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donhan
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4 ber die Verhinderung der Frauen in der Politik
Viele Jahre haben Frauen fr die politische Gleichberechtigung ihres Ge-schlechtes gekmpft, und wenn heute das Ergebnis 70jhriger Teilhabe derFrauen am politischen Leben analysiert wird, so kann auf allen politischenEbenen lediglich eine geringe Partizipation von Frauen verzeichnet werden.Wenn auch die 80er Jahre dieses Jahrhunderts einen Vernderungsprozezeigen, wie er in den zurckliegenden Jahren noch nie so deutlich war, kanndoch weder von Vernderungen im revolutionren Ausma gesprochenwerden, noch kann frau kommenden Vernderungsprozessen euphorischentgegensehen, denn ohne tiefgreifende Strukurvernderungen liegt dieparittische Verteilung der politischen Macht noch in weiter Ferne.
Obwohl allein die parittische Beteiligung von Frauen am politischen Lebennoch keine frauenpolitisch relevanten Vernderungen in der Politikgarantiert, ist doch die frauenspezifische politische Einflunahme ohne eineentsprechende Reprsentanz in den Parlamenten von vornherein zumScheitern verurteilt.
Wie erklrt sich die geringe Reprsentanz von Frauen im politischen Leben,die sich trotz jahrzehntelanger rechtlicher Gleichberechtigung nie wesentlichvernderte? Wie begrndet sich das Miverhltnis zwischen emanzipa-torischen Fortschritten innerhalb des Bildungssystems oder im Rahmen derFrauenerwerbsttigkeit einerseits und die mangelnde politische Partizipationder Frauen andererseits? Und wie kommt es zu der massiven Diskrepanzzwischen dem intensiven aktiven Wahlverhalten und der zurckhaltendenInanspruchnahme des passiven Wahlrechts durch Frauen? Wie ist zu erkl-ren, da gerade ganz junge Frauen ihr Wahlrecht nicht strker nutzen?Hier mssen tiefgreifende gesellschaftliche Einflufaktoren auf das politischeSelbstbewutsein bzw. die politische Selbstwahrnehmung von Fraueneinwirken, die auch durch eine teilweise fortschrittlichere emanzipatorischeErziehung in Familie und Schule nicht auer Kraft gesetzt werden konnten.
Ebenso beeinflussen offenbar die Bedingungen des Familien- bzw. desErwerbslebens die Motivation der Frauen, sich politisch zu engagieren,negativ.
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Die Vielschichtigkeit dieser lebenslangen politischen Sozialisation vonFrauen ist im deutschsprachigen Raum offensichtlich nie explizit untersuchtworden. Im Rahmen dieser Arbeit soll trotzdem ein Erklrungsversuchgeschlechtsspezifischer politischer Sozialisation unternommen werden, davermutet werden kann, da die verschiedenen Determinanten dieses Soziali-sationsprozesses die Frauen in nicht unerheblichem Umfang von der bewu-ten und direkten Partizipation am politischen Leben abhalten.
Darber hinaus gibt es eine alltgliche Diskriminierung im Leben vonFrauen, der Politikerinnen in ganz besonderem Umfang ausgesetzt sind, dasie zum einen in eine Mnnerdomne eindringen und zum anderen aufgrundihrer hervorgehobenen Stellung als Politikerinnen und Konkurrentinnenangreifbar sind. Beides, die ganz persnliche, gesellschaftlich bedingte weib-liche Disposition wie auch das alltgliche direkte Infragestellen ihrer Personwegen der Verweigerung des erwarteten Rollenverhaltens, nehmen Einfluauf die Partizipationsbereitschaft von Frauen.Daher lautet meine These: Es gibt eine geschlechtsspezifische politischeSozialisation, die die Partizipation von Frauen am politischen Leben ver-hindert und Mnner veranlat, das Feld der Politik als frauenfreien Raum zuverteidigen.
Die Teilhabe von Frauen am politischen Leben ist auch und gerade unterfrauenspezifischen Problemstellungen unerllich. Darum ist es notwendig,da sich Frauen einerseits die gesellschaftlichen Bedingungen fr ihre politi-sche Zurckhaltung verdeutlichen und andererseits lernen, sich deralltglichen Diskriminierung zu erwehren, um fr sich selbst die Notwen-digkeit, aber auch die Attraktivitt der Teilhabe an gesellschaftlicher Machtzu klren, ohne die eine Vernderung unseres gesellschaftlichen Lebenszugunsten von Frauen nicht mglich erscheint.
4.1 Die geschlechtsspezifische politische Sozialisation von Frauen
Zunchst soll die mgliche Dimension der politischen Sozialisation erklrtwerden.
Behrmann bezieht den Begriff 'politische Sozialisation' auf alle soziokulturellbeeinfluten Lernprozesse, "in denen sich politische Orientierungen, alsoKenntnisse von politischen Vorgngen, Institutionen, Organisationen und
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deren Reprsentanten sowie damit verbundenen Gefhls- und Werthaltungenentwickeln".1
Diese Definition greift zu kurz, da sie die Fhigkeit des politischen Handelns(Whlen, sich whlen lassen, politisches Engagement etc.) nicht be-rcksichtigt. Politische Sozialisation sollte in unserer Gesellschaft im op-timalen Sinne zu dem Ziel fhren, Demokratie aktiv zu leben und mitzu-gestalten.
Inwieweit das gesellschaftliche Realitt ist, bleibt dahingestellt; Tatsache istjedoch, da die (Un-)Fhigkeit zum politischen Handeln im Sozialisations-proze vermittelt wird. Zwar frdern auch andere gesellschaftliche Bedin-gungen das mangelnde politische Engagement von Frauen, zum Beispiel dieLebensbedingungen alleinerziehender Mtter oder die bewute Ablehnungmnnlich dominierter Arbeitszusammenhnge oder auch die strategischeVerhinderung der Frauen durch die Mnner; trotzdem stellen die im Soziali-sationsproze erworbenen Haltungen und Einstellungen oftmals die erstenStolpersteine auf dem Weg zu einer politischen Karriere dar.
Diese mittlerweile unbestrittenen geschlechtsspezifischen Erfahrungen vonFrauen werden zunehmend von ihnen ffentlich gemacht und bekmpft. Dieffentliche Diskussion dieser Verhltnisse ist politische Strategie, derenNotwendigkeit unter anderem in der Kampfansage der neuen Frauenbe-wegung "Das Private ist politisch" zum Ausdruck kommt und einenumfassenden und radikalen Politikbegriff definiert. Ein umfassender Politik-begriff ist jedoch unerllich, um das 'unpolitische Verhalten' von Frauen zuerklren und zu entlarven.Die Ausgrenzung des privaten Bereichs ist Ausdruck unserer patriarchalenGesellschaft, das Unsichtbarmachen weiblicher Lebenszusammenhnge istVoraussetzung fr die anhaltende Verhinderung von Frauen an denSchaltstellen der Macht.
Die Trennung von ffentlichen und privaten Interessen ermglicht die Unter-scheidung in wichtige und unwichtige, in 'politische' und 'unpolitische'Themen. So werden frauenspezifische Belange, wie zum Beispiel die Schaf-fung von Kindergartenpltzen, als 'unpolitisch' interpretiert, wohingegen derBau eines neuen Rathauses als hochpolitische Angelegenheit gewertet wird.Aufgrund dieser Unterscheidung werden wichtige frauenpolitische
1 Behrmann; zit. nach Micke (1983), S. 410 f.
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Fragestellungen, wie Gewalt in der Ehe, Prostitution oder die Einrichtungeines Frauen-Nachttaxis immer wieder vermeintlich relevanteren Themenwie Straenbau, innerdeutsche Beziehungen oder Wirtschaftsfrderunggeopfert.
Die Betroffenheit von Frauen und damit verbunden ihr politisches Interesserhrt aus dem als privat definierten Bereich und gilt somit als unwichtig,irrelevant und unpolitisch; demgegenber sind die Interessen des Mannes,die dem vermeintlich ffentlichen Interesse entspringen, die wichtigeren undpolitisch relevanteren.
Weibliche Fhigkeiten sind wichtig und notwendig im Familienbereich.Soziale Kompetenz, Beherrschung des Krisenmanagements, psychologischeAufbauarbeit werden auch von den Mnnern gern in Anspruch genommen,doch im Bereich der ffentlichkeit erscheinen diese Fhigkeiten der Frauennicht.Vielmehr fllt hier die Einschrnkung der Frau aufgrund der ihr zugewie-senen Rolle als Hausfrau und Mutter, eben als weibliches Wesen, ins Ge-wicht und verhindert ihre Karriere.Die Kontinuitt der Trennung zwischen privaten und ffentlichen Interessenschafft die Beweise fr die 'politische Kompetenz' des Mannes und die'politische Inkompetenz' der Frau.Zur Aufrechterhaltung dieser Trennung dient die geschlechtsspezifischeSozialisation, deren Dimensionen im folgenden nur angerissen werdenknnen. Dennoch soll verdeutlicht werden, in welchem Umfang gesellschaft-liche Bedingungen auch heute noch geschlechtsspezifischen Einflu nehmen,obwohl bereits viele Menschen versuchen, diskriminierende Elemente abzu-bauen.
In der wissenschaftlichen Diskussion ist es mittlerweile unbestritten, da dieSozialisation des Menschen auf vielen, wenn nicht gar allen Ebenen derGesellschaft geschlechtsspezifisch verluft. Diskutiert werden heute verstrktdie Formen, die Ausprgungen, die genauen Folgen und somit die Gegen-strategien.Hagemann-White untersuchte die empirische Nachweisbarkeit der ge-schlechtsspezifischen Unterschiede und kommt zu dem Ergebnis:
"Es wre eine eigene meta-wissenschaftliche Untersuchung wert, dieunterschiedliche Behandlung von Daten, die unterschiedliche Aggres-sivitt im Vorbringen von Schlufolgerungen und die unter-schiedlichen Ebenen der Erklrung systematischer nachzuprfen; hier
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scheint auch einiges an geschlechtstypischem Verhalten innerhalb derWissenschaft vorzuliegen."2
Das bedeutet nicht, da geschlechtsspezifische Unterschiede nicht nach-weisbar sind, sondern: "Die unklaren Ergebnisse der Forschung sind zueinem groen Teil darauf zurckzufhren, da das Geschlecht per se eineungeeignete unabhngige Variable ist."3
Doch trotz aller Vorsicht im Umgang mit empirischen Daten knnenEinflufaktoren von Familie, Institutionen und Umwelt auf die geschlechts-spezifische Entwicklung von Menschen ausgemacht werden. Bei derfolgenden Darstellung soll der Aspekt der geschlechtsspezifischen po-litischen Sozialisation im Vordergrund stehen.
4.1.1 Familire und auerschulische Einflsse
Die Erwartungen, Hoffnungen und Normen des Menschen beinhalten immerauch Bewertungen. Werdenden Eltern geht es da nicht anders. Bereits vorder Geburt eines Kindes spielen Wnsche und Hoffnungen eine Rolle. Daszeigt sich bei orakelnden Aussagen ber die Zeugung ('bei Vollmond wird esein Junge') ebenso wie bei Prophezeiungen ber das Geschlecht desungeborenen Kindes ('ein lebhaftes Kind wird ein Fuballer, also ein Junge','ein Kind, das auf sich warten lt, wird ein Mdchen, es mu sich ersthbsch machen').Neben der Zuweisung geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen erfolgt auchdie Bewertung des Geschlechts (eine Mutter von vielen Tchtern 'bekommtleider immer nur Mdchen'), und die Geburt eines 'prchtigen Stammhalters'wird auch heute noch oft besonders hervorgehoben.4
Das alles stellt sich schichtspezifisch sicherlich unterschiedlich dar, ist aberin verschiedensten Formen berall feststellbar. Diese bewuten oderunbewuten Bewertungen flieen ein in das Elternverhalten und somit in dieerste Selbstwahrnehmung des Kindes.
2 Hagemann-White (1984), S. 47
3 Hagemann-White (1984), S. 43
4 Vgl. Belotti (1981), S. 5 ff.; Scheu (1981), S. 49
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Etwa ab dem dritten Lebensmonat findet die Erziehung zu den 'Jungen'- bzw.'Mdchenstereotypen' statt. Beim Jungen wird die Muskelaktivitt gefrdert,bei Mdchen das soziale, anhngliche, zrtliche Verhalten. Mit zuneh-mendem Alter wird den Kindern das geschlechtsspezifische Verhalten mehrund mehr abverlangt, das geschlechtsunspezifische kommentiert oder garsanktioniert ('an dem Mdchen ist ein Junge verlorengegangen', 'Jungenweinen nicht'). Dazu stellt Hagemann-White fest:
"Es spricht einiges dafr, da die Geschlechtszugehrigkeit unterKindern im Vorschulalter nicht diesen Stellenwert hat, sondern sieeher situationsspezifisch interessiert. Bei Erwachsenen in unsererKultur scheint hingegen das Geschlecht die erste und wichtigsteInformation zu sein, die auch bei flchtiger Interaktion gemerktwird."5
Dabei ist interessant, da sowohl Hagemann-White als auch Scheu festge-stellt haben, da Vter eher auf ein typisches Rollenverhalten dringen alsMtter, sich also eher konservativ verhalten.
