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Bayerischer Landtag 4. Wahlperiode Stenographischer Bericht 6. Sitzung am Donnerstag, dem 29. Januar 1959, 8.30 Uhr in München Geschäftliches . 83, 85, 118, 119 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Ge- meindeordnung für den Freistaat Bayern, des Gemeindewahlgesetzes, der Landkreis- ordnung für den Freistaat Bayern und des Landkreiswahlgesetz (Beil. 35) - Erste Lesung - Beschluß Antrag des Abg. Falk betr. Gesetz zur'Ände- rung des Hundeabgabengesetzes (Beil. 18) - Erste Lesung - Zurückstellung Antrag der Abg. Dr. Hoegner, Drexler, Lau- fer, Demeter u. Frakt. betr. Gesetz zur Än- derung des Gesetzes über den Finanzaus- gleich zwischen Staat, Gemeinden und Ge- meindeverbänden (Beil. 19) - Erste Lesung - Beschluß Antrag der Abg. Lallinger, Dr. Fischbacher u. Frakt. betr. Gesetz zur Änderung des Ge- setzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden (Beil. 36) - Erste Lesung - Beschluß Antrag der Abg. Muth und Dr. Dehler betr. Gesetz zur Änderung des Vergnügungs- steuergei:;etzes (Beil. 37) - Erste Lesung - Beschluß Stenogr, Ber. d. Bayer. Landtags 1959 6. Sitz. [S!g.) 84 84 84 84 84 Antrag der Abg. Dr. Dehler, Bezold u. Frakt. betr. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbe- gehren und Volksentscheid (Beil. 38) - Erste Lesung - Beschluß 84 Übernahme des Landtagsbeschlusses vom 7. 5. 1958 über die Einführung eines verein- fachten Verfahrens bei Aufhebung der Immunität bei Verkehrsdelikten 84 Aufschlüsselung der in den Landesgesund- heitsrat zu wählenden Mitglieder . 85 Aussprache über die Erklärung der Staats- regierung - Fortsetzung - Bezold (FDP) von Knoeringen (SPD) Bantele. (BP) Dr. Pöhner (CSU) Dr. Wüllner (GB) Högn (SPD) Ministerpräsident Dr. Seidel Wahl der Beiräte bei den selbständigen Voll- zugsanstalten . Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Übernahme von Staats- bürgschaften (Beil. 47) - Erste Lesung - Beschluß Nächste Sitzung Beginn der Sitzung: 8 Uhr 33 Minuten. 85 90 97 101 105 110 113 119 119 119 Präsident Dr. ·Ehard: Meine sehr verehrten Da- men und Herren! Ich eröffne die 6. Sitzung des Bayerischen Landtags und gebe die Liste der Ent- schuldigten zu den Akten. *) Ehe wir die Aussprache über die Regierungs- erklärung fortsetzen, möchte ich einige Punkte vor- wegnehmen. Sie entnehmen der Tagesordnung, daß eine Reihe e r s t e r L e s u n g e n vorzunehmen ist. Ich darf sie der Reihe nach aufrufen: Erste Lesung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, des Gemeindewahlgesetzes, der Landkreis- ordnung für den Freistaat Bayern und des Landkreiswahlgesetzes. Es ist eine Regierungsvorlage, die Sie auf Beilage *) Nach Artikel ,5 Absatz 2 des Aufwandsentschädi- gungsgesetzes sind entschuldigt oder beurlaubt die Ab- geordneten Dr. Hamm-Brücher, Dr. Held, Dr. Jüngling, Klughammer, Piechl und Strohmayr.

6. Sitzung - Bayerischer Landtag · 6. Sitzung am Donnerstag, dem 29. Januar 1959, 8.30 Uhr in München Geschäftliches . 83, 85, 118, 119 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der

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Page 1: 6. Sitzung - Bayerischer Landtag · 6. Sitzung am Donnerstag, dem 29. Januar 1959, 8.30 Uhr in München Geschäftliches . 83, 85, 118, 119 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der

Bayerischer Landtag 4. Wahlperiode

Stenographischer Bericht

6. Sitzung am Donnerstag, dem 29. Januar 1959, 8.30 Uhr

in München

Geschäftliches . 83, 85, 118, 119

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Ge­meindeordnung für den Freistaat Bayern, des Gemeindewahlgesetzes, der Landkreis­ordnung für den Freistaat Bayern und des Landkreiswahlgesetz (Beil. 35)

- Erste Lesung -

Beschluß

Antrag des Abg. Falk betr. Gesetz zur'Ände­rung des Hundeabgabengesetzes (Beil. 18)

- Erste Lesung -

Zurückstellung

Antrag der Abg. Dr. Hoegner, Drexler, Lau­fer, Demeter u. Frakt. betr. Gesetz zur Än­derung des Gesetzes über den Finanzaus­gleich zwischen Staat, Gemeinden und Ge­meindeverbänden (Beil. 19)

- Erste Lesung -

Beschluß

Antrag der Abg. Lallinger, Dr. Fischbacher u. Frakt. betr. Gesetz zur Änderung des Ge­setzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden (Beil. 36) - Erste Lesung -

Beschluß

Antrag der Abg. Muth und Dr. Dehler betr. Gesetz zur Änderung des Vergnügungs­steuergei:;etzes (Beil. 37)

- Erste Lesung -

Beschluß

Stenogr, Ber. d. Bayer. Landtags 1959 6. Sitz. [S!g.)

84

84

84

84

84

Antrag der Abg. Dr. Dehler, Bezold u. Frakt. betr. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbe­gehren und Volksentscheid (Beil. 38) - Erste Lesung -

Beschluß 84

Übernahme des Landtagsbeschlusses vom 7. 5. 1958 über die Einführung eines verein­fachten Verfahrens bei Aufhebung der Immunität bei Verkehrsdelikten 84

Aufschlüsselung der in den Landesgesund-heitsrat zu wählenden Mitglieder . 85

Aussprache über die Erklärung der Staats­regierung - Fortsetzung -

Bezold (FDP) von Knoeringen (SPD) Bantele. (BP) Dr. Pöhner (CSU) Dr. Wüllner (GB) Högn (SPD) Ministerpräsident Dr. Seidel

Wahl der Beiräte bei den selbständigen Voll­zugsanstalten

~ .

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Übernahme von Staats­bürgschaften (Beil. 47)

- Erste Lesung -

Beschluß

Nächste Sitzung

Beginn der Sitzung: 8 Uhr 33 Minuten.

85 90 97

101 105 110 113

119

119

119

Präsident Dr. ·Ehard: Meine sehr verehrten Da­men und Herren! Ich eröffne die 6. Sitzung des Bayerischen Landtags und gebe die Liste der Ent­schuldigten zu den Akten. *)

Ehe wir die Aussprache über die Regierungs­erklärung fortsetzen, möchte ich einige Punkte vor­wegnehmen. Sie entnehmen der Tagesordnung, daß eine Reihe e r s t e r L e s u n g e n vorzunehmen ist. Ich darf sie der Reihe nach aufrufen:

Erste Lesung zum

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, des Gemeindewahlgesetzes, der Landkreis­ordnung für den Freistaat Bayern und des

Landkreiswahlgesetzes.

Es ist eine Regierungsvorlage, die Sie auf Beilage

*) Nach Artikel ,5 Absatz 2 des Aufwandsentschädi­gungsgesetzes sind entschuldigt oder beurlaubt die Ab­geordneten Dr. Hamm-Brücher, Dr. Held, Dr. Jüngling, Klughammer, Piechl und Strohmayr.

Page 2: 6. Sitzung - Bayerischer Landtag · 6. Sitzung am Donnerstag, dem 29. Januar 1959, 8.30 Uhr in München Geschäftliches . 83, 85, 118, 119 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der

84 Bayerischer Landtag - 6. Sitzung. Donnerstag, den 29. Januar 1959 -----------~

(Präsident Dr. Ehard)

35 finden. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich schlage im Einvernehmen mit dem Ältesten­rat vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Verfassungsfragen undRechtsfragen zu überweisen. - Ein Widerspruch erhebt sich nicht.

Es folgt:

Erste Lesung zum

Antrag des Abgeordneten Falk betreffend Gesetz zur Änderung des Hundeabgaben­

gesetzes (Beilage 18)

Der Herr Abgeordnete Falk, der den Entwurf vorgelegt hat, hat mir gestern gesagt, der Antrag möchte zurückgestellt werden, weil eine Regie­rungsvorlage unterwegs sei. Ich darf den Antrag zurückstellen.

Die dritte Vorlage betrifft die erste Lesung zum

Antrag der Abgeordneten Dr. Hoegner, Drexler, Laufer, Demeter und Fraktion be­treffend Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat,

Gemeinden und Gemeindeverbänden (Beilage 19)

Es ist ein Initiativgesetzentwurf. Wird von den Antragstellern das Wort gewünscht, Herr Dr. Hoeg­ner?

(Abg. Dr. Hoegner: Nein!)

Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Staats­haushalt und Finanzfragen und dem Ausschuß für Verfassungsfragen und Rechtsfragen zu über­weisen. - Eine Erinnerung dagegen wird nicht er­hoben.

Es folgt die e r s t e L e s u n g zum Antrag der Abgeordneten Lallinger, Dr. Fischbacher und Fraktion betreffend Ge­setz zur .Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden

und Gemeindeverbänden (Beilage 36)

Auch das ist ein Initiativgesetz. Wird von den Antragstellern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich schlage im Einvernehmen mit dem Ältesten-. rat vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für

Staatshaushalt und Finanzfragen und dem Aus­schuß für Verfassungsfragen und Rechtsfragen zu überweisen. - Eine Erinnerung dagegen wird nicht erhoben. Es ist so beschlossen.

Dann kommt die e r s t e L e s u n g zum Antrag der Abgeordneten Muth und Dr. Dehler betreffend Gesetz zur Änderung des

Vergnügungssteuergesetzes

Es ist ein Initiativgesetzentwurf, der auf Bei-

lage 37 vorliegt. Wird von den Antragstellern das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wirtschaft und Verkehr, dem Ausschuß für kultur­politische Angelegenheiten, dem Ausschuß für Staatshaushalt und Finanzfragen und dem Aus­schuß für Verfassungsfragen und Rechtsfragen zu überweisen. - Eine Erinnerung wird dagegen nicht erhoben; es ist so beschlossen.

Es folgt schließlich die e r s t e L e s u n g zum

Antrag der Abgeordneten Dr. Dehler, Be­zold und Fraktion betreffend Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz) - Bei-

lage 38

Auch das ist ein Initiativgesetzentwurf. Wird von seiten der Antragsteller das Wort gewünscht? -Das ist nicht der Fall.

Ich schlage im Einvernehmen mit dem Ältesten­rat vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Verfassungsfragen und Rechtsfragen zu überweisen. - Eine Erinnerung dagegen wird nicht erhoben. Es ist so beschlossen.

Außerhalb der Tagesordnung darf ich noch um folgenden Beschluß bitten. Die Damen und Herren erinnern sich, daß der Landtag der letzten Legis­laturperiode am 7. Mai 1958 den Beschluß faßte über die Einführung eines vereinfachten Ver­fahrens bei Aufhebung der Immunität bei Ver­kehrsdelikten. Dieser Beschluß hatte folgender­maßen gelautet:

Der Ausschuß für die Geschäftsordnung und Wahlprüfung wird beauftragt, in allen Fällen von Verkehrsdelikten eine Vorentscheidung über die Aufhebung der Immunität zu treffen. Wenn die Vorentscheidung von mindestens zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Ausschusses beschlossen ist, wird sie vom Prä­sidenten des Landtags jedem Abgeordneten mitgeteilt. Der Präsident unterrichtet über die vorliegenden Fälle die Vollversammlung. Wenn auf Anfrage des Präsidenten keiner der an­wesenden Abgeordneten widerspricht, gilt die Vorentscheidung als Entscheidung des Land­tags.

Dieser Beschluß wurde damals einstimmig ge­faßt. Ich muß ihn aber jetzt erneuern lassen, weil er ja nur für die eine Legislaturperiode gegolten hat. Ich nehme aber an, daß keine Erinnerung be­steht. Der Ältestenrat schlägt vor, diesen Beschluß unverändert zu übernehmen, das Verfahren also weiterzuführen, weil es sich in der Zeit, in der es angewendet worden ist, bewährt hat. Der Ältesten­rat ist auch der Meinung, es sei nicht nötig, noch­mals denAusschuß für Geschäftsordnung und Wahl­prüfung und den Ausschuß für Verfassungsfragen und Rechtsfragen mit der Sache zu befassen. -Wird das Wort dazu gewünscht? -

Dann darf ich annehmen, daß das Hohe Haus ein­verstanden ist. - Wer ist dagegen? - Stimm-

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Bayerischer Landtag - 6. Sitzung. Donnerstag, den 29. Januar 1959 85

(Präsident Dr. Ehard)

enthaltungen? - Ich darf also feststellen, daß die­ser Beschluß einstimmig übernommen wurde.

Es ist dann die

Wahl von Mitgliedern in den Landesgesund-heitsrat

wieder vorzunehmen. Dabei hat das Plenum, sich nur mit folgender Sache zu befassen: Es sind von den 30 Mitgliedern 15 Mitglieder vom Landtag zu wählen; dabei ist das d'Hondt'sche Verfahren bei der Auf­schlüsselung zugrunde zu legen. Auf die einzelnen Fraktionen würden treffen: CSU 8, SPD 5, GB 1, BP 1; die FDP würde keinen Sitz erhalten. Nach Vereinbarung mit den Fraktionen und Billigung des Ältestenrats wird vorgeschlagen, folgende Auf­s c h l ü s s e l u n g vorzunehmen: CSU 7, SPD 5, GB 1, BP 1, FDP 1.

Diese Aufschlüsselung bitte ich das Hohe Haus zu übernehmen. Besteht eine Erinnerung dagegen? -Das ist nicht der Fall.

Die Namen müssen jetzt nicht genannt werden; sie können später einfach mitgeteilt werden, weil die Fraktionen die Mitglieder benennen, ohne daß eine eigentliche Wahl statfinden muß.

Ich habe dann noch eine Mitteilung: Wir haben kürzlich - Sie erinner:p_ sich - die V o r s i t z e n -den und die stellvertretenden Vorsitzenden der Ausschüsse bestellt bzw. auf die einzelnen Fraktionen verteilt. Der Ältestenrat hat bei Ver­teilung der Stellen u. a. den stellvertretenden Vor­sitz für den Ausschuß für Geschäftsordnung und Wahlprüfung an die Fraktion der SPD und den stellvertretenden Vorsitz für den Ausschuß für Grenzlandfragen an die Fraktion des Gesamtdeut­schen Blocks verteilt. Dieser Beschluß wurde in der letzten Plenarsitzung gebilligt. Nun haben die be­teiligten Fraktionen jedoch angeregt, die V erteil ung des stellvertretenden Vorsitzes für diese beiden Ausschüsse in der Weise durchzuführen, daß der stellvertretende Vorsitz für den Ausschuß für Ge­schäftsordnung und Wahlprüfung der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks und der stellvertretende Vorsitz des Ausschusses für Grenzlandfragen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei zusteht. Der Ältestenrat hat diese Änderung der Reihen­folge gestern ausdrücklich genehmigt.

Ich bitte das Hohe Haus um Zustimmung, daß diese Änderung vorgenommen wird. Besteht eine Erinnerung dagegen? - Wer ist dagegen? - Stimm­enthaltungen? - Dann darf ich feststellen, daß so beschlossen ist. Die Namen der Vorsitzenden wer­den bei der nächsten Plenarsitzung den Mitgliedern auf den Tisch gelegt werden.

Ebenso werden Ihnen noch die Namen der Bei­räte für die selbständigen Strafanstalten am Schluß der· Sitzung - wir werden es wohl noch fertig­bringen - auf den Tisch gelegt werden.

(Zurufe: Sie liegen schon da!)

- Sie sind schon da; dann ist es gut. Ich muß aber noch eine Änderung vorbehalten. Deshalb kön­nen wir sie jetzt noch nicht endgültig beschließen.

Am Schluß der Sitzung, wenn Ihnen die Änderung vorliegt, werde ich Sie darum bitten, diese Auf­stellung zu genehmigen. Sie ist ja unter den Frak­~ionen abgesprochen.

Damit sind wir mit diesen geschäftlichen Punkten zu Ende.

Wir können nun die

Aussprache über die Erklärung der Staats-regierung

fortsetzen.

Das Wort hat als nächster Redner der Herr Ab­geordnete Bezold von der Fraktion der Freien De­mokratischen Partei.

Bezold (FDP): Herr Präsident, meine sehr ver­ehrten Damen_ und Herren! Die Regierungserklä­rung vom 15. Januar 1959 hat sich die Aufgabe ge:. stellt, diesem Hohen Hause eine Vorstellung dar­über zu vermitteln, „wie die Staatsregierung ihre Aufgaben sieht und wie sie sich ihre künftige Ar­beit denkt". Sie ist damit der Linie der Regierungs­erklärung vom November 1957 - übrigens auch mehrerer anderer Regier.ungserklärungen, die hier vorgetragen wurden - treu geblieben; treu auch jenen Gedanken und Ausführungen, die der sehr verehrte Herr Ministerpräsident am 5. Dezember 1957 vor den Abgeordneten des Bayerischen Land­tags in seinen Schlußworten zur Debatte über seine damalige Regierungserklärung vorgetragen hat.

Er mußte nicht nochmals die Gründe einer sinn­vollen und, wie mir scheint, nützlichen Selbst­bescheidung darlegen, einer Selbstbescheidung, die in vielen Pressestimmen hervorgehoben und manchmal mit der Tatsache in Verbindung ge­bracht wurde, daß der Herr Ministerpräsident viele Jahre das verantwortungsvolle Amt des Wirt­schaftsministers innegehabt habe. Es mag sein, daß mancher Zuhörer erwartet hätte, der für die Politik dieses Landes Verantwortliche werde den Rahmen seiner Ausführungen diesmal viel weiter spannen, über die Belange Bayerns-, ja des Bundes hinaus, und das Geschehen1 in der Welt mag diese Ver­suchung nahegelegt haben. Daß die Regierungs­erklärung dieser Versuchung widerstanden hat, ja daß sie es in verantwortungsbewußter Nüchtern­heit vermieden hat, grelle Breitleinwandbilder der künftigen Weltpolitik aufleuchten zu lassen oder den Waffenlärm der Polemik zu bemühen, dafür haben wir allen Grund dankbar zu sein. Dieser Waffenlärm ist dann allerdings in manchmal merk­würdiger Weise in diesem Hohen Hause nachgeholt worden. Warum z.B. die SPD aus dem Munde ihres Redners, der in Hof die Bereitwilligkeit, ja den Willen der Partei erklärt hatte, mit der CSU eine Koalition einzugehen, dies uns Freien Demokraten hier vorgeworfen hat, ist mir unverständlich.

(Zurufe der Abg. Dr. Hoegner und Gabert -Abg. Gräßler: Wir sind mit euch auch schon

eine eingegangen!) Wir haben dankbar zu sein, weil damit aner­

kannt ist, daß die Volksvertretung in allen Fra­gen, die die eigentliche Politik dieses Landes angehen, die Entscheidung zu treffen und die Verantwortung zu tragen hat. Und diese Aner-

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(Bezold [FDP])

kennung entspricht wohl dem Sinne der Demo­kratie und eines demokratischen Staatsaufbaus. Wer übrigens die Regierungserklärung genau nach­liest, wird zugeben müssen, daß sie bei aller not­wendigen Kürze, die ihr durch die zumutbare Spanne der Zeit des Vortrags auferlegt war, die Beziehungen zwischen den Regierungsaufgaben dieses Landes und der, wenn ich so sagen darf, größeren Politik für den aufgezeigt hat, der poli­tisches Schrifttum zu lesen versteht.

Gerade diese zusammenhänge aber sind es, die neben der Aussage, in welcher Art und Reihen­folge die Staatsaufgaben verstanden und gelöst werden wollen, den einzelnen Volksvertreter, die Parteien und Fraktionen dieses Hauses ihre Ant­wort auf die Regierungserklärung finden lassen. Denn wenn man streng logisch vorgeht, kann eine politische Gruppe erst nach der Regierungserklärung ihre Zustimmung zu einer Regierung in vollem po­litischen Bewußtsein aussprechen und damit den Chef der Regierung ihres Vertrauens versichern. Ich will es aber offen aussprechen, daß dies für die Freien Demokraten erst dadurch möglich wurde, daß durch den staatsmännischen Weitblick und die menschliche Aufgeschlossenheit des Herrn Minister­präsidenten eine Reihe von Voreingenommenhei­ten und Spannungen zwischen uns und seiner Par­tei abgebaut wurden. Daß diese Mißhelligkeiten politisch nicht berechtigt waren, sondern altherge­brachte Ablehnungsgründe liberalen Gedankenguts zur Ursache hatten, dessen zeitgemäße Wandlung man einfach nicht wahrhaben wollte, beweist uns die Tatsache, daß der Heilige Vater vor kurzem der italienischen liberalen Partei offiziell seinen Segen übersandt hat.

(Heiterkeit - Beifall - Zurufe -Abg. Winkler zur SPD: Ein Tatbestand, den Sie anerkennen müssen! -Abg. Dr. Hoegner:

Die Freimaurer waren nicht dabei!)

Es wäre für mich reizvoll, diese schöne Tatsache -denn alles Versöhnliche scheint mir vom christli­chen Standpunkt aus schön zu sein - zum Aus­gang von Ausführungen zu machen, die vielleicht noch vorhandene Zweifel beheben könnten. Sie sind in diesem Zusammenhang aber wohl nicht notwendig; denn die teilweise sehr ernsten Aus­führungen des Herrn Ministerpräsidenten haben jeden fühlen lassen, wie dringend notwendig das Zusammenstehen aller demokratischen Kräfte in diesem unserem Staate ist. Und wäre es aus diesen Worten niGht aufgeklungen: das Wissen um die Weltlage müßte uns eine Erkenntnis aufzwingen, die die Voraussetzung jeder ersprießlichen Arbeit in diesem Hause sein wird.

Ist die Regierungserklärung - vielleicht unbe­wußt - dieser politischen Weltlage durch die Ge­wichtsverteilung der angeschnittenen Gedanken und Gebiete etwas entgegengekommen? Sie hat fast die Hälfte ihrer Ausführungen jenem Fragenkom­plex gewidmet, der mit der Wirtschaft unseres Landes irgendwie zusammenhängt. Wem das zuviel erscheint, der mag sich erinnern, daß viele unmiß­verständliche Erklärungen fremder Staatschefs, vor

allem de.s Chefs der Sowjetunion, die Wirtschafts­politik als die wichtigste Aufgabe ihres staatlichen Lebens und als eine unüberwindliche Waffe ihrer weltweiten Expansionsbestrebungen bezeichnet ha­ben. In diesen Tagen des Zusammentretens des 21. Parteitags der Sowjets in Moskau ist sein Hauptthema der neue 7-Jahres-Plan, mit dessen Hilfe Rußland sich an die Spitze der Weltwirt­schaft hinaufarbeiten will. Gab es bisher keinen Zweifel, daß die Auseinandersetzung mit dem Osten eine Frage der geistigen Stabilität unserer Anschauungen und des westlichen Wollens sein würde, diese Anschauungen auch weiter als Grund­lage unseres Völkerlebens gelten zu lassen, zu fe­stigen und zu verteidigen, so treten jetzt neben diese Notwendigkeiten die Auseinandersetzungen um die Wirtschaftsformen und die Wirtschaftskraft der beiden Anschauungssphären der Welt. Es hätte wohl nicht des eindeutigen Hinweises des Minister­präsidenten der DDR, Otto Grothewohl, in Peking bedurft, der dort ein sozialistisches Deutschland prophezeite, um uns klarzumachen, daß der Osten, der jede Theorie, jeden Gedanken und jede mensch­liche Erkenntnis in seinen politischen Expansions­kämpfen zu nutzen pflegt, auch der Wirtschafts­politik dort einen Platz einräumen werde. Die po­litische Entwicklung und das Ziel haben ergeben, daß dieser Platz heute schlechthin als der erste, der zu vergeben.war, bezeichnet werden muß.

Es ist also nur folgerichtig, wenn ein westlicher Politiker bei grundlegenden Ausführungen den Fragen der Wirtschaft den gleichen Raum ein­räumt, und es erscheint mir das besonders erfor-' der lieh, wenn es in einem Land geschieht, das ge­rade gegen den Osten vorgelagert ist und mit ihm eine größere Grenze gemeinsam hat als irgendein anderes. Man sage nicht, diese Gedankengänge hielten nicht stand, weil die wirtschaftliche und politische Bedeutung der in diesen Gedanken in Vergleich gebrachten Länder zu verschieden sei. Es handelt sich bei solchen Diskussionen nicht um die gewichtsmäßige Auswägung einzelner Gegeben­heiten, sondern um die Feststellung eines bestimm­ten Standpunkts, der dann für jede Größenord­nung der im einzelnen zu lösenden Fragen zu gel­ten hat; freilich eines Standpunkts, den es dann nicht genügt im Inneren eines geographischen Be­zirkes festzulegen, wenn Verflechtungen mit größe­ren Räumen bestehen und somit der politische Wille eines Teilgebietes unfruchtbar bleiben müß­te: Bayern ist ein Teil der Bundesrepublik. Sein Wohlergehen wird nur gesichert sein, wenn man im großen Verband bereit ist, die Schwere seiner Aufgaben anzuerkennen und sich zu jener not­wendigen anteilsmäßigen Hilfe zu bekennen, die jener Schwere der Aufgaben zukommt. Man wird das nicht nur aus einem rein freundschaftlichen Idealismus tun müssen, sondern deshalb, weil dort wie hier die gleichen Aufgaben angesprochen sind, die dort nicht gelöst werden könnten, wenn hier die notwendige Hilfe versagt würde. Diese Hilfe er­gibt sich staats- und verfassungsrechtlich gesehen aus einzelnen Vorschriften, die das staatliche Zu­sammenleben zwischen Bund und Ländern regeln. Sie muß aber weiter und vor allem in ihrem Aus­maße jene verhängnisvolle Randlage Bayerns be-

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Bayerischer Landtag - 6. Sitzung. Donnerstag, den 29. Januar 1959 87

(Bezold [FDP])

rücksichtigen, in die uns der zweite Weltkrieg ge­bracht hat. Wir Freien Demokraten begrüßen da­her alle jene Ausführungen, die der Herr Mini­sterpräsident hinsichtlich des Föderalismus - das ist die staatsrechtliche Seite der Angelegenheit -und hinsichtlich des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern - das ist sozusagen die prak­tische Seite - gemacht hat. Ja, wir möchten noch­mals den Gedanken unterstreichen, daß es sich bei jenem Finanzausgleich nach unserer Auffassung nicht. um „widerwillig gewährte Geschenke" han­delt, sondern um Regelungen, die um des gemein­samen Zieles willen notwendig sind.

-Diese Aussage vor allem hinsichtlich des Föde-

ralismus mag manchen wundern. War es doch· einer der beliebtesten Vorwürfe gegen die FDP, sie huldige dem sturen Zentralismus; ein Vor­wurf, der zugleich die Bitternis enthielt, wir woll­ten über das geschichtlich gewachsene Staatsgefühl der Einwohner dieses Landes hinwegsehen und seien damit noch nicht ganz bereit, uns für seine Bedürfnisse einzusetzen. Tatsächlich haben wir nichts gegen den föderalen Aufbau der Bundes­republik und haben uns nur gegen einen über­spitzten Föderalismus gewendet, der so weit ginge, das Gefühl für die deutsche Zusammengehörigkeit zu vernichten. Denn wir sind der Meinung, daß dieses Gefühl das tragende Staatsgefühl unserer Menschen gegenüber den anderen Staaten der Welt sein muß, und glauben, daß, wenn schon der Satz richtig ist, daß die Kette nicht stärker ist als ihr schwächstes Glied, auch umgekehrt gilt, daß in einer Gemeinschaft der einzelne nicht mehr an Kraft naCh außen wirken lassen kann als die ganze Gemeinschaft als solche. Und gerade die bayerische

' Geschichte beweist, wie schädlich ein übersteigerter Föderalismus sein kann, der nur zu leicht zu dem unguten Gefühl des Nicht-mehr-dazugehören-Wol­lens führen, um nicht zu sagen verführen kann, jenem Gefühl, das in den bitteren Monaten vor der Machtergreifung dazu führte, daß die bayerische Politik das Gesetz zum Schutze der Republik nicht anwenden wollte, sich weigerte, bestimmte Maßnahmen des Reiches auszuführen, die zur Er­haltung der Demokratie gedacht waren, und da­mit dem Diktator eine Basis für seine weitere zer­setzende Tätigkeit schuf. Nun, ich weiß: Der Erin­nerungswert der Geschichte ist fragwürdig. Schon im Jahre 1873/74 hat Friedrich Nietzsche in sei­ner Schrift „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" diese Fragwürdigkeit festgestellt. Aber ich glaube, wenn man schon über grundsätz­liche politische Probleme spricht, dann muß man auch die Erfahrung der Geschichte in das Gespräch einbeziehen.

Was aber die praktische Seite betrifft, nun, die Freien Demokraten haben in vielen Anträgen und Abstimmungen bewiesen, daß sie für die baye­rischen Belange in diesem Hause und wo immer einzutreten bereit sind. Freilich, zu der praktischen Seite scheint uns hier in Bayern der nicht zu unterschätzende Wunsch zu gehören, daß auch im Lande selbst eine föderale Gewichtsverteilung ob-

2

waltet und nicht zentrale Kräftekumulationen zu Verstimmungen führen, die ebenso schädlich wären, wie die auf der höheren Ebene zwischen Bayern und Bund. Gerade in unserem eigenen Lande müssen alle Folgeerscheinungen unserer öst­lichen Grenzlage vor allem im Hinblick auf die Gebiete berücksichtigt und durch eine entspre­chende Mittelverteilung gestärkt werden, die der Grenze am nächsten liegen. Daß zu diesem baye­rischen Föderalismus die Anerkennung der einzel­nen Gemeinden mit ihrer kommunalen Selbstver­waltung gehört und der Wille, diesen Urquellen des demokratischen Staates das Ihre zu lassen und zu geben, um so tatsächlich die Verankerung der demokratischen Staatsform im fühlbaren Lebens­bereich zu sichern, hat die Regierungserklärung ausgesprochen und damit einen von der FDP im­mer wieder betonten Gedanken berücksichtigt.

