19
07.06.2017 1 Psychische Störungen bei Menschen mit Intelligenzminderung - eine fachliche Herausforderung für die Psychiatrie und für die Eingliederungshilfe Michael Seidel Bielefeld Theodor Fliedner Stiftung Sachsen gGmbH Symposium „Geistige Behinderung und seelische Gesundheit“ Hohndorf/Sa., 27.6.2017 Menschen mit Intelligenzminderung haben als Gruppe einen überdurchschnittlich hohen psychiatrischen Versorgungsbedarf. Diagnostik und Therapie sind oft – nicht immer – überdurchschnittlich komplex und aufwändig. Sie verlangen oft spezialisiertes Wissen, Handlungs- und Kommunikations- und Interpretationskompetenz. Das ambulante und das stationäre psychiatrische Regelversorgungssystem braucht Unterstützung durch spezialisierte Angebote. Die psychiatrischen Versorgungsangebote müssen eng mit den Hilfesystemen (u. a. Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe) der Betroffenen zusammenarbeiten. Dem System der Behindertenhilfe müss(t)en aufsuchende spezialisierte Angebote (Multiprofessionelle Konsulententeams) zur Verfügung stehen. Take-home-Messages Artikel 25: Gesundheit Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie für andere Menschen. Gesundheitsleistungen, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden. UN-BRK • Dsdfds • sdk Häufigkeit psychischer Störungen bei Menschen mit geistiger Behinderung Punkt-Prävalenz „mental-illhealth“ insgesamt: 40,9% Leichte GB: 34,4% Mittelgradige bis schwerste GB: 45,0% COOPER et al. , Br. J. Psychiatry 2007 Häufigkeit psychischer Störungen Punkt-Prävalenz „Problem behaviour“ Insgesamt: 22,5% Leichte GB: 13,1% Mittelgradige bis schwerste GB: 28,5% COOPER et al., Br. J. Psychiatry 2007 Häufigkeit psychischer Störungen Die Hälfte der festgestellten psychischen Störungen entfällt auf die Kategorie “Problemverhalten”

2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

1

Psychische Störungen bei

Menschen mit Intelligenzminderung

- eine fachliche Herausforderung für die Psychiatrie

und für die Eingliederungshilfe

Michael SeidelBielefeld

Theodor Fliedner Stiftung Sachsen gGmbH

Symposium

„Geistige Behinderung und seelische Gesundheit“

Hohndorf/Sa., 27.6.2017

• Menschen mit Intelligenzminderung haben als Gruppe einen

überdurchschnittlich hohen psychiatrischen Versorgungsbedarf.

• Diagnostik und Therapie sind oft – nicht immer – überdurchschnittlich komplex

und aufwändig.

• Sie verlangen oft spezialisiertes Wissen, Handlungs- und Kommunikations- und

Interpretationskompetenz.

• Das ambulante und das stationäre psychiatrische Regelversorgungssystem

braucht Unterstützung durch spezialisierte Angebote.

• Die psychiatrischen Versorgungsangebote müssen eng mit den Hilfesystemen

(u. a. Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe) der Betroffenen

zusammenarbeiten.

• Dem System der Behindertenhilfe müss(t)en aufsuchende spezialisierte

Angebote (Multiprofessionelle Konsulententeams) zur Verfügung stehen.

Take-home-Messages

Artikel 25: Gesundheit

• Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie für andere Menschen.

• Gesundheitsleistungen, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden.

UN-BRK

• Dsdfds

• sdk

Häufigkeit psychischer Störungen bei Menschen mit geistiger Behinderung

Punkt-Prävalenz „mental-ill health“

insgesamt: 40,9%

Leichte GB: 34,4%

Mittelgradige bis schwerste GB: 45,0%COOPER et al. , Br. J. Psychiatry 2007

Häufigkeit psychischer Störungen

Punkt-Prävalenz „Problem behaviour“

Insgesamt: 22,5%

Leichte GB: 13,1%

Mittelgradige bis schwerste GB: 28,5%

COOPER et al., Br. J. Psychiatry 2007

Häufigkeit psychischer Störungen

Die Hälfte der festgestellten psychischen Störungenentfällt auf die Kategorie “Problemverhalten”

Page 2: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

2

Ergebnisse der

BeB-Studie 2003

BeB-Studie

BeB-Studie BeB-Studie

Das Versorgungsparadoxon

Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung haben erhöhte Belastungen mit akuten und chronischen

Krankheiten sowie zusätzlichen Behinderungen.