Die Festlegung der Geschlechter wird fortgefhrt in der Sauberkeitser-ziehung (ein Mdchen soll sauberer sein als ein Junge), durch die Medien(die geschlechtsspezifische Rollenteilung ist immer die gleiche, die'normale'), durch Spielzeug und Spiele. Scheu stellt dazu fest:
"Konnte man bis zum ersten Lebensjahr das Kind nur schwer auf-grund seines Verhaltens nach dem Geschlecht unterscheiden, sozeichnet sich jetzt die Trennung immer klarer ab. Im Kleinkindaltersetzen sich die Erwartungen der Umwelt gegenber dem kleinenMdchen (dem kleinen Jungen) noch weitgehender durch. Das Kindselbst beginnt, diese Erwartungen zu verinnerlichen."6
In dieser frhen Phase der Entwicklung werden Meilensteine fr dasSelbstwertgefhl, die Einstellung zum eigenen Krper bzw. zum eigenenGeschlecht gelegt. Dem Mdchen wird Anpassung abverlangt, dem JungenEigenstndigkeit zugestanden; die Rolle des Jungen scheint bereits imKindergartenalter eine grere Attraktivitt zu haben als die des Mdchens.7
5 Hagemann-White (1984), S. 50
6 Scheu (1981), S. 75
7 Bereits im Kindergartenalter von dreieinhalb Jahren mchten mehr Mdchen Jungen sein alsJungen sich wnschen, Mdchen zu sein (15% : 1%) (vgl. Belotti (1981), S. 45).
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Ging es bislang um die bewute oder unbewute Konditionierung des Kindesdurch die Umwelt, kommt noch die aktive Aneignung der Umwelt durch dieKinder selbst hinzu, d.h. durch Imitation von und Identifikation mitPersonen trainiert, verinnerlicht und bewertet das Kind eine Geschlechtszu-gehrigkeit.8
Da unsere Umwelt patriarchal geprgt ist, werden die Dominanz des Mannesund die Diskriminierung der Frau an allen Ecken sichtbar, was aber nichtbedeuten mu, da sie damit auch bewut werden. In der Imitation findetsich diese Situation jedoch wieder, denn die Kinder spielen die reale Weltnach. Sie erfahren die Spielbarkeit der Familiensituation. Demgegenberbleibt die Welt des Vaters, die Berufswelt, eher im dunkeln. Die 'Familie'leben, kann jedes Kind; im Beruf 'den Mann stehen', ist wesentlich undurch-schaubarer, spannender, gefhrlicher, anstrengender und wichtiger. DieSituation der Mtter wird als die einfachere wahrgenommen und somit auchals die weniger wichtige.Da Mdchen auch mit zunehmendem Alter mehr am Haus gehalten werdenals Jungen,9 ist neben der fehlenden (Selbst-)Erfahrung in der 'gefhrlichenWelt' auch die Mglichkeit der Reduktion des Mdchens auf das Huslichegegeben. Es lernt nicht in dem Mae wie der Junge die eigenen Fhigkeitenkennen und einschtzen; vielmehr trainiert es die 'weiblichen' Fhigkeitenbis zur Perfektion:
"Kinder, die mehr zuhause sind und eher drinnen als drauen spielen,geraten ganz unbeabsichtigt strker unter Druck der normativenErwartungen der Erwachsenen ... Dieser Aspekt von Erziehung municht einmal als Einschrnkung oder Verbot in Erscheinung treten;nur bleibt eine altersgeme Weiterentwicklung des Zutrauens zu sichaus."10
Alle genannten Aspekte sind jedoch zu relativieren, denn es mu berck-sichtigt werden, "da die Familie kein luftdicht abgeschlossener Raum ist.Familire Erziehung lt sich nicht auf das beobachtbare Verhalten vonMttern und Vtern reduzieren".11
8 Vgl. Belotti (1981), S. 49 ff.
9 Vgl. Hagemann-White (1984), S. 52 ff.
10 Hagemann-White (1984), S. 53
11 Hagemann-White (1984), S. 59 f.
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Das hat auch Grabrucker festgestellt. Sie hat in Tagebuchform die Erzie-hungsversuche einer 'frauenbewegten' Mutter beschrieben, die bewut diegeschlechtsspezifisch diskriminierende Prgung ihrer Tochter verhindernwill.Bereits nach den ersten drei Lebensjahren wird deutlich, welche gesell-schaftlichen Grenzen sich auftun, denn auch bewut erziehende Eltern lebennicht in einem gesellschaftlich abgeschlossenen Raum. Einerseits habenaufgeschlossene Eltern die gesellschaftliche Realitt verinnerlicht und sindsomit immer in Gefahr, diese zu reproduzieren.12 Andererseits gewinnen mitzunehmendem Alter der Kinder - Freunde, Nachbarn, Verwandte usw. anBedeutung und nehmen Einflu auf deren Entwicklung.Somit ist zu vermuten, da der Einflu der Eltern in den gngigen Theorienberschtzt wurde.13
"Ohne Zweifel tragen Erfahrungen in der Familie sowohl zur Ver-strkung vorhandener Neigungen wie auch zur Errichtung von in-neren Barrieren gegen jedes Erproben von Verhaltensmglichkeitenim Bereich des anderen Geschlechts bei. Doch sind diese Erfahrungenschwer abgrenzbar von den Erfahrungen auerhalb der Familie,[denn]: Die Familie als Institution lt einerseits eine groe Vielfaltvon Besonderheiten bis hin zur skurrilsten Abweichung von der Normzu; sie ist andererseits durchlssig fr historische, klassen- undgenerationsspezifische Einflsse. Da wir dennoch keine gesellschaft-liche Aufhebung der Polaritt in den sozialen Chancen der Geschlech-ter beobachten knnen, verweist darauf, da wir Ursachen auch frdie Sozialisation eher auerhalb der Familie zu suchen haben."14
Das sind Verwandte, Nachbarn, Spielgefhrten und Freunde, aber vor allemauch die Institutionen, denen Kinder ausgesetzt sind: der Kindergarten undganz besonders die Schule.
4.1.2 Die institutionalisierte Sozialisation
"Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewhnlich etwas anihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung."
Friedrich Nietzsche15
12 Vgl. Grabrucker (1985)
13 Vgl. Hagemann-White (1984), S. 60
14 Hagemann-White (1984), S. 62; 63
15 Zit. nach Feyl (1984), S. 54
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Dieses Zitat spiegelt nicht nur die gesellschaftliche Meinung des ausge-henden 19. Jahrhunderts wider - diese Auffassung findet sich heute noch oft.
Bereits in den ersten Lebensjahren hat das Mdchen 'erfahren', da es imVergleich zum Jungen Einschrnkungen, Begrenzungen und Diskriminie-rungen hinnehmen mu. Die 'Institution Schule' ist durch die konsequenteWeiterfhrung dieser Strategie gekennzeichnet, denn sie wird determiniertdurch den 'heimlichen Lehrplan der Frauendiskriminierung'. Fr die Wissen-schaft, vor allem die empirische Wissenschaft, ist die Schule ein sehrergiebiges Untersuchungsfeld, so da es gute und fundierte Untersuchungenber die institutionalisierte Diskriminierung gibt.
Es beginnt bereits mit der Stellung der Frau innerhalb dieses Lehr-/Lernbe-triebes. Ist sie als Erzieherin im Kindergarten und als Lehrerin in der Grund-schule noch in der berzahl, so nimmt ihr Anteil mit steigender Schulstufeab; im Oberstufen- bzw. Berufsbildungsbereich tauchen Frauen nur nochvereinzelt auf. Die Funktions- und Leitungsstellen sind dann - ebenso wie dieAufsichtsbehrden - das Terrain der Mnner (vgl. Tabellen 23 bis 25).
Wie aus Tabelle 23 ersichtlich, hat es zwischen 1974 und 1986 keine we-sentlichen Vernderungen des Frauenanteils in den jeweiligen Schulartengegeben. Es scheint eher eine gegenlufige Entwicklung zu geben, denn inNordrhein-Westfalen hat sich der Frauenanteil in Leitungsfunktionen inGymnasien von 33,6% (1964/65) auf 13,6% (1987/88) verringert, obwohl ersich am Kollegium um 4% auf 39,2% erhht hat.16
Wie sich zeigt, wiederholt sich hier die Familiensituation: die Frauen sindwichtig, wenn Fhigkeiten wie Umsorgen, Behten und Nettsein verlangtwerden, die 'wichtigen' Inhalte, verbunden mit Verantwortung, logischemDenken und Durchsetzungsfhigkeit, werden jedoch dem Mann berlassen.Das zeigt sich auch in der Fcherverteilung; in den frauentypischen Fchernwie Kunst, Musik, Textilarbeit, aber auch Sprachen, unterrichten berdurch-schnittlich viele weibliche Lehrkrfte. Dagegen fallen die 'logischen' Fcherwie Mathematik, Physik, Chemie und Latein dem mnnlichen Teil desLehrpersonals zu.17
16 Vgl. Lnenborg/Metz-Gckel (1988), S. 22
17 Vgl. Schulz (1980), S. 251
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So wird das Bild von der unlogischen, emotionalen Frau verstrkt, Eman-zipationsanreize der Mdchen durch das Vorbild der 'neuen' Frau sind nichtoder nur wenig gegeben.
Da nicht zuletzt die Frauen diese mgliche Emanzipation durch Bestrkungdes alten Frauenbildes behindern, zeigt ihr Lehrerinnenverhalten den Md-chen gegenber. Frasch/Wagner haben in einer Untersuchung festgestellt,da Jungen wesentlich mehr Aufmerksamkeit durch die Lehrkrfte erhaltenals die Mdchen. Sie werden hufiger aufgerufen, getadelt, gelobt, und ihreBeitrge werden hher bewertet. "Auf Jungen achtet man einfach mehr",aber nicht nur mann, sondern auch frau.18 Unterschwellig wird denMdchen immer wieder klar gemacht, da Jungen wichtiger sind, sie selbsttauchen in der netten, unaufflligen Ecke unter.
Die Lehrplne in unserem Schulsystem scheinen nach den mnnlichenBedrfnissen und Fhigkeiten ausgerichtet, weder als Zielgruppe noch alsInhalt scheinen Mdchen relevant zu sein.19
Die Schulbcher reproduzieren die hergebrachten Geschlechterstereotypen;20
Beispiele und Aufgaben sind oft genug auf die Jungeninteressen ausgerichtet.
"Die Lese- und Mathematikbcher scheinen davon auszugehen, dasie es unbedingt erreichen mssen, das Interesse der Knaben zuwecken, whrend das der Mdchen vorausgesetzt oder aber ber-gangen werden kann. Die gesamte Anlage der Grundschulbcherscheint darauf zu zielen, Identifikationsmglichkeiten fr Jungen zubieten, als mten nur sie, und sie besonders, zum Erlernen derKulturtechniken berredet werden."21
18 Vgl. Frasch/Wagner (1982), S. 260 ff.
19 Vgl. Schulz (1980), S. 285 ff.
20 Anmerkung der Schreiberin: Folgt ein/e Schler/in diesen Stereotypen in der Aufgabenlsungnicht, strzt dies den Lehrer bzw. die Lehrerin in enorme 'Benotungskonflikte'. Meine Tochterhatte in der Grundschule folgende Aufgabe zu lsen: "Vater, Mutter und Angelika trinkenKaffee. Auf dem Tisch stehen drei Kuchenteller, drei Tassen, drei Untertassen, drei Kaffeelffelund drei Kuchengabeln, eine Kaffeekanne, ein Milchknnchen, eine Zuckerschssel und einMilchtopf. Wie viele Teile mssen Mutter abwaschen und Angelika abtrocknen?" Die Aufga-benlsung meiner Tochter: "berhaupt keine, denn Vater wscht und trocknet ab."Dem 'Punktabzug' wegen 'Nichtlsung der Aufgabe' habe ich insofern erfolgreich wi-dersprochen, als meine Tochter eine Aufgabe in gleicher Art, aber auf ein anderes (neutrales)Beispiel bertragen, lsen mute.