Gerade die Fragen der Zonenrandgebiete und ihrer Wirtschaft hängen eng zusammen mit jenen wirtschaftlichen Zielsetzungen, die in dem Vertrags­werk zur Gründung der Europäischen Wirtschafts­gemeinschaft ihren Niederschlag gefunden haben. Noch nicht einmal die Regierungserklärung hatte den Raum, alle grundsätzlichen Gedanken dieses Vertragswerks darzustellen und damit im einzel­nen jene Gefahren aufzuweisen, die sich gerade für dezentral und fern gelegene Wirtschaftsräume aus der Anwendung der Bestimmungen dieses Vertragswerks ergeben können. Manchem bayeri­schen Wirtschaftler wären sicher bestimmte Aus­führungen der Freien Demokraten bei der Debatte über die Annahme der EWG-Verträge im Bundes­tag aus dem Herzen gesprochen gewesen, Ausfüh­rungen, die sich mit solchen Gefahren für die deutsche und bayerische Wirtschaft und vor allem für die Grenzland-Wirtschaft beschäftigen. Daß in das Vertragswerk einige Bestimmungen zugun­sten der schwachen Wirtschaft,sräume eingeführt wurden, vor allem jener Artikel 82 in die Ver­kehrsvorschriften, der lautet:

Die Bestimmungen dieses Titels stehen Maß­nahmen in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen, soweit sie erforderlich sind, um die wirtschaftlichen Nachteile auszuglei­chen, die der Wirtschaft bestimmter von der Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik aus dieser Teilung entstehen.

daran ist - ich darf das sagen - der damalige bayerische Wirtschaftsminister, der, wie Sie wissen, Bezold hieß, nicht ganz unschuldig. Heute kann man sagen, der Vertrag ist angenommen. Und wir müssen sehen, uns möglichst gut mit ihm abzufin­den. Wieweit sich dabei unser Wirtschaftsaufbau in Bayern, der sich nach der geschichtlichen Ent­wicklung noch stark auf die Kleinwirtschaft und Mittelwirtschaft stützen kann, als günstig erweisen wird, muß die Zukunft lehren.

Bestimmt sind jene Ausführungen zu begrüßen, die über Arbeitsteilung und Spezialisierung der Produktion sprechen; denn sie ergeben sich aus Gedanken, die den europäischen Wirtschaftsverträ­gen zugrunde liegen: dort zu produzieren, wo die Rohstoffe und das Arbeitsvolumen vorhanden sind. Aber doch scheinen fast alle Zweige der kleinen

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88 Bayerischer Landtag - 6. Sitzung. Donnerstag, den 29. Januar 1959

(Bezold [FDP])

und Mittelwirtschaft bedroht durch eine Ent­wicklung zu den Großbetrieben hin, die, wie wir wissen, ihre verschiedensten Ursachen hat, aber für ein Land schlecht sein muß, das aus die- . ser Entwicklung durch die Art der Gliederung sei­ner Wirtschaft nur wenig gewinnen könnte. Wir Freien Demokraten waren vor allem aus staats­politischen Gründen für die Erhaltung und Förde­rung der Betriebe des voll verantwortlichen per­sönlichen Unternehmers, weil jene Kreise neben den freien Berufen den Teil selbständiger Existen­zen bilden, dessen keine Demokratie entraten kann; denn wenn einer der Hebel unserer wirtschaftlichen Wirksamkeit die Freiheit ist - und bei unserer Wirtschaftsform soll das so sein -, müssen mög­lichst viele tatsächlich Freie im Rahmen. der Wirtschaft tätig sein. Um die Frage der freien, von staatlicher Beeinflussung möglichst freien Wirtschaft wird sich ja der Kampf der Wirt­schaftspolitik abspielen. Die ganzen Ausführun­gen der Regierungserklärung fußen insoweit auf dem Grund der freien Marktwirtschaft, wobei anzumerken wäre, daß diese freie Entwicklungs­möglichkeit gepaart sein muß mit dem entspre­chenden Verantwortungsgefühl der die Wirtschaft Betreibenden - und das sind alle in ihr Beschäf­tigten - und mit dem Wissen um die eigentlichen Aufgaben der Wirtschaft im Staat. Die mittlere Wirtschaft, das Handwerk, die Landwirtschaft und die freien Berufe gehören zum Aufbau der Wirt­schaftspyramide und müssen nach ihren Lebens­notwendigkeiten berücksichtigt werden, wenn nicht im Gesamtaufbau Unheil entstehen soll.

Davon scheint gerade die Landwirtschaft durch die EWG-Verträge besonders gefährdet, weil sie in Bayern in der Hauptsache aus mittel- und klein­bäuerlichen Betrieben besteht und die Landwirte der anderen Partnerländer des Gemeinsamen Mark­tes unter weit günstigeren Produktionsbedingun­gen arbeiten. Ich brauche nur einzugehen auf die Bodenbeschaffenheit und das Klima. Ob es gelin­gen wird, durch geschulten Fleiß und durch Stei­gerung der Produktion bei besserer Beschaffenheit der Erzeugnisse das Mißverhältnis zugunsten un­serer Landwirtschaft auszugleichen, ist eine bange Frage und muß auf jeden Fall mit Hilfe einer vor allem maschinenmäßigen Rationalisierung ange­gangen werden; es werden sich hier echte staat­liche Aufgaben ergeben.

Natürlich sind die staatlichen Instanzen gehalten, die Lebensnotwendigkeiten zu berücksichtigen, so­weit sie Maßnahmen zu treffen haben, die unmittel­bar in das Leben der Wirtschaft e1ngreifen. Ich brauche nicht auszuführen, daß dies vor allem beim Steuerrecht der Fall ist. Wir Freien Demokra­ten haben immer darauf hingewiesen, daß die stets geäußerten Sorgen um Handwerk, Mittelwirtschaft und freie Berufe leere Worte bleiben, solange hier nicht gleiche und gerechte Behandlungsgrundsätze für alle Zweige der Wirtschaft erarbeitet sind, Grundsätze, die dann die Voraussetzung eines wirklich gleichen Starts für jede Wirtschaftsart und Wirtschaftsgröße wären.

Gewiß, wir bejahen die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten, die er sehr eingehend zur wirtschaftlichen Struktur, Zielsetzung und Zukunft des Landes gemacht hat. Aber man muß sich schon fragen, ob die Maßnahmen der Bonner Wirtschafts­politik diesen Begriffen immer gerecht werden. Nicht nur, daß der Bundestag, wie wir wissen, in der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung die erste Geige spielt, fehlt es ihm doch offensichtlich manchmal an der EinsiCht, daß sich bestimmte Maßnahmen auf einzelne Wirtschaftszweige und Wirtschaftsräume verschieden auswirken mit dem Abmaße, daß sie ein Land um so stärker treffen, je wirtschaftsschwächer es ist. Und was nützt in Bayern eine sorgende Betreuung seiner Klein- und Mittelbetriebe, wenn auf der großen Wirtschafts­ebene Dinge geschehen, die den Nutzen dieser Betreuung wieder aufheben!

Man darf dabei nicht vergessen, daß der Hand­werksbetrieb, der landwirtschaftliche Betrieb und der Klein- und Mittelbetrieb - kurz, jeder Ver­edlungsbetrieb - wirtschaftlich gesehen Konsu­menten, Verbraucher sind, die jede, aus welchen Gründen auch immer erfolgende Preiserhöhung ihres Bedarfs bitter empfinden.

Ich muß es mir ersparen, an dieser Stelle über die Entwicklung im Bereich der Kohle zu sprechen. Daß ihre Auswirkung gerade für unser Land schlecht sein wird - wer möchte es bestreiten? Doppelt schlecht erscheint es mir, daß man sich dabei über die Grundsätze der Marktwirtschaft hinweggesetzt hat und staatlichen Dirigismus sie hat brechen lassen. Man nimmt damit immer die Gefahr in Kauf, daß an anderer Stelle gleiche Ein­brüche erfolgen. Was sich jetzt auf dem Sektor der Kohle anbahnt, meine Damen und Herren, ist eine wirtschaftspolitische Todsünde.

(Abg. Winkler: Das ist richtig!) Daß durch landesplanerische Überlegungen un­

serer Wirtschaft in gewissem Umfang geholfen und die Folgen von Fehlentscheidungen gemildert werden könnten, sei nicht bestritten. Solange die Planung nicht „Plan" wird, darf sie wohl bei den heutigen unzähligen, fast unübersichtlichen Kompo­nenten des Wirtschaftsablaufs bejaht werden.

Sicher ist auch, daß gerade für die Bereiche des Handwerks und der mittleren Wirtschaft erheb­liche Hilfen aus Überlegungen der Kultur- und Schulpolitik kommen können. Schon beim Konsu­menten müssen Sie mit einem individuellen Aus­wahlwillen rechnen, der nur die Frucht eines Bil­dungswegs sein kann, der den Menschen indivi­duelle Entscheidungen möglich macht. Daß sowohl das Handwerk als die Landwirtschaft als endlich die mittlere Wirtschaft bei ihrem Tun selbst auf vorgebildete Kräfte um so mehr angewiesen sind, je mehr sie den Schwierigkeiten des Wettbewerbs ausgesetzt sind, ist in diesem Haus wiederholt aus­geführt worden. Aber alles, was auf dem Gebiet der Kulturpolitik geschieht, darf nicht nur vom Standpunkt der realen Nützlichkeit aus gesehen werden. Es ist gebunden an den höchsten Sinn des Mensch-Seins überhaupt und spricht damit die höchsten Fragen an, vor die sich der Mensch ge­stellt sieht. Wenn es auch, praktisch gesehen, um

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die Entfaltung der geistigen Kräfte und ihrer Wirkungsmöglichkeiten geht, so haben wir Freien Demokraten doch immer betont, daß gerade die kulturpolitischen Bemühungen . einer Atmosphäre der Freiheit und Toleranz bedürfen, in deren Klima jegliche Entscheidung eingebettet sein muß. Denn die verantwortliche Freiheit ist das Kennzeichen menschlichen Verhaltens auf allen Gebieten, und die Freiheit des Wollens stellt sein Verhalten her­aus aus dem Bannkreis all jener Verhaltungs­weisen, die durch mechanische, rein körperliche und materielle Kräfte zustandekommen. Die Freiheit ist die Mutter der Ethik, sei sie religiös oder philosophisch.

Wir verstehen die Aussage der Regierungserklä­rung, die Kulturpolitik werde vom Geiste der To­leranz getragen und der Zukunft zugewandt sein, in diesem Sinne. So gesehen, können wir die prak­tischen Ausführungen der Regierungserklärung bejahen, vor allem in ihren Spitzenpunkten, der Beseitigung der Schulraumnot, der Förderung des Landschulwesens und der Berufsschule sowie der Maßnahmen zur Förderung des zweiten Bildungs­wegs.

Wir erfreuen uns natürlich ebenfalls der Werke der Kunst, und wir freuen uns über jede Mark, die den Kunstwerken und den Kunststätten zu­kommen kann. Wir sind allerdings der Meinung, daß bei dem jetzigen Zustand des Kunstmarktes und bei den hohen Preisen, die dort herrschen, es zunächst notwendiger ist, unsere Kunststätten auf­zubauen und es möglich zu machen, daß die un­zählige Menge an Kunst, die heute in Magazinen lagert, endlich zur Ausstellung _kommt und vor einem endgültigen Verderb bewahrt wird.

Es gehört zw·eifellos zu einer zeitnahen Kultur­politik, sehr aufmerksam das Gefälle zwischen un­seren kulturellen Schulungsmöglichkeiten und de­nen anderer Länder, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bundesgebiets, zu beobachten. Dies gilt wohl bei der heutigen sehr starken technisch­zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit be­sonders auf dem Gebiet der Technik, da ein zu großer Unterschied nicht nur zu Ausfallserschei­nungen und Störungen unseres Wirtschaftslebens, sondern sogar zur Bedrohung unseres inneren Friedens und unserer Sicherheit führen könnte. Weil auf allen Gebieten unserer Kulturpolitik die Erreichung jenes Zieles sehr stark an die finan­zielle Kraft des Landes gebunden ist, wird man gerade hier sehr oft die Reihenfolge des Notwen­digen erwägen müssen. Es ergibt sich auch eine weitere Aufgabe: die Überlegung nämlich, wie durch Einsparungen in der staatlichen Verwaltung und in den staatlichen Ausgaben Mittel gewonnen werden können, die den Bedürfnissen der Kultur­politik zugeführt werden.

Die Überprüfung, wieweit staatliche oder mit staatlicher Beteiligung geführte Unternehmen in die Privatwirtschaft überführt >Verden können, be­kommt, von diesem Gesichtspunkt aus betrach­tet, eine weit über die Wirtschaftspolitik hinaus­gehende Bedeutung, und alle Bemühungen, zu einer

tragbaren Verwaltungsvereinfachung zu kommen, erhalten einen über die bloße Sparsamkeit hin­ausgehenden Sinn. Freilich ist die Verwaltungs­vereinfachung primär gefordert durch das rück­läufige Staatseinkommen, und es wird insofern zu einer dringenden Notwendigkeit. Wenn man keine Wirrnis im Staatshaushalt oder den Um­stand in Kauf nehmen will, daß neben den lau­fenden Verwaltungsausgaben allmählich überhaupt keine Mittel für andere Zwecke mehr vorhanden sein werden, muß man Wege suchen, die Verwal­tungstätigkeit des Staates in modernerer und billi­gerer Weise zu erfüllen.

Wir begrüßen die Ausführungen der Regierungs­erklärung zu diesem Gedanken und zu dem Ge­danken der Begrenzung der Neuverschuldung des Staates. Die Freie Demokratische Partei hat ja auch ihre Bedenken gegen die Ausweitung des Außerordentlichen Haushalts 1958 in diesem Haus vorgetragen und wiederholt betont, daß durch eine saubere Haushaltspolitik im Lande ein Beitrag zur Stabilität der Währung geleistet werden muß.

(Abg. Winkler: Gut!)

Würde, meine Damen und Herren, die Währung in die Inflation abgleiten, alle guten Vorsätze der Sozialpolitik wären· zunichte. Es _hülfe uns dann wenig, zu versichern, daß wir ihre Notwendigkeit bejahen, weil allein eine gute Sozialpolitik imstande ist, alle sozialen Spannungen zu mildern, die sich aus dem Ablauf unseres Wirtschaftslebens ergeben, und damit den inneren Frieden zu erhalten. Wir wissen, der Wunsch, daß jeder Mensch aus eigener Kraft alle Wechselfälle des Lebens meistern kann, wird immer ein Ideal bleiben. Unzähligen fehlt es ohne Verschulden an dieser Kraft; sie sind auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. Die Frage, in welchen Fällen und in welchem Ausmaße ihnen diese Hilfe zuteil werden solle, ist eine der ernste­sten Fragen moderner Staatsführung. Unterstüt­zungen am falschen Platz und im falschen Ausmaße und würden entweder ihren Zweck nicht erreichen oder die Lebenskraft und den wirtschaftlichen Willen des Bedachten einschläfern und so nicht als letzte, sondern als erste Maßnahme die Hilfe der Gemeinschaft erwarten lassen. Der Staat würde damit vom Sozialstaat zum Wohlfahrtsstaat

(Abg. Weishäupl: Was ist der Unterschied? · - Abg. Dr. Heubl: Gerstenmaier lesen!)

mit der Folge, daß er die von ihm Abhängigen ihrer Freiheit und ihres Mitspracherechts berauben wür­de. Das ist der Unterschied!

(Abg. Winkler: Großer Unterschied!)

Wir können die Ausführungen der Regierungs­erklärung hinsichtlich der Sozialaufgaben des Staates bejahen. Wir verschließen uns weder der Notwendigkeit des Schutzes und der Förderung der Familie einschließlich des sozialen Wohnungsbaues noch einer sozialen Arbeitsmarktpolitik. Wir rech­nen alle, die der Krieg irgendwie geschädigt hat, zu den sozial Hilfebedürftigen, und wir bejahen die Vorsorge gegen die Krankheit, und wir be­jahen die Sicherung des Lebensabends. Wir müß­ten aber zu Entwicklungen nein sagen, die ein­deutig zum Wohlfahrtsstaat führen würden.

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Alles, was geschieht, um diesen Staat als Rechtsstaat zu erhalten, kann unserer Mitarbeit sicher sein. Hier geht es vor allem um eine un­beeinflußte Rechtsprechung, die selbst vor jedem Eingriff und jeder Einwirkung bewahrt wird. Die Technik der Rechtsfindung muß ihre festgelegte Form haben, die jedem Rechtsvorgang die gleiche Behandlung zusichert. Diese Form darf nicht im Wege der Anwendung . geändert werden, sondern nur der Gesetzgeber, der sLe geschaffen hat, darf sie in einem von der Verfassung genau vorge­schriebenen Verfahren neu gestalten.

In einer Zeit, in der sich immer wieder dunkle Wolken am Horizont der Staaten zusammenbal­len, ist jeder einzelne aufgerufen, das Seine zu tun, um Freiheit und Frieden zu erhalten. Nur der gute Wille aller Menschen wird stark genug sein, ein Menschheitsunglück zu vermeiden, dessen Fol­gen sich die grausamste Phantasie nicht aus­malen kann. An dieser Aufgabe, die keine Auf­gabe einer einzelnen Partei in diesem Hohen Hause ist, werden wir - ich bin davon überzeugt - alle, die hier versammelt sind, mit. allen Kräften mit­arbeiten. Sie kann nur bewältigt werden - wir wissen es aus unserer düsteren Geschichte -, wenn unsere demokratische Staatsform, unser Staat als Rechtsstaat und die Freiheit des einzelnen Staat~:­bürgers gewahrt bleibt. Wir lesen schaudernd Be­richte, die die Frage nahelegen, ob die Begriffe der Menschheit und der Menschlichkeit noch Bedeutung haben. Wenn biologische Kampfmittel gerühmt werden, mit denen leicht die ganze Menschheit aus­gerottet werden könnte, so kann man daraus nur den einen Schluß ziehen: Alle müssen zusammen­stehen, die guten Willens sind! Der Unmenschlich­keit und den Unmenschen sei aber entgegengehal­ten der Vers Mirza-Schaffys:

;,Wehe dem, der im Zerstören und in Leichen Ruhm nur sucht! Gott wird sein Gebet nicht hören und sein Name wird verflucht!"

(Beifall bei den Koalitionsparteien)

Präsident Dr. Ehard: Das Wort hat der Herr Ab­geordnete von Knoeringen von der Fr.aktion der Sozialdemokratischen Partei.

von Knoeringen (SPD): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sprecher meiner Fraktion, Kollege Dr. Hoegner, hat gestern ausführlich die ganze Breite der aufgeworfenen Fragen, die der Herr Ministerpräsident in seiner Regierungserklä­rung behandelt hat, vom Standpunkt unserer Par­tei aus beleuchtet. Wenn ich mir die uns besonders interessierenden Kapitel dieser Regierungserklä­rung vor Augen halte, so wäre ·es gar nicht mehr erforderlich, hier noch ·einmal das Wort zu er­greifen.

Besonders auf dem Gebiet der Kulturpolitik ha­ben wir den guten Vorsatz der Regierung zur Kenntnis nehmen können, bei besonders aktuellen Fragen ernste Leistungen zu setzen. Wir hörten, daß die Not der Assistenten an den Universitäts-

ikliniken behoben werden soll; wir hörten von einer breiten Förderung der Studenten; wir hörten von der Absicht, daß eine Studentenwohnstadt errichtet werden soll, vom Neubau der Kliniken, von einem Plan für das gesamte Schulwesen, von einem Lan­desjugendplan, von der besonderen Förderung der staatsbürgerlichen Bildung, von der Beseitigung des Schichtunterrichts in den nächsten vier Jahren, vom zweiten und dritten Bildungsweg, der voll erschlos­sen werden soll, von den Dienstwohnungen für die Lehrer auf dem Lande, die nun gebaut werden sollen, von einem Plan zur Behebung des Lehrer­mangels. Nun, was mehr können wir von der Oppo­sition uns noch wünschen? Nun wäre es für uns also nur darum zu tun, aufzupassen, daß alles das in den nächsten vier Jahren auch wirklich erfüllt wiTd.

(Abg. Sackmann: Das genügt!)

-· J·a, das ist ·eine sehr wichtige Aufgabe, und, Herr Kollege, ich glaube, wir bekommen sehr viel dabei ·zu tun, wenn wir aufpassen müssen.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

Es wurde außerdem angekündigt, daß ·eine in die Zukunft gewandte Kulturpolitik getrieben werden soH. Nun, ·eine solche, der Zukunft zugewandte Kul­turpolit1k werden wir j·edenfalls nicht hindern; wir werden sie zu fördern suchen.

(Abg. Dr. Heubl: Könnten Sie auch gar nicht!)

- Könnten wir auch gar nicht! Immerhin, Herr Dr. Heubl, lassen Sie der Opposition noch ein paar kleine Einflußmöglichkeiten!

(Abg. Dr. Heubl: Sie wisseri gar nicht, wieviel Einflußmöglichkeiten die Opposition hat!)

Und nun, meine Damen und Herren, komme ich zu dem wesentlichen Punkt. Ich habe mich zum Wort gemeldet, weil der Herr Kollege Dr. Heubl mich eigentlich dazu herausgefordert hat.

(Abg. Greib: Hört!) Er hat uns hier eine Vorlesung gehalten, die ich mit dem allergrößten Interesse verfolgt habe. Sie war sehr gekonnt und hat auch der .ganzen Debatte in diesem Hause ein Niveau gegeben. Ich glaube, Herr Dr. Heubl, die CSU-Fraktion hat in Ihnen zweifellos einen sehr ·ea:nsthaften und sehr fähigen Sprecher gewählt. Nun, ich trete an diesen Platz nicht, um mich mit Ihnen polemisch auseinanderzu­setzen. Ich glaube, in dem, was Sie sagten, liegt einiges für ·e-ine ernste Unterhaltung, für ein Ge­spräch, das von derr Sache her eine von uns allen gewünschte Form erhalten soll. Ich freue mich also, daß .es uns möglich ist, ein paar Dinge aus der Rede, die Herr Dr. Heubl gehalten hat, hier zu behan­deln, an dea:en Klarstellung wir besonderes Inter­esse haben, weil sonst das weitere positive Ge­spräch nicht so gut verlaufen könnte. Gestatten Sie mir, daß ich ein paar Bemerkungen von Ihnen, Herr Kollege, aufgreife!

Sie sprechen von ·einer krampfhaften Neuerungs­sucht. Sie sagten, daß sich der Einfallsreichtum mit der Beharrlichkeit paaren müsse, und Sie sprachen von zweifelhaften Bedarfsplänen. Diese Apostro­phierung deutet auf das hin, was wir in den Jahren der Viererkoalition zu tun versuchten. Ich glaube,

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daß darin eine sehr wohl formulierte Kritik liegt, eine Kritik gegenüber den Bemühungen der Sozial­demokratischen Partei ·in diesem Hohen Hause. Wenn ich als Kommentar dazu noch die „CSU­Pressekorrespondenz" lese, so wird mir vollends klar, was Sie mit Ihren Andeutungen gemeint haben.

(Zuruf des .A:bg. Dr. Hoegner)

Denn dort werde ich einer sehr scharfen Kritik unterzogen, und der spitz~ Pfeil des Gegners wird vor .allem auf mein armes Herz gerichtet.

(Heiterkeit)

Man tut mir die Ehre an, mich als einen zu quali­fizieren, der ·ein Hura:a-Reiter in die Zukunft sein will, der die Dinge nicht ernsthaft genug durch­denkt,

(Zuruf des Abg. Dr. Hoegner)

dem vielleicht die entsprechende Vorbildung für solche Dinge fehlt; es kommt ja des öfteren vor, daß solche Leute die Realitäten dann falsch ein­schätzen und ·in einer gewissen Traumwelt leben. So gehe ich .also im Bewußtsein der CSU einher als ein Don Quichotte, der mit irgendwelchen Lanzen gegen die Windmühlen der Zukunft ·angeht.

Abetr, meine Damen und Herren, ·es liegt mir d:lI"::!D., ;;.id::d; c;;:; il;. It:reni ßlic..l{fe.ld stehen zu blei­ben. Sie müssen gestatten, daß ich versuChe, den Beweis dafür anzutreten, daß das, was wir uns· be­mühen zu tun, eine sehr ernste und sehr wohl überlegte Sache ist. Aus diesem Grund muß ich Sie bitten, mit mir noch einen kleinen Blick auf das Geschehen der letzten Jahre zurückzuwerfen.

Es war am 22. März 1956, als ich die Ehre hatte, hier auf diesem Platz zu stehen. Damals haben wir, zum erstenmal in diesem Hohen Hause, über den technischen Nachwuchs gesprochen. Ich habe gestern abend, 'in Vorbereitung auf diese Unterhaltung mit Herrn <Dr. Heubl, noch einmal alle Protokolle durchgelesen und ich muß sagen: - man soll ja nicht stolz sein - aber ·ein bißchen habe ich mich doch darüber gefreut, wie wir-man stelle sich vor: vor fast drei Jahren - uns da doch schon bemüht haben, das, was von der Zukunft her auf uns zu­kommt, in den Griff zu bekommen. Bei der Wand­lung des Geschehens in unserer Zeit sind drei Jahre, meine Damen und Herren, allerhand. Pro­phezeiungen werden heute meistens bereits nach­einem Monat Lügen .gestraft, und doch gilt das, was wir damals gesagt haben, heute noch. Damals haben wir verlangt, daß die Ministerpräsidenten aller Länder in dieser s~hr wichtigen Teilfrage un­serer 1Schul- und Kulturpolitik die Initiative er­greifen möchten; wir haben darüber gesprochen, daß die Länder unmöglich in der Lage sein werden, die finanziellen Leistungen allein aufzubringen; wir haben davon gesprochen, daß wir eine Verein­barung zwischen dem Bund und den Ländern er­streben sollten, aus der hervorgeht, daß wir alle zusammen, Bund und Länder, hier •ein gemeinsames Problem vor uns haben.

Wir haben dann bei der Diskussion um diese In­terpellation einen 14-Punkte-Vorschlag gemacht,

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----------....,.--

den unser Kollege Dr. Oechsle vorgetragen hat. Ich will jetzt nicht die ganzen 14 Punkte wiederholen - es ist hochinteressant, Sie ,können die meisten daraus noch heute als die Grundlage der Politik anerkennen-, aber der wichtigste Punkt, Punkt 14, soll doch noch einmal in Ihr Gedächtnis zurückge­rufen ·werden. Er lautet:

„Die Errichtung eines Führungsgremiums, etwa in der Art einer englischen Royal Com­mission, auf Bundesebene erscheint unerläßlich, da das Problem nur unter Zusammenfassung aller beteiligten Kräfte nach einheitlichen Ge­sichtspunkten gelöst werden kann. Diesem Gremium"

- eine Art Selbstverwaltung, möchte 1ch sagen -„müssen die Sachverständigen des Bundes, der Länder, des Städteverbands, der Wissenschaft und der Wirtschaft angehören."

Das, meine Damen und Herren, war damals die For­derung, die in diesem Hohen Hause erhoben wor­den ist.

Auf Grund dieseT Erörterungen hat dann die Bayerische .Regierung sehr mutig diesen Weg be-

. schritten, und da es die anderen noch nicht voll zur Kenntnis genommen hatten, hat sie von sich aus gehandelt. Sie hat durch den 'bayel'ischen Kultus­minister Rucker jenen Bedarfsplan aufstellen las­sen, der dann am 8. No.vember 1956 vorgelegt wor­den ist.

Der Herr Ministerpräsident Dr. Hoegner hat auf eine Anfrage, die ich gestellt habe, am 24. Mai 1956 erklärt,

„daß die· Bayerische Regierung sich der Vor­aussetzung für eine Lösung dieser Fragen durchaus, bewußt sei. Nach ihrer Auffassung erforderten die gesellschaftlichen und politi­schen Verhältnisse die größtmögliche Förde­rung der wissenschaftlichen Forschung, beson­ders auch der angewandten Forschung und die Gewinnung des notwendigen technischen Nach­wuchses. Zu diesem Zweck ist es unumgäng­lich, ein auf die gemeinsame Leistung von Bund und Ländern abgestelltes Förderungspro­gramm zu entwickeln, das nach folgenden Richtlinien aufgestellt ist: Bestandsaufnahme über den Stand der deutschen Wissenschaft, insbesondere im Hinblick auf die naturwissen­schaftliche Forschung und die Sozialwissen­schaften, Lage der Universitäten, Festlegung eines Aufbauprogramms, Lehrstoffreform, Be­gabtenförderung, Finanzierungspläne, Koordi­nierungsstelle zwischen Bund und Ländern für eine einheitliche Durchführung dieser Pläne."

Das war im Jahre 1956. Das haben wir also ver­treten, und dann haben sich die Ministerpräsiden­ten verständigt. Es hat dann der bayerische Kul­tusminister diesen Bedarfsplan sehr sauber nach einem Schema aufgestellt, das heute noch volle An­erkennung bei allen Kultusministern der Länder -auch bei den Kultusministern, die von der CDU ge­stellt werden - besitzt.

