströmen Kationen im Intrazellularraum von der lin-ken zur rechten Elektrodenposition in der Abbildung10.6, und im Extrazellularraum entgegengesetzt (ge-schlossener Stromkreis). Dadurch kommt es zu ei-ner elektrischen Depolarisation im Bereich der rech-ten Elektrode, und wenn dort der Schwellwert er-reicht wird, dann wird ein Aktionspotenzial ausge-löst und die Erregung hat sich insgesamt von linksnach rechts entlang der Nervenfaser ausgebreitet.Bei der kontinuierlichen Erregungsleitung wird dieErregung jeweils auf die Nachbarbezirke der Ner-venfaser übertragen.

Abbildung 10.7: Saltatorische Erregungsleitung.

Bei Menschen (allgemein bei höheren Organismen)sind die meisten Axone von einer Myelinscheideumhüllt. Myelin ist eine Lipidschicht, welche alsIsolator wirkt. Die Myelinscheide wird in Abständenvon einigen mm von den Ranvierschen Schnürrin-gen unterbrochen. Dadurch “springt” die Potenzial-änderung jeweils von einem Schnürring zum näch-sten. Die Myelinscheide trägt deshalb zu einer we-sentlichen Beschleunigung der Nervenleitung bei:die Sprunglänge nimmt zu, die Kapazität der Mem-bran nimnmt ab und damit die Zeitkonstante. Außer-dem benötigt die Signalübertragung dadurch weni-ger Energie. Es können Übertragungsgeschwindig-keiten von bis zu 180 m/s erreicht werden. Man be-zeichnet diese Art der Signalübertragung als salta-torische Erregungsleitung.

Bei der Multiplen Sklerose - MS - zerfallen dieMyelinscheiden im Zentralnervensystem, bevorzugtum die Hirnventrikel. Dadurch wird die Erregungs-leitung verzögert und zum Teil sogar unterbrochen.Folge sind Störungen in allen Teilen des ZNS.

10.1.5 Nervenzellen

Eine Nervenzelle (Neuron) ist eine auf Erregungs-weiterleitung spezialisierte Zelle. Sie gliedert sich in3 Abschnitte (entsprechend der Richtung des Erre-gungsablaufs):

• Dendriten: Rezeptive Strukturen,

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• Neurit (Axon, Nervenfaser): Effektorische(nach außen leitende) Strukturen,

• Perikaryon (Soma): Zellleib; Stoffwechsel-zentrum.

Abbildung 10.8: Nervenzellen und Bestandteile ei-ner synaptischen Verbindung.

In der Abbildung 10.8 sind links Nervenzellen mitaxonalen Fortsätzen zu sehen. Zu erkennen sind dieMarkscheiden und die schon erwähnten Ranvier-schen Schnürringe. Die Markscheiden bestehen ausmarkhaltigen oder myelinisierten Fasern und isolie-ren die Axone gegen die Umgebung. Bei den Ran-vierschen Schnürringen steht das Axon in direkterVerbindung mit dem extrazellulären Raum. Im zen-tralen Nervensystem sind die Axone in der Regelzu Faserbündeln zusammengefasst, im Bereich desperipheren Nervensystems zu Nervensträngen undNerven. In der Mitte der Abbildung 10.8 sind Be-standteile einer synaptischen Verbindung und typi-sche Lokalisationen von Synapsen an einem Neurongezeigt.

Im Nervensystem werden Informationen in Sequen-zen von Aktionspotenzialen verschlüsselt und überdie Nervenfasern weitergeleitet. Zur weiteren Verar-beitung müssen diese Informationen auf andere Neu-rone übertragen werden. Die Weitergabe der Infor-mation erfolgt an Strukturen, die unter dem Oberbe-griff Synapsen zusammengefasst sind.

Es gibt zwei Typen von Synapsen (siehe Abbildung10.9): beim ersten Typ sind prä- und postsynapti-

elektrische Synapse chemische Synapse

präsynaptische Faser

postsynaptische Membran

Konnexane

präsynaptische Faser

postsynaptische Membran

Membran-kanal

Rezeptor

Trans-mitter

Abbildung 10.9: Signalübertragung durch elektri-sche und chemische Synapse.

sche Anteile über Proteine (Konnexone), die tun-nelartige Verbindungen (gap junctions) bilden, di-rekt miteinander in Kontakt. Man spricht von elek-trischen Synapsen, da die Erregungsübertragungdurch elektrotonische Ströme durch diese Tunnel er-folgt. Beim zweiten Typ, der chemischen Synapse,sind die Membranen der prä- und postsynaptischenStrukturen durch einen Spalt voneinander getrennt.Die Erregungsweiterleitung erfolgt über chemischeSubstanzen, die sogenannten Transmitter.

10.1.6 Feldquellen

Die auf den Axonen entstehenden Quellen bei derSignalweiterleitung können als Strom-Quadrupolmodelliert werden, und die elektrischen Vorgängehinter den Synapsen können als Stromdipole model-liert werden (Abbildung 10.10 links).

Abbildung 10.10: Felder von Axon und Synapse(links); Pyramidenzellen in derHirnrinde (rechts).

Die elektrischen und magnetischen Quellen einesQuadrupols fallen sehr schnell mit dem Abstand vonder Quelle ab. Zusätzlich dazu sind die gleichzei-tig aktiven Axone über das Gehirn verteilt. Daherkann man die Signale dieser Quellen an der Haut

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des Kopfes nicht mehr messen. Die von den Syn-apsen ausgehenden Signale haben zwar eine größereReichweite, aber wegen der ebenfalls stochastischenVerteilung hebt sich ihre Wirkung im Mittel auf. Nurin den Pyramidenzellen, die sich in einer Schicht derHirnrinde befinden, summieren sich die Signale (Ab-bildung 10.10 rechts).