21 Hagemann-White (1984), S. 64
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Inhaltlich tauchen Frauen, wenn berhaupt, nur als Randfiguren, Ehefrauen,Mtter auf. So sind zum Beispiel im Fach Geschichte die Eroberungskriegeder mnnlichen Heere Hauptinhalte; Kmpfe, Errungenschaften und Fort-schritte der Frauen werden hchstens am Rande erwhnt. Ergebnisse derMatriarchatsforschung, die Frauen der Fanzsischen Revolution, derdeutschen Frauenbewegung und viele andere werden als nicht relevantangesehen.22
In und durch Sprache findet eine andauernde Diskriminierung statt. DasMdchen wird lediglich mitgedacht (z.B. 'der Schler' impliziert 'dieSchlerin', umgekehrt ist das nicht denkbar); es wird zum Abbild des Jun-gen, hat keinen eigenen Wert.Die Sprache reprsentiert die Macht der Herrschenden, der Mnner, unddurch die Sprache wird den Mdchen dann auch oft genug Gewalt angetan.23
Hinzu kommt die konkrete Gewalt gegen Mdchen durch Jungen,24 einProblem, das bereits in der Familie, beispielsweise zwischen Geschwistern,zum Tragen kommt.Die Wahrnehmung der mnnlichen Gewalt in unserer Gesellschaft, in derFamilie oft genug direkt eingesetzt gegen die Mutter oder die Kinder, fhrtzu aggressivem Verhalten der Jungen, die entweder die eigene Machtdemonstrieren wollen oder traumatische Erfahrungen verarbeiten mssen.25
So richtet sich eine Subkultur der Jungen gegen die Mdchen auf, gegen diediese sich kaum schtzen knnen.
Da die Jungen nach all dem auch den Mastab fr Schulleistungen dar-stellen, scheint nur logisch. Denn die Leistungen der Mdchen haben unterdenen der Jungen zu bleiben, ein anderes Leistungsbild kme einer Revolu-tion gleich. Darum mssen die Verantwortlichen darauf sofort reagieren. Sowurden in Niedersachsen Eltern und Politiker hellhrig, als 1977 am Endeder Orientierungsstufe mehr Mdchen als Jungen fr die weiterfhrendenSchulen empfohlen wurden.26 Es wurde eine wissenschaftliche Unter-suchung in Auftrag gegeben, um Abhilfe zu schaffen.
22 Vgl. Borries (1982), S. 119 ff.
23 Vgl. Trmel-Pltz (1982), S. 189 ff.
24 Vgl. Barz/Maier-Strmer (1982), S. 279
25 Vgl. Hagemann-White (1984), S. 55 f.
26 52,4% fr die Realschulen, 55,8% fr die Gymnasien, obwohl nur 48,7% Mdchen in derOrientierungsstufe waren; vgl. Frasch/Wagner (1982), S. 277
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Die Folge all dieser Erfahrungen ist ein allmhlich sinkendes Zutrauen derMdchen zu sich selbst und ihren Fhigkeiten. Mdchen stapeln tief undhaben geringere Erfolgserwartungen, sie machen Abitur, verzichten aber aufdas Studium,27 haben gute Leistungen, zeigen aber keinen Ehrgeiz. Diefolgende Matrix macht den Zusammenhang deutlich, der dazu fhrt, daMdchen mit den Jahren immer weniger, Jungen immer mehr Zutrauenentwickeln.
___________ _______________________________________________________________
Tadel Lob
Mdchen schlechte Leistung WohlverhaltenJungen Fehlverhalten gute Leistung___________ _______________________________________________________________
Mdchen werden nicht fr gute Leistungen gelobt, sondern fr ihr Wohl-verhalten; dagegen werden sie fr schlechte Leistungen getadelt. Jungenerhalten ihre Bestrkung in der Leistung, nicht im guten Verhalten.
"Der Junge erfhrt viele und auch viele negative Reaktionen vonErwachsenen auf sein Verhalten; Tadel vermittelt aber selten Zweifelan seinem Knnen, Lob besttigt fast immer, da er Gutes ja leistenkann. Die Zurechtweisungen sind oft diffus und haben wenigRelevanz fr eine Bewertung seiner Fhigkeiten. Die Reaktionen vonErwachsenen gegenber Mdchen hingegen sind vor allem dann aufihre Leistungen bezogen, wenn sie negativ sind; gelobt werden sieeher fr Wohlverhalten oder fr die ordentliche Anfertigung derAufgaben."28
Horstkemper hat noch 1987 in einer Lngsschnittstudie ber Mdchenso-zialisation in der Schule festgestellt, da trotz des Versuchs vermehrterGleichberechtigung und Gleichbehandlung der Geschlechter das Selbst-vertrauen der Mdchen weit hinter dem der Jungen zurckbleibt:
"Unter der Decke formaler Gleichheit finden auch gegenwrtigschulische Sozialisationsprozesse statt, die Mdchen klar benach-teiligen. Der Erfolg, den sie hinsichtlich der erzielten Abschlsse und
27 Waren 1986 noch 45,7% der Abiturienten Mdchen, betrug im WS 87/88 ihr Anteil in
wissenschaftlichen Hochschulen einschlielich pdagogischer Hochschulen lediglich 38% (vgl.Statistisches Jahrbuch 1988).
28 Hagemann-White (1984), S. 70
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Noten verzeichnen knnen, steht in erheblicher Diskrepanz zu demim Vergleich zu den Jungen weit weniger ausgeprgtenSelbstvertrauen, das sie whrend der Schulzeit aufbauen knnen."29
Schule wirkt auf Mdchen somit destruktiv, da sie subtil auf die Verfestigungder Geschlechterstereotypen hinwirkt, nicht auf deren Auflsung. Auch inder Schule wird dem Mdchen sein Unwert demonstriert, die Jungen werdenuntersttzt und gefrdert.
"Die Institution Schule dient der Aufrechterhaltung einer Gesell-schaft, die auf kapitalistischen Produktionsverhltnissen, geschlechts-spezifischer Arbeitsteilung und hierarchischen sowie geschlechts-spezifischen Machtverhltnissen beruht. Whrend sie Jungen nocheinige Mglichkeiten zur Entwicklung von Selbstndigkeit, Selbstbe-wutsein, Kreativitt und Durchsetzungsvermgen bietet, untersttztsie die Einschrnkung von Mdchen auf ein physisches, psychischesund materielles Abhngigkeitsverhltnis von Mnnern."30
Somit ist sie ein gutes Trainingslager fr die auerhusliche Produktion bzw.die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung.
4.1.3 Bedingungen der Erwerbs- und Familienarbeit
Der Begriff 'berufliche Sozialisation' mu differenziert werden.Einerseits findet im primren bzw. sekundren Sozialisationsproze eineKonditionierung zum produktiven Mitglied unserer Konsumgesellschaftstatt, denn es werden Qualifikationen und Dispositionen angeeignet undtrainiert, die der spteren beruflichen Ttigkeit zugute kommen sollen (z.B.Pnktlichkeit, Anpassung, Unterordnung).Andererseits gibt es eine Sozialisation auch im Arbeitsproze selbst, in demje nach Ttigkeit und Position bestimmte Fhigkeiten gefordert, ausgebildetund perfektioniert werden (z.B. Geschicklichkeit am Band, verkuferischeRhetorik, Fhrungsqualifikationen).31
Die Sozialisation fr den Beruf bedeutet fr die Mdchen Akzeptanz undTraining 'weiblicher' Fhigkeiten wie Einfhlungs- und Anpassungsverm-gen, persnliche Wrme, Schnheitssinn, Aufopferung, Helfen etc. Siebedeutet aber auch Sozialisation fr den geschlechtsspezifischen Arbeits-
29 Horstkemper (1987), S. 218
30 Schulz (1980), S. 83
31 Vgl. Windolf (1981); Bamm u.a. (1983)
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markt und fr eine mgliche Integration von Mutter-, Hausfrauen- undBerufsrolle.
Eine Studie zur Berufsfindung von Hauptschlerinnen, die ber vier Jahreangelegt war und Anfang der 80er Jahre an der Universitt Bremendurchgefhrt wurde, zeigte:
"Die Bedeutung eigener Berufsttigkeit und damit materieller Unab-hngigkeit vom mglichen spteren Ehepartner dominiert dasBewutsein der Mdchen; auf die Heirat als Versorgungsinstitution,auf die Zweitrangigkeit ihres Berufes wollen sie sich nicht ein-lassen."32
Jedoch bricht sich die Bedeutung des Berufes fr die eigene Lebensplanungan den Realisierungschancen, die der Arbeitsmarkt fr Mdchen bereithlt.Das heit, mit zunehmender Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realittauf dem geschlechtsspezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verndernsich die Berufswnsche von Mdchen, werden sie angepat an die Umset-zungsmglichkeiten. "Die gegebenen geschlechtsspezifischen Lehrstellenzu-schreibungen vorwegnehmend, pendeln sich die Wnsche der Mdchenschrittweise auf den Rahmen der Frauenberufe ein."33
Trotzdem haben die Mdchen bei Schulabschlu noch eine wesentlichbreitere Berufswunschpalette, als sie mit der Berufseinmndung realisierenknnen.
"Art und Tradition des Arbeitsmarktes strukturieren also die Be-rufswnsche. Sie begrenzen das Spektrum, das Mdchen sich ber-haupt wnschen drfen, sie definieren, was als Berufsrolle fr Frauenmglich ist und wie diese mit ihren Chancen umgehen knnen."34
Das beinhaltet auch die Familienorientierung als Rechtfertigung fr dieWahl eines typischen Frauenberufes oder gar als letzter Ausweg und Al-ternative zur Berufsrolle.
Wenn auch die dargestellte Studie das Berufswahlverhalten von Hauptsch-lerinnen untersucht, so kann doch vermutet werden, da sich ganz hnlicheOrientierungen an der gesellschaftlichen Realitt auch bei Realschlerinnenund Gymnasiastinnen finden lassen.
32 Heinz u.a.; zit. nach Krger, H. (1984), S. 22
33 Krger, H. (1984), S. 25
34 Krger, H. (1984), S. 25
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Sozialisation im Beruf ist geprgt durch die Fortsetzung der Diskriminierungder Frauen mit anderen Mitteln. Im Proze der Erwerbsarbeit erfhrt sie dieDiskriminierung in der Arbeit selber (untergeordnet, monoton, gesundheits-gefhrdend), in der Entlohnung (schlecht bezahlte Arbeitspltze) und ebensoin der Behinderung im Aufstieg, der den Mnnern vorbehalten ist. Einekrzlich durchgefhrte Betriebsumfrage der niederschsischen Landesre-gierung ergab:
"Frauen sind im Berufsleben noch immer benachteiligt. In ihrenBetrieben werden sie bei steigendem Interesse an Weiterbildungs-manahmen und hherer Motivation fr qualifiziertere Positionenkaum gefrdert. Informationen ber Ausbildungschancen, vor allemim gewerblich-technischen Bereich, kommen sprlich. berlegungender Belegschaft, Kinderbetreuung anzubieten, werden in den wenig-sten Betrieben angestellt."35
Dies ist um so erstaunlicher, als gleichzeitig mehr als die Hlfte aller Be-triebe bekannte, da es nicht schwierig sei, Frauen fr die bernahmequalifizierter Positionen zu motivieren,36 und Untersuchungen belegensogar, da Frauen die 'besseren Chefs' sind.37
Das alles wird begrndet mit Familienstand (Doppelverdiener, Ernhrer istder Mann, Belastbarkeit), Fehlzeiten durch Krankheit (u.a. durch dieGebrfhigkeit bzw. Kinderpflege), mangelnde Ausbildung (Aus- undFortbildung findet zuallererst fr die Mnner statt), geringe Krperkraft(wobei mnnliche Mastbe angelegt werden und typisch weibliche Bela-stungen nicht zhlen38) und mit gesetzlichen Schutzvorschriften (die zumTeil antiquiert, moralisierend sind, wie das Verbot der Beschftigung vonFrauen bei der Herstellung von Verhtungsmitteln39.Als Folge davon sind die einfachen Berufe den Frauen, die mittleren und vorallem die gehobenen Berufe den Mnnern vorbehalten (vgl. Grafik 6).
Bei all dem mu beachtet werden, da die Frau sowohl in einem bezahltenals auch in einem unbezahlten Arbeitsproze steht. Auer der gesellschaftli-chen Arbeitsteilung gibt es nach wie vor die geschlechtsspezifische Arbeits-
35 Nordwest Zeitung vom 23.06.1989: "Berufsttige Frauen sind benachteiligt"
36 Vgl. Nordwest Zeitung vom 23.06.1989: "Berufsttige Frauen sind benachteiligt"
37 Vgl. Mitteilungsblatt des Landesfrauenrates Hamburg (2/1989)
38 Vgl. Krell (1984), S. 54 ff.
39 Vgl. Krell/Tammling (1979), S. 104
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teilung. Neben der Aufteilung zwischen Mnner- und Frauenberufen ist diesegekennzeichnet durch die Teilung in bezahlte und unbezahlte Arbeit, alsoErwerbs- und Familien- bzw. Reproduktionsarbeit.