Nach diesem Bedarfsplan hat sich für .uns er­staunlicherweise das ergeben, was wir vielleicht ge­ahnt, in seiner Größenordnung aber noch nicht er-

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(von Knoeringen [SPD])

kannt haben, nämlich welche Summe erforderlich wäre, um den Bedürfnissen von heute au! diesen Gebieten der gesamten Förderung der Wissenschaft, der Fortbildung, aber auch der Bildung gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren! Ich brauche mich hier nur auf die Aussagen zu berufen, die damals ge­kommen sind. Ich kann nur die höchste Aussage zitieren, weil es sonst zu weit führen würde, näm­lich die des Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften:

„Die Bayerische Akademie der Wissenschaften hat mit größtem Interesse"

- so heißt es -„von Ihrem dem Landtag in der Sitzung vom 8. November 1956 vorgelegten Bedarfsplan zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre und des wissenschaftlichen Nach­wuchses Kenntnis genommen. Sie kann sich den von Ihnen entwickelten Gedankengängen nur rückhaltlos anschließen und stimmt ins­besondere Ihrer Formulierung nachdrücklichst zu, daß es sich nicht um Deutschlands Ansehen und Weltgeltung, sondern um die Frage des Bestehens und Nichtbestehens überhaupt han­delt."

Meine Damen und Herren! Das ist ein Votum des höchsten Gremiums der Wissenschaft, das es in Bayern gibt. Das ist eine Aussage, die ihr Gewicht behält.

Wie ist es nun weitergegangen? Die übrigen Län­der haben das Schema des Bedarfsplans, nach dem der Rucker-Plan erstellt worden ist, übernommen. Sie haben die Bedarfspläne in ihren Ländern er­stellt. Daraus konnten jetzt gewisse Berechnungen angestellt werden, wieviel das ganze überhaupt ausmachte. Inzwischen hat die Kultusministerkon­ferenz die Akten gesammelt. Allerdings hat man sie dort wieder zugedeckt und unter der entspre­chenden Nummer abgelegt, bis wir sie wieder aus­gegraben haben.

(Zurufe: Hört, hört!)

Es dauert eben eine Zeit - und ich mache im einzelnen niemandem einen Vorwurf - bis sich diese neuen Gedanken bei uns durchsetzen. Die Wirtschaft z. B. liegt vor uns. Diese Fragen be­rühren jeden. Jeder kann sich darunter konkret etwas vorstellen.

(Abg. Dr. Becher: Auch die Wirtschaft?)

Die Fragen der Wirtschaft sind leichter zu erfassen. Sie lassen sich faßbarer ausdrücken. Für sie kann man leichter das Verständnis breiter Schichten fin­den. Die anderen Dinge drücken sich nicht so leicht aus. Was heißt das: Förderung der Wissenschaft? Was soll das für mich, für den einzelnen bedeuten? Dieses Wissen zu schaffen ist eben eine Frage der allgemeinen Aufklärung, der Bildung des neuen Denkens in dieser Richtung. Damals also hat es ge­heißen - ich habe noch einmal, obwohl es schmerz­lich ist, meine Damen und Herren, die CSU-Korre­spondenz nachgelesen -:

(Heiterkeit)

Man sprach vom „Wolkenkuckucksheim am Salva­torplatz", von „Plänchen, die dort gemacht werden", von der „Stange, mit der man dann romantisch im Nebel herumstochert". Das ist hoffentlich bis auf ein paar Lacherer, die gestern hier aufgetreten sind, als davon gesprochen wurde, alles längst dahin. Inzwischen hat man, auch von seiten des Herrn Bundesinnenministers, das Problem mit allem Ernst erkannt.

(Abg. Dr. Hoegner: Sehr richtig!)

Der Herr Bundesinnenminister ist sogar in einer Illustrierten Zeitung auf der ersten Seite in einer Schulbank sitzend abgebildet gewesen, wie er sagt: Es drückt mich die Schulbank, und es muß unbe­dingt etwas geschehen; denn der Bau unserer Schulen gehört zu den vordringlichsten Dfögen, die wir überhaupt haben.

Gut! Hoffend, daß das nun der Durchbruch sei, haben wir unseren Antrag auf Einsetzung eines Be­trages von 250 Millionen DM im Bundeshaushalt zur Unterstützung der Länder wieder gestellt. Aber wieder hat der Herr Bundesfinanzminister ange­kündigt, er sei nicht imstande, eine solche Summe zu geben, denn ihr stünde das Grundgesetz im Wege. Die Schulen seien nun einmal eine Angele­genheit der Länder. Das ist uns nun zum dritten Male passiert. Ich habe daher ernstlich mit meinen Kollegen gesprochen und gesagt, wir müßten jetzt einen anderen Weg gehen. Deswegen können wir das Grundgesetz nicht ändern, wir müßten aber Formen des Ausgleichs zwischen Bund und Län­dern finden, die solche Leistungen möglich machen. Es kann ja nicht daran scheitern, meine Damen und Herren, daß uns Zuständigkeitsfragen zwischen Bund und Ländern verbieten, eine wirklich große Leistung zu setzen.

(Lebhafter Beifall bei SPD und BP)

Dazu kam nun, daß wir uris überlegten, ob man nicht unter Ausschaltung all dieses Geredes über ein „halbes Bundeskultusministerium" den Versuch machen sollte, zwischen Bund und Ländern eine Stelle zu schaffen, die mit der nötigen Autorität ausgestattet ist und die dann auch dem Bund und den Ländern einen gewissen Schlüssel zur Ver­fügung stellen kann, nach dem gemeinsame Lei­stungen verteilt werden sollten. Aus diesem Vor­schlag heraus kam, wie Sie wissen, der Wissen­schaftsrat zustande. Dieser Wissenschaftsrat und seine Tätigkeit wurde zuerst mit großem Pessimis­mus betrachtet, weil man glaubte, daß wieder viele Bürokraten in ihm tätig seien. In ihm sind ver­treten je ein Vertreter eines jeden Landes, sechs Vertreter des Bundes, Vertreter der Wissenschaft, Vertreter des Max-Planck-Institutes usw., usf. Alle diese zusammen sollen nun eine Art Schwerpunkt­planung, allerdings nur für Wissenschaft und For'­schung aufstellen. Nur das ist vom Grundgesetz her gedeckt. Es ist aber meiner Meinung nach nicht be­rechtigt, heute in dieser Hillsicht pessimistisch zu sein. Die Herren des Wissenschaftsrates haben sich sehr intensiv bemüht, zu den Universitäten hinaus­zufahren und mit den einzenen Sachverständigen zu sprechen. Ich glaube, wir können hoffen, daß uns in einigen Monaten die Schwerpunkte für Wis­senschaft und Forschung in ihrer Dringlichkeit in

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(von Knoeringen [SPD])

der Bundesrepublik vorgetragen werden. Meine Damen und Herren! Es werden uns die Augen übergehen, wenn wir die Zahlen sehen, die dabei genannt werden.

(Abg. Bezold: Das glaube ich auch!) _

Da unter den 40 Mitgliedern des großen Wissen­schaftsrates nur vier Sozialdemokraten sind, dürfen Sie also annehmen, daß hier nicht aus parteipropa­ganqistischen Gründen bestimmte Zahlen unter­schoben worden sind. ·Ich vertraue dem Wissen­schaftsrat und seiner ernsten Arbeit. Ich glaube, wenn er spricht, so wird das ein Politikum ersten Ranges sein, nicht ein Parteipolitikum, sondern ein Politikum. Wir werden uns dann überlegen. müs­sen - wir sollten es eigentlich schon heute tun -, wie wir die Formen schaffen, um eine solche finan­zielle Leistung im Rahmen unserer Volkswirtschaft zu erstellen.

(Zuruf: Es wird heißen: Wie werden wir die Form finden?)

Es ist leichter, im Bereich des Grünen Plans solch gemeinsame Leistungen zu erstellen, weil die Pro­blematik nicht so schwierig ist. Sie bedürfen auf diesem Gebiet großer Sachkenntnisse und die, glaube ich, hat der Wissenschaftsrat. Aber nun müssen wir uns darüber klar sein, daß es nicht einfach so geht: der Bund zahlt, die Länder geben das Geld aus und der Bund hat nichts zu sagen, was die Länder mit den Geldern tun. In meiner Fraktion habe ich die Diskussion mit denen, die für den Wohnungs- und Straßenbau verantwort­lich sind, schon geführt. Aber aus den Mitteln für den sozialen Wohnungsbau darf nichts abgezweigt werden. Auch hier gibt es bereits berechtigte Inter­essen.

Nun hat Herr Dr. Heubl gestern den Bund in bezug auf die Kriegsfolgelasten angesprochen. Er hat den vertikalen Finanzausgleich berührt und ge­sagt, da würde nicht mehr viel drinnen sein. Ich glaübe auch, daß ·wir dieses schwierige Problem des Verhandelns zwischen Bund und Ländern um die Veränderung der Quote nicht als ein Positivum einsetzen können. Wir verhandeln schon seit Jah­ren; ob dabei so viel herauskommt, um solche Lei­stungen zu ermöglichen, bezweifle ich. Aber wenn die Kriegsfolgelasten, die eigentlich der Bund übernehmen müßte, einmal ordentlich geregelt würden, wäre es für die Länder überhaupt kein Problem mehr. Da haben wir die gestern schon angesprochenen Ausgleichsforderungen; wir haben die Fragen der Wiedergutmachung, der Bergmannsprämien, des Lastenausgleichs. Das würde zusammen ungefähr einen Betrag von bei­nahe 3 Milliarden ausmachen, die der Bund nach dem Grundgesetz eigentlich übernehmen müßte. Nun sind wir uns klar, meine Damen und Her­ren: so leichtfertig können wir an die Dinge nicht herangehen u-nd einfach sagen, der Bund solle alle Ausgaben in bezug auf die Kriegsfolgelasten übernehmen. Es entsteht ja dann wieder ein Loch im Haushalt des Bundes!

(Abg. Dr. Becher: Außerdem wäre die

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Bayernpartei dagegen - nach der gestrigen Rede!)

- Ich weiß nicht, wie schwer das ins Gewicht fal­len würde. Auch wir müßten uns ernsthaft über­legen, welche Vorschläge bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern gemacht werden könnten,. damit der Bund eine solche Leistung aufbringt. Volkswirtschaftlich gesehen, rein nach der Gesamtleistung des Volkes zu urteilen, muß so was - dieser Meinung sind wir alle - im Zeit­alter des Wirtschaftswunders möglich sein.

(Beifall bei der SPD und bei Teilen der BP)

Es handelt sich also nur darum, die entsprechende institutionelle Form zu finden. Ich glaube, daß wir auch da keinen einheitlichen Wunderplan ent"'­wickeln können, sondern wir müssen auf ver­schiedenen Gebieten auf verschiedenen Einzel­wegen gehen. Es besteht z. B. in der Frage der Studentenförderung schon ein solches Abkommen zwischen Bund und Ländern. Ich könnte mir vor­stellen, daß auch auf dem Gebiet des Schulhausbaus durchaus eine Sonderabmachung mit dem Bund möglich wäre. Die Länder haben ja die zerstörten Schulhäuser zum Teil nun wieder aufgebaut. Könnte man da nicht in dieser Sonderregelung auch rückwirkend den Bund in gewisser Hinsicht belasten, so daß die Länder in der Lage wären, dennoch notwendigen Schulhausbau durchzuführen? Die Länder, vor allem die Länderfinanzminister, haben das allergrößte Interesse. Auch jetzt bitte ich die Lacher von gestern, einmal herzuhören: Die Länderfinanzminister haben den auf Grund des Schemas des Rucker-Plans erstellten Bedarfs­plan zur Grundlage ihrer Ausarbeitung im ver-. gangenen Jahr für ihren Vorschlag gemacht, den sie als Länderfinanzminister dem Bundesfinanz­minister vorgelegt haben. Es ist die Denkschrift der Länder vom 18. Februar 1957. Hier wurden die Summen anerkannt, die von den Kultusministern gemeinsam vorgeschlagen worden sind und in Größenordnungen von ca. 2 Milliarden DM lie­gen: 8 Milliarden im Laufe von 10 Jahren für ein­malige Investitionen; in dem Maß, wie diese Inve­stitionen durchgeführt werden, die Steigerung der laufenden Ausgaben bis zu einer Höhe von 12 Milliarden DM. Falls nach 10 Jahren der volle Einsatz - theoretisch gesprochen - möglich wäre, würde eine zusätzliche Belastung von ca. 2 Milliar­den zu erwarten sein.

Wir sind vor ungefähr 4 Monaten zu den Kultus­ministern gegangen und haben gefragt, ob sie noch auf dem Boden dieser Pläne stehen. Die Mehrzahl stand noch auf dem Boden dieser Pläne. Die an­dern sagten, inzwischen haben sich die Grundlagen wesentlich verändert; nicht nach unten, meine Damen und Herren, sondern nach oben, und das heißt: Die Ausgaben werden sich noch vermehren.

(Abg. Dr. Oechsle: Der Appetit kommt mit dem Essen!)

Ich bin der Meinung, wir sollten das Problem nicht so behandeln, wie wir irgendwelche andere mit Ausgaben verbundenen Fragen behandeln, die zweckdienlich gemacht werden. Jeden Tag sollten

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(von Knoeringen [SPD])

wir - vor allem auf diesem Gebiet - in die Zu­kunft hinein überlegen und denken.

(Zuruf von der CSU: Graue Theorie!)

- Graue Theorie? Dann bitte ich Sie, Herr Kol­lege: Sehen Sie einen anderen Weg? Darf ich Ihnen nur ein paar Beispiele aus der Praxis vorlegen; wir haben nur ein paar herausgegriffen. Hier haben Sie z. B. den Bedarf an Studentenwohnheimen. Wollen Sie den leugnen?

(Zuruf des Abg. Euerl - Gegenrufe von der SPD)

- Ich verstehe Ihren Zwischenruf nicht. Aber ich darf Ihnen hier einmal folgendes vortragen: Vor wenigen Wochen hat das Kuratorium des Deut­schen Studentenwerks ein Memorandum veröffent­licht. Diesem Kuratorium gehören an Herr Mini­sterialrat Dr. Scheidemann, der direkte Mit­arbeiter des Innenministers; für die Länder von Bayern der Herr Regierungsdirektor Dr. Treppesch usw„ lauter erfahrene Männer, deren neutrale Haltung, deren sachverständiges Urteil niemand bezweifeln kann. Danach sind nach genauesten Prü­fungen bei den Universitäten in allen Ländern zu­sätzlich erforderlich 35 000 Wohnplätze für Studen­ten, wobei nur ein Drittel der Studenten in den Wohnbau einbezogen wird. Das würde nach ge- · nauesten Berechnungen bedeuten - bei einem Bett 9000 DM -: 300 Millionen DM. Dieser Betrag ist nun aufgegliedert in einem 5-Jahres-Plan auf jährlich durchschnittlich 60· Millionen DM. Diese 60 Millionen DM sind in drei Teile gegliedert: 20 Millionen DM Bund, 20 Millionen DM Länder und 20 Millionen DM Eigenleistung; wie diese Summe beschafft werden kann, ist auch vorgesehen. Nun habe ich hier die vertraulichen Mitteilungen über die Aufstellungen in den einzelnen Ländern. Dar­aus möchte ich nur Bayern herausgreifen. Für Bay­ern sind nach diesen Ansätzen notwendig 78 Heime mit 9000 Plätzen. Ein Gesamtbetrag der bayeri­schen Leistung von 27 Millionen DM in 'fünf Jah­ren wäre nach diesen Berechnungen erforderlich; das ist der bayerische Anteil, hinzu kommen der Bundesanteil und der Eigenanteil, der auf dem freien Kapitalmarkt beschafft werden müßte. Das würde für das Jahr 1959 nach diesen Berechnun­gen 14 Heime mit 1500 Plätzen, das sind 4 770 000 DM bedeuten. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß diese Summe im Kultushaushalt nicht drinsteht, weil wahrscheinlich auch die Pla­nungen noch nicht entsprechend vorbereitet sind. Aber ich führe das an, um zu zeigen, mit welchen Größenordnungen wir es hier zu tun haben.

Oder nehmen Sie das Honnefer Modell heraus. Das Honnefer Modell fördert bei uns in Deutsch­land 19,25 Prozent der Studenten. Darf ich darauf hinweisen, daß in England 80 Prozent aller Stu­denten staatlich gefördert werden? Der Vergleich mit Rußland ist vielleicht hier gar nicht angängig, aber in Rußland sind es 90 Prozent.

(Hört! bei der CSU)

In England sind es 80 Prozent, bei uns etwa 19 Prozent; durch die freie Studentenförderung, durch

freie Stipendien kommen wir bis auf zirka 30 Pro­zent, das ist aber alles. Wenn ich nur die Zahl von 19 Prozent zugrunde lege, bedeutet sie bei dem Anwachsen unserer Studentenschaft im Haushalt des vergangenen Jahres 44 Millionen DM, wobei heute noch 1,5 Millionen DM ungedeckt sind. In den kommenden Haushalten wird sich der Betrag von 44 auf 46 Millionen DM erhöhen, wobei sich die Leistungen der Länder von 8 auf 11 Millionen DM steigern müssen. Und dann, meine Damen und Herren- was in der Regierungserklärung ange­kündigt ist -, die Einbeziehung auch der soge­nannten nichtwissenschaftlichen Hochschulen ist mit 15 Millionen DM angesetzt worden. Das be­deutet also eine erhebliche Heraufsetzung der Summe, wenn wir bloß auf dem Stand der bishe­rigen Förderung bleiben wollen. In Wirklichkeit aber muß diese Förderung ja erhöht werden, wir müssen über die 20-Prozent-Grenze weit hinaus; das heißt also eine Verdoppelung dieser Summe.

Nun, meine Damen und Herren, zum Schulhaus­bau! Wir hCiren, der Schichtunterricht soll besei­tigt werden. 4000 Schulräume fehlen in Bayern. Pro Schulraum 70 000 bis 100 000 DM.

(Abg. Sackmann; 60 000!)

- Oder 60 000.

(Heiterkeit - Zuruf des Abg. Gräßler)

Wollen wir doch nicht über 60 000 oder 70 000 strei­ten! Jedenfalls lauten die Berechnungen des Bun­desinnenministeriums auf 100 000 DM. Gut, machen wir es in Bayern billiger! Aber ich bin dafür, daß wir die Schulen nicht gar zu billig machen; denn sie sollen ja für die Zukunft stehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Das bedeutet 240 Millionen DM für diese 4000 Schulräume. Wenn dann, meine Damen und Herren, das 9. Schuljahr noch dazukommen soll, sind wieder 2200 Schulräume notwendig. Das gibt enorme Summen, bei denen ich dem Herrn Kultusminister und dem Herrn Finanzminister keinerlei Vorwurf mache, wenn sie von sich aus erklären, daß sie nicht imstande sind, eine solche Belastung zu über­nehmen.

Was sind die Konsequenzen? Wir fretten uns da­hin von Jahr zu Jahr, und die Zeit verrinnt. Und wie verrinnt sie! Daher sind wir der Auffassung, daß diese Gemeinsamkeit zwischen Bund und Län­dern gesucht werden muß, daß wir die nötigen In­stitutionen schaffen müssen, wo sich diese Zusam­menarbeit ergibt. Aber so geht es nicht: Die Mi­nisterpräsidenten haben im Oktober der Bundes­regierung einen Vorschlag gemacht über die Be­ratung von Zuständigkeiten von Bund und Ländern auf diesem Gebiet. Im Oktober war das. Soviel ich weiß, ist bis zum heutigen Tage - jedenfalls vor fünf Tagen war das der Fall - noch keine Ant­wort der Bundesregierung bei denMinisterpräsiden­ten angekommen.

(Hört, hört! bei der SPD)

Meine Damen und Herren, so geht's doch ein­fach nicht,

(Sehr richtig! und Beifall bei der SPD)

daß wir uns Monate und Monate bloß mit der

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Vorbereitung von Verhandlungen beschäftigen können! Dabei hat auch noch die Überlegung eine Rolle gespielt, wer denn von der Bundesregierung dem Drei~rgremium der Länder gegenübergestellt werden soll. Da ist in dem Dreiergremium ein Mi­nisterpräsident, der Herr Dr. Altmeier, da ist ein Finanzminister, und da ist ein Kultusminister; da könnte doch auf der anderen Seite nur der Herr Bundeskanzler der Mann sein, der diese Verhand­lungen leiten könnte. Der hat aber nun wieder nicht Zeit. So etwas spielt dabei eine Rolle, bei einer Frage, die von solchem Ernst und von sol­cher Dringlichkeit für die ganze Entwicklung in unserem· Volke ist! Ich glaube, meine Damen und Herren, ich werde dem Herrn Ministerpräsidenten nicht zu nahe treten, wenn die Opposition erklärt: Wir hoffen, daß die Ministerpräsidenten in diesen Verhandlungen mit der Bundesregierung etwas energischer auftreten, um vor allem diese langen Verhandlungspausen abzukürzen.

(Sehr richtig! und Beifall bei der SPD)

Noch dazu meine Damen und Herren, s.ind wir uns ja klar, daß dieses Problem schwierig ist. Ich habe mich mit den Dingen etwas beschäftigt und werde nicht als Heißsporn hingehen und sagen: Haut die Zwirnsfäden auf die Seite! Ich weiß, daß damit das ganze Problem des Föderalismus in seiner heu­tigen Form verbunden ist. Auf der andern Seite können wir uns nicht hinsetzen und einfach kampflos preisgeben, was unsere Aufgabe von heute ist: nämlich die Bewältigung dieser Pro­bleme. Das ist das Entscheidende. Und aus diesem Grunde sollten wir alle zusammenstehen. Darin gebe ich Ihnen recht und ich sage es Ihnen heute wieder und es war immer unsere Haltung.

Die Fragen der Verwaltungsvereinfachung z. B., Herr Kollege Dr. Heubl, sind eine ganz ernste Ge­schichte. In dem Moment, wo sie abgleiten in die parteipolitische Zweckpropaganda, kommen wir doch nicht w~iter, sondern ruinieren damit nur das Ansehen des Parlaments und unser aller An­sehen.

(Beifall bei der SPD) Die Sozialdemokratische Fraktion muß sich bemü­hen, hier eine Verständigung mit Ihnen zu finden. Denn nur, wenn wir. in diesem Hohen Hause einig sind, können wir auch unpopuläre Maßnahmen durchziehen. Man kann nicht von einer Regierung verlangen, daß sie die Brust öffnet und die Speere auf sich zieht. Auch eine Opposition, die auf dieser Welle der Propaganda reiten wollte, würde sich letzten Endes ins eigene Fleisch schneiden; denn übermorgen kann sie ja wieder dran sein, dann wechselt sich wieder das Spiel, die andern sitzen unten und sagen, Ihr habt auch wieder nichts fertiggebracht. Das, meine Damen und Herren, müssen wir, glaube ich, im Interesse der Sache, die wir gemeinsam vertreten, auch gemeinsam lö­sen. Da ist also die Finanzierung der ganzen Be­darfsentwicklungen auf diesem Gebiet der Kultur­politik, da ist die Frage der besonderen Lösungen in bezug auf die Verwaltungsvereinfachung. Nun, die Sozialdemokratische Fraktion hat sich ja vor

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wenigen Tagen auch an einer Länderkonferenz be­teiligt, die wir Sozialdemokraten in Bonn abgehal­ten haben. Wir haben beschlossen, in allen Län­dern gewisse Anträge zu stellen in bezug auf die Neuaufstellung der Bedarfspläne und der Einbe­ziehung dessen, was der Wissenschaftsrat entwickelt hat. Diese Grundlagen müssen immer wieder aufs laufende gebracht werden, damit sie die Basis für die weiteren Bemühungen abgeben können. Ich möchte nur bitten, Herr Dr. Heubl, daß Sie zu­mindest anerkennen, daß in dem, was ich darge­legt habe, in der chronologischen Darstellung auch eine gewisse Beharrlichkeit zu erblicken ist. Es ist also nicht so, daß wir hier - wie hat er doch ge­sagt - „Popanzfiießbandproduktion" veranstalten, sondern so, daß wir der Sache mit einer Zähigkeit folgen, und es war uns klar, daß wir die Fragen hier in diesem Zusammenhang nicht lösen können und daß wir die andern Länder und besonders den Bund dazu brauchen. Bei Ihnen wäre es nun, meine Damen und Herren. Sie sind ja vom Glück gesegnet,

(Zuruf von der CSU: Vom Wähler!)

Sie sitzen hier in der Regierung, Sie sitzen in Bonn in der Regierung, Sie haben eine so starke Persön­lichkeit an der Spitze wie den Herrn Bundeskanz-· ler; da müßte es Ihnen doch möglich sein, ein biß­chen mit Ihren Freunden in Bonn zu reden

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

und zu schauen, daß mindestens auch die Vor­schläge von Dr. Heubl in bezug auf die Kriegs­folgelasten in Bonn etwas ernster genommen wer­den, als das bisher geschehen ist. Beharrlichkeit al­so und Einfallsreichtum gehören zusammen. Wir möchten das auch für uns in Anspruch nehmen.

Nun, meine Damen und Herren, hat er mich noch auf einem Gebiet angezapft

(Heiterkeit)

und hat hier - na, Sie folgen den Dingen hier vielleicht nicht so - versucht, uns ein bißchen an­ders anzumalen, als es den Tatsachen entspricht. Ich meine das Verhältnis der Sozialdemokratischen Partei zum Staat und zum Menschen. Er hat eine sehr gute Formulierung gebraucht und ungefähr gesagt: Die SPD will die Gegensätze durch den Staat in Harmonie auflösen? Das hört sich wunder­schön an. Warum soll die SPD die Gegensätze nicht in Harmonie auflösen? Es fällt keinem auf, daß das eigentlich der entscheidendste Hieb war, den er uns gestern versetzen wollte. Denn Harmonie durch den Staat schaffen, das ist natürlich für jeden, der die inneren Zusammenhänge kennt, ungefähr das größte Gift, das man anwenden kann. Denn das macht letzten Endes der Kommunismus.

(Abg. Dr. Heubl: Einig!)

Er wandelt den Gegensatz in Harmonie durch den Staat, indem er nämlich sagt: Bist du nicht har­monisch, gehst du ins Konzentrationslager.

(Abg. Bezold: Es gibt auch die Harmonie der Friedhofsruhe !)

- Nun, die Ruhe des Friedhofs, die wollte Dr. Heubl uns sicher nicht unterschieben. Aber er hat den Verdacht ausgedrückt, daß die Sozialdemokra-

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(von Knoeringen [SPD]) .

tische Partei doch im Staat etwas sehe, was man in ihm nicht sehen darf. Er hat von der Sittlichkeit gesprochen. Er hat von den Werten gesprochen, die die Grundlage staatlichen Lebens sein sollen. Nun, Herr Dr. Heubl, ich kann Ihnen nur sagen, hier haben wir enge Tuchfühlung, hier sind die Berüh­rungen, und ich würde gern die Diskussionen, die wir begonnen haben, fortsetzen. Ich weiß auch, daß Sie Ihre Kenntnis offenbar aus Äußerungen neh­men, die die Sozialdemokratische Partei vor einem Jahr bei einer Akademietagung gemacht hat.

(Abg. Dr. Heubl: Sehr richtig!)

Dann bitte ich Sie aber auch, das so zu zitieren, wie wir das sagten. Wir sagten dort zum Beispiel:

„Entscheidungen und Urteile des einzelnen sind nur dann sittlich, wenn sie freier Einsicht und freiem Entschluß entspringen und nicht durch staatliche Macht und äußere Gewalt er­zwungen werden.''

(Beifall bei der SPD)

„Darin sind wir uns also einig. Der Staat kann sich jedoch nicht darauf beschränken, je­den für sich gewähren zu lassen - siehe Li­beralismus! - und es erwächst ihm die Auf­gabe, auch den Freiheitsraum jedes Individu­ums, jeder Glaubens- und Gesinnungsgemein­schaft vor allen Bedrohungen zu schützen. Er hat dafür Sorge zu tragen, daß das niemals auf andere Weise als allein durch das Mittel der Überzeugung für die Sache eines bestimm­ten Bekenntnisses oder einer Interessengrup­pe gewonnen wird, daß also jeder seine Auf­fassung haben kann, aber daß eine Glaubens­gemeinschaft, wie sehr sie auch von sich ·über-, zeugt ist, die alleinige Wahrheit zu vertreten, niemals mit den Mitteln des Staates und mit den Mitteln der Macht versuchen darf, andere gegen ihren Willen und gegen die Überzeu­gung von ihrer Auffassung zu überzeugen.

(Beifall bei der SPD)

Die Pflege und Förderung der Grundlagen die­ses gemeinsamen Lebens kann nur von einem

· Staate erwartet und gelöst werden, der als Kulturstaat auf allgemein verbindlichen sozia­len und sittlichen Wertsetzungen ruht."

Meine Damen und Herren! Ich glaube, das ist das Bekenntnis zu einer Auffassung vom Staate, der Sie nicht einfach diametral gegenüberstehen wer­den. Natürlich gibt es Nuancen. Natürlich werden Sie, wenn Sie aus einer bestimmten Glaubenshal­tung heraus sprechen, bestimmte Forderungen an den Staat zu stellen haben. Aber darin, daß die Toleranz die Basis für die pluralistische Gesell­schaft sein muß, wenn dieser Staat und diese Ge­sellschaft nicht auseinanderbrechen und für die Demokratie und die Kultur eine Entwicklung mög­lich sein soll, glaube ich, sind wir uns einig. Es käme nun darauf an, diese Gemeinsamkeiten, die uns verbinden, so klar und eindeutig herauszuar­beiten, daß wir uns alle zu ihnen bekennen kön­nen. Das ist zum Teil in unseren Verfassungen ge­schehen. Meine Damen und Herren! Die sittlichen

Postulate, die dort niedergelegt sind, sind im we­sentlichen die Gemeinsamkeiten. Nur käme jetzt eine Frage: Sind sie verwirklicht? Das ist es nämlich! Wir haben neulich einmal einen Katalog zusammengestellt „Forderungen der Bayerischen Verfassung, die noch der Verwirklichung harren", und ich muß Ihnen sagen: Wir haben noch aller­hand Arbeit zu leisten, bis wir dort sind, wo wir einen Staat haben, in dem die verschiedensten Gruppen und Bekenntnisse nebeneinander auf einer gemeinsamen Basis der gemeinsam anerkann­ten sittlichen Werte ruhen.