Daraus resultiert ein erhöhter gesundheitsbezogener Versorgungsbedarf.

Im Widerspruch zum erhöhten medizinischen Versorgungsbedarf ist die Versorgung deutlich schlechter

als in der Durchschnittsbevölkerung.

Versorgungspolitisches Paradoxon

Page 3: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

3

• Dsdfds

• sdk

Verhaltensauffälligkeiten

Je schwerer die geistige Behinderung bzw. Intelligenzminderung,

desto komplexer ist die Behinderung (Mehrfachbehinderung).

Je schwerer die geistige Behinderung bzw. die Intelligenzminderung,

desto mehr treten psychische Störungen im Gewande von

„Verhaltensauffälligkeiten“ in Erscheinung.

Je schwerer die geistige Behinderung bzw. die Intelligenzminderung,

desto anspruchsvoller sind die Diagnostik und die

Differentialdiagnostik.

Verhaltensauffälligkeiten

• Die meisten psychischen Störungen zeigen sich auch im Verhalten;

manche sogar vor allem im Verhalten.

• Aber: Nicht alle Verhaltensauffälligkeiten stehen mit einer psychischen

Störung im weitesten Sinne im Zusammenhang

• Manche Verhaltensauffälligkeiten sind bloße Eigenarten der jeweiligen

Person

• Manche Verhaltensauffälligkeiten sind „normale“ Reaktionen von

Menschen mit geistiger Behinderung auf Ihre Umwelt

Verhaltensauffälligkeiten Verhaltensauffälligkeiten

Schwere der

Intelligenzminderung

Schwierigkeit der

Diagnostik

• Psychische Störungen im engeren Sinne

Krankheitsbilder sind mit Diagnosen nach ICD-10 ausreichend zu beschreiben

• Problemverhalten

Verhalten oder „Störungsbild“ ist nicht durch eine ICD-10-basierte Diagnose

ausreichend zu erklären

• Verhaltensphänotyp

Bestimmte Verhaltensweisen sind durch eine genetische Ursache des

Behinderungsbildes (mit-)bestimmt.

• Psychische Störungen infolge definierter exogener Schädigungsfaktoren

(Noxen)

• Epilepsiebezogene psychische Störungen

Psychische Störungen im weitesten Sinne Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten

Körperliche

Beschwerden

Psychische Störungen im weitesten Sinne

------------------------------------------------

Psychische

Störungen

im engeren

Sinne

Problem-

verhalten

Verhaltens-

Phäno-

typen

“Verhaltensauffälligkeiten”

Epilepsie-

bezogene

psych.

Störungen

Psych.

Störungen

infolge

definierter

exogener

Schäd.-

faktoren

Page 4: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

4

VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITENEbene der

Symptomatik

bzw. der

Bewältigung

Ebene der

Ursachen,

Bedingungen

usw.

Fehlerhaftes Spektrummodell

Psychische Störungen

Verhaltens-auffälligkeiten

Herausforderndes Verhalten

Bilden Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen

die Extrempunkte eines Spektrums?

NEIN!

Sie gehören unterschiedlichen Ebenen an

Anmerkungen zum Spektrummodell• Psychische Störungen im engeren Sinne

Krankheitsbilder sind mit Diagnosen nach ICD-10 ausreichend zu beschreiben

• Problemverhalten

Verhalten oder „Störungsbild“ ist nicht durch eine ICD-10-basierte Diagnose ausreichend

zu erklären

• Verhaltensphänotyp

Bestimmte Verhaltensweisen sind durch eine genetische Ursache des Behinderungsbildes

(mit-)bestimmt.

