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2. Das Wort2.3 Wortbildung: a) Grundbegriffe
1. Arbeitsschritt Segmentierung:Morph: noch unklassifizierte Bedeutungseinheit der Sprache auf der
Ebene der parole :
z.B. Haus-tür-fenster-chen, Ab-sperr-ung-en
2. Arbeitsschritt Klassifikation: zwei Möglichkeitena) Morphem: kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache
(abstrakt auf der Ebene der langue)
z.B. {haus}, {tür}, {fenster}, {ab}, {sperr}, {ung}
b) Allomorph: eine von mehreren Realisierungsmöglichkeiten eines Morphems, d.h. eine Einheit der parole
z.B. {chen, lein} mit verkleinernder Bedeutung, {s, e, en, er} mit der Bedeutung Plural
2. Das Wort2.3 Wortbildung: a) Grundbegriffe
Morphologie: Lehre von den kleinsten Bedeutungseinheiten der Sprache (Zeichen)
Arbeitsfelder: Flexion und Wortbildung
Wortbildung = Kreation neuer Lexeme aus dem bekannten (ggf. auch fremdsprachigen) Morphembestand einer Sprache:
• in der Regel morphologisch stabil (keine Flexion im Inneren)• strukturell fest (intern lexikalisch nicht mehr erweiterbar)• in der Regel in der Bedeutung durchsichtig (unter synchroner
Perspektive)
Zu unterscheiden von Wortformen (= Flexion) und Wortschöpfungen!
2. Das Wort2.3 Wortbildung: a) Grundbegriffe
Wortschöpfung: Kreation völlig neuer Morpheme aus Lauten (unter Berücksichtung der Kombinationsregeln eines Sprachsystems, z.B. im Deutschen nur Kombinationen wie spr, spl, str, aber nicht *tsr, *prz).
Nachteile der Wortschöpfung gegenüber der Wortbildung: wegen völliger Arbitrarität mehr Motivations-, Lern- und Akzeptanzprobleme
Vorteile der Wortschöpfung gegenüber der Wortbildung: frei für neue Bedeutungen und Konnotationen ohne störende „Traditionen“ (z.B. Markennamen, Zahlen-Buchstaben-Kombinationen im Fachwortschatz)
2. Das Wort2.3 Wortbildung: b) Morphemtypen
1) Grund-/Basis-/lexikalische Morpheme: {haus} {trink} {schön}
2) Grammatische Morpheme/Affixe:
a) Flexionsmorpheme: z.B. {st}, {s}, {en}; Verb- und
Substantivendungen, die zum Zwecke grammatischer
Anpassung Wortformen bilden:
Lexem1 + Flexionsmorphem = Lexem1
b) Wortbildungsmorpheme: z.B. {ab}, {miss}, {ver}, {lich}, {ung},
{el}; dienen der Bildung neuer Wörter und werden der Position
nach unterschieden in Präfixe, Suffixe und ZirkumfixeLexem1 + Wortbildungsmorphem = Lexem2
Grundmorpheme können frei oder gebunden vorkommen,
grammatische Morpheme prinzipiell nur gebunden.
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
Übersicht:
A) mit UK-Struktur (d.h. mit unmittelbaren Konstituenten):• Komposition (mit Zusammenrückung): zwei wortfähige UK • Explizite Derivation (mit Zusammenbildung): eine wortfähige UK
B) ohne UK-Struktur• Konversion (mit impliziter Derivation): mit Wortartwechsel• Kurzwortbildung: ohne Wortartwechsel
C) Weitere Verfahren
Kontamination und Reduplikation
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
1) Komposition:
• Wort + Wort bzw. Grundmorphem + Grundmorphem
• binäre Struktur, evtl. auf mehreren Ebenen: Haus-tür, Haus-tür-
schlüssel ((A+B)+C), Land-schul-heim (A+(B+C))
• keine Flexion im Inneren mehr
• aus lautlichen Gründen sind Fugenelement zwischen den UK
möglich (Les-e-stunde, Wald-es-rand); urspr. Flexionsendungen,
heute kein Morphemstatus mehr
• unterschiedliche Wortbildungsbedeutungen möglich: vgl.
