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Thüringer Landtag 6. Wahlperiode Plenarprotokoll 6/141 01.03.2019 141. Sitzung Freitag, den 01.03.2019 Erfurt, Plenarsaal Thüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstellung von Men- schen mit Behinderungen so- wie zur Änderung des Thürin- ger Beamtengesetzes 12155, Gesetzentwurf der Landesregie- rung - Drucksache 6/6825 - ERSTE BERATUNG Der Gesetzentwurf wird an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit – federführend –, den Gleichstellungsausschuss sowie an den Innen- und Kommunalausschuss überwiesen. Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 12155, Meißner, CDU 12158, Pelke, SPD 12161, Herold, AfD 12163, Stange, DIE LINKE 12165, Pfefferlein, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12168, Beratung des Zwischenbe- richts der Enquetekommission „Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminie- rungen in Thüringen sowie ih- re Auswirkungen auf das ge- sellschaftliche Zusammenle- ben und die freiheitliche De- mokratie“ 12170,

6. Wahlperiode 01.03.2019 Thüringer Landtag ...parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/70419/141... · Paradigmenwechsel wider. Das heißt, Benachteili-gung wird nicht mehr als Problem

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Thüringer Landtag6. Wahlperiode

Plenarprotokoll 6/14101.03.2019

141. Sitzung

Freitag, den 01.03.2019

Erfurt, Plenarsaal

Thüringer Gesetz zur Inklusionund Gleichstellung von Men-schen mit Behinderungen so-wie zur Änderung des Thürin-ger Beamtengesetzes

12155,

Gesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/6825 -ERSTE BERATUNG

Der Gesetzentwurf wird an den Ausschuss für Soziales, Arbeit undGesundheit – federführend –, den Gleichstellungsausschuss sowiean den Innen- und Kommunalausschuss überwiesen.

Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 12155,Meißner, CDU 12158,Pelke, SPD 12161,Herold, AfD 12163,Stange, DIE LINKE 12165,Pfefferlein, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12168,

Beratung des Zwischenbe-richts der Enquetekommission„Ursachen und Formen vonRassismus und Diskriminie-rungen in Thüringen sowie ih-re Auswirkungen auf das ge-sellschaftliche Zusammenle-ben und die freiheitliche De-mokratie“

12170,

Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6818 -dazu: Maßnahmen zur Zurück-

drängung von Rassismusund Diskriminierung inThüringen umsetzenEntschließungsantrag derFraktionen DIE LINKE, derSPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6868 -

Die Beratung des Zwischenberichts findet statt. Der Entschließungs-antrag wird angenommen.

Tischner, CDU 12170,12174,

12187, 12187, 12187,Berninger, DIE LINKE 12172,

12187,Lehmann, SPD 12176,Herold, AfD 12179,Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12181,

12181,Schaft, DIE LINKE 12184,

12186,12186,

Lehrer einstellen, Schulunter-richt gewährleisten, Bildung si-chern, Nachtragshaushalt vor-legen!

12188,

Antrag der Fraktion der AfD- Drucksache 6/6505 -

Die beantragten Überweisungen an den Ausschuss für Bildung, Ju-gend und Sport und an den Haushalts- und Finanzausschuss wer-den jeweils abgelehnt. Der Antrag wird abgelehnt.

Kießling, AfD 12188,Wolf, DIE LINKE 12190,

12191,12197, 12197, 12198, 12198,

Kowalleck, CDU 12192,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12193,

12198,Dr. Hartung, SPD 12195,

12197,Tischner, CDU 12195,

12198,12198, 12202,

Holter, Minister für Bildung, Jugend und Sport 12199,12202,

12202, 12203,Malsch, CDU 12202,

12150 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

Verbesserung der finanziellenRahmenbedingungen für dieUnterstützung von Opfern derSED-Diktatur mit Hilfe vonPMO-Mitteln

12204,

Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/6657 -

Der Antrag wird abgelehnt.

Wirkner, CDU 12204,12214,

Pelke, SPD 12206,Mitteldorf, DIE LINKE 12208,

12214,Herold, AfD 12209,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12210,Taubert, Finanzministerin 12212,

Approbationen und Zulassun-gen für ausländische Ärzteund Anerkennung der Berufs-qualifikation für ausländischesPflegepersonal in Thüringen

12214,

Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/6685 -

Ministerin Werner erstattet einen Sofortbericht zu Nummer 1 des An-trags. Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

Der beantragten Fortsetzung der Beratung zum Sofortbericht imAusschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit gemäß § 106 Abs. 1i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 3 GO wird zugestimmt. Die Nummern 2 bis 5des Antrags werden an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Ge-sundheit überwiesen.

Meißner, CDU 12214,Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 12215,Dr. Hartung, SPD 12221,

12230,Herold, AfD 12223,Zippel, CDU 12225,

12230,Pfefferlein, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12228,Kubitzki, DIE LINKE 12229,

12230,12230,

Europäisches Jahr des Kultur-erbes 2018 – Chancen für Thü-ringen und Europa nutzen

12231,

Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/6824 -

Der Antrag wird an den Ausschuss für Europa, Kultur und Medienüberwiesen.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12151

Krückels, Staatssekretär 12231,Kellner, CDU 12232,Dr. Hartung, SPD 12234,Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12235,Rudy, AfD 12236,Mitteldorf, DIE LINKE 12238,

Datenschutzordnung des Thü-ringer Landtags

12240,

Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6822 -

Der Antrag wird an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbrau-cherschutz überwiesen.

Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12240,Geibert, CDU 12241,Möller, AfD 12242,

Drogen- und Suchtpräventionfür Kinder und Jugendlicheund an Thüringer Schulen stär-ken

12242,

Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6821 -

Die beantragten Überweisungen an den Ausschuss für Bildung, Ju-gend und Sport sowie den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Ge-sundheit werden jeweils abgelehnt.

Der Antrag wird angenommen.

Schaft, DIE LINKE 12242,Bühl, CDU 12243,Engel, DIE LINKE 12244,Muhsal, AfD 12247,Dr. Hartung, SPD 12248,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12249,Zippel, CDU 12251,Ohler, Staatssekretärin 12252,

Mitgliedschaft von Mitgliedernder Landesregierung in Lei-tungs- und Aufsichtsgremienauf Erwerb gerichteter Unter-nehmen hier: Zustimmung des Land-tags gemäß Artikel 72 Abs. 2der Verfassung des FreistaatsThüringen

12253,

Antrag der Landesregierung- Drucksache 6/6783 -

12152 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

Die Zustimmung wird erteilt.

Krückels, Staatssekretär 12253,

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12153

Anwesenheit der Abgeordneten:Fraktion der CDU:

Bühl, Diezel, Floßmann, Geibert, Grob, Gruhner, Herrgott, Heym, Holbe,Holzapfel, Kellner, Dr. König, Kowalleck, Liebetrau, Malsch, Meißner,Mohring, Rosin, Scherer, Schulze, Tasch, Thamm, Tischner, Prof. Dr. Voigt,Walk, Wirkner, Worm, Wucherpfennig, Zippel

Fraktion DIE LINKE:

Berninger, Blechschmidt, Dittes, Engel, Hande, Harzer, Hausold, Hennig-Wellsow, Jung, Kalich, König-Preuss, Korschewsky, Kräuter, Kubitzki,Kummer, Kuschel, Leukefeld, Lukasch, Dr. Lukin, Dr. Martin-Gehl, Mitteldorf,Müller, Schaft, Dr. Scheringer-Wright, Skibbe, Stange, Wolf

Fraktion der SPD:

Becker, Dr. Hartung, Helmerich, Hey, Lehmann, Marx, Mühlbauer, Pelke, Dr.Pidde, Scheerschmidt, Warnecke

Fraktion der AfD:

Henke, Herold, Kießling, Möller, Muhsal, Rudy

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Adams, Henfling, Kobelt, Müller, Pfefferlein, Rothe-Beinlich

fraktionslos:

Rietschel

Anwesenheit der Mitglieder der Landesregierung:Ministerpräsident Ramelow, die Minister Taubert, Holter, Keller, Maier,Siegesmund, Werner

12154 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

Beginn: 9.02 Uhr

Präsidentin Diezel:Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen undHerren Abgeordneten, ich hoffe, Sie sind alle frischund munter nach dem gestrigen Tag. Ich begrüßeSie herzlich zur heutigen Sitzung des ThüringerLandtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auchdie Zuschauer auf der Tribüne – die zwar nochnicht so zahlreich sind, aber ich denke, das wirdsich noch füllen – und die Zuschauerinnen und Zu-schauer am Livestream.

Für diese Plenarsitzung hat als Schriftführer HerrAbgeordneter Gruhner neben mir Platz genommen,die Redeliste führt Frau Abgeordnete Mühlbauer.

Es haben sich entschuldigt: Herr AbgeordneterFiedler, Herr Abgeordneter Gentele, Frau Abgeord-nete Annette Lehmann, Frau Abgeordnete Lieber-knecht, Herr Abgeordneter Primas, Herr Abgeord-neter Reinholz, Frau Abgeordnete Wagler und HerrAbgeordneter Höcke.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gestattenSie mir noch folgenden Hinweis: Ab heute gilt diegeänderte Geschäftsordnung, die wir in der letztenLandtagssitzung beschlossen hatten – ich verweisenoch mal auf die Drucksache 6/6789. Ab jetzt istauch das neue AIS-System voll zugänglich.

Folgender Hinweis zur Tagesordnung: Zu Tages-ordnungspunkt 22 wurde ein Entschließungsantragder Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis90/Die Grünen in der Drucksache 6/6868 verteilt.

Gibt es noch Anmerkungen? Ich sehe, das ist nichtder Fall. Dann treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8

Thüringer Gesetz zur Inklusionund Gleichstellung von Men-schen mit Behinderungen so-wie zur Änderung des Thürin-ger BeamtengesetzesGesetzentwurf der Landesregie-rung- Drucksache 6/6825 - ERSTE BERATUNG

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass diese Bera-tung von Gebärden- und Schriftdolmetschern über-setzt und über Monitor in den Raum F202 sowie imOnline-Plenum übertragen wird.

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Be-gründung? Ja, bitte schön, Frau Ministerin Werner.

Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesund-heit, Frauen und Familie:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, werte Gäste auf derTribüne, liebe Gäste am Bildschirm, ich freue michwirklich sehr, dass ich heute für die Landesregie-rung das Gesetz zur Inklusion und Gleichstellungvon Menschen mit Behinderungen in den Landtageinbringen kann.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Mit diesem Gesetz werden endlich die Regelungen,die sich aus der UN-Behindertenrechtskonventionzur Gleichstellung von Menschen mit Behinderun-gen ergeben, auf Landesebene umgesetzt. Dasbisherige Gesetz zur Gleichstellung und Verbesse-rung der Integration von Menschen mit Behinderun-gen aus dem Jahr 2005 wird durch dieses Ablöse-gesetz novelliert.

Lassen Sie mich kurz etwas zur UN-Behinderten-rechtskonvention sagen. In dieser spiegelt sich einParadigmenwechsel wider. Das heißt, Benachteili-gung wird nicht mehr als Problem eines Einzelnenbetrachtet, das medizinisch über Diagnose, Förde-rung, Therapie usw. gelöst werden kann, sondern inder UN-Behindertenrechtskonvention wird gesagt,dass sich Benachteiligung aus der Wechselwirkungmit der Gesellschaft ergibt. Es sind also die äuße-ren Gegebenheiten, die dazu führen, dass Men-schen ausgegrenzt werden. Das ist ein Paradig-menwechsel und es ist ein Paradigmenwechsel,der uns alle angeht, weil natürlich alle für die Ge-sellschaft verantwortlich sind. Das heißt, wir müs-sen in der Gesellschaft Barrieren abbauen. Daskönnen Formulare in Ämtern sein, aber natürlichauch Räume, die so umgestaltet werden, dassMenschen mit Behinderungen tatsächlich auch indiesen arbeiten können. Nur so wird es möglichsein, das Recht auf Selbstbestimmung und Teilha-be an einer barrierefreien und inklusiven Gesell-schaft umzusetzen.

Es geht uns nicht nur deswegen an, weil sich Be-nachteiligung aus Wechselwirkungen mit der Ge-sellschaft ergibt, sondern weil Benachteiligung, Be-hinderung etwas ist, das jeden von uns treffenkann. Wir haben in Thüringen derzeit 380.000 Men-schen, die eine anerkannte Schwerbehinderung ha-ben. Wir wissen aber auch, dass die Dunkelziffernatürlich sehr viel höher liegt, weil sich viele Men-schen vielleicht schämen oder nicht trauen, dieseSchwerbehinderung entsprechend zu beantragen.Wir wissen auch, dass nur 4 Prozent dieser Behin-derungen tatsächlich angeborene Behinderungen

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12155

sind. Das heißt, 84 Prozent ergeben sich beispiels-weise aus Krankheit und 2 Prozent aus Unfällen.

Sehr geehrte Damen und Herren, nach Artikel 4Abs. 1 der UN‑Behindertenrechtskonvention, diebereits 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist,haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, geeig-nete Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigeMaßnahmen zur Umsetzung der in diesem Über-einkommen anerkannten Rechte zu treffen. DieLänder haben dem Ratifizierungsgesetz gemäß Ar-tikel 84 Abs. 1 Grundgesetz einstimmig zugestimmtund sind neben dem Bund und den Kommunen ver-pflichtet, geeignete, wirksame und zielgerichteteMaßnahmen zu ergreifen, um die Rechte der Kon-vention einzuhalten und umzusetzen.

Leider hat es die letzte Landesregierung nicht ver-mocht, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen.Deswegen haben sich die regierungstragendenFraktionen in ihrem Koalitionsvertrag darauf ver-ständigt, dieses Gesetz zu überarbeiten – als eineder wichtigsten Aufgaben der 6. Legislaturpe-riode –, und haben auch inhaltliche Schwerpunktefestgeschrieben. Mit dem vorliegenden Gesetz hatdie Landesregierung diese Aufgabe umgesetzt.

Dem Gesetzgebungsprozess ist ein intensiver parti-zipativer Prozess vorausgegangen. Der erste Ar-beitsentwurf lag 2016 vor. Anschließend wurde die-ser Arbeitsentwurf 72 Vereinen, Verbänden, Institu-tionen der Menschen mit Behinderungen und Trä-gern der öffentlichen Verwaltung mit der Bitte umAnregungen und Vorschläge zur Verfügung gestellt.Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte hatden Gesetzentwurf hinsichtlich seiner Konformitätmit den Regelungen der UN-Behindertenrechtskon-vention geprüft. Im Ergebnis dieses Prozesseskonnten zentrale Forderungen der Vereine und Ver-bände der Menschen mit Behinderungen in denGesetzentwurf aufgenommen und umgesetzt wer-den.

Ein wichtiger Punkt war zunächst einmal die Über-arbeitung des gesamten Gesetzes in Bezug auf dieAnforderungen aus der UN-Behindertenrechtskon-vention und die Anpassung der einzelnen Definitio-nen, insbesondere zur Barrierefreiheit und Benach-teiligung. Ich will hier an dieser Stelle noch mal aufden Paradigmenwechsel hinweisen.

Weiterhin möchte ich die folgenden Regelungenhervorheben, die neu in den Gesetzentwurf aufge-nommen wurden, auch aufgrund der Forderungender Vereine und Verbände. Ich denke, eine derwichtigsten ist die Streichung des § 2 des jetzt gel-tenden Gesetzes, der einen Finanzvorbehalt für dieKommunen hinsichtlich der Erfüllung der Verpflich-tungen nach diesem Gesetz vorsah. Diese Rege-

lung war bundesweit einmalig und nicht mit denVerpflichtungen der UN-Behindertenrechtskonventi-on vereinbar.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Zweiten sieht der Gesetzentwurf außerdemvor, dass die Landkreise und kreisfreien Städte un-ter Beteiligung von Menschen mit Behinderungenund ihren Interessenvertretungen eigene Maßnah-menpläne zur Erreichung der Ziele des Gesetzeserarbeiten. Die Maßnahmenpläne sollen einen Zeit-raum von nicht mehr als fünf Jahren umfassen undim Rahmen eines fortlaufenden Beteiligungsprozes-ses spätestens nach Ablauf dieses Zeitraums fort-geschrieben werden. Durch diese Verpflichtung sol-len auch auf kommunaler Ebene bestehende Bar-rieren ermittelt und Lösungsansätze zu deren Be-seitigung erarbeitet werden. Die hierfür erforderli-chen Arbeitsprozesse sollen auch alle Beteiligtenfür die Belange der Menschen mit Behinderungenund die sich aus der UN-Behindertenrechtskonven-tion ergebenden Anforderungen sensibilisieren.Verweisen möchte ich hier auf den zweiten Maß-nahmenplan der Landesregierung zur Umsetzungder UN-Behindertenrechtskonvention, der gegen-wärtig auch hier im Hohen Hause beraten wird.

Als Drittes sind neue Regelungen hinsichtlich derbaulichen Barrierefreiheit und zur barrierefreienKommunikation ins Gesetz aufgenommen worden.Für das Land wird eine Berichtspflicht zum Standder Barrierefreiheit der landeseigenen Liegenschaf-ten eingeführt. Damit soll die Grundlage für die wei-tere Schaffung von Barrierefreiheit in den Gebäu-den im Landeseigentum geschaffen werden. Sie istnicht nur wichtig für Menschen mit Behinderungenim öffentlichen Besucherverkehr, sondern auch ei-ne Voraussetzung für die Beschäftigung von Men-schen mit Behinderungen.

Darüber hinaus wurde die Verpflichtung, die Belan-ge von Menschen mit motorischen, sensorischen,kognitiven und sprachlichen Einschränkungen so-wie die Anforderungen der Inklusion in der Ausbil-dung zu berücksichtigen, auf die Lehr-, Sozial- undGesundheitsberufe ausgedehnt. Die Schaffung ei-nes barrierefreien inklusiven Sozialraums, in demMenschen mit Behinderungen selbstbestimmt undgleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben kön-nen, setzt voraus, dass alle in der Gesellschaft überGrundkenntnisse hinsichtlich der Belange der Men-schen mit Behinderungen und den Bezug auf Inklu-sion verfügen.

Im Rahmen der Regelung zur barrierefreien Kom-munikation mit der Verwaltung – hier geht es umdas Recht auf die Verwendung der Gebärdenspra-che oder anderer Kommunikationsmittel – wurde

12156 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Ministerin Werner)

das Lormen als eigenständige Kommunikations-form explizit mit aufgenommen. Damit sollen dieBelange der in der Praxis oft besonders benachtei-ligten taubblinden und hörsehbeeinträchtigten Men-schen hervorgehoben werden.

Ebenfalls neu ist die Ausdehnung der Verpflichtungzur barrierefreien Kommunikation auf die Gruppeder Menschen mit kognitiven Einschränkungen. FürMenschen mit kognitiven Beeinträchtigungen stelltSprache oft eine hohe Barriere dar. Die UN-Behin-dertenrechtskonvention fordert auch für diesen Per-sonenkreis den barrierefreien Zugang zu Kommuni-kation und Information als Grundlage einer selbst-ständigen und selbstbestimmten Lebensgestaltung.Menschen mit Behinderungen soll durch die Ver-wendung alternativer Kommunikationsformen derUmgang mit den Behörden erleichtert werden.Kommunikation umfasst dabei auch die Verwen-dung der Leichten Sprache. Leichte Sprache zieltauf eine besonders leichte Verständlichkeit insbe-sondere für Menschen mit kognitiven Beeinträchti-gungen ab. Sie stellt nicht nur auf besondere Re-geln zur Rechtschreibung und Grammatik ab, son-dern gibt auch Empfehlungen zur Textgestaltung.Unter anderem sollen möglichst gebräuchlicheWörter verwendet werden und Sätze kurz und ein-fach gehalten sein. Texte sollen in einer ausrei-chend großen Schrift dargestellt und mit Bildern il-lustriert werden.

Um das Ziel einer barrierefreien Kommunikation imbehördlichen Alltag umzusetzen, stehen der Lan-desverwaltung auch in diesem Jahr 700.000 Eurozum Abbau von Kommunikationsbarrieren zur Ver-fügung. Mit diesen Mitteln werden unter anderemEinsätze von Schrift- und Gebärdendolmetscherin-nen und -dolmetschern, Übertragungen in LeichteSprache sowie Grundlagenschulungen zu LeichterSprache und der Gestaltung barrierefreier Doku-mente finanziert.

Neben diesen Regelungen wurde die Stellung desLandesbeauftragten für Menschen mit Behinderun-gen – Herrn Leibiger möchte ich heute hier auchsehr herzlich begrüßen –

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und des Landesbehindertenbeirats sowie die Posi-tion der Verbände für Menschen mit Behinderunghinsichtlich der Durchsetzung der Regelungen nachdiesem Gesetz gestärkt.

Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinde-rungen soll zukünftig beim Thüringer Landtag ange-siedelt sein. Er wird zukünftig nicht mehr durch denMinisterpräsidenten berufen, sondern in geheimerWahl mit der Mehrheit des Hohen Hauses gewählt.Vorschlagsberechtigt sind die Landtagsfraktionen

sowie der Landesbeirat für Menschen mit Behinde-rungen. Damit wird das Verfahren zu seiner Beru-fung transparenter und partizipativer gestaltet. Da-rüber hinaus erhält der Beauftragte eine direkte de-mokratische Legitimation vom Parlament.

Auch die Rolle der Menschen mit Behinderungenim Landesbehindertenbeirat wird wesentlich ge-stärkt. Dem Beirat gehören zukünftig neben demLandesbeauftragten jeweils eine Vertreterin oderein Vertreter von zehn Verbänden und Institutionenvon Menschen mit Behinderungen mit Sitz in Thü-ringen als stimmberechtigte Mitglieder an. Die übri-gen Mitglieder – zum Beispiel Vertreter der Landes-regierung, der kommunalen Spitzenverbände, derLIGA der Freien Wohlfahrtspflege – haben künftignur noch beratende Funktion. Nicht zuletzt erfolgteine Stärkung der Verbände der Menschen mit Be-hinderungen durch die Einführung eines Verbands-klagerechts. Mit dem Verbandsklagerecht kann einnach dem Gesetz anerkannter Verband Klage aufFeststellung eines Verstoßes gegen das Benachtei-ligungsverbot von Menschen mit Behinderungenbzw. gegen einen Verstoß gegen die Regelungenzur Barrierefreiheit erheben. Damit wird den Ver-bänden für Menschen mit Behinderung ein Instru-ment an die Hand gegeben, sich für die Einhaltungder Bestimmungen der Gesetzes einsetzen zu kön-nen.

Sehr geehrte Damen und Herren, damit betroffeneMenschen ihre Rechte einfordern können, brauchtes das Wissen darum. Wir haben heute Gebärden-dolmetscherinnen und Gebärdendolmetscher undSchriftdolmetscherinnen, die am Bildschirm über-setzen. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Aber auch das Thema der Leichten Sprache – dashabe ich bereits erwähnt – ist Teil des Gesetzesund muss auch in unseren Behördenalltag Einzughalten. Erlauben Sie mir deswegen, den Gesetzent-wurf noch einmal zusammenfassend in LeichterSprache darzustellen:

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sprechenheute über ein Gesetz in Thüringen. In einem Ge-setz stehen Sachen, an die sich alle halten müs-sen. Das Gesetz heißt Thüringer Gesetz zurGleichstellung und Inklusion von Menschen mit Be-hinderungen. Wir nennen das Gesetz auch Thür-GIG.

Was steht im ThürGIG? Alle Menschen haben diegleichen Rechte, egal ob mit oder ohne Behinde-rung. Kein Mensch darf schlecht behandelt werden.Das Gesetz sagt auch: Menschen mit Behinderun-gen sollen überall mitmachen können. Deshalb soll

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12157

(Ministerin Werner)

es keine Barrieren geben. Barrieren sind Hindernis-se. Die Regierung von Thüringen wollte das Gesetzbesser machen, deshalb wurde das ThürGIG über-arbeitet. Viele Menschen haben dabei geholfen,zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. Sie ha-ben der Regierung gesagt, was in Thüringen bes-ser werden soll und was sie sich wünschen. Auchdas Deutsche Institut für Menschenrechte hat sichdas Gesetz angeschaut und gefragt: Setzt dasThürGIG die UN-Konvention über die Rechte vonMenschen mit Behinderungen um? Die UN-Kon-vention ist ein Vertrag über die Rechte von Men-schen mit Behinderungen. Deutschland hat diesenVertrag unterschrieben, deshalb muss Deutschlanddie Dinge aus dem Vertrag umsetzen. Die Arbeitam ThürGIG hat lange gedauert, insgesamt achtJahre. Jetzt ist das neue Gesetz fertig. Was stehtim neuen ThürGIG?

Erstens: Die Landkreise und kreisfreien Städte soll-ten Aktionspläne aufstellen. In einem Aktionsplanstehen Aufgaben. Diese Aufgaben sollen erfülltwerden. Dadurch soll es Menschen mit Behinderun-gen besser gehen und sie sollen nicht mehr be-nachteiligt werden. Nach fünf Jahren sollen dieLandkreise und kreisfreien Städte neue Aktionsplä-ne aufstellen. Wichtig ist, Menschen mit Behinde-rungen müssen gefragt werden: Was soll in demAktionsplan stehen?

Zweitens: Im ThürGIG stehen neue Regeln für dasBauen. Menschen mit Behinderungen sollen überallohne Hindernisse hinkommen können, zum Bei-spiel in Ämter. Dass bedeutet, alle Häuser, die Thü-ringen gehören, müssen barrierefrei sein, damitdort auch Menschen mit Behinderungen hinkom-men und damit sie dort arbeiten können. Darübermuss Thüringen einen Bericht schreiben.

Drittens: Im ThürGIG stehen neue Regeln für Aus-bildungen. Menschen in bestimmten Berufen müs-sen wissen, was Menschen mit Behinderungenbrauchen. Deswegen müssen sie etwas über Be-hinderungen lernen. Sie lernen das in ihrer Ausbil-dung. Das ist jetzt Pflicht.

(Beifall SPD)

Wer muss das lernen? Zum Beispiel Menschen, diein einem Krankenhaus arbeiten wollen, Menschen,die in einem Pflegeheim arbeiten wollen, Men-schen, die Häuser für andere bauen wollen.

Viertens: Im ThürGIG stehen neue Regeln für dasSprechen und Schreiben, zum Beispiel müssenÄmter mehr Leichte Sprache benutzen. Briefe vonÄmtern sind oft schwer zu verstehen. Versteht einMensch mit Behinderung einen Brief nicht, mussder Brief noch einmal in Leichter Sprache erklärtwerden.

Fünftens: Im ThürGIG stehen neue Regeln für denLandesbehindertenbeirat. Im Landesbehinderten-beirat treffen sich Menschen mit verschiedenen Be-hinderungen. Diese kommen von zehn verschiede-nen Vereinen für Menschen mit Behinderungen inThüringen. Sie beraten die Regierung von Thürin-gen. Sie sagen der Regierung, was man tun kann,damit es Menschen mit Behinderungen bessergeht. Sie können auch Dinge beschließen. Sieschlagen zum Beispiel eine Person für die Wahlzum Landesbehindertenbeauftragten vor. Im Lan-desbehindertenbeirat dürfen auch Menschen ohneBehinderungen sein. Diese Menschen dürfen dieMenschen mit Behinderungen aber nur beraten. Siedürfen nichts beschließen.

Sechstens: Im ThürGIG stehen auch neue Regelnfür den Landesbehindertenbeauftragten. Der Lan-desbehindertenbeauftragte kümmert sich um dieMenschen mit Behinderungen in Thüringen. Er willdas Leben der Menschen in Thüringen verbessern.Er kümmert sich um Wünsche und Probleme vonMenschen mit Behinderungen. Neu ist: Der Lan-desbehindertenbeauftragte wird vom Landtag ge-wählt. Die Wahl ist geheim. Wer gewählt werdenkann, schlagen die Parteien des Landtags vor unddie Mitglieder des Landesbehindertenbeirats. Wich-tig ist, wenn das Gesetz nicht eingehalten wird,können sich Vereine von Menschen mit Behinde-rungen beschweren. Sie dürfen klagen. Dann ent-scheidet ein Gericht, was richtig ist. Diese Möglich-keit heißt „Verbandsklagerecht“.

Das Gesetz enthält viele gute Dinge. Ein paar Bei-spiele habe ich gerade gesagt. Es ist ein gutes Ge-setz. Mit dem neuen Gesetz wird es Menschen mitBehinderungen in Thüringen besser gehen. DieRechte von Menschen mit Behinderungen werdengestärkt. Es werden Hindernisse abgebaut. So kön-nen sie besser überall teilnehmen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich eröffne die Aus-sprache und als Erste hat Abgeordnete Meißnervon der CDU-Fraktion das Wort.

Abgeordnete Meißner, CDU:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, guten Morgen, liebeZuschauer an den Bildschirmen! Frau Ministerin,ich darf Ihnen für Ihre Ausführungen in LeichterSprache danken. Ich glaube, das trifft uns alle. Esist nicht einfach für uns Politiker, gerade solche Ge-setze in Leichter Sprache zu formulieren. Von da-

12158 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Ministerin Werner)

her ist das eine gute Sache, damit die Personen,die dieses Gesetz letztendlich betrifft, auch wissen,welchen Inhalt es hat. Aber ich muss ganz ehrlichsagen, ich hätte das Gesetz gern schon eher hierim Landtag mit Ihnen diskutiert.

(Beifall CDU)

Deswegen finde ich es nicht gerechtfertigt, dass Siemit dem Finger auf die CDU bzw. auf die Vorgän-gerlandesregierung zeigen, denn – ich muss IhrenWahlkampfslogan nicht wiederholen – besser ge-macht haben Sie es wirklich nicht. Wir haben jahre-lang hier im Parlament – in dieser Legislaturperiode– die Vorlage dieses Gesetzes eingefordert und wirsind jedes Jahr auf das Neue vertröstet worden,dass es hier eingebracht wird.

(Zwischenruf Werner, Ministerin für Arbeit,Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie:Weil wir es diskutiert haben!)

Das betrifft nicht nur uns als Oppositionspolitiker,sondern die vielen Verbände, beispielsweise dasAußerparlamentarische Bündnis, wo ich mich garnicht mehr daran erinnern kann, wie oft die gefor-dert haben, dass das Gesetz endlich hier vorgelegtwird.

(Beifall CDU)

Es hat vier Jahre gedauert und jetzt wird es hiereingebracht, was wir natürlich begrüßen, aber ichfinde, es ist in diesem Zusammenhang nicht red-lich, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Letzt-endlich könnte man das als Ausdruck von mangeln-der Wertschätzung gegenüber diesem Thema wer-ten, aber ich will es mal so ausdrücken: Die Latteist dadurch ziemlich hoch gelegt worden.

Deswegen möchte ich in dieser ersten Lesung aufden Inhalt des Gesetzes eingehen. Der Gesetzent-wurf sieht einen Strauß von neuen Pflichten undAufgaben für öffentliche Stellen vor, die an der ei-nen oder anderen Stelle zeitgemäß und richtig sind.Allerdings lässt dieser Gesetzentwurf den Leser miteiner großen Anzahl von Fragen zurück. Ich möch-te an dieser Stelle eine Frage herausgreifen, die wirauch in den vergangenen Beratungen, beispiels-weise bei der Umsetzung des Maßnahmenplansder UN-Behindertenrechtskonvention oder auchbeim Gesetz für das barrierefreie Internet, hier ge-stellt haben, nämlich die Frage der finanziellen Un-tersetzung, hauptsächlich für die, die es ausführenmüssen, nämlich für die Kommunen und für dieVerbände für Menschen mit Behinderungen. Andieser Stelle lässt das Gesetz viele Fragen offenund wir werden das natürlich in der Ausschussbera-tung thematisieren.

Ich möchte weitere Punkte des Gesetzentwurfs auf-greifen. Schauen wir uns den Gesetzentwurf näheran, so muss man ganz ehrlich sagen, dass dieserGesetzentwurf nicht nur sehr lange gedauert hat,sondern er bleibt auch hinter den von Ihnen ge-steckten Zielen des Koalitionsvertrags zurück. Indiesem Zusammenhang möchte ich das Stichwort„Barriereabbau“ nennen. Zwar verpflichtet der Ge-setzentwurf in § 10 die öffentlichen Eigentümer vonGebäuden zu mehr Barriereabbau, aber was istdenn beispielsweise mit den privatrechtlich betrie-benen Einrichtungen der öffentlichen Hand wieKrankenhäusern, Verkehrsbetrieben, Energiever-sorgern, Messegesellschaften oder Flughäfen?Fehlanzeige. Dazu finden wir nichts. Genauso wiewir in diesem Zusammenhang auch im Gesetznichts dazu finden, wie das Land so etwas finanziellunterstützen möchte. Da ist beispielsweise die Fra-ge, ob es nicht eine Verpflichtung des Landes zurBereitstellung von Fördermitteln für Barrierefreiheitgeben sollte. Denn eines müssen wir uns vor Au-gen führen: Barrierefreiheit nützt am Ende nicht nurMenschen mit Behinderungen, es nützt auch Senio-rinnen und Senioren, es nützt auch Familien, bei-spielsweise mit Kinderwagen. Barrierefreiheit istschon lange nicht mehr nur ein Thema für Men-schen mit Behinderungen.

(Beifall CDU)

Ich möchte jetzt zu einem zentralen Punkt des Ge-setzentwurfs kommen, nämlich zum Interessenver-treter für Menschen mit Behinderungen auf Landes-ebene. Denn das, was der Gesetzentwurf mit die-ser Vertretung für Menschen mit Behinderungenhier im Land vorhat – das muss ich ganz ehrlich sa-gen –, ist schon skandalös. Sie rühmen sich damit,dass man diese Stellung stärkt, aber gleichzeitigmachen Sie aus ihm einen zahnlosen Tiger. Ich willvielleicht an dieser Stelle vorwegschicken, dass wirbegrüßen, dass Sie endlich die Forderung derCDU-Fraktion umsetzen, dass der Behindertenbe-auftragte hier vom Thüringer Landtag gewählt undauch hier angesiedelt wird.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Dasist ja wohl skandalös!)

Das finde ich schon sehr interessant, denn wir ha-ben in dieser Legislatur erstmals 2015 diesen Vor-schlag mit einem Antrag hier im Plenum einge-bracht. Das war der Zeitpunkt, wo es einen neuenBehindertenbeauftragten gab. Da haben wir ge-sagt: Das ist ein guter Anlass, um eine Neustruktu-rierung vorzunehmen.

(Beifall CDU)

Dieser Antrag wurde von Ihnen hier im HohenHause abgelehnt. Das war das erste Mal, dass wir

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12159

(Abg. Meißner)

den Vorschlag gemacht haben. Im Rahmen derHaushaltsberatungen für den Doppelhaushalt2018/2019 haben wir sodann im Jahr 2017 erneutdiesen Antrag hier in das Parlament eingebrachtund auch da – siehe da – haben Sie ihn abgelehnt.

(Beifall CDU)

Von daher will ich es an dieser Stelle positiv werten,dass der Landesbeauftragte nun endlich durch denGesetzentwurf hier durch den Landtag gewählt wer-den soll und letztendlich auch über seine Stelle dieAusgestaltung und die Struktur diskutiert wird. Da-mit setzen Sie nicht nur unsere Erwartungen um,sondern auch die von vielen Verbänden und auchdie Forderung der Vereinten Nationen.

Aber – ich sagte es schon – dieses auf den erstenBlick erfreuliche Bild wird leider, wenn man detail-liert ins Gesetz schaut, getrübt. Denn – und ich er-innere noch einmal an die Ausführungen im Koali-tionsvertrag – Sie hatten versprochen, die Aufga-ben und Befugnisse des Beauftragten zu stärken.Jedoch interpretieren Sie das wahrscheinlich ein-seitig, denn zukünftig wird der Beauftragte einen er-heblichen Aufgabenzuwachs haben – ohne perso-nelle und sächliche Mittel bei gleichzeitiger Ein-schränkung seiner Rechte und Kürzung seiner Be-zahlung und das vor dem Hintergrund, dass Sie dieneuen Aufgaben im Gesetz wirklich detailliert aus-führen. Es sind acht neue Aufgaben zu finden. Ichmöchte die an dieser Stelle nicht aufzählen, daskann sicherlich jeder nachlesen, aber eine neunteist durch das letzte Plenum hinzugekommen. Dasist im Übrigen eine, die wir hier auch seit Jahrengefordert haben, nämlich dass der Beauftragteauch die neue Landesdurchsetzungsstelle für dieUmsetzung des barrierefreien Internets gemäß derEU-Richtlinie sein soll.

Bei so vielen neuen Aufgaben sollte man erwarten,dass der Beauftragte auch mehr Rechte und finan-zielle Mittel zur Verfügung gestellt bekommt.

(Beifall CDU)

Aber das Gegenteil ist der Fall. Das ist nicht redlich.Denn weder sind im aktuellen Haushaltsentwurf derLandesregierung mehr personelle oder sächlicheMittel vorgesehen, noch erhält der Beauftragte –wie von der Koalition versprochen – mehr Befugnis-se. Ich frage Sie ernsthaft: Wie soll das gehen?Deswegen möchte ich an dieser Stelle mal ein Bei-spiel herausgreifen, um das vielleicht zu verdeutli-chen. Momentan ist es so, dass der Beauftragtenach dem gegenwärtig gültigen § 17 Abs. 2 Thür-GIG von jeder Behörde Auskunft verlangen kann,ohne den Dienstweg einhalten zu müssen. Das – man höre und staune – soll er zukünftig nicht mehrdürfen. Denn seine Ersuchen – so § 22 Abs. 3

neu – sollen über die zuständige oberste Landes-behörde an die jeweilige Behörde geleitet werdenund von dieser zurück über die oberste Landesbe-hörde an den Beauftragten gehen.

Jetzt habe ich Herrn Leibiger mal gefragt, was dasdenn bedeutet, und er hat gesagt, er hat das imletzten Jahr mal probiert mit dem Ergebnis, dassdiese Auskunft für ihn drei Monate gedauert hat.Das finde ich schon skandalös, dass man sich hierhinstellt und sagt, man verbessert die Rechte fürMenschen mit Behinderungen, vor allen Dingen vonderen Vertreter hier auf Landesebene, und gleich-zeitig, wenn man ins Detail schaut, legt man Ihnenmehr Steine in den Weg.

Da muss man sich fragen: Hat Rot-Rot-Grün Angstvor einem starken Behindertenbeauftragten? Wirwerden das im Ausschuss hinterfragen und werdenan der Stelle auch darauf Wert legen, dass wir ei-nen starken Behindertenbeauftragten haben, dermit seinen Rechten und Befugnissen die Interessender Menschen mit Behinderungen hier in Thüringengut umsetzen kann.

(Beifall CDU)

Denn wir wollen eine Stärkung und keine Schwä-chung des Behindertenbeauftragten.

Nach diesem Punkt möchte ich aber noch einenweiteren nennen, wo man sich fragt, was sich dieLandesregierung da eigentlich gedacht hat bzw.was eigentlich zwischen dem 15. Januar und dem19. Februar hier passiert ist. Am 15. Januar be-schließt das Kabinett den Landeshaushalt und siehtfür den Beauftragten wie in den Jahren zuvor einePlanstelle der Wertigkeit der Besoldungsgruppe B3vor. Das entspricht einem stellvertretenden Abtei-lungsleiter oder dem Leiter einer kleinen Landesbe-hörde. Am 19. Februar erblickt dann das ThürGIGdas Licht der Welt und das Kabinett beschließt dieHerabstufung der Vergütung des Behindertenbe-auftragten. Danach soll er auf die Besoldungsgrup-pe A16 heruntergestuft werden, was der Bezahlungeines Referatsleiters im Ministerium entspricht. Dasmuss man sich auf der Zunge zergehen lassen.Man möchte die Stellung einer Person stärken,hebt das auch hervor, aber gleichzeitig legt man ihrnicht nur neue Steine in den Weg, sondern kürztauch die finanziellen Mittel in ihrer Besoldung. Ichfrage mich nicht nur, wie das in der Umsetzung ge-hen soll, sondern ich frage mich: Wer soll denn amEnde diesen Beauftragten auch noch machen? Werstellt sich dafür zur Verfügung? Ich kann Sie nurauffordern, dieses vergiftete Geschenk zurückzu-nehmen und in der Ausschussberatung zu korrigie-ren, denn es kann nicht sein, dass ein Beauftragter

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(Abg. Meißner)

mehr Aufgaben und dafür weniger Lohn bekommt.Das werden wir nicht mitmachen.