Abbildung 10.11: Hirnrindenregionen.

Die Großhirnrinde (zerebraler Kortex) ist beim Men-schen besonders hoch entwickelt, und sie ist fürdie Eigenschaften verantwortlich, die den Menschenvom Tier unterscheiden. Bestimmten Gebieten derGroßhirnrinde kommen spezifische Funktionen zu(siehe Abbildung 10.11).

Wenn 10000 Nervenzellene in 1mm3 der Hirnrindegleichzeitig ”feuern”, dann entstehen auf der Kopf-haut elektrische Spannungen von einigen 10 µV, be-ziehungsweise magnetische Flussdichten von eini-gen 100fT.

Abbildung 10.12: Herzerregung.

Zum Vergleich: die elektrische Depolarisation desHerzmuskels führt zu etwa hundertfach größeren Si-

gnalen an der Körperoberfläche. Die auf dem Herz-muskel auftretenden Stromdichten betragen bis zueinigen mA/mm2, und die Signale an der Haut desKörpers erreichen einige mV (einige 10pT). Diesewerden in der Elektrokardiographie (EKG) mit Elek-troden und hochohmigen Messverstärkern registriert(siehe Kapitel 3.4.4 und 10.2.5). Bei den Nervensi-gnalen heißt das Verfahren Elektroenzephalographie(EEG). Eine ausführlichere Besprechung erfolgt inKapitel 10.2.2.

10.1.7 Biomagnetische Signale

Jedem Elektrogramm ist ein Magnetogramm zuge-ordnet. Die Quellen biomagnetischer Signale sinddaher ebenfalls die im Innern des Körpers entstehen-den elektrischen Signale. Zu den Vorteilen bioma-gnetischer gegenüber bioelektrischen Signalen ge-hört, dass die biomagnetischen Signale zwischendem Entstehungsort und dem Aufnahmeort an derKörperoberfläche kaum gestört werden. Das liegtdaran, dass die magnetische Permeabilität praktischüberall µr = 1 ist. Selbst paramagnetische Substan-zen weichen von diesem Wert nur in der Größen-ordnung 10�6 ab. Dies hat zur Folge, dass die Ma-gnetfelder im Gewebe praktisch nicht verzerrt wer-den. Bei gleichzeitiger dreidimensionaler Aufzeich-nung an mehreren Stellen ist daher eine viel präzi-sere Lokalisation möglich, was insbesondere für dieForschung sehr interessant ist.

Die entsprechende elektrische Größe ist die (relati-ve) Dielektrizitätskonstante er, die in Luft 1 ist, undin Wasser etwa er = 81 beträgt. Daher werden dieelektrischen Dipolfelder in inhomogenen Gebietenverzerrt. Ein anderer Vorteil ist die berührungsloseAufnahme biomagnetischer Signale. Damit entfallenalle Schwierigkeiten der Signalableitung mit Elek-troden, die bei bioelektrischen Verfahren auftritt.

Der wesentliche Nachteil ist die Kleinheit der zuge-hörigen Magnetfelder; sie bewegen sich im Bereichvon

B = 10�11 . . .10�13 T .

Zum einen werden daher sehr sensitive Sensoren be-nötigt (SQUIDS, siehe Kapitel 10.3.6), und zum an-deren ist eine sorgfältige Abschirmung notwendig.

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10 Bioelektrische Quellen

Größenordnungen für Störquellen:

BErde ⇡ 5 ·10�5 TBNetzkabel ⇡ 10�7 T

Bmagn.VerunreinigungeninLunge ⇡ 10�9 T

Die Unterdrückung von Störsignalen gelingt mitSubtraktionsmessungen. Die zugrunde liegende Ideeist, dass weit entfernte Störquellen an zwei naheliegenden Messorten das gleiche Signal erzeugen,aber Magnetfelder von biologischen Quellen einenstarken Gradienten auf dieser Skala aufweisen. DieMessungen mit zwei gegensinnig gewickelten supra-leitenden Drahtspulen an zwei nahe liegenden Or-ten (wenige cm auseinander) werden subtrahiert, undStörsignale lassen sich um einen Faktor von etwa100 unterdrücken. Solche Messgeräte werden Gra-diometer genannt. Zusätzlich werden magnetisch ab-geschirmte Kabinen benutzt und Filter eingesetzt.

10.1.8 Quellenmodelle

Bei den Quellenmodellen wird der menschliche Kör-per aus dem Blickwinkel der elektromagnetischenFeldtheorie betrachtet. Es ergibt sich, dass eine be-liebige Verteilung von eingeprägten Strömen imKörper als Überlagerung von Stromdipolen aufge-fasst werden kann. Bei der Abbildung soll die Ver-teilung der Stromdipole im Körper dargestellt wer-den. Im Extremfall wird die Stromdipolverteilungauf dem Herzen durch nur einen einzigen Stromdi-pol, den Herzvektor, approximiert.

Grundsätzlich setzt sich die gesamte Stromdichte imKörper aus einer eingeprägten Stromdichte ~ji durchbioelektrische Ströme, und dem Rückstrom im Vo-lumenleiter zusammen:

~j = ~ji +s

~E .

Mit dem elektrischen Potenzial j erhält man

~j = ~ji �s

~—j .

Unter der Annahme, dass die Leitfähigkeit s des Ge-webes homogen ist, und wegen ~—~j = 0 (keine La-dungsanhäufung möglich; vgl. Magnetostatik) erhält

man die Poisson-Gleichung

~—~ji = ~—⇣

s

~—j

+~—~j = s Dj(~r) .