Whrend fr den Mann die Erwerbsarbeit der primre Arbeitsbereich ist, istdas fr die Frau die Familienarbeit. Das mu sich nicht in Art und Umfangder Ttigkeiten zeigen, ist aber unverkennbar in der gesellschaftlichenZuordnung, also der Zustndigkeit.Da diese Doppelbelastung zulasten der Freizeit, also der frei disponiblenZeit, geht, ist die logische Folge.40
Somit ist die Frau Sklavin im doppelten Sinne, da sie sowohl im Arbeits-proze als auch im Reproduktionsproze ausgebeutet wird; ein Freiraum frmgliche politische Arbeit bleibt nicht.Fr die unbezahlte Arbeit, 'die eigentliche Aufgabe der Frau', werdenjhrlich 45 Mrd. bis 50 Mrd. Arbeitsstunden geleistet, in der Regel vonFrauen. Die Zahl der Lohnarbeitsstunden betrgt jhrlich 54 Mrd. Darausfolgt, da Frauen zusammen mit der Erwerbsarbeit zwei Drittel der ge-sellschaftlich notwendigen Arbeit leisten.41 Da aber in unserer Gesellschaftder Wert einer Leistung an ihren Kosten gemessen wird, hat unbezahlteArbeit gesellschaftlich und wirtschaftlich keinen Wert und somit auch diePerson nicht, die diese Arbeit leistet. Weder Gebrarbeit und Kinderaufzuchtnoch die sozialpsychologische Betreuung der Familienmitglieder, dieHilfslehrerin- und Krankenschwesterttigkeit, weder die Arbeit als Kchin,Wscherin, Putzfrau, Grtnerin und Sekretrin noch die als Liebesdienerin,Lustobjekt oder schmckendes Beiwerk bei offiziellen Anlssen werdenbezahlt, denn all diese weiblichen Ttigkeiten sind selbstverstndlich und'entspringen dem Bedrfnis der weiblichen Natur'.Da der (husliche) Arbeitsplatz der Frau auch gleichzeitig zum Privatbereicherklrt wird, wird die Frau 24 Stunden lang der 'kapazittsorientiertenvariablen Arbeitszeit' (KAPOVAZ) ausgesetzt und hat nie Feierabend.Selbst wenn sie die Alleinverdienerin in der Familie ist und ihr Partner sichbewut fr die Rolle des Hausmannes entschieden hat, untersttzt sie diesendeutlich strker, als dies alleinverdienende Ehemnner tun.42
40 Vgl. Plog (1989)
41 Vgl. Scheu (1981), S. 19
42 Lt. Studie der FU Berlin; in Mommsen (1988)
121
Das Redaktionskollektiv des Verlages Frauenoffensive kommt denn auch zudem Ergebnis, da
"der Versuch der beruflichen Emanzipation uns aus der Abhngigkeitvom Mann und aus der uns von der mnnlichen Gesellschaft aufge-zwungenen Inferioritt nicht heraushilft, sondern uns vielmehr zueiner 'vielseitig', das heit beliebig belastbaren Manvriermasse inden Hnden eines cleveren 'progressiven' Patriarchats gemacht hat."43
Diese Analyse ist zwar richtig, dennoch lenkt sie ab von der Tatsache, dabeispielsweise Arbeiterinnen trotz heftiger Kritik am Akkordsystem undbetrieblichen Arbeitsbedingungen einen betrchtlichen Teil ihres Selbst-bewutseins aus ihrer Erwerbsarbeit beziehen. Die Ambivalenz weiblicherBerufsttigkeit zeigt sich darin, da die ausschlieliche Rolle als Familien-frau von ihnen - zumindest auf Dauer - als unbefriedigend empfunden wird,die gleichzeitige Berufs- und Familienarbeit jedoch eine enorme Arbeitsbe-lastung mit sich bringt.44
Jedes fr sich birgt Vorteile, aber auch erhebliche Nachteile und macht dieUnterdrckung zu einem festen Bestandteil des weiblichen Lebenszusam-menhanges, denn die Abhngigkeit der Vollhausfrau von ihrem Ehemannsteht der Abhngigkeit der erwerbsttigen Frau vom Arbeitgeber bzw. vonden mnnlichen Vorarbeitern gegenber. Doch trotz der Fremdbestimmungim Arbeitsproze strkt das selbstverdiente Geld in nicht unerheblichemMae das Selbstbewutsein der Frauen, unter anderem, weil es partiellunabhngiger macht.
Diesen permanenten Wechsel zwischen Alltag, Privatleben und Beruf, dieseAlleinzustndigkeit fr die familire Reproduktionsarbeit bei gleichzeitigstarker Belastung durch die Berufsarbeit bezeichnete Barbara Sichtermannals "Patchwork-Karriere"45 - eine freundliche Bezeichnung fr denDauerstre, der durch die Mehrfachbelastung unumgnglich ist.Das ist um so schlimmer, als alle Aspekte, die von der mnnlichen Nor-malbiographie abweichen (z.B. Unterbrechung wegen Kindererziehung,Teilzeitbeschftigung, hufige Umzge aufgrund des Berufes des Ehe-mannes) der Frau im Rahmen der beruflichen Karriere zum Nachteil ge-reichen. Die vielfltigen Erfahrungen und Kenntnisse, die Frauen aufgrund
43 Nachbemerkung in Belotti (1981), S. 169
44 Vgl. Becker-Schmidt (1984)
45 Vgl. Stephan (1988)
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einer "Patchwork-Karriere" aufweisen knnen, werden demgegenber inaller Regel nicht als zustzliche Qualifikation gewertet, weder von denBetrieben noch von den Frauen selbst.So ist es nur verstndlich, da durch die permanente Geringschtzungweiblicher Fhigkeiten die Selbsteinschtzung der Frauen sehr niedrig ist.
4.1.4 Folgen geschlechtsspezifischer Diskriminierung fr diepolitische Sozialisation von Mdchen und Frauen
"Politik ist Mnnersache" - zu dieser Ansicht bekannten sich 1984 nur noch14% der Frauen, jedoch 24% der Mnner,46 womit bewiesen wre, da sichin den vergangenen Jahrzehnten in der Gesellschaft ein emanzipatorischesBewutsein herausgebildet hat, und zwar bei den Frauen strker als bei denMnnern.Andere Fakten scheinen das zu besttigen. Mdchen kommen in allenSchulstufen und -formen besser voran als Jungen, sie machen die besserenSchulabschlsse,47 schneiden in den Ausbildungsberufen besser ab,48
bewhren sich in gewerblich-technischen Berufsfeldern, wie die Modell-versuche "Mdchen in Mnnerberufen" beweisen.49
Frauen und Mdchen partizipieren zunehmend und in hnlichem Umfangwie das mnnliche Geschlecht an verschiedenen Bereichen des ffentlichenLebens, zum Beispiel als Mitglieder im Deutschen Sportbund oder in derBenutzung der Jugendherbergen.50
Sie nutzen ihr passives Wahlrecht fast ebenso intensiv wie die Mnner, ihreWahlentscheidungen unterscheiden sich kaum noch von denen der mnnli-chen Bevlkerung.Das alles knnten Zeichen fr die berwindung bzw. die nachlassendeBedeutung geschlechtsspezifischer Sozialisationsbedingungen sein.
Dem stehen aber Tatsachen gegenber, die daran sehr zweifeln lassen. Sonehmen wesentlich weniger Mdchen als Jungen nach dem erfolgreichen
46 Vgl. Hofmann-Gttig (1986), S. 102
47 Vgl. Pape-Siebert (1984), S. 144
48 Vgl. Pape-Siebert (1984), S. 83/84
49 Vgl. Hellmann/Volkholz (1985), S. 101 ff.
50 Vgl. Hofmann-Gttig (1986), S. 95
123
Abitur ein Studium auf.51 Von den unversorgten Ausbildungsplatzsuchendensind zwei Drittel Mdchen.52
Ebenso ist der Anteil der Frauen unter den Arbeitsplatzsuchenden ber-durchschnittlich hoch, und selbst Mdchen, die in den Modellversuchen"Mdchen in Mnnerberufen" erfolgreich waren, haben schlechtere Chancenauf dem Arbeitsmarkt.
Die Arbeitspltze der Frauen gehren berwiegend zu den unteren Ein-kommensgruppen,53 und mit zunehmender Hierarchiestufe innerhalb derBetriebe nimmt der Frauenanteil ab. An den Schaltstellen der Macht, ob inWirtschaft, Wissenschaft oder Politik, fehlen Frauen fast vllig. Trotz derEgalisierung von Wahlbeteiligung und Wahlverhalten von Mnnern undFrauen insgesamt sind es gerade die ganz jungen Whlerinnen, die inerschreckendem Umfang Wahlenthaltung ben (vgl. Kapitel 3.4.1).
Das alles sind Zeichen, die beweisen, da noch vielfltige (Sozialisa-tions-)Mechanismen fr die Diskriminierung der Frauen sorgen. Das wirdbesonders im schulischen Bereich deutlich: Die rechtlich einklagbare undoffensichtliche Chancengleichheit der Mdchen im Bildungsbereich frdertund fordert deren Leistungsvermgen und Leistungsbereitschaft - abzulesenan den Schulerfolgen von Mdchen. Und doch lassen sich vielfltige Unter-drckungsmechanismen nachweisen (vgl. Kapitel 4.1.2), die dieseLeistungsbereitschaft belasten.
"Da Mdchen im allgemeinbildenden Schulsystem trotzdem soerfolgreich sind, zeigt, in welchem Umfang sie kmpfen und arbeitenmssen. Die Tatsache, da sie nach Verlassen der Schule nicht mehrin angemessenem Umfang auf allen gesellschaftlichen Ebenenerscheinen, zeigt ihre gesellschaftlich bedingte Verhinderung. Wegender fehlenden rechtlichen Grundlage, die Gleichbehandlung einklagenzu knnen, wirken diskriminierende Bedingungen besonders massiv.Aber auch die Bewutseinsebene spezifisch weiblichen Ttigkeitenlassen tatschlich weniger Spielraum fr eine umfassendeEntwicklung. Die weibliche Rolle ist konkret minderwertiger als diemnnliche, im Sinne von begrenzter, eingeengter. Von der Geburt an
51 Vgl. Anmerkung 185
52 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1988
53 Vgl. Heck/Kleinhorst (1986), S. 13 ff.
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werden im Proze der Sozialisation die konkreten gesellschaftlichenVerhltnisse reproduziert."54
Weibliches Wohlverhalten wird akzeptiert, weibliche Leistung aber nichthonoriert. Fhigkeiten wie nett, aufopfernd, hbsch sein werden gefordertund gefrdert, hingegen Durchsetzungsfhigkeit, Ehrgeiz, gute Leistung (imSinne von mebar, beweisbar) verhindert.
Die Erfahrungen des Arbeitslebens hinterlassen den Eindruck, da Mnnerdurchsetzungsfhiger, kompetenter, besser, belastbarer, intelligenter sind,das Zutrauen in die eigenen Fhigkeiten sinkt. Hinzu kommt die permanenteKonfrontation mit mnnlicher Macht und Aggressivitt, die in allen Lebens-phasen eine Rolle spielt. Dem hat die Frau nichts entgegenzusetzen, darumreagiert sie verstndlicherweise mit Angst.
Bode machte sich Gedanken zum Sechsten Jugendbericht der Bundesre-gierung und den Lebensperspektiven junger Frauen und kam zu dem Er-gebnis, da diese sich immer und lebenslang in einer Zwickmhle befinden,die mit keinem Zug aufgehen kann.55
Durch die Zuschreibung der Reproduktionsarbeit werden die beruflichen undgesellschaftlichen Entfaltungsmglichkeiten des weiblichen Geschlechts vonvornherein eingeschrnkt. Die Entscheidung fr eine zukunftsweisendeberufliche Ausbildung mit Weiterbeschftigungs- und Karrierechancenschliet die Mglichkeit einer Unterbrechung wegen Familienarbeit aus; isteine Unterbrechung mglich, handelt es sich um Berufsfelder mit schlechtemVerdienst und geringen Aufstiegschancen.
Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellt sich fr Jungenberhaupt nicht.
"Eingekeilt zwischen Scylla und Charybdis, im Kern ihrer Persnlich-keit angegriffen, verlieren Mdchen so den Mut und whlen den Job,den man leicht aufgeben kann. Oft leiden sie physisch und psychisch,und nur die Hlfte bringt die Kraft auf, sich durchzusetzen."56
Hinzu kommt die Doppelbdigkeit von Ratschlgen, die jungen Mdchengegeben werden und sie auffordern, sich an anderen Berufsfeldern zuorientieren, die vermeintlich mehr Chancen fr sie beinhalten. Doch dort
54 Scheu (1981), S. 49 f.
55 Vgl. Bode (1984), S. 54 ff.
56 Bode (1984), S. 56
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werden sie nicht eingestellt, weil sie Mdchen sind. Und wenn sie bei-spielsweise im Rahmen von Modellversuchen die Chance erhalten, ihreFhigkeiten in diesen Bereichen unter Beweis zu stellen, finden sie trotzerfolgreicher Beendigung der Ausbildung keine Anstellung.Haben sie einen Ausbildungsplatz in einem zukunftstrchtigen Beruf ge-funden und wollen oder mssen in der Familienphase vorbergehend ihreLaufbahn unterbrechen, dann werden sie Schwierigkeiten beim Wieder-einstieg haben, da die gleichaltrigen Mnner ihnen gegenber den Vorteileiner kontinuierlichen Berufsphase haben.Diese Liste liee sich beliebig verlngern und macht deutlich, da die Be-nachteiligung von Frauen und Mdchen in dieser Gesellschaft noch immeralltgliche Realitt ist. Hier wurde ein perfektes Netz aus Diskriminierung,Abwertung, Privatisierung, Chancenlosigkeit und Einschchterung gewoben,das die Entwicklung von gesellschaftlichen und politischen Interessen undEngagement verhindert.Die Wahrnehmung der eigenen Ohnmacht dem Mann und der patriarchalenGesellschaft gegenber wird interpretiert als politisches Desinteresse, dieAngst vor der Gewalt des Mannes und der mnnlichen Organisation wird alspolitisches Unverstndnis eingeordnet.