Und nun kommt eine Nuance, wo wir uns viel­leicht wieder von Ihnen unterscheiden. Wir sind nämlich nicht bereit, einem Staate das Prädikat eines Kulturstaates zuzuerkennen, der das seeli­sche, geistige und moralische Wachstum großer Schichten seine:r Bürger dem Zufall materiell ge­sicherter Lebensverhältnisse überantwortet.

(Beifall bei der SPD)

Ich unterstreiche, was Sie von der Sittlichkeit ge­sprochen haben, das Wahre, das Gute, das Schöne. Aber, meine Damen U:nd Herren, der Mensch muß auch für die Kultur ansprechbar gemacht werden, das heißt er muß in einer sozialen Lebenslage sein, in der er nicht nur seinen Kopf unter das Joch der harten Arbeit und der Not beugen muß. Er muß die Möglichkeit haben, das auszufüllen, was in der Bayerischen Verfassung steht, nämlich: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch darauf, eine seinen erkennbaren Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entsprechende Ausbildung zu er­halten." Wenn uns das einmal gelungen ist, meine Damen und Herren, dann können wir wahrschein­lich mehr an Verständnis für unsere Demokratie erwarten als heute. Hinzu kommt noch die politi­sche Bildung. Es hat mich sehr gefreut, Herr Kol­lege Dr. Heul;Jl, daß Sie die politische Bildung so hoch bewerten. Sie haben gesagt, daß das eine Schicksalsfrage für unsere Demokratie ist. ·

(Abg. Pr. Heubl: Eine Existenzfrage!)

Da verstehen wir uns wieder hundertprozentig und sind glücklich, daß die Akademie für Politische Bildung endlich ihre Arbeit aufgenommen hat.

(Sehr gut! bei der SPD)

Sie sind im Kuratorium ebenso wie ich, und wir haben die ersten Protokolle über die Diskussionen gelesen. Wir haben auch gelesen, wieviel noch zu tun ist. Wir haben ja noch nicht einmal eine Me­thodik der politischen Bildung. Wir werden erst dann weiterkommen, wenn die politische Bildung zur allgemeinen Bildung gehört,

(Sehr richtig! bei der SPD)

so daß jemand nicht nur gebildet ist, wenn er Französisch formulieren kann, sondern als gebildet müßte ein Mensch der Zukunft erst qann gelten, wenn er auch politisch gebildet ist.

(Abg. Dr. Becher: Wenn er die bayerischen Landtagswahlzettel versteht!)

Wenn wir diese Demokratie überhaupt über die Hürden hinwegbringen wollen, die ihr jetzt von der technischen Welt her gegenüberstehen, dann können wir es nur, indem wir das Bewußtsein des

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Menschen für die Gefahren der Zeit und für seine Freiheit schärfen. Und das ist wiederum eine Frage der Bildung, im besonderen der politischen Bil­dung. Man könnte diese Diskussion noch fortset­zen.

Ich glaube, dieser Bayerische Landtag. sollte über die ET-Taxis, und was es sonst noch Wichti­ges gibt, hinaus Gespräche dieser Art in den Vor­dergrund stellen. Denn wir alle als Vertreter un­seres Volkes im politischen Raum müssen uns mit der Problematik der Zeit auseinandersetzen. Wir müssen Stellung beziehen und wir müssen im­stande sein, selbst wenn es unpopulär ist, den Menschen, die uns zuhören, das Verständnis für die Schwierigkeiten des Politischen von heute bei­zubringen. Das bedeutet auch Arbeit an uns selber und am Parlamente selbst. Die Meinungen kön­nen ruhig auseinandergehen.Wenn wir so einig wä­ren, wie manche Leute es wünschen, würde ich zur CDU, nein - ich sage immer CDU - zur CSU übertreten.

(Abg. Dr. Heubl: Sie sind zu viel in Bonn!)

- Aber ich glaube, wenn es um die großen ge­schichtlichen Bewegungen in der Bundesrepublik geht, entscheidet die CDU und nicht so sehr die CSU.

(Beifall bei der SPD und BP - Abg. Dr. Heubl: Sie sollten nicht von sich auf an­dere schließen. Nicht weil es bei der SPD

so ist, muß es bei uns auch so sein!)

- Ich verstehe! Aber, Herr Kollege Dr. Heubl, ich glaube, daß wir als Bayern irgendwo eine Berüh­rung haben, die sich über alle Stürme und Zeiten hinweg gehalten hat.

Lassen Sie mich mit dieser Note enden. Sie haben uns gestern eine Bedeutung für die Zukunft zu­erkannt. Nun, meine Damen und Herren, was wäre Bayern ohne die CSU! Man muß sich das einmal vorstellen.

(Große Heiterkeit)

Nichts ist furchtbarer, als wenn alle Menschen dieselbe Meinung haben.

(Sehr gut! bei der SPD)

Wir wollen uns lediglich an der Sache emporent­wickeln, und dazu bedarf es des Widerspruches und des Gegensatzes. Aber auf die Form des Austragens kommt es an. Ich bin gerne bereit, Herr Kollege Dr. Heubl, diese Art des Fechtens weiter fortzu­führen; das kann nur gut sein für den Bayeri­schen Landtag.

(Lebhafter anhaltender Beifall bei der SPD und BP)

Präsident Dr. Ehard: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bantele von der Fraktion der Bay­ernpartei.

Bantele (BP): Hochverehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen, meine sehr geehrten Herren!

„Die Fähigkeit der Menschen zu vergessen, ist sehr stark entwickelt. Dies ist auch gut so; denn was würde wohl aus dem menschlichen Zusammenleben werden, wenn unser Bewußt­sein ständig mit dem angefüllt wäre, was wir oder die anderen zu irgendeinem Zeitpunkt getan, gesagt oder erlebt haben."

Mit diesen Worten leitete der heutige Herr Mini­sterpräsident Dr. Seidel seine Ausführungen zur Regierungserklärung im Jahre 1955 ein, und er hat ohne Zweifel recht mit diesen guten Sätzen; denn sicherlich und zu Recht geraten Dinge leicht in Ver­gessenheit, wenn sie inhaltslos geworden sind, ver­lieren Versprechungen ihren Wert, wenn sie sich erfüllt haben, bleiben aber Dinge, Versprechungen und Erinnerungen lebendig, wenn gerade das Ge­genteil von dem eingetroffen ist, was als felsen­feste Versicherung gegeben worden ist.

Mit welcher Gläubigkeit und mit welchem Ver­trauen hat die deutsche Bevölkerung in den Som­mertagen des Jahres 1957 die Parolen aufgenom­men, als der Wahlkampf mit Phrasen und Schlag­worten geführt wurde, wie: Keine Experimente, stabile Preise, Erhaltung der Kaufkraft der Mark, Sicherung der Währung, Wohlstand für alle und für alles und was der Reden und Versprechungen mehr war.

(Abg. Kraus: Wir sind doch hier im Baye­rischen Landtag und nicht im Bundestag!)

Welche Enttäuschungen, meine Damen und Her­ren, mußte das bayerische Volk seitdem erfahren.

(Weitere Zurufe des Abg. Kraus)

Wie leicht und wie gern wollte man alle diese Phrasen vergessen, wenn ihre Inhalte irgendeine Substanz und irgendeinen Wert gezeigt hätten. Leider kann man das jetzt auch nicht von einer einzigen feststellen, und so bleiben sie im Gedächt­nis als nagender Wurm und bittere Enttäuschung. In diesen Tagen, meine Damen und Herren, voll­zieht sich das Drama um die deutsche Kohle, voll­zieht sich das Drama um die deutsche Wirtschaft, um die Grundlagen der deutschen Wirtschaft; denn wir hören bereits aus den Zeitungen der letzten Tage, daß die Kohlenpreise pro Tonne, nicht nur bei der Importkohle sondern auch bei der heimischen Ruhrkohle, um 20 DM angehoben werden sollen. Wir erfahren von den Vertretern der Energiewirtschaft, daß die Strompreise jetzt ins Rutschen kommen, nicht nach unten, wie man denken sollte, sondern nach oben. Wir erfahren von den Vertretern der Kommunen, daß die Gas­preise ab 1. März nicht mehr zu halten sind. Wir erfahren, daß die Ruhrarbeiter die 5-Tage-Woche fordern und damit die Forderung auf eine 162/s­prozentige Lohnerhöhung stellen. Wir erfahren, daß die Amerikaner für die Kündigung der Import­verträge immerhin schon die Summe von 300 Mil­lionen Dollar, das sind rund 1,2 Milliarden DM, von uns fordern.

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, was man zu einer solchen Wirtschaftspolitik in Bonn noch sagen soll, und was man sagen soll zu dem, was sich daraus für die bayerische Wirtschaft in­sonderheit ergibt. Es fing damit an - das wissen

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wir alle und das darf ich ganz kurz ins Gedächtnis zurückrufen-, daß die Kohlenverknappung in der Bundesrepublik Ausschau halten ließ nach billige­ren und konstanteren Kohlenlieferungen und daß man dann zu langfristigen Verträgen kam, die uns die Zufuhr amerikanischer Kohle gaben mit dem Erfolg, daß diese Kohle teurer war, weil die Seefrachten sehr teuer waren, mit dem Erfolg, daß die Bundesbahn aber auch Sondertarife gewährte, um besonders die revierfernen Gebiete Bayerns noch irgendwie an diese gesteigerten Kosten des „schwarzen Diamanten" anzugleichen. Um das alles etwas zu kompensieren und einen Ausgleich zu finden, hat man dann von Staats wegen, vom Bundeswirtschaftsministerium her, dem Heizöl das Wort geredet, man hat die Industrie veranlaßt, von Kohle und Koks auf Heizöl umzustellen; Hun­derte von Millionen wurden investiert, auch die Ge­meinden wurden veranlaßt, in ihren Schulen von Koks und Kohle bald auf Heizöl umzustellen. Auch der private Hausbrand wurde in gleicher Weise angegangen mit dem Erfolg, daß tatsächlich eine Kompensation, ein Ausgleich zwischen Kohle und Heizöl gefunden wurde, mit dem Erfolg, daß die Industrie glaubte, nun eine konstante Zeit vor sich zu haben, in der sie nach sauberer Kalkula­tion in Konkurrenz mit dem Ausland bestehen könnte.

Meine Damen und Herren! Und nun erfahren wir von der Katastrophe. Sie fing auf dem Welt• markt mit den Seefrachten an, die von einem Tag auf den anderen um 84 Prozent auf 16 Prozent sanken. Die Importkohle wurde plötzlich billiger. An der Ruhr wuchsen die Kohlenhalden; sie haben heute die enorme und gigantische Größe von 13 Millionen Tonnen angenommen. Und nun wirft man in Bonn das Steuer um 180 Grad herum; nun legt man Zölle auf die Importkohle; nun gewährt man auch der einheimischen Kohle einen Satz von 20 DM mehr pro Tonne und nun besteuert man das Heizöl, um alle diejenigen ad absurdum zu füh­ren, die, im Glauben auf die Worte des Wirtschafts­ministers, sich mit Heizöl eingerichtet haben. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob das eine sehr glückliche Wirtschaftspolitik ist. Und ich weiß nicht, ob man mit dieser Art Politik über­haupt noch im deutschen und vorweg im bayeri­schen Raum weiter arbeiten kann. Unser verehrter Herr Ministerpräsident, der ja selber jahrelang erfolgreich Wirtschaftsminister gewesen ist - das muß ich sagen -, weiß das am allerbesten, und er weiß auch, welche Folgen sich für Bayern hier herauskristallisieren: Er kennt die Schwierigkeiten für die bayerische Wirtschaft unter den Folgen dieser Wirtschaftskatastrophe, vorweg wegen ihrer Revierferne, wegen der langen Transportwege, die wir auszugleichen haben, nicht nur an Rohfrachten für die Kohle, sondern auch an Frachten für Fertigprodukte;

Es ist kein Geheimnis mehr, wie die bayerische Wirtschaft in ihrer Randlage augenblicklich um ihre Existenz ringt. Es sind nicht Bagatellfragen des bayerischen Wirtschaftslebens, wie man sie gerne in geistreichen Artikeln versucht abzutun.

Man konnte nämlich an Weihnachten lesen, wie ein prominentes Mitglied des Kabinetts über den Status der bayerischen Wirtschaft schrieb, der im ersten Teil mit einem Feuerwerk von Zahlen auf­wartete - natürlich, wer wollte das leugnen, daß sich dieses Wunder der Wirtschaft tatsächlich voll­zogen hat -, um im zweiten Teil dieses lebendi­gen, farbigen Bildes ein paar ganz leichte Schatten einzuspritzen und am Schluß dann doch zu einer Illumination des Status zu kommen. Man weiß nicht mehr, meine Damen und Herren, wen man ernst nehmen soll, den Artikel oder den Verfasser, der in einer, ich möchte beinahe sagen, leichtfer­tigen Weise, journalistisch gewandt, Dinge beur­teilt, die an die Lebensgrundlagen der bayerischen Wirtschaft und die Existenz des bayerischen Volkes gehen. Meine Damen und Herren, so leicht können wir uns die Dinge doch nicht machen; wir wissen das sehr genau.

Darf ich auf ein Spezialgebiet der bayerischen Wirtschaft kommen, das wir in Oberfranken be­sonders gepflegt haben, seit 100 oder mehr Jahren, 150 Jahre mag es her sein, auf die Textilindu­strie: Die Japaner sind auf dem Markt erschie­nen, und auch die Chinesen. Und wenn wir heute neue Muster herausbringen - wir haben hier den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer; er ist der erste Leidtragende von Oberfranken auf diesem Gebiet-, wissen wir, daß in vier Wo­chen oder drei Monaten spätestens die Japaner und die Chinesen die gleichen Muster auf den Markt bringen, und zwar um ein Drittel des Preises, den

. unsere Textilindustrie zu nehmen gezwungen ist, will sie existieren.

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob wir sehr gut daran tun, diese Experimente dauernd zu riskieren und dauernd Unruhe in die deutsche und die bayerische Wirtschaft hereinzutragen, wie das in der Vergangenheit geschehen ist; ganz abge­sehen von den politischen Folgen: Wir können in diesen Tagen lesen, wie der amerikanische Kohle­arbeiterverband durch seinen Sprecher John Lewis erklärte, daß sie - die amerikanischen Bergarbei­ter - die Kündigung der Verträge und das Er­heben eines Zolles von 20 DM nicht nur als einen unfreundlichen, sondern als einen feindlichen Akt empfinden - und daß auch die Arbeitgeberver­bände drüben in Amerika in das gleiche Horn sto­ßen.

(Abg. Bezold: Die deutschen Arbeiter sagen das Gegenteil!)

- Die sagen nicht das Gegenteil. Die deutschen Arbeiter haben im gleichen Augenblick gesagt, daß sie sich in der Fünf-Tage-Woche zu den Forderun­gen bekennen, daß die Tonne Kohle um 20 Mark teurer sein soll, Herr Kollege.

Meine Damen und Herren! Der Herr Minister Balke hat in den letzten Tagen vor der ·csu hier gesprochen und von einer merklichen Abkühlung des Verhältnisses zu Amerika bereits Andeutungen gemacht. Ich werde noch darauf zu sprechen kom­men. Er sprach weiter davon, daß sich bereits das Gespenst abzeichne, daß sich die alten Koalitionen - d. h. die Koalitionen, die Deutschland isoliert

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(Bantele [BP])

haben -, wieder bilden wollen, weil man den Deutschen nicht traue. Vielleicht ist ein Teil Schuld daran zu suchen in unserer Wirtschaftspolitik,. die eine Zickzack-Politik geworden ist und nach dem Beispiel arbeitet: raus aus den Kartoffeln, rin in die Kartoffeln, es wird schon gut gehen.

Meine Damen und Herren! Im Gefolge dieser ganzen Kohleaktion steht nun die Stahlindustrie, von der führende Männer sagen, daß sie bereits stagniere. Und nun kommt das Reziproke dieser beiden großen Wirtschaftsgruppen: Die Kohleindu­strie sagt: Wir werden die Halden abtragen, wenn die Stahlerzeugung etwas mehr Leben gewinnt. Und die Stahlerzeugung sagt: Wir können nur konkur­rieren, wenn wir billige Kohlen haben. Das sind ernste, ernste Dinge. Und ich darf den Präsiden­ten - ich glaube, es ist der Präsident des ober­fränkischen Textilverbandes oder des Deutschen · Textilverbandes - Karl Neumann zitieren, der in einer Aussprache mit dem Herrn Bundeswirt­schaftsmiilister er klärte:

„Ich erkläre ganz undramatisch: Wir Textiler befinden uns in einer Existenzkrise."

Und er sagte weiter:

„Was ist das für eine soziale Marktwirtschaft, die trotz nachweisbarer Funktion des Wett­bewerbs dem Staat gestattet, zu jedem ge­wünschten Zweck in jedem gewünschten At,igenblick preisregelnd in einzelne Wirt­schaftszweige einzugreifen!"

Meine Damen und Herren, hier sehen wir die Ver­wischung und die Verwaschung zweier Begriffe der staatlichen Lenkung und der staatlichen unmittel­baren Einflußnahme. Ich aber glaube, der Herr bayerische Wirtschaftsminister und die Bayerische Staatsregierung brauchen keine Ratschläge und Winke an die bayerische Industrie zu geben, wie sie ihre Kapazitäten ausnützen und auswerten soll und kann. Sie brauchen nicht Hinweise zu, geben, was sie tun kann und wie sie es zu tun hat. Sie müssen etwas anaeres tun: Sie müssen die baye­rische Wirtschaft schützen gegen die katastrophale Wirtschaftspolitik im Bund, die, wenn sie so wei­tergeführt wird, für die bayerische Industrie töd­I'ich wird. Herr Ministerpräsident, ich vertraue auf Sie als ehemaligen Wirtschaftsminister, daß Sie diese Dinge im Interesse der bayerischen Wirt­schaft, im Interesse aber auch der bayerischen Arbeitnehmer, in Bonn mit der Kraft und mit dem Nachdruck zur Geltung bringen, die Ihnen eigen sind. Wir können es uns trotz dieser fulminanten Zahlen, die wir dauernd hören, nicht erlauben, ein Heer. von Arbeitslosen zu haben, wenn man uns gleichzeitig glauben machen will, daß wir in einer Zeit absoluter prosperity leben und daß wir - wie es in Ihren Ausführungen heißt - das Arbeits­potential bis zum letzten Arbeiter ausgeschöpft haben. Ich fürchte, daß die Zahl der Arbeitslosen in Bayern - sie macht ja ein Viertel der gesamten Arbeitslosen des Bundes aus - im kommenden Frühjahr und Sommer, wenn auch der Bausektor vieles absaugen wird, nicht zurückgehen wird, weil

B

aus anderen Sparten neue Arbeitslose hinzukom­men werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Pöhner)

- Herr Kollege Dr. Pöhner, wenn Sie recht behal­ten, dann um so besser!

(Abg. Euerl: Schwarzmalerei!)

- Ich male nicht schwarz. Ich-nicht Sie-habe am letzten Montag Gelegenheit gehabt, mit ver­schiedenen Textilfachleuten, die mehr Verantwor­tung zu tragen haben als wir beide, in Bayreuth über diese Dinge sprechen zu dürfen, und die ha­ben dabei einen Satz gesagt, der Ihnen vielleicht auch nicht geläufig ist und den Sie auch gar nicht verstehen. Die Textilindustrie, Herr Ministerprä­sident - er ist leider nicht da -, will keine Sub­ventionen; denn Subventionen des einen bedeuten immer Benachteiligung des anderen. Man kann nicht der Ruhrzeche 600 Millionen Subventionen geben, um sie an anderen Orten wieder einzuspa­ren. Die Textilindustrie sagte mir: Wir wollen keine Subventionen. Wir brauchen sie nicht. Wir brauchen etwas ganz anderes. Wir brauchen das, daß man alte, unrentable Betriebe stillegt, um die modernen konkurrenzfähig zu halten. Das ist das Wort von Textilleuten, und die müssen es besser verstehen als wir beide zusammen.

(Abg. Dr. Schier: Das sieht aber stark nach Konkurrenzneid aus!)

Meine .Damen und Herren, das ist vielleicht auch ein Grundsatz, nicht einen Teil der heimischen In­dustrie zu schwächen, um den anderen zu stärken. Man darf nicht das Rezept anwenden, das man glaubt, als Sanierungs- und Heilmittel der Deut­schen Bundesbahn gefunden zu haben, nämlich daß man das Kraftfahrgewerbe zerschlägt, um den „kranken Mann" Bundesbahn zu stärken mit dem Erfolg, daß der krank~ Mann noch kränker gewor­den ist und der gesunde - sagen wir - nicht in den letzten Zuckungen liegt, aber immerhin doch sehr, sehr viel an Substanz eingebüßt hat. Schauen Sie in den Maschinenfabriken, in den Automobil­fabriken nach! Schauen Sie sich die Situation einer ganz großen Motorenfabrik in München an, die sich in dieser Stunde doch sehr, sehr, sehr um ihre Existenz kümmern muß. Soviel zur Wirtschaft! Ich hätte nur gebeten, daß die· Bayerische Staatsregie­rung diesem Tohuwabohu in Bonn endlich einen Riegel vorschiebt und daß sie die Belange der bayerischen Industrie und der bayerischen Arbeit­nehmerschaft hier maßgeblich, und zwar als Exi­stenzfrage, durchdrückt.

Meine Damen und Herren, unsere Gemeinde­finanzen, unsere Gemeindeverwaltung, der Finanz­ausgleich und diese Fragen sind gestern schon be­handelt worden. Im vorigen Herbst - ich glaube, es war im Oktober - hatte die CDU/CSU eine Kommunaltagung, auf der auch der Herr Bundes­finanzminister Etzel sprach, und es ist selbstver­ständlich, daß die Kommunalpolitiker der CDU/ CSU dabei ihre kommunalen Wünsche vorbrachten. Aber anstatt ihnen mit offenen Händen wirkliche Zuschüsse an die Kommunen mit nach Hause zu geben, wurde ihnen in Bonn nur bedeutet: Ja, wenn die Städte, die Kommunen, kein Geld mehr

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(Bantele [BP])

haben, dann mögen sie eben ihre Ausgaben dros­seln! Meine Damen und Herren, ich fand dieses Wort beinahe frivol und spöttisch; denn wenn der gleiche Staat, Bund und Land, dauernd und immer mehr mit Forderungen und Auflagen an die Städte herantritt, dann bedeutet das für die Städte neue Aufgaben, und neue Aufgaben kosten - das weiß der Staat doch am allerbesten - eben Geld. Wenn der Staat, die Bayerische Staatsregierung, über die Gesundheitsämter verlangt, daß Kläranlagen ge­schaffen werden, wenn bei der Eröffnung von al­len neuen Bauvierteln zur Vorbedingung der Ge­nehmigung des Bauvorhabens die Einrichtung einer Kanalisation gemacht wird, wenn verlangt wird, daß die Straßen in Ordnung kommen, daß die Städte sich um das Krankenhauswesen kümmern, daß Krankenhäuser gebaut werden usw., wenn man des weiteren verlangt, daß der Schwestern­nachwuchs von ihnen gefördert wird, und Hunder­te, Hunderte neuer Aufgaben mehr, dann, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage: Wo sol­len denn die Gemeinden die Gelder noch herbrin­gen, wenn genauso wie beim Staat ein großer Prozentsatz des Gebührenaufkommens bereits durch Verwaltungs- und Personalkosten aufge­sogen wird? Meine Damen und Herren, es geht der Gemeinde nicht anders als dem Staat. Auch sie kann nur mit dem rechnen, was sie tatsächlich an Steuern hat. Und nun hören wir ein anderes Re­zept: Auch auf dem Gemeindetag in Würzburg in den Novembertagen des vorigen Jahres - wir wa­ren ja beide dort - wurde die Klage der Bürger­meister der Gemeinden Bayerns laut, daß kein Geld da sei, weil die Auflagen und Aufgaben im­mer größer und umfangreicher würden. Und dazu erfahren wir auch ein Rezept, und das heißt: Dann müssen die Gemeinden nicht ihre Ausgaben kürzen - davon war dann keine Rede -, sondern die Gemeinden müssen eben neue Steuerquellen er­schließen! Da weiß ich nun nicht, wem man glau­ben soll. Der Herr Ministerpräsident hat gesagt: Neue Steuern sollen überhaupt nicht irgendwie im Bereich des Denkens sein. Gleichzeitig aber emp­fiehlt nicht er, sondern sein Finanzminister·, den Gemeinden, neue Steuern einzuführen oder die be­stehenden zu erhöhen. Er dachte an die Erhöhung der Gewerbesteuer, der Grundsteuer A und B und an die Einführung der Bürgersteuer.

(Abg. Dr. Schier: Bürgersteuer ist ganz unmöglich!)

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was man davon halten soll. Wir haben in den letzten Tagen, auch gestern, gehört, daß es kaum eine ge­meindefreundlichere Regierung gegeben habe als die jetzige und daß wohl keine Regierung bis jetzt ein freundlicheres Gesicht gegenüber den Gemein­den gezeigt habe. Herr Ministerpräsident, den Ge­meinden wäre es lieber, wenn der Herr Finanz­minister ein ganz verdrossenes Gesicht machte -ein ganz verdrossenes! - und dafür eine offene Hand zeigte. Das wäre eine Lösung, mit der wir uns absolut einverstanden erklärten. Wir ertragen das finstere Gesicht des Herrn Finanzministers

und würden mit Dank die offene Hand entgegen­nehmen.

(Abg. Wölfel: Woher nehmen?)

- Woher nehmen? Wir haben in den letzten Ta­gen, Herr Kollege Wölfel, einen Antrag eingereicht, und der lautet klipp und klar, den Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer um 12 Prozent zu kürzen - das sind für das Land Bayern allein 240 Millionen DM -, diese 240 Mil­lionen aber nicht in den allgemeinen Finanztopf zu werfen, sondern sie unmittelbar als Anteil der Gemeinden den Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben hinauszugeben.

(Sehr gut! - Abg. Dr. Wüllner: Sie wären ein Nachfolger für den Finanzminister!)

Sie werden sagen, der Bund kann das nicht tun. Meine Damen und Herren, ·wenn der Bund 300 Millionen Dollar den Amerikanern als Ablösung für die Kohlenverträge anbieten kann, wenn der gleiche Bund, der schon seit Jahren jedes Jahr hei­lige Eide schwört, nie mehr einen Pfennig für Sta­tionierungskosten auszugeben, jetzt für „die ge­genseitige Hilfe" 1,2 Milliarden bereitstellt - mit

. Recht meinetwegen; die sollen auch leben, die Ami und die Tommy, die bei uns sind, und sollen gut leben -, wenn auf der anderen Seite, meine Da­men und Herren, beim Bund für einen Junggesel­len, nur um ihm .eine nette Behausung zu schaf­fen, über 850 000 DM aufgewandt werden, müßte man dem gleichen Herrn Bundesfinanzminister, der bei Ihrer Tagung drüben im Westen das Wort vom Kürzen der Ausgaben gegeben hat, sagen: Herr Bundesminister, gehen Sie mit gutem Beispiel vor­an; unter „Sp" steht in jedem Lexikon das Wort „sparen", streichen Sie sich dieses Wort drei- und vierfach an und zwingen Sie jeden Ihrer Herren Kollegen im Ministerium, über seinem Schreibtisch an die Wand ein Riesenplakat anzuschlagen mit der Aufschrift „Sparen, sparen, sparen!" Denn wenn mehr gespart würde, hätte man mehr Geld in den Ländern. Es ist nicht so, daß die Länder dau­ernd nur Kostgänger des Bundes sein können, ge­nauso wenig, wie die Gemeinden Kostgänger der Länder sein werden. Denn das Geld, die Steuern, kommen von den Gemeinden, von der Gemein­schaft der Menschen, die sich als erste Organisa­tion in gemeindlichen Lebensgebieten zusammenge­schlossen haben. Meine Damen und Herren, das sind die Dinge, die wir auf diesem Sektor haben möchten: Mehr Mittel für die Gemeinden, selb­ständigere Finanzgebarung in den Gemeinden sel­ber und, wie gesagt, auch hier nicht die Dotations­politik! Meine Damen und Herren, es ist immer sehr nett, wenn z. B. ein Regierungspräsident aus irgendeinem Programm, sagen wir, 2,6 oder 2,8 Millionen zugewiesen bekommt und dabei unten den Zusatz vorfindet: Dabei hat aber das Ministe­rium bereits 400 000 oder 600 000 DM für einen ganz separaten Zweck, der ihm, dem Ministerium, von irgendeinem Mächtigen des Parlaments oder der Koalition oder der Regierung so beigebracht worden ist, abgezogen. Meine Damen und Herren, dann sparen Sie sich den Herrn Regierungspräsi­denten und setzen einen Inspektor hin; der kann

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dann ja die übrige Verteilung auch noch vorneh-men.

(Zuruf von der CSU)

Meine Damen und Herren, zu den Gemeinden noch etwas: Krankenhäuser! Es ist gestern ange­regt worden, ein Krankenhaushilfegesetz zu erlas­sen. Das ist unbedingt notwendig; denn es kann nicht sein, .daß Städte als Träger von Kranken­anstalten allein die Kosten tragen dafür, daß die Kassen nicht bezahlen oder daß - -

(Zuruf) - Bitte?

(Zuruf: Die Zeit ist um!)

- Welche Zeit? -

(Abg. Euerl: Gott sei Dank!)

- Sie sagen: „Gott sei Dank!", Herr Kollege Euerl; es steht Ihnen jederzeit frei, hier durch ein Tor hinauszugehen, ich lege auf Ihre Anwesenheit gar keinen Wert.

(Abg. Kraus: Das war aber sehr böse! -Abg. Dr. Becher: Also wir bleiben da!)

- Das ist nett von Ihnen. Also ein bißchen Spaß, wenn ein Zwischenruf kommt mit „Gott sei Dank".

(Zuruf von der SPD: ... Spielbanken!)