• Psychische Störungen infolge definierter exogener Schädigungsfaktoren (Noxen)

• Epilepsiebezogene psychische Störungen

Psychische Störungen im weitesten Sinne

• Dsdfds

• sdk

Problemverhalten

Punkt-Prävalenz „Problem behaviour“

Insgesamt: 22,5%

Leichte GB: 13,1%

Mittelgradige bis schwerste GB: 28,5%

COOPER et al., Br. J. Psychiatry 2007

Häufigkeit psychischer Störungen

Die Hälfte der festgestellten psychischen Störungenentfällt auf die Kategorie “Problemverhalten”

Page 5: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

5

In ihrer Symptomatik sehr verschiedene Störungsbilder, die durch eine ICD-10-basierte Diagnose nicht ausreichend beschrieben bzw. erklärt werden können.

Sie können nur aus der Wechselwirkung der individuellen Dispositionen (vor allem emotionales Entwicklungs-niveau und Funktionsbeeinträchtigungen) mit den Anforderungen und Gegebenheiten der Umwelt (soziale und physische Umwelt) erklärt werden.

Problemverhalten

• Problemverhalten ist die Grundlage der Mehrzahl psychischer

Auffälligkeiten, Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit

geistiger Behinderung.

• Problemverhalten tritt in verschiedenen Erscheinungsformen auf.

• Problemverhalten ist keine individualpathologische

Eigenschaft der betroffenen Person, sondern eine Eigenschaft

des Person-Umwelt-Systems.

Problemverhalten

DC-LD (Royal College of Psychiatrists, 2001)

Definition von Problemverhalten

- Häufigkeit, Schwere oder Frequenz des Verhaltens verlangt klinisches Assessment und spezielle Intervention.

- Verhalten ist keine direkte Folge psychischer Störungen, Medikamente oder körperlicher Krankheiten.

- Eines der folgenden Kriterien muss vorliegen:

- Wesentlicher negativer Einfluss auf die Lebensqualität des Betroffenen oder Dritter

- Verhalten bewirkt wesentliches Risiko für die Gesundheit oder für die Sicherheit des Betroffenen oder Dritter.

Definition

• Dsdfds

• sdk

Die unzulängliche Person-Umwelt-Passung als

Kern des Problems beim Problemverhalten

Person-Umwelt-Passung

Umwelt

Person

Unzulängliche Person-Umwelt-Passung

Umwelt

Person

Die Umwelt überfordert die

Person und ihre

Verhaltensdispositionen

Page 6: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

6

Problemverhalten

– Vorstellung eines Modells

Praxisleitlinien und Prinzipien

Practice Guidelines and Principles: Assessment,

Diagnosis, Treatment and Related Support Services for

Persons with Intellectual Disabilities and Problem

Behaviour. European Edition.

A. Dosen, W. I. Gardner,

B. D. M. Griffiths,

R. King, A. Lapointe

Praxisleitlinien und Prinzipien

Download

www.dgsgb.de

Materialien

Bd. 21

DC-LD (Royal College of Psychiatrists, 2001)

Definition von Problemverhalten

- Häufigkeit, Schwere oder Frequenz des Verhaltens verlangt ein klinisches Assessment und spezielle Intervention

- Verhalten ist keine direkte Folge psychischer Störungen, Medikamente oder körperlicher Krankheiten

- Eines der folgenden Kriterien muss vorliegen:

- Wesentlicher negativer Einfluss auf die Lebensqualität des Betroffenen oder Dritter

- Verhalten bewirkt wesentliches Risiko für die Gesundheit oder für die Sicherheit des Betroffenen oder Dritter

Praxisleitlinien und Prinzipien

Kommentar: Damit eine bestimmte

Verhaltensauffälligkeit als Problemverhalten interpretiert und bezeichnet werden kann, muss es erhebliche negative Folgen oder

Risiken aufweisen.