Analog zur Erkenntnis, da Schlerinnen ihre Berufswnsche unbewut denzu erwartenden Einstellungschancen am Ausbildungs- und Arbeitsmarktanpassen, um Enttuschungen und Frustrationen mglichst zu vermeiden,kann vermutet werden, da Frauen ihren Karrierewunsch den Gegebenheitenin Wirtschaft, Wissenschaft und Politik anpassen.Die relative Perspektivlosigkeit im Hinblick auf eine autonome Zukunft, dieWahrnehmung, als Person fr diese Gesellschaft nicht wichtig zu sein, fhrtzur Verweigerung politischer Einflunahme sowohl bei ganz jungen Frauen,denen der berufliche Einstieg verwehrt wird, als auch bei alten Frauen, dieihren Funktionsverlust nach Beendigung der biologischen und sozialenMutterschaft mit gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit gleichsetzen.57
Frauen arrangieren sich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten, die einpolitisches Engagement fr das weibliche Geschlecht nicht wichtig erschei-nen lassen. Aber nicht die Frauen sind unpolitisch, sondern die Verhltnisselassen Frauen, weibliche Interessen und Bedrfnisse nicht als gesellschaftlichrelevante Bestandteile zu. Die politische Sozialisation der Frau ist keine
57 Vgl. Krger, D. (1980), S. 30 ff.
126
Sozialisation hin zu politischer Handlungsfhigkeit, sondern zum politischenStillhalten, 'ber-sich-ergehen-Lassen'. Die Passivitt, die der Frau auf allenSozialisationsebenen abverlangt wird, findet sich auch in ihrem 'unpoliti-schen' Verhalten wieder.
Die Erziehung zu 'mnnlichen' und 'weiblichen' und damit zu 'politischen'und 'unpolitischen' Wesen dient der Legitimation der Herrschaft der Mnnerber die Frauen, der Befreiung des Mannes von der Reproduktionsarbeit undsomit der Aufrechterhaltung der mnnlichen Machtstrukturen in der Politik.
Geschlechtsspezifische Sozialisation ist die Voraussetzung fr geschlechts-spezifische Arbeitsteilung. Das gilt auch fr die Politik.Doch darf nicht vergessen werden, da Menschen in ihrem Leben immerwieder Entscheidungen ber ihren weiteren Lebensweg treffen. An denBiographien der politisch ttigen Frauen lassen sich diese Entscheidungenablesen, die den Frauen trotz der widrigen Umstnde und Bedingungen dieMglichkeiten fr politische Aktivitten erffneten. Lebenswege sind nichteindimensional nur durch soziologische Prozesse bestimmt. Sozialisation istnicht zwangslufig nur Schicksal. Vielmehr sind die realen Le-bensverhltnisse vernderbar. Frauen sind nicht Opfer ihrer Biologie,sondern
"Opfer konkreter gesellschaftlicher Zwnge aufgrund geschlechts-spezifischer Funktionszuweisung als Hausfrau und Mutter und spe-zifisch 'weiblicher' Ttigkeiten im Beruf. Doch Frauen sind nichtwillenlose Objekte der Geschichte, sondern Subjekte ihrer eigenenGeschichte. Wenn sie ihre Funktion in dieser Gesellschaft infragestellen und sich gegen sie wenden, sind sie gleichzeitig Potenz zurVernderung unserer gesellschaftlichen Verhltnisse."58
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Entscheidung fr Lebensformen,die quer zu allen gesellschaftlichen Erwartungen stehen. Doch das ist nichtnur eine Entscheidung fr die Politik oder die Karriere, sondern gleichzeitigeine Entscheidung fr die Dreifachbelastung (Beruf, Familie und Politik), frdie Investition von viel Kraft in einem mnnerdominierten Bereich unddamit fr die Konfrontation mit massiver Diskriminierung. Das ist auerdemdie Entscheidung, in einen Bereich mnnlicher Seilschaften abzugleiten,dem selten ein entsprechendes weiblichen Netzwerk gegenbersteht. Das
58 Scheu (1981), S. 40
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macht deutlich, wieviel mehr Anstrengungen es Frauen kostet, politischesEngagement zu entwickeln oder gar ihre politische Karriere zu betreiben.
4.2 Die ganz alltgliche Diskriminierung von Politikerinnen(und anderen Frauen)
"Whlen Sie eifrig, meine Damen, gehen Sie in die politischenParteien. Sehen Sie zu, da in allen abstimmenden Versammlungenmglichst viele Frauen sind. Machen Sie Frauen zu Delegierten,lassen Sie diese Delegierten Kandidatinnen aufstellen - und dannhaben Sie bald Ihre entsprechende Reprsentanz",
sagte Konrad Adenauer zu den Klagen der Frauen ber ihren mangelndenEinflu.59 Seine Worte mssen fast zynisch anmuten angesichts derTatsache, da er nach der Bundestagswahl 1957 keine Frau in sein Kabinettaufnahm und auf den Protest der Frauen nur mit Spott reagierte: "Ich wre jadumm gewesen, wenn ich vor der Wahl auf die Frage, ob ich eine Frau in dieRegierung aufnehmen wrde, nicht gesagt htte: am liebsten zwei!"60
Dieses Taktieren der Mnner ist bezeichnend fr ihren Umgang mit ihrenKolleginnen und spiegelt sich im politischen Alltag berall wider. Es schlgtsich nieder in der Nichtreprsentanz eines adquaten Anteils von Frauen inden politischen Gremien, stellt aber auch die alltgliche Diskriminierungund Verhinderung von Politikerinnen dar.
Frauen, die sich allen widrigen Umstnden zum Trotz fr ein Politikerin-nenleben entscheiden und bereit sind, die geschlechtsspezifische Mehr-fachbelastung auf sich zu nehmen, werden konfrontiert mit uerst wider-sprchlichen Mnnerreaktionen.
Weibliche Neumitglieder werden in Parteien erst einmal mit offenen Armenempfangen. Zum einen rhmt sich jede Partei gern ihres hohenFrauenanteils, zum anderen werden immer Frauen fr Wahlkampf undKinderfeste sowie zum Kuchenbacken gebraucht, und darber hinaus erfreutes so manches Mnnerherz, wenn die trockene Politik durch einfreundliches, vielleicht sogar hbsches weibliches Wesen belebt wird. Ein biszwei Vorstandsposten sind fr die ganz eifrigen Frauen auch zu vergeben, so
59 Zit. nach Feuersenger (1980), S. 126
60 Zit. nach Feuersenger (1980), S. 126
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zum Beispiel der des Schatzmeisters/der Schatzmeisterin oder desSchriftfhrers/der Schriftfhrerin.
Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben die Mnner gelehrt, daFrauen bei der Besetzung der Listenpltze Zurckhaltung ben, nicht mitden kompetenten Mnnern in Konkurrenz treten und gern bereit sind, diehinteren Listenpltze als Zhlkandidatinnen aufzufllen.61
Zwar sind Frauen offensichtlich eher als Mnner bereit, ein Amt zu ber-nehmen,62 aber im Zweifelsfall ben sie sich in Bescheidenheit.Da die Parteien das Trittbrett fr die politische Karriere sind, Frauen abernicht gefrdert, sondern eher behindert werden, fallen diejenigen durch dieMaschen des Karrierenetzes, die den Mnnern unangenehm sind. Lediglicheinige nette, hbsche, nicht zu aufmpfige Frauen haben Chancen, als Alibi-frauen akzeptiert zu werden: "Sie gehren nicht zu den Lauten im Lande,sondern eher zu den Leisen, was mir sehr sympathisch ist", sagte der ErsteBrgermeister Hans-Ulrich Klose zu der neuen Zweiten BrgermeisterinHelga Elstner nach den Wahlen zum Hamburger Senat 1978 und kenn-zeichnete damit eine typisch mnnliche Vorliebe.63
Das Verfahren der Verhinderung funktioniert bereits seit 1919 in dieser oderhnlicher Form, und es gibt fr Parteimnner wenig Veranlassung, daranetwas zu ndern, denn sie halten die Parteimacht in den Hnden und nutzensie auch in ihrem Interesse.Schlielich ist es fr sie angenehmer, von den weiblichen Attributen derFrauen zu profitieren, als sich mit einer 'frustrierten Emanze' herumzu-schlagen.
Inwieweit dieses Verfahren sich verndern wird, nachdem es seit kurzem fralle Parteien opportun ist, Frauen zu rekrutieren, bleibt abzuwarten. Bislangwerden Frauen in der Regel nur gefrdert, um die Position des Mannes zustrken, so zum Beispiel, um WhlerInnenstimmen zu sichern. Aber auchdiese Strategie wird behutsam gefahren. Je nach Partei und mit unterschied-lichen Verfahren werden gerade so viele Frauen gefrdert, wie vermeintlich
61 Vgl. Jochimsen (1978), S. 111; Hoecker (1985), S. 54 ff.; Geschftsbericht der SPD Weser-
Ems 1981/82; Kapitel 3 dieses Buches
62 Die Aufstiegsorientierung ist bei den CDU-Frauen und denen der FDP mit 11% bzw. 20,5%wesentlich strker ausgeprgt als bei den Mnnern dieser Parteien mit 3,8% bzw. 10,9% (SPD:Frauen 2,3%/Mnner 3,5%); vgl. Hoecker (1985), S. 63 ff.
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ntig sind, um den Mann abzusichern, aber auch so wenig wie mglich, umihn nicht ernsthaft zu gefhrden."Als einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in derMasse wie Unkraut", urteilte denn auch Michael Horlacher, Landtagspr-sident a.D.
Da Frauen, die es geschafft haben, trotz des harten Auswahlverfahrens ineine gehobene Position zu gelangen, auch weiterhin Wohlverhalten benmssen, versteht sich dabei von selbst, denn:
"Ihre Besttigung oder Wiederwahl ist um so gefhrdeter, je deutli-cher und erfolgreicher ihre Politik zugunsten von Frauen gewesen ist.Eine Frau z.B. in einer Partei oder Gewerkschaft mu am meistenfrchten, als Feministin oder gar als Emanze erkannt oder auch nurbenannt zu werden. Sie wird sehr rasch gegen eine andere Frauausgetauscht werden, die als 'einsichtig' oder 'vernnftig' gilt, und dasheit, bereit ist, sich mnnlicher Sicht und Wertung anzupassen."64
"CDU-Emanzen" betitelt denn auch Norbert Blm seine Parteikolleginnenim Vorfeld des Essener Bundesparteitages von 1985, der unter dem Motto"Fr eine neue Partnerschaft von Mann und Frau" abgehalten wurde und einZugestndnis an die Frauenpolitik sein sollte.65 Mit dieser Drohgebrdesollten die CDU-Frauen wohl zur Zurckhaltung bewogen werden, was auchgelang - ob aufgrund des Blmschen Ausspruches oder unabhngig davon,bleibt offen.
Aber verfolgen wir den Weg von Frauen, die es 'geschafft' haben, insParlament zu kommen. Kommunalpolitikerinnen, die ber Frauenlisten indie Parlamente einzogen, trafen sich im Frhjahr 1985 in Ellwangen zumErfahrungsaustausch, und ihre Erfahrungen sind vielfltig: Verleumdungen,Parteiausschlu, Redebehinderungen, Ausquartierungen aus dem Rathaussind nur einige davon. Die Bezeichnung 'Krampfadergeschwader' oder'Hhnerlisten' sprechen fr sich.
Ernstgenommen werden die Frauen nur, wenn sie sich zum Beispiel dreistdaranmachen, den brokratischen Filz aufzudecken; ernstgenommen zuwerden bedeutet dann aber auch, diffamiert und bekmpft zu werden.
63 Vgl. Trmel-Pltz (1985)
64 Pfarr (1984)
65 Vgl. Roitzsch (1985)
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Mnnlicher Chauvinismus ist allgegenwrtig, und Sprche, wie sie GerdaPapenheim gehrt hat, sind an der Tagesordnung: 'Das kannst du deinemMann im Bett erzhlen', oder: 'Mit deiner Frisur sind wir ja einverstanden,aber mit deinem Antrag nicht.'66
Parlamentarierinnen im Bundestag geht es da nicht anders. 'Kleine Mdchenmssen artig sein', hrte Christa Nickels; mit 'Es mu jemand politischantworten' wurde Heide Simonis von ihren Fraktionskollegen abgelehnt;'Wie vereinbarst du Kinder und Parlament?' fragte mann Renate Schmidt67 -eine Liste, die unendlich verlngert werden knnte mit lauter An- undAussprchen von Mnnern, die hnliches nie zu hren bekommen.