- Auf die Spielbanken brauchen Sie bei mir nicht zu warten! Meine Damen und Herren! Es gäbe noch der Dinge sehr viele zu besprechen; ich möchte aber, nachdem meine Zeit anscheinend aus ist, doch noch auf etwas zu sprecl,len kommen. Der Herr Minister Balke hat hier in München anscheinend vor etlichen Tagen - es stand in einer Zeitung der letzten Tage - davon gesprochen, daß es not­wendig sein wird, allmählich zu einer Stärkung der Staatsgesinnung zu kommeri, weil die Staats­regierung, id est die B:undesrepublik, ihren Bür­gern eines Tages vielleicht Opfer zumuten müsse. „Das braucht", so sagt er, „kein Krieg zu sei~; aber es ist denkbar, daß einer Kriegsdrohung mit wirtschaftlichen Opfern begegnet werden müßte. Die Situation der Bundesrepublik", fährt er fort, „hat sich seit einem Jahr verschärft, und es ist Ge­fahr, daß die internationale Koalition wieder be­lebt werden soll, so daß eine politische und wirt­schaftliche Isolierung Deutschlands eintritt".

Meine Damen und Herren! Was geht hier vor? Was veranlaßt den Herrn Minister Balke, mit die­sen Ausführungen ein Gespenst an die Wand zu malen, das nichts anderes bedeutet, als daß wir in einer politischen Krise erster Ordnung stehen. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob nur die Wirtschaftspolitik oder ob auch die allgemeine Politik des Bundes uns in Situationen führt, die, wie Herr Balke es andeutet, die starke Staatsgesin­nung, d. h. zusätzliche große Opfer vom deutschen Volk fordern. Es ist Sache dieser Regierung, diese Dinge durchzustehen.

Gestern hat der Herr Sprecher der CSU am Schluß seiner Ausführungen Gottes Segen auf die Arbeit dieser Regierung herabgefieht. Ich flehe

-----------~

diesen gleichen Herrn und Gott um etwas ande­res an, um Frieden!

(Beifall bei der BP)

Präsident Dr. Ehard: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pöhner von der Fraktion der Christlich-Sozialen Union.

Dr. Pöhner (CSU):_ Herr Präsident, meine Da­men und Herren! Im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung beschränke ich mich a~s­drücklich auf die Frage, auf die man in der Of­fentlichkeit immer wieder stößt und die den Bayerischen Landtag besonders angeht, nämlich die Frage: Hat eine eigenständige bayerische Wirt­schaftspolitik noch Platz zur Entfaltung und hat sie noch Möglichkeiten zu einer Wirksamkeit, ob­wohl doch die Kompetenzen der Wirtschaftspolitik und der Wirtschaftsgesetzgebung beim Bund lie­gen?

In der Regier,ungserklärung des Herrn Minister­präsidenten haben die Ausführungen über Struk­tur und Entwicklung der bayerischen Wirtschaft einen breiten und bevorzugten Raum eingenommen. Schon diese Tatsache könnte eigentlich als eine Bejahung der von mir aufgestellten Frage betrach­tet werden. Ich nehme jedenfalls diese Ausführun­gen auch als Beweis dafür, daß die neue Staats­regierung die Probleme der bayerischen Wirtschaft als sehr ernste Anliegen ansieht; denn nur auf einer gesunden wirtschaftlichen Grundlage ist eine Staatsregierung in der Lage, jene Aufgaben zu meistern, z.B. auf dem Gebiet der Kulturpolitik, die sie sich selbst gestellt hat.

Der Herr Ministerpräsident hat - sehr ein­drucksvoll und durch Prozentzahlen untermauert - die Wandlung Bayerns zum Industrie-Agrar­Staat dargestellt. Damit ist Bayerns Wirtschaftsauf­bau in den Bereich einer volkswirtschaftlichen Idealstruktur gerückt, einer Struktur, die uns unser württembergischer Nachbar vorpraktiziert hat. Es ist dies eine Struktur, die ich selbst aus meiner oberfränkischen Heimat kenne, wo sie sich bereits seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts auf Grund einer günstigen Standortlage organisch entwickelt und zu einer glücklichen Mischung von Industrie, Gewerbe, Handwerk und Landwirtschaft geführt hat. Leider sind die damals gültigen Standortbedin­gungen durch die brutale Teilung Deutschlands heute völlig zerstört worden.

Das günstige Bild, das der Herr Ministerpräsident von der bayerischen Wirtschaftsstruktur entworfen hat, ist in dreifacher Hinsicht sehr bemerkens­wert. Zunächst ist es ein sichtbarer Erfolg einer zehnjährigen aktiven Industrie- und qewerbe­förderungspolitik. Die bayerischen Regierungen ha­ben in den vergangenen zehn Jahren das nachge­holt, was, historisch gesehen, leider von vorher­gehenden Generationen oft versäumt wurde, wäh­rend Württemberg schon im vergangenen Jahrhun­dert die Dinge mutig und erfolgreich angepackt hatte. Also ist diese Strukturwandlung zweifellos ein beachtlicher Erfolg eigenständiger bayerischer Wirtschaftspolitik. Ich glaube, es gibt keinen besse­ren Beweis als diesen, daß auch im größeren Rah-

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men der vom Bund ausgehenden marktwirtschaft­lichen Ordnung noch fruchtbarer Spielraum für eine regionale Wirtschaftspolitik bleibt.

Das zweite bemerkenswerte Moment, das ich herausstellen möchte, ist die Tatsache, daß wir nie­mals vergessen dürfen, daß diese günstige Ent­wicklung Bayerns nur im Rahmen der marktwirt­schaftlichen Konzeption möglich war, die wir und unsere Freunde in der Politik konsequent verfol­gen.

Herr Abgeordneter Dr. Hoegner meinte in sei­nen Ausführungen, daß Dr. Seidel sieben Jahre glücklicher bayerischer Wirtschaftsminister war. Ich meine, das Glück war es nicht, sondern die kluge Er­kenntnis, dep. richtigen Weg zu wählen und den freien Kräften Raum zu geben.

· (Abg. Gabert: Falsch zitiert! Es hieß: „er-folgreicher Wirtschaftsminister!")

- Ja, gut, aber immerhin ist der Erfolg, das möchte ich nochmals betonen, nur dadurch zu­standegekommen, daß sich unsere bayerische Wirt­schaftspolitik ganz eindeutig und konsequent auf die freie marktwirtschaftliche Ordnung festgelegt hat.

Als drittes möchte ich folgenden Punkt hervor­heben: Der Strukturwandel, den die bayerische Wirtschaft ih den letzten Jahren zu verzeichnen hat, ist zweifellos eine segensreiche Auswirkung des ursprünglich als Belastung empfundenen Ein­strömens von Vertriebenen und Flüchtlingen. Heute bereichern diese Menschen unsere Wirtschaft nicht nur als Produzenten, sondern sie fallen auch als Konsumenten erheblich ins Gewicht.

Eine Feststellung der Regierungserklärung darf ich nochmals etwas analysieren und interpretie­ren. Der Herr Ministerpräsident hat darauf hinge­wiesen, daß die Industriedichte seit 1950 in Bayern stärker gewachsen ist als im Bundesdurchschnitt, und er hat das mit Recht als eine dynamische Ent­wicklung gekennzeichnet. Der Herr Ministerpräsi­dent hat wörtlich gesagt, daß sich in Bayern eine stärkere Ausprägung des industriellen Aufbaus in Richtung einiger bedeutsamer Investitions- und Verbrauchsgüterindustrien vollzogen hat. Er hat festgestellt, daß sich Bayern in der Ausfuhrwirt­schaft wesentlich widerstandsfähiger erwiesen hat als der Bundesdurchschnitt, und er hat auf ein nicht unbeträchtliches überflügeln des bayerischen Produktionsniveaus und der industriellen Zu­wachsrate gegenüber dem Bundesdurchschnitt hin­weisen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind sehr bedeutsame Tatsachen und sehr beachtliche Erfolge der bayerischen Wirt­schaftsförderung. Ich möchte diese auch nicht ver­kleinern, möchte aber doch bitten, daraus keine allzu optimistischen Schlüsse zu ziehen. Wir dürfen nicht übersehen, daß im Bereich des alten Bestan­des unserer Industrien und unseres Gewerbes die Wachstumsrate leider noch unter dem Bundes­durchschnitt liegt. Ich denke hier z. B. an die tra­ditionellen Industriegebiete, an das mittelständische Gewerbe und an das Handwerk, die die Nachteile

aus unserer gesamtbayerischen Situation aus eige­ner Kraft nicht meistern konnten. Ich denke vor allem auch an die heut~ schon angesprochene Si­tuation der Textilindustrie, die immer noch mit großen konjunkturellen und strukturellen Schwie­rigkeiten rechnen muß.

Diese hohe Wachstumsrate, die auf eine starke dynamische bayerische Entwicklung hinweist, ist das Ergebnis der neuen bayerischen Industrialisie­rung, ganz gleich, ob es sich um die Schaffung ganz neuer Produktionseinheiten oder um die Er­weiterung bestehender Kapazitäten dreht. Das alles macht freilich diese Wachstumsraten nicht weniger interessant und bedeutungsvoll. Aber ich möchte doch bitten, über der Freude am Erfolg die Pflege der alten lebensfähigen mittelständischen Unter­nehmungen nicht zu vernachlässigen.

Der Herr Ministerpräsident hat in anschaulicher Weise der Wachstumsrate der bayerischen Wirt­schaft die zurückbleibende Entwicklung der Steu­erkraft gegenübergestellt. Normalerweise müßten sich beide Entwicklungen eigentlich decken. Der Kurve für die Zunahme des Umsatzes und der Be­schäftigtenzahl, also der Produktivität, müßte die Kurve für das Wachstum des Ertrags, also der Steuerkraft, entsprechen. Wenn bei uns wachsende Produktivität und zurückbleibende Erträge fest­zustellen sind, so ist das ein Zeichen dafür, daß sich hinter an sich imponierenden Wachstumszif­fern jene ungünstigen Faktoren verbergen, die die Erträge der bayerischen Unternehmungen negativ beeinflussen.

Der Herr Ministerpräsident hat die Fortsetzung der Förderung und Verstärkung der Grenzland­politik als einen besonderen Programmpunkt sei­ner Regierung hervorgehoben. Diese Absicht fand' die ungeteilte Zustimmung des ganzen Hauses. Als Angehöriger der Grenzlandwirtschaft bin ich so­wohl dem Herrn Ministerpräsidenten als auch dem ganzen Hause für diese Bekundungen des guten Wollens sehr dankbar, um so mehr als ich in An­spruch nehme, jene wirtschaftspolitischen Untersu­chungen damals angeregt zu haben, die die Grund­lage für alle vom Bund kommenden Grenzland­förderungen überhaupt bilden. Die vom Herrn Kollegen Dr. Hoegner aus einer Dissertation vor­gebrachten Anregungen sind zum Teil sehr gut; vor allem sind sie sehr gut gemeint. Leider stoßen sich die Dinge in der Praxis und im harten nüch­ternen Raum der Wirtschaft. Gerade dort, wo wir unsere Industrie gerne hätten, ist deren Ansied­lung aus verschiedenen Standortgründen leider nicht möglich. Man sollte vielleicht manchmal mehr auf die Stützung des Fremdenverkehrs auswei­chen, soweit die Bedingungen hierfür günstig sind. Denn auch der Fremdenverkehr ist für viele Ge­genden eine sehr bemerkenswerte Industrie. Maß­nahmen dieser Art sind auch nur vertretbar, wenn damit nachhaltige Erfolge erzielt werden. Ich möch­te es mir versagen, im einzelnen auf die Grenz­landpolitik noch weiter einzugehen; denn wir wer­den im Rahmen des Wirtschaftshaushalts sicherlich Gelegenheit finden, noch darüber zu sprechen.

Der Herr Ministerpräsident hat uns den sehr eindrucksvollen Trend der bayerischen Wirtschaft

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(Dr. Pöhner [CSU])

zum Großbetrieb aufgezeichnet, der in der unglei­chen Verteilung der Arbeitskräfte seinen Ausdruck findet. Wir hörten, daß 50 Prozent der bayerischen Arbeitskräfte in Großbetrieben arbeiten, während auf der anderen Seite 98 Prozent aller bestehen­den Betriebe Mittel- und Kleinbetriebe sind. Ich muß ehrlich gestehen, daß ein solches Zahlenmate­rial zunächst mein mittelständisches Gemüt etwas bedrückt hat, obwohl der Herr Ministerpräsident zum Trost die bestehende mittelständische Gliede­rung der bayerischen Wirtschaft als ein ganz be­sonderes Aktivum der bayerischen Wirtschafts­struktur hervorhob. Auch ich bin aber der Mei­nung, daß für den Mittelstand insgesamt ange­sichts dieser Situation keine Ursache zur Resigna­tion besteht.

(Abg. Winkler: Sehr richtig!)

Zwar soJ.lten wir nicht die Augen verschließen vor gewissen unaufhaltbaren indlistrietechnischen Ent­wicklungen, die zwangsläufig zu größeren Produk­tionseinheiten drängen, aber ich spreche es mit Überzeugung, mit voller Überlegung und nicht ohne mich in das Problem vertieft zu haben, aus: Es wird und muß immer eine Koexistenz zwischen den großen, mittleren und kleineren Betrieben in der bayerischen Wirtschaft geben. Ich behaupte so­gar, daß noch erhebliche Chancen für den mittel­ständischen Betrieb in der bayerischen Wirtschaft gegeben sind. Es kommt vor allen Dingen darauf an, diese Chance zu erkennen, sie zu erfassen und sie zu nützen. Diese Chancen dann zu erhalten, das wiederum wäre eine dankbare Aufgabe für die re­gionale bayerische Wirtschaftspolitik. Meine Damen und Herren! Selbst wenn ich den Blick in die Ver­einigten Staaten, zu diesem modernen Industrie­staat wende, wird meine Behauptung nicht Lügen gestraft, denn auch dort gib.t es ein glückliches Nebeneinander von „big and small business", wie es die Amerikaner ausdrücken.

Im Zusammenhang mit den Fragen der Wirt­schaftsförderung muß ich doch noch ein kurzes Wort an den Herrn Ministerpräsident Dr. Hoegner richten, nämlich in Erwiderung auf seine Ausfüh­rungen über die Kredithingabe an unterentwickelte Gebiete. Solange wir in Deutschland - wie er selbst sagte - noch so wirtschaftsschwache Gegen­den haben--

(Abg. Dr. Hoegner: Ich habe das nicht ver­urteilt, sondern habe gesagt: Die sollen auch

etwas bekommen!)

- Herr Kollege Dr. Hoegner, Ihre Argumente sind sicherlich sehr verständlich und einleuchtend. Ich darf aber ihnen doch vielleicht zwei Gesichts­punkte gegenüberstellen: erstens einen rein ge­schäftlichen. Wer sich einen künftigen Geschäfts­partner sichern will, der muß nun leider einmal erhebliche Vorleistungen machen. Und ich glaube, darüber besteht kein Zweifel, daß diese Gebiete für uns einmal große Märkte sein werden.

(Abg. Bezold: Na, na! - Abg. Dr. Hoegner: Hoffen wir's! - Abg. Bezold: Das ist eine emptio spei, wie der Jurist sagen würde!)

- Wir dürfen das nicht mit juristischen Maßstä­ben beurteilen!

(Abg. Bezold: Das können wir nur erhoffen! Man muß es auch politisch sehen: Es fragt sich, wie die Leute fühlen, ob westlich oder

östlich!)

Ich darf noch einen hochpolitischen Punkt heraus­heben: Im unterentwickelten Asien wohnen-Sie müssen es. ja besser wissen, Herr Kollege Bezold -500- Millionen Menschen in Elend und Armut. In diesen Gebieten, um die es hier geht, haben die Menschen für unsere Begriffe einen unvorstellbar niedrigen Lebensstandard. Ich glaube, es ist ein Gebot der politischen Klugheit, wenigstens zu ver­suchen, sie aus diesem unwürdigen Zustand zu be­freien! Wenn nämlich diese Millionen der östlichen Ideologie anheimfallen und eines Tages auf uns zu in Marsch gesetzt werden, dann, meine ich, sind alle Investitionen, die wir hier in Europa machen, umsonst gewesen. Und jeder Staudamm den wir drüben finanziell unterstützen, schützt 'vielleicht bildlich gesprochen auch eines Tages gegen die Überflutung unserer westlichen Welt die zu ver-teidigen wir doch alle bereit sind. '

(Zuruf aus der CSU: Bravo!)

Ich möchte jetzt noch zwei wichtige regionale Aufgabengebiete der bayerischen Wirtschaft her­ausstellen. Es wurde wiederholt die Schaffung neuer Energiequellen angesprochen. Ich will aus meiner Betrachtung die Atomenergie ausklammern; denn sie hält einer wirtschaftlichen Betrachtung noch nicht stand: sie ist noch im Stadium der Forschung und Entwicklung. Es ist erfreulich, daß sich private Initiative bereitgefunden hat, auch hier Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Denn, meine Damen und Herren, es ist längst nicht gesagt, daß der elektrische Strom immer dort am billigsten ist,_ wo der Staat die Hände im Spiel hat. Was wir, meme Damen und Herren, in Bayern brauchen ist nicht neue elektrische Energie schiechthin, ~on­dern ist eine billige Energie, damit unsere bayeri­sche Wirtschaft wettbewerbsfähiger wird als bis­her.

(Abg. Winkler: Darauf kommt es -an! -Abg. Bezold: Drum wird's jetzt teurer!)

Ich glaube, wir müssen uns bei dem Ausbau künf­tiger Energiequellen überlegen, ob solche Ausbau­ten vertretbar sind, ob sie wirtschaftlich sind und ob sie wirklich einen billigen Strom hergeben wer­den. Selbstverständlich - und da bin ich mit Herrn Kollegen Dr. Hoegner einig - :inuß auch bei der Erschließung neuer Energiequellen dem Schutze unserer bayerischen Landschaft ein gewis­ser Vorrang gegeben werden.

(Abg. Winkler: Vorrang nicht, aber Ein-fluß und Berücksichtigung!)

- Ich gehe sogar so weit, daß ich ihr einen ge­wissen Vorrang geben möchte. Beim Energieausbau möchte ich vor allem vor einem autarken bayeri­schen Denken warnen; denn ich glaube, mit dem Hineinwachsen in den größeren Markt wird sich zwangsläufig auch eine Ausweitung der Verbund­wirtschaft auf dem Gebiete der Elektrizität er­geben.

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(Dr. Pöhner [CSU])

Im übrigen wage ich es nicht, bezüglich des künftigen Energiebedarfs Prognosen aufzustellen. Planungen dieser Art laufen immer Gefahr, Fehl­planungen zu werden; denn, meine Damen und Herren, wer hätte im Jahre 1950 daran gedacht, daß wir schon acht Jahre später eine Kohlen­schwemme erleben, daß wir uns Sorgen nicht um die Kohlennot, sondern um den Kohlenüberfiuß machen müssen. Ich glaube, hätte man den Berg- · bau etwas früher in die rauhe Luft des Wettbewerbs gestellt, dann hätten wir uns vielleicht heute nicht um die Kohlenhalden zu sorgen. Und in die­sem Zusammenhang habe ich eine konkrete Bitte an die Staatsregierung: Die 20prozentige Erhöhung der Zölle auf Steinkohle betrifft leider auch die tschechische und die oberschlesische Steinkohle,

(Abg. Bezold: Porzellan!)

die für die Ostgebiete Bayerns, vor allem für Oberfranken benötigt wird und auf die die Be­triebe seit Jahrzehnten ausgerichtet sind.

(Abg. Sichler: Sie kennen anscheinend die Schwierigkeiten der bayerischen Kohlen­gruben nicht?! - Abg. Bezold: Mit baye-

rischer Kohle können Sie kein Porzellan machen!)

- Herr Kollege Sichler, diese bayerische Kohle kann in diesen Unternehmungen gar nicht ver­wendet werden, weil sie ihre Feuerungen nicht darauf eingestellt haben.

(Abg. Bezold: Viel zu wenig Heizkraft! -Abg. Sichler: Aber Wackersdorf steht vor der Stillegung! -Abg. Bezold: Das ist etwas

anderes!)

- Herr Kollege Sichler, die Wackersdorfer Kohle läßt sich in diesen Betrieben leider nicht verwen­den; das bedürfte zu großer Investitionen und Umstellungen. Soweit wollte ich dieses Thema aber nicht ausdehnen.

Ich möchte nur betonen, daß das jetzt viel zu geringe Freikontingent, das man für die tschechi­sche und oberschlesische Kohle zugestanden hat, unbedingt wesentlich erhöht werden muß, damit nicht Ostbayern auch aus dieser Situation neue Nachteile hinnehmen muß.

(Abg. Bezold: Sehr richtig!)

Herr Kollege Bantele, Sie waren so nett und so liebenswürdig,

(Abg. Bantele: Immer! - Abg. Müller: Schau die Bayreuther!)

mir die Wirtschaft als ein besonderes Fachgebiet zuzuerkennen. Sie wären noch netter, wenn Sie aus dieser Erkenntnis auch die Nutzanwendungen für sich selbst ziehen würden. Das nur möchte ich zu Ihren Ausführungen sagen.

(Zurufe der Abg. Rosa und Bantele)

- Dazu braucht man kein Geld, sondern etwas anderes.

Mein letztes, aber vielleicht größtes Sorgenkind, das ich der regionalen Wirtschaftspolitik ans Herz

legen möchte, ist der Verkehr. Die Deutsche Bun­desbahn neigt gegenwärtig zur Theorie des „Ge­sundschrumpfens", also des bewußten Schrump­fenlassens gewisser Verkehrslinien, die nicht mehr wirtschaftlich sind. Eine solche Theorie geht in der Praxis zu Lasten Bayerns, vor allem Ostbayerns. Die Bundesbahn zeigt auch eine immer mehr ver­stärkte Neigung, das gemeinwirtschaftliche Den­ken aufzugeben. Daraus folgt eine oft etwas be­sorgniserregende Tarifpolitik. Meine Damen und Herren! In Bayern beginnen die Ströme des Ver­kehrs und in Bayern enden sie im allgemeinen. Es wäre also ganz falsch, an die Darstellung und an die Beurteilung der Frequenzen von bayerischen Eisenbahnlinien von der Bundesbahn aus den glei­chen Maßstab anzulegen, wie er im Innern der Bundesrepublik vielleicht gerechtfertigt ist.

(Sehr richtig!)

Es erhebt sich hier eine sehr wichtige Aufgabe für unseren Herrn Wirtschaftsminister, nämlich die, dem verständlicherweise rein betriebswirtschaftli­chen Denken der Deutschen Bundesbahn das volks­wirtschaftliche Argument Bayerns entgegenzustel­len.

Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, damit in vielfacher Beziehung die Frage beantwortet zu haben, ob für eine eigenständige bayerische Wirtschaftspolitik noch Raum ist. Ich darf die Frage vielleicht noch ausdehnen und er­weitern auf die Überlegung: Wie steht es mit einer bayerischen Wirtschaftspolitik, wenn unsere deutsche Wirtschaft in die emopäische Gemein­schaft eingegliedert ist? Auch hierzu muß ich sa.:. gen: Die Regierung des Herrn Dr. Hoegner hat unter Mitwirkung des Herrn Wirtschaftsministers Bezold schon einen wichtigen Beitrag auf diesem Gebiet geleistet. Ich möchte es ausdrücklich aner­kennen, daß sich diese Regierung mit Erfolg be­müht hat, in den sogenannten römischen Verträ­gen große Schwierigkeiten, die der bayerischen Wirtschaft bedrohlich bevorstanden, abzuwenden.

(Abg. Müller: Also hat die Regierung doch etwas getan!)

- Herr Kollege Müller, ich glaube, das ist von keiner Seite - auch von meinem Freund Dr. Heubl niemals - bezweifelt worden.

(Zurufe von der SPD)

- Ja, wir halten natürlich zusammen, das ist doch sicher.

(Heiterkeit)

Sie müssen mit Ihren Zwischenrufen vorsichtiger sein, Herr Kollege Müller!

(Abg. Müller: Nein! - Zuruf des Abg. Sichler)

Meine Damen und Herren! Über die Zukunft der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Prophezei­ungen zu machen, dazu sehe ich mich auch nicht in der Lage. Prophetie ist ja überhaupt Glück­sache.

(Abg. Dr. Hoegner: Ein schlechtes Geschäft, besonders in der Politik! - Abg. Bezold:

Na, für den Propheten ein gutes!)

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(Dr. Pöhner [CSU])

Ebensowenig würde ich es wagen, den Erfolg der außerordentlich mutigen, weil unpopulären Maß­nahmen abzuschätzen, rnit denen das Frankreich de Gaulle's die ersten Schritte in die europäische Gemeinschaft getan hat. Eins aber wage ich zu prophezeien, weil es sicherlich richtig ist: Der Weg in diese größere Gemeinschaft wird durch viele Meilensteine gekennzeichnet sein.

(Abg. Dr. Hoegner: Dornen!)

Und manche dieser Meilensteine werden Opfer­steine werden. Die deutsche Industrie und die deut­sche Landwirtschaft werden manchmal den glei­chen Problemen gegenüberstehen und sie werden vielleicht häufiger als in der Vergangenheit nicht gegeneinander, sondern miteinander sprechen müs­sen.

Und eines zurn Schlusse, meine Damen und Her­ren: So groß das Problem und so groß die Schwie­rigkeiten auch sein mögen, die unser harren, kein Opfer darf zu groß sein, wenn wir rnit der Einglie­derung in die EWG die wirtschaftliche und die po­litische Freiheit unseres Volkes erkaufen können. Für dieses gemeinsame Ziel rufe ich das ganze Haus zu gemeinsamer Arbeit auf, urn so mehr als ich glaube, zµrn Schlusse feststellen zu können, daß wir gestern und heute in diesem Hause eine gute bayerische Demokratie praktiziert haben.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und Abg. Dr. Hoegner)

Präsident Dr. Ehard: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wüllner von der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks.

Dr. Wüllner (GB): Herr Präsident, meine Da­men und Herren! Ich habe mich darüber gefreut, daß heute das Eis in dieser Debatte richtig ge­brochen war. Die Rede des Herrn von Knoeringen hat uns bewiesen, daß rnan auch derartige Aus­sprachen frei führen kann und daß rnan nicht den Landtag unbedingt dazu gebrauchen - fast hätte ich, ohne jemand nahetreten zu wollen, gesagt: mißbrauchen - rnuß, urn hier Vorlesungen zu halten.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Dafür haben wir Universitäten, die wollen wir ausbauen "4nd daran sind wir alle interessiert. Aber hier möchten wir denn doch versuchen, auch rnal in Rede und Gegenrede, auch rnal, wenn es sein rnuß - es rnuß nicht irnrner sein -, ein biß­chen in Hieb und Stich die Dinge zu behandeln, die uns arn Herzen liegen.

Und da liegt uns vorn Gesamtdeutschen Block sehr arn Herzen, einmal ganz deutlich zu sagen, daß die Ausführungen, die uns Herr Ministerpräsi­dent Dr. Seidel in seiner Regierungserklärung ·ge­macht hat, wirklich eine so minutiöse, eine so ge­naue und eine so sorgfältige Analyse der Lage Bayerns gegeben haben, daß es nur wenige Punkte geben wird, deneil' rnan nicht zustimmen müßte. Daß selbstverständlich in einer solchen Regierungserklärung Punkte aufgetaucht sind, die

wir gerne weiter ausgebaut, näher behandelt hät­ten, ist klar. Daß selbstverständlich auch manche Sachen überhaupt nicht erwähnt worden sind, läßt sich bei dern Drang der Kürze der Zeit, der nun einmal da ist, nicht verhindern.

Aber wir wollen einmal einige Dinge etwas her­ausheben, die nach unserer Meinung noch einer stärkeren Behandlung bedürfen. Wir haben doch heute gehört und von den Vertretern aller Frak­tionen bestätigt bekommen, wie sehr dieses Bay­ern auch heute eine geschlossene Einheit bildet, ·wie großen Wert es auf seine Staatlichkeit legt und wie sehr es bedacht ist, sich auch irn Bunde so auszu­bauen und sich so zu entwickeln, daß es nicht mehr Kostgänger des Bundes ist, sondern selbst wieder eine kräftige Stütze eines neuen Deutsch­land. Aber eines müßte in dern Zusammenhang vielleicht doch wohl noch etwas stärker herausge­hoben werden: das ist die Lage, die Situation, die sich für uns einfach daraus ergibt, daß wir heute unmittelbare Nächbarn des Ostens sind, daß die behütete Situation vorbei ist, in der Bayern jahr­hundertelang ruhen durfte und - ich möchte nicht etwa sagen, geschlafen hat, sondern - ein wirklich hohes, hoch wertvolles kulturelles Dasein geführt hat. Daß diese Situation von einst heute nicht mehr gegeben ist, daß wir jetzt, wo wir so unmittelbar arn Eisernen Vorhang dran sind, wo wir, wie Herr Ministerpräsident Dr. Seidel ausge­führt hat, rnit einem ganz besonders hohen Grenz­landanteil belastet sind, daß wir alles daranset­zen müssen, diese Grenzgebiete als Ganzes zu stär­ken. Die Menschen, die selbst Opfer einer Ent­wicklung sind, durch die der Eiserne Vorhang überhaupt erst entstand und durch die ja die Ge­fahr für Bayern und für Deutschland ins Uner­meßliche gewachsen ist, haben selbst ein erhöhtes Interesse; das rnag, Herr Dr. Hoegner, die· Ant­wort darauf sein, daß Sie gestern, dern Sinne nach, sagten, es scheine so zu sein, als sei der Gesamt­deutsche Block verurteilt, bei jeder Regierung mit­zuwirken. Jawohl, er ist soweit dazu verurteilt, als er sich selbstverständlich bemühen wird, soweit er kann, in jeder Regierung, die er für regierungs­fähig hält, und solange er sie für regierungsfähig hält - ich will die Situation des Jahres 1957 nicht allzu weit ausspinnen ---', Mitglied einer Koalition zu sein, deshalb, weil er als Warner vor der öst­lichen Gefahr wirklich glaubt, aus eigener Erfah­rung manches sagen zu können, was mancher in diesem deutschen, Bayern nicht sagen kann, weil ihrn die Erfahrung dazu mangelt.