D. h. auch: nicht jede Verhaltensauffälligkeit kann als

Problemverhalten bezeichnet werden.

Praxisleitlinien und Prinzipien

• Problemverhalten wird beschrieben als ungünstige (maladaptive) Interaktion zwischen der Person und der Umwelt.

• Problemverhalten kann nicht auf einen einzigen Faktor zurückgeführt werden. Es müssen alle möglichen biologischen, medizinischen, psychologischen und andere Aspekte untersucht werden.

• Problemverhalten muss interdisziplinär und multiprofessionell untersucht werden.

Praxisleitlinien und Prinzipien

Page 7: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

7

Praxisleitlinien und Prinzipien

Das Entwicklungsniveau einer Person im umfassenden Sinne sollte als die

Hauptbedingung ihres Problemverhaltens verstanden werden.

Praxisleitlinien und Prinzipien

Menschen mit geistiger Behinderung weisen oft emotionale

Entwicklungsverzögerungen auf.

Die Ursachen sind intrinsischer (biologische Faktoren) und

extrinsischer (Biographie, soziale Umweltbedingungen usw.)

Art.

Qualität und Ausmaß der emotionalen Entwicklungsverzögerung

sind nicht unbedingt proportional zur intellektuellen

Entwicklungsverzögerung.

Sie bedürfen des gründlichen und qualifizierten Assessments.

Emotionales Entwicklungsniveau

Das Entwicklungsniveau im umfassenden Sinne ist eine der Hauptbedingungen

eines Problemverhaltens.

Praxisleitlinien und Prinzipien

Exkurs: Emotionale Entwicklung

Page 8: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

8

Emotionale Entwicklungsphasen Phasen der emotionalen Entwicklung

Entwicklung der Bedürfnisse

• Schema der emotionalen Entwicklung

(Schema van Emotionele Ontwikkeling - SEO)

nach Anton Dosen

• Skala für entwicklungspsychiatrische

Diagnostik (SOPD) nach Anton Dosen

Erfassung des Entwicklungsniveaus:

Beispiel für ein SEO-Profil

Beispiel für einen SEO-Befund Emotionales Entwicklungsniveau

Quelle: http://www.ejf.de/fileadmin/user_upload/pics-einrichtungen/akademie/Sappok_final.pdf

Page 9: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

9

Entwicklungsperspektive

Das Entwicklungsniveau einer bestimmten Person wird als die Gesamtheit von Persönlichkeitsmerkmalen gesehen, die darüber bestimmt, was eine Person belastet (stresst) und

wie sie mit dieser Belastung (Stress) umgeht.

Die Entwicklungsperspektive ergänzt den üblichen bio-psycho-sozialen Zugang.

Persönlichkeit wird als Resultat der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung verstanden.

Praxisleitlinien und Prinzipien

Entwicklungsperspektive:

• Eine Person auf einem bestimmten emotionalen Niveau hat bestimmte grundlegende psychosoziale Bedürfnisse.

• Deren Befriedigung ist die Voraussetzung ihrer weiteren Entwicklung.

• Wenn bestimmte physische und soziale Umweltbedingungen diese Bedürfnisse nicht erfüllen, entstehen Motivationen, die maladaptives Verhalten produzieren.

Praxisleitlinien und Prinzipien

• Dsdfds

• sdk„Übliche“ psychische Störungen

Psychische Störungen im engeren Sinne

„Psychiatrische Störungsbilder“

Krankheits- oder Störungsbilder sind im

Prinzip mit Diagnosen

nach ICD-10 ausreichend zu beschreiben.

Psychische Störungen im engeren Sinne

Eine ernsthafte - praktisch relevante -

Problematik besteht in den

Schwierigkeiten der sicheren

Diagnostik.