Marmorkuchen (nach Aussehen), Nusskuchen (nach Zutat),
Hundekuchen (nach Bestimmung)
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
1) Komposition:
a) Determinativkompositum:• häufigste Form der Komposition• Erstglied (= Bestimmungswort) bestimmt das Zweitglied (=
Grundwort) semantisch näher• Grundbedeutung des Kompositums im Grundwort enthalten (=
endozentrisches Bedeutungsverhältnis)• Zweitglied legt Wortart und Genus fest• UK also nicht vertauschbar, sondern in subordinativem Verhältnis
Z.B. Haus-tür, Lehn-stuhl, schwing-schleifen, (Form-schinken)-semmel
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
1) Komposition:
b) Possessivkompositum:• Sonderform des Determinativkompositums• Erstglied (= Bestimmungswort) bestimmt das Zweitglied (=
Grundwort) semantisch näher (= subordinatives Verhältnis)• aber: Grundbedeutung des Kompositums NICHT im Grundwort
enthalten (= exozentrisches Bedeutungsverhältnis)• bezeichnet bes. Personen, Tiere oder Pflanzen über deren
Eigenschaften („possessiv“), z.T. im metaphorischen Sinn
Z.B. Kahl-kopf, Blond-schopf, Nas-horn, Schlapp-schwanz
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
1) Komposition:
c) Kopulativkompositum:• Erstglied und Zweitglied haben die gleiche Wortart und sind
semantisch gleichberechtigt (= koordinatives Verhältnis)• Glieder theoretisch austauschbar, aber Reihenfolge in der Regel
durch Konventionen fest geworden (nass-kalt, nicht kalt-nass)• Bedeutungsparaphrase mit ‚und‘
Z.B. nass-kalt, blau-grün, süß-sauer, Fürst-bischof, Strumpf-hose,
Hosen-rock
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
1) Komposition:
d) Explikativkompositum:• determinative Struktur, semantisch aber eher kopulativ (dabei
redundant/tautologisch)• Erstglied greift semantischen Teilaspekt des in der Regel
fremdsprachigen Zweitglieds noch einmal auf, um die Bedeutung zu
verdeutlichen• stilistisch oft fragwürdig
Z.B. Fach-Experte, Einzel-individuum, Rück-antwort
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
2) Explizite Derivation:
• Grundstruktur: Basis + Wortbildungsmorphem
• mögliche Basen: lexikalisches Morphem, Morphemkombination oder
Wortgruppe
• immer semantische Modifikation (Bedeutungsveränderung): gießen
- eingießen, Mut - Unmut, Kind - kindisch/kindlich
• oft auch Transposition (d.h. Wortartwechsel): Kind - kindisch,
trink(en) - trinkbar, lieb(en) - Lieb-e
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
2) Explizite Derivation:
a) Präfixderivation/Präfigierung: Präfix + Basis (ver-lachen, Un-mut), Wortartwechsel nicht möglich
b) Sonderfall: Partikelverbbildung: Präfix + Basis, wobei Basis immer ein Verb ist und das Präfix im Satz als Verbzusatz eigenständig auftreten kann:an-laufen, über-laufen zu jmdm., ein-nehmen)
c) Suffixderivation/Suffigierung: Basis + Suffix (Lehr-er, Schön-heit, häus-lich, läch-el(-n)), Suffix bestimmt die Wortart
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
2) Explizite Derivation:
d) Zirkumfixderivation/Zirkumfigierung/kombinatorische Derivation: Zirkum- + Basis + -fix (ge-streif(en)-t, be-brill(e)-t), Zirkumfix bestimmt die Wortart
e) Zusammenbildung: Wortgruppe + Suffix (Liebhaber, Dickhäuter,
scharfzüngig)
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
3) Konversion:
• Transposition eines Wortes in eine andere Wortart ohne Zuwachs
des morphologischen Bestands, also ohne Wortbildungsmorphem
• Wortstamm bleibt unverändert
• häufige Konversionsrichtungen: Verb zu Substantiv (Stamm- oder
Infinitivkonversion), Adjektiv/Partizip zu Substantiv
• Sonderfall: Präfixkonversion: Präfix + Basis + Wortartwechsel (Ge-
setz, Ge-wühl)
Z.B. besuchen > der Besuch, laufen > der Lauf, lachen > das Lachen,
die/der/das Schöne > schön, der/die Studierende(r) >
studierend aber auch: das Opfer > opfern, Bild > bilden
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
3) Konversion:
Sonderfall: Implizite Derivation
• Wortartwechsel ohne Zuwachs des morphologischen Bestands,
aber mit Stammvokalwechsel
• Ausgangswort ist immer ein starkes Verb, das zu einem schwachen
Verb oder einem Substantiv abgeleitet wird
• historisches Verfahren, nicht mehr produktiv
Z.B. fallen > fällen, liegen > legen, sitzen > setzen
binden > Bund/Band, trinken > Trank/Trunk
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
4) Kurzwortbildung:
• Bildung einer Kurzform zu einer Langform
• Kurzwort (LKW, Azubi, Uni) zu unterscheiden von Abkürzung (bzw. ,
etc., u.a.): Kurzwort ist artikelfähig und sprechbar
• weitgehend synonym zur Langform, u.U. aber stilistische oder gar
semantische Unterschiede (vgl. Auto vs. Automobil, Cafete vs.