(Beifall CDU)

Wir haben dieses Amt im Jahr 2004 geschaffen, alses noch kein Gesetz gab, und wir haben es mit ei-ner ordentlichen Bezahlung versehen. Wir werdendeswegen die Abwertung dieses Amts nicht zulas-sen und wollen auch einen Beauftragten, der sicheinmischt und auch mal unbequem wird.

Ich möchte noch auf zwei weitere Punkte eingehen,und zwar zum Stichwort „kommunale Behinderten-beauftragte im Hauptamt“ – eine Forderung, dieviele Jahre im Raum stand und die sich jetzt im Ge-setz nicht mehr wiederfindet. Wir werden in derAusschussberatung sehr genau hinhören, was dieAnzuhörenden dazu sagen, aber auch welche Stel-lung die kommunalen Spitzenverbände dazu neh-men.

Wir werden im Ausschuss – damit will ich dannletztendlich schließen – auch nachfragen, was hin-ter den Ankündigungen steckt, sehr geehrte FrauMinisterin, die Sie hier auch noch mal wiederholthaben, insbesondere vor dem Hintergrund, dass siefinanziell untersetzt werden müssen. Vieles ist imVagen und wir werden viele Fragen stellen undauch Änderungen an zentralen Stellen beantragen.

Vor diesem Hintergrund – das möchte ich an dieserStelle ausdrücklich aufgrund der Erfahrungen derletzten Monate auch noch mal sagen – wünschenwir uns eine intensive Beratung im Parlament. Wirhaben bereits jetzt die Einladung für den Sozialaus-schuss in der nachher folgenden Mittagspause, woeine mündliche Anhörung beschlossen werden soll.Das erinnert mich sehr an das Vorgehen zum Lan-desprogramm Solidarisches Zusammenleben, wohier mit Schnelligkeit ein Gesetz durchgepeitschtwurde und letztendlich nicht genügend Raum zumDiskutieren war. Ich möchte nicht, dass wir Parla-mentarier das ausbaden müssen, was die Landes-regierung hier in den letzten vier Jahren versäumthat. Vier Jahre lang wurde es nicht geschafft, einGesetz vorzulegen, und jetzt hat es den Landtagerreicht. Wir als Oppositionsfraktion erwarten, dassuns deswegen auch genügend Zeit eingeräumtwird, nicht nur von unserer Seite Bedenken und An-regungen einzubringen, sondern auch die Betroffe-nen zu hören.

(Beifall CDU)

Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch gleichsagen: Wir werden im Ausschuss beantragen, dassdieses Gesetz auch im Online-Forum des Landtagseingestellt wird, damit unter barrierefreier Beteili-gung alle Menschen mit Behinderungen in Thürin-

gen die Chance haben, sich zu diesem Gesetz zuäußern, damit wir deren Anregungen auch aufneh-men können. Deswegen kann ich an dieser Stellenur sagen, ich freue mich auf die Beratung undauch auf deren Ergebnisse und möchte Ihnen fürdie Aufmerksamkeit danken.

(Beifall CDU)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Ich rufe jetzt FrauAbgeordnete Pelke von der SPD-Fraktion auf.

Abgeordnete Pelke, SPD:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, werte Gäste auf der Tribüne und auch inden anderen Räumen, wo Sie uns zuhören, ich darfSie alle ganz herzlich begrüßen. Die politische, wirt-schaftliche, soziale und gesellschaftliche Teilhabevon Menschen mit Behinderungen zu verwirklichen,ist eines der wesentlichen sozialpolitischen Zieleder rot-rot-grünen Landesregierung. Genau deshalb– Frau Ministerin ist schon darauf eingegangen –haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dasThüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstellungvon Menschen mit Behinderungen zu überarbeiten,um die gesetzliche Umsetzung der UN-Behinder-tenrechtskonvention in Thüringen weiter voranzu-treiben. Bei der Erarbeitung gesetzlicher, politischerund wirtschaftlicher Maßnahmen, die Menschen mitBehinderungen betreffen, gilt nach wie vor: Die Be-troffenen sprechen mit – gemäß dem Grundsatzder UN-Konvention: „Nicht ohne uns über uns“. Dasist auch beim Außerparlamentarischen Bündnis im-mer angesprochen worden. Ich darf an dieser Stelleauch ganz herzlich Herrn Pfeffer begrüßen. Er folgtheute der Diskussion.

(Beifall DIE LINKE)

Ich freue mich sehr, dass wir heute das ThüringerGesetz zur Inklusion und Gleichstellung von Men-schen mit Behinderungen sowie zur Änderung desThüringer Beamtengesetzes in der ersten Lesungdiskutieren können. Ich weise noch mal darauf hin– es ist auch schon vorher angesprochen worden:Ziel dieses Gesetzes ist nichts Geringeres als dieUmsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionund die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft alsgesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das macht auchnoch mal deutlich, was dieses Vorhaben für einenUmfang hat, um alles insgesamt zu beraten und zudiskutieren.

Natürlich, werte Kollegin Meißner, hätten wir uns al-le darüber gefreut, wenn wir beispielsweise schon

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12161

(Abg. Meißner)

im letzten Jahr das Gesetz hier hätten diskutierenkönnen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber auch an dieser Stelle – und das haben Sie jaauch öfters eingefordert – gilt der Satz: Gründlich-keit vor Schnelligkeit. Es ist schon ausgeführt wor-den und ich komme nachher noch mal darauf zu-rück, warum das eine oder andere so lange gedau-ert hat. Im Übrigen: Die Einbindung von Menschen,Verbänden, Organisationen und eine ganz breiteDiskussion – das braucht seine Zeit. Und genau diehaben Sie eben auch für sich selbst eingefordertund die haben wir vorher natürlich auch genutzt,um Vereine, Verbände und Menschen mit Behinde-rungen ordnungsgemäß einzubeziehen.

Vielleicht noch mal einige wenige Hinweise darauf,was sich mit der Novelle des Gesetzes künftig ver-ändern wird – die Ministerin hat zwar schon vielesangesprochen, aber lassen Sie mich noch mal kurzauf das ein oder andere eingehen. Ja, die vielleichtweitreichendste Veränderung ist die Ansiedlung desBeauftragten für Menschen mit Behinderungen hierbeim Thüringer Landtag. Es ist schon gesagt wor-den: Er wird nicht mehr ernannt, sondern der Be-auftragte wird zukünftig vom Landtag gewählt undist auch hier angesiedelt. Da sagen Sie, Frau Meiß-ner, dass Sie diesen Vorschlag 2015 hier einge-bracht haben und er sei dann von uns abgelehntworden. Wir haben immer darauf verwiesen, dasswir die Klärung hinsichtlich dieser Frage im Rah-men dieses Gesetzes vornehmen werden. Das istder eine Punkt. Ich freue mich, dass Ihnen dann alsOppositionspartei im Jahre 2015 diese Überlegunggekommen ist, denn vorher, als wir in Regierungs-verantwortung waren, hatten Sie diesen Vorschlagnie gemacht.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Meißner, CDU: Aber war-um haben Sie es abgelehnt?)

Das habe ich Ihnen eben gesagt, weil wir das imRahmen dieses Gesetzes mit bearbeitet haben.Jetzt sage ich Ihnen noch mal ganz deutlich: DerBeauftragte von Menschen mit Behinderungen istMittler und soll Mittler sein zwischen den Menschenmit Behinderungen und der Verwaltung und deswe-gen ist es gut, dass er durch das Parlament legiti-miert wird. Dass die Ansiedlung des Beauftragtenbeim Landtag künftig zu erfolgen hat, ist eine derzentralen Forderungen der Betroffenen und derVerbände gewesen. Aber – das sage ich auch ganzdeutlich und alle, die die ganzen Diskussionen bis-lang begleitet haben, wissen, dass wir genau dieseFrage auch kontrovers diskutiert haben – da ginges nicht um die Position des Beauftragten für Men-

schen mit Behinderungen, sondern es ging uns ins-besondere – was die SPD-Fraktion betrifft – darum,dass wir auch eine Gleichstellung innerhalb der Be-auftragten dieses Landes hinbekommen. Dasmöchte ich gern in Zukunft noch angehen, denn dieWertigkeit einer Gleichstellungsbeauftragten fürMann und Frau – denke ich – steht in keiner Weisehinter anderen Beauftragten, die hier im Landtaggewählt werden, zurück. Darum möchten wir unsauch künftig kümmern. Das zeigt noch mal, dass esnicht darum geht, dass wir irgendwas nicht gewollthaben. Nein, die Forderungen und die Aussagender Betroffenenverbände haben uns an diesemPunkt überzeugt.

(Beifall SPD)

Deswegen stehen wir dazu, dass der Beauftragtehier im Landtag gewählt wird, aber wir möchten dieBeauftragtensituation insgesamt klären im Interes-se der Beauftragten und der Menschen, für die sietätig sind.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine weitere zentrale Forderung der Verbände, diejetzt in der Gesetzesnovelle umgesetzt wird, ist dieEinführung eines Verbandsklagerechts. Ich will dasnicht noch mal untersetzen, Frau Ministerin hat inaller Deutlichkeit schon darauf hingewiesen. Dasbedeutet eben, dass Menschen mit Behinderungenbei Benachteiligungen nicht selbst den Klagewegbeschreiten müssen, sondern anerkannte Verbän-de, die es auch an ihrer Stelle tun können. Auch dieStreichung des Finanzvorbehalts für die Kommu-nen bezüglich der Erfüllung der Gesetzesvorgabenhaben wir vorgenommen, denn dieser Finanzvorbe-halt widersprach explizit den Festlegungen der UN-Behindertenrechtskonvention.

Durch das Gesetz wird außerdem festgelegt – auchdas ist schon gesagt worden –, dass das Land, dieLandkreise und die kreisfreien Städte Maßnahmen-pläne zur Erreichung der Inklusion von Menschenmit Behinderungen erarbeiten und – wie wir esauch im gesamten Diskussionsprozess vorher ge-macht haben – natürlich dabei die Betroffenen undderen Interessenvertreter beteiligen werden. DiesePläne – auch das ist schon gesagt worden – sollennicht länger als fünf Jahre gelten, bevor sie wiederüberarbeitet werden. Ich halte das für eine ganzwesentliche Zielsetzung, damit auch eine Weiter-entwicklung gegeben ist und die Betroffenen immerentsprechend mit eingebunden werden müssen.

Auch im Bereich der Barrierefreiheit bezüglich öf-fentlicher Gebäude oder der Erreichung barriere-freier Kommunikation trifft der Gesetzentwurf zahl-reiche Festlegungen, die Thüringen inklusiver fürMenschen mit Behinderungen machen. Auch die

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(Abg. Pelke)

Verbesserung der Zugänglichkeit von Einrichtungenund Informationen, insbesondere für Menschen mitkognitiven Beeinträchtigungen, die Bewusstseins-bildung für die Belange von Menschen mit Behinde-rungen, die Verbesserung ihrer Partizipation unddie Stärkung der Position der jeweiligen Beauftrag-ten für Menschen mit Behinderungen auf kommu-naler Ebene schreibt die Gesetzesnovelle fest.

Lassen Sie mich feststellen, weil es heute die Ein-bringung und die erste Diskussion hier ist und wirauch schon an vielen anderen Stellen über den Ge-setzentwurf diskutiert haben: Ich finde schon, dasswir mit der vorliegenden Gesetzesnovelle einenweiteren großen Schritt auf dem Weg Thüringenszu einer inklusiven Gesellschaft gehen.

Jetzt vielleicht noch einige Sätze dazu, warum esetwas länger gedauert hat, wenn auch die Ministe-rin schon darauf hingewiesen hat: Wie es schonausgeführt wurde, wurde bei der Erarbeitung derGesetzesnovelle der Grundsatz der UN-Konvention„Nicht ohne uns über uns“ gewahrt. Es gab einebreite Diskussion. Ich will an dieser Stelle – weil iches vorhin nur erwähnt und mich noch nicht bedankthabe – allen Vereinen und Verbänden, die sich in-tensiv und zielorientiert eingebracht haben, mitdis-kutiert haben, sich viel Arbeit gemacht haben – undes hat viel Zeit und Kraft gebraucht – ein ganz herz-liches Dankeschön sagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Das ist eigentlich alles bekannt. Man muss da nichtirgendetwas hin- und herschieben, man muss jetzteinfach über den vorliegenden Gesetzentwurf dis-kutieren. Wir werden ihn noch intensiv in den Aus-schüssen und auch im Rahmen von Anhörungenberaten. Ein weiterer Grund, warum die Erarbeitunglänger gedauert hat, ist, dass auch der Maßnah-menplan zur Umsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention in Thüringen überarbeitet wordenist.

Auch das ist schon ausgeführt worden: Der Maß-nahmenplan 2.0 war erst kürzlich in der Anhörungdes Sozialausschusses Thema hier im Landtag. Erenthält immerhin 130 Maßnahmen und Festlegun-gen zur zukünftigen weiteren Inklusion von Men-schen mit Behinderungen und war für mich auchimmer im Zusammenhang mit dem Behinderten-gleichstellungsgesetz zu betrachten, zu diskutierenund auch zu sehen.

Nicht zuletzt wurde eine Prüfung des Gleichstel-lungsgesetzes hinsichtlich seiner Übereinstimmungmit den in der UN-Behindertenrechtskonvention ge-troffenen Regelungen und Forderungen durch dasDeutsche Institut für Menschenrechte durchgeführt.

Im Übrigen wurden auch Sie von der Opposition im-mer auf dem Laufenden gehalten, was die Zeitver-schiebungen angeht. Ob es das Außerparlamenta-rische Bündnis war, ob es die Ausschüsse waren,ob es andere Gesprächsrunden waren: Es ist von-seiten des Ministeriums durch die Ministerin immerordnungsgemäß über die Zeitabläufe informiertworden.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also, bei derNovellierung des Gesetzes wurde sehr gründlichunter Einbeziehung der Betroffenen und deren Ver-treter vorgegangen, und das werden wir auch imweiteren Verfahren so handhaben. Deswegen binich eigentlich froh, dass wir die Sondersitzungnachher in der Mittagspause haben, um schnell undzügig schon diejenigen festzulegen, die wir dann zuAnhörungen einladen wollen. Ich freue mich des-halb auf die Diskussionen in den Ausschüssen undnatürlich auch in den Anhörungen und die weitereDiskussion mit den Vertretern der Menschen mitBehinderungen und deren Organisationen und Ver-bänden.

Ich freue mich auf eine breite, intensive Diskussion,gehe aber davon aus, dass wir natürlich mit diesemGesetzentwurf den richtigen Weg gegangen sind,und bin auch ein bisschen stolz darauf, dass wir imVorfeld diese enge Absprache und die enge Verbin-dung mit denen hatten, die wissen, worum es geht,und dass sie sich auch bereit erklärt haben, mit unszu sprechen und dieses Gesetzesvorhaben zu be-gleiten. Deswegen bitte ich um Überweisung desGesetzentwurfs an den Sozialausschuss und anden Gleichstellungsausschuss und freue mich aufeine angenehme sachgerechte Diskussion. Herz-lichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/DieGrünen)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Für die AfD-Frak-tion hat Frau Abgeordnete Herold das Wort.

Abgeordnete Herold, AfD:Vielen Dank, Frau Präsidentin. Einen schönen gu-ten Morgen, liebe Kollegen Abgeordnete, sehr ge-ehrte Besucher auf der Tribüne und Zuschauer imInternet, die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag be-kennt sich mit Bezug auf unser abendländisch-christlich geprägtes Menschenbild

(Unruhe DIE LINKE)

mit mitteleuropäischer Tradition zur Gleichstellungvon Menschen mit Behinderungen. Grundsätzlichbegrüßen wir also politische Bemühungen, die Er-

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(Abg. Pelke)

leichterungen für Menschen mit Behinderungen imAlltag, bei Behörden, im Straßenverkehr und in al-len Lebenssituationen zu ermöglichen.

(Beifall AfD)

Die Drucksache 6/6825 zielt darauf ab, die Gleich-stellung von Menschen mit Behinderungen zu för-dern, worin sie natürlich unsere Unterstützung er-fährt. Dennoch mussten wir bei der Lektüre desEntwurfs einige Schwachstellen herausarbeiten, dienun hier genannt werden sollen.

Zu § 10 bezüglich der Forderung nach baulichenMaßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit: Inden Bereichen Bau und Verkehr ist unbedingt da-rauf zu achten, dass die Kommunen, die hier dieHauptlast zu tragen haben, mit ausreichenden Fi-nanzmitteln ausgestattet werden. Es darf nicht nurbei der bloßen Formulierung sachlich gerechtfertig-ter Forderungen bleiben, es muss auch an die aus-führende Ebene gedacht werden.

(Beifall AfD)

Wir werden den sich in Beratung befindlichenHaushaltsplan 2020 genau auf diesen Finanzie-rungsvorbehalt hin sorgfältig prüfen.

Hinsichtlich Kapitel D, Kosten für Kommunikations-hilfen zum Zwecke einer barrierefreien Kommunika-tion – zum Beispiel Dolmetscherleistungen, Weg-streckenentschädigungen, Fahrtkosten im Rahmenvon Behördengängen –, fordern wir schon längeraus Gründen der Vereinfachung und des echtenBürokratieabbaus für die Menschen, die diese Er-leichterungen brauchen, die Einrichtung eines per-sönlichen Budgets in angemessener Höhe, über diedie Anspruchsberechtigten eigenverantwortlich ent-scheiden können.

(Beifall AfD)

In § 23 Nr. 6 ist das festgeschriebene Recht derkommunalen Beauftragten für Menschen mit Behin-derungen auf Teilnahme an einer jährlichen Aus-und Weiterbildung aus unserer Sicht nicht ausrei-chend. Wir halten eine jährliche Weiterbildungs-pflicht aus verschiedenen Gründen für angezeigt.

Im Gleichstellungsgebot in § 7 ist die Gleichstellungder Geschlechter geregelt und nennt dabei alleinFrauen als Opfer von Intersektionalität. So sindnach unserer Auffassung allerdings unter Wahrungwirklicher Gleichstellung, insbesondere hinsichtlichdes Schutzes vor Intersektionalitätserfahrungen,auch Männer mit Behinderungen einzubeziehen.Das Gesetz stellt an dieser Stelle nicht klar, welchevon den heute in der modernen Geschlechterdebat-te aufgeführten Erscheinungsformen von Ge-schlecht damit eigentlich gemeint sind und unter-

läuft damit ein weiteres Mal die selbst errichtetenhohen Standards.

(Beifall AfD)

Auch werden die Rechtsfolgen kaum thematisiert.Was passiert, wenn zum Beispiel den Bedürfnissender Betroffenen nicht entsprochen werden kann, et-wa bei der Forderung der Pflege durch Personendes gleichen Geschlechts? Welches Geschlecht istgemeint und was passiert, wenn diesen Forderun-gen oder diesen Wünschen und Bedürfnissen nichtentsprochen werden kann? Wie soll das im Einzel-fall sichergestellt werden, wenn wir davon ausge-hen müssen und sollen, dass es mehr als zwei Ge-schlechter gibt?

Bezüglich des Abbaus von Defiziten bei der barrie-refreien Kommunikation von Menschen mit Behin-derungen, wie er an verschiedenen Stellen des Ge-setzentwurfs gefordert wird, könnte das Land mitgutem Beispiel vorangehen, denn längst nicht alleOnlinedokumente des Freistaats aus den Berei-chen Senioren-, Gleichstellungs- und Behinderten-politik sind gegenwärtig barrierefrei abrufbar. HaltenSie sich also bitte dort auch an Ihre eigenen Ziel-setzungen.

Kommen wir abschließend auch zu der in meinenAugen sensibelsten Stelle im Gesetzentwurf, näm-lich dem Recht auf gemeinsamen Unterricht in § 12des Gesetzes. Dort heißt es – ich möchte zitierenmit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: „Eine Unter-richtung an Förderschulen erfolgt dann, wenn dergemeinsame Unterricht mit Schülern ohne Behinde-rungen nicht möglich oder eine gesonderte Förde-rung erforderlich ist. Die Eltern werden in die Schul-wahl einbezogen. Dabei wird den Eltern von Schü-lern mit Behinderungen eine individuelle und schul-artneutrale Beratung gewährt.“ Wie großherzig,möchte man an dieser Stelle ausrufen. Was genauist unter dieser Vorgabe zu verstehen? Wer ent-scheidet letztendlich darüber, welches Kind Zugangzu einer Förderschule hat und welches Kind mögli-cherweise gegen seinen oder gegen den Elternwil-len in eine allgemeinbildende Schule eingeschultwird?

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Dassteht im Schulgesetz!)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Der Elternwille zählt!)

Der Elternwille ist nicht eindeutig definiert. Auchdas Letztentscheidungsrecht der Eltern konnte ichin Ihrem vorgelegten Gesetzentwurf nicht entde-cken.

12164 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Herold)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ein Blick in das Schulge-setz hilft!)

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Na-tionen stellt unsere bewährten Förder- und Sonder-schulen keineswegs infrage. Die Forderung, behin-derten Kindern Teilhabe am Bildungssystem zu ga-rantieren, haben wir hier bereits in Deutschland um-fassend und erfolgreich erfüllt. Die ideologisch moti-vierte Inklusion um jeden Preis verursacht erhebli-che Kosten und hemmt behinderte wie nicht behin-derte Kinder in ihrem Lernerfolg.

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Das istim Zusammenhang zu sehen!)

Wir als AfD Thüringen setzen uns deshalb mitNachdruck für den Erhalt der Förder- und Sonder-schulen sowie für das Prinzip des Elternrechts ein.Das heißt, die Eltern sollen auch weiterhin das ers-te Recht haben, ihre Kinder in spezialisierte undden Bedürfnissen ihrer Kinder entsprechende Ein-richtungen zu schicken.

(Beifall AfD)

Inklusion mit Augenmaß – bitte, gern, wenn die El-tern und die Kinder das möchten.

So unterstützenswert der Grundgedanke einerGleichstellung von Menschen mit Behinderungenist, so überarbeitungsbedürftig sind manche Überle-gungen im vorliegenden Gesetzentwurf. Wir haltendie Drucksache 6/6825 für sehr wertvoll und einernäheren Erörterung im Ausschuss für Soziales, Ar-beit und Gesundheit unbedingt diskussionswürdigund stimmen der Ausschussüberweisung zu. VielenDank.

(Beifall AfD)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als Nächstespricht für die Fraktion Die Linke Frau AbgeordneteStange.

Abgeordnete Stange, DIE LINKE:Werte Kolleginnen und Kollegen, werte Zuhörerin-nen und Zuhörer auf der Tribüne und am Li-vestream, seien Sie herzlich willkommen zu derheutigen hoch interessanten Diskussion für einneues Gesetz zur Inklusion von Menschen mit Be-hinderungen. Ich möchte mich zuerst recht herzlichbei den Gebärdendolmetscherinnen bedanken, dieim Livestream für uns mitarbeiten,

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

damit über die Grenzen von Thüringen hinaus dieDiskussion erlebbar wird. Gleichzeitig möchte ichmich bei den Sprachdolmetscherinnen und

(Zwischenruf Werner, Ministerin für Arbeit,Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie:Schrift!)

Schriftdolmetscherinnen bedanken, die Ähnlichestun. Recht herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Frau Herold, schauen Sie doch einfach mal in dasSchulgesetz! Da ist alles formuliert, was Mitspracheanbelangt – § 7 sollten Sie nachlesen. Somit kön-nen Sie Ihre Falschbehauptungen und Fake Newseinfach ad acta legen und die Menschen nicht nochweiter verunsichern. Das wäre wichtig. Wichtig wä-re auch, einfach mitzuteilen, dass es gar keine Son-derschulen in Thüringen gibt. Ich weiß gar nicht,woher Sie das haben. Es gibt Förderschulen undweitere Schuleinrichtungen, wie TGS, Gemein-schaftsschulen, Regelschulen, Gymnasien etc. –das ist Nummer eins.

Nummer zwei: Frau Meißner, mangelnde Wert-schätzung haben Sie hier der Landesregierung vor-geworfen, mangelnde Wertschätzung habe sie anden Tag gelegt. Ich sage an der Stelle: Nein, es istnicht mangelnde Wertschätzung, sondern es istWertschätzung. Denn in den zurückliegenden Jah-ren – und meine Vorrednerinnen haben es bereitsgenannt – ist durch die Landesregierung ein inten-siver Diskussionsprozess mit den Vertreterinnenund Vertretern der unterschiedlichsten Verbände zudiesem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wor-den. Da kann man nur Danke sagen an die Landes-regierung für diesen wirklich intensiven Diskus-sionsprozess.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Danke, dass Sie ihn so lange durchgehalten haben,und danke, dass wir heute einen Gesetzentwurf aufden Tisch gelegt bekommen haben, welcher wirk-lich das Wort „Inklusion“ in den Mittelpunkt gestellthat. An der Stelle sage ich auch für die Linke: Wirschauen noch mal gemeinsam in die Thüringer Ver-fassung, denn da ist bereits von Anfang an be-schrieben worden, dass in Artikel 2 Abs. 2 der Ver-fassung ein umfangreiches Nachteilsausgleichsge-bot für Menschen mit Behinderungen in Thüringenexistiert. Es wird jetzt mit diesem Gesetzentwurfweiter umgesetzt – das ist gut – und wir kommenmit diesem Gesetzentwurf dem Thema der Inklusi-on viel näher, als wir es je waren.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12165

(Abg. Herold)

Ich sage auch – und das sage ich auch noch malmit Blick auf die CDU-Fraktion, auch wenn Sie esnicht mehr gern hören wollen –, es ist so, dass nurdurch den steigenden Druck – auch der Verbände,auch des Thüringer Gleichstellungsbündnisses – inden zurückliegenden Jahrzehnten Sie damals alsCDU-Fraktion ein Thüringer Behindertengleichstel-lungsgesetz auf den Weg gebracht haben, worindas Thema „Inklusion“ nicht zu hören und zu lesenwar. Es war immer von „Integration“ die Rede,Nachteilsausgleiche oder Ähnliches suchte Menschvergeblich. Das hat sich jetzt mit diesem Gesetz-entwurf geändert, der 16 Jahre später mit derHandschrift einer linken Ministerin auf den Weg ge-bracht wird, und das ist genau die Handschrift, diewir hier als Koalition von Rot-Rot-Grün auch gernsehen wollen und sehen werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen, dem Gesetzent-wurf – ich hatte es bereits erwähnt – liegen das In-klusionskonzept und der Inklusionsgedanke sehrnahe. Das sagt natürlich auch – und das haben wirauch bereits gehört – die UN-Behindertenrechts-konvention, denn diese ist für alle Vertragsstaaten,die sie unterschrieben haben, gültig. In circa vierWochen werden wir die zehnjährige Ratifizierungdieser UN-Behindertenrechtskonvention hier bege-hen und der Gesetzentwurf passt sehr gut dazu. Erist ein Paradigmenwechsel von dem jetzt gültigenGesetz hin zu dem neuen, das muss man einfachauch immer wieder formulieren.

Ich will es noch mal sichtbar machen, weil die The-men „Integration“ und „Inklusion“ ganz oft in einenTopf geschmissen und verrührt werden. Aber esgibt einen großen Unterschied, denn Integration be-deutet, man schließt konzeptionell oder tatsächlicherst einmal Menschen aus, um sie dann mehr oderweniger großzügig wieder in die normale Gesell-schaft hineinzunehmen. Ich sage immer: Wer heutevon Integration spricht, der sagt eigentlich, es istein „Gnadenrecht der Mehrheitsgesellschaft“. Dasbedeutet, man kommt von oben nach unten wiederin die Gesellschaft rein, das wollen wir nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Wir wollen Inklusion, werte Kolleginnen und Kolle-gen. Und Inklusion heißt auch, alle Menschen ge-hören von Anfang an zur Gesellschaft, sind ein Teilder Gesellschaft, denn es wird die Tatsache akzep-tiert: Alle Menschen sind unterschiedlich, sind an-ders und alle sind doch gleich im Sinne von Gleich-stellung und gleicher Teilhabe, niemand ist drau-ßen, sie sind alle eingeschlossen. Das ist wirklichInklusion, wie sie nach den Buchstaben des Ge-setzes steht, aber auch wie wir sie gemeinsam le-ben sollten.

In einer inklusiven Gesellschaft haben alle das glei-che Recht auf umfassende Teilhabe, auf ein selbst-bestimmtes Leben, und das, werte Kolleginnen undKollegen, wird auch mit diesem Gesetzentwurf wei-ter verankert und festgeschrieben. Ich sage auch:Bei Inklusion zugunsten behinderter Menschengeht es nicht um „wohlfeiles Mitleid“ von oben her-ab, es geht um Anerkennung und Respekt von be-hinderten Menschen auf gleicher Augenhöhe, werteKolleginnen und Kollegen.

Und beim Thema „gleiche Augenhöhe“ kann ich esIhnen nicht ersparen, noch mal ein paar Sätze zuder Aktuellen Stunde vom vergangenen Mittwochzu äußern, als die Abgeordnete Muhsal hier in derAktuellen Stunde von Bündnis 90/Die Grünen äu-ßerte, so war es in der TA und bei dpa zu lesen –ich zitierte, werte Frau Präsidentin –: „Klimafanati-ker schrecken nicht davor zurück, den Protest einesautistischen schwedischen Mädchens zu instru-mentalisieren.“ Ja, wo sind wir denn hier, sage ichan der Stelle, Frau Muhsal.

Ich finde, das ist einfach skandalös, was Sie hiergesagt haben, denn in einer inklusiven Gesell-schaft, die niemanden ausschließt, ist es egal, obein Mensch, der sich für ein wichtiges Problem, fürein wichtiges Thema persönlich engagiert, behin-dert ist oder nicht. Es zählt das persönliche Enga-gement des Menschen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Da ist es wirklich egal, ob es ein behinderter oderein nicht behinderter Mensch ist, Frau Muhsal.

(Unruhe AfD)

Das ist Ihr Bild von einem behinderten Menschen,Kollegin Muhsal. Wir sagen an der Stelle ausdrück-lich: Das ist menschenfeindlich.

(Beifall DIE LINKE)

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben vorhinschon viel über das Prinzip „Nicht ohne uns überuns“ gehört. Ja, das ist hier bei der Erstellung desGesetzentwurfs ausdrücklich gelebt worden. Es istin die Erarbeitung mit eingeflossen. Ich bin mir sehrsicher: Dieses Prinzip werden wir in der Anhörung,die wir gemeinsam beschließen werden, auch le-ben.

Mir ist es sehr wichtig, dass wir uns vielleicht auchgemeinsam über die demokratischen Fraktionenhinweg darauf verständigen, dass es uns in derAussage darauf ankommt, dass es nicht sein kann,dass Menschen mit Behinderungen gesellschaftlichdiskriminiert oder ausgegrenzt werden. Wir müssenalles dafür tun, dass konkrete Lebensumstände imAlltag so gestaltet werden, dass alle Menschen die

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(Abg. Stange)

gleichen Rechte in Thüringen haben, werte Kolle-ginnen und Kollegen.

Meine Vorredner haben sich in ihren Reden schonauf verschiedene Paragrafen berufen, die wir indem Gesetzentwurf lesen können. Ich werde dasauch noch einmal tun. Für mich ist auch sehr gutund wichtig, dass in § 16 die Zielvereinbarungengenau formuliert worden sind, denn sie sind in un-serem Sinne – im Sinne der Fraktion Die Linke –unter anderem ein Garant dafür, dass dieser Ge-setzentwurf auch in allen Ministerien, in den öffentli-chen Einrichtungen, in den kommunalen Einrich-tungen umgesetzt werden kann. Man verständigtsich auf eine gemeinsame Verabredung.

Wichtig ist uns auch – und das haben meine Vor-rednerinnen bereits gesagt –, dass das Thema derBarrierefreiheit jetzt einen höheren Stellenwert er-hält. Es ist also vorgesehen, mehr zwingende Maß-nahmen einzuführen. Dass der Finanzvorbehalt fürdie Kommunen endlich wegfällt, ist gut und richtig,denn das war in den zurückliegenden zwölf Jahrenimmer ein Argument, warum Kommunen nicht ander Barrierefreiheit gearbeitet haben.

Auch hervorheben möchte ich, dass § 14 vorsieht,die Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken soauf den Weg zu bringen, dass der Behördensprech,den wir alle oft verfluchen, endlich wegfällt. Manmuss amtliche Schreiben verstehen können. Dashat nicht nur etwas mit behinderten Menschen zutun, sondern auch Seniorinnen und Senioren odereine Vielzahl von ausländischen Bürgerinnen undBürgern haben es schwer, Behördenbescheide zulesen und zu verstehen. Darum ist der Paragrafwichtig für alle in der Gesellschaft der in Thüringenlebenden Menschen.

Ich will ganz ausdrücklich an dieser Stelle auch§ 15 „Verständlichkeit und Leichte Sprache“ nocheinmal zitieren, wenn ich darf, Frau Präsidentin. In§ 15 ist zu lesen: „Die Träger der öffentlichen Ge-walt sollen mit Menschen mit kognitiven Beeinträch-tigungen in einfacher und leicht verständlicherSprache kommunizieren. Insbesondere sollen siediesen Menschen auf Verlangen Bescheide, Allge-meinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge undVordrucke ohne zusätzliche Kosten in einfacherund leicht verständlicher Art und Weise erklären.Diese Erklärung kann durch die Träger der öffentli-chen Gewalt sowohl in mündlicher Form als auch inschriftlicher Form in Leichter Sprache erfolgen.“ Ja,was wollen wir denn mehr? Das ist ein Meilenstein,den wir in diesem Gesetz vorgelegt bekommen ha-ben. Leichte Sprache – Sie haben es vorhin erle-ben können – ist eine wirkliche Herausforderung fürdie Gesellschaft, damit Menschen mit Lernschwie-rigkeiten, ältere Menschen die Bescheide lesen

können. Das ist wichtig. Das werden wir im wirkli-chen Umsetzungsleben in den Kommunen und vorOrt erleben können.

Ich will noch einmal auf das Thema der Behinder-tenbeauftragten eingehen – sicherlich können wiruns in den Ausschussberatungen damit inhaltlichauseinandersetzen. Richtig ist die Ansiedlung desLandesbehindertenbeauftragten hier beim Thürin-ger Landtag. Das hat meine Fraktion in den zurück-liegenden Legislaturen schon immer gefordert. Wirhaben auch immer gefordert, dass er gemeinsamhier aus dem Hohen Hause heraus gewählt wird,dass die Vereine und Verbände ein Vorschlagsrechthaben und wir als Parlamentarierinnen und Parla-mentarier entscheiden können, wen wir wählenwerden, mit welchen Befugnissen er ausgestattetist. Es steht hier drin.

Ihr Gesetzentwurf, Frau Meißner, ich muss es Ih-nen noch einmal sagen, war ein Stückchen Ab-schreiben eines alten linken Gesetzentwurfs einerLegislatur davor. Das war nicht wirklich eigenständi-ge Initiative. Sie wollten als Opposition versuchenzu punkten. Das haben Sie leider nicht geschafft,Frau Meißner. Das muss ich an der Stelle mal soformulieren.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn wir den Gesetzentwurf verabschiedet haben,wird der Behindertenbeauftragte hier im Landtag ineiner neuen Legislaturperiode von einem neuenLandtag gewählt. Das ist gut und richtig. Wir habenihn auch mit Befugnissen ausgestattet. Man kannimmer über alles reden. Wenn wir einen Konsensfinden, dass man noch etwas verbessern kann, sowerden wir das auch tun. Wir verschließen uns ander Stelle nicht.

Ein Wort will ich noch zu den kommunalen Beauf-tragten sagen: Ja, Sie haben die Chance, Sie kön-nen jetzt kommunale Beauftragte und kommunaleBehindertenbeiräte in den Kommunen wählen, Siekönnen sie in ihre Arbeit bringen. Dafür stellt dasLand immerhin schon ab dem Haushaltsjahr 2019700.000 Euro zur Verfügung. Wir sollten uns ge-meinsam anstrengen, dass diese 700.000 Euroauch in diesem Jahr noch bei den Kommunen an-kommen, damit wir sie nicht in den Haushalt zu-rückgeben, sondern wir auch in diesem Jahr nochsagen: Für die Arbeit der kommunalen Beiräte undBeauftragten gibt es Geld. Das ist ein erster Anreiz,damit in den Kommunen das Thema „kommunaleBehindertenbeauftragte“ nicht länger abgewehrtwird. An der Stelle bitte ich um sachliche, konstruk-tive und zügige Diskussion, denn die Verbände er-warten von uns, dass wir diesen Gesetzentwurfzeitnah verabschieden, vielleicht vor der Sommer-

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(Abg. Stange)

pause. Dafür werde ich werben. Recht herzlichenDank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen spricht jetzt Frau Abgeordnete Pfefferlein.

Abgeordnete Pfefferlein, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, liebe Gäste, lieber Herr Pfef-fer, sehr geehrter Herr Leibiger! Vielen Dank, FrauMinisterin, für Ihre Worte am Anfang. Ich möchtemich auch anschließen. Ich bin sehr froh, dass wirheute hier im Landtag endlich das Thüringer Ge-setz zur Inklusion und Gleichstellung von Men-schen mit Behinderungen beraten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit sind wir endlich unserem Ziel ein gutes Stücknäher gekommen, in Thüringen ein moderneresTeilhaberecht im Sinne der UN-Behindertenrechts-konvention zu realisieren. Ich sage bewusst „nurein Stück näher am Ziel“, denn der Weg zur Ver-wirklichung von Selbstbestimmung und gleichbe-rechtigter Teilhabe ist gerade für Menschen mit Be-hinderungen voller Hemmschwellen, Stolpersteineund Schranken. Mit diesem vorliegenden Gesetz-entwurf sind wir ein Stück näher dran, diese Hinder-nisse ein wenig überwindbarer zu machen undMenschen mit Behinderungen die notwendige Un-terstützung und Teilhabe zu geben.

In § 1 heißt es nun – ich würde gern zitieren, FrauPräsidentin –: „Ziel des Gesetzes ist es, durch dieUmsetzung des Übereinkommens der VereintenNationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechtevon Menschen mit Behinderungen […] den vollenund gleichberechtigten Genuss aller Menschen-rechte und Grundfreiheiten durch alle Menschenmit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zugewährleisten und die Achtung der ihnen inne woh-nenden Würde zu fördern. Dabei wird ihren beson-deren Bedarfen Rechnung getragen. […] DieSchaffung einer inklusiven Gesellschaft ist eine ge-samtgesellschaftliche Aufgabe.“ Dieser Aufgabefühlt sich Rot-Rot-Grün verpflichtet. Deshalb wurdeim Koalitionsvertrag als ein wesentliches Ziel dieserLegislatur die Überarbeitung des Gesetzes zurGleichstellung und Verbesserung der Integrationvon Menschen mit Behinderungen festgeschrieben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun wurde diese große Aufgabe mit dem vorliegen-den Thüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstel-lung von Menschen mit Behinderungen umgesetzt.An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass der hiervorliegende Gesetzentwurf wirklich lange erwartetwurde – von vielen Menschen, schon in der voraus-gegangenen 5. Wahlperiode. Damals war unterSchwarz-Rot eine bereits vorgesehene Novelle desGesetzes gescheitert.