In den Grundgleichungen der Elektrostatik steht anStelle des Quellterms~—~ji die freie Ladungsdichte. InAnalogie dazu berechnen wir das Potenzial, indemwir über alle Quellenterme integrieren:

j(~r) =� 14ps

Z

d3r0~—~ji

|~r�~r0|.

Es ist sinnvoll, diese Lösung noch weiter umzu-formen. Mit der Definiton y(~r,~r0) := 1

|~r�~r0|und

~—(y~ji) = y

~—~ji +~ji ·~—y bekommt man

j(~r) =� 14ps

Z

d3r0n

~—(y~ji)�~ji ·~—y

o

.

Mit dem Gaußschen Satz verschwindet der erste Teildes Integrals, da sich auf einer ausreichend großenHüllfläche keine eingeprägten Ströme befinden:

Z

d3r0~—(y~ji) =I

d~f (y~ji) = 0

Mit dem Gradienten der Hilfsfunktion ~—y = ~r�~r0|~r�~r0|3

sieht man letztendlich, dass sich das Potenzial j(~r)aus einer Überlagerung von vielen Stromdipolen ~ji ·d3r zusammensetzt:

j(~r) = +1

4ps

Z

d3r0 ·~ji~r�~r0

|~r�~r0|3.

Man kann sich einen Stromdipol auch als einen sehrkurzen stromdurchflossenen Pfad der Länge ~l vor-stellen: ~ji · d3r ⇡ I

A ·A~l = I ·~l. Zur numerischen Be-handlung wird der Körper in diskrete Volumenele-mente aufgeteilt, mit einem zugehörigen mittlerenStromdipol.

Die Mediziner interessieren nur die eingeprägtenStröme ~ji, gemessen werden beim EEG aber zu-sätzlich die Volumenströme an der Haut. Bei gu-ten Rekonstruktionsalgorithmen werden beide Tei-le berücksichtigt, aber nur die eingeprägten Strömeim Ergebnis dargestellt. Zur genauen Berechnungder Volumenströme muss die genaue Lage der Orga-ne, die äußere Form des Körpers und die Impedan-zen der beteiligten Gewebearten genau bekannt sein.

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10 Bioelektrische Quellen

Diese Informationen können zum Teil aus der MR-Tomographie und der Impedanztomographie gewon-nen werden. Letztentlich ist dieses Vorgehen jedochsehr aufwendig, so dass üblicherweise nur einfacheModelle benutzt werden, die zum Beispiel den Kopfals Kugel approximieren.

10.2 Messmethoden

10.2.1 Übersicht

Die an der Körperoberfläche abgeleiteten Signalesind eine Überlagerung der elektrischen Aktivitätdes gesamten Nerven-, Muskel-, und sensorischenSystems. Eine gewisse Selektion der Signalkompo-nenten erfolgt durch geeignete Ortswahl der Elek-trodenanordnung. Eine Auswahl der bioelektrischenUntersuchungsmethoden:

• Elektrokardiogramm (EKG): Signalamplitudean der Hautoberfläche ca. 1 mV; Siehe Kapitel3.4.4 und 10.2.5

• Elektroenzephalogramm (EEG): Amplitude derSignale an der Hautoberfläche in der Größen-ordnung von 10 µV; siehe Kapitel 10.2.2

• Elektromyogramm (EMG): liefert ein Bild derMuskelerregung und wird zum Beispiel in derSportmedizin eingesetzt. Die Amplitude der Si-gnale an der Hautoberfläche ist in der Größen-ordnung von 100 µV.

• Elektroretinogramm (ERG): macht die Licht-reizung im Auge sichtbar. Die wesentlichen In-formationen stecken in Amplituden und La-tenzzeiten der detektierten Wellen.

• Elektrookulogramm (EOG): gibt Aufschlussüber die Augenstellung, so sind motorischeEinflüsse diagnostizierbar.

Seltener angewendete Verfahren sind:

• Elektroolfaktogramm: Reizung des Geruchs-sinns

• Elektrogastrogramm: Aufzeichnung der Aktivi-tät der Magenmuskulatur

• Elektrohysterogramm: Aufzeichnung der Akti-vität der Uterusmuskulatur

• Elektrodermatogramm: Aufzeichnung der elek-trischen Potenzialverteilung auf der Haut

• Elektroneurogramm: Aufzeichnung von intra-zellulären elektrischen Potenzialen

10.2.2 Elektroenzephalogramm (EEG)

Bei dem Elektroenzephalogramm (EEG) werdenvon der Schädeloberfläche Potenzialschwankungenabgeleitet, die in der Hirnrinde entstehen. Die zu-grunde liegenden Ströme entstehen durch synapti-sche Prozesse in der Großhirnrinde (zerebraler Kor-tex). Die Entstehung von Feldpotenzialen und zu-gehörigen Magnetfeldern im Extrazellularraum desZentralnervensystems ist in der Abbildung 10.13skizziert.

Abbildung 10.13: Grundlagen der Entstehung vonPotenzialen (EEG) und Magnet-feldern (MEG).

Dort ist ein zunächst im Ruhezustand befindlicherlanggestreckter neuronaler Fortsatz (z.B. ein Den-drit) zu sehen. Der erste Schritt für die Entstehungbioelektrischer Signale ist die Aktivierung einerSynapse und die damit verbundene lokal begrenzteDepolarisation. Die zugehörigen “primären” trans-membranen Ionenströme sind durch den roten Pfeilin der Abbildung angedeutet. Als Folge davon ent-stehen entlang der Membran lokale Membranpoten-zialänderungen und Potenzialgradienten. Durch diePotenzialgradienten getrieben fließen “sekundäre”Ionenströme sowohl im intra- als auch im extrazel-lulären Raum. Der extrazelluläre Ionenstrom erzeugt

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10 Bioelektrische Quellen

am Widerstand des Extrazellularraums die Feldpo-tenziale, die im EEG dargestellt werden. Durch seinegrößere Bündelung ist der intrazelluläre Ionenstromin erster Linie für die Ausbildung der Magnetfel-der verantwortlich, die im Magnetoenzephalogramm(MEG) gemessen werden. Diese Magnetfelder sindsenkrecht zum Stromfluss orientiert.