Es ist doch einfach so, daß auch in Bayern, noch mehr aber irn Bundesgebiet und noch mehr irn Ruhrgebiet viele Leute heute ein Dasein führen, das wir geradezu als bedingt von der Philosophie des Als-ob betrachten möchten: Sie tun so, als ob wir in Sicherheit einem Wirtschaftswunder nach­leben könnten, als ob dieses Wirtschaftswunder durch nichts gestört würde, höchstens gelegentlich vielleicht durch böse Attacken der SPD oder der Gewerkschaft

(Abg. Gabert: Kohlenhalden!)

- und vielleicht auch durch die Kohlenhalden, die sich gewaltiglich türmen; aber irn großen gesehen

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(Dr. Wüllner [GB])

ist doch das Ziel, leider, einer viel zu großen Zahl von Menschen, eine materielle Besserstellung zu erlangen, die nach ihrer Meinung auf alle Ewig­keiten gesichert ist und ihnen eine Lebensführung schönster Art sichern könnte. Wenn gestern Herr Dr. Heubl dazwischen erwähnt hat, wie sehr es unser aller Anliegen sei, daß wir doch darauf be­dacht sein müßten, daß in diesem Deutschland und erst recht in diesem Grenzland Bayern auch die geistigen Güter nicht zu kurz kommen dürfen, dann sind die heutigen Ausführungen des Herrn von Knoeringen eine sehr glückliche und günstige Ergänzung dieser Ausführungen gewesen; ich möchte mich aus diesem Grunde nicht mit der kul­turellen Seite länger befassen, weil sie hier ja schon ausgiebig behandelt worden ist. Aber au_s der Tatsache heraus, daß gestern ~uch ein Thema der Grenzlandverhältnisse angeschnitten worden ist - von Herrn Dr. Hoegner -: die Frage des Föderalismus, möchte ich dazu eine ganz kurze Bemerkung machen, weil sie für uns doch auch recht beachtlich ist. Auch wir vom Gesamtdeut­schen Block schätzen selbstverständlich die födera­listische Idee, wie wir jeden Gedanken schätzen, der das Abendland vor dem Zugriff des bolsche­wistischen Ungeheuers bewahren kann. Auch wir legen Wert darauf, daß sich die föderalistische Idee so auswirken kann, daß all das, was in ihr steckt, auch wirklich herausgeholt wird. Aber wir möch­ten sie nicht übersteigern. Für uns - das betrifft die Herren von der Bayernpartei, soweit sie hier vorhanden sind - ist es nun praktisch so, daß die Preußengefahr wahrscheinlich viel kleiner ist als die östliche Gefahr,

(Sehr gut! beim GB)

und wir würden es seht begrüßen, wenn wir auch in Bayern soweit kämen, daß das Wort von der Preußengefahr und das, was selbst Kabaretts mit ihr lächerlich macht, daß diese Geschichte, dieses Herausstellen der· „ungeschickten" Preußen mal ein Ende fände. Gerade weil ich kein Preuße bin, möchte ich die gewaltige Kraft des Preußentums durchaus nicht unterschätzen.

Wir haben heute eine erfreuliche Situation in die­sem Hohen Haus. Wir haben eine Wahl hinter uns, bei der sich die Parteien, die sich vor dem 23. No­vember 1958 bitter bekriegt haben, wieder treulich zusammengefunden haben, und wenn man die ge­strigen und die heutigen Ausführungen näher be­trachtet, muß man doch das Gefühl haben, eitel Einigkeit sei hier vorhanden und es sei wirklich ein so harmonisches Zusammenspiel, wie man es sich nicht schöner wünschen könnte. Und wenn dazwischen - auch das, Herr Dr. Hoegner, wollen Sie mir nicht verübeln - Herr Dr. Hoegner ge­legentlich ein paar kleine bittere Gedankengänge

(Abg. Dr. Becher: Giftpillen!)

von sich gegeben hat, so ist daraus herausgeklun­gen und gab er daraus zu erkennen, daß es ihm schwergefallen ist, die Rolle zu wechseln, daß er nicht gern auf der Bank der Opposition sitzt, dann möchte ich ihm sagen: Ich sehe die Aufgabe

der Opposition sogar noch viel weiter gespannt, als. sie Herr von Knoeringen heute geschildert hat. Die Opposition soll nämlich nicht wie ein Wachhund darüber wachen, daß die Regierung von Ministerpräsident Dr. Seidel all das tut, was sie versprochen hat, sondern sie soll mit guten An­regungen und Gedanken die&e Arbeit so unter­mauern, daß sich nach vier Jahren kaum mehr sagen läßt, wer mehr geleistet hat: die Opposi­tion oder die Regierung. So etwa, wie wir heute vor der Tatsache stehen, daß keiner daran zweifelt, daß seine Partei bisher das Entscheidende auf dem Atomgebiet in Bayern geleistet hat.

(Abg. Dr. Becher: Und auf dem Gebiet der Lehrerbildung!)

- Und natürlich auch bei der Lehrerbildung.

Meine Damen und Herren! Aus dieser Aufgabe ergibt sich für uns eine Ursache dafür, daß wir all das Neue, das wir nach 1945 in Bayern schaf­fen konnten, bewahren und das, was das Jahr 1945 unzerstört überdauert hat, sichern, und daß wir gemeinsam mitwirken, nun Bayern so in den ge­samten deutschen Bund einzufügen, daß es eben wirklich ein Land ist, das - wie ich eingangs er­wähnte - nicht mehr Kostgänger der anderen zu sein braucht. Ich habe aber manchmal das Gefühl, wir achten nicht darauf, daß wir eine ganze Reihe von Dingen noch zu klären hätten.

Sehen Sie, wenn ich die Presse betrachte, wenn ich mir heute den Rundfunk ansehe, der vor weni­gen Tagen in Bayern sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert· hat, dann möchte ich doch fragen: Erfül­len denn alle diese Komponenten und erfüllen auch wir die Aufgabe, die uns allen gestellt ist, nämlich auch einmal die Vergangenheit zu bewäl­tigen. Greifen wir - wir sind das gewohnt vom Gesamtdeutschen Block - doch ganz ruhig auch einmal im Parlament all die heißen Eisen auf und säubern wir die Dinge, die gesäubert werden müs­sen, klären wir, was noch geklärt werden muß.

Es war kein Ruhmesblatt des Bayerischen Land­tags, daß es jahrelang gedauert hat, viel länger als in allen anderen Bundesländern, und daß wir die Entnazifizierung immer noch nicht restlos unter Dach und Fach haben. Wenn Sie den kleinen Mann draußen ansprechen, schüttelt er nur den Kopf und sagt: Ja gibt es denn einen solchen Blödsinn heute noch? Wir waren und sind uns alle einig: Wenn heute festgestellt wird - und wir wollen gern dabei mithelfen -, daß einer ein Kriegsver­brecher übelster Art war, soll man ihn mit allen er­denklichen Mitteln packen und zur Verantwortung ziehen. Aber, ich bitte Sie, tun wir das nicht bloß, um unser eigenes Nest zu beschmutzen,

(Sehr gut! beim GB)

tun wir es auch, damit man feststelle, daß auch das deutsche Volk nicht bloß aus Verbrechern be­steht.

(Abg. Dr. Becher: Es gibt auch auf der anderen Seite Kriegsverbrecher!)

- Sie haben recht, Herr Dr. Becher! Wir wissen genau, wie es ausschaut. Aber wir haben festge­stellt, daß man bei keinem Volk so gern im eigenen

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(Dr. Wüllner [GB])

Dreck wühlt, wie es gewisse Angehörige des deut­schen Volkes tun. Ich habe mit Schmerz vor weni­gen Tagen im „Salzburger Volksblatt" gelesen, daß man in unserem Nachbarland, in dem Herr Ministerpräsident Dr. Seidel gerade einen Staats­besuch abgestattet hat, in einer - ich möchte sagen - uns doch etwas bedauernden Form gesagt hat: Auch wir sind dabei, die Vergangenheit zu be­wältigen. Auch wir sind dabei, endlich einmal die Dinge zu bereinigen. Aber so wie die da drüben -und der lange Finger zeigte nach Bayern und Deutschland - tun wir es nicht. Wir haben uns, sagt das „Salzburger Volksblatt", zum Beispiel da­gegen gewehrt, daß solche Filme, wie „Wir Wun­derkinder" gespielt werden, weil sie nichts ande­res seien als eine Bespeiung einer ganzen Nation und ihrer ganzen Vergangenheit. Daß darin auch ein Bismarck-Denkmal mit Kot beschmiert wird­sagt das „Salzburger Volksblatt" -, wundert uns nicht; denn das deutsche Volk habe längst ver­lernt, in Bismarck eine Größe zu sehen. Es sieht heute andere Größen. Ich bin nur neugierig, was für eine Größe es morgen und übermorgen einmal sehen wird. Ich bin der Meinung, daß es in diesem Hohen Hause in dieser Session zu einer vernünfti­gen Abklärung dieser Entnazifizterungsgeschichte kommen sollte. Aber auch zu anderen Fragen müs-

. sen wir kommen, die in diesem Zusammenhang

. beachtlich sind.

Da ist gestern in den AusfüHrungen von Dr. Heubl - ich glaube, auch von Dr. Hoegner und einigen anderen Herren - auch das Wort „Wiedergutma­chung" gefallen. Auch das gehört mit zur Bewäl­tigung der Vergangenheit. Aber dann sehen Sie doch bitte das Schicksal all derer, die im Krieg oder nach dem Krieg Opfer der Zeit geworden sind, als ein Ganzes. Betrachten Sie es als ein Ganzes und fragen Sie, ob einer, der um seiner Nation willen, als Deutscher vertrieben worden ist, anders zu behandeln ist als einer, der um sei­ner Religion oder seiner politischen Anschauung willen vertrieben wurde. Wir müssen dahin kom­men, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung, im Grundgesetz klar und eindeutig ausgesprochen, auch seine Verwirklichung in diesen Gesetzen end­lich einmal findet. Es ist auch - wenn Sie sich die Folgen der ganzen Ungleichbehandlung einmal überlegen - untragbar. Sie können nicht von dem Gedankengang ausgehen, daß die einen Un­rechtsgeschädigte sind und die anderen eben Schicksalsgeschädigte. Die vor 1945 ein Unrecht erlitten haben - sie haben es --:-, sind Unrechts­geschädigte, aber das schreiende Unrecht, das Mil­lionen von deutschen Menschen nach 1945 getrof­fen hat, ist auch ein Unrecht, zu dem wir in der gleichen Form Stellung nehmen müssen. Wir kom­men nicht an dieser Regelung vorbei. So gesehen, ist es für ein Bayern, das auch im Bundesrat eine gewichtige Stimme hat, schon wichtig, sich einmal dazu zu äußern, ob es denn gerecht ist, daß wir im­mer noch der einen Gruppe von Geschädigten nach dem Bundesentschädigungsgesetz bis 31. März 1963 all das zu ersetzen haben, was ihr verhältnismä­ßig weitgehend der Gesetzgeber zuspricht, daß wir·

aber den anderen erst bis 1978 die Hauptentschä­digung in einem viel geringeren Maß auszahlen. müssen und - wie ich fürchte - in einer gegen­über dem heutigen Wert doch schon beträchtlich abgewerteten Mark. Hier auf eine Gleichbehand­lung zu drängen, wird ein Anliegen des Gesamt­deutschen Blocks in dieser Regierung sein.

Nun möchte ich Ihnen etwas anderes sagen. Mich hat ,es gewundert, d:aß bei so vielen Experten, die . diesmal zu Wort gekommen sind, ein Thema ver­hältnismäßig schwach behandelt worden ist, näm­lich die Umschichtung von der wirtschaftlichen Seite her, die sich in den letzten Wochen und Mo­naten auf dem Geldmarkt vollzogen hat. Wir wa­ren bei allen unseren Aussprachen, die wir hier geführt haben, stets in der Zwangslage, sagen zu müssen: Wenn wir nur die Geldquellen erschlie­ßen könnten, um die großartigen Vorhaben, die von allen Seiten - nicht zuletzt von der Opposi­tion - in sehr reichlichem Maße gewünscht wer­den, zu finanzieren. Wenn wir diese Vorhaben durchführen sollten, d.ann fehlte es uns an den entsprechenden Mitteln.

Diese Mittel waren zu keiner Zeit leichter zu be­schaffen als in diesem Jahr. Kaum jemals - auf Jahrzehnte müßte man zurückgehen - gab es eine solche Geldschwemme wie heute, wo der Dis­kontsatz auf 23/4 Prozent gesunken ist. Wenn es heute schon so spielend leicht ist, überall Geld zu bekommen, auch aus Kreisen, die sich uns noch vor Monaten oder vor zwei Jahren versperrt ha­ben, dann führen wir doch die Dinge durch, von denen uns Herr von Knoeringen einige Vorschläge gemacht hat!

(Abg. Dr. Becher: Und die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs!)

- Jawohl! Dann führen wir auch die Vorfinan­zierung des Lastenausgleichs durch, wie Kollege Dr. Becher richtig meint. Das ist es doch, woran uns heute wirklich liegt, nicht aber, wie gestern Kollege Dr. Schier ausgeführt hat, daß jedes Jahr 72 000 Menschen den Lastenausgleich nicht erleben und ein Opfer der Verzögerung werden. Nicht das kann das Ziel eines christlich-abendländischen Staates sein. Unser Ziel muß es sein, den Menschen wirklich die Lebensführung zu erleichtern.

(Beifall beim GB)

Und noch eines, was die außenpolitische Situa­tion betrifft! Sie wissen, daß wir im Augenblick immer wieder mit sehr besorgten Augen nach Berlin hinüber sehen. Wir schauen nach Berlin, weil - ich sage das ganz klar und eindeutig -mit dem Schicksal Berlins auch das Schicksal von München und Bayern entschieden wird.

(Sehr gut! und Beifall beim GB)

Ich möchte denjenigen Intendanten des Baye­rischen Rundfunks sehen, er mag zehnmal Herr von Cube heißen, ich möchte den Intendanten se­hen, der heute das blödsinnige Wort von der „selbstmörderischen Humanität" im Zusammen­hang mit Berlin noch einmal aussprechen würde. Ich möchte das nicht weiter ausführen, weil ich annehme, daß auch Herr von Cube zu denen ge-

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(Dr. Wüllner [GB])

hört, die im Laufe der Zeit hinzugelernt haben; keiner hat es so notwendig gehabt wie er.

Ich habe bereits erwähnt; daß das Bundesentschä­digungsgesetz und das Lastenausgleichsrecht in eine entsprechende gleichartige Form gebracht werden müssen. Das betrifft auch Bayern ganz enorm. Ich habe am 1. Juli des vergangenen Jahres in einer Anfrage an die Bayerische Staatsregierung gefragt, wie groß die finanziellen Auswirkungen sind, wenn wir die großen Leistungen aus dem Bundesentschä­digungsgesetz zu zahlen haben. Man schätzte die damals noch fehlenden Leistungen auf 1560 Mil­lionen DM. Ich bin kein Prophet; aber eines weiß ich, daß diese Zahlen nicht hin- und herhauen,· eines weiß ich, daß der ehemalige Bundesfinanz­minister Schäffer in seinen sehr klar begründeten und gut fundierten Darstellungen vor einigen Mo­naten im Rahmen einer CSU-Tagung - in Passau, glaube ich, war es - nachgewiesen hat, da0 das Bundesentschädigungsgesetz im Bund 27 oder 28 Milliarden DM kosten wird. Wenn nun auf Bayern schätzungsweise ein Anteil von 20 Prozent entfällt, dann können Sie sich ausmalen, daß wir mit ein­einhalb Milliarden DM bestimmt nicht auskom~0n dürften. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die sowohl von der Opposition wie von Regie­rungsseite erstrebte stärkere Beteiligung des Bun­des an den Kriegsfolgelasten, zu denen auch diese Angelegenheit gehört. Ich glaube, daß wir hier nicht nur den Betroffenen, denen ich jede gerechte Entschädigung gönne, einen Dienst erweisen, son­dern vor allem auch dem bayerischen Staat, dem wir Mittel frei machen für andere nicht minder dringende Aufgaben.

Ich erinnere mich wieder - weil mich Herr Dr. Hoegner kritisch dabei betrachtet~, daß Dr. Hoeg­ner einer von jenen ist, die in den letzten Jahren mit Recht eines für Bayern gefordert haben, was bei einer solchen Aussprache noch mit wenigen Worten dargelegt werden soll. Er hat nämlich die innere Sicherheit de1· Demokratie als ein Ziel hingestellt, das gemeinsam von allen Parteien erarbeitet wer­den müßte. Es ist interessant, daß zu dem gleichen Thema sein Parteifreund Dr. Zorn sich wiederholt mit sehr beachtlichen Ausführungen geäußert hat, und es ist nicht unerwähnenswert - ich habe mir einige Notizen gemacht -, daß auch Professor Eschenburg in Tübingen auf Mängel hingewiesen hat, die unsere parlamentarische Demokratie in un­erhörter Weise belasten. Er spricht von einer ge­radezu unverzeihlichen Gedankenlosigkeit, der wir uns hingeben, wenn wir nicht darauf achten, daß der Verwaltungsapparat des Parlamentarismus so spielt, wie er wirklich spielen sollte. Wir dürfen uns nicht - das können wir heute rückschauend nach der nunmehr abgeklungenen Wahl ruhig sagen - bei einer Wahl, gleichgültig ob im Bund, im Land, in den Gemeinden oder Kreisen, einfach bei der Auswahl der Kandidaten von dem Gedan­ken leiten lassen: Der ist uns besonders sympa­thisch und der wird nach unserer Pfeife tanzen, sondern wir müssen immer die Persönlichkeiten herausgreifen. Wir müssen dafür sorgen, daß auch dort, wo die Masse entscheidet, die Persönlichkeit

an die Spitze geführt wird. Das ist entscheidend für den Bestand der Demokratie, und das hat Pro­fessor Eschenburg sehr gut und überzeugend aus­geführt.

Er hat uns eine Menge von Mängeln vorgehalten, von denen ich wegen der Kürze der verfügbaren Zeit nur einige vorbringen möchte. So bezeichnet er als unvereinbar mit einer Demokratie, wenn man heute Mittel des Staates, Mittel der Öffent­lichkeit hernimmt, um vielleicht draußen bestimmte Bücher und Zeitschriften erscheinen zu lassen, die einseitig gefärbt sind, die aber nicht dem Willen der Demokratie, dem Willen des Volkes und der Volksvertretung entsprechen. Es sei unverzeihlich, Fonds zu bilden, Fonds zu mißbrauchen natürlich erst recht. Er wendet sich - das mögen mir auch die Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung nicht verargen, wenn ich diesen Punkt vor aller Öffentlichkeit erwähne; ich habe ihn schon im Juli 1955 angeschnitten, ohne daß die Angelegenheit endgültig geklärt worden ist - nach meiner Mei­nung zu Recht dagegen, daß Minister Aufsichtsrats­mitglieder eines Unternehmens sind, in dem sie zu­gleich als oberste Aufsichtsinstanz auftreten. Ich glaube, daß wir auch das einmal klären müßten; denn hier liegt ein Mißbrauch der Demokratie vor, der allen offenkundig ist. Ich will dabei die einzel­nen nicht persönlich treffen, aber wir wissen do·ch alle, was es bedeutet, wenn in einer Legislative eine ganz große Zahl von Vertretern der Exekutive sitzt. Wir sehen liebend gern unsere Landräte draußen in ihrem Landkreis besorgt um das Wohl ihrer Bürger.

(Beifall bei der SPD)

Wir freuen uns geradezu diebisch, wenn sie dort zeitlich so ausgefüllt sind, daß sie für andere Fra­gen, auch für die Tätigkeit im Landtag keine Zeit mehr haben. Aber wir sind der Meinung, daß diese beiden Dinge nicht verquickt werden sollen. Und wir müssen einmal in aller Ruhe - das geht durch alle Parteien hinweg; nur der Gesamtdeutsche Block leidet nicht unter dieser Sache -

(Heiterkeit und Zuruf des Abg. Gabert)

- Sehr richtig, Herr Kollege Gabert; ich würde mich freuen, wenn die anderen Kollegen das auch sagen könnten; aber ich bin sicher, daß wir es fer­tig bringen in sehr kurzer Zeit, auch in diesem Hohen Hause - die Frage anschneiden, wenn das Übel so krebsartig weiter wuchert - -

(Abg. Dr. Becher: Ein ganz heißes Eisen!)

- gewiß.

(Zuruf: Koalitionspartner! - Abg. Gabert: · Eine wirklich schlechte Zensur!)

- Lieber Kollege Gabe~t, Sie haben ein sehr er­wünschtes Stichwort gegeben; Sie passen auf die Koalition auf. Sehen Sie, wie ein Schießhund muß auch der Gesamtdeutsche Block auf die CSU auf­passen; das ist ganz klar.

(Heiterkeit)

Aber das ist nicht die Aufgabe der Opposition. Die Opposition hat an sich ganz andere Aufgaben.

(Abg. Gabert: Wir passen noch weiter auf!)

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(Dr. Wiillner [GB])

Ich weiß, Herr Kollege Hanauer, Sie warten auf den nächsten Zwischenruf; der ist längst fällig; Herr Kollege. Ich darf Ihnen sagen: Koalitions­partner bedeutet für uns noch lange nicht, daß man alles bejaht, was die größere Koalitionspartei von vornherein hier herausstellt. Es war schon im Tier­reich so,· daß nicht allein der größere Kopf - man sprach vom Pferdeverstand - entscheide, wie eine Angelegenheit ausgehe. Es ist also praktisch so, daß wir uns das Recht der Kritik innerhalb einer Regierung jederzeit vorbehalten. Und wir wissen uns dabei eins mit dem Herrn Ministerpräsidenten Dr. Seidel. Er will ja nicht Vasallen, auch nicht Trabanten, er will Partner haben, die ihre Erfah­rungen, Kenntnisse und ihren guten Willen mit­bringen, um mitzuarbeiten an einem Werk, an dessen Entwicklung uns allen liegt.

(Sehr gut! - Abg. Dr. Schier: Tempora mutantur!)

Ich glaube, daß es daneben noch eine Reihe von Fragen gibt, die uns erheblich berühren. Sie wis­sen, es ist heute vom Kollegen Bantele - die Bay­ernpartei glänzt - wenn auch nur durch Abwesen­heit - - entschuldigen Sie, Herr Kollege; ich habe im Moment übersehen, daß Sie hier als Sachwalter . der Bayernpartei Platz genommen haben;

(Zuruf: Unverzeihlich!)

ich will es wieder gut machen. Ich will der Bayern­partei durchaus - zum Unterschied wie es seiner­zeit vor der Wahl Herr Dr. Hoegner uns gegen­über getan hat - die Lebensberechtigung nicht ab­sprechen. Wir freuen uns doch immer und überall, wenn in einem Gremium - auch in unserem Land - sicherlich sehr zum Unterschied vom Bundestag, ein Element drin ist, von dem man nie weiß, was es wW, aber doch weiß, daß es immer etwas an­deres will.

(Heiterkeit)

Nun, meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht anspielen; ich will auch nicht boshaft sein - viel­leicht ist der Bayernpartei der Schreck in die Glieder gefahren -, aber ich will dieses Thema heute nicht berührt haben.