Psychische Störungen im engeren Sinne

• F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer

Störungen

• F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope

Substanzen

• F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

• F30-F39 Affektive Störungen

• F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

• F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

• F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

• F70-F79 Intelligenzstörung

• F80-F89 Entwicklungsstörungen

• F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit

und Jugend

Kapitel V (F) der ICD-10

Page 10: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

10

• Dsdfds

• sdk

Verhaltensphänotypen

Ebenen der Symptomatik:

• morphologische Merkmale (Fehlbildungen, Dysmorphien)

• funktionelle bzw. metabolische Merkmale

• Verhaltensmerkmale

Faustregel: Je komplexer und schwerer ein Störungsbild, desto

wahrscheinlicher ist eine genetische Ursache

Merkmale genetisch bedingter Störungen

E. DYKENS (1995)

Verhaltensphänotypen liegen vor, wenn bei Menschen mit einem bestimmten Syndrom bestimmte Verhaltensweisen häufiger vorkommen als bei vergleichbaren Personen ohne dieses Syndrom.

(Sie liegen nicht unbedingt in jedem Einzelfall vor oder sind immer gleich schwer ausgeprägt.)

Verhaltensphänotypen

Beispiele

• Trisomie 21 (Down-Syndrom)

• Fragiles-X-Syndrom

• Smith-Magenis-Syndrom

• Prader-Willi-Syndrom

• Tuberöse Sklerose

Genetisch bedingte Syndrome mitVerhaltensphänotypen

Psychische Störungen infolge definierter

exogener Schädigungsfaktoren (Noxen)

Beispiel

Fetale Alkoholspektrumstörungen

(Fetal Alcohol Spectrum Disorders, FASD)

• Fetales Alkoholsyndrom (Fetal Alcohol Syndrome, FAS);

• Partielles fetales Alkoholsyndrom (Partial Fetal Alcohol Syndrome, PFAS),

• Alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung (Alcohol Related

Neurodevelopmental Disorder, ARND)

• Alkoholbedingte Geburtsdefekte (Alcohol Related Birth Defects, ARBD)

Psychische Störungen infolge definierter exogener Schädigungsfaktoren (Noxen)

Page 11: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

11

Epilepsiebedingte psychische Probleme

Psychische Störungen

• Psychische Symptomatik vor Anfällen

• Psychische Symptomatik nach Anfällen

• Psychische Symptomatik anstelle von Anfällen

(Alternativpsychosen)

• Psychische Symptome als Ausdruck von Anfällen

• Kognitiver Abbau, organisch bedingte Persönlichkeitsstörungen

• Reaktive Verstimmungen (u. U. Suizidgefahr) wegen der

Lebenssituation

• Negative psychotrope Effekte (Konzentration, Stimmung,

Halluzinationen usw.) von Antiepileptika

…………………………………..

• Dissoziative Anfälle

Zwischenresümee

• Körperliche Beschwerden stellen sich oft als psychische oder

Verhaltensprobleme dar.

• Psychische Probleme stellen sich als körperliche Beschwerden dar

(Somatisierung).

• Die Ursachen oder Bedingungsgefüge psychischer oder Verhaltensprobleme

sind komplexer als bei Menschen ohne geistige Behinderung

• Die Erhebung der Beschwerden, Symptome usw. sind zumeist von Dritten

abhängig.

• Die psychiatrische Diagnostik bei Menschen mit geistiger Behinderung alles

andere als banal.

• Sie verlangt oft spezialisierte Kenntnisse und Handlungs- und

Kommunikationskompetenzen.

Einige Besonderheiten

• Dsdfds

• sdk

Spezialangebote und

Inklusion

Artikel 25: Gesundheit

• Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie für andere Menschen.

• Gesundheitsleistungen, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden.

UN-BRK

Page 12: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

12

Stehen das Gebot der Inklusion und die

Forderung nach spezialisierten

Angeboten zueinander im Widerspruch?

Spezialisierungen sind ein konstitutives Merkmal des deutschen Gesundheitswesens.

Gründe:

• Fachliche Qualität

• Organisatorische Gründe

• Wirtschaftliche Gründe (Effizienz)

Spezialisierung

Formen der Spezialisierung

• Vertikal, hierarchisch: Hausarzt, Facharzt,

Spezialsprechstunden usw., Krankenhäuser der

Grundversorgung, Schwerpunktversorgung,

Maximalversorgung

• Horizontal: Verschiedene Facharztrichtungen,

Fachkliniken usw.