Intr

azel

lulä

re A

blei

tung

Extrazelluläre Ableitung

Abbildung 10.14: Entstehungsmechanismen derFeldpotenziale in der Hirnrinde.

Abbildung 10.14 zeigt, wie die einzelnen Feld-potenziale in der Hirnrinde entstehen. Abgebildetist ein langgestrecktes, vertikal orientiertes Neu-ron der Hirnrinde sowie 3 intrazelluläre Elektroden(Membranpotenziale) und 3 zugehörige extrazellulä-re Elektroden (Feldpotenziale). Ein Reiz (elektrischeStimulation) löst ein Aktionspotenzial in der afferen-ten Faser aus. Der Zeitpunkt der Reizauslösung ist inden Potenzialmessungen mit einem Punkt markiert.An den Synapsen erfolgt ein Einwärtsstrom von po-sitiv geladenen Ionen, und im Bereich der Mikro-elektrode 1 entsteht ein exzitatorisches postsynapti-sches Potenzial (EPSP). Durch die entstandene Po-tenzialdifferenz zu den übrigen Membranabschnit-ten (Plus- und Minuszeichen in der Abbildung) er-folgen intra- und extrazelluläre Ionenströme (in derAbbildung durch unterbrochene Pfeile dargestellt).Durch den Zufluss positiver Ladungen finden auchim Bereich aller Mikroelektroden Depolarisationenstatt, die mit zunehmendem Abstand in Amplitudeund Steilheit abnehmen. Der Abstrom von positi-ven Ionen aus dem Extrazellularraum in das Neu-ron erzeugt im Bereich der oberflächennahen extra-zellulären Elektrode 1 ein negatives Feldpotenzial.Da die positiven Ionen auf die extrazelluläre Elek-trode 3 zuströmen, wird dort ein positves Feldpoten-zial gemessen. Am Umkehrpunkt selbst (extrazellu-

läre Elektrode 2) ist kein Potenzial messbar. Wenndie aktivierte exzitatorische Synapse am tiefen Endedes Neurons liegt, dann kehren sich die Ionenströmeund die Vorzeichen der gemessenen Signale um.

Außer den EPSP gibt es auch inhibitorische postsyn-aptische Potenziale (IPSP), die dann entstehen, wennnegative Ionen einströmen oder postive ausströmen.Erfolgt die Aktivierung einer inhibitorischen Synap-se oberflächennah, dann kehren sich ebenfalls die Io-nenströme um, verglichen mit dem ausführlich be-sprochenen Fall für oberflächennahe exzitatorischeSynapsen.

Die Auslösung einer wellenförmigen Potenzialfol-ge, die in der Regel beim Gehirn vorliegen, kommtdurch gruppierte Aktionspotenziale in der afferentenFaser zustande.

Abbildung 10.15: Entstehung einer wellenförmigenPotenzialfolge durch gruppierteAktionspotenziale einer afferen-ten Faser.

Die aufsteigenden Aktionspotenziale erzeugen anden oberflächlichen Dendriten des Neurons einzelneEPSP, die sich überlagern zu größeren Depolarisatio-nen. Es kommt zu wiederholten negativen Feldpo-tenzialschwankungen an der Hirnoberfläche. Wenndie afferenten Impulsgruppen periodisch aufeinan-der folgen, dann sind die Potenzialschwankungen si-nusförmig. Die sinusförmigen Signalschwankungenwerden mit Wechselspannungsverstärkern registriertund als EEG bezeichnet.

10.2.3 Messung

Bei dem Menschen werden verschiedene Elektrodenam Schädel platziert, um die Ableitungen zu messen.

Zusätzlich zu den sogenannten differenten Elektro-den, die unmittelbar oberhalb der Hirnrinde ange-bracht werden, gibt es noch Referenzelektroden anPunkten des Kopfes, deren Potenzialschwankungenweniger von der Hirntätigkeit abhängig sind. Bei

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Abbildung 10.16: Ableitetechnik EEG.

Abbildung 10.17: Ableitungschema beim EEG undBeispielmessung.

einer bipolaren Ableitung wird die Spannung zwi-schen zwei differenten Elektroden gemessen. Schal-tet man eine differente Elektrode gegen eine Refe-renzelektrode, dann spricht man von einer unipola-ren Ableitung.

In der oberen Kortexschicht entstehen EEG-Wellenunterschiedlicher Amplitude und Frequenz. Die Fre-quenzen des EEG werden in 4 Frequenzbänder ein-geteilt.

Grundrhytmus in Ruhe

Sinnesreiz, emotionale

Erregung

Schlaf bei Erwachsenen

Tiefschlaf

Frequenz [Hz]

8-13

14-30

4-7

0,5-3,5

Abbildung 10.18: Die 4 Frequenzbänder des EEG.

Welche Frequenz dominiert, hängt unter anderemvon dem Reifegrad des Gehirns ab. Im Säuglings-

und Kleinkindalter dominieren J - und d -Wellen, diemit zunehmendem Alter durch a- und b -Wellen ab-gelöst werden. Außerdem hängt die Frequenz vomAktivitätsniveau des Gehirns ab. Bei einem Erwach-senen treten im inaktiven Wachzustand bei geschlos-senen Augen a-Wellen auf, die beim Augenöffnenin b -Wellen übergehen (siehe Abbildung 10.17).Beim Übergang in den Schlaf treten zunächst J -Wellen, und im Tiefschlaf d -Wellen auf.