Doch heute beraten wir über den Gesetzentwurf.Wie allgemein bekannt ist: Was lange währt, wirdschlussendlich gut, denn der Erarbeitung des Ge-setzentwurfs ging ein intensiver Beteiligungspro-zess voraus. Ein erster Arbeitsentwurf wurde zahl-reichen Vereinen, Verbänden und Institutionen derMenschen mit Behinderungen und Trägern der öf-fentlichen Verwaltung zur Verfügung gestellt. ImResultat wurden zahlreiche Forderungen der Verei-ne und Verbände in den Gesetzentwurf aufgenom-men und finden sich in dem nun vorliegenden Ge-setzentwurf wieder. Diese Beteiligung war wichtig,wertvoll und hat wesentlich zu dem hier vorliegen-den Ergebnis beigetragen. So waren die Vertretun-gen der unmittelbar betroffenen Bürgerinnen undBürger von Thüringen an diesem wichtigen landes-politischen Gesetzesvorhaben wesentlich beteiligt –dafür an dieser Stelle mein herzliches Dankeschön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Sie haben wertvolle Anregungen und Kommentaregegeben und das Gesetzesvorhaben damit berei-chert.

Sehr geehrte Damen und Herren, rund 13 Prozentder Menschen in Deutschland leben mit einer Be-hinderung, 9,4 Prozent der gesamten Bevölkerungin Deutschland mit einer Schwerbehinderung. InThüringen ist derzeit von etwa 380.000 Menschenmit amtlich festgestellten Behinderungen auszuge-hen. Davon haben circa 229.100 schwerbehinderteMenschen einen Grad der Behinderung von 50 bis100 und circa 150.900 behinderte Menschen einenfestgestellten Grad der Behinderung von 20 bis 40.Etwas mehr als die Hälfte, 51 Prozent, sind Män-ner, 49 Prozent Frauen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen also,dass dieses Gesetz ein wichtiges Gesetz ist, weiles einen großen Teil der Bevölkerung betrifft. Fürdiese Menschen regelt das Gesetz wesentliche Be-reiche des Lebens neu und besser. Es wurde hierschon viel gesagt, ich möchte es auch nur nocheinmal ganz kurz anreißen: So sind die Herstellungvon Barrierefreiheit oder das Recht auf Verwen-dung von Gebärdensprache und Leichter Spracheein ganz wichtiges Thema oder andere Kommuni-

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(Abg. Stange)

kationsformen wie das Lormen ganz klar formuliert.Zudem erfährt die Stelle des Landesbeauftragtenoder der Landesbeauftragten für Menschen mit Be-hinderungen eine Stärkung. Ich bin ganz bei FrauPelke: Wir haben das in unserer Fraktion auch dis-kutiert und ich finde, wir sollten grundsätzlich auchder Wertigkeit halber über das komplette Beauftrag-tenwesen in Thüringen sprechen. Es kann nichtsein, dass das unterschiedlich gewertet wird. Aberdie Stellungnahmen und die Gespräche haben unsdavon überzeugt, dass wir das jetzt in den Gesetz-entwurf so aufnehmen und das auch so weiterver-folgen.

(Zwischenruf Abg. Meißner, CDU)

Frau Meißner, ich weiß, jetzt fangen Sie wieder an,2015 haben Sie das eingebracht. Wir haben das al-les zur Kenntnis genommen. Es steht jetzt auch imGesetz und es ist doch auch schön. Sie machen Ih-re Arbeit als Opposition sehr ordentlich.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Also wenn Sie mal gelobt werden möchten, dannhabe ich das jetzt hier getan. Aber, wie ich auchvorhin schon erwähnt habe, Sie haben es davornicht geschafft, dieses Gesetz in diesem HohenHaus zu verabschieden. Wir machen es doch jetzt.Wir haben lange die Verbände angehört. Ich habees eben auch gesagt, die Ministerin hat es gesagt,Frau Pelke hat es gesagt, Frau Stange hat es ge-sagt: Noch mehr Beteiligung ging nicht. Deshalb istes jetzt ziemlich spät hier im Landtag, das stimmt.Wir hätten es uns auch letztes Jahr gewünscht. Beijedem Treffen mit Behindertenverbänden habe ichauch immer gesagt: Ich wünsche mir, dass es 2017kommt – das haben wir nicht geschafft –, ich wün-sche mir, dass es 2018 kommt. Aber jetzt ist es2019 hier, und das ist doch toll. Ich bin total glück-lich darüber.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Ich bin davon überzeugt, dass wir es in dieser Le-gislaturperiode hier noch verabschieden werden.Ich wäre froh, wenn wir das vor der Sommerpausenoch hinbekommen, aber ich bin da auch ganz zu-versichtlich. Wenn Sie uns dabei noch unterstützenwürden, ist das doch eine tolle Sache. Wie gesagt,nachher beschließen wir in unserer Sondersitzungnoch die Anzuhörendenlisten.

Ich möchte jetzt fortfahren und noch einige Aspektesagen. Es wurde schon vieles gesagt, was diesesGesetz alles bringt, und wir haben auch noch beider Anhörung die Zeit, die eine oder andere Sachesicherlich noch mit aufzunehmen. Aber wenn wir

über ein selbstbestimmtes Leben sprechen, müs-sen wir die gesamte Gesellschaft in den Blick neh-men. Bei der Verwirklichung von Selbstbestimmungund gleichberechtigter Teilhabe gibt es gerade fürMenschen mit Behinderungen viele Hemmschwel-len, Stolpersteine und Schranken. Diese Hindernis-se ein wenig überwindbarer zu machen und die nö-tige Unterstützung zur Teilhabe zu ermöglichen,dem sind wir mit diesem Gesetzentwurf ein Stücknäher gekommen und damit auch unserem Ziel, inThüringen ein modernes Teilhaberecht im Sinne derUN-Behindertenrechtskonvention zu realisieren.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen werden uns weitervehement dafür einsetzen, dass Selbstbestimmungund gleichberechtigte Teilhabe für alle nachhaltigerreicht werden. Dessen dürfen Sie sich gewisssein. Ich freue mich auf den gemeinsamen Pro-zess, auf die weiteren Schritte und auf die zweiteBeratung, auf die Anhörung in diesem Hohen Hausund bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Und wir bedanken uns. Ich frage: Gibt es weitereWortmeldungen seitens der Abgeordneten? Dassehe ich nicht. Möchte die Landesregierung nochsprechen? Ebenfalls nicht. Dann kommen wir zurAbstimmung über die Ausschussüberweisung.

Es wurde Ausschussüberweisung von allen Red-nern an den Ausschuss für Soziales, Arbeit undGesundheit beantragt. Wer dem zustimmt, den bitteich jetzt um das Handzeichen. Ich sehe Zustim-mung in allen Fraktionen. Gibt es Enthaltungen?Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Damit ist dieAusschussüberweisung des Gesetzentwurfs ein-stimmig festgelegt und ich schließe diesen Tages-ordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22 …

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Nein, es wa-ren noch mehr – der Gleichstellungsaus-schuss!)

Ach, auch der Gleichstellungsausschuss, ja? Okay,dann machen wir den Tagesordnungspunkt wiederauf. Wer stimmt der Überweisung an den Gleich-stellungsausschuss zu? Ich sehe Zustimmung in al-len Fraktionen. Wer stimmt dagegen? Niemand.Wer enthält sich? Das sehe ich auch nicht. Dann istdie Überweisung an diesen Ausschuss beschlos-sen.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Das wäre jajetzt was gewesen, ohne den Gleichstel-lungsausschuss!)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12169

(Abg. Pfefferlein)

Gibt es einen Antrag für einen weiteren Aus-schuss?

(Zuruf Abg. Geibert, CDU: Ja!)

Ja, bitte?

(Zuruf Abg. Geibert, CDU: An den Innenaus-schuss!)

Wir stimmen über die Überweisung an den Innen-und Kommunalausschuss ab. Wer ist für die Über-weisung an den Innen- und Kommunalausschuss?Zustimmung bei der AfD und bei der CDU. Wer istdagegen? Kann man sich einigen? Wer ist dage-gen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wirsind in der Abstimmung. Ich bitte Sie, sich zu ent-scheiden. Gut. Wer ist dagegen? Einzelne Stimmenaus der Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? Damitist die Ausschussüberweisung angenommen.

(Beifall SPD)

Jetzt müssen wir noch über die Federführung ab-stimmen. Gibt es eine Beantragung? Federführungfür den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesund-heit, ja? Gut. Wer für die Federführung des Aus-schusses für Arbeit, Soziales und Gesundheit ist,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Ich seheZustimmung aus allen Fraktionen. Wer ist dage-gen? Ich sehe keine Gegenstimmen. Wer enthältsich? Ich sehe auch keine Enthaltungen. Damit istdie Federführung festgelegt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-neten, ich bitte doch jetzt um Konzentration auf denneuen Tagesordnungspunkt und darum, die etwasdiskussionswürdigen Abstimmungen des vorheri-gen Tagesordnungspunkts vielleicht auf später zuverlegen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22

Beratung des Zwischenbe-richts der Enquetekommission„Ursachen und Formen vonRassismus und Diskriminie-rungen in Thüringen sowie ih-re Auswirkungen auf das ge-sellschaftliche Zusammenle-ben und die freiheitliche De-mokratie“Antrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6818 - dazu: Maßnahmen zur Zurück-

drängung von Rassismusund Diskriminierung inThüringen umsetzen

Entschließungsantrag derFraktionen DIE LINKE, derSPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/6868 -

Vor der Aussprache erteile ich dem Vorsitzendender Enquetekommission 6/1, Herrn AbgeordnetenTischner, das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Tischner, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, liebe Besucher auf der Tribüne und am Li-vestream, am 26. Januar 2017 hat der ThüringerLandtag mit breiter Mehrheit und nach sehr kontro-versen Verhandlungen die Enquetekommission„Rassismus und Diskriminierung“ eingerichtet. Da-mit wurde einem Auftrag infolge der Aufarbeitungder schrecklichen Geschehnisse des NSU mit brei-ter Mehrheit hier im Thüringer Landtag Rechnunggetragen. Es sind aber eben nicht nur diese Ge-schehnisse, die uns gemeinsam in der Kommissioninteressieren, sondern es ist insgesamt die Analyseder gesellschaftlichen und politischen Kultur Thürin-gens in Zeiten wahrzunehmender Spannungen inder Gesellschaft gegenüber einzelnen gesellschaft-lichen Gruppen und einzelnen Menschen.

Nach zwei Jahren intensivsten Anhörungen undDiskussionen kann grundsätzlich festgestellt wer-den, dass die Analysen und Betrachtungen ein Ge-winn sind. Sie sind zunächst ein Gewinn für die ge-sellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen,denn die Kommission ermöglicht erstmals eineernsthafte Befassung mit ihren Erfahrungen. Siekönnen ferner ein Gewinn für unsere parlamentari-sche Demokratie werden,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Sind sie schon!)

wenn es der Kommission gelingt, politische Hand-lungsfelder zu skizzieren und Maßnahmen zu be-schreiben, die nicht weiter stigmatisieren, sonderneine mit Anstand und Respekt gelebte gesellschaft-liche und politische Kultur fördern und leben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es hatsich gezeigt, dass trotz sehr konzentrierter Arbeitund meist langer Sitzungen der Kommission einefundierte und umfassende Bearbeitung des komple-xen Einsetzungsbeschlusses der Enquetekommis-sion nicht im Eiltempo zu erzielen ist. Deshalb wares den Mitgliedern der Kommission auch nichtmöglich, wie angedacht im I. Quartal 2018 einenaussagekräftigen Zwischenbericht für den Bereichder Bestandsanalyse vorzulegen. Dieser mit Mehr-heit der Koalitionsfraktionen nun beschlossene Be-

12170 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Präsidentin Diezel)

richt liegt heute mit insgesamt 296 Seiten vor. Ergibt einen Überblick über die umfassenden Arbeits-sitzungen der Kommission.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möch-te zu Beginn meiner Ausführungen herzlich danken.Ich möchte zuallererst der Landtagsverwaltungdanken, allen gegenwärtigen und ehemaligen Mit-arbeitern, die die Kommission begleitet, beratenund unterstützt haben. Der offene Prozess einerEnquetekommission ist eine besondere Herausfor-derung für den juristischen Dienst, welcher bei derergebnisoffenen und propädeutischen Vorgehens-weise häufiger herausgefordert ist, alle strengenformalen, parlamentarischen Regularien und Erfor-dernisse auch zu wahren. Auch die inzwischen fast400 versandten Einladungen an die Anzuhörendensind ein immenser und ungewöhnlicher Aufwand fürunsere Verwaltung.

Ich möchte zweitens als Vorsitzender herzlich allenMitgliedern, insbesondere den wissenschaftlichenSachverständigen der Fraktionen danken. Sie ha-ben gerade bei der Erstellung des Zwischenbe-richts ein großes Engagement unter nicht einfachenVoraussetzungen gezeigt. Herzlichen Dank auchIhnen dafür.

(Beifall DIE LINKE)

Ein dritter Dank gilt den fast 200 Personen, Institu-tionen, Verbänden und Behörden, die uns in denAnhörungen als Sachverständige mit ihren mündli-chen und/oder schriftlichen Stellungnahmen in denvergangenen eineinhalb Jahren unterstützt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit derKonstituierung der Enquetekommission im Juni2017 sind aus meiner Sicht für die Arbeit in der En-quetekommission zwei Grundsätze arbeitsleitendgewesen. Der erste Grundsatz gilt im Prinzip derwissenschaftlichen Arbeitsweise. Was in Wissen-schaft kontrovers diskutiert wird, muss auch in derKommission entsprechend abgebildet werden. Hier-für gilt besonderer Dank den gerade genanntensachverständigen Mitgliedern der Enquetekommis-sion. Gerade diese Mitglieder bilden den sehr wich-tigen wissenschaftlichen Diskurs ab, der mal mehrund mal weniger gewinnbringend vom regelmäßigaufkommenden Diskurs ergänzt wird. Das könnenwir regelmäßig erleben. In diesem Sinne sei mir ge-stattet anzumerken, dass ich mir gewünscht hätte,dass dieser Diskurs auch im Zwischenbericht deut-licher wird. Dies ist leider nun erst über die Sonder-voten erfolgt.

Der zweite Grundsatz lässt sich zusammenfassenmit: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das wird glück-licherweise von allen Fraktionen geteilt. In diesemSinne verständigten sich die Kommissionsmitglie-

der in ihrer dritten Sitzung am 12. September 2017auf ein Arbeitsprogramm, das folgende drei Phasenumfasst: als erste Phase die Informationsgewin-nung, als zweite Phase die Informationsverarbei-tung und als dritte Phase die Systematisierung derErgebnisse. Mit der ersten Phase „Informationsge-winnung“ haben sich die Kommissionsmitglieder ininsgesamt 18 Sitzungen intensiv auseinanderge-setzt. Die Phase bildet den Schwerpunkt des nunhier vorliegenden Zwischenberichts und der Son-dervoten, wenngleich der Bericht nur die Ergebnis-se bis zur 11. Sitzung dokumentiert. Im Fokus derInformationsphase standen dabei Ursachen, For-men und Folgen der Verbreitung von rassistischenEinstellungen und gruppenbezogener Menschen-feindlichkeit, eine Analyse der politischen Entwick-lung und Kultur in Thüringen anhand vorliegenderwissenschaftlicher Untersuchungen unter Einbezie-hung der Länder- und NGO-Berichte, Diskriminie-rungserfahrungen durch die Anhörung der von Dis-kriminierung Betroffenen, von Multiplikatoren undvon Expertinnen, die Situationsanalyse der Strate-gien gegen Diskriminierung und Rassismus der ver-schiedenen Thüringer Ministerien und Behördensowie Strategien anderer Bundesländer, des Bun-des und der EU im Umgang mit Diskriminierungund Rassismus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für dieErstellung des Zwischenberichts haben sich diesachverständigen Mitglieder der Kommission in fol-gende vier Arbeitsgruppen aufgeteilt: die erste Ar-beitsgruppe „Bildung“, die zweite Arbeitsgruppe„Polizei und Justiz“, die dritte „Öffentliche Verwal-tung“ und die vierte „Weiterbehandlungsfelder“. DerArbeitsaufwand in dieser Phase war für die einzel-nen Sachverständigen außerordentlich hoch. Einegroße Koordinierungsleistung musste bewältigtwerden. Leider haben sich hierdurch aber auch dieBefürchtungen bewahrheitet, dass die einzelnenTeile des Zwischenberichts durch dieses arbeitstei-lige Verfahren in quantitativer und stilistischer Formauseinanderfallen. Waren manche Teile sehr de-skriptiv, sind andere Teile schon vorausgreifend aufmögliche Handlungsfelder. Auch gab es von densachverständigen Mitgliedern Rückmeldungen,dass die ursprünglich konsensual erarbeiteten Pa-piere vor Abgabe an die gesamte Kommission wievon Geisterhand ergänzt oder umgestellt wurden.All diese Dinge haben letztlich auch einen Zeitver-zug in der Vorlage der Unterlagen zur Folge. Letzt-lich haben diese Differenzen in der Kommission da-zu geführt, dass die CDU-Fraktion ein Sondervotumvorgelegt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um dieArbeitsintensität noch mal zu verdeutlichen, darf ichnummerisch ein paar Sätze ausführen: In den zu-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12171

(Abg. Tischner)

rückliegenden 18 Sitzungen der Enquetekommis-sion wurden insgesamt 94 Personen aus unter-schiedlichsten Fachbereichen und Institutionen –regional sowie überregional – angehört sowie80 schriftliche Stellungnahmen entgegengenom-men. Gleichwohl gehört zur Ehrlichkeit, dass dasInteresse der eingeladenen Anzuhörenden trotzvielfacher telefonischer Nachfragen und möglicherangebotener Sondersitzungen deutlich besser hättesein können. Von 170 mündlichen Anzuhörendenhaben letztlich nur 55 Prozent den Weg in den Thü-ringer Landtag gefunden. Noch dramatischer wares bei den schriftlich Anzuhörenden. Hier habenvon 204 Eingeladenen lediglich 39 Prozent dieMöglichkeit zur Stellungnahme genutzt. Wenn nur46 Prozent – das heißt 174 von 374 – der externEingeladenen ihre Rechte auf Anhörung wahrneh-men, kann dies auch ein Signal dafür sein, dass dieBetroffenheit und Relevanz von rassistischen unddiskriminierenden Phänomenen nicht ganz so ge-spürt wird und vielfach vielleicht auch in Thüringennicht gegeben ist. Das ist nicht zu kritisieren, aberes gehört zur Wahrheit über die Arbeit der Kommis-sion mit dazu.

Vielen Dank, ich bin jetzt gespannt auf die Debatte.

(Beifall CDU)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Ich frage, bevorwir in die Debatte einsteigen: Wünschen die Frak-tionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und dieSPD das Wort zur Begründung des Entschlie-ßungsantrags? Nein. Dann kommen wir zur Aus-sprache. Ich rufe als Erste die Abgeordnete Bernin-ger von der Fraktion Die Linke auf.

Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-neten der demokratischen Fraktionen, sehr geehrteZuhörerinnen am Livestream, liebe Romy und liebeGäste hier auf den Zuschauerrängen, vielleicht ha-ben Sie am Montag im Ersten – im Fernsehen – dieDokumentation „Heimatland – Oder die Frage, werdazugehört“ gesehen. Dort wird am Ende der Doku-mentation die 1975 in Celle geborene Schauspiele-rin İdil Baydar vorgestellt, die vielleicht einigen vonIhnen als Kunstfigur Jilet Ayşe bei YouTube be-kannt ist. Frau Baydar ist – wie gesagt – in Cellegeboren, hat die Waldorfschule besucht, in Berlinihr Abitur gemacht und am Hamburger Schauspiel-haus gespielt. Ihre Eltern sind türkischer Herkunft.

Frau Baydar wird von der Filmcrew in einem Caféin der Karl-Marx-Straße in Neukölln interviewt – Zi-tat aus dem Film –: „für viele das Symbol für das

andere, neue Deutschland, dominiert von Zuwan-derern. İdil Baydar mag die Cafés hier“, das erzähltdie Sprecherin. Weiter sagt sie, „trotzdem ärgertsie, dass Filmteams ihr immer wieder Orte wie die-sen vorschlagen, nie schicke Hotels oder Theater-säle – auch wir.“ İdil sagt dann: „Das ist so tief drin,dass man den anderen darstellen möchte in dem,was man denkt, was er ist“. Weiter sagt Frau Bay-dar, sie fragt ihr Publikum ganz oft: Sag mir mal fünfgute Sachen über Türken – und sie meint nicht denDienstleistungsbereich oder nicht den guten Dö-ner –, sag mir was aus der Kunst, aus der Wissen-schaft, aus der Architektur oder aus der Literatur.„Das kann dir keiner beantworten, weil die Assozia-tion dahin überhaupt nicht geht. Das heißt, wir wer-den nie so erzählt.“

Dieses „wir werden nie so erzählt“ fand seineschlimmste Entsprechung in deutschem Behörden-handeln, seit im September 2000 die rassistischeMordserie des NSU begann. Barbara John, dieOmbudsfrau für die Opfer und die Opferangehöri-gen des NSU, hat es im März 2012 auf den Punktgebracht: Die Familien der Mordopfer seien nichtnur jahrelang alleingelassen, sondern – Zitat – „ausdem Kreis der Anständigen ausgeschlossen“ wor-den, indem man sie selbst verdächtigt hat, die Ta-ten in irgendeiner Weise mitverursacht zu haben.

Diese Richtung der Ermittlungen – Sie erinnern sichalle, es wurde von „Dönermorden“ gesprochen, ei-ne Soko „Bosporus“ eingerichtet, nach dem Mordan Michèle Kiesewetter wurde von einer „heißenSpur ins Zigeunermilieu“ gesprochen – begann un-mittelbar nach dem Mord an Enver Şimşek, demersten Mordopfer der Jenaer Gruppe. Sie setztesich dann bei allen folgenden Morden und Anschlä-gen fort. Es waren rassistische Ermittlungen im FallNSU.

Nach gründlicher Ursachenforschung und Fehlersu-che kam der erste Thüringer NSU-Untersuchungs-ausschuss 2014 zu der einstimmig verabschiedetenEmpfehlung: „Neben der Fortsetzung der Aufklä-rung sollte eine Enquetekommission ‚Rassismus‘Maßstäbe setzen und beispielsweise Vorschlägefür die öffentliche Auseinandersetzung mit gruppen-bezogener Menschenfeindlichkeit entwickeln.“ Ge-nau das versuchen wir in der Enquetekommission„Rassismus“ seit Sommer 2017. Der heute endlichvorliegende Zwischenbericht dokumentiert den Be-ratungsverlauf und erste Schlussfolgerungen.

Die wichtigste Etappe war, dass wir in der Kommis-sion eine Basis für die Arbeit finden, eine Verständi-gung darüber, worüber wir eigentlich reden, wennwir „Rassismus“ und „Diskriminierung“ sagen. Nachkurzem Disput, wie wir zu einer solchen Diskus-sionsbasis kommen – vorgeschlagen war einer-

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(Abg. Tischner)

seits, dass die Fraktionen einen Textvorschlag un-terbreiten, andererseits wurde vorgeschlagen, diesachverständigen Kommissionsmitglieder um ihreExpertise zu bitten –, entschieden wir uns für dieparteipolitisch unabhängige Expertise und batendie sachverständigen Mitglieder um Stellungnah-men zu Ursachen, Formen und Folgen von Rassis-mus und Diskriminierung. Wir haben diese Stel-lungnahmen dann in der Enquetekommission in öf-fentlicher Sitzung diskutiert – wie übrigens alle An-hörungen, die wir durchführen, in öffentlicher Sit-zung stattfinden. Sie sind alle herzlich eingeladen,die Arbeit der Enquetekommission zu beobachten.

Kurz gefasst beschreibt der Begriff „Rassismus“ dieUnterscheidung von Menschen aufgrund zuge-schriebener Gruppenmerkmale und dient der Ablei-tung oder der Konstruktion von Ungleichwertigkei-ten aus Unterschieden. „Rassismus konstruiertRassen, sodass (zugeschriebene) körperliche, kul-turelle oder religiöse Aspekte oder Besonderheiten[…] als genuine Gruppenmerkmale erscheinen, diefür alle Gruppenmitglieder zentral bedeutsam seienund einen grundsätzlichen Unterschied zur ‚eige-nen Gruppe‘ markierten“ – der Unterschied zwi-schen dem „wir“ und dem „die“, und zwar unabhän-gig davon, ob die betreffende Person der zuge-schriebenen Gruppe tatsächlich angehört odernicht.

Die Konstruktion von Rassen hat zum Effekt, dasseine eigene Gruppenidentität durch Abgrenzungvon anderen geschaffen wird und dass Aggressio-nen, Ausschlüsse und Privilegien damit legitimiertwerden. Zu institutionellem Rassismus kommt es,wenn durch Normen und Verhaltensweisen be-stimmte Gruppen regelmäßig in alltäglichen Routi-nen im Zusammenspiel mit gesellschaftlichenMachtverhältnissen zum Nachteil der von Rassis-mus und Diskriminierung Betroffenen behandeltwerden.

Die Debatte um Rassismus in Deutschland istdurch epistemische Gewalt gekennzeichnet, alsodadurch, dass den von Rassismus Betroffenen ihreDiskriminierungserfahrungen abgesprochen wer-den, dass sie geleugnet oder bagatellisiert werden,etwa wenn behauptet wird, die Juden seien einfachnur zu empfindlich, oder wenn man das N-Wort da-mit rechtfertigt, es sei überhaupt nicht böse ge-meint, zum Beispiel wenn man über Schaumküssespricht.

Bei der Diskriminierung handelt es sich um eine ille-gitime Benachteiligung von Menschen aufgrund ih-rer Zuordnung in bestimmte kulturelle oder sozialeKategorien. Zu institutioneller oder struktureller Dis-kriminierung kommt es, wenn durch Normen undVerhaltensweisen bestimmte Gruppen regelmäßig

in alltäglichen Routinen im Zusammenspiel mit dengesellschaftlichen Machtverhältnissen zum Nachteilder Diskriminierten behandelt werden, zum Beispielwenn Kinder ausländischer Herkunft regelmäßigschlechtere Schullaufbahnempfehlungen bekom-men als Kinder ohne Migrationshintergrund.

Diskriminierung läuft den Grundsätzen von Gleich-heit und Gerechtigkeit zuwider und stellt eine Men-schenrechtsverletzung dar. Im Gegensatz zumRassismus ist die Diskriminierung nicht auf der Ein-stellungsebene angesiedelt, sondern auf der Hand-lungsebene. Die grundlegende Differenz zwischender CDU-Fraktion und den Kommissionsmitgliedernder rot-rot-grünen Fraktionen bestand bei dieserFestlegung der Begriffsdefinition darin – und ausdiesem Grund stimmten die CDU-Mitglieder auchnicht den getroffenen Begriffsbestimmungen zu –,dass die konservative Seite Rassismus und Diskri-minierung eher als individuelles und nicht als insti-tutionelles oder strukturelles Problem versteht unddass sie eine sozialpsychologische Herangehens-weise präferiert. Sie versucht, die gefundene Defini-tion als ideologisch motiviert zu diskreditieren, ob-gleich auch die Stellungnahmen der durch die CDUbenannten sachverständigen Kommissionsmitglie-der in diese Begriffsbestimmungen einbezogenwurden.

Der rot-rot-grüne Rassismusbegriff, um es einmalparteipolitisch zu sagen, wird von der CDU als um-fassender oder erweiterter Rassismusbegriff be-zeichnet, der auf – Zitat – „subjektiven Theorien“beruhe, in die teilweise eigene Erfahrungen undsolche von Teilen der Bevölkerung eingeflossenseien, von denen eine Verabsolutierung stattfindeund die nicht empirisch überprüfbar seien. Woranda eine individuelle Prävention anschließen solle,erschließe sich für die CDU nicht, so wurde argu-mentiert. Sie behauptet – Zitat –: „Wenn Rassismusund Diskriminierung als flächendeckende Problemeangenommen werden, ist die Entwicklung von Prä-ventionsmaßnahmen gegen wirkliche Formen vonRassismus und Diskriminierung zunehmend er-schwert.“ Das Stichwort „epistemische Gewalt“ hat-te ich schon erwähnt, Sie erinnern sich sicher.

Die CDU weiter: „Formen von Rassismus und Dis-kriminierung werden demzufolge als ein ‚fehlgelei-tetes Verlangen‘ einiger Menschen verstanden, beidenen es gilt, Rahmenbedingungen zu schaffen,um dieses Verlangen abzustellen oder nicht-rassis-tisch zu entkräften.“ Rassismus und Diskriminie-rung werden als fehlgeleitetes Verlangen definiert;gleichzeitig unterstellt die CDU der Mehrheit in derKommission, sie würde unwissenschaftlich arbei-ten. Ich halte das für einen Antagonismus. Wir hät-ten uns wirklich gewünscht, die CDU-Abgeordneten

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(Abg. Berninger)

hätten einmal die Stellungnahmen ihrer sachver-ständigen Mitglieder Abou-Taam und Mannewitzgründlich gelesen oder zur Kenntnis genommen,was in der wissenschaftlichen Debatte aktuell dis-kutiert wird.

Meine Damen und Herren, die Kommission hat sichviel Zeit genommen, zivilgesellschaftliche Initiati-ven, Betroffenengruppen, Expertinnen anzuhören,die sich sowohl auf der wissenschaftlichen als auchder alltäglichen Ebene mit den Ursachen und Aus-wirkungen von Rassismus und Diskriminierung be-schäftigen und auch viele Anregungen und Vor-schläge in die Debatte eingebracht haben. Wir ha-ben Behörden und Institutionen befragt, uns mit derLandesregierung über bereits bestehende Maßnah-men zur Prävention ausgetauscht und über institu-tionelle Rahmenbedingungen gesprochen, die Ras-sismus und Diskriminierung entgegenstehen oderaber möglicherweise befördern. Wir haben mit demZwischenbericht erste Schlussfolgerungen getrof-fen. Vorgeschlagene Maßnahmen diskutieren wirderzeit mit Expertinnen in einem weiteren Anhö-rungsprozess. Am übernächsten Dienstag zum Bei-spiel stehen die Themen „Gesundheit“, „Kultur“ und„Medien“ auf der Tagesordnung – in öffentlicher Sit-zung übrigens, fühlen Sie sich alle herzlich eingela-den.

Einige der Schlussfolgerungen wurden im Übrigenauch schon im Landtag beraten, zum Beispiel ges-tern mit dem Antrag zur Fachkräfteentwicklung undseit Dezember mit der Schulgesetznovelle. DieKoalition hatte sich vorgenommen, Vorschläge derKommission noch in dieser Legislatur zu implemen-tieren. Durch den sehr verspäteten Start der Kom-mission würde das nichts werden, wenn wir damitauf den Abschlussbericht warten müssten. Aberdas brauchen wir nicht, denn einige Aspekte sindausdiskutiert und die Maßnahmen können umge-setzt werden. Dem dient unser Entschließungsan-trag.

Daraus möchte ich noch einen Punkt herausgrei-fen, den Punkt 1 in den Forderungen: „Der Landtagbittet die Landesregierung, eine unabhängige undniedrigschwellig erreichbare Antidiskriminierungs-beratungs- und Fachstelle einzurichten und derenAusstattung und Arbeit entsprechend der Empfeh-lungen und Standards des Antidiskriminierungsver-bands Deutschland und ECRI“ – das ist die Europä-ische Anti-Rassismus-Kommission – „anzupassen“.Die Betonung bei dieser Anti-Rassismus-Bera-tungs- und Fachstelle liegt in den Attributen „unab-hängig“ und „niedrigschwellig erreichbar“. Von Be-ginn der Kommissionsarbeit an zog sich die drin-gende Bitte nicht allein der Betroffeneninitiativendurch, dass von Rassismus und Diskriminierung

Betroffene eine Stelle bräuchten, die nicht staatlichist, die sich nicht hinter den dicken Mauern derStaatskanzlei versteckt und die nicht durch einestaatliche Person, eine bei der Landesregierungoder einer Behörde beschäftigte Beamtin, reprä-sentiert wird. Eine Stelle, bei der die Betroffenen ihrProblem vortragen können und die dann gemein-sam mit ihnen schaut, wie das Problem, die Diskri-minierung behoben werden kann, an wen man sichwenden kann, welche Stelle für eine Beschwerdeoder eine Petition zuständig ist. Eine von Verwal-tung und Behörden unabhängige Fachstelle, dieempathisch beraten und vermitteln kann, die wollenwir mit unserem Entschließungsantrag schon in denGang bringen, damit wir sie spätestens nächstesJahr haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Ich möchte mich abschließend dem Dank des Vor-sitzenden bei allen Kommissionsmitgliedern – alsodenen, die demokratisch mitgearbeitet haben – an-schließen, ganz besonders den sachverständigenMitgliedern und all denen, die uns mit ihren Stel-lungnahmen und in den Anhörungen unterstütztund beraten haben. Das Ergebnis, der Zwischenbe-richt, kann sich sehen lassen, finde ich. Ich freuemich, dass es durch ein Lektorat gelungen ist, einehalbwegs verständliche Sprache zu finden. Ichfreue mich auch darüber, dass der Zwischenberichtnoch ins Englische und Arabische übersetzt werdenwird. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Als Nächster hat AbgeordneterTischner von der CDU-Fraktion das Wort.

Abgeordneter Tischner, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, im Wesentlichen kann ich mit Dank und mitdem Mehrwert der Kommission an dem anschlie-ßen, was ich vorhin hier als Vorsitzender schonausgeführt habe, ich sage aber gern noch ein paarPunkte aus Sicht der CDU-Fraktion zum Zwischen-bericht der Enquetekommission und den Sondervo-ten.

Die CDU-Fraktion kritisiert weiterhin – und FrauBerninger hat es gerade auch noch mal sehr fair,finde ich, erläutert –, dass die Mehrheit der Kom-missionsmitglieder von Rot-Rot-Grün die Definitiondieser Begriffe, was Rassismus und Diskriminie-rung ist, mit Mehrheitsbeschluss festgelegt hat. Ei-

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(Abg. Berninger)

nen inflationären Gebrauch dieser Begriffe, dasheißt, ein weites Verständnis von Diskriminierungund Rassismus, sehen wir als CDU skeptisch, dasie dadurch konturlos und in der politischen Ausei-nandersetzung zu stumpfen Schwertern werden.Wenn Rassismus und Diskriminierung als flächen-deckendes Problem angenommen werden, ist dieEntwicklung von Präventionsmaßnahmen aus un-serer Sicht schwierig und geht an den wirklichenFormen von Rassismus und Diskriminierung zuneh-mend vorbei. Formen von Rassismus und Diskrimi-nierung werden unserer Auffassung nach demzufol-ge als „ein ‚fehlgeleitetes Verlangen‘ einiger Men-schen verstanden, bei denen es gilt, Rahmenbedin-gungen zu schaffen, um dieses Verlangen abzustel-len oder nichtrassistisch zu entkräften.“

Der CDU-Fraktion war es vor allem wichtig, die inder Persönlichkeit liegenden Ursachen für rassisti-sche Einstellungen und diskriminierende Handlun-gen nicht aus dem Blick zu verlieren, denn sie bie-ten aus unserer Sicht die wirksamsten Anknüp-fungspunkte, um diese Phänomene zu bekämpfen.Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dassauch extreme politische und religiöse Überzeugun-gen als Quelle entsprechender Einstellungen undHandlungen berücksichtigt werden müssen. Wirwarnen deshalb davor, Schlussfolgerungen aus ei-nem noch lückenhaften Lagebild abzuleiten, wiedas heute mit dem Entschließungsantrag passierensoll.

Gern hätten wir bei den Anhörungen auch explizitdas Thema „Rechtsextremismus und andere For-men des Extremismus“ behandelt. Die rot-rot-grüneAusschussmehrheit hat es abgelehnt, eine von derCDU beantragte schriftliche und mündliche Anhö-rung zu diesem Teilaspekt durchzuführen. Wir fin-den diese Weigerung abenteuerlich, weil die Ausei-nandersetzung mit Rassismus dadurch in einemwesentlichen Punkt verkürzt wurde. Rassismus giltals zentraler Bestandteil rechtsextremer Ideologien.Wenn sich die Enquetekommission damit nicht aus-drücklich auseinandersetzt, weicht sie der aggres-sivsten und gefährlichsten Form des Rassismus inihrer Arbeit letztlich aus. Vielmehr wäre es gewinn-bringend für die Schlussfolgerungen der Kommis-sionsarbeit, ergebnisoffen zu untersuchen, ob undinwiefern Rassismus für andere Formen des Extre-mismus eine Rolle spielt. Gern möchte ich in die-sem Zusammenhang anführen, dass der NSU-Un-tersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Be-hördenhandeln“ die Auseinandersetzung mit demRechtsextremismus ausdrücklich empfohlen hatund selbst Ministerpräsident Bodo Ramelow vornicht mal 16 Monaten im September 2017 imDeutschlandfunk von einer Enquetekommission ge-

gen Extremismus hier im Thüringer Landtag ge-sprochen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im De-zemberplenum 2018 wurde von einer Kollegin ausden regierungstragenden Fraktionen die Behaup-tung aufgestellt, die CDU‑Fraktion habe im Kapi-tel B.II aus dem mehrheitlich beschlossenen Zwi-schenbericht abgeschrieben. Gern möchte ich die-sen Punkt heute nochmals aufgreifen und richtig-stellen. Die Kapitel des Zwischenberichts zumTeil B.II wurden in den Arbeitsgruppen der wissen-schaftlichen Sachverständigen der Regierungsfrak-tionen und der CDU-Fraktion erstellt. Die Organisa-tion für die Erstellung der Kapitel verlief explizit aufWunsch der Wissenschaftler in Eigenregie und oh-ne eine Beteiligung oder Beeinflussung der Land-tagsabgeordneten. Den Wissenschaftlern war eswichtig, einen Zwischenberichtsentwurf einzurei-chen, den man – Zitat – „aus einer wissenschaftli-chen Perspektive verantworten kann“, so FrauProf. Attia. Insbesondere in den Arbeitsgruppen zuden Kapiteln 4 „Öffentliche Verwaltung“ sowie 5„Weitere Handlungsfelder“ hatten die von der CDUbenannten Sachverständigen einen maßgeblichenAnteil an der Erstellung der Kapitelentwürfe. DerCDU-Landtagsfraktion war es dabei von Bedeu-tung, diesen wissenschaftlichen Schreibprozessauch in der späteren Entwurfsfassung nicht zu be-einflussen. Es galt für uns in dieser Phase die klareTrennung von Wissenschaft und Politik, so wie esvon den sachverständigen Mitgliedern auch ge-wünscht worden war.