Wir haben heute davon gehört, einen wie großen Nachholbedarf wir in Bayern auf wirtschaftlichem Gebiet noch haben. Ein ganz brnonderer Nachhol­bedarf ist ja auch von den Spr-=chern aller Par­teien auf dem Gebiet des Straßenbaues herausge­stellt worden. Hier möchte ich doch einmal darauf hinweisen, daß wir jetzt in der Zeit des billigen Geldes ein wenig vorstoßen müßten, daß wir auch dafür sorgen müßten, daß die Grenzbereiche, die Grenzgebiete, weitaus anders behandelt und aus­gebaut werden als bisher - die Ausödung des Grenzlandes oder das, was Herr Ministerpräsident Dr. Seidel erwähnt hat -, daß wir im Lauf der letzten Jahre eine gam; fühlbare Abnahme unserer Bevölkerung dort feststellen mußten, daß wir sogar prozentual abgesunken seien bei der Lohn- und Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer. Das hat seine Ursache nicht zuletzt in dem Mangel an richtigen Verkehrswegen.

~~~~~~~~~~~~

Beim Kapitel des Wohnungsbaus dürfen Sie nicht erwarten, daß der Gesamtdeutsche Block deshalb, weil er Koalitionspartner der CSU ist, dem Unsinn, der nach unserer Meinung jetzt in Bonn auf dem Gebiet der Mieten durchgeführt wird, zustimmen kann. Das ist undenkbar. Wir wissen darum, daß man durch die Mietfreigabe gerade auf dem besten Weg ist, nun noch neuerlich die Wohnungsnot zu steigern; denn wenn für Hunderttausende die Mie­ten angehoben werden, belasten die Wohnungs­suchenden doch erst recht den Wohnungsmarkt, weil sie nach geringeren Unterkünften, nach billi­geren Wohnungen streben müssen. Wir müssen auf diesem Gebiet behutsam vorgehen.

Ich will noch kurz auf etwas anderes zu spre­chen kommen: Vor zwei bis drei Tagen ist einer der anerkanntesten Fachmänner Bayerns, der Prä­sident des Verfassungsgerichtshofs, Holzinger, aus seinem Amt ausgeschieden, ein Mann, dem der Dank des ganzen Hauses gebührt, weil er einer der bedeutendsten Persönlichkeiten auf seinem Gebiet war. Er hat bei seinem Ausscheiden ein paar Worte gesagt, die ich auch diesem Hohen Hause - wie jeder Regierung, Herr Dr. Hoegner, wir hätten· es auch Ihnen gesagt - nicht vorenthalten möchte. Er hat sich mit aller Gewalt gegen die immer mehr zunehmende Politisierung und Konfessionalisierung unseres Lebens gewandt und er hat betont, er hoffe, „daß in Zukunft weder das Parteibuch noch das Gesangbuch bei der Stellenbesetzung der Berufs­richter, ja der Beamten des Staates, eine Rolle spiele."

(Zuruf von der SPD: Haben Sie einen solchen Verdacht?)

Das habe ich mit vollem Recht herausgehoben, weil man rechtzeitig auf solche Dinge hinweisen soll. Ich weiß ja nicht, ob Sie Ursache haben, darüber näher nachzudenken. Aber das überlasse ich Ihnen. Ich möchte mit zwei, drei Sätzen den Schluß an­deuten; denn ich bin auf meine Zeitnot hingewiesen worden!

Ich warne namens des Gesamtdeutschen Blocks nochmals davor, so zu tun, als ob wir in Bayern behütet und frei in unseren Entschlüssen wären. Ich warne vor allem vor einem Denken, das nicht die Gefahren des Ostens bis ins letzte konsequent berücksichtigt. Ich möchte den Herrn Ministerprä­sident bitten, daß er die von der vorigen Regierung übernommene und von ihm sicherlich fortgeführte Schirmherrschaft über die Sudetendeutschen be­wußt ausübt, und zwar nicht nur in dem Sinne, daß er sich der Sudetendeutschen annimmt, die Dr. Hoegner heute richtig als „vierten Stamm" in diesem Land bezeichnet hat.

(Zuruf: Es war Dr. Ehard!)

- Ich berichtige mich: es war Dr. Ehard und nicht Dr. Hoegner. Sie wissen, daß meine Vorliebe so­wieso mehr Herrn Dr. Ehard gehört.

Ich möchte nochmals bitten, daß diese Schirm­herrschaft ausgeübt wird nicht nur über die Su­detendeutschen, sondern über alle, die Land, Hei­mat und all das verloren haben, was ihre Vodah­ren in Jahrhunderten im Osten aufgebaut hatten.

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(Dr. Wüllner [GB])

Ich möchte Sie bitten, niemals zu versäumen, den Einfluß Bayerns dahin geltend zu machen, daß keine Regelung, weder in der Berlin-Frage noch in der Frage der Aufweichung nach dem Osten, getroffen wird, ohne daß man die Stimme jener Menschen hört, die gleich Ihnen nur ein Ziel haben, Maß und Freiheit - wie es unser großer Lands­mann Stifter ausgesprochen hat - anzuwenden, wenn es gilt, dem Lande zu dienen, in dem wir wohnen - Bayern!

(Beifall beim GB und bei der CSU)

Präsident Dr. Ehard: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Högn von der Fraktion der Sozial­demokratischen Partei.

Högn (SPD): Herr Präsident, meine sehr ·ver­ehrten Damen und Herren! Ich habe im Auftrag meiner Fraktion eigentlich nur ein Sachgebiet anzusprechen, das zwar gestern schon wiederholt berührt worden ist, über das aber nach unserer Auffassung noch einiges gesagt werden muß. Ich meine den sozialen Wohnungsbau. Meine Fraktion hat ihm immer eine besondere Bedeutung zuge­messen, und wir sind stolz auf die Erfolge, die un­ter der Regierung Dr. Hoegner auf diesem Gebiet erzielt worden sind. Wir bedauern, daß diesem wich­tigen Aufgabengebiet in der Regierungserklärung leider nur ein wenig breiter Raum eingeräumt worden ist. Wir sind weit davon entfernt zu glauben, daß der Herr Ministerpräsident diesem Problem eine geringere Bedeutung zumißt, als das bisher der Fall war. Wir anerkennen auch, daß dieses Gebiet von vielen wichtigen Momenten und Faktoren abhängig ist, daß hier nicht allein das Land, sondern vor allem der Bund sehr maßgeb­lich beteiligt ist und daß die einschlägigen Gesetze und natürlich die finanzielle Lage bisher dem Wil.; len und Wollen hinsichtlich der zu erstellenden Wohnungsarten unübersteigbare Schranken gesetzt haben. Trotzdem muß aber doch einiges vermerkt werden. Ich will mich dabei sehr kurz fassen, schon deshalb, weil für eine eingehende Würdigung dieses Problems im Rahmen einer Aussprache über die Regierungserklärung zu wenig Zeit zur Verfü­gung steht und weil wir uns sicherlich schon in Kürze hier im Plenum mit den Zielen und Wegen auf diesem Gebiet werden beschäftigen müssen. Meine Fraktion hat bereits konkrete Anträge eingereicht, und sie wird weitere folgen lassen.

Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen wurde eine Entwicklung bekannt, die uns doch sehr zu denken gibt. Herr Ministerialdirigent Georg Reinhardt von der Obersten Baubehörde hat nach dem „Landtagsdienst" in der Sitzung des Haushaltsausschusses am 22. Januar erklärt, daß ein von der Obersten Baubehörde erarbeiteter Ver­teilungsschlüssel für die Wohnungsbaumittel jetzt gegenstandslos geworden sei, „weil der Bundes­wohnungsbauminister, gestützt auf die §§ 30 und 31 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, dem Bau von Familienheimen absolut den Vorrang geben will". Ich zitiere wörtlich . nach dem „Landtags­dienst".

Damit wäre, meine Damen und Herren, nicht mehr und nicht weniger gesagt, als daß eine Ver­teilung der Wohnungsbaumittel nach Schlüsselzah­len, die allein auf Grund des Wohnungsdefizits festgestellt sind, nicht dem Gesetz entspricht. Wir haben zwar gestern - vom Herrn Dr. Heubl, glaube ich - gehört, daß diese Auffassung nicht ganz ge­teilt wird. Aber wenn sich diese Auffassung des Herrn ißundeswohnungsbauministers durchsetzt, dann wird der Kampf um das Problem Eigenheim und Mietwohnungen noch viel schärfere Ausmaße annehmen, als das bisher der Fall gewesen ist.

In einer vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsfor­schung über die Wohnungsnot kommt das Institut zu der Prognose, daß noch mindestens zehn Jahre lang Wohnungsknappheit herrschen wird. Im Ge­gensatz zu Herrn Lücke, der, wie Sie wissen, nur noch etwa sechs Jahre brauchen will, um die Woh.:. nungsnot zu beseitigen.

(Abg. Dr. Hoegner: Drei Jahre nur, hat er gesagt!)

- Dann ist er in der Zwischenzeit noch herunter­gegangen.

(Abg. Dr. Hoegner: In der Begründung sei­nes Plans zur Aufhebung der Wohnungs­bewirtschaftung hat er behauptet: Bis 1961!)

- Das habe ich nicht g'elesen.

Meine Damen und Herren! Das Institut stützt seine Prognose zum Teil auch auf die Beobachtung, daß sich im Zusammenhang mit dem Familienheim­gesetz der Wohnungsbau betont auf ländliche Ge­biete verlagert, während der Wohnungsmangel in stark industrialisierten Gegenden ständig zunimmt. Das ist eine Feststellung, die Ihnen heute jeder Kommunalpolitiker bestätigen kann, und den ge­stern hier genannten Zahlen von München könn­ten gleich eindrucksvolle Zahlen aus einer ganzen Reihe von Städten unseres Landes hinzugesetzt werden. Wir stehen draußen in der Praxis hin­sichtlich der Beseitigung der Wohnungsnot vor einem nahezu unlösbaren Problem, und es steht außer Zweifel, meine Damen und Herren, daß schon jetzt die einseitige Bevorzugung des Fami­lienheims nach § 30 Absatz 1 des Wohnungsbau­gesetzes zu untragbaren Benachteiligungen der Mieter der Genossenschaftswohnungen und damit - wie wir nur allzu deutlich aus der Praxis wis­sen - zu einer ungerechtfertigten Hintansetzung der dar.auf angewieseneniWohnungssuchendenführt. Diese unrealistische Einstellung der besonderen Förderung des Eigenheims nimmt uns, meine Da­men und Herren, im sozialen Wohnungsbau zu einem großen Teil die Möglichkeit, sozial Schwa­chen, die seit Jahren auf eine Wohnung warten, zu helfen. Das ist nicht etwa die Einstellung nur meiner Partei, sondern in weitem Umfang die Auffassung vieler Kommunalpolitiker, wie sie in vielen Veröffentlichungen kommunaler Blätter und Zeitschriften zum Ausdruck kommt. Ich betone ausdrücklich, mit besonderem Nachdruck, meine Damen und Herren, daß wir von unserer Fraktion und Partei her jedem Familienvater von Herzen gern ein Familienheim gönnen. Aber es gibt leider

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(Högn [SPD])

in unserem Lande eine große Anzahl von Familien, die froh wären, wenn sie eine Miet- oder Genos­senschaftswohnung bekommen könnten, um aus unerträglichen Wohnungsverhältnissen herauszu­kommen. Wenn wir diese Not beseitigt haben, wer­den wir die Bestrebungen um das Eigenheim mit aller Kraft und allem Nachdruck unterstützen. Die Pflicht aber, vor allem den sozial Schwächsten zu helfen, zwingt uns jetzt in diesem Augenblick, in dieser Zeit, Kritik an einem Gesetz zu üben, das zu einer Entwicklung führte, die große Verstimmung in unserem Lande hervorrief und den tatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise gerecht wird.

Bedenken Sie weiter, meine Damen und Herren, daß die plötzliche Häufung von Eigenheimen auch die Gemeinden vor die nahezu unlösbare Aufgabe der Erschließung der Baugebiete steilt.

(Zuruf von der SPD)

- Ich komme noch darauf! - Die Gemeinden sind bald nicht mehr in der Lage, die sehr hcihen Ko­sten für die Erschließung des Baugrunds mit Gas, Wasser und Elektrizität aufzubringen, wenn sie sich nicht weiter hoffnungslos verschulden wollen.

.Für viele Gemeinden und Städte ist hier bereits die Grenze erreicht. Der Bayerische Prüfungsver­band öffentlicher Kassen hat kürzlich ermittelt, daß von 59 untersuchten Gemeinden nur mehr 25 die Schuldengrenze noch nicht erreicht haben. Für 21 Gemeinden ist die Neuaufnahme von Schulden nicht mehr möglich; die übrigen 13 Gemeinden be­fänden sich nahe an der Verschuldungsgrenze. Da­zu kommt noch, meine Damen und Herren, die Baulandnot, und nicht zu vergessen, der Grund­stüCkspreiswucher.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Über 100 Prozent sind in der letzten Zeit die Grundstückspreise gestiegen; auch darüber wird wahrscheinlich zu gegebener Zeit in diesem Hohen Hause noch ein ernstes Wort gesprochen werden müssen. Vorerst aber nur soviel: Wir hoffen, daß sich die Bayerische Staatsregierung in Bonn. für ein brauchbares Bundeswohnungsbaugesetz einsetzen wird, weil beide Dinge - ich meine jetzt die Bau­landnot und den Grundstückspreiswucher - in hohem Ausmaß den sozialen Wohnungsbau ge­fährden.

(Abg. Dr. Becher: Sehr richtig, das Pro-blem!~ Sehr richtig! bei der SPD)

Wir sind, konkret gesprochen, der Auffassung, daß in Großstädten, aber auch in Klein- und Mittel­städten, die nach der bayerischen Organisation des Bewilligungsverfahrens nicht selbst Bewilligungs­stellen mit Eigenmittelkontingent sind, die Förde­rung von Stockwerkswohnungen, und zwar schon im sogenannten allgemeinen Programm, möglich sein muß, weil sonst immer mehr ein großer Teil der Wohnungssuchenden ungerecht behandelt wird. Das muß zu großen sozialen Spannungen führen, wie sie teilweise schon vorhanden sind. Um das zu verhindern, meine Damen und Herren, müßte eine Änderung der§§ 26 und 30 des Zweiten Wohnungs­baugesetzes verlangt werden. Wir fragen die

Bayerische Staatsregierung, ob sie bereit ißt, bei der Bundesregierung diese Forderung mit Nachdruck zu vertreten.

Auf die Pläne, die Wohnraumbewirtschaftung langsam aufzuheben, hat schon der Herr Kollege Dr. Hoegner verwiesen - auch der Herr Kollege Dr. Wüllner sprach sie ganz kurz an -, so daß ich mich nur kurz damit zu beschäftigen brauche. Vom gemeindlichen Standpunkt aus, meine Da"." men und Herren, kann man dazu nur sagen, daß auf die Wohnraumbewirtschaftung nicht vorzeitig, d. h. nicht vor Entschärfung der Lage am Woh­nungsmarkt, verzichtet werden kann.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Das, was bisher bekannt geworden ist, bringt keine Entschärfung. Die Wohnraumbewirtschaftung kann zwar keine neuen Wohnungen schaffen, das ist ganz klar, aber wenn diese Wohnraumbewirtschaf­tung funktionsfähig ist, ist sie für die minderbemit­telten Wohnungssuchenden eine erhebliche Stütze. Sie erfüllt unserer Meinung nach immer noch eine wichtige soziale Aufgabe, und daß diese ein Politi­kum ersten Ranges ist, meine Damen und Herren, steht außer Zweifel. Eine überstürzte Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung wird, wie wir si­cherlich wissen, an bestimmten Brennpunkten des Wohnungsbedarfs zu katastrophalen Folgen füh­ren. Wir bitten deshalb die Bayerische Staatsregie­rung und erwarten von ihr, daß sie auch auf die Politik des Bundes in Fragen der Altbaumieten Einfluß nimmt. Wir lehnen auf jeden Fall eine plötzliche Freigabe der Mieten ab, weil eine Er­höhung der Altbaumieten wiederum in einem er­heblichen Ausmaße die minderbemittelten Schich­ten treffen würde. Die Frage ist keineswegs bis in alle Einzelheiten durchdiskutiert und durchdacht worden. Aus den bisher bekanntgewordenen Mit­teilungen sehen wir zu sehr den Einfluß einer be­stimmt~n Interessengruppe, und ich glaube, das scheint selbst der Bundesregierung bewußt gewor­den zu sein; denn sie hat gestern in einer abschwä­chenden und vermittelnden Erklärung einiges nach­gegeben.

Nach der Wohnungszählung vom Herbst 1956 be­trug das bayerische Wohnungsdefizit rund 440 000; es dürfte sich ,bis Ende 1958 auf 300 000 DM verrin­gert haben. Ich kann hier nicht ganz dem Kollegen 'Dr. Heubl folgen, der gestern, wie ich meine, von 250 000 gesprochen hat. Das stimmt wohl so?

(Abg. Dr. Heubl nickt zustimmend)

Ich glaube aber, daß alle Erfahrungen dafür spre­chen, daß von der gegenwärtigen Wohnungsnot, also von diesen 300 000 gesuchten Wohnungen, in erster Linie minderbemittelte Volkskreise, teils auf dem flachen L~nd, noch mehr aber in den Klein-, Mittel- und Großstädten, betroffen sind. Unter­stellt man für Ende 1958 einen bayerischen Woh­nungsfehlbestand von 300 000 Wohnungen und gleichbleibende durchschnittliche Herstellungskosten von rund 23 000 DM je Wohnungseinheit, so ergibt sich für ihre Errichtung ohne die kommunalen Fol­gelasten ein Investitionsbedarf von 6,9, also rund 7 Milliarden DM. Unterstellt nian ferner eine ständig zunehmende Verlagerung des gesamten

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Wohnungsbaues entsprechend der sozialen Struktur der noch Wohnungssuchenden auf den öffentlich ge­förderten Sektor und demzufolge die öffentliche Förderung von etwa 200 000 Wohnungseinheiten mit einem staatlichen Baudarlehen von durchschnittlich 12 000 DM, so beläuft sich der Aufwand an Kapi­talsubventionsmitteln auf rund 2,4 Milliarden DM. Wenn die Wohnungsnot in spätestens 6 Jahren, ich sage: 6 Jahren, beseitigt werden soll, dann müßten demnach in Bayern jährlich rund 400 Millionen DM Kapitalsubventionsmittel zur Verfü­gung stehen. Das Gewicht und die Problematik dieser Größenordnung wird kaum abgeschwächt, wenn man etwa nur ein Durchschnittsdarlehen von 10 000 DM je Wohnungseinheit annimmt, so daß sich der Gesamtbedarf an Kapitalsubventions­mitteln auf rund 2 Milliarden DM, der Jahres­bedarf auf 340 bis 400 Millionen DM stellen würde.

Allein schon dieser Betrag, meine Damen und Herren, übersteigt die zukünftig jährlich zu er­wartenden Kapitalsubventionsmittel ganz' erheb­lich. Wir müssen nämlich dabei berücksichtigen, daß die vom Bund für den Wohnungsbau zugun­sten von Sowjetzonenflüchtlingen, Spätaussiedlern und ihnen gleichgestellten Personen bereitgestellten Mittel, wie Sie wissen, der Befriedigung eines spe­ziellen Bedarfs an Wohnungen dienen, der im all­gemeinen Wohnungsbedarf nicht enthalten ist. Läßt man, meine Damen und Herren, beispielsweise die im Jahre 1959 vom Bund zu erwartenden Son­dermittel dieser Art außer Betracht, so werden im Lande Bayern in diesem Jahr Kapitalsubventions­mittel in Höhe von etwa 154 Millionen DM zur Verfügung stehen. Von diesem Vorhaben müssen Sie rund 74 Millionen DM für solche Vorhaben abzie­hen, von denen ich eben sprach. Zur schlüssel­mäßigen Verteilung auf die Bewilligungsstellen verbleiben also rund 80' Millionen DM.

Der wohnungswirtschaftliche Gesamteffekt der vorgenannten Mittel kann etwa wie folgt geschätzt werden, bei 10 000 DM Durchschnittsdarlehen je Wohnungseinheit: Aus Schlüsselzuweisungen 8000 Wohnungseinheiten, Sonderbaumaßnahmen 3000, zusammen 11 000.

Hinzu kommt, meine Damen und Herren, das 3. Zins- und Tilgungsbeihilfeprogramm, und hier sollen, wie Sie wissen, etwa 7000 Wohnungen ge­fördert werden, so daß sich die Gesamtförderungs­leistung von rund 18 000 ergeben wird, die natür­lich ziffernmäßig, ich sage: ziffernmäßig, ergänzt wird durch die Förderung von rund 10 000 Woh­nungen für Sowjetzonenflüchtlinge und Spätaus­siedler. Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie verstehen mich richtig: ich gönne jedem Sowjet­zonenflüchtling seine Wohnung; aber diese 10 000 Wohnungen sind für den Abbau des allgemeinen Wohnungsbaudefizits so gut wie ohne Belang. Un­terstellt man ein jährliches Förderungssoll von 200 000 Wohnungseinheiten, geteilt durch 6 Jahre - rund 34 000 des allgemeinen Bedarfs -, so zeigt die Durchrechnung, daß die verfügbaren Kapital­subventionsmittel und Zins- und Tilgungsbeihilfe­mittel nur für die Förderung von rund der Hälfte davon reichen.

Es wäre jedoch verfehlt, meine Damen und Herren, die hier für das Jahr 1959 überschlägig angestellten Berechnungen des Mittelaufkommens auch für die Folgejahre anwenden zu wollen. Denn Sie wissen, daß die Bundeshilfe und Wohnraum­hilfemittel für den allgemeinen sozialen Wohnungs­bau gesetzlich auch weiterhin der zehnprozentigen Degression unterliegen, daß ferner die Weiterent­wicklung der Baukosten und der damit verbun­dene wandelbare Bedarf an Mitteln für das Durchschnittsdarlehen - Stabau - nicht über­blickt werden kann und daß es ungewiß ist, ob auch in den weiteren Jahren zusätzliche Zins-und Tilgungsbeihilfen aus reinen Landesmitteln ge­währt werden.

Von diesen drei Faktoren steht der Faktor jähr­licher Degression ohne Änderung der gegenwärti­gen Rechtslage absolut fest. Das bedeutet, daß Bayern schon 1960 wiederum 10 Millionen DM we­niger allgemeine Bundesmittel und vielleicht 2 bis 3 Millionen DM weniger Wohnraumhilfemittel er­halten wird, eine Entwicklung, meine Damen und Herren, die sich in den folgenden Jahren gleich­bleibend fortsetzen muß und wird. Die Gesamt­tendenz geht jedenfalls dahin, daß sich der Bund zunehmend aus der Kapitalsubvention des allge­meinen Wohnungsbaues zurückzieht; das hat zur Folge, daß das Land von Jahr zu Jahr immer grö­ßere Beträge dafür bereitstellen müßte, wenn man die erforderliche Wohnbauleistung halten will ..

Aus dieser Gesamtsituation heraus, meine Da­men und Herren, 1ergibt sich für uns die nicht nur wohnungs-, sondern auch sozial- und allge­meinpolitisch wichtige und schwerwiegende Frage, ob wir den deutlich auf Reduzierung des allge­meinen sozialen Wohnungsbaues ausgerichteten Trend als unabänderlich hinnehmen wollen oder welche Maßnahmen dagegen getroffen werden kön­nen. Wir meinen, daß die eigenen Anstrengungen des Landes in dieser Hinsicht verstärkt werden müssen, und wir werden dafür geeignete, und wie wir auch meinen, durchführbare Anträge vorlegen. Wir meinen weiter, daß Einwirkungsmöglichkeiten auf den Bund genommen werden müssen, die dar- · auf abzielen, dessen Leistungen auf die Errei- . chung des eing·angs erwähnten wohnungswirt-'. schaftlichen Ziels, der Beseitigung der Wohnungs­not in 6 Jahren, auszurichten.

Wir meinen vor allem, meine Damen und Her­ren, daß keine überstürzten Maßnahmen getroffen werden dürfen, wie sie durch den Bundeswohnungs­bauminister angekündigt sind. Wir glauben, daß ein Teil dieser Forderungen, wenigstens ein Teil, erreicht werden kann, wenn sich die Staatsregie­rung beim Bund dafür einsetzt, daß die Degres­sion der Bundesmittel nach § 18 des Wohnungs­baugesetzes für einige Jahre unterbleibt, und wir ersuchen die Landesregierung, sich beim Bund da­für einzusetzen, daß die Rangfolgeregelung des § 30 Absatz 1 Wohnungsbaugesetz in Verbindung mit dessen § 26 Absatz 1 wesentlich gelockert wird. Wir wären dankbar, wenn die Bayerische Staatsregierung uns eine klare Antwort auf eine Frage geben würde:

Ist die Bayerische Staatsregierung bereit, ab

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(Högn [SPD])

sofort von den Möglichkeiten des § 30 Ab­satz 2 des Wohnungsbaugesetzes nicht nur in Form geschlossener Sonderprogramme, son­dern auch beim sog. allgemeinen Programm, soweit es nicht schon Zweckbindungen enthält, in einer Weise Gebrauch zu machen, die den Bau von Miet- und Genossenschaftswohnungen für Personen mit geringem Einkommen aus­reichend gewährleistet, vor allem in solchen 1Städten, die nicht selbst Bewilligungsstellen sind?

Meine Damen und Herren, zum Schluß! Vor un­serem konf!iktgeladenen weltpolitischen Hinter­grund erscheinen manchmal innerpolitische Sorgen, die unseren Alltag bedrücken, fast zweitrangig. Dennoch wäre es falsch, ja verderblich, sie aus den Augen zu lassen. Äußere Ordnung setzt innere Ordnung voraus, und dazu gehört auch die Funk­tionsfähigkeit unserer Gemeinden draußen. Und diese Funktionsfähigkeit der Gemeinden hängt ne­ben vielen anderen sehr wichtigen Faktoren aber auch davon ab, daß sie allen Menschen wenigstens zu einer einigermaßen erträglichen und anständi­gen Wohnung verhelfen. Ich darf zum Schluß noch zitieren, was Herr Oberbürgermeister Fischer aus Kempten - kein Parteigenosse von mir -schreibt:

„Die Gemeinden sind auch im Wohnungsbau am Ende der finanziellen Kräfte wie am Ende der Grundstücksdispositionen." ·

Er sagt weiter: „Mögen sie alle recht haben, die mit den Theo­rien und Plänen und dem eigentumfördern­den Eifer! Aber wie man die Wohnungsämter nach zehn Jahren Wohnungsnot mit einiger­maßen Aussicht auf eine Beendigung befreit von denen, die zum hun9.ertsten Mal schreiben, weinen, schimpfen und verzweifeln, das ist die Aufgabe!'1 ·

Und darum heißt die Antwort auf die so fleißig strapazierte Parole: „Eigenheime soviel wie mög­lich, Mietwohnungen soviel wie nötig!": Was mög­lich ist, so 11 e n wir tun, was nötig ist, müssen wir tun!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Ehard: Damit ist die Aussprache geschlossen. Abschließend nimmt der Herr Mini­sterpräsident das Wort.

Ministerpräsident Dr. Seidel: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach der Beendigung der Aussprache über die Regierungserklärung, die ich am 15. Januar dem Hohen Haus abgeben durf­te, ,mögen mir noch einige Bemerkungen erlaubt sein.

Zunächst freue ich mich, einer polemischen Aus­einandersetzung enthoben zu sein. Die Ausspra­che hat sich in einer Weise vollzogen, daß ich mir Polemik ersparen kann. Im übrigen ist sie in den wenigen Fällen, wo sie notwendig war, vom Frak­tionsvorsitzenden der ChristliCh-Sozialen Union, vom

Herrn Kollegen Dr. Heubl, ebenso elegant wie überzeugend geführt worden.

(Lebhafter Beifa~l bei der CSU)

Meine Damen und Herren! Nicht nur im Le­ben, nicht nur in jeder menschlichen Gemeinschaft, sondern erst recht in der Politik ist es nun ein­mal so, daß derjenige, der sät, und derjenige, der el'ntet, nicht immer der gleiche ist. Wer zum Dienst an der Öffentlichkeit berufen ist, muß diese Einsicht in sein Bewußtsein versenken, weil er sonst Gefahr läuft, vom Ressentiment übermannt zu werden lind seine Glaubwürdigkeit und seine Überzeugungskraft zu verlieren. Es scheint gele­gentlich vergessen zu werden, daß nach dem Zu­sammenbruch des Jahres 1945 die erste verfassungs­mäßig zustandegekommene Regierung unseres Landes den Präsidenten dieses Hohen Hauses, Herrn Dr. Hans Ehard, zum Ministerpräsidenten hatte. Über acht lange und harte Jahre hat er ,die Last der Verantwortung getragen, und niemand kann leugnen, daß unter ihnen die dunkelsten Jahre nicht nur der deutschen, sondern auch der bayerischen Geschichte waren.

(Sehr wahr! bei der CSU)

Er hat vieles gesät und manche Ernte eingebracht. Er hat aber auch gesät, ohne zu ernten, und der Herr Kollege Dr. Hoegner kann es uns nicht ver­übeln, wenn wir ihn bei allem schuldigen Re­spekt darauf hinweisen, daß auch er - und ge­rade er - von 1955 bis zum Oktober 1957 mit sei­ner Regierung unmittelbar und mittelbar Nutznie­ßer der Arbeit seines Vorgängers gewesen ist.

(Lebhaftes Sehr richtig! bei der CSU und dem GB)

Man kann mtr·persönlich wirklich nicht den Vor­wurf machen, daß ich die Arbeit meines Vorgängers nicht entsprechend gewürdigt hätte. Ich habe das mehrmals getan.

(Abg. Dr. Hoegner: Ein weißer Rabe!)

Aber wir sind nicht dazu da, ständig in die Ver­gangenheit zurückzugreifen oder gar uns gegensei­tig Elogen zu machen,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

sondern wir sind dazu da, den Weg in die Zukunft zu suchen und zu nehmen.

(Sehr richtig!)

Mit der Regierungserklärung vom 15. Januar habe ich versucht, dem Hohen Hause mitzutei­len, wie sich die Regierung, die zu führen ich die Ehre habe, diesen Weg vorstellt. Sie dürfen es mir glauben, daß ich mich aufrichtig gefreut habe, als ich feststellen konnte, daß die von mir bekannt­gegebenen Ziele in allen wesentlichen Punkten auch von der Opposition mindestens in ihrem Prin­zip und in ihrer Notwendigkeit anerkannt worden sind. Ich bedaure es deshalb, daß ich durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Ho e g n er gezwungen werde, nochmals wenigstens einen kurzen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Daß die Regierung Dr . .Hoegner ihre Sonder­leistungsprogl'amme, insbesondere ein solches über

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(Ministerpräsident Dr. Seidel)

8000 Wohnungen für Minderbemittelte und eines über den Bau von 1470 km Straßen nicht nur auf­gestellt, sondern auch durchgeführt hat, ist von mir noch nie bestritten worden. Aber der Herr Kollege Dr. Hoegner vergißt immer eine sehr wesentliche Tatsache: Diese Sonderleistungspro­gramme sind durchgeführt worden, obwohl sie nicht finanziert waren. Sie zu finanzieren blieb leider meiner ersten Regierung vorbehalten. Es tut mir leid, damit noch einmal auf die Frage eingehen zu müssen,

(Abg. Dr. Hoegner: Mit kurzfristigen Krediten finanziert worden!)

die schon mehrmals die Gemüter bewegt hat. Aber Herr Kollege Dr. Hoegner hat mich mit seinen Be­merkungen ganz einfach dazu herausgefordert. Es war das Pech seiner Regierung, daß sie mit diesen beiden Programmen, die im Sommer 1955 im An­leiheweg finanziert werden sollten, ausgerechnet in dem Zeitpunkt herausgekommen ist, in dem die Bank deutscher Länder den Diskontsatz herauf­gesetzt hat, um die überhitzte Konjunktur - wie man damals sagte -, namentlich im Bausektor, zu dämpfen. Mit dieser Maßnahme der Bank deutscher Länder wurde die erste Blüte des deut­schen Kapitalmarkts geknickt, und mit der Auf­nahme von Anleihen für Sonderleistungsprogram­me war es vorbei. Sehen Sie, Herr Kollege Dr. Hoegner, das wissen wir alle, und das haben wir auch nie bestritten. · ·

Zuruf von der SPD: Na also! - Abg. Dr. Hoegner: Es ist der Vorwurf gemacht wor­den, daß wir keine Kredite aufgenommen

haben!)

Das Finanzministerium, das gleichwohl die Mittel für die Sonderleistungsprogramme laufend zur Verfügung gestellt hatte, kam in eine arge Klemme und mußte bereits wenige Monate später, nämlich im Januar 1956, überstürzt kurzfristige Schatz­anweisungen auf dem Geldmarkt zu den damals nicht sehr billigen Bedingungen unterbringen, nur um die Zahlungsbereitschaft der Staatskasse auf­rechtzuerhalten. Im Außerordentlichen Haushalt waren am Ende des Rechnungsjahres 1956 bereits Ausgaben in Höhe von rund 67 Millionen DM un­gedeckt. Bis zur Übernahme der Regierung durch mein erstes Kabinett hat sich dieser ungedeckte Betrag auf rund 220 Millionen DM erhöht. Dies war die Situation, die ich vorfand, und niemand kann die Richtigkeit dieser Situation bestreiten. Erst anfangs 1958 konnten die zur Deckung dieser Ausgaben dringend benötigten Anleihen beschafft werden. Wenn also der Herr Kollege Dr. Hoegner das Verdienst für die Durchführung der Sonder­leistungsprogramme in Anspruch nimmt - wie ich zugebe: völlig zu Recht in Anspruch nimmt -, so nehme ich - und ich glaube ebenfalls zu Recht - für meine Regierung in Anspruch, die finanziel­len Schwierigkeiten überwunden zu haben, in die die Regierung Dr. Hoegner den Bayerischen Staat durch diese Sonderleistungsprogramme gebracht hat.