Abbildung 10.19: Erlöschen der EEG-Tätigkeitbeim Sterben eines Menschen.

Mit dem Hirntod erlischt das EEG irreversibel (Null-Linien-EEG). Meistens geht diesem eine Phase mitsehr langsamen, unregelmäßigen Wellen vorraus, dieein Koma anzeigen. Das Null-Linien-EEG dient mitanderen Parametern als Todeskriterium.

10.2.4 Evozierte Potenziale

Bisher wurden nur “spontane EEGs” betrachtet, dasheißt ohne sensorische Reizung von außen. Die Po-tenzialänderungen, die an verschiedenen Punktendes Nervensystems als Folge von Sinnesreizung oderim peripheren Gewebe entstehen, heißen evoziertePotenziale. Die Ableitungen erfolgen an der Wir-belsäule oder der Schädeldecke. Durch eine gezielteReizung kann unter anderem die Reizleitung von derPeripherie zum Kortex überprüft werden. Außerdemkönnen Zusammenhänge einer nervlichen Blockadeeinzelner Teile des Zentralnervensystems untersuchtwerden. Die vom Kortex abgeleiteten sogenanntenevozierten Potenziale liefern die sicherste Informa-

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tion über die im Kortex ablaufenden Informations-übertragungsabläufe.

In der Regel besitzen evozierte Potenziale eine we-sentlich geringere Amplitude (Größenordung 1 . . .10µV) als die überlagerten EEG-Signale und sie ver-schwinden in der Regel im Rauschen. Da sie aber mitdem auslösenden Reiz, dessen Zeitverlauf bekanntist, korreliert sind, kann eine häufige Wiederholungund Mittelung der Signale die evozierten Potenzia-le sichtbar machen. Die Repetitionszeit der � 1000Wiederholungen beträgt je nach Anwendung zwi-schen 10 ms und 5 s.

Bei somatosensorisch evozierten Potenzialen (SEP)wird ein peripherer Nerv gereizt, um Funktions-prüfungen der afferenten Nerven vorzunehmen. DieReizung kann mechanisch oder direkt (gepulst) elek-trisch erfolgen. Abweichungen der Reizleitungsge-schwindigkeit vom Normwert geben Hinweise aufKrankheitsprozesse. SEPs werden außerdem noch inder Hirnforschung eingesetzt.

Akustisch evozierte Potenziale (AEP) werden durchdie Reizung der Basilarmembran im Innenohr durchSchallwellen angeregt. Die Schallwellen sind ent-weder monochromatisch oder breitbandige Klick-Laute. Durch AEPs kann die akustische Wahr-nehmung untersucht werden. Das dient zum einender Diagnostik, zum anderen aber auch der Be-stimmung der Anästhesietiefe, da das akustischeWahrnehmungssystem anscheinend bei zunehmnen-der Schlaftiefe zuletzt abgeschaltet wird.

Bei visuell evozierten Potenzialen (VEP) wer-den gepulste Blitzlampen (nur Helligkeitsreiz) oderSchachbrettmuster mit langsamem (1 Hz) oderschnellem (14 Hz) Wechsel der Felderfarben be-nutzt. Wegen der räumlichen Nähe von Retina undvisuellem Kortex ist die Festlegung des Ableitungs-ortes für die Beurteilung besonders wichtig. MitVEPs werden nicht nur die visuelle Sinneswahrneh-mung untersucht; sie werden auch eingesetzt umMultiple Sklerose (MS) zu diagnostizieren. Die er-sten Symptome für MS sind Verlängerungen der La-tenzen der VEP.

Generell sind bei EP in der Diagnostik die Amplitu-denänderungen und die Laufzeitunterschiede der Si-gnale von Bedeutung.

10.2.5 Vektorkardiographie

Im Abschnitt 3.4.4 wurde die Herzmuskelerregungund das Zustandekommen des normalen EKGs er-klärt. Die Erregung des Arbeitsmyokards führt zuPotenzialschwankungen im Herzen. Diese sind ab-geschwächt über die Extrazellularflüssigkeit an derKörperoberfläche messbar im Bereich von 1 mV.Unerregte Stellen des Myokards sind außen positivgegenüber erregten. Jede erregte Zelle wirkt als elek-trischer Dipol, und die Vektorsumme aller erregtenZellen ergibt den resultierenden elektrischen Dipol,auch Integralvektor oder Herzvektor genannt.

Kombiniert man mehrere Ableitungen von normalenEKGs miteinander, so kann man das EKG vektoriellinterpretieren.

Abbildung 10.20: Zusammenhang zwischen norma-lem EKG und der Vektorkardio-graphie.

Bei der Vektorkardiographie wird das Kreisen derDipolspitze im Verlauf des Herzzyklus aufgezeich-net.

Die Richtung des größten Integralvektors (R-Zackeim EKG) definiert die elektrische Herzachse. Diesestimmt in der Regel mit der anatomischen Lage desHerzens überein, die so bestimmt werden kann.

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Abbildung 10.21: Prinzip der Vektorkardiographie.