Spezialisierung

Der Begriff Inklusion kommt in unserem Kontext ursprünglich aus dem bildungspolitischen Diskurs.

Streitfrage:

Was ist für behinderte Kinder besser: In hochspezialisierten Sondersystemen gebildet und

erzogen zu werden – oder im Regelsystem?

Inklusion

Die Salamanca-Konferenz 1994

(Salamanca Statement) hat sich

nachdrücklich für die Inklusion

behinderter Kinder in das schulische

Regelsystem ausgesprochen.

Sie hat aber auch verlangt, dass ihnen

dort alle spezialisierte fachliche

Unterstützung angeboten wird, die sie

brauchen!

Inklusion

Auf das Gesundheitssystem angewendet heißt das, dass Menschen mit Behinderungen

uneingeschränkt durch das Gesundheitssystem versorgt werden müssen.

Unvermeidbar kommt die Frage nach dem Stellenwert fachlicher Spezialisierungen auf.

Gesundheitssystem und Inklusion

Page 13: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

13

Inklusion kann

• als Ziel (Analogie zum Begriff der Normalisierung) verstanden werden

oder

• als Instrument, Methode (z. B. behindertenpolitische Diskussion)

Zwei Aspekte von Inklusion

Die Spannung zwischen Inklusion und Spezialisierung in der

medizinischen Versorgung lässt sich nur auflösen, indem man

ein Sowohl-als-auch befürwortet:

Das medizinische Regelversorgungssystem muss regelmäßig

der erste Ansprechpartner für Menschen mit Behinderung sein -

und sich darauf fachlich und organisatorisch einstellen.

Für spezielle Fragestellungen muss es ergänzende Angebote

spezialisierter und hochspezialisierter Versorgung geben (SPZ,

MZEB, spezialisierte PIA, spezialisierte

Krankenhausabteilungen ).

Gesundheitssystem und Inklusion

Stehen das Gebot der Inklusion und die

Forderung nach spezialisierten Angeboten

zueinander im Widerspruch?

NEIN!

Artikel 25: Gesundheit

• Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie für andere Menschen.

• Gesundheitsleistungen, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden.

UN-BRK

Anforderungen

1) an die Dienste und Einrichtungen

2) an die Psychiatrie

• Dsdfds

• sdk Anforderungen an die Dienste und

Einrichtungen

……………………………………

Fachliche, konzeptionelle und sozialpolitische

Schlussfolgerungen

Page 14: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

14

• Dsdfds

• sdkAllgemeine, störungsformunspezifische

Anforderungen an die Dienste und

Einrichtungen

• Konzeptionelle Verankerung des Themas Psychische Störungen in

den Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe

• Systematische praktische Umsetzung der Konzepte

• Systematische Fortbildung und Schulung der Mitarbeitenden

• Multiprofessionelle Ausstattung

• Systematische Schnittstellengestaltung mit dem psychiatrischen

und psychotherapeutischen Versorgungssystem (u. a. Regionalkonferenzen)

Allgemeine Anforderungen

• Dsdfds

• sdk

Störungsformspezifische Anforderungen an

die Dienste und Einrichtungen

• Dsdfds

• sdk

Bei „üblichen“ psychischen Störungen

Die psychiatrischen und psychotherapeutischen Leistungen für die „üblichen“ psychischen Störungen dürften zumeist Leistungen des Regelversorgungssystems zu Lasten der

Krankenkassen sein.

“Übliche” psychische Störungen

Ob sich der damit verbundene Anspruch dann praktisch vor Ort tatsächlich umsetzen lässt, steht auf einem

anderen Blatt.

Das wird bei einer zunehmenden Zerrüttung der flächendeckenden Leistungsfähigkeit unseres

Regelversorgungssystems mehr und mehr zum Problem werden, erst recht zukünftig mit dem PEPP-System.