(Beifall bei der CSU - Abg. Dr. Hoegner: Weil das Geld billiger geworden war!)

- Das mag sein, Herr Kollege Dr. Hoegner; das ändert aber doch nichts an der Tatsache!

(Abg. Gabert: Das hätte unser Fina!lzminister genauso gemacht!)

Aber, meine Damen und Herren, noch efo Zwei­tes ist zu diesem Sonderleistungsprogramm zu sa­gen. Wie schon ihr Name besagt, waren es einma­lige Programme, mit denen zusätzliche Leistungen erbracht werden sollten. Das hat aber in unsere Baukonjunktur und auch in unsere Staatsfinanzen eine Unstetigkeit hineingebracht, die nicht nur unbefriedigend war, sondern die auch außer­ordentlich gefährlich zu werden drohte. Tatsäch­lich - und das wird mir der Herr Kollege Högn, der ja ein .besonderer Kenner der Materie ist, be­stätigen - stieg im Baujahr 1956 die Produktion an staatlich geförderten Wohnungen auf 40 000, während die Zahl im Baujahr 1957 auf 28 000 zurückfiel.

(Abg. Dr. Hoegner: Wegen der Eigenheime!)

Deshalb lehnt meine Regierung derartige Sonder­leistungsprogramme ab. Sie ist vielmehr bestrebt, ati.f dem Gebiet des Wohnungs- und des Straßen­baus einen möglichst hohen Stand zu halten, aber, meine Damen und Herren, einen Stand, der nicht nur bauwirtschaftlich und finanzpolitisch erzielbar ist, sondern der auch durch mehrere Jahre hin­durch gleichmäßig gehalten werden kann.

(Zuruf aus der CSU: Bravo!)

Ich glaube, daß dies ein gesundes Prinzip ist.

Zu dem Thema kommunaler Finanzausgleich hat der Herr Kollege Dr. Hoegner bemerkt, daß er über die Einzelheiten der Finanzausgleichsverbesserungen 1959 gern etwas mehr gehört hätte. Ich darf des­halb darauf hinweisen, daß die Besprechung des Herrn Staatsministers der Finanzen mit den kom­munalen Spitzenverbänden über die Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs 1959 bereits am 8. Januar dieses Jahres stattgefunden hat und daß, wie aus der Presse und namentlich aus dem „Land­tagsdienst" zu entnehmen war, die Finanzaus­gleichsverbesserungen für das Rechnungsjahr 1959 insgesamt 26,6 Millionen DM betragen. Zusammen mit der Finanzausgleichsverbesserung des Rech­nungsjahres 1958 in Höhe von rund 34 Millionen DM ergibt sich daher eine Gesamtverbesserung um mehr als 60 Millionen DM für diese beiden Rechnungsjahre. Es wird schwerlich in Abrede ge­stellt werden können, daß mit diesen erheblichen Verbesserungen der Staat tatsächlich bis an die äußerste Grenze seiner Leistungsfähigkeit gegan­gen ist. Die Einzelheiten der Finanzausgleichsver:. besserungen 1959 werden in der Haushaltsrede des Herrn Staatsministers der Finanzen dargelegt wer­den. Sie bestehen in der Hauptsache in einer Er­höhung der Schlüsselmasse der Polizeikostenzu­schüsse, der Mittel für den kommunalen Straßen­und Schulhausbau sowie der Überlassung der zweiten Hälfte des Kostenaufkommens an die Landkreise. Ich möchte jedoch ausdrücklich be­tonen, daß diese Finanzausgleichsverbesserungen nicht im luftleeren Raum stehen und auch kein „Als-ob-Programm" darstellen, sondern im !Iaus­halt 1959 veranschlagt sind. Was die Verbesserun-

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(Ministerpräsident Dr. Seidel)

gen aus dem Staatshaushalt 1958 betrifft, so sind die erhöhten Beträge nicht nur veranschlagt, son­dern auch bereits, und zwar ohne jede Kürzung, zur Verfügung gestellt.

Wenn schließlich der Herr Kollege Dr. Hoegner gemeint hat, es seien in den von mir behandelten Fragen ganz allgemein zu wenig konkrete Anga­ben gemacht worden, so möchte ich sagen, daß überall, wo in der Regierungserklärung von finan­ziellen Leistungen überhaupt und besonders von größeren finanziellen Leistungen die Rede ist, diese Leistungen bereits festgelegt und mit dem Finanz­ministerium vereinbart sind. Es sind übrigens keine Wunschvorstellungen, die ich in den blauen Him­mel gezaubert habe, sondern es sind wohlüberlegte und auf ihre Realisierbarkeit sehr genau geprüfte Absichten, die in den Rahmen unserer Möglichkei­ten eingepaßt sind und die auch verwirklicht wer­den, wenn das Hohe Haus bei den Etatberatuµgen seine Zustimmung nicht versagt. Das gilt auch für den sozialen Wohnungsbau, Herr Kollege H ö g n, über den wir uns bei den Etatberatungen noCh eingehend unterhalten können und von dem Sie sicherlich nicht behaupten wollen, daß er im ver­gangenen Jahr vernachlässigt worden wäre.

(Abg. Högn: Das habe ich nicht gesagt; ich habe nur die zukünftige Entwicklung ge­

meint!)

Es war zu erwarten, daß der Herr Kollege Dr. Hoegner und natürlich erst recht der Herr Kollege von Knoeringen den sogenannten Rucker-Plan ansprechen würden. Ich habe mich direkt gefreut darauf, den Herrn Kollegen von K n o er in gen wieder einmal zu hören, und es hat mich nicht überrascht, daß er mit dem gleichen Elan eine Sache vertreten hat, von der wir wissen, daß sie ihm eine Herzensangelegenheit ist, und die wir schon deshalb zu respektieren wissen. Aber, Herr Kollege von Knoeringen, wir weigern uns nach wie vor, eine Addition von Wünschen als einen Plan anzuerkennen.

(Sehr gut! und Beifall bei der CSU)

Eine solche Bedarfsberechnung mag notwendig und nützlich sein, ein Plan ist sie nicht. Unter einem Plan verstehen wir die Vorstellung, wie ein Problem gelöst werden soll, welcher Weg zu be­schreiten ist, und vor allem, woher die Mittel, be­sonders die finanziellen Mittel, die notwendig sind, genommen werden sollen.

(Sehr richtig! und Beifall bei der CSU und der FDP)

Aber all das war gar nicht Gegenstand des soge­nannten Rucker-Plans. Damit verkleinern wir kei­neswegs das Verdienst, das sich Herr Kollege Dr. Hoegner und sein Kultusminister erworben haben, als auf Anregung Bayerns das Verwaltungsab­kommen zwischen Bund und Ländern vom Jahre 1957 zustande kam, auf Grund dessen dann im Fe­bruar 1.958 der Wissenschaftsrat gegründet wurde. Es bleibt aber dabei, und Sie können uns das nicht verübeln, daß der sogenannte Rucker-Plan nur eine einfache und noch dazu ungenaue Be-

darfsberechnung war. Er sammelte die Anmeldun­gen der einzelnen Hochschulen und Forschungs­institute nach rohen Schätzungen, ohne sie zu ver­werten. Das Ergebnis war naturgemäß eine gewal­tige Summe von Bedarf. Erst. jetzt, und zwar im Jahre 1958/59, werden vom Wissenschaftsrat die von den Hochschulen und Forschungsinstituten damals oder später vorgelegten Wünsche und An­meldungen durch Erhebungen an Ort und Stelle durch besondere Prüfungskommissionen nachge­prüft und entsprechend korrigiert. Im Februar die­ses Jahres bereist zum Beispiel eine Prüfungskom­mission des Wissenschaftsrats die bayerischen For­schungseinrichtungen. Ein großer Teil der Rucker­schen Zahlen ist heute nach drei Jahren, zumin­dest soweit die Forschung in Betracht kommt, über­haupt nicht mehr verwendbar. Die Forschung ist seitdem mitunter andere Wege gegangen. Anderer­seits sind der Bund und andere Organisationen ein­gesprungen und haben ,den Bedarf zu befriedigen gesucht. Durch das Abkommen vom Jahr 1957 hat der Wissenschaftsrat die Befugnis erhalten, eine Ge­samtplanung für Bund und Länder unter Zu­grundelegung der Bundes- und Ländervorhaben aufzustellen. Er tut dies zunächst jeweils für ein Jahr, und zwar unter Zugrundelegung der vom Bund bereitgestellten Mittel. Der Ausschuß des Wissenschaftsrats hat seine Arbeiten für 1958 schon abgeschlossen. Der Ausschuß ist nunmehr für das kommende Haushaltsjahr an der Arbeit. Diese je­weils auf ein Jahr bezogene Verteilung setzt natür­lich voraus, daß jedes Land seinen Bedarf jeweils für ein Jahr anmeldet. Soweit in der Gesamtplanung des Wissenschaftsrats also der Bedarf für 1959 be­friedigt ist, hätte es keinen rechten Sinn, ihn noch­mals für 1960 anzumelden. Die Anmeldungen Bay­erns für 1959 im Rahmen der vom Bund bereit­gestellten Mittel sind durch das Kultusministerium nach dem Benehmen mit den Hochschulen erfolgt. Mit der Aufstellung 1960 wird begonnen, sobald die Bewilligungen für 1959 vorliegen. Es ist also eine sehr mühselige Methode, die da erarbeitet worden ist, eine Methode, die leider keinen Raum läßt für, sagen wir einmal, großartige Überlegun­gen; aber ich glaube, daß es eine Methode ist, die zu einem praktischen Ergebnis führen kann. Im übrigen, meine Damen und Herren: Selbstver­ständlich erfolgt die Wissenschaftsförderung in Bay­ern nicht aus dem Handgelenk, sondern planvoll. Zu einer planvollen Förderung gehört insbesondere die Vermeidung von Überschneidungen und von Doppelarbeit. Es würde aber nicht recht in die gegenwärtige Entwicklung passen und es wäre da­her nicht planvoll, nun vom Land her einen neuen Plan von vier Jahren oder gar noch länger aufzustellen, während die Gesamtplanung vom Wissenschaftsrat, jedenfalls gegenwärtig, noch für nur ein Jahr vorgenommen wird. Es wäre auch unrationell, die der Ruckerschen Bedarfsberech­nung zugrunde liegenden Zahlen, die den damali­gen Anmeldungen entsprachen und meist längst überholt sind, nunmehr von Bayern aus durch neue, auf genauer Überprüfung des gegenwärtigen Bedarfs beruhende Zahlen zu ersetzen, nachdem genau die gleiche Überprüfungstätigkeit zur Zeit vom Deutschen Wissenschaftsrat durch die genann-

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ten Kommissionen vorgenommen wird. Es wäre -Sie werden mir das zugeben - ganz offensichtlich eine wenig Nutzen bringende Doppelarbeit.

Aber, meine Damen und Herren, neben diesen auf der Methode der Ausschüttung beruhenden Bedenken hat sich in der letzten Zeit in den gro­ßen wissenschaftsfördernden Gremien wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem Wis­senschaftsrat wiederholt eine neue Frage ergeben, die bisher noch nicht ausdrücklich behandelt oder gelöst worden ist, aber in vielen Überlegungen be­reits anklingt. Wir haben in den letzten Jahren eine geplante, expansive und extensive Tätigkeit der deutschen Wissenschaft erlebt. Man muß nur ins Ausland gehen und sich einmal das dortige Urteil anhören, um zu erkennen, daß in Deutschland in dieser Frage sehr viel getan worden ist.

(Abg. Zietsch: Zu wenig!)

Nach dieser Richtung brauchen wir offensichtlich neue Impulse nicht zu geben; Die Entwicklung ist im vollen Lauf und Bayern ist in allen Gremien wirksam vertreten.

Wir brauchen nunmehr vor allem eine nach in­nen gelenkte, stille Forscherarbeit mit experimen­tellen und literarischen Ergebnissen, für die eine Gesamtplanung, wie Sie mir zugeben werden, von geringer Bedeutung ist. Eine Gesamtplanung eig­net sich vorzugsweise für den Aufbau von Organi­sationen, für Bauvorhaben und für Mittelausstat­tungen. Die nach innen gelenkte Forscherarbeit wird vor allem ermöglicht durch Entlastung der Forscher von neuer Organisations- und Verwal­tungsarbeit. Auch in früheren Jahrzehnten hat die Wissenschaft vor allem Zeit und Muße gebraucht, um nach innen tätig zu sein, und sie hat dadurch in Deutschland Hervorragendes geleistet.

Meine Damen und Herren! Der zweite Sprecher der Opposition, der Herr Abgeordnete Dr. Pan -h o 1 z er, hat einige Fragen angeschnitten, mit denen man sich wohl auseinandersetzen muß. Zu­nächst hat er sich in seinen Ausführungen mit der Errichtung einer Gesandtschaft des Freistaates Bayern beim Heiligen Stuhl beschäftigt. Was ist dazu zu sagen? Schon bald nach Beendigung des Krieges wurde die Wiedererrichtung der bis 1933 bestehenden bayerischen Gesandtschaft beim Hei­ligen Stuhl erwogen. Die Pläne stießen zunächst auf den Widerstand der Besatzungsmacht und konn­ten daher vor der Wiedergewinnung der deutschen Souveränität nicht weiter verfolgt werden. Erst nach Errichtung der Bundesrepublik gewannen da­her diese Pläne Gestalt.

Im April 1954 hat der derzeitige Staatsminister für Unterricht und Kultus, Herr Professor Dr. Maunz, im Auftrag der Staatsregierung ein aus­führliches Rechtsgutachten über die Befugnis Bay­erns erstattet, eine Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl zu errichten. Das Gutachten kam zu dem Er­gebnis, daß ke.i.nerlei verfassungs- oder völkerrecht­liche Gründe einer Wiedererrichtung der bayeri­schen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl entgegen­stehen. Das Gutachten stellte fest, daß zwar den deutschen Ländern das Gesandtschaftsrecht im

Verhältnis zu auswärtigen Staaten nicht zustehe, der Heilige Stuhl jedoch trotz seiner anerkannten Eigenschaft als Subjekt des Völkerrechts nicht zu den auswärtigen Staaten zähle. Nach der im Grundgesetz vorgenommenen Aufgabenverteilung würden den Ländern Aufgaben obliegen, welche die Einrichtung von Landesgesandtschaften beim Vatikan rechtfertigen könnten. Weder das Grund­gesetz noch die Bayerische Verfassung noch das Be­stehen einer Vertretung des Bundes beim Vatikan schlössen die Errichtung von Landesgesandtschaf­ten bei diesem aus. Das war das wesentliche Er­gebnis des Maunzschen Gutachtens.

Im Jahre 1954 nahm die Bayerische Staatsregie­rung auch mit dem Heiligen Stuhl und der Bun­desregierung wegen der Errichtung einer bayeri­schen Gesandtschaft beim Vatikan Fühlung auf. Nach der Bestellung eines deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl gewannen die Bestrebungen Bayerns greifbare Gestalt. Der Heilige Stuhl ließ auch durch den Mund des verstorbenen Papstes Pius XII. Bayern wissen, daß er der Errichtung einer bayerischen Vatikan-Gesandtschaft wohl­wollend gegenüberstehe. Mit der Bundesregierung wurden ebenfalls Verhandlungen eingeleitet, die zu deren Einverständnis mit der Wiedererrichtung der bayerischen Vatikan-Gesandtschaft führten; Mit Schreiben vom 23. November 1954 an den da­maligen bayerischen Ministerpräsidenten Dr. I_Ians Ehard bestätigte der Bundeskanzler dieses Einver­ständnis und bat lediglich, vor der Bestellung des bayerischen Gesandten mit ihm Fühlung zu nehmen, um ein gutes Einvernehmen zwischen den Vertre­tern des Bundes und Bayerns beim Vatikan sicher­zustellen.

Meine Damen und Herren! Da wenige Tage nach dem Eintreffen dieses Schreibens die damalige Staatsregierung zurücktrat, konnten weitere Schritte von ihr nicht mehr unternommen werden. Soweit ich feststellen konnte, hat die Vierer-Koali­tion die Errichtung einer bayerischen Gesandt­schaft beim Heiligen Stuhl nicht weiter verfolgt. Ich kenne die Beweggründe nicht.

(Abg. Dr. Becher: Herr Ministerpräsident, ich glaube, die Bestellung eines bayerischen Sonderbeauftragten zur Hilfe für Berlin wäre etwas nützlicher, als den Herzens­wunsch des Herrn Kollegen Dr. Panholzer

zu erfüllen!)

- Ich glaube, Herr Kollege Dr. Becher, daß es trotzdem nützlich war, diese Frage, nachdem sie einmal angeschnitten ist, zu beantworten.

(Beifall bei der BP - Abg. Dr. Becher: Eine völlige Verkehrung der Schwergewichte!)

Sie, Herr Kollege Dr. Panholzer, müßten eigent­lich die Motive besser wissen; denn Sie waren ja Mitglied dieser Regierung.

(Sehr gut! bei der CSU)

Sie müßten also besser wissen als ich, warum man es unterlassen hat, der Frage weiterhin nachzu­gehen.

Meine Damen und Herren! Ob heute, nach dem Tode des mit Bayern so eng verbundenen Papstes Pius XII„ die Verhältnisse für die Errichtung einer

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(Ministerpräsident Dr. Seidel)

bayerischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl noch genauso günstig liegen wie Ende 1954, läßt sich im Augenblick nicht sagen. Es müßten neue Ver­handlungen mit dem Heiligen Stuhl aufgenommen werden, um festzustellen, ob Papst Johannes XXIII. in dieser Frage die Auffassung seines Vorgängers teilt. Es liegt auf der Hand, daß solche Verhand­lungen mit großer Delikatesse und ohne öffent­·liche Diskussion geführt werden müßten. Ein Be­schluß darüber, ob sie eingeleitet werden sollen, liegt der neuen Staatsregierung nicht vor.

Was die weitere, von Herrn Kollegen Dr. Pan­holzer angeschnittene Frage des bayerischen Be­vollmächtigten beim Bund anlangt, so möchte ich die Auffassung der derzeitigen Staatsregierung fol­gendermaßen präzisieren.

Wahrscheinlich ist die Staatlichkeit unseres Lan­des besser unterstrichen, wenn der Bevollmächtigte beim Bund wie ein Botschafter ein den Weisun­gen der Staatsregierung unterliegender Beamter ist. Er hat viel mehr Möglichkeiten diplomatischer Art und kühler Zurückhaltung als etwa ein Kabi­nettsmitglie.d, das in der politischen Auseinander­setzung steht und mancherlei Rücksichten zu neh­men hat, die ein beamteter Bevollmächtigter igno­rieren kann.

(Sehr richtig! bei der CSU)

Im übrigen ist entscheidend, ob das Land gut oder schlecht vertreten wird. Wir glauben, daß es aus­gezeichnet vertreten ist und daß schon die Rück­sicht auf die Staatsvereinfachung die Betrauung eines Kabinettsmitglieds mit dieser Aufgabe ver­bieten müßte.

(Sehr gut! bei der CSU)

Herr Dr. Panholzer hat auch die Frage aufge­worfen, ob sich die Staatsregierung über die mög­lichen Schwierigkeiten, die sich für unser Land aus dem Gemeinsamen Markt ergeben können, bereits Gedanken gemacht hat. Ich kann diese Frage be­jahen. Ich hatte ursprünglich vor, dazu einige Aus­führungen zu machen, möchte sie aber in Anbe­tracht der fortgeschrittenen Zeit unterlassen. Denn ich glaube, daß das Hohe Haus so viel Ver­trauen zur Staatsregierung haben wird, daß wir dies.er so wichtigen Frage ein ganz besonderes Augenmerk zuwenden werden.

(Bravo! bei der CSU)

Schließlich hat Kollege Dr. Panholzer, unter­stützt vom Herrn Kollegen B an t e 1 e , die von der Bayernparte'i bereits mehrmals erhobene Forde­rung wiederholt, daß der Bundesanteil am Auf­kommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer zugunsten der Länder gesenkt werden soll. Er hat gewissermaßen als N ahziel oder Sofortprogramm diesen Gedanken dahingehend variiert, daß der Bund zunächst auf seinen Anteil an der Lohn­steuer verzichten solle. Meine Damen und Herren! Die Verbesserung nicht nur des horizontalen, sondern auch des vertikalen Finanzausgleichs zu­gunsten unseres Landes liegt meiner Regierung sehr am Herzen. Dies glaube ich in der Regierungserklä­rung überzeugend dargetan zu haben. Ob aber eine

Senkung des Bundesanteils unter den einengenden Voraussetzungen des Artikels 106 Absatz 4 und 5 des Grundgesetzes bei den Organen des Bundes durchsetzbar ist, ob insbesondere im Bundestag da.,. für eine Mehrheit gewonnen werden könnte, ist jedoch mehr als zweifelhaft, zumal der Bundes­finanzminister darauf hinweisen kann, daß die gu­ten Zeiten des Bundeshaushalts vorüber sind. Aber ich darf noch auf einen anderen Gesichtspunkt hinweisen. Eine Senkung des Bundesanteils käme zwar selbstverständlich auch unserem Lande, aber - und das scheint mir sehr wichtig zu sein - un­verhältnismäßig stärker den reicheren Ländern und den Hansestädten zugute.

(Beifall bei den Koalitionsparteien)

Das ist dl.e zwangsläufige Folge unserer Steuer­schwäche. Im Rechnungsjahr 1957 hat das Bundes­aufkommen an Einkommen- und Körperschaft­steuer, also einschließlich Bundesanteil, je Kopf der Bevölkerung im Bundesgebiet 305 Mark, in Nord­rhein-Westfalen 358 Mark, in Bayern aber nur 234 Mark betragen. Würde der Bundesanteil ge­senkt, so würde für jede D-Mark, die unserem Lande je Kopf der Bevölkerung mehr zufließt, dem Land Nordrhein-Westfalen je Kopf seiner Bevölkerung ein Mehrbetrag von 1,53 DM zuflie­ßen.

(Abg. Zietsch: Und im Länderfinanzausgleich sich zugunsten Bayerns auswirken!)

- Ich komme gleich darauf! Das Bedürfnis einer noch weitergehenden Intensivierung im horizonta­len Finanzausgleich würde damit noch stärker we:rden und der gesamte, jetzt mühsam geschlich­tete Streit mit den reicheren Ländern um diesen Ausgleich würde von neuem entbrennen.

Der Gedanke des Herrn Kollegen Dr. Panholzer, man solle zu erreichen versuchen, daß der Bund, wenn schon gegenwärtig keine Senkung des Bun­desanteils am Gesamtaufkommen der Einkommen­und Körperschaftsteuer möglich ist, wenigstens auf seinen Anteil an der Lohnsteuer verzichtet, ist schon deshalb kaum durchsetzbar, weil er eine Än­derung des Artikels 106 Absatz 3 des Grundgesetzes erfordern würde. Im übrigen würde aber eine Verwirklichung dieses Gedankens an den geschil­derten Verhältnissen nichts ändern - leider nichts ändern. Im Gegenteil, sie wäre sogar ver­gleichsweise ungünstiger für unser Land als eine entsprechende Senkung des Bundesanteils an der gesamten Einkommen- und Körperschaftsteuer; denn im Rechnungsjahr 1957 betrug der Anteil Bayerns am Bundesaufkommen bei der Einkom­men- und Körperschaftsteuer insgesamt 13,9 Pro­zent, und zwar bei der veranlagten Einkommen­steuer 15,4 Prozent, bei der Lohnsteuer nur 13,3 Prozent und bei der Körperschaftsteuer sogar nur 12,6 Prozent. Wenn es schon erreichbar wäre, einen Teil der Einkommensteuer aus der Auftei­lung zwischen Bund und Ländern herauszuneh­men, so wäre es also für unser Land günstiger, wenn dies bei der veranlagten Einkommensteuer möglich wäre. Aber einen solchen Vorschlag muß ich schon im Hinblick auf das Grundgesetz leider als undurchsetzbar bezeichnen.

Die Staatsregierung lenkt daher ihre Bemühun-

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gen in eine andere Richtung und sie befindet sich dabei, wie ich aus der Aussprache feststellen konnte, in Übereinstimmung mit fast dem gesamten Haus. Sie will, teilweise zusammen mit den andereri Ländern - leider kann ich nur sagen: teilweise -den Bund veranlassen, die Länderhaushalte bei den Ausgaben zu entlasten, die im weiteren Sinne zu den Kriegsfolgelasten gehören. Ich meine damit vor allem die Wiedergutmachung und den Schul­dendienst für die Ausgleichsforderungen. Eine Ent­lastung aller Länder auf diesen Gebieten würde uns verhältnismäßig mehr helfen als eine in der Summe gleich hohe Entlastung der Länder durch Senkung des Bundesanteils.

(Abg. Dr. Becher: Sehr richtig!)

Außerdem geht unser Bestreben dahin, die Hilfe des Bundes dort noch stärker heranzuziehen, wo es die besondere Randlage Bayerns erfordert. Darauf hat auch der Herr Kollege Dr. Panholzer hinge­wiesen. Ich muß freilich darauf aufmerksam ma­chen - wie ich es schon in der Regierungserklä­rung gemacht habe -, daß jede individuelle Hilfe des Bundes für ein einzelnes Land in gewissem Umfange die Gefahr in sich schließt, daß dieses Land in die Abhängigkeit des Bundes gerät. Kei­nesfalls dürfte die Hilfe des Bundes zu einer lau­fenden Subventionierung werden. Dagegen werden wir den Bund gerne insoweit in Anspruch nehmen, als seine Leistungen dazu beitragen, die Wirt­schaftsstruktur und damit auch die Steuerkraft unseres Landes zu verbessern.

Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Panholzer hat schließlich gemeint, ob nicht der von mir geforderte zeitnahe Föderalismus den Be­griff des Föderalismus überhaupt in Frage stelle. Seine Sorge kann leicht entkräftet werden. So wichtig die staatsrechtliche und die sozialphiloso­phische Bestimmung des Föderalismus auch sein mag, entscheidend ist und bleibt seine Praktizie­rung.

(Sehr gut!)

Hier bin ich der Meinung, daß eine Regierungs­erklärung, die -so eindeutige Maßnahmen für die Stärkung unseres Landes gefordert hat, wie die vom 15. Januar, ein überzeugendes Beispiel für einen zeitnahen Föderalismus ist.

(Abg. Bezold: Sehr richtig!) Deklamationen - mögen sie noch so gescheit sein - nützen in dieser Frage nichts. Nirgends, meine Damen und Herren, ist Aktivität notwendiger als auf dem weiten Felde der Auseinandersetzung mit den zentralistischen Kräften, die sich überall regen und unser öffentliches Leben zu durchdringen ver­suchen.

(Sehr richtig!)

Aktivität ist aber nur möglich mit dem Rückhalt eines gesunden Landes Bayern, mit der Unterstüt­zung einer Bevölkerung, die ein wirkliches Staats­gefühl besitzt,

(Sehr gut!)

und mit dem Rückhalt schließlich eines Parla­ments, das sich nicht in Zank und Streit erschöpft,

sondern das den Blick über die ruhmvolle Vergan­genheit unseres Landes gleiten und in eine Zukunft schweifen läßt, in der dieses Land Bayern mit je­nen Kräften ausgestattet sein soll, die es ihm er­laubten, seine deutsche Aufgabe zu erfüllen.

(Bravo-Rufe und Beifall bei den Koalitions­parteien)

Das, meine Damen und Herren, verstehe ich unter einem zeitnahen Föderalismus.

In diesem Hause sitzen noch Männer, die von der Verfassunggebenden Landesversammlung bis zum heutigen Tage am Wiederaufbau unseres Landes gearbeitet haben. In der dunkelsten Zeit unserer Geschichte haben sie sich über alle Parteischranken hinweg die Hände gereicht und sind ans Werk ge­gangen. Wir sollten uns gelegentlich an den opfer­reichen und kameradschaftlichen Idealismus erin­nern, der damals unser Tun beherrscht hat.

(Sehr richtig!)

Wir sollten uns aber auch darüber freuen, daß in diesem Hohen Hause so viele junge Menschen ·sit­zen. Sie besitzen den Schwung der Jugend, und ihre Augen sind noch unbefangen. Was ihnen an Erfahrung fehlt, können sie durch den Mut zur Entscheidung ersetzen. Jedenfalls, meine Damen und Herren, sind im bayerischen Parlament die menschlichen Voraussetzungen für eine ersprieß­liche Arbeit gegeben. Das hat Gott sei Dank auch diese Aussprache über meine Regierungserklärung gezeigt. Sind aber die menschlichen Voraussetzun­gen vorhanden, so sind die politischen für ein er­folgreiches Arbeiten dieses Hohen Hauses verhält­nismäßig leicht zu schaffen.

Diese Überlegungen und die Tatsache, daß auch die Opposition ihre Mitarbeit angekündigt hat, er­mutigen mich zu der Hoffnung, daß die vor uns liegende Legislaturperiode eine Zeitspanne ange­spannter und erfolgreicher Arbeit sein wird zum Segen unseres deutschen Vaterlandes und auch un-serer geliebten bayerischen Heimat. . ·

(Lebhafter anhaltender Beifall bei den Koalitionsparteien)

Präsident Dr. Ehard: Damit ist die Aussprache über die Regierungserklärung beendet.

Ich habe nur noch zwei Punkte und bitte Sie noch um eine kurze Aufmerksamkeit.

Ich darf noch einmal zurückkommen auf die

Wahl der Beiräte bei den selbständigen Vollzugsanstalten

Sie sehen, daß es sich um 14 Anstalten handelt. Den Vorschlag für die Beiräte und die Ersatzleute haben Sie auf Ihrem Tisch liegen. Es muß nur eine einzige Ergänzung vorgenommen werden; nämlich bei der Nr. 9 heißt es jetzt unter „Strafanstal­ten München": „Strafanstalt München-Stadelheim", dann kommt „Gefängnis Neudeck" und „Gefängnis Corneliusstraße". Hier muß noch eingeschaltet wer­den: „Stadelheim Frauengefängnis", und unter „Beirat" „Zehner" sowie unter „Ersatzmann" „Günzl". - Das ist die einzige Ergänzung, die zwar in der Vorlage des Justizministeriums schon

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enthalten war, aber bei uns versehentlich drau­ßen geblieben ist.

Darf ich Sie fragen, ob Sie mit dieser Zusam­mensetzung der Beiräte einverstanden sind, und ob es Ihnen recht ist, wenn ich Ihnen vorschlage, daß wir im gesamten darüber abstimmen? Wird ein Einspruch dagegen erhoben? - Das ist nicht der Fall.

Dann darf ich diejenigen, die dieser Zusammen­setzung der Beiräte und der Ersatzleute zustimmen wollen, um ein Handzeichen bitten. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Ich darf feststellen, daß einstimmig so beschlossen wor­den ist.

Dann darf ich Sie noch um eines bitten: Ich habe gestern noch den Entwurf eines Gesetzes zur Än­derung des Gesetzes über die Übernahme von Staatsbürgschaften von der Staatsregierung be­kommen. Sie haben die Beilage eben auf den Tisch gelegt bekommen.

Nachdem ich annehme, daß die erste Lesung doch nur die Überweisung an die Ausschüsse brin­gen kann, würde ich Ihnen vorschlagen, daß Sie mich ermächtigen, das nachträglich auf die Tages­ordnung zu setzen. Wenn kein Widerspruch be­steht, würde ich das hiermit tun. -

Ich rufe auf die e r s t e L e s u n g des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Übernahme von Staats­

bürgschaften (Beilage 4 7)

Das Wort dazu -wird nicht gewünscht.

Ich schlage vor, daß dieser Gesetzentwurf über­wiesen wird an den Ausschuß für Wirtschaft und Verkehr, an den Ausschuß für Staatshaushalt und Finanzfragen und an den Ausschuß für Verfas­sungsfragen und Rechtsfragen. Das sind die drei Ausschüsse, die früher schon mit d.er Materie be­faßt waren.

Darf ich die Zustimmung des Hohen Hauses da­zu annehmen? - Widerspruch? - Enthaltungen? - Ich darf feststellen, daß das einstimmig so be­schlossen ist.

Dann sind wir am Ende unserer Tagesordnung angelangt.

Die nächste Vollsitzung ist für Freitag, den 20. Februar, vormittags 9 Uhr angesetzt, und zwar mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: Etatrede des Herrn Finanzministers.

Wenn sonst nichts zu bemerken ist, danke ich. Ihnen vielmals und schließe die Sitzung.

(Schluß der Sitzung: 12 Uhr 38 Minuten)

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