Parlamentarierinnen werden 'angemacht', auch auf dem Rednerpult, abernicht als Politikerin, sondern als Frau: sexistisch.
Die Zwischenrufe "haben die Funktionen, die Sprecherin zu verletzen,lcherlich zu machen oder zu verwirren, zu verunsichern, zurStellungnahme zu zwingen. Auf die Zuhrenden sollen sie die Wir-kung haben, da sie die Sprecherin nicht ernst nehmen, da sie abtun,was sie sagt".68
Diese Erfahrung machte auch Cornelia Schmalz-Jacobsen, als sie 1980 alsBundestagskandidatin der F.D.P. in Mnchen Wahlkampf machte:
"Wenn Mnner beschimpft werden, dann soll das natrlich auchtreffen - aber nicht ihre Mnnlichkeit. Das Selbstverstndnis alsMann darf intakt bleiben. Bei der angegriffenen Frau setzt jedochgerade dort die 'Kritik' an: Ihr Selbstwertgefhl als Frau soll zerstrtwerden."69
Frauenspezifische Fragestellungen interessieren die Mnner nicht, und wennfrau solche durchsetzt, so wird nicht zugehrt, mann schwtzt oder ist garnicht anwesend. So blieben im niederschsischen Landtag die Bnke fastgnzlich leer, als aufgrund einer Groen Anfrage der CDU und der F.D.P.am 15. Oktober 1987 ber den Wiedereinstieg von Frauen ins Berufslebendebattiert wurde.70
66 Waidhofer (1985); Henkel (1985); Horsch (1985)
67 Fernsehsendung "Sie-Er-Es": Sexismus in Bonn, 16.04.1985 (NDR)
68 Trmel-Pltz (1985)
69 Schmalz-Jacobsen (1981), S. 40
70 Vgl. Nordwest Zeitung vom 16.10.1987: "Frauen unter sich"
131
Aber auch bei der Debatte ber den Frauenfrderplan der LandesregierungNiedersachsen am 20. April 1988 saen zu Beginn lediglich acht Ab-geordnete im Plenum; zum Schlu bereits stolze 50 von 155 Parlamenta-rierInnen.71
Da in der Politik Sprache eine groe Rolle spielt, ist sie auch ein Mittel derDiskriminierung. Durch das gesprochene ebenso wie durch das geschriebeneWort wird die Frau immer wieder von ihrer Nichtexistenz berzeugt.Bezeichnungen wie 'Volksvertreter', 'Parlamentarier', sowohl im Singular alsauch im Plural, werden in der Regel in mnnlicher Form verwendet, undEinladungen an die 'Herren Abgeordneten nebst Gattin' gehen auch heutenoch bei vielen Parlamentarierinnen ein.Kommunalpolitikerinnen sind im offiziellen Sprachgebrauch immer noch'Ratsherren'.Diese Sprachregelung wurde erst krzlich in Rahmen eines Normenkon-trollverfahrens, das von einer Ratsfrau der GRNEN aus Ratzeburg an-gestrengt worden war, vom Oberverwaltungsgericht Lneburg besttigt (Az.:5 OVG C1/87). Zynisch muten die Auslassungen der Stadt Ratzeburg an, diesich dem Ansinnen der 'Ratsherrin' widersetzte, als 'Ratsfrau' bezeichnet zuwerden:
"Wrde man hinsichtlich Geschlecht und Ehestand ganz exakt ver-fahren, mte 2 der Hauptsatzung folgende Fassung erhalten: 'DieStadtvertreter fhren die Bezeichnung 'Ratsdame' (Ratsfrau), 'Rats-dmlein' (Ratsfrulein), 'Ratsherr' (Ratsmann) und 'Ratsherrlein'(Ratsmnnlein)'"72
- ein Denken, dem sich die Lneburger Richter (!) offensichtlich gern an-schlossen.73
In der Politik ebenso wie im gesamten Lebenszusammenhang wird die Fraunicht mitgedacht, sie wird durch Sprache unsichtbar gemacht. Da Sprachenicht geschlechtsneutral ist, diskriminiert sie.
Darum "ist die Einfhrung der weiblichen Form eine wichtige n-derung, weil mit Sprache nicht nur Wirklichkeit reflektiert wird,sondern weil Sprache auch Wirklichkeit schafft ... Von der Sicht-
71 Vgl. Nordwest Zeitung vom 21.04.1989: "Leere Bnke bei Frauendebatten". Zu diesem Punkt
wre eine empirische Untersuchung sicherlich aufschlureich.
72 Galczynski (1987), S. 27
73 Galczynski (1987), S. 27
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barmachung von Frauen durch weibliche Bezeichnungen, die in un-serer Sprache ja vorgegeben sind, fhrt ein direkter Weg zumSelbstbewutsein von Frauen, zur Leistung und Kreativitt vonFrauen, die wir dringend ntig haben in unserer Welt und nichtverkmmern lassen sollten."74
Aber auch im Sprachverhalten wird Diskriminierung offenbar. Neben derbereits erwhnten sexistischen Anmache von Frauen erfhrt die Rednerindurch Zwischenrufe ein indirektes Redeverbot. "In Antizipation dessen, wassie erwartet, knnen dann viele Frauen berhaupt nicht reden, ihre Stimmebricht, sie melden sich erst gar nicht zu Wort. Das Redeverbot ist effektiv."75
Zu diesem indirekten Redeverbot kommen dann noch technische Rah-menbedingungen, die das Ganze untersttzen. Hannegret Hnes, Abge-ordnete und Fraktionssprecherin der GRNEN im Bundestag, hat dieMikrofone im Plenarsaal untersuchen lassen. Das Ergebnis: Die Mikrofonesind nicht auf die hheren Stimmlagen der Frauen eingestellt, sondern aufdie der Mnner. Dabei ist es ein Leichtes, ber das Mischpult die Frequenzenso einzustellen, da ein "schmerzfreier Genu des Redeklanges und damiteine hhere Konzentration auf die Inhalte der Debattenbeitrge76 mglichsind.
Trmel-Pltz hat inzwischen nachgewiesen, da in gemischtgeschlechtlichenGesprchssituationen Mnner viel mehr reden als Frauen, da sie den Frauenentweder gar nicht zuhren oder auf ihre Beitrge nicht eingehen, diesekritisieren und/oder herabsetzen. Das ist unabhngig von der jeweiligenQualitt der Redebeitrge der DiskussionspartnerInnen, vielmehr sind hierDominanzmechanismen zu verzeichnen, die so subtil wirken, da sie kaumwahrgenommen werden.Demgegenber geben Frauen ihren Gesprchspartnern laufend Unter-sttzung durch Minimalreaktionen wie Nicken, Besttigen u.. Darberhinaus nehmen sie sich in ihren eigenen Beitrgen zurck, indem sie nichtoffensiv formulieren, sondern durch die Satzgestaltung Angriffe abschw-chen und verallgemeinern und somit dem Mann Ausweichmglichkeitenbieten.77
74 Trmel-Pltz (1985)
75 Trmel-Pltz (1985)
76 Nordwest Zeitung vom 28.09.1985: Kommentar, Sparte "Frau und Familie"
77 Vgl. Trmel-Pltz (1985)
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Es liegt nahe, da auch JournalistInnen dem offensiven Gesprchsstil derMnner eher zuhren als dem verhaltenen, vorsichtigen der Frauen nach-zuspren.78
Die Auswirkungen dieses Gesprchsverhaltens kommen besonders zumTragen in Formen der Selbstdarstellung, wie sie die Medien fordern, und siehinterlassen bei ZuschauerInnen oft ein Gefhl von mnnlicher Kompetenzund weiblicher Geschwtzigkeit. Auch ohne nher auf objektive undsubjektive Wahrnehmungen der ZuschauerInnen einzugehen, wird dochdeutlich, da dadurch die unterschiedliche Bewertung von Politikern undPolitikerinnen gefrdert wird, da die Medien bedeutende Faktoren fr eineerfolgreiche PolitikerInnenkarriere sind.
Nicht nur in der Sprache, auch auf Bildern werden Frauen unsichtbar ge-macht. Tageszeitungen und Nachrichtensendungen zeigen in erster Linie dieHerren in Grau und Blau. Staatsempfnge, Klausurtagungen, Parlaments-debatten, berall sind die Frauen entweder gar nicht zu sehen oder alsschmckendes Beiwerk, also die Sekretrin, Kellnerin oder Gattin in derzweiten Reihe, vor dem gemeinsamen Essen oder auf der ZuschauerInnentri-bne. Hier wre eine Untersuchung ber die Relevanz politischer Arbeit inKorrelation zum ffentlichen Auftreten von Politikern und Politikerinnensicherlich sehr aufschlureich, denn interessant ist auch der Umgang derMedien mit Politikerinnen, die dann doch mal ins Rampenlicht kommen.
Irmgard Adam-Schwtzer wurde als 'telegen' empfunden und sollte der ange-schlagenen Wende-F.D.P. Sympathie bringen, ansonsten war von Anfang anklar, da von ihr nicht viel zu erwarten war, wute der NWZ-Redakteur.79
Es sei ja absehbar gewesen, da sie diesem schwierigen Amt nicht gerechtwerden wrde, das ihr aus Dankbarkeit fr die Treue zu Genscher zugeteiltworden war, wute die Sddeutsche Zeitung,80 und die Frankfurter Rund-schau vermutete: Die 'Generalin' war zu resolut, zu eigenmchtig und zufrech.81
Alle diese uerungen vermitteln, da sie als Politikerin nicht ernstge-nommen wurde. Weder ihre politischen Positionen noch ihre politische
78 Trmel-Pltz analysierte das Fernsehgesprch zwischen Alice Schwarzer und Rudolf Augstein.
79 Vgl. Clever (1984)
80 Vgl. Sddeutsche Zeitung vom 17.01.1984: "Rckzug ins Private"
81 Vgl. Schrenter-Schwarzenfeld (1985)
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Laufbahn sind die Gradmesserinnen fr ihre Kompetenz, statt dessen werdendurch Wortspielereien wie 'Generalin' fr die Generalsekretrin der F.D.P.bis hin zu Bemerkungen ber ihr freches Auftreten, selbst ihr 'telegenes'Aussehen, negative oder verniedlichende Bewertungen vorgenommen, diedie Inkompetenz dieser Politikerin implizieren.Die Widersprchlichkeit in den Aussagen der verschiedenen Zeitungenunterstreicht zudem, wie wenig Interesse ihren politischen Ttigkeitenentgegengebracht wurde.
Birgit Breuel, "der einzige Mann im Kabinett Albrecht"82, forderte ihr'Damenopfer', als sie in der CDU-Mittelstandsvereinigung einen Stellvertre-terInnen-Posten im Bundesvorstand anstrebte, denn logischerweise knntedafr ein Mann diesen Posten dann nicht erhalten, er wre somit 'geopfert'worden.83 In diesem Fall hielt das Bild des fleischfressenden Monsters freine Verunglimpfung her. brigens hat Birgit Breuel diesen Posten nichterhalten.
'Geopfert' werden mu auch auf dem Altar der Quoten: die Weser-Ems-SPDhatte rechtzeitig vor der Landtagswahl 1990 eine 25%-Quote fr die Frauenbeschlossen und sieht 1989, im Jahr der Listendiskussion, groe Verluste aufsich zukommen. "Fr die Frauenquote werden Mnnerkpfe rollen", beklagtMichael Exner, NWZ-Redakteur und Fachmann der regionalen Politszene,und trauert bereits heute um den kompetenten umweltpolitischen Sprecherder SPD, Uwe Bartels.84 Kein Gedanke kommt ihm hinsichtlich der mg-licherweise zu erwartenden frauenpolitischen Kompetenz. Wieder sind dieFrauen mit ihrem vermeintlichen Machtanspruch die mnnermordendenHynen.Und dabei scheint die Quoten-Diskussion in der Weser-Ems-SPD eher vonden Mnnern nach machtpolitischem Kalkl als von kmpfenden Frauendurchgesetzt worden zu sein.85 Aber so werden Bilder von Politikerinnenentworfen, die von vornherein Unfhigkeit und Inkompetenz suggerieren.