10.3 Messtechniken

10.3.1 Lead fields

Zu der Abbildung bioelektrischer Ströme tragengrundsätzlich alle zur Messzeit aktiven Stromdipolebei. Es ist nicht möglich, nur eine Projektion aufzu-nehmen wie es z.B. in der CT gemacht wird. Manmuss genauer bestimmen, welche möglichen Strom-dipole ~pi im Körper in welchem Maße zu dem Si-gnal eines spezifischen Elektrodensignals beitragen.Zu jedem gegebenen Elektrodenpaar gibt es ein leadfield (lead = Zuführung, Elektrode)~a(~r), so dass dasvon dem Elektrodenpaar gemessene Signal eines be-liebigen Stromdipols ~p durch

U =~a(~r) ·~p

gegeben ist. Solche lead fields wurden für verschie-dene Elektrodenanordnungen bestimmt.

Abbildung 10.22: Lead fields von Elektroden undMagnetometern eines Kopf-modells.

Zur Modellierung der lead fields von Elektroden(und Magnetometern) auf einem Kopf wurden 3 Ku-gelschalen benutzt, die unterschiedliche Leitfähig-

keiten besitzen: für die Haut, für die Knochen undfür das Gehirn. Man erkennt, dass die Empfindlich-keit für Stromdipole in der Nähe der Elektroden amgrößten ist, und diese schnell mit wachsendem Ab-stand abfällt.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem leadfield eines Elektrodenpaars und der Stromdichtever-teilung im Körper, die sich ergeben würde, wennman in das gleiche Elektrodenpaar einen Strom ein-speist (Reziprozitätstheorem). Dieses Reziprozitäts-theorem ist nützlich, um lead fields zu bestimmenoder abzuschätzen.

10.3.2 Auswertung bioelektrischer Daten

Das “Vorwärts-Problem” ist, aus einer gegebenenStromdipolverteilung die Potenziale (und Magnet-felder) außerhalb des Körpers zu berechnen. DieseProbleme besitzen immer eine eindeutige Lösung.Das ist bei dem inversen Problem, der Bestimmungder unbekannten Stromdipolverteilung aus den ge-messenen Potenzialen (und Magnetfeldern), nichtder Fall.

Bei der Rekonstruktion bioelektrischer Ströme tre-ten zwei Schwierigkeiten auf: das Problem ist un-terbestimmt d.h. die Zahl der Unbekannten ist klei-ner als die Zahl der Messgrößen, und es ist oft“schlecht gestellt”. Darunter versteht man, dass klei-ne Messfehler bereits zu großen Fehlern bei den re-konstruierten Strömen führen können. Es gibt alsosehr viele Lösungen, die zu den Messungen “pas-sen”. Ein schlecht gestelltes Problem tritt in diesemZusammenhang immer dann auf, wenn es Stromdi-polverteilungen gibt, die außerhalb des Körpers kei-ne oder nur sehr kleine Potenziale erzeugen (soge-nannte “stille Quellen”).

Häufig ist die Modellierung von bioelektrischenStrömen im Körper durch einen einzigen Stromdi-pol möglich. Bei der Rekonstruktion soll der Ortund die Richtung des Dipols gefunden werden. Jetztist das Problem überbestimmt, und per Fit werdendie “Vorwärts-Rechnungen” an die Messdaten ange-passt. Diese Art der Auswertung eignet sich auch fürdynamische Beobachtungen und kann auch, wenn

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ein physiologischer Grund für die Erweiterung vor-liegt, auf mehrere Stromdipole erweitert werden.

Es ist auch möglich, Ströme nur auf vorher festge-legten Punkten zu messen und dann danach zu fra-gen, wie groß die Ströme an diesen Punkten warenund in welche Richtung sie gezeigt haben. Der Nach-teil ist die Festlegung der Messpunkte vor der Daten-aufnahme, die idealerweise anhand von physiologi-schen Überlegungen sinnvoll für die Fragestellungfestgelegt werden. Der Vorteil ist die leichte Rekon-struktion der Ströme. Alle Messwerte, die in demVektor ~U zusammengefasst werden, hängen über dielead field Matrix a(~r) mit dem Stromdipol ~p(~r) zu-sammen:

~U = a(~r) ·~p(~r) .

Bei mehreren aktiven Dipolen an den Orten ~r �~rNgilt der Überlagerungssatz, dass die Beiträge aller NDipole zu einer gesamten Elektrodenspannung ad-diert werden können. Damit ergibt sich eine großeMatrixgleichung mit der gesamten lead field MatrixA:

~U = A(~r1,~r2, . . . ,~rN) ·~p(~r1,~r2, . . . ,~rN) .

Wenn die Matrix A für eine Kombination aus be-stimmten Elektrodenpaaren und möglichen Strom-dipolen berechnet wurde, dann kann man für je-de mögliche Auswahl von Stromdipolen sofort diezu erwartenden Spannungen errechnen. Die Berech-nung der Matrix ist nicht einfach, insbesondere beikomplexeren Volumenleitermodellen, aber wegendieser Universalität (wenn sich die Dipolorte nichtverändern) sehr nützlich. Das schon angesprochene“inverse Problem” ist mathematisch gesehen das Be-rechnen der inversen lead field Matrix A�1, mit de-ren Hilfe die Stromdipole einfach berechnet werdenkönnten:

~p(~r1,~r2, . . . ,~rN) = A�1(~r1,~r2, . . . ,~rN) ·~U

10.3.3 Detektoren

Die Aufnahme elektrischer Spannungs- oder Strom-signale an der Körperoberfläche erfolgt im Allge-meinen durch auf die Haut aufgesetzte Elektro-den. Für spezielle Anwendungen können sie auch

in das Körpergewebe eingestochen werden. DerOhm’sche Kontaktwiderstand sollte selbstverständ-lich möglichst klein gehalten werden. Daher werdengroßflächige Elektroden verwendet, wann immer ei-ne räumliche Ortsdifferenzierung der Signale nichtdagegen spricht. Für den Kontaktwiderstand werdenWerte von 100W im Allgemeinen als ausreichendbetrachtet.