“Übliche” psychische Störungen

Page 15: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

15

Anbahnung und qualifizierte Begleitung

von Therapieprozessen:

• Beobachtungen aus dem Alltag in konzentrierter und durch

Konsensbildung validierter Form zum Therapeuten transportieren,

• Erwartungen an die Behandlung konkretisieren,

• Konsentierte realistische Therapieziele dokumentieren,

• Rückmeldung des Therapeuten beachten,

• Therapiefortschritte dokumentieren,

• verbindliche Absprachen über Ansprechpartner, Formen des

Austauschs usw. treffen.

“Übliche” psychische Störungen

• Dsdfds

• sdk

Bei Problemverhalten

Das Problem(verhalten) kann nicht in der Arztpraxis oder im Krankenhaus zur „Reparatur“ abgegeben

werden.

Es kann und muss dort aber um Identifikation medizinisch charakterisierbarer Komponenten

(z. B. Impulskontrollstörung, Schwerhörigkeit) gehen.

Problemverhalten

Einer als Problemverhalten verstehbaren Symptomatik kommt man erfahrungsgemäß nur bei, wenn man in einem konkreten Setting-Bezug unter

Einschluss multiprofessioneller und interdisziplinärer Kompetenzen vorgeht.

Problemverhalten

Interdisziplinäre Herausforderung

• Analyse der Bedingungen und Ursachen,

• Planung und Durchführung komplexer Interventionen,

• Erfolgsevaluation usw.

Problemverhalten

Es gibt keine Alternative dazu,

die Experten in der Zukunft unmittelbar im bzw. für das System der Eingliederungshilfe verfügbar zu

haben.

(Vorbild: interdisziplinär besetzte Konsulententeams wie in den Niederlanden )

Problemverhalten

Page 16: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

16

Herausforderung:

Interpretation solcher multiprofessioneller Angebote bzw. Leistungen als

selbstverständlicher integraler Bestandteil der Eingliederungshilfe

Einbindung dieser Forderung in den Prozess der Reform der Eingliederungshilfe.

Problemverhalten

• Dsdfds

• sdk

Bei Verhaltensphänotypen und Folgen

definierter exogener Noxen

• Etablierung maßgeschneiderter Fördermaßnahmen unter Einbezug wiederholter differenzierter neuropsychologischer u. a. Assessments und Beratung durch jederzeit verfügbare, mit dem System vertraute Experten.

• Überwindung des Missverständnisses, genetische (Mit-) Bedingtheit bedeute (heilpädagogische) Unbeeinflussbarkeit.

Verhaltensphänotypen

• Dsdfds

• sdk

Bei mit Epilepsie verbundenen psychischen

Störungen

• Sicherstellung einer regelmäßigen qualifizierten epileptologischen Versorgung einschließlich Anleitung und Beratung der Mitarbeitenden.

• Schulung der Mitarbeitenden in Anfallsbeobachtung und -dokumentation

Mit Epilepsie verbundene psychische Störungen

• Dsdfds

• sdkAnforderungen an die Psychiatrie

……………………………………

Fachliche, konzeptionelle und sozialpolitische

Schlussfolgerungen

Page 17: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

17

Differentialdiagnostische Abklärung psychischer Störungen i. e. S.

Differentialdiagnostische Abklärung genetisch bedingter Syndrome

und den Folgen definierter exogener Noxen

Differentialdiagnostische Abklärung epilepsiebedingter psychischer

Störungen

Identifizierung von psychiatrisch identifizierbarer Komponenten im

komplexen Bedingungsgefüge von Problemverhalten

Behandlung psychischer Störungen

Aufgaben der Psychiatrie

• Dsdfds

• sdk

Zusammenfassung

Die Verankerung von „medizinnahen“ fachlichen Hilfen

(z. B. psychologisches Assessment) im offenen Leistungskatalog der

Eingliederungshilfe bzw. des künftigen Teilhaberechts

– in finanzieller, konzeptioneller und organisatorischer Hinsicht –

ist unverzichtbar.