Mit Verwunderung haben wir daher in der Enquete-kommissionssitzung im August 2018 zur Kenntnisnehmen müssen, dass zum einen Passagen undTextstellen in eine spätere Entwurfsfassung aufge-nommen wurden, ohne dass die von uns benann-ten Sachverständigen dazu ihre Stellungnahmenoch hätten abgeben können – trotz einer nachhe-rigen namentlichen Nennung dieser Sachverständi-gen auf den Deckblättern der Kapitel; ich rede hiervon Frau Dr. Panreck und Herrn Prof. Mannewitz.Zum anderen hat uns verwundert, dass eine Vertre-terin der regierungstragenden Fraktionen öffentlichzu Protokoll gegeben hat, dass es für sie – ich zitie-re – „keine Trennung zwischen Politik und Wissen-schaft in der Enquetekommission“ gebe. Für dieCDU-Landtagsfraktion war hingegen immer klar:Zweck einer Enquetekommission ist es, dass diebenannten Sachverständigen die Politik objektiv beider politischen Meinungsbildung beraten. Das Zieldarf es hierbei nicht sein, dass wissenschaftlichePositionen in Einzelanträgen der Fraktionen poli-tisch abgestimmt werden, sondern vielmehr ist esvon Bedeutung, dass der Zwischenbericht die wis-senschaftlichen Kontroversen der jeweiligen Berei-

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(Abg. Tischner)

che objektiv abbilden kann. Dies geschah aus un-serer Sicht nicht ausreichend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gernmöchte ich auch noch einmal kurz auf die besagtenZitationen unseres Sondervotums eingehen, dieletztendlich sogar zu einem Gutachten der Land-tagsverwaltung geführt haben. Wie bereits ebenzum Erstellungsprozess des Zwischenberichts aus-geführt, gibt es in den Unterkapiteln 2 bis 5 desTeils B.II selbstverständlich inhaltliche Schnittmen-gen aus der gemeinsamen Arbeit der Sachverstän-digen bei Absätzen und Textstellen aus dem mehr-heitlich beschlossenen Zwischenbericht. Um wis-senschaftlich sauber zu arbeiten, wurden die Text-stellen im Fließtext jedoch direkt oder indirekt imSondervotum der CDU-Landtagsfraktion kenntlichgemacht. Was war unser Anliegen damit? Mit denbesagten Textstellen wurde auf der Inhaltsebeneversucht, das Konsensuale bei der Erstellung desZwischenberichts hervorzuheben – ich glaube, esist auch wichtig, das Konsensuale zu zeigen –, undwir wollten den vorhandenen Dissens, der natürlichauch da ist, mit akzentuieren. Im Allgemeinen ginges uns bei den benannten Kapiteln um eine de-skriptive Analyse der verschiedenen mündlichenund schriftlichen Stellungnahmen der Anzuhören-den sowie der wissenschaftlichen Diskurse im bis-herigen Verlauf der Enquetekommission.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, an eini-gen Stellen des Zwischenberichts werden aus un-serer Sicht voreilig Handlungsempfehlungen abge-leitet, die mit den Betroffenen bis dahin auch garnicht diskutiert wurden. Wir sind gerade erst dabei.Um es klar zu sagen: Die CDU lehnt deshalb allevorgeschlagenen Maßnahmen zu diesem Zeitpunktab. Auch Maßnahmen, die Institutionen wie dieSchule, die Polizei, unsere Gerichte, die Bundes-wehr unter einen rassistischen Generalverdachtstellen, lehnen wir konsequent ab.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Was für ein Blödsinn!)

Nach anderthalb Jahren Kommissionsarbeit kannes ein Zwischenfazit geben: Unserer Gesellschaftmangelt es an Anstand, unserer Gesellschaft man-gelt es an Respekt. Anstand, Respekt, gegenseitigeRücksichtnahme und Achtung müssen wieder vielbreiter in der Gesellschaft gelebt und eingefordertwerden.

(Beifall CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ab-schluss gestatten Sie mir erneut drei Bitten für dienoch kommenden wenigen Sitzungen. Erstens: Wir

sollten uns vor Mehrheitsentscheidungen in diesemsehr besonderen parlamentarischen Gremium hü-ten und Kontroversen auch so benennen, übrigensnicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch durchdie aktive Mitarbeit in der Kommission. Da wünscheich mir von der AfD durchaus etwas mehr Beteili-gung. Auch Sie sind Teil der wissenschaftlichen undder politischen Kontroverse, dann müssen Sie dieauch im Gremium, in der Kommission mit führen.Zweitens: Wir sollten das gemeinsam gegebene Ar-beitsprogramm zielorientierter und ergebnisoffenabarbeiten. Drittens: Wir sollten dem wissenschaftli-chen Sachverstand in der Kommission vertrauenund nicht einzelne Vorschläge der Anzuhörendenund Mitglieder

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Warum haben Sie dann nicht zugestimmt?)

zur Legitimierung politischer Gesetzgebungsverfah-ren vor Abschluss der Kommissionsarbeit instru-mentalisieren. Wenn uns diese Selbstverpflichtunggelingt, wird das Ergebnis dieser Enquetekommis-sion ein wirklicher Mehrwert für die Bürgerinnenund Bürger und kommenden Landesparlamentesein. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Als Nächstespricht Frau Abgeordnete Lehmann von der SPD-Fraktion.

Abgeordnete Lehmann, SPD:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, in der Öffentlichkeitwird immer mal wieder über den Sinn der Enquete-kommission „Rassismus“ diskutiert. Da wird dieFrage gestellt, ob es wirklich notwendig ist, dass wiruns als Parlamentarier und dann noch eine ganzeReihe von Sachverständigen so intensiv mit demThema „Rassismus“ befassen müssen, weil esdoch selbstverständlich ist, dass wir uns mit Res-pekt und auf Augenhöhe begegnen. Stimmt, dassollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht.

Wir erleben das hier in diesem Hause auch wäh-rend Plenardebatten, wir erleben das auf der Stra-ße, bei Demonstrationen, am Stammtisch oderauch bei Freunden, Familien und Bekannten: Ab-wertung von Menschen aufgrund ihrer vermeintli-chen Herkunft, ihrer Religion, ihres sozialen Statusoder auch aufgrund sexueller Orientierung gibt esüberall in der Gesellschaft. In so einer Welt will ichnicht leben, ich will auch nicht, dass meine Tochterin einer solchen Welt aufwächst, und ich bin der

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(Abg. Tischner)

Meinung, dass wir als Politikerinnen und Politikereine besondere Verantwortung tragen, jeden Tagwenn wir mit Menschen im Gespräch sind. Aberauch hier in diesem Haus und in dieser Kommis-sion müssen wir zeigen, dass wir uns mit dem The-ma „Rassismus“ auseinandersetzen und dass wirdem etwas entgegensetzen wollen. Das hat nichtsdamit zu tun, dass wir einige Menschen unter Ge-neralverdacht stellen, sondern es zeigt, wie ernstwir das Thema und die Kommission und ihre Emp-fehlungen nehmen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Ich freue mich, dass wir heute die Ergebnisse desZwischenberichts öffentlich diskutieren können,denn die Arbeit in den letzten knapp zwei Jahrenhat eines deutlich gemacht: wie breit menschen-feindliche Einstellungen in unserer Gesellschaftsind. Das wissen wir aus dem Thüringen-Monitor,den wir jedes Jahr hier im Parlament diskutieren,das wissen wir aus länderübergreifenden Studienwie zum Beispiel der Mitte-Studie, aber auch auszahlreichen Umfragen und Berichten, zum Beispielzur Umsetzung internationaler Antirassismusab-kommen, und wissenschaftlichen Untersuchungen.Sie sind auch Grundlage der Arbeit unserer Kom-mission. Darüber hinaus – das hat Herr Tischnereingangs in seiner Einbringung als Vorsitzender ge-sagt – haben wir das im Rahmen von Anhörungenmit sehr vielen wissenschaftlichen Vertretern, mitVertretern aus der Praxis, aber auch mit Betroffe-nen diskutiert.

Konkret befasst sich der Zwischenbericht mit derFrage, aufgrund welcher Merkmale es eigentlichzur Abwertung kommt. Das kann man relativ gutzusammenfassen: Das ist zum einen die Frage derzugeschriebenen Herkunft, Hautfarbe, Religion, desAlters, des Geschlechts, der sexuellen Orientierungund Identität, und auch die sozioökonomische Lagespielt hier eine wichtige Rolle. Wir haben, um in derKommission eine praktikable Arbeitsweise zu ha-ben, gesagt, wir befassen uns im ersten Schritt mitvier wesentlichen Bereichen: Bildung, innere Si-cherheit, Justiz und öffentliche Verwaltung. Die istwichtig für uns, weil wir hier konkrete Handlungs-möglichkeiten für die Landespolitik haben, aberauch weil sie Teil des Staats ist und es hier umsoselbstverständlicher sein sollte, dass die Men-schen, die dort arbeiten, und die Institutionen, dieden Staat vertreten, auch Demokratie und Men-schenfreundlichkeit vertreten.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will auf zwei dieser Punkte noch mal besonderseingehen, das sind die Bereiche Bildung und öffent-

liche Verwaltung. Dass der Bereich Bildung zentralist, wissen wir zum Beispiel aus ganz vielen NSU-Abschlussberichten, nicht nur aus dem, der in die-sem Haus verabschiedet wurde, sondern auch ausdem des Bundes, weil Demokratie und Menschen-rechtsbildung im Kampf gegen Rassismus beson-ders wichtig sind, aber auch weil hier Handlungsbe-darf besteht. Das ist in der Anhörung mit Wissen-schaft, Praxis und Betroffenen auch noch mal deut-lich geworden, weil hier gezeigt wurde, wie Diskri-minierung und Rassismus im Schulalltag eigentlichauftreten. Da wurden Beispiele aus Thüringen he-rangeführt, dass ein Lehrer alle Schüler mit Migra-tionshintergrund ganz grundsätzlich Ali nennt oderdass er Kinder aus sozial schwachen Familien vorder Klasse bloßstellt und damit natürlich auch dasZeichen gibt, dass das in Ordnung wäre, weil erdas als Lehrer und Respektsperson tut.

Die Berichte reichen von fehlender Sensibilität undUnwissenheit über Rassismus und Diskriminierung,sie zeigen aber auch die Hilflosigkeit von Schülernund Schülerinnen und Lehrern im Umgang damit.Die Anhörung hat auch gezeigt, dass auch Lern-und Lehrmaterialien betroffen sind. Das Roma Anti-discrimination Network hat zum Beispiel davon be-richtet, dass es nach einer eigenen Untersuchungkaum nicht rassistische Darstellungen von Roma inSchulbüchern gibt. Darüber hinaus gibt es aucheinzelne Studien, die sich mit Rassismus in Schul-büchern befassen, zum Beispiel von der Antidiskri-minierungsstelle des Bundes zu problematischenDarstellungen in Schulbüchern. Ein Beispiel ist einGeografiebuch für die 8. Klasse aus dem Jahr2013, in dem Schüler aufgefordert werden, die Ge-sichter von Menschen nach rassialen AspektenKontinenten zuzuordnen.

Dass es Rassismus im Bildungsbereich gibt, bele-gen auch andere Studien. Die Europäische Kom-mission gegen Rassismus und Intoleranz bemän-gelt zum Beispiel die hohe Diskriminierung von Kin-dern mit Migrationshintergrund an Schulen inDeutschland. Nachweislich wird ihnen seltener eineEmpfehlung fürs Gymnasium ausgesprochen odersie erhalten schlechtere Leistungsbeurteilungentrotz vergleichbarer Leistungen. Prof. Dr. Gomollahat in der Anhörung noch mal deutlich gemacht,dass es hier aber nicht nur um die Frage individuel-ler Einstellungen geht, es also nicht nur der einzel-ne Lehrer ist, der rassistisch agiert, sondern dasses natürlich auch strukturelle und institutionelle Dis-kriminierung im Bildungsbereich gibt und dass die-se eng zusammenwirken.

Das erleben wir nicht nur in Schule, das erleben wirzum Beispiel auch im Bereich der öffentlichen Ver-waltung. Nach einer Studie der Antidiskriminie-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12177

(Abg. Lehmann)

rungsstelle des Bundes ist die öffentliche Verwal-tung der dritthäufigste Bereich, in dem Betroffeneselbst angeben, Diskriminierungserfahrungen zumachen. Das kann durch Behördenpersonal statt-finden, auch durch Normen, Routinen, Vorschriften,die eine rassistische oder diskriminierende Wirkunghaben, aber eben auch durch sprachliche oder bau-liche Barrieren. Das ist deswegen besonders pro-blematisch, weil Betroffene hier besonders oft in ei-nem Abhängigkeitsverhältnis zu Behörden stehen,durch das sie Diskriminierung erfahren und das tat-sächlich dazu führt, dass sie massiv verschlechter-te Teilhabechancen haben. Wir kennen hier auchFälle in Thüringen. Ein Fall, der uns sicherlich allenbesonders präsent geblieben ist, ist die Ausländer-behörde in Sömmerda. Aber wir sehen das auch,wenn wir uns zum Beispiel den Migrationsanteil beiBeschäftigten im öffentlichen Dienst anschauen.Wenn man dort Studien vergleicht, sieht man, dassMenschen, die zum Beispiel ein Kopftuch tragen,sich 4,5-mal so oft bewerben müssen wie jemand,der vermeintlich zumindest erst mal einen deut-schen Namen hat und ethnisch hier zugeordnetwerden kann, dass das eben natürlich auch Hürdenmit sich bringt.

Wie gehen wir jetzt damit um? Ich bin der Meinung,es braucht grundsätzlich eine Sache: Es brauchtHaltung. Wir müssen immer wieder durch Worte,durch Taten deutlich machen, dass wir Rassismusund Diskriminierung ernst nehmen und dass beideskeinen Platz hat. Dass wir als Politikerinnen undPolitiker hier eine besondere Verantwortung haben,habe ich eingangs schon erwähnt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Es gibt aber auch einige Dinge, die man konkretmachen kann, auch darauf geht der Zwischenbe-richt ein. Er sagt zum Beispiel: Wir brauchen eineStärkung der politischen und Menschenrechtsorien-tierung für alle Altersgruppen, aber insbesonderefür Schule. Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer,Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch Be-schäftigte im öffentlichen Dienst in Aus-, Fort- undWeiterbildung für das Thema und für den Umgangmit Rassismus und Diskriminierung sensibilisieren.Wir brauchen niedrigschwellige Beschwerdestellenin Bildungseinrichtungen und Ansprechpartner fürBetroffene in Institutionen, aber wir müssen unszum Beispiel auch im Rahmen von Organisations-entwicklung mit Rassismus und Diskriminierung be-fassen, auch wenn es um die eigenen Strukturengeht.

Der Bericht schlägt vor, den Anteil von Menschenmit Migrationshintergrund auch in öffentlichen Ver-waltungen zu erhöhen, das wurde in den vergange-

nen Wochen und Monaten auch immer mal wiederdiskutiert. Hier geht es natürlich nicht darum, dassman jetzt Migrationshintergrund durch Qualifikationersetzt, sondern schlicht sagt, wenn ich zwei Perso-nen habe, die die gleiche Qualifikation haben, dassich dann sensibel bin und mich im Sinne der Diver-sität einer Struktur dann möglicherweise für diePerson entscheide, die einen nicht deutschen Hin-tergrund hat.

Im Entschließungsantrag – der ist jetzt auch schonangesprochen worden – haben wir einige Maßnah-men zusammengefasst, die wir bereits kurzfristigangehen müssen. Das ist zum einen eine Überprü-fung von Lehr- und Lernmaterialien auf Rassismusin Thüringen. Wir wollen eine unabhängige Diskri-minierungsberatungsstelle als Anlaufstelle für Be-troffene, bewusst aus der Erfahrung heraus, dassfür diese Personengruppe staatliche Institutionenhäufig nicht die Institutionen sind, die sie mit Ver-trauen verbinden. Und wir wollen ein Normscree-ning, also eine Überprüfung von Rechtsvorschriftenauf Rassismus und Diskriminierung. Ein ähnlichesVerfahren gibt es schon in Bezug auf die Behinder-tenrechtskonvention.

Ich würde jetzt trotzdem noch kurz was zu den Son-dervoten sagen, weil auch die Teil des Abschluss-berichts sind: Das Sondervotum der AfD passt ei-gentlich ganz gut zur Arbeit der AfD in der Kommis-sion. Die AfD fällt in der Kommission überwiegenddadurch auf, nicht mitzuarbeiten. So sagen Sie inIhrem Sondervotum eigentlich nichts zu der Arbeit,die wir bisher in der Kommission geleistet haben.Sie sagen auch nicht, was aus ihrer Sicht nötig ist,um den Rahmen der Kommission zu nutzen, son-dern den Großteil des Sondervotums nutzen Sie ei-gentlich dafür, die anderen Parteien in diesem Par-lament zu beschimpfen. Ob das der Raum ist, indem man das machen könnte, das können wir si-cherlich an anderer Stelle noch einmal diskutieren.

Die CDU: Herr Tischner hat noch einmal ausge-führt, warum die CDU sich am Ende dafür entschie-den hat, ein Sondervotum einzureichen. Mich per-sönlich hat das sehr überrascht, gerade weil wiruns in der Erstellung auf ein Verfahren verständigthaben, das unabhängig von den Parteien war. Sowar ich – das muss ich sagen – tatsächlich etwasenttäuscht. Sie haben sich bei der Abstimmungüber den Zwischenbericht nicht enthalten, sondernSie haben dagegen gestimmt, den so zu verab-schieden. Ein bisschen überrascht hat es mich, ichwürde nicht sagen, Sie haben es kopiert, aber Siehaben dann große Teile des Berichts wieder über-nommen.

Wie gesagt, mit Blick auf den Bericht ist das einfachpassiert. Es gibt mir aber – und das will ich an der

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(Abg. Lehmann)

Stelle auch noch einmal sagen, weil es mir wichtigist – die Hoffnung, dass wir zumindest auf einen ge-meinsamen Abschlussbericht kommen und da tat-sächlich sagen: Wir schaffen es noch einmal, unsgemeinsam für Maßnahmen auszusprechen. Esmuss doch einen Bereich geben, in dem wir uns ei-nig sind, nämlich dass wir für den Bereich Demo-kratie, für die wir als Parlamentarierinnen und Par-lamentarier hier, aber auch jeden Tag kämpfen,deutlich machen können, worin der besteht undworin wir uns möglicherweise auch von anderenFraktionen in diesem Parlament abgrenzen können.

Ich möchte an der Stelle auch noch einmal allenDanke sagen, die bei der Erstellung mitgewirkt ha-ben, den sachverständigen Mitgliedern natürlich,aber auch den Anzuhörenden, die sich in den letz-ten zwei Jahren die Zeit genommen haben, uns Re-de und Antwort zu stehen, der Landtagsverwaltung,auch unseren eigenen Ministerien, die uns da sehrunterstützt haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Ich freue mich auf die weitere Arbeit – ein paar Wo-chen und Monate liegen ja noch vor uns – und ichbitte jetzt um Zustimmung zum Entschließungsan-trag. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Als nächste Rednerin erhält Abgeordnete Herold,Fraktion der AfD, das Wort.

Abgeordnete Herold, AfD:Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, liebe Besucher aufder Tribüne und Zuschauer im Netz, die AfD hattesich als einzige Fraktion in diesem Haus gegen dieEinrichtung der Enquetekommission ausgespro-chen, weil sie – ich zitiere aus unserer Beschluss-vorlage von 2016 – „Positionen der gesellschaft-lichen Mitte, die sich [unter anderem] mit negativenFolgen der Zuwanderung kritisch auseinanderset-zen, zunächst als ‚menschenfeindlich‘ definiert, umsie anschließend mit vermeintlich wissenschaftli-cher Autorität unsagbar zu machen und zu be-kämpfen.“ Bisher hat sich die Enquetekommissionnach Kräften bemüht, diesen Verdacht zu unter-mauern.

(Beifall AfD)

Es gab bisher noch keine Sitzung, in der nicht DieLinke statt wissenschaftlich zu arbeiten diese in ei-ne ideologische Bastelstunde verwandelt hätte.

Überall wird ein angeblicher Rassismus gewittert,den es zu bekämpfen gilt. Äußerst praktisch ist da-bei, dass Die Linke es noch nicht einmal in ihrer ei-genen Enquetekommission „Rassismus und Diskri-minierung“ geschafft hat, eine wissenschaftlich be-lastbare Definition von Rassismus und Diskriminie-rung vorzulegen. Stattdessen gibt es Beschimpfun-gen, auch Beschimpfungen der Anzuhörenden,oder Ausladungen und Scharlatanerie.

(Beifall AfD)

Eine Kostprobe von Seite 30 des Zwischenberichts:„Rassismus konstruiert Rassen, sodass (zuge-schriebene) körperliche, kulturelle oder religiöseAspekte oder Besonderheiten (Neigungen, Charak-tereigenschaften, Talente) als genuine Gruppen-merkmale erscheinen, die für alle Gruppenmitglie-der zentral bedeutsam seien und einen grundsätzli-chen Unterschied zur ‚eigenen Gruppe‘ markierten.“Das ist natürlich Nonsens, da dadurch jede Definiti-on von Menschengruppen automatisch zu Rassis-mus wird – übrigens auch jede Definition von Lin-ken.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Der einzige Nonsens hier sind Sie!)

Mit tatsächlichem Rassismus, wie er beispielsweisevon den Vereinten Nationen definiert wird, hat dasnichts zu tun. Aber mit einem geteilten Abbild derRealität, das wissenschaftlichen Kriterien standhält– mit diesem Denken hatten es die Kommunistennoch nie.

(Beifall AfD)

Ein Stichwortgeber dieses Nonsens ist hier der so-genannte Rassismus ohne Rassen, ein lupenreineskommunistisches Konstrukt, worauf wir bereits indiesem Plenum an anderer Stelle bei der Vorstel-lung des Thüringen-Monitors hingewiesen haben.Durch dieses neokommunistische Schlagwort vomRassismus ohne Rassen lässt sich das Wort „Ras-sismus“ als Parole im politischen Kampf völlig nachBelieben einsetzen, wie Prof. Egon Flaig in einemGutachten für die Enquetekommission festgehaltenhat. Genau das haben Die Linken in der Enquete-kommission durch permanente Rassismusun-terstellungen gezeigt: überhaupt nicht begründet,sondern nur behauptet; Beschimpfungen eben undideologische Scharlatanerie.

(Beifall AfD)

Dabei hat die Kommission selbst ein erheblichesProblem mit Diskriminierung zu besichtigen, bei-spielsweise auf den Seiten 34 bis 41 des Zwischen-berichts. Hier werden die Gutachten aller sachver-ständigen Kommissionsmitglieder vorgestellt – aller

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(Abg. Lehmann)

Mitglieder, bis auf das Gutachten des sachverstän-digen Mitglieds für die AfD Dr. Marc Jongen.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Ja, woran liegtdas?)

Wir baten darum, auch dieses Gutachten zu be-rücksichtigen. Bescheidene drei Sätze sollten ein-gefügt werden – zu viel für die Mehrheit der Kom-missionsmitglieder. Diese schrecklichen drei Sätzeerlaube ich mir wenigstens an dieser Stelle zu zitie-ren: „9. Im Gegensatz zu anderen Gutachtern derKommission betonte Herr Dr. Marc Jongen, dassselbstverständlich auch Deutsche Opfer von Ras-sismus und Diskriminierung sein können.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Ein absoluter Quatsch!)

Diese Möglichkeit zu ignorieren, oder sogar zuleugnen, dass es überhaupt die Deutschen alsGruppe gebe, sei dagegen ein anschauliches Bei-spiel für epistemische Gewalt. Entsprechend seienobjektive Kriterien für Rassismus und Diskriminie-rung von Gruppen anzuwenden, da sonst ideologi-sche Willkür herrschen muss.“

(Beifall AfD)

Schreckliche drei Sätze, in der Tat.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Das stimmt, das stimmt!)

Wenn Sie ein Problem mit Ihrem Deutschsein ha-ben, dann können Sie das ja ändern.

Wir können also festhalten: Die Enquetekommis-sion hat nicht nur ein massives Problem mit Diskri-minierung, die Enquetekommission hat auch nochein massives Problem mit Rassismus.

(Beifall AfD)

Denn es ist Rassismus, wenn man einer Bevölke-rungsgruppe aufgrund ihrer Abstammung grund-sätzlich abspricht, Opfer rassistischer Gewalt seinzu können. Auf der einen Seite werden rassistischeVorfälle als nicht zulässig ausgeblendet, denn umdie anerkennen zu dürfen, bräuchte man offensicht-lich die Lizenz von den Linken. Entsprechend ver-stieg sich eine Gutachterin für die Linkspartei zuder Aussage: „Es gibt weder einen antideutschenRassismus noch gibt es Rassen.“

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Da hat sie recht!)

Eine andere Wahrnehmung beruhe nicht auf „Er-kenntnissen oder Studien, sondern ist eine in rech-ten Kreisen weitverbreitete Position.“ Zur Bekämp-fung dieser falschen Wahrnehmung solle die Kom-mission ein „Kompetenznetzwerk oder ein Kompe-tenzzentrum“ einrichten. Das muss man sich vor-

stellen wie eine Art mit Regierungs- und Steuergel-dern gefüttertes Gehirnwäschezentrum, so eine Artideologischer Waschsalon.

(Beifall AfD)

Was die von diesem Kompetenzzentrum zu geneh-migenden rassistischen Vorfälle betrifft, so fallendiese Erkenntnisse und Studien für Thüringen dochsehr dürftig aus. Hierzulande, so räumt der Zwi-schenbericht ein, liegen keine belastbaren Einzelin-formationen vor. „Es liegen keine belastbaren Un-tersuchungen vor“, heißt es auf Seite 234. Oder:„Genaue Fallzahlen zu rassistischer Diskriminie-rung in Thüringen sind nicht bekannt.“ Oder ein we-nig subtiler: „Innerhalb der Thüringer Ministerienwaren die niedrigen […] Fallzahlen auffällig, bezo-gen auf Diskriminierungserfahrungen“ usw. Auffälligsind hier wohl eher diejenigen, die das als Wissen-schaft verkaufen. Zahlreicher als die gemeldetenVorfälle sind sie allemal.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Schlussfolgerung?)

Mit anderen Worten, wir haben eine Enquetekom-mission für ein Problem gegründet, von dem wirnicht wissen, ob es überhaupt existiert. Diese Kom-mission maßt sich an, Handlungsempfehlungenauszusprechen, ohne überhaupt überprüfbare Kri-terien für Rassismus anzugeben.

(Beifall AfD)

Es ist natürlich peinlich,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das ist peinlich!)

(Zwischenruf Abg. Leukefeld, DIE LINKE: Siesind peinlich!)

weshalb jetzt dringend rassistische Vorfälle gesuchtwerden, wozu auch schon mal die grundgesetzlichgarantierte richterliche Unabhängigkeit abgeschafftwerden soll. So überlegten Kommissionsmitgliederernsthaft Maßnahmen, wie man einen Richter dazuverpflichten könne, bei Strafsachen zwingend einrassistisches Motiv anzugeben, sollte sich eines inden Vorfall hineindeuten lassen;

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Soein Blödsinn!)

umgekehrt selbstverständlich nicht, da ja Deutschekeine lizenzierten Opfer von Rassismus sein kön-nen. Es ist genau diese ideologische Willkür, vorder wir gewarnt haben und die in ihrer dilatierendenPracht in der Kommission bewundert werden darf.

(Beifall AfD)

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(Abg. Herold)

Wenn das Wissenschaftlichkeit ist, dann ist wohlder Bolschewismus auch Verwirklichung unsererfreiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die rund700.000 Euro, die uns dieser Unsinn bisher gekos-tet hat, wären dann richtig gut investiertes Geld.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Das kostet weniger als Ihre Fraktion in denletzten Jahren! Und das war mehr wert alsdie Arbeit Ihrer Fraktion!)

Die hier schon angedrohte Übersetzung des Zwi-schenberichts ins Englische und Arabische wird dieKommission nach einem uns vorliegenden Kosten-voranschlag 76.000 Euro kosten – das heißt, denSteuerzahler.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Siehaben sich den teuersten Kostenvoranschlagherausgesucht!)

Diese sinnlose bürgerbeschimpfende und geldver-nichtende Ideologieposse wird da – wohlgemerktunter tätiger Mithilfe der CDU – am Laufen gehal-ten.

Die Linken wunderten sich in der Kommission auchdarüber, was die CDU für ein Sondervotum abge-geben hat, denn dieses stammt nahezu vollständigaus Textteilen des Zwischenberichts selbst. DieÜbereinstimmung beträgt geschätzte 95 Prozent.Ich frage mich: Wenn es eine Partei in einer Kom-mission nicht schafft, einen eigenen Standpunkt zuerarbeiten – ich meine natürlich die CDU –, warumist sie dann überhaupt in der Opposition? 90 oder95 Prozent Übereinstimmung, das schaffen nochnicht einmal langjährig verheiratete, glückliche Ehe-paare.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Das muss ja traurig sein in IhrerFraktion!)

Sie können also getrost gleich an dieser Stelle ganzohne Wahlkampf von der Oppositionsbank zur Re-gierung wechseln. Der Bürger wird keinen Unter-schied merken. Wieso auch? Denn dazu bräuchtenSie,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Siesind so dumm!)

geschätzte Kollegen von der CDU, erst einmal ei-nen Standpunkt, der sich deutlich von dem der Lin-ken abhebt,

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Sie müs-sen zuhören, Frau Herold!)

und ein Selbstbewusstsein, das sich nicht darin er-schöpft, Steigbügelhalter für linke Ideologiepolitikzu sein.

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Das sa-gen die Richtigen!)

Wir bewundern Ihr gemeinschaftliches Machwerkund werden diese unsägliche Kommission bis zu ih-rem hoffentlich standesgemäßen Begräbnis kritischbegleiten. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Jung:Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abge-ordnete Henfling jetzt das Wort.

Abgeordnete Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:Sehr geehrte Präsidentin, meine sehr geehrten Da-men und Herren!

Vizepräsidentin Jung:Meine Damen und Herren, die Rednerin hat jetztdas Wort.

Abgeordnete Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:Wenn die AfD und die CDU kurz rausgehen wollen,dann wäre es auch okay – also nur, um die Bespre-chungen hier jetzt zu beenden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr ge-ehrte Gäste auf der Tribüne, ich wollte heute nichtso viel dazu sagen, was die CDU und AfD hier ge-sagt haben. Zwei Sätze dazu kann ich mir dannaber doch nicht verkneifen.

Frau Herold, ich musste über Ihren Redebeitrag ansich nicht lachen, weil der nicht zum Lachen ist,weil der vor allen Dingen wie immer gezeigt hat,dass sich Ihr faschistisches Weltbild eben auch indieser Enquetekommission erstreckt. Man mussnur mal Ihr Sondervotum lesen und man weiß, wel-chen Geistes Kind Sie sind.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Sie sind ja sogar nach wie vor der Meinung, dasses in dieser Welt Rassen gibt. Das ist Ihre Position.Wenn sich jemand hinstellt und sagt, dass das Kon-strukt – so nennen Sie es ja, was wir als Rassismusverstehen – „Rassismus ohne Rassen“ Schwach-sinn wäre, dann gehen Sie davon aus, dass esRassen gibt, weil Sie grundsätzlich erst mal nichtleugnen, dass es Rassismus gibt. Gegenüber Deut-

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(Abg. Herold)

schen wollen Sie den ja konstruieren, was auch im-mer das sein soll.

(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Reden Siebitte weiter!)

Aber von daher bleibt mir dieser Satz zu sagen:Das ist das übliche faschistische Zeug, was wir vonIhnen hier sonst auch hören.

Bei der CDU-Fraktion muss ich aber sagen, ist daseine tiefere Enttäuschung, weil ich da tatsächlichauch mehr erwartet habe. Ich möchte zwei Sachentatsächlich wirklich von mir weisen: Niemand vonuns in dieser Enquetekommission missbraucht denBegriff „Rassismus“ und wir gebrauchen ihn auchnicht inflationär.

(Beifall DIE LINKE)

Das, was wir getan haben, ist tatsächlich, genau zudefinieren, worüber wir reden. Und warum habenwir es abgelehnt, uns auch noch mit dem Komplex„Rechtsextremismus“ zu beschäftigen? Diese Ant-wort ist relativ einfach. Wir haben uns in der En-quetekommission mit den Themen des strukturellenund des institutionellen Rassismus beschäftigenwollen, und das sind quasi die Bereiche des Ras-sismus, die sich in der Breite dieser Gesellschaftund auch in Institutionen und Behörden finden. Da-mit wollten wir arbeiten und darüber wollten wir tat-sächlich reden, und das haben wir auch getan.

Der NSU-Untersuchungsausschuss setzt sich sehrintensiv mit dem Thema „Rechtsextremismus“ aus-einander und eben auch mit dem ideologischenKonstrukt, das dem Rechtsextremismus zugrundeliegt, zu dem natürlich Rassismus gehört. Darüberhinaus würde ich mich sehr freuen, wenn wir dieseKritik, die wir hier gerade von Herrn Tischner gehörthaben, im Alltag auch hören würden. Ich würdemich freuen und ich würde die CDU dazu einladen,sich stärker mit Rechtsextremismus in dieser Ge-sellschaft auseinanderzusetzen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Da haben Sie uns alle im Boot, da gibt es hier einbreites Bündnis in diesem Haus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ichmit meinem Redebeitrag auf die Inhalte des Zwi-schenberichts und den vorliegenden Entschlie-ßungsantrag der Koalitionsfraktionen eingehe,möchte ich vorab einige Anmerkungen zur Erstel-lung des Zwischenberichts machen. Das auch des-halb, weil wir als Enquetekommission bis zumHerbst dieses Jahres auch noch einen Abschluss-bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen zur

Zurückdrängung und Bekämpfung von Rassismusund Diskriminierung in Thüringen vorlegen wollen.

Allein die Verfahrensdauer für die Erarbeitung desZwischenberichts einschließlich der Sondervotenhat sich nun über fast ein Jahr hingezogen. Das istumso erstaunlicher, weil der mit der Mehrheit derKommission beschlossene Hauptbericht und dasSondervotum der CDU-Fraktion zu fast 90 Prozentidentisch sind. Das heißt, der übergroße Teil desBerichts wäre in der Kommission einigungsfähiggewesen. Ich finde es deshalb sehr bedauerlich,dass es nicht gelungen ist, diesen Teil gemeinsamzu beschließen und dann auch nach außen ge-meinsam zu vertreten.

(Beifall DIE LINKE)

Vor allem im Interesse der von Rassismus und Dis-kriminierung betroffenen Menschen in diesem Landmöchte ich an dieser Stelle deshalb noch mal an al-le Beteiligten appellieren, bei der nun anstehendenErarbeitung des Abschlussberichts nicht das Tren-nen in den Vordergrund zu stellen. Auch wenn nichtalle Punkte einigungsfähig sein werden, sollten wirin der Kommission dennoch versuchen, zunächstdie unstrittigen Maßnahmen zu identifizieren undmit einer breiten Mehrheit zu beschließen und sodie Situation für die Betroffenen zu verbessern.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Zu Beginn meiner inhaltlichen Ausführungen möch-te ich noch einmal an den Anlass zur Einsetzungder Enquete erinnern: Er bezieht sich – das hat Kol-legin Berninger schon ausgeführt – auf eine Emp-fehlung aus dem NSU-Untersuchungsausschussdes Thüringer Landtags aus der vorherigen Legisla-turperiode. Die Empfehlungen aus den NSU-Unter-suchungsausschüssen in Bund und Ländern habendementsprechend als Ansatzpunkte für die Arbeitder Kommission in den unterschiedlichen Themen-feldern gedient.

Der zweite Ansatzpunkt ergibt sich aus den men-schenrechtlichen Verpflichtungen des Grundge-setzes und aus den von der Bundesrepublik ratifi-zierten, völkerrechtlich verbindlichen Menschen-rechtsabkommen. In der Kommissionsarbeit wurdenoch einmal deutlich, dass diese Verpflichtungennoch nicht vollständig umgesetzt sind. In den Staa-tenberichten des UN-Fachausschusses zur Antiras-sismuskonvention oder der vom Europarat einge-setzten Europäischen Kommission gegen Rassis-mus und Intoleranz finden sich dazu Empfehlun-gen, an die wiederum in der Kommissionsarbeit an-geknüpft werden konnte.

12182 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Henfling)

In dem nun vorliegenden Zwischenbericht findensich in den unterschiedlichen Themenfeldern Vor-schläge zu Maßnahmen, die geeignet sein könnten,die beschriebenen Defizite in der Umsetzung zu be-seitigen. Als Koalitionsfraktionen haben wir zur De-batte des Zwischenberichts noch einen Entschlie-ßungsantrag eingebracht. Dazu haben wir sechsaus den im Zwischenbericht diskutierten Maßnah-men herausgegriffen, die in der Kommissionsarbeitvon einem weit überwiegenden Teil der Anzuhören-den sowie der Kommissionsmitglieder unterstütztwurden und deshalb auch sehr wahrscheinlich inden Abschlussbericht einfließen werden.

Mit dem Antrag möchten wir deshalb anregen, dasszeitnah mit der Umsetzung der Maßnahmen begon-nen werden kann. Da möchte ich auch noch malHerrn Tischner ganz klar widersprechen: Wir habenuns hier nicht einfach irgendwie wild irgendwasausgedacht, sondern es handelt sich dabei umMaßnahmen, die ein Großteil der Anzuhörendentatsächlich auch explizit benannt hat, die in anderenBundesländern teilweise schon umgesetzt und an-gewendet werden. Das heißt also, das sind keinewilden Hirngespinste von Rot-Rot-Grün, sonderndas sind tatsächlich sinnvolle und zielführendeMaßnahmen, um Rassismus in Institutionen undBehörden ganz konkret zu begegnen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Dasind sogar Punkte aus dem CDU-Votumdrin!)

Und es sind teilweise Punkte von der CDU, damuss ich der Kollegin Berninger recht geben.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: So einQuatsch!)

Ich werde mich im Folgenden darauf beschränken,mich mit dem Themenfeld „Inneres und Polizei“ zubeschäftigen. In unserem Entschließungsantrag ha-ben wir dazu unter der Ziffer II.2 die Weiterentwick-lung der Polizeivertrauensstelle aufgenommen. Wirbegrüßen, dass mit der Einrichtung der Vertrauens-stelle im Dezember 2017 im Hinblick auf eine bür-gerorientierte Polizeiarbeit eine Verbesserung er-reicht wurde. Dennoch gibt es eine Fehlstelle zukonstatieren, denn bisher können sich nur von poli-zeilichen Maßnahmen betroffene Bürgerinnen undBürger an die Stelle wenden. Wir halten es aller-dings für sehr wichtig, die Zuständigkeit der Ver-trauensstelle auch auf die Beschwerden und Anlie-gen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamtenauszuweiten.

(Beifall DIE LINKE)

So soll vermieden werden, dass Polizistinnen undPolizisten berufliche Nachteile befürchten müssen,wenn sie problematische Entwicklungen innerhalbder Polizei ansprechen.

(Zwischenruf Abg. Kräuter, DIE LINKE: So istes!)

Für die Beamtinnen und Beamten muss daher dieMöglichkeit geschaffen werden, solche Dinge auchaußerhalb der Diensthierarchie ansprechen zu kön-nen. Eine entsprechende Erweiterung des Auftragsder Vertrauensstelle könnte noch in dieser Legisla-turperiode umgesetzt werden, indem das Innenmi-nisterium eine entsprechende Anpassung in derDienstanweisung für die Vertrauensstelle der Thü-ringer Polizei vornimmt.

(Beifall DIE LINKE)

Für meine Fraktion möchte ich aber unterstreichen,dass es sich bei der Umsetzung dieser Maßnahmenur um einen ersten Schritt bei der Weiterentwick-lung der Vertrauensstelle hin zu einer echten Poli-zeibeschwerdestelle handeln kann. Die Weiterent-wicklung der Vertrauensstelle zu einer unabhängi-gen und mit weiten Befugnissen ausgestatteten Be-schwerdestelle halten wir als Grüne für unabding-bar.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Wir knüpfen damit bewusst an die entsprechendenHandlungsempfehlungen des ersten ThüringerNSU-Untersuchungsausschusses in Ziffer C.III unddie Empfehlung der ECRI in Nummer 63 des fünf-ten Staatenberichts über Deutschland an. Da es fürdie Etablierung einer solchen Stelle allerdings einergesetzlichen Grundlage bedarf, kann dies in dieserLegislatur leider nicht mehr komplett in Angriff ge-nommen werden. Dennoch möchte ich auf derGrundlage der Anhörung aus der Enquetekommis-sion kurz skizzieren, welche Kriterien für eine echteBeschwerdestelle nach unseren Vorstellungen er-füllt sein müssen:

Wirklich unabhängig ist die Beschwerdestelle erstdann, wenn sie aus der Exekutive herausgelöst undsomit ihre institutionelle Unabhängigkeit sicherge-stellt ist. Wir fordern deshalb die Ausgliederung derjetzigen Vertrauensstelle aus dem Innenministe-rium.

(Beifall DIE LINKE)

In der Anhörung der Enquetekommission habenauch die Vertreter der Gewerkschaft der Polizei unddes Bundes Deutscher Kriminalbeamter darauf hin-gewiesen, dass sie es besser fänden, die Stelle au-ßerhalb des Innenministeriums anzusiedeln. Das ist

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12183

(Abg. Henfling)

also keine Minderheitenmeinung von R2G, sonderndas sehen auch die Betroffenen so.

Wir schlagen vor, die Beschwerdestelle nach demVorbild von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holsteinals ein Hilfsorgan des Parlaments über einen Be-auftragten dem Landtag zuzuordnen. Bei der Erwei-terung der Befugnisse für die Beschwerdestellewürden wir uns gern an der Stelle der Beauftragtenfür die Landespolizei in Schleswig-Holstein orientie-ren.

Wie wichtig die Einrichtung einer Beschwerdestelleist, verdeutlichen auch die aktuellen Vorfälle umrechtsradikale Chatgruppen in der hessischen Poli-zei und die mit NSU 2.0 unterzeichneten Droh-schreiben gegen die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und ihre Familie. Auch wenn die dortigen Er-mittlungen noch nicht abgeschlossen sind, hat jetztselbst der hessische CDU-Innenminister angekün-digt, Konsequenzen aus diesem Fall ziehen zu wol-len. So plant er unter anderem die Einrichtung einerunabhängigen Ombudsstelle. Ich kann nur hoffen,dass dieser Fall eines rassistischen Verhaltens vonPolizistinnen und Polizisten nun endlich dazu führt,dass in der Zukunft ein solches Verhalten nichtmehr reflexhaft als Einzelfall abgetan wird, wie es jaauch die CDU heute wieder getan hat.

(Zwischenruf aus dem Hause)

Auch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeitkann ein Einzelfall sein. Sie haben das immer nochnicht verstanden mit dem institutionellen und struk-turellen Rassismus – aber gut.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Auch die strukturellen Probleme der Sicherheitsbe-hörden müssen in den Blick genommen werden.Wenn man einem Bericht der „Süddeutschen Zei-tung“ von 21. Februar glauben darf, hat das Bun-desministerium letzte Woche jedenfalls mal wiederunter Beweis gestellt, dass dort kein entsprechen-des Problembewusstsein existiert. Der Bericht han-delt im Groben von den Dienstanweisungen zu denBodycams der Bundespolizei. Da soll es möglichsein, dass die Aufzeichnungen zwar verwendetwerden, wenn gegen Polizeibeamtinnen und -be-amte vorgegangen wird. Wenn sich aber jemandüber das Vorgehen von Polizeibeamtinnen und ‑be-amten beschweren will, so darf das aufgezeichneteMaterial nicht verwendet werden. Das beweist uns,dass hier ein Problembewusstsein deutlich fehlt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibtweitere Vorschläge im Bereich des Inneren, die wirin diesen Zwischenbericht aufgenommen haben.Beispielsweise geht es um das Verbot von Racial

Profiling im Polizeiaufgabengesetz und um die Er-fassung von Fallzahlen in Thüringen – beispielhaftsei hier die PMK-Statistik zur politisch motiviertenKriminalität erwähnt. Um hier rassistische und an-dere Straftaten der Hasskriminalität besser erfas-sen zu können, bedarf es dazu auch verbesserterAus- und Fortbildungsangebote für Polizistinnenund Polizisten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, darüberhinaus wollen wir ein Beratungsgremium für das In-nenministerium einrichten, das eine Arbeitsgemein-schaft „Rassismus und Diskriminierung“ sein könn-te.

Damit möchte ich zunächst schließen. Ich möchtenoch betonen, dass wir uns natürlich eine bürger-nahe und starke Polizei wünschen, die personellund materiell gut ausgestattet ist. Wir wollen aberauch, dass eine Polizei in der Lage ist, sich Kritik zustellen. Ein modernes Staatsverständnis bedeuteteben auch, eine Fehlerkultur zu entwickeln.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschlie-ßend möchte ich auch ganz herzlich insbesondereden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktio-nen danken.

(Beifall DIE LINKE)

Ganz herzlichen Dank an die Kollegen in der En-quetekommission. Es ist mir eine Ehre, mit euch zuarbeiten, bei allem Streit, den wir häufig haben. Ei-nen herzlichen Dank an die Landtagsverwaltung fürihre gute Arbeit. Ich erspare mir, von der AfD-Frak-tion zu erhoffen, dass sie irgendwann mal konstruk-tiv mitarbeitet – ich glaube, das ist eine Illusion.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Es gibt eine weitere Wortmeldung von Herrn Abge-ordneten Schaft, Fraktion Die Linke.

Abgeordneter Schaft, DIE LINKE:Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnenund Kollegen hier im Haus, liebe Zuschauerinnenund Zuschauer auf der Tribüne und am Livestream,ich bin auch noch mal vorgegangen, um ein paarSachen klarzustellen.

Ich meine, der Redebeitrag der AfD verwundertnicht. Eine Partei, die Rassismus und Diskriminie-rung fest in ihrem Denken und in ihren Zielen hat,sieht natürlich den Wald vor lauter Bäumen nicht.

12184 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Henfling)

Insofern kann man das auf der Seite auch malrechts liegen lassen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber was passieren muss, ist, die eine oder andereAussage noch mal einzuordnen. Ich war doch einbisschen verwundert, Herr Tischner. Einmal sagenSie, wir hätten jetzt voreilig Maßnahmen in den Ent-schließungsbericht gepackt, die nicht mit den Be-troffenen abgestimmt gewesen wären. Was wurdedenn gemacht, als wir die Anhörung der Betroffe-nen hatten? Sie haben auf der einen Seite die Pro-bleme klar benannt, aber uns auch gleichzeitig –ich sage jetzt einmal so – ins Hausaufgabenheft ge-schrieben, wie diese Probleme angegangen wer-den müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Die haben wir im weiteren Prozess versucht, mitweiteren Expertinnen noch einmal zu konkretisie-ren. Jetzt gerade sind wir in der Phase, dass wirschauen, ob diese Maßnahmen, die jetzt im Zwi-schenbericht stehen, tatsächlich umsetzbar sind.Da sei beispielsweise für den Bereich Arbeitsmarktund Bildung erwähnt, dass alle Anzuhörenden – so-wohl die der rot-rot-grünen Fraktionen als auch dieAnzuhörenden, die die CDU-Fraktion benannt hat –sowohl beim Arbeitsmarkt als auch im Bereich Bil-dung alle Maßnahmen, die in dem Maßnahmenpa-pier stehen, grundsätzlich begrüßt haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Dann haben Sie gesagt, man müsste dem wissen-schaftlichen Sachverstand vertrauen, das hätteman jetzt bei der Erarbeitung des Zwischenberichtsnicht gemacht. Das ist doch aber auch ein Schlagins Gesicht der Sachverständigen, die von derCDU-Fraktion benannt wurden,

(Beifall DIE LINKE)

denn auch sie haben doch wie die Sachverständi-gen von Rot-Rot-Grün gemeinsam an dem Zwi-schenbericht gearbeitet. Insofern vertrauen wir sehrwohl auf den Sachverstand der Sachverständigender demokratischen Fraktionen in diesem Hauseund eben auch auf den der Sachverständigen vonIhrer Fraktion. Was mich dann auch immer wiederein Stückchen auf die Palme bringt, weil es die –ich sage es einmal so – ewig selbe Leier ist, ist,dass es keinen institutionellen Rassismus gebeoder dass es, wie Sie gesagt haben – ich habe esmir noch einmal aufgeschrieben –, kein flächende-ckendes Problem sei. In dem Zwischenberichtsteht, dass beispielsweise ausgehend vom Thürin-gen-Monitor festgestellt wurde, dass wir über dieJahre ein hohes Niveau von über 40 Prozent beim

Einstellungsmuster des Ethnozentrismus in Thürin-gen haben. Da kann man doch nicht von Einzelfäl-len reden, sondern muss sagen, dass es ein flä-chendeckendes Problem bei den Einstellungsmus-tern ist.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Es ist doch aber auch keine pauschale Verdächti-gung, sondern tatsächlich einfach zu sagen, wodenn die Probleme liegen. Ich will vielleicht als klei-ne Leseempfehlung noch einmal etwas mitgeben,nämlich einen Bericht in der „Thüringer Allgemei-nen“ vom 18.02.2019, wo ein junger Mann aus Ge-ra eine Situation schilderte, wo er einen jungen Ma-rokkaner am Bahnhof trifft, der von der Erstaufnah-me in Neumünster einen Brief bekommen hat, dasser in die Erstaufnahmestelle Gera soll – zu einemZeitpunkt, wo die Erstaufnahmestelle Gera schonlängst geschlossen war. Er bemühte sich dann denganzen Abend über die Nacht hinweg bis zumnächsten Morgen, diesem jungen Menschen zu hel-fen. Egal bei welcher Behörde, sei es die lokale Mi-grationsbeauftragte, sei es die Polizei, sei es dieErstaufnahmestelle in Suhl, überall blitzte er ab. Dafiel beispielsweise, als er das Büro der Migrations-beauftragten in Gera kontaktierte, der Satz, seinEngagement sei ja rührig, aber es sei das falscheZeichen. Mit ähnlichen Argumenten wurde er auchan den anderen Türen und bei den anderen Telefo-naten abgewiesen. Ich finde, er brachte es am En-de seines Berichts, nämlich was die Quintessenzdes Begriffs des institutionellen Rassismus ist undwarum diese Enquetekommission so wichtig ist, umzu schauen, wo die Probleme liegen, auf denPunkt, indem er dann schrieb: „Solange Hilfsbedürf-tige gleich welcher Herkunft auf das zufällige, indivi-duelle und private Engagement Einzelner angewie-sen sind, handeln die […] Behörden nicht nur fahr-lässig, sondern menschenunwürdig.“

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Genau deshalb kann ich, wie gesagt, diesen Artikeleinerseits nur empfehlen. Zum anderen – um eswieder in die Kommission zu heben – ist es dochgenau das, was wir versuchen, mit dem Begriff desinstitutionellen Rassismus zu machen, nicht das,was immer wieder gesagt wird, dass wir Polizistin-nen pauschal verdächtigen würden, dass wir Lehre-rinnen pauschal verdächtigen würden. Nein, wirwollen schauen, warum es in bestimmten Behördenbestimmte Mechanismen gibt, die am Ende zu Ras-sismus und Diskriminierung und Ungleichbehand-lung führen, und wie wir das abstellen können,

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12185

(Abg. Schaft)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

vor allem, wie wir dabei die Personen in den Behör-den stärken können, die an unserer Seite stehen.

Dann der letzte Punkt: Herr Tischner, Sie haben ge-sagt, es sei Quatsch, dass Punkte von der CDU-Fraktion auch in dem vorliegenden Entschließungs-antrag seien. Dann schauen Sie doch einfach ein-mal unter Punkt 3, dem Normenscreening, ähnlichwie es schon bei der UN-Behindertenrechtskonven-tion stattgefunden hat, oder auch Punkt 6, die Or-ganisationsentwicklung. Das sind beides Punkte,die sich so auch in dem Sondervotum der CDU-Fraktion wiederfinden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Dann will ich vielleicht noch einmal auch im Hinblickdarauf, dass gesagt wurde, es sei kein flächende-ckendes Problem, nur noch mal kurz schlaglichtar-tig auf ein paar andere Handlungsfelder eingehen –Bildung wurde schon erwähnt, öffentliche Verwal-tung wurde schon erwähnt, die Frage Justiz undPolizei. Das sind natürlich die großen Themenfel-der, die auch in der Öffentlichkeit, wenn wir überRassismus sprechen, immer wieder eine Rollespielen. Aber wir haben in dem Zwischenberichtauch das Kapitel „Weitere Handlungsfelder“. Datauchen dann so Themenfelder wie „Medien undÖffentlicher Raum“ auf, wo uns die Anzuhörendendarauf hingewiesen haben, dass beispielsweise diemedialen Diskurse durchaus auch zu einer be-stimmten Wahrnehmung beitragen, dass es um Re-präsentationspolitik im öffentlichen Raum geht, wiruns also beispielsweise damit auseinandersetzenmüssen, wie Straßennamen benannt sind, ob bei-spielsweise Straßen nach ehemaligen Kolonialher-ren benannt sind, weil das dann alles eine Rolle da-bei spielt, wie wir mit unserer eigenen Historie um-gehen, inwiefern wir das kritisch aufarbeiten und obwir dann auch die Vielfalt, die mittlerweile in unse-rer Gesellschaft vorhanden ist, im öffentlichenRaum abbilden.

Wir haben den Themenbereich „Wohnen“ betrach-tet, wo ich nur auf ein groß angelegtes Experimentaus dem Jahr 2017 verweisen kann, wo 8.000 An-fragen von Datenjournalisten aus dem „Bayeri-schen Rundfunk“ und dem „Spiegel“ gestellt wur-den und am Ende herauskam – es wurde der Ver-gleich gemacht, einmal stellte die Anfrage für eineWohnung Hanna Berg und einmal Ismail Hamed –,dass in jedem vierten Fall eher der Deutsche dieEinladung zur Besichtigung der Wohnung bekamals die Person mit dem vermeintlich ausländischenoder migrantischen Hintergrund. Dabei sagen wir

die ganze Zeit, dass Sprache, Job und Wohnraumdie drei Eckpfeiler für gelungene Integration sind.Aber genau das sind die Punkte, wo es tatsächlichimmer noch zu Diskriminierung kommt und wo lei-der beispielsweise auch das Antidiskriminierungs-gesetz immer noch zu kurz greift.

Und so können wir das dann durchgehen mit vielenanderen Themenfeldern, die noch kommen. Ich willbeispielsweise noch abschließend auf den The-menbereich „Gesundheit“ verweisen, wo im Berichtzu lesen ist: „Zum Themenfeld Gesundheit wurdennur einzelne Aspekte in der Enquetekommissionberichtet, etwa im Rahmen der Stellungnahme desThüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Ge-sundheit, Frauen und Familie“. Und das zeigt ausmeiner Sicht, dass wir mit dem Ende dieser Legis-latur bei dem Zwischenbericht nicht stehen bleibendürfen …

Vizepräsidentin Jung:Herr Abgeordneter, gestatten Sie – aber nein, Siehaben ja gar keine Zeit mehr.

Abgeordneter Schaft, DIE LINKE:Genau, ich wollte gerade zum Schluss kommen,deswegen nicht.

Vizepräsidentin Jung:Die Zeit ist leider um, Prof. Dr. Voigt.

Abgeordneter Schaft, DIE LINKE:Ich will zum Schluss nur noch dafür plädieren, dasswir weder den Zwischenbericht noch den Ab-schlussbericht am Ende dieser Legislatur einfachad acta legen und sagen, wir haben unseren Auf-trag erfüllt, sondern die Aufträge und Maßnahmen,die uns der Bericht, die Betroffenen und die Anzu-hörenden mitgegeben haben, jetzt schon anzuge-hen, keine Zeit verstreichen zu lassen, weil vielesdavon bereits jetzt auch im aktuellen Verlauf bestä-tigt wird und weil wir es den Betroffenen von Ras-sismus und Diskriminierung und ihnen gegenüberverantwortlich sind, Rassismus und Diskriminierungin Thüringen zu beenden. Deswegen vielleicht auchder Appell, in der nächsten Legislatur mit einer wei-teren Kommission fortzusetzen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Gibt es weitere Wortmeldungen? Herr Abgeordne-ter Tischner.

12186 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Schaft)

Abgeordneter Tischner, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, ich will nur noch mal ganz kurz etwas sa-gen, weil wir jetzt ein paar Mal angesprochen wor-den sind und die Kollegen möglicherweise nichtganz nachvollziehen konnten, wie wir argumentierthaben.

Sie können sich noch so viel Mühe geben, sowohlvon Rot-Rot-Grün als auch von der AfD, den Dis-sens wegzureden. Der Dissens zwischen dem, wasim Zwischenbericht steht, und dem, was wir imSondervotum haben, ist eindeutig da und der Dis-sens entsteht eben gerade in der Definition dessen,was Rassismus und Diskriminierung ist. Alle Red-ner haben das auch anerkannt und haben gesagt,dass Rot-Rot-Grün einen Institutionenbegriff beiRassismus und Diskriminierung pflegt und dass wirvon der individuellen Ebene her denken.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das stimmt nicht! Wir ha-ben drei Ebenen! Sie blenden aber zweiaus!)

Natürlich gibt es Schnittmengen, das ist ja auchvernünftig. Es muss ja auch Schnittmengen geben,wenn die Kommissionsmitglieder gemeinsam in Ar-beitsgruppen Papiere erarbeiten. Aber es ist ebennicht fair gewesen, dass die Kommissionsmitglie-der, die Wissenschaftler Sachen erarbeiten unddann durch irgendwelche Dinge auf einmal Sachenfehlen oder hinzugedichtet worden sind, wo mansich eben ganz deutlich voneinander unterscheidet.Wer ein bisschen sozialwissenschaftlich bewandertist, der weiß, dass es in der Sozialwissenschaftmanchmal auch auf ein Wort oder auch nur auf ei-ne Endung ankommt.

Und dann noch mal zu dem Thema „Handlungs-maßnahmen“: Ich habe vorhin ausgeführt, in wel-cher Phase wir den Zwischenbericht erstellt haben,nämlich in der Phase, wo es um die Informations-gewinnung ging, wo es darum ging, sich mit Betrof-fenen auseinanderzusetzen. Natürlich haben die ei-nen oder anderen Betroffenen gesagt: Wir wün-schen uns, dass wir dort eine Meldestelle kriegen,und wir wünschen uns da noch ein bisschen mehrDruck. Aber wir waren uns alle einig in der Kommis-sion, dass wir gesagt haben: Die erste Phase giltder Bestandsanalyse und nicht der Generierungvon Maßnahmen, sondern die Maßnahmen werdennachher in der zweiten und dritten Phase diskutiertund besprochen. Und die zweite und dritte Phaselaufen im Grunde erst seit der 15. Sitzung.

Der Zwischenbericht deckt nur die Beratungen biszur 11. Sitzung ab und deshalb kritisieren wir, dassdieser Zwischenbericht – und auch der jetzt vorlie-

gende Entschließungsantrag – irgendwelche Maß-nahmen vorschlägt, die für Gesetzesinitiativen her-halten sollen, obwohl wir im Grunde noch gar nichtausgiebig mit den verschiedensten Beteiligten ge-sprochen haben. Es ist wie im Parlament, mankann nicht einfach nur sagen, wir nehmen jetzt dieCDU‑Ideen und setzen die mal um, sondern es ge-hört in der Demokratie dazu, dass man sich mit al-len Betroffenen, mit Gewerkschaften, mit Arbeitge-bern, mit Arbeitnehmern auseinandersetzt, welcheMaßnahmen am Ende vielleicht sinnvoll sind.

In dem Sinne können wir uns vorstellen, dass wiram Ende vielleicht zu gemeinsamen Maßnahmenkommen – gerade im Bereich der politischen Bil-dung kann ich mir das vorstellen –, aber es wird si-cherlich viele Punkte geben, die wir nicht mittragenkönnen. Dazu zählen auch Punkte, die jetzt im Zwi-schenbericht angedeutet worden sind.

Vizepräsidentin Jung:Herr Abgeordneter Tischner, gestatten Sie eine An-frage der Abgeordneten Berninger?

Abgeordneter Tischner, CDU:Ja.

Abgeordnete Berninger, DIE LINKE:Vielen Dank, Herr Tischner. Ich will genau dazunoch mal nachfragen: Was wäre denn an der Über-prüfung von Lehrinhalten und Lernmitteln auf bei-spielsweise Sichtbarkeit von betroffenen Gruppenoder rassismuskritische Inhalte noch zu diskutierenoder was wäre denn noch mit Anzuhörenden daranzu diskutieren, dass wir ein Normenscreening Thü-ringer Rechtsvorschriften und Gesetze auf rassis-muskritische Inhalte durchführen wollen?

Abgeordneter Tischner, CDU:Wir sind doch derzeit dabei, in der Kommission ge-nau das mit den Anzuhörenden zu diskutieren,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Aber was muss denn da noch diskutiert wer-den?)

aber das ist nicht Teil des Zwischenberichts. Undwenn Sie das Thema „Schulbücher“ ansprechen,da haben wir hier klaren Dissens. Wir haben ganzviele Schulbuchverlage, die sagen, wir haben be-reits in unseren Gremien, in unseren Autorengrup-pen die Verpflichtung, auf diskriminierende, rassisti-sche Punkte zu achten. Bis jetzt hat kein Anzuhö-render in der Kommission, obwohl das Thema„Schulbuch“ immer wabert, mal ein ganz konkretesBeispiel vorgelegt,

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12187

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Esgeht doch nicht um rassistische Inhalte, son-dern um Sichtbarkeit, beispielsweise von Be-troffenengruppen!)

wo tatsächlich rassistische, diskriminierende Inhaltein Thüringer Schulbüchern zu finden sind. Das gibtes in Thüringen Gott sei Dank nicht, weil wir ordent-liche Schulbuchkommissionen haben, die im Bil-dungsministerium arbeiten. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Jung:Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Dannkommen wir zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktionen Die Linke, der SPDund Bündnis 90/Die Grünen in Drucksache 6/6868.Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzei-chen. Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstim-men? Das ist die CDU‑Fraktion und die AfD‑Frak-tion. Damit ist der Entschließungsantrag der Koali-tionsfraktionen angenommen und ich schließe die-sen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16

Lehrer einstellen, Schulunter-richt gewährleisten, Bildung si-chern, Nachtragshaushalt vor-legen!Antrag der Fraktion der AfD- Drucksache 6/6505 -

Wünscht die Fraktion der AfD das Wort zur Begrün-dung? Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich dieBeratung und das Wort hat Abgeordneter Höcke?Herr Abgeordneter Kießling, Fraktion der AfD.

Abgeordneter Kießling, AfD:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolle-gen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf derTribüne und auch im Netz, wir alle kennen die Säu-len des wirtschaftlichen Wohlstands: ausgebauteInfrastruktur, stabile Energieversorgung, gesicherteRohstoffversorgung, gesellschaftlicher Friede und –ganz wichtig – Bildung. Dabei gilt: ohne guteSchulen kein hohes Bildungsniveau, ohne hohe In-novationsfähigkeit keine hohe Produktivität und oh-ne Produktivität kein wirtschaftlicher Wohlstand.

(Beifall AfD)

Die Menschen in Thüringen sind mit ihrem Wohl-standsniveau zurzeit überwiegend zufrieden, abersie sorgen sich immer mehr um die Zukunft und umdie Zukunft ihrer Kinder. Hier hat sich in den letztenJahren eine Schere in besorgniserregendem Maße

geöffnet. Immer mehr Menschen im Land spüren,dass die Bildungssubstanz als Grundlage unseresLandes stark angegriffen ist. Die Klagen über diemangelnde Ausbildungs- und Studierfähigkeit derSchulabsolventen nehmen zu. Kurz: Es ist so, wiees Ehrhardt Bödecker einmal diagnostizierte: Nochnie haben so viele Menschen so lange unsereSchulen und Universitäten besucht, um so wenigdabei zu lernen.

Ursächlich dafür ist vor allen Dingen die Dauerrevo-lution im Bildungsbereich, die den Schulfrieden zer-stört hat und die Sie, sehr geehrte Damen und Her-ren Abgeordnete, und, wie gesagt, Angehörige derParteien hier, der Altparteien, kollektiv zu verant-worten haben. Unsere Kinder werden mit immerneuem Methodenschnickschnack verunsichert, stattsich auf Bewährtes einzulassen. Die bewährte Fi-belmethode wurde schon unter schwarzer Ägidedurch das Schreibenlernen nach der „Werkstattme-thode“ oder nach der Methode „Lesen durchSchreiben“ infrage gestellt. Zur letztgenannten Me-thode führte der „Spiegel“ bereits 2013 aus, ich zi-tiere: „Deutschlands Schulanfänger werden auf die-se Weise zunächst systematisch zu Rechtschreib-anarchisten erzogen – um sie dann mühsam wiederaus der fremdverschuldeten Unfähigkeit zu befrei-en.“

Das, was Schwarz anfing, führte Rot weiter. Bisheute werden in Thüringen Rechtschreibanarchis-ten herangebildet. Das ist in unseren Augen einSkandal, denn man versündigt sich hier an der jun-gen Generation und an deren Zukunft.

(Beifall AfD)

Flächendeckende Inklusion ohne die notwendigesachliche, räumliche und personelle Ressourcenzu-weisung sowie eine als Dekadenzphänomen anzu-sehende Multikulturalisierung werden jetzt denSchulen noch obendrauf gepackt. Sie werden esschon irgendwie schlucken. Sie werden es schon ir-gendwie verdauen. Sie werden es schon irgendwieintegrieren. Doch an die Lehrer, die das leisten sol-len, denken die Verantwortlichen leider nicht. DieGeduld der Lehrer ist am Ende. Sie müssen immermehr erziehen, sie müssen immer mehr integrieren,sie müssen immer mehr inkludieren und kommenimmer später zu ihrem eigentlichen Kerngeschäft,nämlich der Bildung.

(Beifall AfD)

Die Vermittlung von Wissen an unsere Schüler, diedamit die Grundlage für ihr berufliches Leben bildensollen, kommt dabei eindeutig zu kurz. Die Berufs-zufriedenheit der Lehrer sinkt rapide. Viele werdendauerkrank, andere gehen in die innere Emigration.Die Statistik spricht dazu eine eindeutige Sprache.

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(Abg. Tischner)

Die Geduld der Eltern ist auch am Ende. Sie sehenzu Recht den Bildungserfolg und damit die Lebens-perspektive ihrer Kinder gefährdet. Sie müssennicht nur erleben, wie ihre Kinder zu Versuchsob-jekten von Bildungsexperimenten und Ideologiepro-jekten gemacht werden. Nein, sie müssen auchnoch erfahren, dass Unterricht an den öffentlichenThüringer Schulen nicht nur stundenweise, sondernsogar tageweise ausfällt, und das, obwohl ihreSteuerbelastung zu den höchsten der Welt gehört,Frau Rothe-Beinlich.

(Beifall AfD)

Sie fragen zu Recht: Wo geht dieses von ihnen harterarbeitete Geld eigentlich hin? Kann es für einenStaat – zumal den deutschen Staat mit einer sogroßen Bildungstradition – eine vornehmere Aufga-be geben, als das Geld in die junge Generation zuinvestieren, die heute auch hier im Landtag sitzt?Was ist aus dem Land der Dichter und Denker ge-worden?

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das fragt der Richtige,was daraus geworden ist!)

Aktuell fallen 8,3 Prozent aller Unterrichtsstunden inThüringen aus, bis zum Abitur verlieren die Schülermehr als ein Schuljahr. Hunderte Schulklassen ha-ben deshalb letzten Sommer nur ein lückenhaftesZeugnis bekommen. Für manche ist damit derÜbergang zu weiterbildenden Schulen gefährdet,und zwar nicht weil sie die Leistung nicht erbringenkönnen oder wollen, sondern weil man sie nicht ler-nen lässt – was für eine absurde Vorstellung!

(Beifall AfD)

Ich erinnere daran: Es gibt nicht nur eine Schul-pflicht. Nein, es gibt auch ein Recht auf Bildung.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Es ist doch richtig!)

Dieses Recht auf Bildung sollte von den Eltern, diees dem Staat – dem Sie, Herr Minister Holter, ge-lobt haben zu dienen – mit ihrem Geld ermöglichen,eingefordert werden.

Geld ist da, genauer gesagt Rekordüberschüsse –circa 1 Milliarde Euro –, doch es wird falsch inves-tiert. Fragen Sie doch einmal die Thüringer, die die-ses Geld erwirtschaftet haben, wo sie dieses Geldinvestieren wollen, ob in einer Gebietsreform oderin den Kampf gegen Rechts oder in die Multikultu-ralisierung ihrer Heimat oder in Inklusion oder aberin Bildung, in Lehrer. Ich versichere Ihnen, Herr Mi-nister Holter, Sie bekommen eine klare Antwort.

(Zwischenruf Holter, Minister für Bildung, Ju-gend und Sport: In Bildung, na sicher!)

(Beifall AfD)

Sehr geehrter Herr Minister Holter, Sie gelten zwarals guter Zuhörer, das finde ich grundsätzlich gut,aber das reicht nicht. Sie müssen zum Macher wer-den, und zwar zu einem Macher mit schnellen, un-konventionellen alternativen Lösungen, die werdenhier nämlich gebraucht. Die Industrie hat schon ent-sprechende Angebote gemacht. Die Stundentafel inThüringen muss personell untersetzt werden. WennSie dafür zum Beispiel junge Kollegen mit einerThüringen-Zulage in den Freistaat locken, so wäredies auch ein Lösungsansatz.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das sind ja ganz tolleIdeen!)

Wenn es dazu eines Nachtragshaushalts bedarf,dann setzen Sie ihn bitte durch, setzen Sie sich mitIhrer Finanzministerin zusammen. Die Eltern kön-nen und wollen nicht mehr bis zum Jahr 2020 war-ten. Auch die Schüler haben keine Zeit mehr dafür.Wenn man den Aussagen des Bildungsministe-riums glauben kann, so dürfte sich der Stundenaus-fall in den nächsten Jahren weiter verschärfen.Grund hierfür ist vor allem die Pensionierungswelle,die sich derzeit auf den Freistaat zubewegt. DiesesProblem ist natürlich nicht neu. Schon im Sommer2017 wurde es von Ihnen erkannt – so wie Sie esselbst auf Ihren Internetseiten veröffentlicht haben.Die Kommission „Zukunft Schule“ hat Ihnen damalsschon ins Stammbuch geschrieben, dass das Landüberwiegend einen als unhaltbar hoch empfunde-nen Unterrichtsausfall hinnehmen muss, was keinDauerzustand sein kann, das geht nicht. So hattedie Erziehungsgewerkschaft GEW im Sommer2018 noch Hoffnung auf Besserung, doch laut Mi-nisterium sind derzeit mehr als 900 Lehrer langzeit-erkrankt. Diese erneute Steigerung ist für die GEWein deutliches Indiz für verschlechterte Arbeitsbe-dingungen für diese Lehrer. Auch eine Vertretungs-reserve existiert nach wie vor nur auf dem Papier.Dann fragt man sich: Wer hat es gemacht? Rot-Rot-Grün.

In der „Thüringer Allgemeinen“ konnte man Folgen-des lesen: Der Thüringer Lehrerverband verweistauf einen drastischen Anstieg der Unterrichtsstun-den, die wegen fehlender Lehrer gar nicht erst imStundenplan auftauchen. Die jüngste Erhebung imFrühjahr weise mehr als 1.700 solcher planmäßi-gen Ausfälle auf, im vergangenen Frühjahr warenes 628. Insgesamt habe die Ausfallquote 8,3 Pro-zent betragen – Stillarbeit, Klassenzusammenle-gung oder fachfremde Vertretung nicht eingeschlos-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12189

(Abg. Kießling)

sen. Der Verband geht von einer zweistelligen Aus-fallquote aus, würden auch diese Stunden in derStatistik erfasst werden. 2017 und 2016 hatten dieVergleichswerte bei 5,3 Prozent gelegen. Nach ei-ner Umfrage des Verbands können drei Viertel derSchulen ihre Stunden nicht vollständig abdecken.Der Lehrerverband befürchtet auch, dass sich auchzukünftig nur sehr wenige Lehrerstellen besetzenlassen – wegen fehlender Attraktivität des Berufs inThüringen und da das Bewerbungsverfahren inThüringen zu lange dauert. Unter dem Lehrerman-gel leidet nach Ansicht des Lehrerverbands auchdie Qualität des Unterrichts. Wir als AfD-Fraktionwie auch der Verband und die Eltern fordern Sieendlich zum richtigen Handeln auf, denn es gehtum das Wichtigste, was wir haben, es geht um un-sere Kinder und deren Zukunft.

(Beifall AfD)

Wir beantragen daher die Überweisung an den Bil-dungsausschuss sowie an den Haushalts- und Fi-nanzausschuss zur weiteren Fortberatung, damitwir eine schnelle Lösung für unsere Kinder undSchüler hier in Thüringen erreichen können. VielenDank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ich weiß überhaupt nicht,was Sie mit Ihrem Beitrag wollten!)

Vizepräsidentin Jung:Für die Fraktion Die Linke hat Abgeordneter Wolfdas Wort.

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen hier im Hohen Haus, liebeSchülerinnen, liebe Schüler, liebe Lehrkräfte, wirdiskutieren jetzt in den drei Tagen zum dritten Maldas Thema „Schule“. Wir haben es zuerst anhandeiner Beschreibung einer spezifischen Schulart dis-kutiert, dann haben wir es in Bezug auf das Besol-dungsgesetz diskutiert, was wir dort als Koalitioninsbesondere für die Regelschulen vorlegen undvorhaben, und jetzt haben wir einen Antrag derFraktion am rechten Rand im Haus. Ich bin danndoch etwas erstaunt, dass jetzt der dritte Vertreterinnerhalb von drei Tagen hier vorgeht, um zu demThema zu sprechen. Wenn Herr Henke irgendwannmal anfängt, über Bildung zu sprechen, dann wis-sen wir auch, wo wir in der Diskussion angekom-men sind

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Sie habenschon gehört, dass Herr Höcke krank ist?)

und welches Verständnis diese Fraktion von Bil-dung hat. Das Verständnis will ich mal kurz um-schreiben.

(Unruhe AfD)

Das Verständnis der AfD heißt

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: KommenSie doch mal zum Thema!)

– Sie dürfen gern zuhören, ich bin mir sicher, Sielernen etwas –: striktes gegliedertes Schulsystem.

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE:Da bin ich mir überhaupt nicht sicher!)

Wir können es ja dann abfragen.

Diejenigen Kinder, die sehr erfolgreich in ganz vie-len Schulen inkludiert sind und dort jeden Tag ler-nen und tatsächlich Abschlüsse erreichen, die zuerreichen vorher für diese Kinder im Trennschulsys-tem gar nicht möglich war, sollen nach Vorstellungdieser Fraktion möglichst wieder ausgesondert wer-den.

Drittens: All das, was wir erfolgreich – wir, heißt mitunterstützenden Maßnahmen insbesondere in denSchulen – an Integration von Kindern mit Migra-tionshintergrund möglich gemacht haben, lehnt die-se Fraktion komplett ab. Stattdessen kommt siehier mit einem Antrag, der uns auffordert, etwas ge-gen Unterrichtsausfall zu unternehmen, was wir alsKoalition, was das Bildungsministerium, was dieSchulämter und was die Schulen, die Unterrichts-planer, die Lehrkräfte vor Ort tagtäglich machen –plakativ mit einer großen Forderung, nämlich dassdoch jetzt so viel Geld wie möglich in RichtungSchule fließen soll. Nur mal für Sie als Hintergrund:Seitdem wir regieren – und das jetzt sozusagen aufden Punkt, auf die Vorlage des Haushalts 2020 be-zogen, also von 2014 bis 2020 –, hat diese Koali-tion 548 Millionen Euro jährlich mehr in Bildung flie-ßen lassen – jährlich.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Kein Politikbereich ist so mit Geld, mit Stellen, mitsächlichen Ressourcen etc. ausgestattet wordenwie der Bildungsbereich. Das war ein großer Kraft-akt. Ich habe das in einer vorhergehenden Redegestern schon gesagt: Wir sind als Koalition dabei,die Ruinen, die uns die CDU hinterlassen hat, zubeseitigen.

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Das ver-wechseln Sie wahrscheinlich!)

Ich will das auch begründen. Wenn wir, nur damitihr als Schülerinnen es mal gehört habt …

(Unruhe CDU)

12190 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Kießling)

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Wie hießdenn der alte Bildungsminister?)

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: EineFrechheit von Ihnen! Wo waren Sie denn da-mals?)

Vizepräsidentin Jung:Meine Damen und Herren, Abgeordneter Wolf hatdas Wort!

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:Sie sehen, wie die CDU sofort darauf anspringt,dass das offensichtlich auch einen realen Kern hat.

Ich kann Ihnen sagen, wo ich war. Ich war damalsin der letzten Legislatur noch nicht hier im Landtag,sondern habe mit der damaligen Landesregierungein Personalentwicklungskonzept verhandelt, wel-ches wir jetzt umsetzen.

Jetzt noch einmal dazu: Im letzten von der CDUvorgelegten Haushalt 2013/2014 stand ein Perso-nalabbaupfad. Danach hätten wir als Koalition indem Doppelhaushalt 2018/2019 – und jetzt bitte,das könnt ihr dann gern nachfragen, von welchemAbgeordneten Ihr auch immer eingeladen wordenseid – 1.106 Lehrerstellen kalt abzubauen. Was ha-ben wir gemacht? Wir haben diesen Personalab-baupfad ausgesetzt, haben es geschoben. Wir ha-ben gesagt: Solange wir Schüler in den Schulenhaben und keine Unterrichtsabsicherung, werdenwir das nicht machen.

(Unruhe CDU)

Wir haben im letzten Jahr 866 Lehrerinnen undLehrer unbefristet eingestellt.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Wie vielesind gegangen?)

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: 1.000 sindin Rente gegangen!)

Ja, 1.000 Personen, das stimmt, aber nicht jedePerson ist vollzeitbeschäftigt. Wir haben einenEins-zu-eins-Ausgleich derjenigen Lehrerinnen undLehrer geschaffen, die in Rente gegangen sind. Zu-sätzlich haben wir als Haushaltsgesetzgeber derLandesregierung die Möglichkeit gegeben, nicht nur100 Lehrer in die Vertretungsreserve zu nehmen,sondern noch mal zusätzlich 300 Lehrerinnen undLehrer befristet einzustellen. Nun haben wir die Si-tuation, es gibt eine Erklärung vom Thüringer Leh-rerverband, der Landeselternvertretung, der Lan-desschülervertretung und der GEW vom Novemberletzten Jahres, die sich auch damit beschäftigt, undzwar ernsthaft, wesentlich ernsthafter als dieseFraktionen hier. Denn die Vertreter, also die Organi-

sationen, die diese Erklärung verabschiedet haben,sind tatsächlich mit den Problemen, genauso wiewir, tagtäglich befasst und arbeiten mit uns zusam-men daran. Und es wird darauf verwiesen, dass be-fristete Stellen unattraktiv sind. Das wissen wirauch, dass das nicht die attraktivsten Stellen sind.Aber wenn wir junge Lehrerinnen und Lehrer ein-stellen, dann werden diese, insbesondere Lehrerin-nen, eben auch schwanger, gehen in Elternzeit, na-türlich gehen auch junge Lehrer in Elternzeit, dafürbrauchen wir einen Ersatz. Wir können nicht auf ei-ne unbefristete Stelle, die schon besetzt ist, nochmal eine unbefristete Stelle draufsetzen. Das gehthaushaltsrechtlich gar nicht.

Deswegen haben wir die 300 befristeten Lehrerstel-len geschaffen, tatsächlich eingestellt, das ist einFakt. Zum Anfang Dezember letzten Jahres konn-ten wir davon 260 Stellen besetzen. Das ist ein gro-ßer Kraftakt, welchen die Schulämter und das Mi-nisterium hier vollbracht haben. Dafür möchte ichausdrücklich danken. Ich danke da nicht nur denLehrerinnen, Lehrern und Schulleitungen, die tag-täglich Hervorragendes vollbringen, sondern insbe-sondere auch den Schulämtern, die dort im Stellen-besetzungsverfahren hervorragende Arbeit leisten.Bei der Anhörung zum Schulgesetz hatten wir ei-nen Vertreter vom Schulamt da, der hat uns das ge-schildert, welche Mammutaufgabe das ist, insbe-sondere im ländlichen Raum den richtigenLehrer/die richtige Lehrerin zu finden.

Ja, auch damit haben wir uns gestern beschäftigt.Unter anderem deswegen ändern wir jetzt auchnoch einmal das Besoldungsgesetz. Das sind –Herr Kießling, sagen Sie es mir, Sie sind Haushäl-ter – wie viel mehr? Na, sagen Sie es mir doch, Siesind doch so gut informiert.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Ja, aber sa-gen Sie doch!)

Sehen Sie, Sie können wieder was dazulernen:9,8 Millionen Euro allein nur für die Aufwertung derRegelschullehrerinnen und Regelschullehrer inThüringen. Das machen wir.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Wir schreiben keine billigen Anträge, sondern wirverändern tagtäglich die Schulrealität, Herr Kieß-ling. Wir brauchen Sie nicht. Thüringen braucht Sienicht.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Wir habenaber auch steigende Löhne!)

Der Thüringer Wähler/die Thüringer Wählerinbraucht Sie nicht. Die Eltern und die Schüler brau-chen Sie nicht. Was wir brauchen, sind echte Lö-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12191

(Abg. Wolf)

sungen und nicht pauschale Forderungen von10 Prozent mehr Lehrern zum Beispiel. Wie istdenn die Realität? Wenn wir 10 Prozent mehr Stel-len hätten, könnten wir die doch gar nicht besetzen.Wir könnten Sie nicht besetzen. Es ist eine tagtägli-che Herausforderung, jede einzelne Lehrerstelletatsächlich zu besetzen.

Also es läuft völlig leer. Wir würden einen Haus-haltstitel schaffen, der völlig leerläuft. Von dahersieht man, es ist leider – muss man sagen – wiederein sehr populistischer Antrag.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Sie habenmeiner Rede nicht zugehört!)

Mir haben die Ohren geblutet, als ich Ihnen zuhö-ren musste, denn das, was Sie hier vorgestellt ha-ben, hatte nun wirklich überhaupt nichts damit zutun, was Realität an den Schulen ist, sondern daswar bestenfalls eine Wahlkampfrede. Das hättenSie irgendwo in Ihren Hinterzimmern halten kön-nen. Ihre Leute glauben Ihnen das wahrscheinlichauch.

De facto ist es so, wenn ich an den Schulen unter-wegs bin – und es geht sicherlich vielen hier imHaus so –, dann wird gesagt: Ja, wir haben Proble-me, aber das, was jetzt passiert, hilft uns tatsäch-lich, die Probleme Stück für Stück zu lösen.

Das dauert

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Zu lange!)

und wir sind der rot-rot-grünen Landesregierungdankbar, dass das genau so jetzt passiert. DieSchulen wissen, dass sie sich auf uns verlassenkönnen, weil wir handeln.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Genau –und der Stundenausfall steigt!)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen Ih-ren Antrag nicht und wir werden den auch in kei-nem Ausschuss diskutieren. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Das zeugtvon Ihrer demokratischen Haltung!)

Vizepräsidentin Jung:Für die Fraktion der CDU hat Abgeordneter Ko-walleck das Wort.

Abgeordneter Kowalleck, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, ich versuche das jetzt mal wieder auf einesachliche Ebene zu führen.

(Beifall CDU)

Aber ein Wort zu Herrn Wolf: Wenn Sie 25 Jahreerfolgreiche Bildungspolitik in diesem Land als „Rui-ne“ bezeichnen, dann ist das schon mehr als eineFrechheit.

(Beifall CDU)

Diese Frechheit haben Sie dann auch Ihrem Koali-tionspartner, der SPD, entgegengebracht, die in derletzten Legislaturperiode mit dem Bildungsministerdas Bildungsministerium geführt hat. Ich denke, un-serer Schule tut das nicht gut, wenn wir hier nur po-lemisch über diese Themen reden, wir sollten dassachlich aufarbeiten.

Das machen wir auch in den Wahlkreisen. Ich erin-nere an das letzte Plenum, an meine Kleine Anfra-ge zur Vier-Tage-Woche in Kamsdorf. Hier bin ichfroh, dass das Bildungsministerium reagiert und mitden Zuständigen vor Ort Lösungen für die Grund-schule gefunden hat. So sehen wir auch tagtäglichin den Schulen die einen oder anderen Probleme.Unsere Verantwortung ist es doch, hier zu helfenund das auch auf einem sachlichen Wege zu tun.Wir sollten an dieser Stelle keine Schelte in Rich-tung unserer Lehrerinnen und Lehrer und derjeni-gen betreiben, die hier in den letzten Jahrzehntenauch Verantwortung getragen haben. Im Gegenteil,sie brauchen unseren Zuspruch und unsere Unter-stützung. Dafür steht auch unsere CDU-Fraktion.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion siehtkeine wirkliche Lösung in der Forderung nach ei-nem Nachtragshaushalt. Das Zurverfügungstellenvon Lehrerstellen löst das eigentliche Problem nurbedingt. Denn schon jetzt können Lehrerstellenvielfach gar nicht oder nicht dem fach- und schulart-spezifischen Bedarf entsprechend nachbesetzt wer-den. Die hohe Zahl der Stellenwandlungen in denletzten Jahren beweist, dass man nicht mehr dieLehrer auf dem Bewerbermarkt findet – das wurdean dieser Stelle auch schon gesagt –, die man ei-gentlich braucht, um den Generationswechsel anden Schulen erfolgreich zu gestalten. Gerade ineinzelnen Schularten, Fächern und Fächerkombi-nationen gibt es eben auch einen Bewerbermangel.Die Gründe dafür sind vielfältig und ebenso vielfäl-tig müssen die Lösungen sein.

Es braucht endlich ein umfassendes Maßnahmen-paket der Landesregierung zur Bekämpfung desUnterrichtsausfalls. Unserer Ansicht nach brauchtes zur Umsetzung der Unterrichtsgarantie unter an-derem wirksame Maßnahmen zur Verbesserungder Lehrergesundheit, zur Vereinfachung der Ein-stellungsverfahren, zur bedarfsdeckenden Lehrer-

12192 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Wolf)

ausbildung sowie zur Entlastung und Anerkennungvon Lehrern. Entsprechende Vorschläge der CDU-Fraktion liegen seit mehreren Jahren auf demTisch. Die Ausbildungskapazitäten müssen dabeian den Bedarf angepasst und massiv erhöht wer-den. Es gilt, die Studienberatung an den Hoch-schulen dahin gehend zu stärken, dass sie Studie-rende in Mangelfächer lenkt bzw. ihnen währenddes Studiums die Aufnahme des Studiums in einemdritten Fach bedarfsorientiert nahelegt.

Es braucht ein Anreizsystem für Lehrer, sich aufStellen im ländlichen Raum zu bewerben. Da isteben auch dieses Beispiel der Kamsdorfer Schuletreffend und wir haben auch viele weitere kleineSchulen, das kennen Sie aus Ihren Wahlkreisen imgesamten Land Thüringen, die an dieser Stelleauch unsere Unterstützung und keine Schließungs-diskussionen brauchen.

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Dieführen Sie doch!)

Einstellungsverfahren müssen weiter optimiert undWartezeiten zwischen den einzelnen Phasen derLehrerbildung vermieden werden. Auch hier stehtdie Landesregierung in der Verantwortung. Da gibtes genug Beispiele, dass junge Lehrer, die fertigsind, auch erst noch mal warten müssen, bis sie ei-ne entsprechende Zuweisung bekommen. Und hiermuss man auch auf die Einzelfälle achten und han-deln, damit gerade die jungen Lehrer so schnell wiemöglich in ihren Beruf einsteigen können.

Leistung muss sich auch für Lehrer lohnen, deshalbbraucht es mehr Funktionsstellen an den Schulen.Die Änderung des Besoldungsgesetzes hat dasProblem durch die Einschränkung von Beförde-rungsmöglichkeiten sogar noch verschärft.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: So ist es!)

Der Erhalt der Lehrergesundheit muss stärker inden Fokus gerückt werden. Immerhin gibt es circa1.000 langzeitkranke Lehrer im Thüringer Schul-dienst. Auch da verweise ich wieder auf dieses Bei-spiel der Kamsdorfer Schule, denn so haben wirauch viele andere Schulen, die Unterstützung undschnelle Hilfe brauchen. Auch da muss die Landes-regierung dann entsprechend reagieren.

Lehrer müssen von Zusatzaufgaben und Bürokratieentlastet werden und wieder mehr Zeit für die Arbeitam Kind haben. Die Landesregierung hat hingegenlange über ein Maßnahmenpaket diskutiert und mitdem Thüringenplan „Zukunft Schule“ letztendlichein unambitioniertes Flickwerk vorgestellt, das tat-sächliche Verbesserungen zum Beispiel im Hinblickauf die Lehrergesundheit, die Entlastung der Schul-

leitungen und Entwicklungsperspektiven im Lehrer-beruf vermissen lässt.

Bei den am Prozess Beteiligten wurde im Rahmendes umfassenden Diskussionsprozesses die Erwar-tung geweckt, dass sie tatsächlich Einfluss aufkünftige Weichenstellungen in der Bildungspolitikder Landesregierung nehmen können und ihre An-regungen ernst genommen und aufgegriffen wer-den. Letztlich hat die Landesregierung diese Erwar-tungen und Anregungen aus der Schulpraxis je-doch ignoriert und damit die Akteure bitter ent-täuscht. Mit dem neuen Besoldungsgesetz wurdeder Lehrerberuf noch unattraktiver, da es außer fürSchulleiter und ihre Stellvertreter keine Beförde-rungsmöglichkeiten für Lehrer in Thüringen mehrgibt. Sie gehen künftig mit ihrem Eingangsamt inPension.

Wie eingangs bereits gesagt, sieht die CDU-Frak-tion keine wirkliche Lösung in der Forderung nacheinem Nachtragshaushalt. Im Gegenteil, es istwichtig, dass auch die Vorschläge der Oppositionaufgegriffen und umgesetzt werden. Dann kommenwir auch in diesem Land in den nächsten Jahrenund Jahrzehnten wieder in den richtigen Tritt undauf einen guten Weg. Danke sehr.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Jung:Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abge-ordnete Astrid Rothe-Beinlich das Wort.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnenund Kollegen, liebe Gäste auf der Tribüne, wir ha-ben diese Debatte jetzt gefühlt zum dritten Mal inden drei Tagen – erst die Aktuelle Stunde, danngestern, heute einmal mehr – und manchmal habeich das Gefühl, es ist ein bisschen wie bei einerSchallplatte, die einen Riss hat und die sich immerwiederholt. Das macht es nicht unbedingt besser.

Es geht eigentlich um eine ernste Problematik. Al-lerdings kann ich sie, so wie sie die AfD vorgetra-gen hat, leider nicht wirklich ernst nehmen. WennSie fragen, Herr Kießling, was denn aus dem Landder Dichter und Denker geworden ist, dann kannich Ihnen nur sagen: Wenn Goethe und Schiller sol-che Reden hören müssten, wie sie von Ihnen hieram Pult gehalten werden, fürchte ich, dass sie sichim Grab umdrehen würden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12193

(Abg. Kowalleck)

Sie haben einen Antrag vorgelegt, mit dem Sie dieLandesregierung auffordern, dem Landtag unver-züglich einen Entwurf für ein Nachtragshaushalts-gesetz 2018/2019 vorzulegen. Dort soll festgelegtwerden, neue Lehrerinnen- und Lehrerstellen zuschaffen, „um dem massiven Stundenausfall anden Thüringer Schulen entgegenzutreten.“ Ichmuss Ihnen leider sagen – es wird auch keineÜberraschung für Sie sein –, dass wir diesen An-trag ablehnen werden, und zwar mit guten Grün-den. Vielleicht gibt es Ihnen ja auch zu denken –auch wenn ich die Ausführungen von Herrn Ko-walleck nicht in Gänze unterschreiben kann –, dassauch die CDU dieses Ansinnen jedenfalls ablehnt.

Bei der CDU kann ich nur sagen: Hinterher ist manbekanntlich immer schlauer. Jetzt wissen Sie, wasman alles hätte tun müssen. Die vielen Lehrerinnenund Lehrer, wie Sie vorhin dazwischengerufen ha-ben, die jetzt in den Ruhestand gehen, waren auchschon vor zehn, 15 und 20 Jahren gut bekannt. Dahat ein Personalentwicklungskonzept gefehlt. Dashat es nicht gegeben. Es ist nicht eingestellt wor-den. Das habe ich hier gestern alles schon mal ge-sagt. Wir von Rot-Rot-Grün haben 4.200 Lehrerin-nen eingestellt. Das sind so viele, wie noch in kei-ner Legislatur zuvor – das müssen Sie sich auchimmer wieder anhören.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Wie vielesind denn gegangen?)

Wir werden Ihren Antrag also auch schon deshalbablehnen, weil er zur Lösung aktueller schulischerStrukturprobleme einfach untauglich ist.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Das könnenwir doch im Ausschuss behandeln!)

Natürlich wissen wir alle – können sie bitte mal auf-hören zu schreien –, dass der Unterrichtsausfalldeutlich zu hoch ist, das habe ich auch schon inmeiner Rede zur Aktuellen Stunde betont. Viel zulange – ich sage es noch mal – wurden viel zu we-nige Lehrkräfte eingestellt. Vermeintliche Personal-überhänge – so hieß es immer – haben bereits lan-ge bestehende schulische Strukturprobleme in derUnterrichtsabsicherung überdeckt.

Unterrichtsausfall hat aber vielfältige Gründe, dasmüssen wir uns immer wieder klarmachen. Dassind auf einer Seite die vielen langzeiterkranktenLehrerinnen und Lehrer. Es sind aber auch fehlen-de Fachlehrerinnen und Fachlehrer – Stichwort„Mangelfächer“ –, zu wenige ausgebildete Lehrkräf-te, beispielsweise für bestimmte Schularten wieGrund- und Regelschulen, und teilweise auch – daswissen wir, das haben wir gestern auch diskutiert –attraktivere Bedingungen in anderen Bundeslän-dern. Deutlich wird daran, dass wir nicht etwa ein

Geldproblem haben, wie Sie es hier suggeriert ha-ben, denn der Antrag richtet sich auf einen Nach-tragshaushalt, sondern wir haben ein Fachkräftege-winnungsproblem – und damit sind wir nicht allein.

Um auf diese Problemlagen reagieren zu können,haben wir auch schon ein ganzes Bündel an Maß-nahmen zur besseren Lehrkräftegewinnung auf denWeg gebracht. Ich will kurz einige davon benennen:Da wäre zum einen die Wiedereinführung der Ver-beamtung zum 01.10.2017. Zur Verbeamtung kannman sehr unterschiedlich stehen, ich bin davonauch nicht überzeugt, aber wenn alle anderen Bun-desländer ringsherum verbeamten, bleibt einem imPrinzip fast nichts anderes übrig, als auch diesesAngebot an die Lehrerinnen und Lehrer zu machen.Das haben wir getan. Dann haben wir die Verbes-serung der Besoldung von Lehrkräften sowohl inder Grundschule als auch in der Regelschule undder Förderschule. Über die Regelschullehrerinnenund -lehrer haben wir gestern ganz dezidiert ge-sprochen. Sie werden jetzt die A13 bekommen.Gestern ist auch ausführlich diskutiert worden, dasswir eine gleiche Bezahlung aller Lehrerinnen undLehrer – gleich welcher Schulart, da sind wir ande-rer Auffassung als die AfD, die da im Ständedenkenverharrt –, selbstverständlich auch für die Grund-schullehrerinnen, auf den Weg bringen wollen.

Wir haben eine frühzeitige Bindung von Fachkräf-ten durch Vorverträge auf den Weg gebracht. So et-was hat es unter der CDU übrigens nie gegeben,aber jetzt weiß die CDU natürlich alles besser. Esgibt die Lehrergewinnungskampagne, die auf denWeg gebracht wurde, und wo wir schon sehr ge-spannt auf die Ergebnisse sind. Wir haben die Lo-ckerung der Einstellungsrichtlinie sowie die Einstel-lung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinstei-gern auf den Weg gebracht.

Außerdem haben wir dafür gesorgt – Torsten Wolfhat es erwähnt –, dass jede frei werdende Stelleauch wieder besetzt wird und dass der Stellenab-baupfad – wer hat ihn auf den Weg gebracht? –,den ich übrigens nach wie vor für falsch halte, bis2025 ausgesetzt wird.

(Beifall DIE LINKE)

Der Stellenabbaupfad ist auch ein Erbe der CDU,wenn ich alle noch mal daran erinnern darf.

Mit den vergangenen Haushalten ab 2015 habenwir die Rahmenbedingungen für mehr als4.000 Neueinstellungen geschaffen. Auch im vorlie-genden Haushalt 2020 haben wir Vorkehrungen da-für getroffen, dass tatsächlich jede frei werdendeStelle auch wieder besetzt werden kann.

12194 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Rothe-Beinlich)

Ich will es abschließend noch einmal deutlich ma-chen: Wir haben derzeit im schulischen Personal-bereich weniger ein Geldproblem, wir müssen undwerden stattdessen in der Fachkräftegewinnungbesser werden – die Maßnahmen habe ich ge-nannt. Hier sind wir auf einem guten Weg, übrigensim Gegenteil zur AfD, die sich auf dem Holzweg ei-nes Nachtragshaushalts befindet, aber offenkundiggeht es ohnehin nur um Skandalisierung.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Das ist janur ein Vorschlag! Dafür habe ich Beispielein meiner Rede angeführt!)

Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab, Herr Kieß-ling. Da können Sie hier noch so oft wiederholen,die Schallplatte habe ich schon erwähnt, das machtes nicht besser. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Ihre Redeauch nicht!)

Vizepräsidentin Jung:Als nächster Redner hat Abgeordneter Dr. Hartung,Fraktion der SPD, das Wort.

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,ja, dreimal haben wir jetzt in drei Tagen darüber ge-redet. Ich mache es deshalb kurz und schmerzlos,denn die Fakten haben sich seit vorgestern nichtgeändert.

Diese Koalition ist die Regierungskoalition, die seitBestehen des Freistaats die meisten Lehrer einge-stellt hat, daran lässt sich nichts deuteln. Ich sagedie Zahl noch mal, gerade die Besucher haben dasja vielleicht noch nicht gehört: Wir haben zwischen2015 und 2018 über 2.500 Lehrer eingestellt, wirwerden in diesem Jahr 1.200 Lehrer einstellen, imnächsten Jahr wieder. Und wir haben den Personal-abbaupfad für dieses und das nächste Jahr ausge-setzt. Ich muss da kein Prophet sein: Wir werdenauch weiterhin sehr intensiv darüber reden, ob mandieses Machwerk – übrigens ein Erbe der CDU –wieder voll in Kraft setzt oder nicht oder zu wel-chem Zeitpunkt man das tut.

Wir brauchen keinen Nachtragshaushalt, wir brau-chen keine Belehrung der AfD, wir tun das, was wirtun. Ich finde das schon spannend, Herr Kowalleck,was Sie hier sagen. Viele von den Vorschlägen sinddurchaus vernünftig und die nehme ich auch gernzur Kenntnis. Die Frage ist: Warum haben wir es inder Vergangenheit unter der CDU-Regierung nichterlebt?

Die Frage, warum es Christoph Matschie nicht ge-lungen ist, mehr Lehrer einzustellen, kann ich Ihnenbeantworten: Ich habe am Tisch gesessen, alsChristoph Matschie zusammen mit Hans-JürgenDöring versucht hat, mehr Lehrerstellen herauszu-schlagen und sich von dem CDU-FinanzministerVoß vorrechnen lassen musste, was das denn inden nächsten 35 bis 40 Jahren alles kostet, wennwir diese Lehrer einstellen. Das war die Debatte inder schwarz-roten Koalition in der letzten Legislatur,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

nicht die Frage, wann gehen die Leute alle in Renteund wir müssen die ersetzen, sondern: Was kostetuns dieses Ersetzen eigentlich, das sollen doch lie-ber andere machen. Und dieser Debatte müssenwir uns stellen. Ich bin froh, dass die Finanzministe-rin, die wir jetzt haben, Heike Taubert – Sozialde-mokratin –, da etwas weitblickender agiert und dasGeld lockermacht, um diese Lehrer einzustellen.Besser wäre es gewesen, wir hätten es in den letz-ten 15 Jahren schon so gemacht, dann hätten wirnämlich jetzt keine Pensionierungswelle, die aufuns zurollt und danach kein Mittelalter.

Das ist doch unser Problem: Wir haben keinen ge-sunden Lehrkörper und wir werden ihn – und dasist das nächste Problem – auch nach der Pensio-nierungswelle nur schwer aufrechterhalten können,denn dann gibt es eine ganze Reihe von Jahrenkeine älteren Lehrer, da die nicht eingestellt wordensind. Die Lehrer, die Sie damals nicht eingestellthaben, können den jungen Lehrern nicht unter dieArme greifen und ihnen helfen, in ihren Beruf hi-neinzufinden und gute Lehrer zu werden. Das istdas Problem, das ist das Erbe. Ich würde nicht von„Ruinen“ sprechen, die Gebäude stehen ja da, esist halt nur keiner drin. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Aus den Reihen der Abgeordneten gibt es eine wei-tere Wortmeldung. Herr Abgeordneter Tischner,Fraktion der CDU.

Abgeordneter Tischner, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, eigentlich wollte ich heute mal nichts zurBildungspolitik sagen,

(Beifall SPD)

aber es ist so viel Dummheit von Herrn Hartung er-zählt worden, dass man doch noch mal hier vorge-hen muss.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12195

(Abg. Rothe-Beinlich)

(Beifall CDU)

Herr Hartung, Sie sind ja ein bisschen älter als ich,eigentlich müssten Sie wissen, was in der Vergan-genheit war, aber ich will es Ihnen gern noch malsagen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Hartung, SPD: Dasweiß ich!)

Es tut ein bisschen weh, dass man es eigentlichhier jedes Vierteljahr erzählen muss, weil Rot-Rot-Grün sich irgendwie nicht zurückerinnern kann, waseigentlich in der Vergangenheit in Thüringen loswar. Wir hatten in Thüringen 1990 400.000 Schüler.Herr Hartung, ich frage Sie: Wie viele Schülerinnenund Schüler hatten wir 2005, nach 15 Jahren?50 Prozent weniger. Wozu hat sich die Regierungdamals entschlossen – übrigens auch Regierungenmit Ihrer Beteiligung? Nicht so, wie es Herr TorstenWolf gestern empfohlen hat, die Leute auf die Stra-ße zu setzen und in die Arbeitslosigkeit zu schi-cken, sondern für Floating-Modelle. Das kann mangut oder schlecht finden. Auch wir hatten in der Fa-milie Kollegen und Angehörige, die natürlich nichtbegeistert waren. Aber man hat den Kollegen dieArbeitsplätze erhalten. Man hatte ein Problem, manhatte keine steigenden Schülerzahlen, um mehrLeute einstellen zu können. Deswegen ist tatsäch-lich etwas passiert, was nicht gut war, dass mannicht genug Leute eingestellt hat.

Aber es ist falsch zu behaupten, es wurden keineLeute eingestellt. Es wurden in jeder Wahlperiodeweit über 1.000 bis 1.500 Leute, Kolleginnen undKollegen, eingestellt – immer noch zu wenig. Ichselbst bin Lehrer gewesen, der in Thüringen ausge-bildet worden ist, der in Thüringen sein Referenda-riat gemacht hat, der nachher unter dem Bildungs-minister Matschie keine Perspektive bekommenhat. Ich habe zu Hause noch den Brief, den HerrMatschie mir persönlich geschrieben hat, wie er ge-rechtfertigt hat, dass keine jungen Leute eingestelltwerden können. Da war kein Verweis auf irgendei-nen Finanzminister oder irgendetwas, sondern erhat ganz klar gesagt: Wir haben einen Lehrerüber-hang und sinkende Schülerzahlen. Genau das istseit 2014 umgedreht. Daran hat Rot-Rot-Grün kei-nen Anteil, das waren die Eltern in Thüringen, die –Gott sei Dank – wieder mehr Kinder machen. AlleStatistiker, auch bei der KMK, haben sich ge-täuscht. Wir haben steigende Schülerzahlen – Gottsei Dank.

Nun hat man eben etwas vollziehen müssen, wasdringend notwendig ist, dass auch wieder mehrLeute eingestellt werden und dass man auch vondem Abbaukorridor abweichen muss. Das ist ganzklar: Bei steigenden Schülerzahlen und zunehmen-

den 1.000 Kollegen, 800, 900 VZE, muss man et-was tun. Die letzte Regierung, Herr Hartung, Ihr Mi-nister gemeinsam mit dem jetzt gerade eben nocheinmal gescholtenen Finanzminister – ich will ihngar nicht in Schutz nehmen, ich hatte da auch ganzpersönlich mein Schicksal –, aber die haben sich zueinem entschlossen, was Rot-Rot-Grün nicht ge-macht hat. Die haben nämlich gewusst, wir müssendie Leute ausbilden, die wir einstellen wollen. Siehaben jedes Jahr die Kapazitäten für die Ausbil-dungsplätze in Thüringen erhöht, von 200 Referen-dariaten auf 300, auf 400, auf 500.

(Beifall CDU)

Es sollten 2015 600 Referendare sein. Was habenSie gemacht, Herr Hartung, mit Ihrer Finanzministe-rin, mit Ihrer Koalition? Sie haben die 600 geplan-ten Referendare 2015 um 200 auf 400 reduziert.Jetzt nach zwei Jahren regen Sie sich auf, dass Siekeine Leute haben, die Sie einstellen können. Dasist schon ein bisschen schizophren, meine Damenund Herren.

(Beifall CDU)

Hätte man das weiter vollführt, was die letzte Re-gierung Lieberknecht-Matschie angefangen hat,nämlich die Referendarzahlen jedes Jahr um 50,100 zu steigern, dann hätten wir heute 900 Refe-rendare, und das wären genau die 900 Kollegen,die Minister Holter bräuchte. Ich nehme ihm das jaab, dass er die einstellen will. Er ist da ja wirklichbemüht und hinterher und alles. Aber es ist von Ih-nen eben nicht gemacht worden. Sich dann hierhinzustellen und immer mit dem Finger zu zeigenund die Geschichte zu verklettern – wir hatten ganzandere Herausforderungen in den letzten Jahren inThüringen.

Es ist nicht alles richtig gelaufen. Aber jetzt müssenwir die Zukunft gestalten und sollten uns nicht im-mer hier gegenseitig irgendwelche Sachen zuschie-ben. Die Leute, die Lehrer, die Schüler, die Eltern,haben andere Erwartungen an uns, nämlich dasswir ein gutes Bildungssystem erhalten. Und – dieBemerkung sei mir noch erlaubt – das Schulgesetz,was derzeit auf den Weg gebracht wird, ist keinBeitrag dafür, dass das gelöst wird, dass das Schul-system besser und attraktiver wird. Danke.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Jung:Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordne-ter Hartung.

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Och, daswird doch nicht besser! Lass es sein!)

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(Abg. Tischner)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Schlechter kann es janicht werden!)

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:Herr Tischner, es ist die eine Sache, mich von Ih-nen als dumm oder blöd bezeichnen zu lassen. Dasnehme ich hin, das gehört zum politischen Ge-schäft. Aber ich lasse es nicht zu, dass Sie hier dieLeute für dumm verkaufen. Sie sagen, 2014 gab esplötzlich steigende Schülerzahlen. Mensch, die wa-ren doch 2008 schon auf der Welt. Es war doch ab-sehbar. Wenn wir seit 2014 steigende Schülerzah-len haben, wissen wir spätestens seit 2008, dassdie da sind. Das ist doch das Problem.

Sie haben darauf hingewiesen, dass ich ein biss-chen älter bin als Sie, auch das ist richtig. Vielleichtist das einfach auch die Möglichkeit, dass ich Ihnendas noch einmal sage: Es ging bei den Verhandlun-gen darum, die Einstellungskorridore zu verbreitern.Da führte kein Weg rein. Unser Problem bei derAusbildung ist weniger, dass wir die Leute nicht ein-stellen wollen. Das Problem ist, dass sie überwie-gend Gymnasiallehrer werden wollen. Wenn wir50 Prozent Berufswunsch „Gymnasium“ haben undnur 10 Prozent Bedarf in manchen Jahren, danngibt es da eben eine Diskrepanz. Diese Diskrepanzversuchen wir unter anderem dadurch aufzulösen,dass wir die Einstufung, also die finanziellen Bezü-ge angleichen, dass es also attraktiver ist, auch indie Regelschule zu gehen – zukünftig dann auch indie Grundschule. Wir tun das schon.

Noch einmal, Herr Tischner: Sich hierherzustellenund zu sagen, seit 2014 wurde es auf einmal ganzschlimm, das ist doch Blödsinn – Entschuldigung.2008 waren die Kinder, die 2014 mehr in die Schulegekommen sind, schon auf der Welt. Das lässt sichauch nicht wegdiskutieren. Dann hätte man da dieWeichen schon stellen müssen. 2008 haben Siesogar noch allein regiert. Seit 2009 kann ich esüberblicken und es führte kein Weg rein. VielenDank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Es gibt eine weitere Wortmeldung aus den Reihender Abgeordneten. Herr Abgeordneter Wolf.

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:Herr Kollege Tischner, das müssen Sie jetzt schonertragen, auch wenn Sie jetzt stöhnen, wenn ichnoch mal vorgehe, denn Sie haben wirklich schlicht

und einfach die Unwahrheit gesagt. Ich möchte dasnoch mal klarstellen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ich habedoch gar nicht gestöhnt!)

Sie haben gesagt – und ich möchte das noch malklarstellen –, dass ich im Bereich des Floating-Ver-trags gesagt hätte, dass wir als Linke irgendwannLehrer hätten abbauen wollen. Das stimmt über-haupt nicht. Ich habe gesagt, Sie haben die Men-schen damit erpresst, Sie haben die Lehrer damit indie Floating-Verträge erpresst und danach kam so-zusagen die schlechte Entwicklung hin zur Verbe-amtung, Teilzeitverbeamtung, was nicht haltbar war.

Vizepräsidentin Jung:Herr Abgeordneter Wolf, gestatten Sie eine Zwi-schenfrage des Abgeordneten Tischner?

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:Gern zum Schluss. Hören Sie sich erst mal an, wasich zu sagen habe. Vielen Dank. Ich habe jetzt ge-rade mal 30 Sekunden gesprochen. Aber das ist jadas Gute an einer parlamentarischen Debatte, dasses ein bisschen lebhafter zugeht, vielleicht eben ge-rade kurz vor dem Mittagessen.

Der Floating-Vertrag hat eines beinhaltet – das istvon der CDU nicht eingehalten worden –, nämlichdass die Lehrerinnen und Lehrer nur noch bis zu50 Prozent ihrer Arbeitszeit arbeiten und – dasstand im Floating-Vertrag, Herr Kollege Tischner –dafür neue Stellen geschaffen werden, damit – daswar den Gewerkschaften besonders wichtig – Neu-einstellungen vorgenommen werden und diese Lü-cke, die Kollege Hartung hier vorhin beschriebenhat, nämlich dass wir eine komplette Lehrergenera-tion gar nicht mehr an den Schulen haben, gar nichterst entsteht. Was passiert ist, war, dass 2008 Leh-rer aus der Teilzeit wieder verbeamtet worden sind,dass dann ein Urteil kam, dass dann entsprechendVollzeitverbeamtung anstand und wir einen Über-hang hatten und die damalige Landesregierung dasnicht mehr durchhalten konnte. Deswegen fehlt unsdie Generation und deswegen haben wir keineMöglichkeit, das auszugleichen, weil die älterenKolleginnen und Kollegen länger krank sind – dasist verständlich –, die jüngeren sind eher schwan-ger, in Elternzeit – das ist alles schon gesagt wor-den. Und deswegen haben wir die Probleme, weilVerträge von Ihnen nicht eingehalten worden sind –sehenden Auges in die Katastrophe reingerannt.Damals haben Sie noch allein regiert. Das hat da-mit überhaupt nichts zu tun, wer dann später malmit Ihnen zusammen regiert hat. Und ja, wir brau-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12197

(Vizepräsidentin Jung)

chen mehr Referendare, da haben Sie doch völligrecht.

Wir sind gerade in den Haushaltsverhandlungenund es ist jetzt schon mehrfach sowohl vom Kolle-gen Hartung am Mittwoch als auch von mir immerwieder gesagt worden, Kollegin Rothe-Beinlich hates gesagt: Ja, wir brauchen mehr Referendarinnenund Referendare. Aber das hat auch etwas mitAusbildungskapazitäten zu tun, das prüfen wir ge-rade, und vor allen Dingen damit, dass wir denjeni-gen – das sind dann überwiegend auf das LehramtGymnasium ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer –die Möglichkeit geben, mit der A13 – laufbahnglei-che Verwendung – zukünftig an den Regelschuleneingesetzt zu werden, wo wir sie als Stärkung brau-chen. Da macht es auch Sinn, mehr auszubilden anRegelschulen, Grundschulen, berufsbildendenSchulen, Förderschulen. Die kriegen alle sofort ihreMöglichkeiten, in die zweite Phase übergeleitet zuwerden. Das ist überhaupt nicht das Thema.

So, jetzt gern, Kollege Tischner. Jetzt haben Sie3 Minuten zugehört.

Abgeordneter Tischner, CDU:Vielen Dank. Ich habe auf die Antwort auf die Fragegewartet, die war nicht dabei. Herr Kollege Wolf,was wäre denn Ihre Alternative in den 90er-Jahrengewesen, als 50 Prozent aller Schülerinnen undSchüler nicht mehr in Thüringen unterrichtet wer-den konnten? Hätten Sie die Kolleginnen und Kolle-gen alle aufs Arbeitsamt geschickt?

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:Schülerentwicklungszahlen sind prognostizierbar,Kollege Hartung ist vorhin schon darauf eingegan-gen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Doch nichtin den 90er-Jahren!)

Es gehört zur Regierungsverantwortung, daraufauch zu reagieren.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe nicht gesagt, dass es ein Fehler war, die-sen Vertrag abzuschließen. Was ich gesagt habe,ist, dass er von der damaligen CDU-Regierungnicht eingehalten worden ist. Mit der Verbeamtungist er sehenden Auges gebrochen worden. Die An-hörung hat das damals eindeutig ergeben, dassman keine Lehrer teilzeitverbeamten kann, und Siewollten es nicht hören – nicht Sie persönlich, aberIhre Fraktion und Ihre Regierung damals. Und da-durch ist sozusagen die Unwucht reingekommen.

Vizepräsidentin Jung:Herr Abgeordneter, ich bitte aber darum, dass hierkein Zwiegespräch entsteht.

Abgeordneter Tischner, CDU:Ja, Frau Präsidentin. Ich entschuldige mich auchbei den Kollegen, dass sich die Mittagspause da-durch etwas verzögert, aber was wahr ist, mussschon wahr bleiben.

Herr Kollege Wolf, geben Sie mir recht, dass in denZeiten, die Sie gerade ansprechen, beispielsweiseim Jahr 1997, fast 300 Kollegen neu eingestelltworden sind, dass im Jahr 1998 fast 400 Kollegenneu eingestellt worden sind, dass im Jahr 2000 400Kollegen neu eingestellt worden sind und dass esdann in den Jahren von 2000 bis 2008 jedes Jahrzwischen 250 und 300 Neueinstellungen in Thürin-gen gab?

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:Das stimmt so nicht, aber ich kann Ihnen definitivsagen, dass wir Mitte der Tausenderjahre Einstel-lungszahlen hatten, die im – also ein Jahr mit achtEinstellungen, acht, Kollege Tischner.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Dochdurch die Stellenhebungen!)

Acht Lehrer wurden von Ihnen in einem Jahr einge-stellt. Wenn ich mich richtig daran erinnere, war essogar das Jahr 2008. Daran sieht man schon – ichwill es nur noch mal sagen –: Wir stellen in dieserLegislatur mehr als 3.700 Lehrerinnen und Lehrerein, dann kommen noch die befristeten hinzu, dieKollegin Rothe-Beinlich mit benannt hat. Das ist einklares Zeichen, dass wir für den Nachwuchs in denSchulen sorgen. Noch mal – ich habe es vorhinschon gesagt –: Chapeau vor allen, die tagtäglichdafür sorgen, dass wir den richtigen Lehrer, dierichtige Lehrerin finden, das ist ein schwieriges Ge-schäft. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Es gibt eine weitere Wortmeldung von der Abgeord-neten Rothe-Beinlich, Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:Meine sehr geehrten Kolleginnen, da es bei mir vor-hin den Zwischenruf gab und auch wohl noch maldie Frage, wie viele Lehrerinnen- und Lehrerstellen

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(Abg. Wolf)

denn so abgebaut werden, will ich gern noch maleine Zahl in den Raum stellen. Zwischen dem Jahr2000 und 2010 wurden – und zwar über alle Schul-arten hinweg – 6.000 Lehrerinnen- und Lehrerstel-len abgebaut und nur wenige Hundert neue Lehrereingestellt. Es gab kein Personalentwicklungskon-zept. Wer regiert hat, wissen Sie alle selbst. Vielenherzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Da ich jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehrsehe, haben Sie, Herr Minister Holter, für die Lan-desregierung das Wort.

Holter, Minister für Bildung, Jugend und Sport:Danke, Frau Präsidentin. Meine Damen und Her-ren, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, manmuss vielleicht für euch und für Sie noch mal sa-gen, dass es diesen Antrag seit November 2018gibt und sich daher in dieser Landtagssitzung min-destens dreimal die Gelegenheit ergeben hat, überBildung zu sprechen. Ich bin ja dafür und halte dasauch für richtig. Über Bildung kann man gar nichtgenug reden, selbstverständlich, aber man solltenicht ständig immer das Gleiche über Bildung re-den, sondern tatsächlich auch eine Entwicklungaufzeigen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Das Dilemma Ihrer Rede, Herr Kießling, bestanddarin, dass Sie Unterrichtsausfallzeiten genannt ha-ben, die aus dem Frühjahr 2018 waren, mit 8,3 Pro-zent. Die Zahl ist richtig. Im Herbst, Ende Novem-ber, waren es aber 6,6 Prozent, ich will das bloß zurKlarheit hier sagen. Es gibt da also eine positiveEntwicklung und wir werden sehen, wie sich dasweiter entwickelt.

Es ist richtig, dass wir Langzeiterkrankte haben,konkret sind das zurzeit 971. Wir reden immerhingemeinsam von rund 1.000. Ich will das nur einfachklarstellen, dass diese Langzeiterkrankten natürlichviel zu viele sind. Ich will Ihnen auch hier mitteilen,dass ich diese Woche beraten und entschieden ha-be, dass wir ein umfassendes Gesundheitsma-nagement für Lehrerinnen und Lehrer einführenwerden.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Wir werden mit einer Gefahrenanalyse in200 Schulen beginnen. Die werden wir jetzt in dennächsten Tagen auswählen, werden das konkretvorbereiten, um dann entsprechende Angebote für

die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort zu machen. Esist wichtig, das möglichst in der Region vor Ort zumachen, damit sie dann diese verschiedenen An-gebote, die dort ermöglicht oder angeboten werden,auch nutzen. Ich will auch hinzufügen, dass auchwir mit in die Schule nehmen, dass das Schulbud-get auch dafür gedacht ist, entsprechende Maßnah-men der Lehrergesundheit, Gesundheitsmanage-ment umzusetzen.

Zweitens will ich Ihnen sagen, dass wir eine Viel-zahl von Registern gezogen haben. Bevor ich dassage, will ich – auch für die jungen Zuhörerinnenund Zuhörer – noch mal deutlich machen: Ihr/Siehaben das gemerkt, die Debatte läuft auf verschie-denen Ebenen. Das ist auch richtig so, das will ichgar nicht kritisieren, ich will das bloß mal ein Stückversuchen abzuschichten. Das eine ist ein Rück-blick, was in der Vergangenheit war. Das kann manintensiv tun, hilft uns im Moment aber herzlich we-nig, weil wir Lösungen nach vorne brauchen. Undwir brauchen Lösungen – das ist die zweite Ebene– in der Jetzt-Zeit, was heute passiert, und wirbrauchen Entscheidungen. Und so verstehe ich –zumindest will ich es allen Fraktionen abnehmen,dass sie sich Gedanken machen, dass die Situa-tion, die wir jetzt haben, nicht erneut entsteht. Dassollte hier auch der Konsens sein, davon kann ichhoffentlich ausgehen.

Wenn wir also über die heutige Zeit reden, dannsind es verschiedene Maßnahmen. Es ist bekannt,dass ich seit dem 17. August 2017 hier im Amt bin,und wir haben in diesen über eineinhalb Jahren soviele Register gezogen, um den Unterrichtsausfallzu minimieren und ihm zu begegnen, wie das inden Vorzeiten überhaupt nicht möglich gewesen ist.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist auf der einen Seite – was Torsten Wolf,Thomas Hartung und Astrid Rothe-Beinlich schonangesprochen haben – die Verbeamtung. Da kannman wirklich, Astrid, sich darüber streiten, ob sinn-voll oder nicht sinnvoll. Aber ich weiß, dass es fürjunge Leute ein hohes Gut ist – nicht nur für junge.2008 wurde die Verbeamtung für Lehrerinnen undLehrer in Thüringen ausgesetzt. Wir haben sie wie-der eingeführt und es ist auch gut so, dass sie wie-der eingeführt wurde. Das ist auch eine Höchstan-strengung, die in den Schulämtern durch die Kolle-ginnen und Kollegen durchgeführt wird.

Wir haben darüber hinaus all die Dinge gemacht,die mit dem Besoldungsgesetz, sprich mit der Be-zahlung der Lehrerinnen und Lehrer, verändert wur-den, um also auch andere materielle Anreize zu ge-ben. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen zwi-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12199

(Abg. Rothe-Beinlich)

schen den Fraktionen hier im Landtag, aber damitmuss man auch ganz konkret leben. Wir wollen inerster Linie das Lehramt Regelschule stärken underreichen, dass auch die Schulleiterinnen undSchulleiter nun endlich mal amtsangemessen be-zahlt werden. Es gibt Schulleiterinnen und Schullei-ter in Thüringen, die über zwölf Jahre lang nochdas Gehalt bezogen haben, was sie als Lehrerin-nen und Lehrer bezogen haben. Das muss ausge-räumt werden und das wird dieses Jahr auch ganzkonkret umgesetzt.

Ich könnte jetzt die ganzen Maßnahmen im Einzel-nen noch mal aufzählen, dazu gehören auch dieDaZ-Lehrerinnen und DaZ-Lehrer, dazu gehörenauch die Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinstei-ger, die wir nachqualifizieren. Seit dem 01.08.2018sind das 47 Kolleginnen und Kollegen, seit dem01.02.2019 nochmals 57. Im Verhältnis von rund18.000 Lehrerinnen und Lehrern, die wir in Thürin-gen haben, ist es eine verschwindend geringe Zahl,aber – Herr Kießling, das greife ich auch gern auf,Sie haben ja auch von Qualität im Unterricht ge-sprochen – wir brauchen natürlich gut ausgebildeteLehrerinnen und Lehrer.

In diesem Zusammenhang will ich Sie darüber in-formieren, meine Damen und Herren Abgeordne-ten, dass es diese Woche am Montag einen Gipfelgegeben hat. Der Ministerpräsident hat die Präsi-denten und Direktoren der Lehrer bildenden Univer-sitäten und Hochschulen eingeladen – WolfgangTiefensee, der Wissenschaftsminister, und ich wa-ren dabei – und wir haben darüber gesprochen,dass wir auch für die Lehrerinnen- und Lehreraus-bildung Veränderungen brauchen; da sind sichauch die Universitäten und Hochschulen einig. Wirhaben über viele Fragen gesprochen, die hier an-geklungen sind, die ich gar nicht weiter vertiefenwill. Am Ende haben wir uns darauf geeinigt, um et-was zu machen, dass wir eine Thüringer Allianz füreine gute Lehrerbildung schaffen, wofür ich denVorsitz habe. Ich werde noch vor Ostern die Betref-fenden für die zweite Phase einladen, sprich dieStudienseminare und die Seminarschulen, um da-rüber zu sprechen, wie man die Übergänge günsti-ger gestalten kann, wie man aber auch mehr jungeMenschen, Abiturientinnen und Abiturienten, gewin-nen kann, ganz konkret Mangelfächer, beispielswei-se MINT, aber auch Sport, Musik, Kunst und Religi-on, zu studieren, aber sie gleichzeitig auch zu moti-vieren, nicht nur in die Städte zu gehen, sondernauch in den ländlichen Raum, um das auch malganz platt zu sagen, auch auf die Dorfschule zu ge-hen. Das ist ja so.

Darüber hinaus wollen wir uns über einzelne Maß-nahmen verständigen. Zum Beispiel wenn jetzt ein

Lehrer, der schon zwei Fächer absolviert hat, bereitist, in einer beruflichen Zusatzqualifikation ein drit-tes Fach zu studieren, ist nach den heutigen Re-geln, die der Freistaat aufgestellt hat, dieses zu-sätzliche Studium für diesen Kollegen oder für die-se Kollegin gebührenpflichtig. Da kann man von un-gefähr 5.000 bis 6.000 Euro ausgehen. Da sagenmir die Kollegen, das ist ja ein bisschen verrückt,du willst mich als Lehrer in dem und in dem Fachhaben und ich soll noch dafür bezahlen. Das heißt,wir müssen darüber reden, ob man die Interessen-ten um diese Gebühr, die da zu zahlen ist, tatsäch-lich entlastet und der Freistaat diese übernimmtbzw. die Universitäten darauf verzichten, das mussim Einzelnen ausgehandelt werden. Ich will nur malan einem Beispiel deutlich machen, wo solche The-men stehen. Das gleiche Thema ist das mit denZeugnissen. Ich will damit bloß deutlich machen,dass wir auch Fragen haben, die in die Zukunft ge-richtet sind, dass wir auch diese Dinge ganz kon-kret gemeinsam angehen.

Zur Einstellung: Einstellung ist eine Kunst an sich.Erstens muss man sich fragen: Was tut sich eigent-lich auf dem Lehrermarkt? Die KMK – letztes Jahrwar ich deren Präsident – hat im letzten Jahr zu-sammengetragen, wie viele Lehrerinnen und Lehrerbenötigt werden. Von 2018 bis zum Jahr 2030 wer-den in Deutschland jedes Jahr 31.900 Lehrerinnenund Lehrer benötigt – 31.900! Die höchste Zahl imOsten. Thüringen hat eine Unterdeckungsquote von20 Prozent. Ein anderes ostdeutsches Bundeslandhat eine Unterdeckungsquote von 50 Prozent, an-dere 30 Prozent. Damit wird sehr deutlich, dass dieHerausforderung in Deutschland sehr groß ist undder Kampf um die Köpfe, um die Lehrerköpfe, rich-tig tobt – ein Überbietungswettbewerb mit Zulagen,mit Gehältern. Schleswig-Holstein führt jetzt dieA13 für die Grundschullehrer und Grundschullehre-rinnen ein, Berlin hat sie schon eingeführt. Das isteine Spirale, die sich dort dreht, die natürlich – dassage ich den finanzpolitischen, haushaltspolitischenSprechern – nicht aufzuhalten ist und auch uns ir-gendwann erreichen wird, das weiß auch die Ge-schäftskollegin Frau Taubert. Ich will damit bloßdeutlich machen: Wir sind da nicht auf der Insel derGlückseeligen und über uns ist keine Glocke ge-stülpt, sondern es sind auch die Neben- und Rand-bedingungen, die in Deutschland herrschen, die tat-sächlich eine Rolle spielen.

Der Markt ist leergefegt und trotzdem stellen wirein. Die Zahlen sind nun mehrfach genannt worden,ich muss sie nicht wiederholen. Ich will Ihnen maleine Zahl verraten: Zwischen dem – im Durch-schnitt jetzt – Freiwerden einer Stelle und der Wie-derbesetzung vergehen in Thüringen 37 Tage.37 Tage! Da wird mir immer ein Beispiel erzählt, wo

12200 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Minister für Bildung, Jugend und Sport Holter)

es auch mal 120 Tage gedauert hat, auch dieseBeispiele gibt es selbstverständlich. Aber wenn ichmal im Durchschnitt sehe, dass wir 37 Tage brau-chen, sind das Höchstleistungen – Torsten Wolf istdarauf eingegangen –, die tatsächlich in den Schul-ämtern hier vollführt werden. Wir haben seit letztemJahr auch eine Stabstelle im Ministerium eingerich-tet und wir beraten monatlich darüber, wie wir dieEinstellungen noch weiter forcieren können, damittatsächlich auch der Unterricht abgesichert werdenkann. Das gelingt uns nicht in jedem Fall, weil wirgerade für Regelschulen gar keine Angebote ha-ben, und das drückt sich bereits im Studium schonaus, darüber haben wir gesprochen.

Die AfD, Herr Kießling, fordert einen Nachtrags-haushalt. Der Doppelhaushalt 2018/2019 – FrauTaubert, das haben wir beide schon immer gesagt –ist ein Bildungshaushalt. Wir haben jetzt mit demHaushalt 2020, der in der vergangenen Landtags-sitzung eingebracht wurde, auch wieder Entschei-dungen getroffen, auch darüber ist schon gespro-chen worden. Das führt eben dazu, dass wir diesesJahr 1.200 Lehrerinnen und Lehrer einstellen unddas in der gleichen Größenordnung nächstes Jahrauch fortsetzen können, dass wir nicht nur frei wer-dende Stellen besetzen, sondern dass es uns auchgelungen ist – wir beide sind uns und mit dem Kabi-nett da auch einig –, dass wir faktisch jedes Jahrround about nochmal 300 neue Stellen geschaffenhaben, die zusätzlich besetzt werden können.

Die spannende Frage ist: Wie schaffen wir es, jun-ge Leute, Lehrerinnen und Lehrer, nach Thüringenzu locken bzw. dass sie entweder in Thüringen blei-ben oder nach Thüringen kommen? Auch hier sindEntscheidungen gefallen. Die erste ist, wir werdendemnächst eine Lehrergewinnungskampagne star-ten. Sachsen-Anhalt ist gerade an den Start gegan-gen, wir bereiten das mit einer Agentur vor. Aber essind noch weitere Entscheidungen zu treffen. Ichhoffe da auf Zustimmung, auch aus der Opposi-tionsfraktion, zu meiner Entscheidung, dass Lehr-amtsabschlüsse anderer Bundesländer nun in Thü-ringen anerkannt werden. Es gibt nämlich Aus-schlussgründe. Nach unserem Lehrerbildungsge-setz ist das nicht so ohne Weiteres möglich. Wennwir aber diesen Wettbewerb um die Köpfe tatsäch-lich mitmachen wollen, dann müssen wir auch diebeamtenrechtlichen und anderen Hürden ausräu-men, die verhindern, dass diejenigen, die nachThüringen kommen wollen bzw. die wir einladenwollen, nach Thüringen zu kommen, dann aufgrundvon irgendwelchen Regeln, Gesetzen etc. nichtkommen können. Das würde sich ja widersprechen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Wenn ich eine gute Kampagne mache – und davongehe ich aus –, muss ich dahinter auch den Instru-mentenkasten haben, um diejenigen, die ich da ge-winnen und die ich anwerben will, tatsächlich auchin den Thüringer Schuldienst einzustellen. Das ge-hört natürlich zusammen.

Deswegen, Herr Kießling, ich verstehe Ihren An-trag, aber wir brauchen ihn nicht, weil die beidenHaushalte – der aktuelle, den wir jetzt haben, derDoppelhaushalt, und der zukünftige Haushalt für2020 – Bildungshaushalte sind.

Zweitens: Wir ziehen jetzt alle Register, um in dennächsten Wochen und Monaten so viele Lehrerin-nen und Lehrer einzustellen wie noch nie. Wir wer-den das Problem des Unterrichtsaufalls damit nichteins zu eins beseitigen können, das muss manauch ehrlich sagen. Aber wir unternehmen allesund wirklich mit einem hohen Tempo, um das zurealisieren.

Und drittens: Wir wollen mit dem Schulgesetz –worüber ich jetzt im Einzelnen nicht referieren wer-de – und weiteren Entscheidungen – siehe auch Al-lianz für gute Lehrerbildung – dafür sorgen, dass inZukunft eine solche Situation, die wir hier alle glei-chermaßen bewerten und einschätzen – das ist jaauch in Ordnung so – nicht wieder entsteht.

Deswegen kann ich nur noch mal appellieren – unddas verstehe ich bei Herrn Kowalleck und HerrnTischner von der CDU nun wirklich nicht: Sie sagenimmer, greifen Sie unsere Vorschläge auf. Ich habeIhnen mehrfach angeboten, machen Sie mit. Siehaben damals das Angebot bekommen, bei derKommission „Zukunft Schule“ mitzumachen. Siehaben das Angebot bekommen, bei der Erarbeitungdes Thüringenplans mitzumachen. Sie verweigernsich dort und berufen sich aufs parlamentarischeVerfahren und da legen Sie sich dann auch nochquer, wenn ein geordnetes parlamentarisches Ver-fahren laufen soll. Das verstehe ich nicht unter kon-struktiver Opposition.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Unter konstruktiver Opposition verstehe ich, die Re-gierung zu kritisieren, aber auch eigene Dinge vor-zuschlagen und dann auch per Antrag in den Land-tag zu bringen. Das fehlt mir und deswegen kannich nur sagen: Den Antrag der AfD brauchen wirnicht. Ich verlange und erwarte einfach, dass derKurs, den wir eingeschlagen haben, für gute Leh-rerbildung, für gute Schule, damit die Schülerinnenund Schüler tatsächlich jede Stunde nach Stunden-tafel auch bekommen können, weiter umgesetzt

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12201

(Minister für Bildung, Jugend und Sport Holter)

wird. Ich weiß, dass mich die Koalitionsfraktionenda unterstützen, dafür bedanke ich mich. Ich weißauch, dass in Thüringen viele Lehrerinnen und Leh-rer, auch Eltern genau diesen Kurs unterstützen.Die Erwartungen sind höher, als man von heute aufmorgen gleich umsetzen kann, aber wir brauchendie Geduld, wir brauchen aber auch die Kraft, ge-nau diese Schritte zu gehen. Herzlichen Dank fürdie Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Herr Minister, gestatten Sie noch eine Anfrage desAbgeordneten Malsch?

Holter, Minister für Bildung, Jugend und Sport:Wenn es denn sein muss, bitte.

Abgeordneter Malsch, CDU:Das ist aber keine konstruktive Zusammenarbeitmit der Opposition.

Herr Minister Holter, Sie haben gerade erklärt, dassSie Einstellungsvoraussetzungen für Lehrer aus an-deren Bundesländern jetzt praktisch vereinfacht ha-ben. Haben Sie denn auch an der Bewerbungsfristzur Einstellung unserer Leute etwas geändert, da-mit die nicht erst in die anderen Bundesländer ge-hen müssen?

Holter, Minister für Bildung, Jugend und Sport:Da haben Sie eben nicht zugehört. Das ist ja genauder Punkt. Erstens habe ich das noch nicht geän-dert, ich habe entschieden, dass …

(Unruhe CDU)

Nun warten Sie doch mal ab. Sie wissen doch ge-nau, wie Verwaltung läuft. Wenn ich entschiedenhabe, dass …

(Unruhe CDU)

Entweder wollen Sie nun zuhören oder Sie wollensich lustig machen. Dann kann ich auch grantigwerden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Entweder Sie haben Interesse an einer konstrukti-ven Diskussion oder Sie wollen sich hier nur lustigmachen.

Ich habe entschieden, dass Lehramtsabschlüsseaus anderen Bundesländern anerkannt werden.Dann stimmen Sie dem Schulgesetz zu! Wir müs-

sen das Lehrerbildungsgesetz ändern, das wissenSie doch. Das Lehrerbildungsgesetz wird mit demGesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens inThüringen geändert. Das ist ein Artikel in diesemGesetz. Dann stimmen Sie doch zu, dann sind wirauf dem Weg!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Das Zweite: Ich habe gerade gesagt, wir bilden ei-ne Allianz für gute Lehrerbildung in Thüringen, inder wir vor Ostern noch zusammenkommen wollen.Da geht es genau um die Frage, wie denn diejeni-gen, die in Thüringen Lehramt studieren, auchschneller in den Thüringer Schuldienst kommenkönnen. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Einstel-lungsfrist bei einer frei gewordenen Stelle 37 Tagebeträgt. Das ist doch genau etwas, was wir auf derHabenseite haben. Das kann man noch beschleuni-gen. Aber Sie wissen auch genau, dass wir nachBeamtenrecht Bestenauslese machen müssen,dass wir all die Verfahrensfragen beachten müssen.Das weiß Frau Rosin als Lehrerin auch. Da könnenSie sich nicht lustig machen über Dinge, die ich hiersage. Sondern das, was ich hier politisch verkünde,muss auch rechtlich und verwaltungstechnisch un-tersetzt werden, und daran arbeiten wir, meine Da-men und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Wir machenuns nicht lustig, so eine Ausrede!)

Vizepräsidentin Jung:Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordne-ter Tischner.

Abgeordneter Tischner, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Minister Holter, ich sage es Ihnen jaöfter hier: Es ist durchaus anzuerkennen, dass Sievieles tun zurzeit, aber Sie müssen auch ehrlichsein. Eines fällt mir bei Ihnen immer auf: Wenn Sienervös werden und ein bisschen unter Stress gera-ten, dann werden Sie unfair und dann werden Sieunehrlich.

(Beifall CDU)

Ich will das an der Stelle noch mal sagen, Herr Mi-nister, weil das in dieser Woche das zweite Malpassiert, wo Sie uns als Oppositionsfraktion vorwer-fen, wir würden nur kritisieren.

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Das istkein Vorwurf, das ist eine Tatsache!)

12202 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Minister für Bildung, Jugend und Sport Holter)

Ich gebe Ihnen recht: Die Kritik ist durchaus dasMittel, das die Opposition bedienen muss, und dasist auch die Erwartung, die die Medien von uns ha-ben – dass wir kritisieren.

(Heiterkeit DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Ehrlichsind Sie!)

Natürlich, die Bevölkerung auch. Aber, meine Da-men und Herren, uns ist es, wenn wir kritisieren,immer auch wichtig zu sagen, was wir wollen. Wirhaben bereits vor über drei Jahren ein Maßnah-menpaket vorgelegt – Herr Minister, Sie haben inIhren Reden auf dieses Maßnahmenpaket schonmehrfach Bezug genommen, auch bewusst Bezuggenommen –, was wir fordern, damit der Lehrerbe-ruf in Thüringen attraktiver ist. Wenn Sie ganz ehr-lich sind,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Er ist doch ehrlich! Wassoll das denn?)

wissen Sie auch, dass Sie einige Punkte von die-sem Maßnahmenpaket ganz gekonnt und bewusstmit abarbeiten.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Das ist dochgut!)

Deswegen ist es unehrlich, wenn Sie in dieser Wo-che jetzt zum zweiten Mal vom Pult aus sagen, dieOppositionsfraktion der CDU würde keine Vorschlä-ge bringen.

(Beifall CDU)

Wir haben beispielsweise auch diese Maßnahmenmehrfach in verschiedenste Anträge, sortiert bei-spielsweise nach mehr Attraktivität für Referendare,nach mehr Attraktivität für Förderschulen, in ver-schiedene Plenaranträge einfließen lassen. DieVorschläge sind alle von Ihren Koalitionsfraktionenimmer wieder abgelehnt worden. Also bitte, bleibenSie ehrlich. Danke.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Jung:Für die Landesregierung hat Minister Holter dasWort.

Holter, Minister für Bildung, Jugend und Sport:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrTischner, ich werde nervös, wenn die Bahn nichtnach Fahrplan fährt und ich meinen Anschlusszugnicht erreiche. Dann kann ich nervös werden. Aber

ansonsten können Sie davon ausgehen, dass ichtiefenentspannt bin.

(Unruhe CDU)

Ich bin jetzt etwas deutlicher geworden, weil – ers-tens – als der Kollege die Frage stellte, er sichdann schon nach einem Zwischenruf von Frau Ro-sin lächelnd umdrehte und gar nicht an der Antwortinteressiert war. Das regt mich auf.

Und Herr Zippel, ich verstecke mich nicht hinter derVerwaltung,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

sondern ich wollte das den jungen Leuten dortoben sagen, dass, wenn hier im Parlament etwasverkündet wird, es auch der Verwaltung und derrechtlichen Untersetzung bedarf und dass nichtnach der Verkündig gleich alle Dinge im Alltag an-gekommen sind. Da muss man auch mal Verständ-nis haben. Nur darum ging es.

Sie haben im Januar – Herr Tischner, Ihre Fraktion,Herr Tischner hört wieder nicht zu.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Doch, ichhöre Ihnen zu!)

Sie reden gerade. Das ist auch so etwas, wennman eine Debatte führt, aber dann dem Redner hiervorn nicht zuhört.

Der Punkt ist, Sie haben im Januar 2017 hier einenumfassenden Katalog vorgelegt. Das ist richtig. Wirhaben auch Dinge davon übernommen. Wenn wirjetzt gesagt haben, mit dem nächsten Haushalt wol-len wir die Referendarstellen um 600 – also auf1.200 insgesamt – erhöhen, dann ist das auch eineSache, die Sie angeregt haben, selbstverständlich.Wenn aber die Koalition Anträge von Ihnen ablehnt,die Sie jetzt hier als Plenaranträge stellen, dannspricht das für die Qualität der Anträge, dass mussich auch mal sagen.

(Beifall DIE LINKE)

Zweitens, was ich erwarte: Wir haben Haushaltsde-batten gehabt. Ich bin mal gespannt, ob Sie zu demHaushalt 2020 Änderungsanträge stellen. Ich binmal gespannt, ob Sie zu dem Gesetz zur Weiterent-wicklung des Schulwesens Änderungsanträge stel-len.

(Beifall SPD)

Daran mache ich das fest, nicht nur an den Anträ-gen, die sozusagen politische Anträge sind. Kon-kret macht sich das am Gesetzgebungsverfahrendieses Hauses fest. Danke schön.

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(Abg. Tischner)

(Zwischenruf Abg. Rosin, CDU: Wer machtdie Gesetze vorwiegend? Die Verwaltung!)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Jung:Gibt es jetzt weitere Wortmeldungen? Das kann ichnicht erkennen. Dann kommen wir zur Abstimmung.Es ist keine Ausschussüberweisung beantragt und…

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Zwei Aus-schussüberweisungen – Bildung und HuFA!)

Entschuldigung! Dann stimmen wir über die Aus-schussüberweisung an den Ausschuss für Bildung,Jugend und Sport ab. Wer dem zustimmt, den bitteich um das Handzeichen. Das ist die AfD-Fraktion.Gegenstimmen? Das sind die Koalitionsfraktionen.Stimmenthaltungen? Das sind die CDU-Fraktionund der Abgeordnete Rietschel. Damit ist die Aus-schussüberweisung an den Ausschuss für Bildung,Jugend und Sport abgelehnt.

Wir stimmen über die Ausschussüberweisung anden Haushalts- und Finanzausschuss ab. Wer demzustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Dasist die AfD-Fraktion. Gegenstimmen? Die Koali-tionsfraktionen und die CDU-Fraktion. Stimmenthal-tungen? Der Abgeordnete Rietschel. Damit ist auchdiese Ausschussüberweisung abgelehnt.

Wir stimmen nun über den Antrag der Fraktion derAfD in Drucksache 6/6505 ab. Wer dem zustimmt,den bitte ich um das Handzeichen? Das ist die AfD-Fraktion. Gegenstimmen? Die Koalitionsfraktionen,die CDU-Fraktion und der Abgeordnete Rietschel.Damit ist der Antrag der Fraktion der AfD abge-lehnt.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittags-pause gehen, gebe ich bekannt, dass sich der Aus-schuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit 5 Minu-ten nach Beginn der Mittagspause im Raum F 202zu einer Sitzung einfindet und wir die Beratung um13.20 Uhr fortsetzen.

Vizepräsidentin Marx:Dann setzen wir die Plenarsitzung fort und kommenzum Aufruf des Tagesordnungspunkts 17

Verbesserung der finanziellenRahmenbedingungen für dieUnterstützung von Opfern derSED-Diktatur mit Hilfe vonPMO-Mitteln

Antrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/6657 -

Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Be-gründung?

(Zuruf Abg. Wirkner, CDU: Nein!)

Das ist nicht der Fall, dann treten wir in die Aus-sprache ein, und das auch deswegen, weil die Lan-desregierung angekündigt hat, von der Möglichkeiteines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 der Ge-schäftsordnung keinen Gebrauch zu machen.

(Zwischenruf Abg. Henke, AfD: Wo ist denndie Landesregierung?)

Die Landesregierung sollte in der Tat – die Landes-regierung kommt!

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Frau Ministerin ist da!)

Ich begrüße die Landesregierung

(Beifall im Hause)

mit einem freundlichen Hallo. Jetzt kommen wir zurBeratung des Tagesordnungspunkts 17. Als erstemRedner erteile ich das Wort dem Kollegen Wirknervon der CDU-Fraktion.

Abgeordneter Wirkner, CDU:Werte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Da-men und Herren Abgeordneten, liebe Gäste, im Fe-bruar 2018, also nun vor einem Jahr, hat unsereFraktion einen Antrag in Drucksache 6/4944 einge-bracht, der das Ziel verfolgt, eine Bundesratsinitiati-ve auf den Weg zu bringen, um die zu erwartendenfinanziellen Mittel aus dem Parteivermögen derehemaligen SED und Massenorganisationen, kurzPMO genannt, die zur Auszahlung standen, im Jahr2018 flexibel einsetzen zu können.

Bis jetzt gibt es eine Verwaltungsvereinbarung, de-ren Maßgabe es ist, diese Mittel für investive undinvestitionsfördernde Maßnahmen der öffentlichenHand im Bereich der wirtschaftlichen Umstrukturie-rung zu 60 Prozent sowie für investive und investiti-onsfördernde Maßnahmen zu sozialen und kulturel-len Zwecken zu 25 Prozent im Bereich der öffentli-chen Hand und zu circa 15 Prozent im Bereich dernicht staatlichen Träger zu verwenden. Diese Ver-waltungsvereinbarung wurde zwischen der Bundes-anstalt für vereinigungsbedingte Sonderausgaben,kurz BvS genannt, und den Bundesländern ge-schlossen.

Im Laufe der letzten Jahre wurden in Thüringen be-reits 69,5 Millionen Euro aus dem PMO-Vermögenausgezahlt, deren Verwendung schon damals aufder Grundlage der bis dato geltenden Verwaltungs-

12204 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Minister für Bildung, Jugend und Sport Holter)

vereinbarung erfolgte. Nun hat Thüringen imJahr 2018 wiederum 32,4 Millionen Euro aus demPMO-Vermögen erhalten. Nimmt man die beste-hende Verwaltungsvorschrift zur Grundlage, müs-sen die Mittel, diese 32,4 Millionen Euro, wie folgtVerwendung finden: 19,44 Millionen Euro für diewirtschaftliche Umstrukturierung der öffentlichenHand, 8,1 Millionen Euro für investitionsförderndeMaßnahmen zu sozialen und kulturellen Zweckenim Bereich der öffentlichen Hand und 4,86 MillionenEuro für nicht öffentliche Träger, und dies laut Ver-waltungsvorschrift maßgeblich für investive Maß-nahmen.

Dies mag sicherlich – gerade nach dem Zusam-menbruch der DDR und der maroden Infrastrukturauf dem Territorium der neuen Bundesländer – sei-ne Richtigkeit gehabt haben. Zeitgemäß ist dieseVerwaltungsvorschrift mit seiner strikten Vertei-lungsvorgabe auf keinen Fall. Darüber waren wiruns schon im vergangenen Jahr, als wir uns hierüber das Thema unterhalten haben, vor allen Din-gen auch mit der Fraktion der Grünen einig.

Diese im Ausland geparkten Gelder der SED undall ihrer unsäglichen Scheinfirmen beruhten haupt-sächlich auf dubiosen Exportgeschäften, die zumgroßen Teil auf dem Rücken von politischen Gefan-genen, die zur Zwangsarbeit unter teilweise sehrunmenschlichen Bedingungen gezwungen wurden,ausgetragen wurden, um hier nur eine Opfergruppezu benennen, die in keiner Weise in der oben ge-nannten Verwaltungsvorschrift für eine wenigstensteilweise Entschädigung vorgesehen ist. Wie vielunsägliches Leid musste in der ehemaligen DDRvon vielen Menschen ertragen werden, denkt manzum Beispiel an die Zwangsaussiedlung aus denehemaligen Grenzgebieten der DDR Anfang der50er- und 60er-Jahre und an die zum Teil drasti-schen Folgen? Ein besonders leidvolles Schicksalmussten jene ertragen, die ihre geliebten Angehöri-gen an der innerdeutschen Grenze zu betrauernhatten und haben, und die Familien derer, derenAngehörige in den Gefängnissen aus politischenGründen jahrelang weggesperrt waren oder garden Tod fanden. Wer denkt an die Kinder, die inden Heimen von ihren Eltern getrennt leben muss-ten, weil diese auf Jahre weggesperrt wurden, undviele von ihnen niemals mehr zu ihren Eltern zu-rückkonnten – Kinder, die als Erwachsene zum Teilnoch heute an den Folgen des Erlebten leiden?Gleiches gilt natürlich auch für die Eltern.

An all diese Personengruppen, die ich jetzt als Bei-spiel aufgezählt habe, wurde bei der Erarbeitungdieser Verwaltungsvorschrift nicht gedacht – keineWiedergutmachung, keine Entschädigung.

Der Sinn dieses Antrags im Monat Februar des ver-gangenen Jahres bestand schon damals wie heutedarin, auf eine nicht mehr zeitgemäße Verwaltungs-vorschrift hinzuweisen und auf deren Überarbeitungzu drängen, um auch denen gerecht werden zukönnen, die jenseits von Investitionen ebenfalls Be-rücksichtigung finden sollten – zum Beispiel beimEinrichten eines Härtefallfonds oder gar Entschädi-gungen wie zum Beispiel bei der Gruppe derZwangsausgesiedelten.

Unser Antrag zielte bereits vor einem Jahr daraufab, die Landesregierung aufzufordern, sich für eineBundesratsinitiative aller Bundesländer einzuset-zen, um eine Flexibilisierung der Verwaltungsvor-schrift und deren Auszahlungsmöglichkeiten zu er-reichen. Unser damaliger Antrag wurde von der Re-gierungskoalition nicht mitgetragen und stattdessendurch einen eigenen Alternativantrag ersetzt, deraber nicht unserem Anliegen entsprach, nämlich ei-ne Bundesratsinitiative zum Zweck der Verände-rung der Verwaltungsvorschriften zu initiieren.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung wurde lediglich im Antrag vonRot-Rot-Grün aufgefordert – dazu komme ich jetzt,Frau Rothe-Beinlich, einen Moment –, sich mit denanderen in Betracht kommenden Bundesländernbeim Bund dafür einzusetzen, dass ein Fonds fürHärtefälle und für bisher nicht berücksichtigte Op-fergruppen aus SED-Unrecht eingerichtet wird.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das haben wir im Antragauch drin!)

Dies scheint jedoch ohne Veränderung einer Ver-waltungsvorschrift, was der Sinn und Zweck unse-res Antrags war, sehr fraglich. Es ist nicht bekannt,dass dies bis heute jemals mit dem Bund verhan-delt wurde. Unsere Forderung, die Verwaltungsvor-schrift zum Zweck der Flexibilisierung zu ändernund sich um eine Bundesratsinitiative auch jetztnoch intensiv zu bemühen, bleibt daher aufrecht-erhalten, hat man doch vor Kurzem aus den Medi-en erfahren können, dass eventuell weitere 100 Mil-lionen Euro zur Disposition stehen. Ungeachtetdessen wurde bereits auf der Grundlage der vor-handenen Verwaltungsvorschrift über die Vergabeder Gelder in Thüringen verhandelt, also über die32,4 Millionen Euro.

Im Zuge der Beantwortung einer Kleinen Anfragedes Abgeordneten Walk wurde eine Vielzahl vongestellten Anträgen aufgezeigt, von denen sicher-lich eine große Anzahl geeignet gewesen wäre, mitPMO-Mitteln gefördert werden zu können, wie zumBeispiel die Ausstellung in Mödlareuth, das Grenz-landmuseum Teistungen, das Dokumentationszen-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12205

(Abg. Wirkner)

trum Jena, wo es um die Aufarbeitung der Justiz inder ehemaligen DDR ging, oder um Ausstellungs-elemente am Ort Probstzella, am Grenzbahnhof,um nur einige zu benennen.

In der Antwort des Finanzministeriums hieß es sei-nerzeit – es liegt nun schon einige Monate zu-rück –: „Die aktuell vorliegenden Anträge über-schreiten bereits die dem Freistaat zugeflossenenPMO-Mittel um ein Vielfaches. Eine Priorisierungvon Maßnahmen, die alle [Voraussetzungen für ei-ne Förderung aus PMO] erfüllen, ist bereits erfolgt.Daher können darüber hinaus eingehende Anträgeaus den genannten Gründen keine Berücksichti-gung finden.“ Das hat gezeigt, dass es an diesenPMO-Mitteln doch ein großes Interesse gab. Soweit zunächst – so gut.

Wir fordern jedenfalls auch heute noch die Landes-regierung auf, alle priorisierten Antragstellungen zubenennen und zu berichten, wie die Auswahl derProjekte begründet wird. Gleiche Begründung for-dern wir für die abgelehnten Projekte. Uns ist be-kannt, dass zum Beispiel der Antrag Schifflersgrundmit 300.000 Euro für investive Maßnahmen abge-lehnt worden ist. Uns ist auch bekannt, dass eineNaturschutzstation in Jena gefördert werden soll.Ich will auch voraussagen, man will nicht das einemit dem anderen ausspielen, aber man will damiteigentlich einmal dokumentieren, dass es dochwichtiger wäre, speziell zum Beispiel solche Maß-nahmen wie das Grenzmuseum „Schifflersgrund“mit solchen PMO-Mitteln zu unterstützen. Dafürsollten sie uns alle zugeführt werden. Das wäremeiner Meinung nach auch eine gute Lösung ge-wesen.

Ungeachtet dessen bleibt unsere Forderung unein-geschränkt bestehen, sich nach wie vor für einenHärtefallfonds für die Opfer des DDR-Unrechts ein-zusetzen und die Voraussetzungen durch Ände-rung der Verwaltungsvorschrift zu schaffen, dassdurch die Einrichtung eines Entschädigungsfondsfür die Zwangsausgesiedelten aus dem Grenzge-biet der ehemaligen DDR eine angemessene Ent-schädigungszahlung aus PMO-Mitteln erfolgenkönnte. Dies sollte bei aller Dringlichkeit für eineVielzahl von Projekten, die zur Diskussion standen,oberste Priorität haben. Dafür treten wir als Fraktionein und auch ich ganz persönlich werde aus inners-ter Überzeugung nicht eher ruhen, bis sich in dieserRichtung Bewegung und eine Lösung abzeichnen.

Zum Schluss gestatten Sie mir noch eine persönli-che Anmerkung: Es ist mir unverständlich, dass30 Jahre nach Grenzöffnung noch immer über Wie-dergutmachung diskutiert wird und versucht werdenmuss, jenen eine entsprechende Fürsorge entge-genzubringen, die in 40 Jahren DDR Schlimmstes

erleben mussten. 30 Jahre kämpfen die Opfer umRehabilitation, um Entschädigung, Wiedergutma-chung für ergangenes Unrecht. Da denke ich zumBeispiel an ein seit vielen Jahren bekanntesRechtsverfahren der Familie May hier in Erfurt.

Neuerlich gibt es jedoch eine Diskussion über alleParteien hinweg, dass man den Osten Deutsch-lands wieder mehr in den Fokus politischen Han-delns rücken muss. Ich hoffe daher, dass man künf-tig auch dem Thema „Aufarbeitung und Wiedergut-machung“ die Aufmerksamkeit zukommen lässt, dieunbedingt notwendig ist.

Ich bin überzeugt, auch im Namen meiner Fraktionsprechen zu können: Wir werden von nun an undnoch beherzter unseren Beitrag bezüglich Wieder-gutmachung leisten. Und ich lade Sie alle dazu ein,an der Lösung dieser Aufgabe im Interesse der vie-len Betroffenen im Land Thüringen mitzuarbeiten.Danke sehr.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Mitteldorf, DIE LINKE: Ma-chen Sie es doch endlich mal auf Bundes-ebene!)

Vizepräsidentin Marx:Vielen Dank. Als nächste Rednerin erhält Abgeord-nete Pelke von der Fraktion der SPD das Wort.

Abgeordnete Pelke, SPD:Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Herr Wirkner, Sie haben ganz vielewesentliche Dinge hier angesprochen, ganz vieleZahlen genannt, ganz viele Themen miteinandervermischt, über die wir gern bereit sind, mit Ihnenzu diskutieren. Es hat nur nichts mit dem Antrag zutun, der uns vorliegt – überhaupt nichts.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Die Bemerkung, die Sie am Schluss gesagt haben,widerstrebt mir schon und das möchte ich noch malganz deutlich darstellen: Sie kennen diejenigen, diezum Thema „Aufarbeitung“ in den regierungstra-genden Fraktion arbeiten – außer meiner WenigkeitFrau Rothe-Beinlich und Frau Mitteldorf –, und Siemüssen eigentlich wissen und Sie wissen, mit wieviel Herzblut wir uns alle gemeinsam und oft auchmit Ihnen an der Seite zum Thema „Aufarbeitung“stellen und wie intensiv wir es bearbeiten. Ich sagenoch mal in aller Deutlichkeit: Dieser Landesregie-rung und den regierungstragenden Fraktionen istdas Thema „Aufarbeitung“ ein überaus wesentli-ches und wichtiges Thema und so haben wir bis-lang auch immer gearbeitet.

12206 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Wirkner)

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt kommen wir noch mal zu Ihrem Antrag: Wirkönnen über verschiedene Sachen irgendwannnoch mal reden, aber diesen Antrag – das ist dieDrucksache 6/6657 vom 17.01.2019, Antrag derCDU-Fraktion „Verbesserung der finanziellen Rah-menbedingungen für die Unterstützung von Opfernder SED-Diktatur mit Hilfe von PMO-Mitteln“ – ha-ben Sie jetzt hier vorgelegt. Sie waren auch nichtbereit, darüber zu reden, den gegebenenfalls um-zuformulieren oder zurückzuziehen, weil wir diesenAntrag hier im Landtag schon längst beschlossenhaben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Dinge, die Sie hier einfordern, haben wir beschlos-sen.