Bei der Messung biomagnetischer Signale benötigtman nicht nur einen Detektor mit einem sehr gu-ten Signal-zu-Rausch-Verhältnis, sondern muss auchdie Störsignale abschirmen, die meistens um vieleGrößenordnungen stärker sind als die Signale (sie-he 10.1.7). Die empfindlichste Methode zur Mes-sung von Magnetfeldern beruht auf der Ausnut-zung des Josephson-Effektes. Er nutzt den Tunnel-effekt durch eine dielektrische Barriere zwischenzwei Supraleitern aus. Als Detektor werden daher inder Magneto-Enzephalographie beziehungsweise -Kardiographie SQUIDs (Superconducting QuantumInterference Devices) benutzt. Störsignale werdenabgeschirmt durch magnetisch abgeschirmte Kabi-nen und Filter.

10.3.4 Supraleiter

Die herausragendsten Eigenschaften eines Supralei-ters (SL) sind:

• Verschwindender elektrischer DC-Widerstand

• SL sind perfekte Diamagnete, d. h. cm = �1.Als Folge davon ist das Innere des SL magnet-feldfrei (Meissner-Ochsenfeld-Effekt).

• Ein SL verhält sich gewöhnlicherweise so, alsob eine Energielücke 2D um die Fermi-EnergieEF herum zentriert existieren würde. Ein Elek-tron der Energie E kann nur dann aufgenom-men (oder entfernt werden), wenn (E � EF)(oder (EF �E)) größer ist als D. Die Größen-ordnung der Energielücke ist D ⇡ 1meV .

• Die supraleitenden Eigenschaften treten unter-halb der sogenannten kritischen Temperatur Tcauf. Häufig tritt der Isotopen-Effekt auf: Tc ⇠p

M. Die Tatsache, dass die kritische Tempera-tur von der Masse M der Atome abhängt, ist ein

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Hinweis darauf, dass deren Schwingungen eineaktive Rolle beim Übergang in den supraleiten-den Zustand spielen (Phononen!).

• Der magnetische Fluss F durch einen ringför-migen SL ist quantisiert: F = n ·F0 = n · h

2e .

F0 = 2 ·10�15 Tm2 = 2 ·10�15 Wb

ist das elementare Flussquantum.

Die qualitative Erklärung für diese Effekte beruhtdarauf, dass der Strom im SL nicht durch einzelneElektronen übertragen wird, sondern durch Elektro-nenpaare, die sog. Cooper-Paare. Diese sind Boso-nen und können deshalb alle den gleichen Grundzu-stand des Systems besetzen. Die Paarung der Elek-tronen kommt bildlich gesehen dadurch zustande,dass ein durch das Gitter laufendes Elektron dasGitter deformiert, so dass ein ihm gleichzeitig ent-gegenlaufendes Elektron eine stärkere Anziehungspürt. Diese über ein Phonon vermittelte Kopplungzwischen zwei Elektronen ist energetisch günstig,wenn Spin und Impuls der beiden Elektronen an-tiparallel ausgerichtet sind. Die beiden Elektronenund die Gitterdeformationen bilden ein Quasiteil-chen (Cooper-Paar). Wegen Sges = 0 sind sie Boso-nen, und es können daher makroskopische Quanten-zustände (z.B. Bose-Einstein-Kondensation) auftre-ten.

Bei SL 1. Art besteht der perfekte Diamagnetismusund die Supraleitung nur bis zu einem äußeren kri-tischen Feld Hc. SL der 2. Art verhalten sich bis zueinem ersten kritischen Feld Hc1 wie die SL 1. Art.Beim ersten kritischen Feld dringen die Feldlinienebenfalls in das Material ein, aber die Magnetisie-rung sinkt nicht auf Null. Diese teilweise supralei-tende Eigenschaft bleibt bis zu einem zweiten kriti-schen Feld Hc2 erhalten, das um mehrere Größenord-nungen über dem Feld Hc1 liegen kann. Für Typ 2 SLliegt dieses technisch wichtige zweite kritische Feldim Bereich von bis zu 50 T. Typ 2 SL sind größten-teils Legierungen, während Typ 1 SL eher Elemen-te sind. Darüber hinaus gibt es auch organische Su-praleiter (Polymere), sowie keramische Materialien(Hochtemperatursupraleiter), die oberhalb der kriti-schen Temperatur Isolatoren sind.

10.3.5 Josephson-Effekt

Wenn zwei SL durch eine dünne isolierende (dielek-trische) Barriere getrennt sind (Josephson-Kontakt),dann ist es möglich, dass einzelne Elektronen durchdiese Barriere hindurchtunneln können. 1962 sagteB. D. Josephson voraus, dass zusätzlich zum norma-len Tunnelstrom von einzelnen Elektronen ein Tun-nelstrom von Elektronenpaaren existiert, wenn dieTunnelbarriere nicht zu dick ist. Solche Elektronen-paare können auch in der Abwesenheit von äuße-ren elektrischen Feldern auftreten. Da dieser Bei-trag durch Cooper-Paare geliefert wird, ist er verlust-frei und damit ohne Spannung über dem Josephson-Kontakt. Dies wird als DC Josephson-Effekt be-zeichnet.

Abbildung 10.23: Josephson-Kontakt.

In der Abbildung 10.23 ist ein Josephson-Kontaktskizziert. Die angeschriebenen Wellenfunktionen Yisind die Wellenfunktionen aller Elektronen in demSL i = 1,2 (makroskopischer Quantenzustand). DieKopplung durch den Isolator wird durch eine Kon-stante K beschrieben. Die gekoppelten Schrödinger-Gleichungen der Wellenfunktionen Yi lauten

∂Y1

∂ t= � i

h̄(U1Y1 +KY2) ,

∂Y2

∂ t= � i

h̄(U2Y2 +KY1) .

Wenn auf beiden Seiten der Tunnelbarriere das glei-che Material benutzt wird, dann gilt zusätzlich U1 =U2. Wenn ein elektrisches Feld (DC Potenzial V )über die Tunnelbarriere angelegt wird, dann ist U1 �

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U2 = qV , und bei der Wahl des Energienullpunkts inder Mitte zwischen U1,2 erhält man:

∂Y1

∂ t= � i

qV2

Y1 +KY2

,

∂Y2

∂ t= � i

�qV2

Y2 +KY1

.

Mit den Ansätzen

Yi =p

ni eiji ,

wobei ni = |Yi|2 die Dichte der Elektronen in i= 1,2darstellt und ji die jeweilige Phase der Wellenfunk-tion ist, erhält man für die Beträge der Zustandsfunk-tionen die Gleichung

∂n1

∂ t=

2Kh̄p

n1n2 sin(j2 �j1)

= �∂n2

∂ t

und für die Phasen

∂j1,2

∂ t=

Kh̄

r

n2

n1cos(j2 �j1)⌥

qV2h̄

.

Mit der Abkürzung d := j2 � j1 wird der Stromdurch die Tunnelbarriere

IT = q∂n1

∂ t·V1 =

2Kqh̄

pn1n2 sind ·V1 ,

wobei V1 das Volumen des SL i = 1 ist. Die exter-ne Stromquelle liefert Elektronen nach, es gibt keineAufladung eines SL.

Aus der Differentialgleichung für die Phasen folgtaußerdem

∂d

∂ t=

qVh̄

,

und da die Ladungsträger Elektronenpaare sind, q =2e, gilt

d =2eV

h̄t +d0 .

Daher ergibt sich an den Kontakten ein oszillierenderSuprastrom (AC Josephson-Effekt) mit der Kreisfre-quenz

wJ =2eV

h̄.

Eine Gleichspannung von V = 1 µV erzeugt so ei-ne Frequenz von 483,6 MHz. (Umgekehrt kann einelektrisches Wechselfeld einen Gleichstrom durchden Kontakt verursachen.)

Befindet sich ein Josephson-Kontakt in einem Ma-gnetfeld, so tritt ein Phasenfaktor auf, der durch dasVektorpotenzial ~A (~—⇥~A = ~B) bestimmt ist:

Y(~r)! Y(~r) · eiqh̄R

d~r~A(~r) .

10.3.6 SQUID

Befinden sich zwei parallel geschaltete Josephson-Kontakte in einem Magnetfeld (DC-SQUID), danntritt an den beiden Kontakten ein Gesamtstromauf, der mit dem Fluss, der den Kreis aus beidenJosephson-Kontakten durchdringt, oszilliert.

Abbildung 10.24: SQUID.

Die Phasenänderungen längs der beiden Wege ist

D1 = d1 +2eh̄

Z

Weg1d~r~A ,

D2 = d2 +2eh̄

Z

Weg2d~r~A .

Diese müssen gleich sein, und der Phasenunter-schied ist proportional zum magnetischem Fluss Fdurch die Schleife:

d2 �d1 =2eh̄

I

Cd~r~A

=2eh̄

Z Z

F(C)d~f ~—⇥~A

=2eh̄

Z Z

F(C)d~f ~B =

2eh̄

F .

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10 Bioelektrische Quellen

Der gesamte Strom durch beide Josephson-Kontakteist gegeben durch die Summe der Ströme durch dieeinzelnen Kontakte:

IS = I0

n

sin⇣

d0 +eh̄

F⌘

+ sin⇣

d0 �eh̄

F⌘o

= I0 sind0 cos✓

eFh̄

.

d0 ist die (unbekannte) intrinsische Phasendifferenzüber dem einzelnen Josephson-Kontakt und F ist dermagnetische Fluss durch den Ring. Der Tunnelstromerreicht ein Maximum wenn eF/h̄ ein ganzzahligesVielfaches von p ist. Aus der Periode des Tunnel-stroms lässt sich also der magnetische Fluss F unddamit auch die Stärke des Magnetfeldes bestimmen.

Abbildung 10.25: Strom durch ein SQUID als Funk-tion des Magnetfeldes.[12]

Bei den medizinischen Anwendungen ist vor allemdie Messung sehr schwacher Felder, respektive Feld-änderungen interessant. Dies wird am Besten er-reicht, wenn man das externe Feld durch ein kontrol-liertes Gegenfeld kompensiert und dabei den Strommisst, den man anlegen muss, um auf dem Arbeits-punkt zu bleiben.

10.3.7 Andere Magnetometer

SQUIDs sind momentan die am weitesten verbrei-teten Geräte zur Messung von biomagnetischen Fel-dern. Es gibt jedoch Alternativen, welche nicht mitflüssigem Helium betrieben werden müssen. EineVariante sind Magnetometer, welche als Mediumgasförmige Alkalimetalle verwenden, vor allem Ru-bidium [19].

Abb. 10.26 zeigt als ein Beispiel ein Magnetokardio-gramm, also das zeitabhängige Magnetfeld, welchesvom Herzen rezeugt wird. Es wurde mit 19 Sensorenauf der Basis von Rb-Gas gemessen [19].

Abbildung 10.26: Magnetokardiogramm, gemessenmit 19 Sensoren[19].

Eine weitere Möglichkeit sind Defekte in Diamant,die sogenannten NV-Zentren, welche sogar als ein-zelne atomare Defekte für die Messung von Magnet-feldern genutzt werden können [16].

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