Ein weiteres Beispiel ist Anke Martiny, die sich um den Posten der Lan-desvorsitzenden der Bayern-SPD bewarb. Im Zusammenhang mit dieser
82 Rheude (1985)
83 Vgl. Wolf (1985)
84 Exner (1989, 2)
85 Vgl. Nordwest Zeitung vom 17.07.1989: "Theilen: Bonner Strategiepapier ..."
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Kandidatur schien es der Presse wichtig zu sein, da sie mit Peter Glotzverheiratet ist und drei Kinder hat, dabei blieb jedoch offen, ob das frQualitt oder Unfhigkeit stand. Familienstand und Kinderzahl ihres Ge-genkandidaten fand die Presse nicht erwhnenswert.86 Anke Martiny wurdeals Frau vorgestellt, nicht als Politikerin. "Ich tt' dich schon whlen, aberdie Partei ist noch nicht reif fr eine Frau", sagte dann auch ein Genosse zuAnke Martiny anllich ihrer Kandidatur87 und drckte damit lediglich aus,wie ungewhnlich eine Landesvorsitzende wre.
Der Arbeitskreis Gleichberechtigung in der Friedrich-Naumann-Stiftungschrieb einen Artikel ber eine Politikerin um, indem sie einen mnnlichenNamen einsetzte.
"Cornelius Fett-Jakobi (F.D.P)Nachts, wenn der Generalsekretr weint
Einmal hat eine Freundin ihn verlassen. Zum Abschied sagte sie:'Starke Mnner halten so etwas schon aus, ohne Trnen.' CorneliusFett-Jakobi hat ihr geantwortet: 'Weit du nicht, da auch starkeMnner heulen, wenn sie unglcklich sind?' Ein 53jhriger, zweigescheiterte Ehen, drei Shne (28, 25, 15). Der lteste wirft ihm vor,Politik sei ihm immer wichtiger gewesen als die Familie, der Jngstelebt lieber bei seiner Mutter als beim Vater. Cornelius Fett-Jakobimu oft unglcklich gewesen sein. Wir wissen nicht, wie oft ergeheult hat. Wir ahnen, da er ein starker Mann ist. Die F.D.P. weies. Cornelius Fett-Jakobi wurde zum Generalsekretr gewhlt. Biszum Mrz bleibt er noch Senator fr Jugend und Familie in Berlin,seiner Geburtsstadt. Dann geht der ehemalige Journalist nach Bonn.Seine Wohnung in Berlin wird er behalten. Hier finde er leichtZugang zu Menschen. Frauen? 'Auch als alleinstehender Politiker binich nicht jenseits von Gut und Bse.' Seine Weisheit: 'Augen auf unddurch.'"88
Dieser umgeschriebene Artikel wirkt wie eine Persiflage; niemand kme aufdie Idee, da es sich hierbei um einen ernstgemeinten Artikel ber einenlebenden Politiker handelt.
86 Vgl. Nordwest Zeitung vom 07.05.1985: "Ein Signal ..."; Frankfurter Rundschau vom
07.05.1985: "Zur Person"
87 Zit. nach Schltzer (1985)
88 Friedrich-Naumann-Stiftung, Arbeitskreis Gleichberechtigung (o.J.)
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Der Artikel galt der F.D.P.-Generalsekretrin Cornelia Schmalz-Jacobsen,war durchaus ernstgemeint und hrt sich im Original so an:
"Nachts, wenn die Generalsekretrin weintEinmal hat ein Freund sie verlassen. Zum Abschied sagte er: 'StarkeFrauen halten so etwas schon aus, ohne Trnen.' Cornelia Schmalz-Jacobsen hat ihm geantwortet: 'Weit du nicht, da auch starkeFrauen heulen, wenn sie unglcklich sind?' Eine 53jhrige. Zweigescheiterte Ehen, drei Shne (28, 25, 15). Der lteste wirft ihr vor,..."89
So ergeht es Frauen in den Medien: totgeschwiegen, verbal vergewaltigt,lcherlich gemacht, reduziert, erhalten sie keine Mglichkeit, Kompetenzund Sachkundigkeit zu demonstrieren. Es bleiben die alten Klischees er-halten von der emotionalen, unsachlichen, narzistischen Frau, denn sie kannmachen, was sie will: falsch ist es in jedem Fall. Ihre Fhigkeiten werdennicht positiv herausgestellt, sondern uminterpretiert in negatives und absur-des Verhalten. Ihr Knnen wird gemessen an mnnlichen Mastben, erflltsie diese nicht, ist sie unfhig; erfllt sie sie, ist etwas mit ihr als Frau nichtin Ordnung. Setzt sie sich ber die Erwartungen hinweg, geht offensiv inpolitische Auseinandersetzungen hinein, bekommt sie mnnliche Gewalt-ttigkeit zu spren, denn auch verbale Gewalt macht Angst, da sie die alltg-liche Gewalt gegen Frauen reprsentiert.
Frau kann sich drehen und wenden, wie sie will, sie fordert Kritik heraus,nicht Anerkennung. Subtil wird ihr klargemacht, da sie als Politikerinunfhig ist.
"Ich habe immer wieder erfahren, wieviel hhere Anforderungen anmeine Kolleginnen und mich gestellt wurden als an mnnlicheKollegen; vor allem aber, da Anforderungen gestellt wurden, dienicht gleichzeitig leistbar sind: treusorgende Mutter, aber gleichzeitigimmer prsent in der Parteiarbeit. Treue Ehegattin, aber fr jedesAbenteuer bereit. Angenehm und angepat, aber durchsetzungsfhig.Einem Abgeordneten, dessen Frau nicht berufsttig ist, wird es hochangerechnet, wenn er gemeinsam mit ihr das Kind ins Krankenhausbringt oder an wichtigen Schulfeiern teilnimmt. Eine Abgeordnete,die dasselbe tut, wird mit dem Kommentar belegt, Frauen mit Kinderndas geht doch nicht in der Politik! Fr Funktionen untauglich. Selbstdie von Mnnern ausgesuchten Karrierefrauen, die an der normalenOchsentour vorbei als Funktionrinnen und Mandatstrgerinnen
89 Bunte, Oktober 1988
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gesetzt werden, unterliegen schon bald der oben beschriebenenMelatte,"90
beschreibt Inge Wettig-Danielmeyer in dem Band "Sozialdemokratinnen"das Leben von Politikerinnen.So lassen sich eine ganze Reihe Verhinderungsstrategien aufzeigen, die teilssubtil, teils offen dafr sorgen, da Frauen das Feld der Politik nicht als dasihre erkennen.Mnnliche berheblichkeit tut ein briges. Zum Beispiel mute sich EvaRhmkorf, Leiterin der Leitstelle zur Gleichstellung der Frau in Hamburg,von Gnther Gaus in einem Fernseh-Interview fragen lassen - und er betonteausdrcklich die Ernsthaftigkeit der Frage -, ob denn die Frauenfrage nichteine Frage sei, die doch nur zwischen den Oberschenkeln zu verhandeln sei,oder ob es sich hier um eine soziale Frage handele.91
Und der CDU-Sprecher Thiesenhausen uert nach dem CDU-Frauen-kongre auf die Frage, wer die neue Familienministerin der CDU werdenwrde: "Noch ist das Rennen nicht entschieden. Die Stuten sind noch nichtin den Schlubogen gegangen."92
Aber auch GRNE-Mnner sind nicht frei von dem Versuch, Frauenpolitikzu karikieren. "Und wir sind die grnen Mnnchen der Fraktion", uerteWalter Schwenninger anllich der Begrung einer Abordnung der GrauenPanther ber die mnnlichen GRNEN nach der Manifestierung desGRNEN-Feminats.93
Die Einstellung der Bevlkerung der Bundesrepublik Deutschland gegenberPolitikerinnen ist zwar heute weniger ablehnend als noch vor wenigenJahren, und Ratschlge, wie sie Cornelia Schmalz-Jacobsen anllich ihrerKandidatur 1979/80 whrend des Wahlkampfes von einer besorgten Frauhrte:
"Auf den Bildern sehen Sie sogar wie eine ganz normale Frau aus -aber so geht das doch nicht, hren Sie auf mit Ihrem Ehrgeiz! - Damssen die Kinder doch kriminell werden! - und der arme Mann! Dermu doch fremdgehen",94
90 Zit. nach Schmidt (1988)
91 Vgl. Rendtorff/Jung (1985)
92 Zit. nach Bissinger (1985), S. 6
93 Zit. nach Schreiber (1985)
94 Vgl. Institut fr Demoskopie Allensbach (1985)
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sind selten geworden. Doch fr die Mnner, die das Geschft der Politikbeherrschen, scheint es (lebens-?)notwendig zu sein, unter sich zu bleiben.Von dem Vordrngen der Frauen scheint eine existenzielle Bedrohungauszugehen, die mit aller Kraft bekmpft werden mu. Da es dabei teilweisesubtile Seilschaften gibt, die bis in die Medien hineinreichen, ist einbrauchbarer Nebeneffekt. Die Verhinderung von Frauen in der Politik istunbersehbar, auch wenn sie schon lange nicht mehr offen betrieben wird;doch die subtilen Formen der Verhinderung sind wesentlich bestndiger, dasie schwer nachweisbar und darum in der Bekmpfung um so schwierigersind.
Da die Verhinderung von Frauen auch von den Geschlechtsgenossinnenuntersttzt wird, macht die Kmpfe nicht einfacher, aber schmerzhafter:
"Jetzt bin ich zwanzig Jahre in der SPD, aber ich habe noch nicht eineinziges Mal die ASF besucht. Mehrere Frauen auf einem Haufen, dasist mir irgendwie unangenehm. Ich habe eine gewisse Abneigunggegen diese ... sich auf extreme, fast rabiate Weise artikulierendenpolitischen Fauen. Ich komme mit Mnnern einfach unendlich vielbesser zurecht ... Ich organisiere das Leben meines Mannes",95
uerte Brigitte Seebacher-Brandt, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Unkel,in einem Interview mit der Zeitschrift Brigitte. Bleibt die Hoffnung, da dieHaltung solcher Frauen durch einsichtige Mnner ausgeglichen werden.Immerhin stellte Willy Brandt, SPD-Vorsitzender, vor der Bundeskonferenzder Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) klar:
"Das Recht auf Gleichstellung gilt auch fr die Frau eines Parteivorsit-zenden. Sie hat das Recht auf eine eigene Meinung - und gegebenenfallsauch auf Irrtum."96
Schn fr ihn, da er trotzdem von der Arbeit seiner Frau profitieren kann!
95 In Frankfurter Rundschau vom 08.10.1985: "Aufgespiet"
96 In Frankfurter Rundschau vom 08.10.1985: "Aufgespiet"
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4.3 "Frauen" - als Parteiprogramm
Das Thema "Frauen" hat Hochkonjunktur. Es gehrt derzeit zum gutenpolitischen Ton, sich um den Frauenanteil in der eigenen Partei, aber auchum die vermeintlichen Probleme der Frauen im allgemeinen zu kmmern.
Die Schaffung von Gleichstellungsstellen und Frauenbeauftragten, ob inParteien, Verwaltungen, Gewerkschaften, der Kirche oder Interessenver-bnden ist 'in' und zeugt vom schlechten Gewissen der berall dominie-renden Mnnerwelt.
Die Medien machen sich die Thematik zu eigen. Viele Aktionen von en-gagierten Frauen lassen sich nicht mehr totschweigen. So gehren Wan-derausstellungen, wie die der niederschsischen Frauenbeauftragten fr dieFrderung von Mdchen in Mnnerberufen ebenso zum Alltagsbild wieregionale Frauen-Informations-Mrkte, Frauenkulturprogramme oderfrauenpolitische Tagesthemen.
Wie ist es dazu gekommen, da die 'Machtmnner' sich beeilen, sich ihrfrauenpolitisches Interesse ans Revers zu heften?Sicherlich spielt das gesteigerte Selbstwertgefhl der Frauen 'vor Ort' ebensowie die lautstarken Proteste von Frauen in Verbnden und Parteien eine nichtunerhebliche Rolle fr die Frderung der frauenspezifischen 'Motivation' derMnner. Doch das allein drfte nicht ausgereicht haben. Vielmehr ist zuvermuten, da Aktionen von GRNEN-Frauen diesen heilsamen Schockauslsten. Ihr berraschungs-Coup anllich der Bundesvorstandswahl1984, ein 'Feminat', einen reinen (sechskpfigen) Frauenvorstand, zu beru-fen, hat fr hnlich groes Erstaunen gesorgt, wie die Durchsetzbarkeit einerreinen Frauenliste anllich der Landtagswahlen 1986 und 1987 inHamburg.
Die Tatsache, da die quotierte GRNEN-Liste fr alle Landtags-, Bun-destags- und Europawahlen mittlerweile obligatorisch ist und somit bewirkt,da in alle neu gewhlten Parlamente fr die GRNEN mehr Frauen alsMnner einziehen, fhrt ebenfalls zur Irritation.
Das relativ bestndige Whlerpotential der GRNEN, trotz oder geradewegen der formalen Gleichbehandlung von Frauen, lt die Angst vor demVerlust an WhlerInnenstimmen und weiblichen Parteimitgliedern bei denAltparteien aufsteigen, mann sinnt nach Strategien.