Solche Leistungen müssen konzeptionell und leistungsrechtlich von

den Leistungen der Krankenversorgung (SGB V) abgegrenzt

werden.

Zusammenfassung

Wir müssen unter Bezug auf UN-BRK, ICF und andere Leitdokumente buchstabieren lernen, was ein Verständnis von Eingliederungshilfe (oder Teilhabeförderung) als Rehabilitation bzw.

Habilitation bedeutet

und welche Konsequenzen das für die Ausgestaltung des einschlägigen Leistungsrechtes haben muss.

Zusammenfassung

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass die adäquate medizinische

Versorgung von Menschen allein ein Problem der Einstellung, des

„guten Willens“ oder der Haltung ist.

Grunderkenntnis

Vielmehr gehören oft – aber nicht immer – dazu:

• Spezielles Wissen

• Spezielle kommunikative Kompetenzen und Erfahrungen

• Spezielle Handlungskompetenzen

• Spezielle Rahmenbedingungen (Räumlichkeiten,

Ausstattung, Zeit, Case-Management usw.).

Forderungen

Qualifizierung des

Regelversorgungs-

systems

Etablierung bzw.

Ausbau

spezialisierter

Angebotsstrukturen

Ambulanter Sektor

SozialpädiatrischeZentren

Psych. Institutsambulanzen

Med. Behandlungszentren

(§ 119c SGB V)

Stationärer Sektor

Spezialisierte

Krankenhausabteilungen(für größere Einzugsbereiche)

Spezialisierte Teams

Page 18: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

18

• Dsdfds

• sdk

Allgemeine Schlussfolgerungen

Entwicklung eines horizontal und vertikal

kooperierenden Systems

• Arbeitsteilung

• Multiprofessionalität

• Vorrang ambulanter und aufsuchender (mobiler)

Angebote

• Vorrang der Regelversorgung

Allgemeine Schlussfolgerungen

Entwicklung eines horizontal und vertikal kooperierenden Systems

Allgemeine Schlussfolgerungen

Psychiatrie/Medizin

Multiprofessionelle

Konsulententeams

………………

Spezialisierte Angebote

……………

Dienste und Einrichtungen

Spezialangebote

……………

Regelversorgung

• Entwicklung eines horizontal und vertikal

kooperierenden Systems

• Gesteuerter und moderierter Prozess

• Gemeinsame Fortbildungen

Allgemeine Schlussfolgerungen

Fortbildungsmöglichkeiten

Literaturhinweise

• DGSGB-Arbeitstagungen

www.dgsgb.de

• DGSGB-Website

kostenlos downloadfähige „Materialien der DGSGB“

• DGPPN-Kongresse

Fortbildungsakademie, thematische Symposien

• DGPPN-Facharztintensivkurse

• Fortbildungen (zentral und dezentral)

Page 19: 2017 Hohndorf Psych störungen Herausforderung · Die Salamanca-Konferenz 1994 (Salamanca Statement) hat sich nachdrücklich für die Inklusion behinderter Kinder in das schulische

07.06.2017

19

• Menschen mit Intelligenzminderung haben als Gruppe einen

überdurchschnittlich hohen psychiatrischen Versorgungsbedarf.

• Diagnostik und Therapie sind oft – nicht immer – überdurchschnittlich komplex

und aufwändig.

• Sie verlangen oft spezialisiertes Wissen, Handlungs- und

Kommunikationskompetenz.

• Das ambulante und das stationäre psychiatrische Regelversorgungssysteme

braucht eine Unterstützung durch spezialisierte Angebote.

• Die psychiatrischen Versorgungsangebote müssen eng mit den Hilfesystemen

(u. a. Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe) der Betroffenen

zusammenarbeiten.

• Dem System der Behindertenhilfe müssen aufsuchende spezialisierte

Angebote (Multiprofessionelle Konsulententeams) zur Verfügung stehen.

Take-home-Messages

[email protected]

Vielen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit!