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36 folker Nr.126, November–Dezember 2018 E r ist nicht groß, hat sehr kurze Haare und wirkt eher unscheinbar, aber er ist ein wichtiger Erneuerer der portu- giesischen Folkmusik. Vasco Ribeiro Casais begeistert in Rudolstadt mit seinem neuen Projekt Omiri in zwei sehr unterschiedlichen Settings: auf der eaterbühne und im Heine- park. Wenn Omiri spielt, steht Ribeiro Casais alleine auf einem kleinen Podest. Er arbeitet mit Loops, schichtet die Sounds seiner fünf Instrumente übereinander: Viola Braguesa (eine portugiesi- sche Gitarre), Cavaquinho (eine sehr kleine Gitarre), Nyckelhar- pa, Bozouki und Dudelsack. Ribeiro Casais spielt die akustischen Instrumente rockig, manch- mal sogar funky. Beseelt lacht er beim Spielen und freut sich über die Begeisterung des Publikums. Links und rechts von ihm ste- hen zwei große Leinwände, etwa drei Meter hoch und vier Meter breit. In kurztaktiger Videoclip-Ästhetik sind hier Menschen zu sehen, Amateurmusiker aus Portugal, vor allem alte Frau- en, deren Stimmen als Samples eingespielt werden. Manche sind vital und voller Lebensfreude, andere sind vom Leben gezeich- net, haben nur noch zwei Zähne im Mund und das Gesicht voller Pflaster. Es gilt das Prinzip: „What you see is what you get.“ Die Trommel, die zu sehen ist, hat Ribeiro Casais auch als Sound ver- arbeitet. Manches ist zum Schmunzeln, etwa wenn ein Mädchen mit Kamm und Bürste am Schrank trommelt. Omiri Ein portugiesisches Fest der Sinne Omiri war eine der Entdeckungen des diesjährigen Rudolstadt-Festivals, ein musikalisches Multimedia-Projekt mit Livemusik, Samples, Videos und Tanz. Hinter Omiri steht der Multiinstru- mentalist Vasco Ribeiro Casais aus Lissabon, der auch schon mit seinen Bands Dazkarieh und Seiva Erfolg hat- te. Was er anfasst, wird gute Musik. TEXT: CHRISTIAN RATH Es gibt also ständig etwas zu sehen, auf der linken Leinwand etwas anderes als auf der rechten, ständig neue Instrumente – und dann kommen nach einer halben Stunde plötzlich noch zwei junge professionelle Tänzerinnen auf die Bühne. Sie tan- zen modern, choreografiert, mit Anleihen aus dem HipHop, aber auch bei traditionellen Tänzen. Es ist der pure Überfluss, nie- mand hätte hier Tänzerinnen vermisst, aber sie sind großartig. Einen Tag später, Samstagabend im Heinepark. Die Wiese vor der Konzertbühne füllt sich erst spät. Keiner kennt hier Omiri, man will sich einfach amüsieren. Doch Ribeiro Casais begeistert die Menge sofort. Jubel brandet auf, als er erstmals die Bouzou- ki wie eine E-Gitarre spielt. Die Videoleinwände sind für die gro- ße Bühne zwar etwas zu klein, doch die Animation gelingt. Als eine alte Frau im Video die Hände über dem Kopf von links nach rechts und zurück bewegt, machen alle mit. Das aktuelle Live-Programm Omiris beruht auf dem Album Bai- le Electrónico von 2017, das es in den World Music Charts Euro- pe immerhin bis auf Platz drei gescha hat. Zu hören sind dort neben den gesampelten alten Frauen auch die Rapperin Capicua und die Fado-Sängerin Celina da Piedade. Auch die CD enthält ein Feuerwerk an Ideen. Foto: Michael Pohl

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36 folker Nr.126, November–Dezember 2018

Er ist nicht groß, hat sehr kurze Haare und wirkt eher unscheinbar, aber er ist ein wichtiger Erneuerer der portu-giesischen Folkmusik. Vasco Ribeiro Casais begeistert in Rudolstadt mit seinem neuen Projekt Omiri in zwei sehr

unterschiedlichen Settings: auf der Theaterbühne und im Heine-park. Wenn Omiri spielt, steht Ribeiro Casais alleine auf einem kleinen Podest. Er arbeitet mit Loops, schichtet die Sounds seiner fünf Instrumente übereinander: Viola Braguesa (eine portugiesi-sche Gitarre), Cavaquinho (eine sehr kleine Gitarre), Nyckelhar-pa, Bozouki und Dudelsack.Ribeiro Casais spielt die akustischen Instrumente rockig, manch-mal sogar funky. Beseelt lacht er beim Spielen und freut sich über die Begeisterung des Publikums. Links und rechts von ihm ste-hen zwei große Leinwände, etwa drei Meter hoch und vier Meter breit. In kurztaktiger Videoclip-Ästhetik sind hier Menschen zu sehen, Amateurmusiker aus Portugal, vor allem alte Frau-en, deren Stimmen als Samples eingespielt werden. Manche sind vital und voller Lebensfreude, andere sind vom Leben gezeich-net, haben nur noch zwei Zähne im Mund und das Gesicht voller Pflaster. Es gilt das Prinzip: „What you see is what you get.“ Die Trommel, die zu sehen ist, hat Ribeiro Casais auch als Sound ver-arbeitet. Manches ist zum Schmunzeln, etwa wenn ein Mädchen mit Kamm und Bürste am Schrank trommelt.

OmiriEin portugiesisches Fest der Sinne

Omiri war eine der Entdeckungen des diesjährigen Rudolstadt-Festivals, ein musikalisches Multimedia-Projekt mit Livemusik, Samples, Videos und Tanz. Hinter Omiri steht der Multiinstru-mentalist Vasco Ribeiro Casais aus Lissabon, der auch schon mit seinen Bands Dazkarieh und Seiva Erfolg hat-te. Was er anfasst, wird gute Musik.

TEXT: CHRISTIAN RATH

Es gibt also ständig etwas zu sehen, auf der linken Leinwand etwas anderes als auf der rechten, ständig neue Instrumente – und dann kommen nach einer halben Stunde plötzlich noch zwei junge professionelle Tänzerinnen auf die Bühne. Sie tan-zen modern, choreografiert, mit Anleihen aus dem HipHop, aber auch bei traditionellen Tänzen. Es ist der pure Überfluss, nie-mand hätte hier Tänzerinnen vermisst, aber sie sind großartig.

Einen Tag später, Samstagabend im Heinepark. Die Wiese vor der Konzertbühne füllt sich erst spät. Keiner kennt hier Omiri, man will sich einfach amüsieren. Doch Ribeiro Casais begeistert die Menge sofort. Jubel brandet auf, als er erstmals die Bouzou-ki wie eine E-Gitarre spielt. Die Videoleinwände sind für die gro-ße Bühne zwar etwas zu klein, doch die Animation gelingt. Als eine alte Frau im Video die Hände über dem Kopf von links nach rechts und zurück bewegt, machen alle mit.

Das aktuelle Live-Programm Omiris beruht auf dem Album Bai-le Electrónico von 2017, das es in den World Music Charts Euro-pe immerhin bis auf Platz drei geschafft hat. Zu hören sind dort neben den gesampelten alten Frauen auch die Rapperin Capicua und die Fado-Sängerin Celina da Piedade. Auch die CD enthält ein Feuerwerk an Ideen.

Foto: Michael Pohl

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37November–Dezember 2018, Nr.126 folker

Vasco Ribeiro Casais wurde im Dezember vor 41 Jahren in Lis-sabon geboren. Seine Mutter war Architektin, sein Vater ein Geschäftsmann, der gerne zeichnete. Mit zwölf bekam der Jun-ge seine erste Gitarre. Nach einem Skateboard-Unfall hatte er viel Zeit zu üben. Mit dreizehn gründete er seine erste Band. Es ging um Rock, Punk und Metal, die Gitarre war elektrisch. Als Ribeiro Casais später am Konservatorium in Lissabon Musik studierte, war die Gitarre akustisch und klassisch. Den ers-ten Kontakt mit Folk und Weltmusik hatte er 1998 beim por-tugiesischen Andanças-Festival. Ihn beindruckte Weltmusik aus Westafrika genauso wie portugiesische Dudelsäcke. „Das hat mein Leben verändert“, sagt er heute, „ich wollte Teil davon sein.“Ein Jahr später war der Gitarrist als Jüngster bei der Gründung der Band Dazkarieh dabei. Die Formation begann mit Gothic Folk, hatte dann eine Weltmusik-Phase, bis sie 2006 mit dem epochalen Album Incógnita Alquimia ihren endgültigen Stil fand. Nun verarbeitete Dazkarieh ausdrücklich auch portugie-sische Einflüsse. „Das Album war halb europäisch, halb por-tugiesisch“, beschreibt es Ribeiro Casais. Bei Dazkarieh führte der Lissabonner auch die schwedische Nyckelharpa in die por-tugiesische Folkmusik ein. 2014 lösten sich Dazkarieh auf. Das siebte und letzte Album Finisterra war gerade über Crowdfun-ding finanziert worden, es bekamen aber nur die rund dreihun-dert Spender.