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Der Kampf um die Frauenstimmen hat begonnen, aber die Mittel sind sodurchsichtig wie selten zuvor. Mit Frauenfrderplnen, Programmentwrfenund Quotierungsbeschlssen soll das Interesse an den Problemen der Frauensuggeriert werden. Dies bewirkte aber nicht der stetig steigende Mitglie-deranteil der Frauen in den Parteien, auch nicht eine gesteigerte Sensibilittder Mnner und schon gar nicht die Selbstverstndlichkeit der Gleichbe-handlung und Frderung der Frauen durch die Mnner. Vielmehr ist dasThema 'Frauenpolitik' ein nicht mehr zu umschiffendes Wahlkampfthemageworden, und in diesem Rahmen werden Bonbons an die Frauen verteilt,sowohl an die weiblichen Mitglieder als auch an die Whlerinnen.
"Uns ist in unserer jahrelangen Arbeit kein einziger Mann in einerpolitischen Machtposition gleich welcher Couleur begegnet, der sichzu politischen und/oder Sachfragen aus dem Frauenbereich in einerWeise geuert htte, die nicht entweder gnnerhaft schulterklopfend,begtigend oder infantilisierend, gelinde desinteressiert, war, oder -im Falle er uns partielle Untersttzung entgegenbrachte: dessenZustimmung auf der Basis einer wirklich begriffenen sachkom-petenten Position zu frauenpolitischen Notwendigkeiten gelegen htte.Die Mnner tun immer so, als wrden sie mit jedem frauenpolitischenSchritt den Frauen ganz individuell einen persnlichen Gefallen tun.Als kmen Macht und finanzielle Untersttzung aus ihremhchstpersnlichen Portemonnaie."97
Das sagen Barbara Rendtorff und Drthe Jung von der Frankfurter Frau-enschule zu ihren Erfahrungen mit Politikern und sprechen damit wohl somancher Parteifrau aus dem Herzen.
Die Ambivalenz, die manche von ihnen verspren, angesichts der Wahr-nehmung der Ergebnisse ihres individuellen oder kollektiven Kampfes ei-nerseits und der jovialen Freundlichkeit der 'grozgigen' Mnner anderer-seits, zeigt sich in der Aussage der neuen Bundesfamilienministerin UrsulaLehr: "Man mu die Mnner lieben, um sie zu ndern."98
Da die Liebe zu den Mnnern die Falle fr die Frauen darstellt, soll ineinem weiteren Kapitel dieser Arbeit genauer beleuchtet werden. An dieserStelle ist die Liebe der Frauen vielleicht die Erklrung fr die Akzeptanzeiner vordergrndigen, halbherzigen und teilweise verlogenen Programmatik
97 Rendtorff/Jung (1985)
98 Zweiwochendienst 27 (8) 1988, S. 28
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der Mnner-Parteien, die in erster Linie dem Zweck der Befriedung derFrauen dienen soll und nicht deren Gleichstellung.
4.3.1 Die 'neue Partnerschaft' in der CDU
Mehr aus Angst vor dem Verlust von WhlerInnenstimmen als aufgrund desparteiinternen Fraueneinflusses gab es fr den 33. Bundesparteitag der CDUin Essen im Mrz 1985 einen Leitantrag "fr eine neue Partnerschaftzwischen Mann und Frau",99 der sich "stellenweise wie ein 'Emma'-Leitartikel"100 liest.Als der beste Feminist der CDU erwies sich Heiner Geiler, "der die Deviseausgegeben hatte, einen Tag lang den Frauen zuzuhren".101
Und sie kamen in Scharen, die Frauen, jedoch die 'neuen' Mnner hieltensich bedeckt und begegneten dem ganzen Rummel mit Skepsis und Ge-sptt.102
Dabei war das gar nicht ntig, denn die Damen der CDU erwiesen sich dererteilten Ehre wrdig und zeigten sich zuerst einmal nur dankbar.
"In fast unterkhlter Atmosphre und stets in gepflegtem Stil nutztendie Frauen die Chancen, fr sich, fr ihre Partei und fr ihrebesonderen Vereinsinteressen und -sorgen zu werben: Wann habendie Hausfrauengewerkschaft, die Berufsverbnde der Sekretrinnenoder Akademikerinnen schon einmal die Gelegenheit, im hellen Ram-penlicht von Fernsehscheinwerfern und neugierigen Fotografen zustehen? Die 'Soldatenfrauen' dankten dem Bundeskanzler dafr, dasie ihre Mnner und Shne noch in keinen Krieg schicken muten,die Buerinnen von den Landfrauen dankten, da nun auch sie nachder Geburt eines Kindes Geld bekommen sollen."103
Die Angst, den 'Herren der Schpfung' zuviel abzuverlangen, sie zuberfordern, prgte auch das weitere Verhalten der Frauen. Gisela Bttner:"Kuchen backen kann auch politisch sein."104
99 Frankfurter Rundschau vom 26./27.02.1985: "Fr eine neue Partnerschaft zwischen Mann und
Frau". Dokumentation.
100 Schreiber/Leinemann (1985)
101 Roitzsch (1985)
102 Vgl. Schreiber/Leinemann (1985)
103 Roitzsch (1985)
104 Vgl. Schreiber/Leinemann (1985)
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Im Folgejahr kam es auf Antrag der Frauen-Union zu folgendem Partei-tagsbeschlu (C 3):
"Darin verpflichtet sie [die Partei] sich, die organisatorischen undinstitutionellen Voraussetzungen fr eine deutliche Anhebung desAnteils von Frauen an politischen mtern, Mandaten und Funktionenzu schaffen. Bis zum Beginn der neunziger Jahre sollen Frauen aufallen Ebenen entsprechend ihrem Anteil an der CDU-Mitgliedschaftbeteiligt werden. Mittelfristig ist die Beteiligung von Frauen anpolitischen Fhrungspositionen entsprechend ihrem Bevlkerungs-anteil angestrebt."105
Anllich des 36. Bundesparteitages 1988 in Wiesbaden kommt der Ge-neralsekretr seiner aus dem Leitantrag abgeleiteten Berichtspflicht nach undkonstatiert die 'wichtigsten frauenpolitischen Erfolge': Einrichtung vonBundesfachausschssen 'Frauenpolitik', die bernahme des C3-Beschlussesdurch einige Landes- und Kreisverbnde, strkere Einbindung von Frauen inGremien wie verschiedenen, nicht frauenspezifischen Bundesfachausschs-sen und dem Bundesvorstand.
Trotzdem forderte Rita Smuth anllich des 40jhrigen Bestehens derFrauen-Union im Januar 1989 noch die deutliche Erhhung des Frauenan-teils in mtern und Mandaten und drohte mit der Forderung nachQuotierungsbeschlssen, "wie sie die SPD eingefhrt habe",106 wenn diePartei keine Zeichen setze."Die Frauen seien es leid, durch politisch kurzsichtige, am Mandatsbesitz-stand klebende Kandidaten an der Verwirklichung ihrer Ziele gehindert zuwerden."107
Ob aufgrund dieser Drohung oder aus Einsicht, auf jeden Fall kamen bei derKabinettsumbildung im Frhjahr 1989 drei Frauen zum Zuge:
105 Bericht der Bundesgeschftsstelle der CDU anllich des 36. Bundesparteitages in Wiesbaden,
S. 19
106 Nordwest Zeitung vom 13.01.1989: "CDU soll mehr Frauen in Spitzenmter hieven"
107 Die Tageszeitung (TAZ) vom 16.01.1989: "40 Jahre CDU-Frauen-Union"
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"Bundesminister fr innerdeutsche Beziehungen:Dorothee Wilms (CDU)
Bundesminister fr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit:Ursula Lehr (CDU)
Bundesminister fr Raumordnung, Bauwesen und Stdtebau:Gerda Hasselfeldt (CDU)."108
Zwar mssen diese Frauen sich noch als 'Minister' betiteln lassen, dafrdrfen sie jedoch auch frauenuntypische Ministerien leiten. Das war nichtimmer so, denn nett wurden die CDU-Frauen selten behandelt. Bei der Krder Nachfolgerin von Heiner Geiler hatte Helmut Kohl seine 'Tchter'rechtzeitig in die Schranken verwiesen: "Wer sich ins Gerede bringt, wird esbestimmt nicht."109
Natrlich mu eine Familienministerin auch besondere Qualitten haben: siedarf nicht ledig sein (wie Renate Hellwig), sie mu fraulich sein (Helga Wexist allein schon wegen ihrer Stimme indiskutabel), nicht zu neu (IngridRoitzsch ist erst seit 1980 Abgeordnete), sie mu durchsetzungsfhig sein(wie Hanna Renate Laurin), Militrbesessenheit wirkt sich negativ aus(Ursula Krone-Apphuhn), und unabdingbar sind Kinder, die jedocherwachsen sein mssen (Rita Waschbsch hat fnf, aber das jngste ist erstzehn Jahre alt).110
Der Herr Bundeskanzler wollte den Damen zeigen, wer der Herr im Hauseist und berief Rita Smuth. Die Professorin fr Philosophie und Theologieist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter aufzuweisen; darber hinauserwies sie sich als engagierte Katholikin. Zwar hatte der Bundeskanzler mitseiner Entscheidung die eigenen Damen verrgert, aber wichtiger war, dieHausmacht klarzustellen.
Daraufhin kndigten die CDU-Frauen "das Ende der Bescheidenheit"111 an,an deren Ernsthaftigkeit auch nicht zu zweifeln war. Zu zweifeln war eher anderen Durchsetzungsfhigkeit, was die Ernennung der Smuth-Nachfolgerin im Dezember 1988 bewies. Mit Ursula Lehr war wiederum eine
108 Nordwest Zeitung vom 14.04.1989: Das neue Bundeskabinett"
109 Zit. nach Schreiber/Leinemann (1985)
110 Vgl. Schreiber/Leinemann (1985)
111 Strack (1985)
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Frau 'von auen' nominiert worden, selbstverstndlich verheiratet, hat zweierwachsene Shne, und die CDU-Frauen durften erneut zur Kenntnisnehmen, da es sich nicht lohnt, immer schn artig zu sein wie auf demParteitag 1985, da aber auch die Ochsentour durch die Parteihierarchienicht belohnt wird, denn Rita Smuth und Ursula Lehr sind nicht dieeinzigen Auenseiterinnen. In Kiel wurde beispielsweise Ursula GrfinBrockdorff und in Mainz Ursula Hansen berufen.112
Hinzu kommt, da die Frauen, die keine Parteikarriere gemacht haben, auchdreist die CDU-Politik in Frage stellen drfen, ohne ernsthaft gergt zuwerden. Schon Rita Smuth war manchen CDU-Mnnern zu forsch, aberauch Ursula Lehr brachte die ganze CDU-Programmatik ins Wanken, indemsie vor der "Glorifizierung der Mtter-Rolle"113 warnte und sich durchausvorstellen konnte, schon zweijhrige Kinder in den Kindergarten zu lassen.
Dabei scheint es bitter ntig zu sein, die Widersprchlichkeiten der CDU-Programmatik auszurumen. Das 'beste Frauenprogramm aller Parteien'wurde entworfen von Politikern, die die Feminisierung der Armut vorantrei-ben und durch Sozialabbau (z.B. der Kranken- und Rentenversicherung, derArbeitsmarktpolitik, der Sozialhilfe) die Emanzipation der Frauen durch dieVerfestigung von Abhngigkeiten vom Partner eher verhindern.114
Ob es den CDU-Frauen gelingen wird, wirklich elementar und frauenspe-zifisch Einflu zu nehmen, und ob sie es wirklich wollen, wird sich erst inder Zukunft zeigen. Auf alle Flle sind sie mutiger geworden in ihrenForderungen.
"Da man nach Krften frdern soll, was man ohnehin nicht verhindernkann",115 konstatierte denn auch der niederschsische CDU-Landesvorsit-zende Manfred Carstens anllich der Nominierung der KandidatInnen zurLandtagswahl 1990 und forderte die Frauen auf zuzugreifen. Das hatte zurFolge, da es bereits drei Frauen gibt, die ihr Interesse bekundet haben:Helga Stiller (Delmenhorst), Inse-Marie Ortgies (Friesland) und WaldtrautScheibert (Oldenburg).
112 Vgl. Der Spiegel 37 vom 09.09.1985: "Mal was Neues"
113 Vgl. Nordwest Zeitung vom 26.01.1989: "CSU attackiert Frau Lehr"
114 Vgl. Weg (1984), S. 47 ff.
115 Zit. nach Exner (1989, 1)
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Deren Nominierung wre verbunden mit dem Kalkl, sich in unsicherenWahlkreisen einen sicheren Listenplatz zu erobern, aber das strt offenbarkeine/n. Es geht um die Umsetzung der Richtlinien. So spricht Ministerpr-sident Albrecht denn auch von der "grten Revolution des 20. Jahrhun-derts" und meint die Emanzipation der Frau. Da diese Revolution unblutigist, freut ihn besonders. "Noch", kontert Birgit Breuel, denn die CDU-Frauenverspren Nachholbedarf in Sachen politischer Karriere. "Sie wollen wederSchutzzune noch eine Quotierung