Cafeteria, BMW vs. Bayerische Motorenwerke)
• Langform kann in Vergessenheit geraten (Aids: acquired immuno
deficiency syndrome, Radar: radio detection and ranging)
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
4) Kurzwortbildung:
Klassifikationskriterien:• Unisegmentale vs. multisegmentale Kurzwörter: Uni vs. LKW• Silben- vs. Buchstabenkurzwörter (und Mischformen): DAAD vs.
Hiwi vs. Azubi, BAFöG• Kopfform, Schwanzform, Rumpfform, Klammerform: Auto vs. Bus
vs. Lisa vs. Küchenrolle
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
5) Kontamination (Wortkreuzung, Blending, Wortverschmelzung):
• Zusammenziehung von zwei unmittelbaren Konstituenten unter
Kürzung von Wortbestandteilen
• als Gelegenheitsbildungen üblich, werden zum Teil dann lexikalisiert
Z.B. verschlimmbessern, Kurlaub, Motel, Brunch, akadämlich
2. Das Wort2.3 Wortbildung: c) Wortbildungsverfahren
6) Reduplikation (reduplizierende Wortbildung):
• Verdopplung einer unmittelbaren Konstituente
a) Wiederholung: Kleinklein, Papa, Wauwau
b) Reimdopplung: Kuddelmuddel, Larifari, Techtelmechtel
c) Ablautdopplung: Schnickschnack, Singsang, Mischmasch
2. Das Wort
2.3 Wortbildung: d) Beispiel
Bundesausbildungsförderungsgesetz
bund es ausbildungsförderungsgesetz
{bind} ausbildungsförderung s gesetz
{ge}
{setz}
ausbildung s förderung
ausbild {ung} {förder} {ung}
{aus} {bild}
Kom
position
implizite Derivation
explizite D
erivation
Präfixkonversion
Semantische Paraphrase: ‚ein Bundesgesetz zur Förderung der Ausbildung‘
2. Das Wort2.3 Wortbildung: e) Motivation
1. Phonetisch-phonematische (lautliche) Motivation: Bsp. klimpern, rasseln, klickern, säuseln, monoton (= Onomatopoetika)
2. Figurative/metaphorische Motivation: Strom, Flaschenhals, Kindskopf
3. Morphosemantische Motivation (nur relevant bei komplexen Wörtern, führt zu „Wortfamilien“): z.B. Trinkbecher, Trinker, austrinken:
2. Das Wort2.3 Wortbildung: e) Motivation
Grade der morphosemantischen Motivation:– unmotiviert (= arbiträre Simplizia): Maus, Schule, Stunde, essen– vollmotiviert: Hütehund, Blindenhund, Stoffhund– teilmotiviert: Brombeere, Auerochse, Weltraum – demotiviert (idiomatisiert): Schornstein, Fledermaus,
Schmetterling– sekundäre Motivation („Volksetymologie“): mutter-seelenallein
( < frz. moi tout seul), mausetot (< nd. mursdod), Hängematte (< karib. hamaca)
– spontane Neumotivation/Remotivation: Löwen-Anteil, Hoch-Zeit
2. Das Wort2.3 Wortbildung: f) Prozess der Lexikalisierung
1. Ad-hoc-Bildung/Okkasionalismus/Gelegenheitsbildung
2. Stabilisierung
3. → Neologismus
4. Speicherung + Desemantisierung/Grammatikalisierung
5. → Lexem
oder
6a. Demotivation 6b. → Archaismus
7a. sekundäre Motivation 7b. Wortverlust
Fazit: Durch Nutzung bekannter Strukturschemata und bekannter Morpheme können durchschaubare neue Wörter gebildet werden, die nicht gelernt oder im Lexikon verzeichnet werden müssen.
2. Das Wort2.3 Wortbildung: g) Relevanz der Wortbildung für die
Text- und Stilbildung
1. Morphosemantische Motivation und grammatische Transposition
(Wortartwechsel) ermöglichen die Bildung von Wortfamilien und
deren Nutzung für den Textzusammenhang.
2. Die Regelhaftigkeit der Wortbildung ermöglicht einerseits kognitiv
entlastende Reihenbildung (z.B. Personenbezeichnungen mit -er/-
erin/-in) und andererseits bei Regelverstoß einen zusätzlichen
Aufmerksamkeitswert.
3. Komplexer Inhalt bei weniger komplexer Form (vgl. Paraphrasen)
ermöglicht Sprachökonomie und semantische Dichte.
4. Semantische Modifikationen durch Wortbildungsmittel ermöglichen
größere Ausdrucksgenauigkeit (Erst- oder Zweitbenennungen).