Stattdessen gründeten Ribeiro Casais und Dazkarieh-Sängerin Joana Negrão, inzwischen seine Ehefrau und Mutter von zwei gemeinsamen Töchtern, eine neue Band. Seiva sollte sich klarer auf portugiesische Traditionen fokussieren, klang aber ziem-lich ähnlich wie Dazkarieh, nur ohne Nyckelharpa und etwas weniger rockig. Teilweise nahm Seiva sogar das Finisterra-Ma-terial neu auf. Für Ribeiro Casais war die Neugründung wegen der anfänglichen Stilwechsel von Dazkarieh dennoch notwen-dig: „Seiva ist ein Projekt ohne Vergangenheit.“ Aber eben lan-ge noch nicht so bekannt wie Dazkarieh.

musikzwischendenweltenK o n z e r t e z w i s c h e n T r a d i t i o n u n d M o d e r n e

Die 14. KonzertsaisonSeptember 2018

Das Eröffnungskonzert der neuen Saison: Fr. 14.09. MIDDLE EAST PEACE ORCHESTRA**

»Music for Peace« Jiddische & arabische Liebeslieder. Klezmer & Balkan.

Fr. 21.09. ZIGANIMO** D»Unter der Linden« Weltmusik von hier & anderswo. CD-Release!

Sa. 22.09. DUO KRATSCHKOWSKI** RusslandSeit 20 Jahren auf internationalen Bühnen. »Das Jubiläumskonzert«

So. 23.09. KRISHN KYPKE** D»Die Saiten der Welt« Mit STEFAN JOHANSSON & STEPP´L SALEWSKI.

Do. 27.09. TOP FLOOR TAIVERS** Schottland»A delicate Game« Irish, Scot & English Folk. Exquisite Frauen Power.

Sa. 29.09. THE WISHING WELL** Australien»Life on the Border« Acoustic Strings. Soulful Vocals. Driving Rhythm.

So. 30.09. ALLAN YN Y FAN* Wales»New ID« Best Celtic Band from Wales.

Oktober 2018 Fr. 05.10. VICENTE PATIZ** D

»Alegria« Eine weltmusikalische Reise der Lebensfreude. CD-Release!

Sa. 06.10. KAYAN & MUSIGHISTAN** Intern.»Ayo Halsaki« Musik als Brücke zwischen den Welten.

So. 07.10. BOBO & HERZFELD* D»Blick in den Strom« Lieder von Liebe und Tod. Der dritte Teil.

Fr. 12.10. SCOTT WOODS BAND** Kanada»Fiddling up a Storm« The Canadian Fiddle Shampion with Band.

So. 14.10. DALLAHAN** Irland | Schottland | UngarnCeltic Folk & Scottish Music meets Puszta & Balkan.

Fr. 19.10. MOUSSA CISSOKHO TRIO** Intern.»Al nge taa. Let`s move!« Afrika. Asien. Europa. Ein Klang.

So. 21.10. KOLEKTIF ISTANBUL** Türkei | Intern.»Pastirma Yazi« Wild und bezirzend: Vom Balkan nach Anatolien.

Do. 25.10. NORTH ATLANTIC BRIDGE** Intern.»Das Festival 2018« Acoustic Soundscapes from over the Ocean.

Fr. 26.10. BLUM & HAUGAARD*** Dänemark»Die Jubiläumstour 2018« 10 Jahre Blum & Haugaard Band

Sa. 27.10. CECILE CORBEL & BAND** Frankreich»Vagabonde« Celtic Harp. Fairytale Voice. Mystical Feeling.

Konzertbeginn: 20:00 Uhr* im Staatsschauspiel Dresden Kleines Haus

** in der Dreikönigskirche Dresden | *** im Filmtheater Schauburg

Mehr Konzerte, Infos & Tickets online:

www.mzdw.de Än d e ru n g e n | Erg ä n z u n g e n vo r b e h a l te n

Helene Harald

Foto: Michael Pohl

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38 folker Nr.126, November–Dezember 2018

2019 soll es ein neues Album von Seiva geben, halb mit tradi-tionellem Material, halb selbst komponiert. Die Gruppe bedient sich bei vielen ländlichen portugiesischen Stilen. „Wir neh-men alles und mischen es“, sagt Ribeiro Casais. „Ich respektie-re die Tradition, aber ich komme aus der Stadt und mache, was ich will.“ Seiva sehen sich als Teil einer nicht am Fado orientier-ten portugiesischen Szene, zu der Ribeiro Casais auch die Bands Galandum Galundaina, Torga, Criatura, Retimbrar, Sopa de Pedra, A Charanga und Segue-me à Capela zählt. Als wichtigen Einfluss nennt er die Altmeister Gaiteiros de Lisboa.

Omiri wurde in Deutschland zwar erst 2017 bekannt, existiert aber schon seit 2004. Anfangs war es für Vasco Ribeiro Casais nur ein Nebenprojekt zu Dazkarieh. „Dort konnte ich tun und lassen, was ich wollte.“ Mit seinen vielen Instrumenten und einer Loopstation baute er sich seine eigene Musik. Ab 2007 arbeitete er mit dem Videokünstler Tiago Pereira zusammen. „Wir moch-ten uns und wollten etwas Gemeinsames schaffen.“ Pereira hatte sich mit der Dokumentation traditioneller Kultur einen Namen gemacht. So wurde aus Omiri ein Multimedia-Projekt. Ribeiro Casais machte auf der Bühne die Musik, Pereira steuerte die Bil-der bei. 2010 gab es ein erstes Omiri-Album Dentro Da Matriz. Auch das klang wie Dazkarieh, etwas elektronischer vielleicht.Seit 2013 ist Omiri wieder ein Ein-Mann-Projekt. Ribeiro Ca -sais wollte das Ganze professionalisieren, Pereira hatte kei-ne Zeit dafür. Er lieferte nur noch die Videos, stand aber nicht mehr auf der Bühne. Auch das visuelle Rohmaterial für die Bai-le-Electrónico-CD kam von Pereira, wurde aber von Ribeiro Casais bearbeitet. Künftig will der Multiinstrumentalist seine eigenen Videos und Samples aufnehmen. „Dann habe ich mehr Bezug zum Material und zu den Menschen.“

In Portugal erreicht Ribeiro Casais mit Omiri ein Publikum, das weit über die Folkszene hinausreicht, oft wird er auch zu Festi-vals mit Indie-Musik eingeladen. Die großen Medien ignorie-ren Omiri allerdings weitgehend, vielleicht weil Ribeiro Casais seine Musik nicht mit großen Theorien über die Vergangenheit und Zukunft Portugals und Europas verbindet, was ja durchaus möglich wäre.

omiri.euAktuelles Album:Baile Electrónico (Bigorna, 2017)

Ich respektiere die Tradition, aber ich komme aus der Stadt und mache, was ich will.

G U D R U N WALT H ERJ Ü R G EN TR EYZHERBST-TOU RNEE 2018C O N T E M P O R A R Y F O L K M U S I C

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tourtermine

G U D RU N WA LT H E R

J Ü R GEN TR EYZ

31.10.2018 42570 HEILIGENHAUS Der Club, 20 Uhr

02.11.2018 29640 SCHNEVERDINGEN Theeshof, 20 Uhr

03.11.2018 49080 OSNABRÜCK Lutherhaus, 20 Uhr

04.11.2018 59821 ARNSBERG KulturSchmiede, 20 Uhr

07.11.2018 68159 MANNHEIM Cafe Filsbach, Mannheim J6, 1-2, 20 Uhr

08.11.2018 87660 IRSEE Altbau, 20 Uhr

09.11.2018 71394 KERNEN OT STETTEN Glockenkelter, 20 Uhr

10.11.2018 86830 SCHWABMÜNCHEN Buchhandlung Schmid, 20 Uhr

11.11.2018 95482 GEFREES Konzertscheune Gefrees, 18:15 Uhr

04.12.2018 75175 PFORZHEIM 360°Gasometer, 20:15 Uhr

05.12.2018 88471 LAUPHEIM Kulturhaus Schloss Großlaupheim, 20 Uhr

06.12.2018 65232 TAUNUSSTEIN Salon-Theater, 19:30 Uhr

07.12.2018 67583 GUNTERSBLUM Museumskeller, 20 Uhr

08.12.2018 66538 NEUNKIRCHEN Stummsche Reithalle, 20 Uhr

„exciting yet truly relaxed musicianship“

„intimate and moving“