Zunächst zum Landtag: Vor fast exakt einem Jahr,am 22.02.2018, hat das Plenum auf Antrag derKoalitionsfraktionen in Drucksache 6/5356 den Be-schluss gefasst, die Landesregierung möge sich imZusammenhang mit der Auszahlung der PMO-Mit-tel dafür einsetzen, dass diese Gelder auch für In-vestitionen in die Thüringer Aufarbeitungsland-schaft sowie zur Einrichtung eines Härtefallfondsfür bisher nicht berücksichtigte Opfergruppen ver-wendet werden können. Zudem ist die Landesre-gierung gebeten worden, bei der Vergabe derPMO-Mittel für die genannten Zwecke die Expertiseder Fachöffentlichkeit zu berücksichtigen. Das ha-ben wir beschlossen.

Und was fordern Sie jetzt in Ihrem Antrag? Ich zitie-re: Sie wollen, dass „PMO-Mittel auch für die Aufar-beitung des SBZ/DDR-Unrechts und vor allem auchfür die Unterstützung der Opfer eingesetzt werdenkönnen (zum Beispiel durch Einrichtung eines Här-tefallfonds für bereits anerkannte als auch bishernoch nicht berücksichtigte Opfergruppen des SBZ/DDR-Unrechts).“ Das hatten wir schon, das habenSie jetzt nur noch mal aufgeschrieben.

(Unruhe CDU)

Doch, doch, exakt das Gleiche.

Die CDU bittet die Landesregierung in Punkt 3 desjetzt vorliegenden Antrags, über den wir heute ab-stimmen sollen, diesem Härtefallfonds einen Beiratzur Seite zu stellen, in dem die Fachöffentlichkeitvertreten ist. Mit anderen Worten, Sie fordern nochmal genau das Gleiche ein, was längst auf Initiativevon Rot-Rot-Grün auf den Weg gebracht wordenist.

Es wird noch schöner: Die CDU will mit Punkt 2 desPapiers eine Bundesratsinitiative mit der Zielset-

zung starten, dass – und ich zitiere noch mal – „an-gesichts der vielfach sozial prekären Situation vielerin der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und inder DDR politisch Verfolgter insbesondere denjeni-gen wirksamer geholfen wird, die sich weiterhin ver-folgungsbedingt in einer schwierigen Lebenslagebefinden und bisher nicht oder nur ungenügend un-terstützt werden“ – Zitat aus Ihrem Antrag. Auchdieses Anliegen ist bereits erledigt,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

und zwar durch eine einstimmig gefasste Entschlie-ßung des Bundesrats vom 19. Oktober 2018. DieCDU-Kolleginnen und ‑Kollegen können das gernnoch mal in der Bundesratsdrucksache – ich nennesie hier – 316/18 nachlesen. Unter der Überschrift„Entschließung des Bundesrats zur Verbesserungder sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgterdurch Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungs-gesetze“ wird dort die Bundesregierung um Prüfunggebeten, wie Opfer von Zersetzungsmaßnahmen –Sie haben das alles auch erwähnt –, Zwangsausge-siedelte, verfolgte Schülerinnen und Schüler, Haft-opfer mit weniger als 180 Hafttagen und aufgrundpolitischer Verfolgung Traumatisierte, entschädigtwerden können. Es wurde in dieser Bundesrats-drucksache auch noch angeregt, bei Rentenzahlun-gen künftig auf eine Anrechnung von Ausgleichs-zahlungen für politisch Verfolgte zu verzichten so-wie Ausgleichsleistungen bei strafrechtlicher undberuflicher Rehabilitierung zu dynamisieren. Esbraucht keine weitere Bundesratsinitiative. Allesdas, was Sie hier aufgeschrieben haben, haben wirbeschlossen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Und das, was Sie uns hier vom Rednerpult aus er-zählt haben, ist alles wichtig und durchaus etwas,worüber wir reden können, aber es hat überhauptnichts mit diesem Antrag zu tun, den Sie hier vorge-legt haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Was uns wichtig ist – und darüber könnten wir viel-leicht auch noch mal gemeinsam sprechen, dennes gibt ja auf Bundesebene eine andere Konstella-tion/Koalition, wie auch immer –: Die Bundesregie-rung ist jetzt gefragt, den Beschluss des Bundes-rats zügig umzusetzen und das Ergebnis der vonder Länderkammer beantragten Prüfung möglichstrasch in eine Novellierung der SED-Unrechtsberei-nigungsgesetze münden zu lassen. Ich sage dasmal in aller Deutlichkeit: Das wäre ein positives Sig-nal an die bisher nicht berücksichtigten Opfergrup-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12207

(Abg. Pelke)

pen, wenn dies schon in den kommenden Monatengeschehen würde, also noch in dem Gedenkjahrder Friedlichen Revolution.

(Beifall DIE LINKE)

Ich würde Sie herzlich bitten, Ihren Teil der BerlinerKoalition darauf aufmerksam zu machen und ein-fach mal zu drücken, dass sich da etwas bewegt.Wir machen das kontinuierlich. Die Kolleginnen undKollegen der Linken und von Bündnis 90/Die Grü-nen machen das im Bundestag genauso intensiv.Das wäre ein Zeichen, was wir hier gemeinsam set-zen können.

Ansonsten sage ich Ihnen, Herr Wirkner, wir ladenSie gern ein – ich glaube, das sehen die Kollegin-nen Mitteldorf und Rothe-Beinlich ganz genauso –,uns zu inhaltlichen Themen noch mal auseinander-zusetzen. Das Thema „Aufarbeitung“ ist für mich ei-ne Herzensangelegenheit und für meine beidenKolleginnen auch. Es wäre schön, wenn die demo-kratischen Fraktionen hier an einem Strang ziehenwürden. Aber diesen Antrag, den Sie jetzt vorgelegthaben, der schon längst beschlossen ist, brauchtes wirklich nicht. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Marx:Als nächster Rednerin erteile ich Abgeordneter Mit-teldorf, Fraktion Die Linke, das Wort.

Abgeordnete Mitteldorf, DIE LINKE:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Wirknerund auch lieber Herr Kellner, zu diesem Antrag, derjetzt das, wenn ich mich richtig entsinne, zweite Malauf der Tagesordnung des Plenums steht und denwir aus zeitlichen Gründen jetzt erst behandelnkönnen, haben wir auch beim Kaffeetrinken schonmehrmals geredet und ich habe versucht, Ihnendas sehr deutlich zu machen, was die Kollegin Pel-ke hier gerade noch mal gesagt hat, warum ich fin-de, dass dieser Antrag kein guter Antrag ist. Zumeinen, weil die Dinge, die Sie hier fordern, bereitsbeschlossen sind – auch die Kollegin Pelke hat aufdie Bundesratsinitiative, die Entschließung desBundesrats hingewiesen, die also schon passiertwar, als Sie diesen Antrag eingereicht haben. Dasmuss man auch sagen.

Ich möchte das nicht wiederholen, aber einen Punktneben dem, was Frau Pelke gerade gesagt hat,möchte ich schon noch mal aufmachen, weil esmich wirklich ärgert. Sie wissen, dass ich zu demThema „Zwangsausgesiedelte“ alle drei Monate mit

Frau Tröbs für mindestens zwei Stunden zusam-mensitze. Alle drei Monate wieder, um darüber zureden, was nun auf Bundesebene weiterlaufenkann, weil das Problem ist, wenn Sie in Ihrem An-trag unter IV die „Bildung eines Entschädigungs-fonds für die Zwangsausgesiedelten aus denGrenzgebieten der DDR“ fordern, da kann ich nursagen: Liebe CDU, ich weiß nicht, wie oft wir be-reits darüber geredet haben.

Das Problem ist: Die Zwangsausgesiedelten muss-ten Mitte der 90er-Jahre ihre zu DDR-Zeiten erhal-tene Entschädigung zwei zu eins in einen Opferent-schädigungsfonds auf Bundesebene einzahlen undbis heute im Jahre 2019 weiß kein Mensch, was mitdiesem Geld passiert ist, wo dieses Geld abgeblie-ben ist, und es wurde ihnen versprochen, dass ausdiesem Opferentschädigungsfonds auf Bundesebe-ne ihre Entschädigungen ausgezahlt werden. Dasist bis heute nicht passiert und es gibt bis heute kei-ne Antwort darauf. Wenn meine Kolleginnen undKollegen aus der Bundestagsfraktion der Linken,der Grünen und was auch immer, SPD, selbstnachfragen, was mit diesem Geld ist, gibt es keineAntwort. Ich kann an Sie nur appellieren: Das ist ei-ne Frage, wo auch Sie helfen können, genau dieseProblematik aufzuklären. Bitte helfen Sie uns, dieseFrage zu klären, was mit dem Geld der Zwangsaus-gesiedelten ist, denen es zusteht und die seit über20 Jahren nicht wissen, was mit diesem Geld pas-siert ist. Das ist das Problem.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, hier noch mal in Ihrem Antrag zu for-dern, einen Entschädigungsfonds auf Landesebeneeinzurichten, halte ich für fatal, zumal – und dasmag man ungerecht finden und auch empfinden –man sich aber rein rechtlich tatsächlich die Fragestellen muss, weil es in Thüringen eine Zwischenlö-sung gab, die ich auch sehr begrüße, dass nämlichin Thüringen die Zwangsausgesiedelten bereits ein-mal eine pauschale Entschädigung erhalten haben.Das heißt, prüfen muss man leider – so ungerechtman das finden mag, aber in diesem Rechtsstaat,in dem wir leben –, ob eine nochmalige Entschädi-gung der Zwangsausgesiedelten in Thüringen über-haupt möglich wäre, weil sie hier bereits ein pau-schale Entschädigung erhalten haben. Das sind al-so Dinge, die wir auch rechtlich klären müssen.

Aber mein wirklicher Appell – und das meine ichjetzt ganz doll ernst – ist, dass wir bitte endlich da-zu kommen, diese Fragen zu klären, was mit demGeld der Zwangsausgesiedelten ist, da wir die Pro-blematik haben, dass die Menschen, denen daspassiert ist, natürlich auch immer älter und logi-scherweise dann leider immer weniger werden undsie einfach das Recht haben, auf ihre Fragen in die-

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(Abg. Pelke)

sem Bereich eine Antwort zu bekommen. Und darede ich noch gar nicht von dieser misslichenRechtslage, was ich wirklich schändlich und unfass-bar finde, dass Zwangsausgesiedelte Null-Beschei-de ausgestellt bekommen und das nach den beste-henden Gesetzmäßigkeiten alles rechtens ist. Dasswir diese Fragen zusammen angehen, das habenwir eigentlich schon mehrmals besprochen, und lei-der muss ich immer wieder sagen, dass ich esdann sehr traurig und auch wirklich schändlich fin-de, wenn mit solchen Anträgen dann genau das,was eigentlich – dachte ich – auch zwischen dendemokratischen Fraktionen schon mal Konsenswar, wieder und offensichtlich im Zuge von Wahl-kampfgetöse und demnach auf dem Rücken dieserMenschen, die es verdient haben, die Antwortenund ihr Geld zu bekommen – dass das hier pas-siert. Das finde ich wirklich schlimm. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Marx:Die nächste Rednerin ist Abgeordnete Herold vonder Fraktion der AfD.

Abgeordnete Herold, AfD:Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, liebe Besucher aufder Tribüne und Zuschauer im Netz, wir als AfD-Fraktion begrüßen die Initiative der CDU, für dieVerwendung der sogenannten PMO-Mittel die Ver-gabebedingungen zu flexibilisieren. Es ist richtig,dass sich der Thüringer Landtag zur angemesse-nen Verwendung dieser durch Unrecht in der DDRerworbenen Mittel verständigt. Natürlich muss sichdie CDU fragen lassen – bei reger Beteiligung –,warum dieser neuerliche Antrag gerade jetzt einge-bracht wird, wo mit Blick auf die Verteilung der imvergangenen Sommer eingegangenen Mittel – im-merhin über 32 Millionen Euro – im Grunde dieMessen bereits gesungen sind, wie aus der Antwortder Landesregierung auf eine Kleine Anfrage vonHerrn Walk, Drucksache 6/6591, hervorgeht.

Insoweit ist es erst mal ein Nachhutgefecht. Abersollen zukünftig erneut PMO-Mittel zur Verfügungstehen, kann man ja deren Verwendung verbes-sern. Diskutieren schadet ohnehin nicht, wie wir javorhin bei dem Beitrag über den Nachtragshaushaltgesehen haben, wo es zunächst hieß, es ist allesgesagt und wir müssen gar nicht diskutieren, unddann wurde sich eine Stunde lang ganz herzlich ge-fetzt.

(Beifall AfD)

Das haben wir hier auch schon getan, nach derVerwendung der PMO-Mittel gefragt, als wir näm-lich vor über einem Jahr über die Problematik de-battiert haben. Damals hatte sich die CDU aller-dings für einen ganz anderen Vorschlag starkge-macht, nämlich mit den Geldern an der Uni Jena ei-ne Stiftungsprofessur zur wissenschaftlichen Erfor-schung des DDR-Grenzregimes und deren Auswir-kungen auf die Grenzregionen einzurichten. Dasollte das Geld wieder kleinen Expertenzirkeln zu-gutekommen, anstatt es, wie von uns gefordert, ei-ner möglichst breit wirkenden Verwendung zuzufüh-ren. Von Ihrer merkwürdigen Professuridee hat dieCDU – Gott sei Dank – jetzt Abstand genommen.Wir begrüßen diesen Sinneswandel ausdrücklich.

(Beifall AfD)

Wir begrüßen ihn umso mehr, als wir die schon voreinem Jahr diskutierte Flexibilisierung der Mittelver-wendung ebenfalls wollen. Das hat die AfD seiner-zeit 2018 mit einem Alternativantrag zum Ausdruckgebracht.

Nun hat der Landtag damals mit der rot-rot-grünenMehrheit in seiner 110. Sitzung nicht den CDU-An-trag und auch nicht unseren viel besseren Alterna-tivantrag angenommen, sondern einen rot-rot-grü-nen, der inhaltlich sogar deutlich enger gefasst warals die Anträge der Opposition. Offenkundig will dieCDU mit ihrem neuerlichen Antrag den seinerzeitgefassten Beschluss inhaltlich ausweiten. Vor allemsollen die PMO-Mittel für die Aufarbeitung des SBZ-bzw. DDR-Unrechts und für die Unterstützung vonOpfern der DDR-Diktatur eingesetzt werden kön-nen. Dem kann man nur zustimmen.

(Beifall AfD)

Angesichts des Umstands, dass noch immer be-stimmte Gruppen von Opfern der SED-Diktaturnicht anerkannt sind, dass viele Menschen immernoch auf eine angemessene Entschädigung wartenoder infolge mangelnder rechtlicher Bestimmungenoder verwaltungstechnischer Hürden leer ausge-hen, ist die Idee sinnvoll, Gelder, die sich die Dikta-turpartei und ihre Satellitenorganisationen in derDDR angeeignet haben, echten Opfern zugutekom-men zu lassen. Dass man dazu einen Härtefall-fonds einrichten könnte, scheint mir persönlich indie richtige Richtung zu gehen, wobei ich die Beset-zung eines solchen Gremiums sehr kritisch und mitBedacht vornehmen würde.

Die Befürwortung des Ansinnens, Teile der PMO-Mittel DDR-Opfern zukommen zu lassen, darf unsaber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dabeiletzten Endes nur um eine Notlösung ginge, um ei-ne Notlösung zugunsten von Opfern der DDR-Dik-tatur, deren oft bedrängende Lebenssituation durch

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12209

(Abg. Mitteldorf)

ein eben noch immer unzureichendes Entschädi-gungsrecht mitbedingt ist. Im Rechtsstaat wäre esnur gerecht zu fordern, dass hier endlich klare undangemessene Lösungen erreicht werden. Dazubraucht man allerdings mehr als Härtefallfonds undNotmaßnahmen.

Wir können hier also zusammenfassen, erstens:Die bisherigen Verwendungsbedingungen der Ver-waltungsvereinbarung, die die Vergabe der PMO-Mittel regelt, sind zu eng gefasst und haben einenheute nicht mehr angemessenen Schwerpunkt.Zweitens sollte die Verwendung der Mittel flexiblergestaltet werden. Das ist eine sinnvolle Forderung,die Landesregierung sollte sich hierfür einsetzen.Dass die PMO-Mittel – drittens – neben der Aufar-beitung der SBZ- aka DDR-Historie vor allem auchDDR-Opfern zugutekommen sollen, ist ebenfalls zubefürworten. Im Übrigen ist es für uns – viertens –weiterhin wichtig, dass jene Mittel darüber hinausheute so eingesetzt werden, dass ihre Verwendungeine möglichst breite wirtschaftliche Wirkung zu-gunsten Thüringens entfalten könnte.

(Beifall AfD)

Ein weiteres Feld, auf dem ich persönlich auch gernMittel aus diesem Fonds eingesetzt sehen würde,ist die rückhaltlose, vorurteilsfreie und unerschro-ckene Aufklärung des Schicksals der zwangsadop-tierten Kinder in der DDR. Ich würde mich sehrfreuen, wenn sich seitens der Landesregierung imzukünftigen Haushalt dafür ein Titel finden würde.Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

Vizepräsidentin Marx:Als nächste Rednerin erhält Abgeordnete Rothe-Beinlich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünendas Wort.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, liebe interessierte Gäste, meine KolleginFrau Pelke hat es schon gesagt, Frau Mitteldorfauch noch einmal: Man könnte meinen, der Antragkommt aus der Rubrik „alle Jahre wieder“, wenndas Thema nur nicht so ernst wäre. Denn wenn wirauf das Datum des Antrags der CDU schauen, stel-len wir fest – Frau Pelke hat darauf verwiesen –,dass genau auf den Tag ein Jahr zuvor am 17. Ja-nuar 2018 der Ursprungsantrag der CDU in derDrucksachennummer 6/4944 eingereicht wordenist. Frau Pelke hat auch schon aufgezeigt, welchenGang die Debatte damals genommen hat. Aber

auch ich kann Ihnen nicht ersparen, noch einmaldarauf zu verweisen.

Was mich allerdings wirklich wurmt, Herr Wirkner,ist, dass das, was Sie hier vorgetragen haben, tat-sächlich nichts, und zwar gar nichts mit Ihrem An-trag zu tun hat. Das ist in gewisser Weise schade,weil es gar nicht unbedingt falsch war, sondern weildas tatsächlich Punkte sind, zu denen wir gern insGespräch kommen können. Nur leider finden siesich nicht im Antrag. Da kann man jetzt auch nichtsimulieren, dass man, wenn man diesem Antragzustimmen würde, plötzlich auch diese Punkte, dieSie hier mündlich vorgetragen haben, quasi mitge-kauft hätte, denn sie finden sich darin einfach nichtwieder. Wir müssen uns schlichtweg an das halten,was uns vorliegt.

Zu den Zahlen, die in Ihrem Antrag unter Punkt Iabgefragt werden, reicht es in der Tat, die KleineAnfrage von Herrn Walk zu lesen, Drucksa-che 6/6591. Da kann ich auch nur sagen, dieseAufgabe ist erledigt, weil damit schon schriftlich al-len in die Postfächer gegangen oder ab jetzt elek-tronisch, wir haben ja ein neues Verfahren.

Der Punkt II ist nicht nur längst hier an dieser Stellebeschlossen worden, sondern die Landesregierungarbeitet auch intensiv daran – ich will noch einmaldaran erinnern. Da gibt es nämlich zum einen dieEntschließung des Bundesrats – Frau Pelke hat da-rauf verwiesen. Ich habe sie auch noch mal ausge-druckt, ich würde sie Herrn Wirkner gern auchschenken, Drucksache 316/1/18, die unter derÜberschrift „Entschließung des Bundesrates zurVerbesserung der sozialen Lage anerkannter poli-tisch Verfolgter durch Novellierung der SED-Un-rechtsbereinigungsgesetze“ gefasst wurde. DieserAntrag – das gehört auch zur Ehrlichkeit dazu unddas finde ich auch wichtig – wurde damals von denLändern Brandenburg, Berlin und Thüringen ge-stellt und von der Länderkammer – übrigens unterder Leitung von unserem Ministerpräsidenten BodoRamelow – am 5. Oktober 2018 einstimmig be-schlossen. Das ist ein echter Erfolg, dafür bin ichauch unserer Landesregierung und ebenfalls denLändern, die diese Antragstellung mit unterstützthaben, sehr dankbar.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Welche Frage wir uns allerdings in der Tat stellenmüssen, lieber Herr Wirkner, ist, warum auf Ebenedes Bundestags und der Bundesregierung seitdem– ich muss es so hart sagen – nichts passiert ist.Diese Frage richte ich ganz dezidiert tatsächlich andie CDU-Fraktion. Sie haben sich dem Thema lei-der auf Bundesebene konsequent verweigert. Die

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(Abg. Herold)

SED-Unrechtsbereinigungsgesetze hätten längstentfristet und novelliert werden können. Das hingund hängt an Ihnen. Schön, dass Sie es von derThüringer Union jetzt auch fordern. Sorgen Siedoch bei ihren Kolleginnen und Kollegen im Bun-destag dafür, dass jetzt die Umsetzung gelingt, da-mit die Hilfe, die Sie zu Recht einfordern, auchkommen kann! Denn dort klemmt es, nicht hier beiunseren Regierungsfraktionen, auch nicht bei unse-rer Landesregierung, sondern ich wiederhole esnoch mal, auch wenn Sie es nicht so gern hören:Es hängt bei Ihren Leuten im Bund.

Was mit den Mitteln aus dem früheren Vermögender Parteien und Massenorganisationen der ehe-maligen DDR, die im letzten Jahr nach langwierigenGerichtsverfahren zur Verfügung standen, nämlichden rund 30 Millionen Euro, passieren soll, wofürsie verwendet werden sollen, dazu haben wir unshier im Landtag auch längst verständigt. Für uns giltweiterhin – ich zitiere –: „Die Aufarbeitung der SED-Diktatur in all ihren Facetten ist weder überflüssig,noch rückwärtsgewandt. Aufarbeitung ist fester Be-standteil der demokratischen Kultur von morgen,sie bleibt ein fester Bestandteil des täglichen Wir-kens von Landtag und Landesregierung im Frei-staat Thüringen. Der Landtag ist sich seiner hierausergebenden besonderen Verantwortung bewusst.“Das haben wir hier im Landtag beschlossen, leiderhaben Sie von der CDU damals nicht zugestimmt.

Weiter haben wir klare Ziele für die Verwendungder PMO-Mittel definiert. So hieß es im Beschluss,den Einsatz von Mitteln für Investitionen in dieModernisierung der im Freistaat existierenden Erin-nerungs- und Gedenkorte als Stätten der Bildung,Aufklärung und wissenschaftlicher Aufarbeitungund dabei insbesondere für die drei ehemaligen Be-zirksdienststellen des Ministeriums für Staatssicher-heit, Andreasstraße Erfurt, Amthordurchgang Geraund Suhl, als authentische Orte und – jetzt hörenSie mir gut zu, lieber Herr Wirkner – für die Errich-tung eines Fonds für soziale Härtefälle und bishernicht berücksichtigte Gruppen von Opfern desSED-Unrechts vorzusehen. Klar war für uns auch,dass bei der Vergabe der Mittel aus dem PMO-Ver-mögen die Fachöffentlichkeit als Expertise mit ein-bezogen werden soll.

All das ist hier beschlossen worden. Wir haben da-rüber im Landtag am 22. Februar letzten Jahresdiskutiert. Nachzulesen ist das alles in den Plenar-protokollen – es war die 110. Sitzung – auf den Sei-ten 96 bis 106. Sie finden dort unter anderem dieWortmeldungen von Herrn Wirkner, von HerrnDr. Pidde, von unserer Finanzministerin Frau Tau-bert und auch von mir. Bitte lesen Sie dort nach,denn dort ist eigentlich wirklich alles Wesentliche zu

dem Thema „PMO“ und dazu, wie die Mittel ver-wendet werden sollen, gesagt worden.

Frau Ministerin Taubert hat in dieser Sitzung aberauch die Rahmenbedingungen erläutert, in denenwir uns bei der Verwendung der PMO-Mittel zu be-wegen haben, nämlich genau die Verwaltungsver-einbarung zwischen der Bundesanstalt für vereini-gungsbedingte Sonderaufgaben und den Ländernvon 1994 bzw. 2008. Und dieser Rahmen ist sehreng. Das Geld ist für investive und investitionsför-dernde Maßnahmen der öffentlichen Hand, für wirt-schaftliche, soziale und kulturelle Zwecke auszuge-ben. Eine Änderung der Rahmenbedingungenmuss herbeigeführt werden, da sind wir eigentlichganz bei Ihnen, aber bisher ist das ganz offensicht-lich – hören Sie mir zu – an der CDU gescheitert,denn Sie stellten bis zu den letzten Wahlen imBund und hier im Land immer die zuständigen Fi-nanzminister und Finanzministerinnen. Sie hättendas, wie gesagt, längst erledigen können. Was aberhaben Sie getan? Nichts, lieber Herr Wirkner.

Ich bin mir sicher, dass unsere Landesregierung aneiner Änderung der Verwaltungsvereinbarung arbei-tet, dafür braucht es aber auch den Willen der an-deren Partner, allen voran der Bundesebene. Unddass sie das tut, dass sie arbeitet, das kann mannachlesen. Nehmen Sie sich zum Beispiel den drit-ten Bericht der Landesregierung zu ihren Aktivitä-ten auf dem Gebiet der Aufarbeitung der SED-Dik-tatur in Thüringen für den Zeitraum März 2017 bisFebruar 2018, dort das Kapitel 8 mit den Zielset-zungen 2018/2019, da steht es ganz genauso drin.Sie hätten es auch einfach nur nachlesen können,haben Sie aber offenbar nicht.

Die Idee, einen Fonds einzurichten, um schnelleund unbürokratische Hilfe für soziale Härtefälle undbisher nicht berücksichtigte Gruppen von Opfernder SED-Diktatur leisten zu können, ist eine sehrgute. Die begrüße ich ausdrücklich, aber sie standauch genauso in dem von uns verabschiedeten An-trag.

Ich nehme jetzt zur Kenntnis: Auch die CDU istlernfähig und bereit, sich zu bewegen, fordern Siedoch genau das, was wir hier im letzten Jahr schonbeschlossen haben. Vor einem Jahr – ich muss esnoch mal sagen – hatten Sie sich leider bei der Ab-stimmung zu dem Antrag enthalten. Ich hoffe, IhrUmdenken liegt nicht nur an den bevorstehendenWahlen. Die AfD hatte den Antrag abgelehnt, siewollte keine Hilfe für soziale Härtefälle und für Op-fer der SED-Diktatur. Interessant, was nun heutehier zu hören war. Das kann man bewerten, wieman möchte. Frau Ministerin Taubert hatte im letz-ten Jahr zu dem Antrag der Union gesagt: „Es ist

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12211

(Abg. Rothe-Beinlich)

ein reiner Show-Antrag“ – Plenarprotokoll Sei-te 104.

Hinsichtlich des aktuell diskutierten Antrags seheich leider keinen anderen Antrag vorliegen als so-zusagen eine Zweitauflage oder einen Zweitauf-guss. Wie erwähnt, für den Punkt I hätte die KleineAnfrage Ihres Kollegen Walk völlig ausgereicht, diePunkte II bis IV sind längst erledigt oder mindes-tens längst hier beschlossen. Daher komme ich zudem einzig möglichen Schluss an dieser Stelle:Wenn wir den vielen Opfern der SED-Diktatur mitihren individuellen Schicksalen gar nicht helfen,denn das hätten wir längst tun können, dann müs-sen wir uns zusammentun und auf Bundesebeneein Umdenken erreichen. Sie einfach nur zu benut-zen – und das heißt in diesem Kontext hier, in ei-nem Antrag –, das finde ich leider einfach nur schä-big.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb lehnen Sie bitte diesen Antrag mit mir ab.Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Marx:Weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abge-ordneten sehe ich nicht. Ich erteile der Finanzminis-terin Frau Taubert das Wort.

Taubert, Finanzministerin:Herzlichen Dank! Sehr geehrte Frau Präsidentin,meine Damen und Herren, es ist schon vieles dazugesagt worden. Ich will mal mit der Ursache begin-nen, warum wir überhaupt PMO-Mittel bekommen –ich beziehe mich auch nur auf die rechtliche Frage.

Am 21. Februar 1990 hat der amtierende Vorsitzen-de des Staatsrats der Deutschen DemokratischenRepublik Folgendes unterzeichnet: ein Gesetz,nämlich das Parteiengesetz (DDR), welches aufBasis schon westdeutscher Grundlage geschlossenworden ist. Da steht in § 20b, auf der ja am Endedie Vereinbarung mit der BvS beruht: „Die treuhän-derische Verwaltung wird von der Bundesanstalt fürvereinigungsbedingte Sonderaufgaben oder derenRechtsnachfolger wahrgenommen. Diese führt dasVermögen an die früher Berechtigten oder derenRechtsnachfolger zurück. Soweit dies nicht möglichist, ist das Vermögen zugunsten gemeinnützigerZwecke, insbesondere der wirtschaftlichen Um-strukturierung, in dem in Artikel 3 des Einigungsver-trages genannten Gebiet zu verwenden.“ Danngeht das weiter. Das ist also die Grundlage.

Dieses Gesetz müssten wir ändern, hätte die Kohl-Regierung schon ändern können, hätten andereRegierungen schon ändern können, ist nie geän-dert worden, weil natürlich viele auch ein Interessedaran haben, dass genau das passiert, was in demParteiengesetz steht. Ich kann es mir auch nichtverkneifen: Natürlich gibt es auch genügend Kolle-ginnen und Kollegen aus der Fraktion der CDU, dienatürlich scharf darauf sind, dass ihre Region ausPMO-Mitteln abbekommt. Das ist alles nicht zu be-anstanden, gar keine Frage. Und – auch das willich dazu sagen – das Geld kann nur einmal ausge-geben werden. Wer sich ein bisschen mit den Son-derfonds der Bundesregierung – zum Beispiel fürHeimkinder – beschäftigt, der weiß, da werden grö-ßere Summen bewegt. Das ist nicht ganz klein,auch für Ostdeutschland nicht ganz klein gewesen.Wenn man in die Entschädigung geht – und da gibtes sehr vielfältige Wünsche –, sind zum einen dieVertriebenen angesprochen worden, zum anderensind auch die Kinder angesprochen worden, die ad-optiert worden sind. Es gibt eine breite Palette. Dakommen dann auch die Schüler dazu, die nicht dasAbitur machen oder nicht studieren durften, also ei-ne ganz breite Palette. Dann muss man da auchschon richtig Geld in die Hand nehmen, wenn mandas tun will. Das kann Thüringen selbst nicht tun.

Wir haben natürlich versucht – das ist auch hierschon angesprochen worden – aufgrund der Bera-tung und Beschlussfassung im Februar 2018, dasswir Veränderungen in der Mittelverwendung hinbe-kommen können. Ich kann aus eigenem Erlebensagen: Es ist nicht ganz so einfach, auch mit denanderen ostdeutschen Bundesländern zunächsteinmal zu einer Einigung zu kommen. Natürlichkönnen wir Ihnen den Wunsch erfüllen, wir stelleneine Bundesratsinitiative und dann sitzen wir alleinda. Das sind eben unsere Stimmen, die das be-schlossen haben. Besser ist es, man findet, wennman im Bundesrat erfolgreich sein möchte, andereBundesländer, die mit uns gemeinsam so eine Ini-tiative auf den Weg bringen, denn sonst ist die vonAnfang an zum Scheitern verurteilt. Ich kann sagen,dass auch der Ministerpräsident viele Runden dafürgenutzt hat, um genau das hinzubekommen, näm-lich dass man diese Mittel auch anderweitig einset-zen kann.

Nun ist es so, dass dieses Gesetz bisher nicht ge-ändert worden ist. Es müsste aber geändert wer-den, wenn man etwas erreichen wollte. Wir werdenweiter daran arbeiten – das ist gar nicht die Fra-ge –, aber die BvS selbst bezieht sich auf diesenPassus im Gesetz und die Vereinbarung, die am14. Februar 1994 das erste Mal geschlossen wur-de, nämlich wie das Geld zu verwenden ist – HerrWirkner hat noch mal auf die prozentualen Zahlen

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(Abg. Rothe-Beinlich)

hingewiesen. Insofern ist auch das die Basis für dieVerteilung des Geldes.

Ich will auch sagen, weil der Antrag vom Februar2018 angesprochen wurde, dass wir natürlich sehrintensiv im Auge gehabt haben, wie wir den einzel-nen Institutionen, die sich entweder an der Grenzebefinden oder auch Aufarbeitung betreiben, helfenkönnen. Im Übrigen muss ich sagen, weil auch hierbestimmte Aufarbeitungen angesprochen wordensind: Natürlich ist aus diesen PMO-Mitteln, also ausden wieder hervorgeholten Mitteln, zum Beispielauch die Stiftung Aufarbeitung mit unterstützt wor-den. Das ist quasi vorabgezogen, bevor die Bun-desländer dann die Vereinbarung und die entspre-chenden Zuweisungen in den vergangenen Jahrenbekommen haben. Es ist nicht so, dass an der Stel-le nie etwas passiert ist. Auch die Kleinen Anfra-gen, die wir schon beantwortet haben, was in derVergangenheit mit dem Geld passiert ist, zeigensehr deutlich, dass jede vergangene Landesregie-rung – auch unsere Landesregierung wird das sotun – natürlich darauf geschaut hat, dass auch dieGedenkstätten in angemessener Weise mit bedachtworden sind. Wir haben eine Antragstellung von98 Millionen Euro, können das natürlich nur partiellauch befrieden, weil wir natürlich zum einen in demBereich Kultur/Soziales und zum anderen in demBereich Wirtschaft/Kommune – den müssen wirauch noch mit bedenken – eine große Antragstel-lerbreite haben. Das heißt, wir können nicht einfachdie Maßnahmen verschieben.

Aber ich will noch mal sagen, dass Gedenkstättenauch in dieser Tranche bedacht werden, zum Bei-spiel die Gedenkstätte Andreasstraße, natürlichauch Point Alpha, die Grenzanlagen und dasGrenzmuseum, auch beim Grünen Band, Leuten-berg und natürlich auch die Aufarbeitung der Ge-schichte auf der Leuchtenburg. Wir haben die Mittelzunächst – sage ich mal – theoretisch geteilt undhaben sie dann mit den einzelnen Ministerien undden vorliegenden Anträgen entsprechend beratenund dann auch zugeteilt. Ob am Ende dann dieseMaßnahmen umgesetzt werden können, liegt natür-lich zumeist an den Antragstellern. Wir habenschon auch versucht, darauf zu schauen. Sie wis-sen, in der Vergangenheit hatten wir nur eine ganzkurze Frist, diese Mittel auszugeben.

Dass Sie nicht wissen, dass die Landesregierungetwas tut, liegt daran, dass Sie mich noch nie ge-fragt haben, was wir da machen, bzw. nicht dasnachgelesen haben, was wir hier schon gesagt ha-ben. Wir sind schon seit Oktober 2017 in einem en-gen Gespräch mit der BvS zu der Frage, wie wirVeränderungen hinbekommen können. Außer dasswir eine längere Verwendungszeit bekommen ha-

ben, ist da mit der BvS bisher nichts möglich gewe-sen. Und wenn denn noch eine letzte Tranche oderzwei letzte Tranchen in den nächsten Jahren aus-gezahlt werden können, dann handelt es sichschon lange nicht mehr um das eigentliche Vermö-gen.

Was wir jetzt an finanziellen Mitteln bekommen ha-ben, sind Entschädigungszahlungen von Banken,die damals das Geld bekommen und keine Aus-kunft gegeben haben, wo es denn hingeflossen ist.Also wir sind schon ein ganzes Stück weiter, essind schließlich 30 Jahre vergangen. Aber wenndann noch einmal eine Tranche übrig ist, dann istes so – möchte ich sagen –, dann müssen sich dieParteien im Bund schon einig werden und da mussauch mal ein Antrag gestellt werden, dass es dannmöglich ist, diesen Paragrafen im Gesetz noch ein-mal zu verändern, aufzubohren. Das hat aber na-türlich auch wieder eine andere Dimension. WennSie nämlich für bestimmte Opfergruppen einen Här-tefallfonds machen, ist es alles gut und schön.Dann müssen Sie aber, weil begrenztes Geld da ist,auch sagen: Wie gehe ich dann damit um? Bei demHeimkinderfonds haben wir gesagt: Jeder bekommtsoundso viel, wenn er einen Antrag stellt und dasnachweist, und der Fonds war nach oben nichtganz begrenzt. Auch das muss man bedenken,wenn man so etwas tut – in welcher Form man dastut und welche Gruppen dann auch zu allererst undam nötigsten eine Entschädigung bekommen soll-ten.

Ich muss ganz ehrlich sagen – und das sage ichauch im Interesse derer, die Opfer sind –: Wir soll-ten den Opfern nicht zu viel Hoffnung auf Geld ma-chen, wenn wir am Ende nicht in der Lage sind,auch die Grundlagen dafür zu schaffen, dass esdann auch möglich ist, Gelder zu zahlen. Denn dasist, glaube ich, das eigentlich Schwierige. Sie hat-ten gerade die Zwangsausgesiedelten mehrfach imGespräch und es ist gut beschrieben worden, wiedas ist, auch mit der Opfergruppe zu sprechen. Ichweiß noch sehr gut, wie sich die damalige Minister-präsidentin Frau Lieberknecht sehr intensiv darumbemüht hat. Ich will das mal nicht freundlich sagen:Die ist in Berlin einfach abgetropft. Nichts ist pas-siert.

Deswegen sollten wir da sehr realistisch rangehenund den Leuten nicht mehr Hoffnung machen, alswir machen können. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12213

(Ministerin Taubert)

Vizepräsidentin Marx:Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht – doch. HerrKollege Wirkner, bitte.

Abgeordneter Wirkner, CDU:Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, ich möchte hier noch einmal klarstellen: Esgeht bei dem Antrag nur darum, dass die Verwal-tungsvorschrift für die PMO-Mittel geändert werdenmuss. Diese Bundesratsinitiative, die Sie mir über-geben haben, Frau Rothe-Beinlich, bezieht sicheben nicht grundsätzlich auf die Änderung der Ver-waltungsvorschrift. Ich möchte Ihnen, Frau Taubert,als Ministerin ausdrücklich dafür danken, dass Sieim Anschluss der Debatte so sachlich dazu beige-tragen haben, das Thema noch einmal zu erklären.Ich freue mich, dass Sie das so sachlich getan ha-ben, das ist dieser Debatte eigentlich auch gezollt.Ich würde mich freuen, wenn wir weniger beherztmit diesen Dingen emotional umgehen oder unsden Vorwurf machen, dass wir das als Wahlkampf-thema nutzen.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Jetzt ist abergut!)

Das ist schon gar nicht mein Ansinnen, das könnenSie mir glauben. Es geht um die Sache und wennes um die PMO-Mittel geht, dann sollten wir alle aneinem Strang ziehen. Fakt ist eins: Im Februar2018 haben Sie unseren Antrag nicht mitgetragen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Sie unseren auch nicht!)

Es geht auch heute noch mal darum, in Erinnerungzu bringen und noch mal den Antrag zu stellen,dass diese Verwaltungsvorschrift geändert werdensollte und muss, vorausgesetzt, dass es weitere fi-nanzielle Zuwendungen an die Länder gibt. Das istdas Ansinnen und ich möchte mich ausschließlichbei Ihnen, Frau Ministerin Taubert, für die sachlicheDarstellung bedanken.

Vizepräsidentin Marx:Gibt es weitere Wortmeldungen? Frau Mitteldorf.

Abgeordnete Mitteldorf, DIE LINKE:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren! Lieber Herr Wirkner, ich zitiereaus Ihrem Antrag, das steht unter Nummer II: „DieLandesregierung wird aufgefordert, mittels einerentsprechenden Bundesratsinitiative darauf hinzu-wirken, dass angesichts der vielfach sozial prekä-ren Situation vieler in der Sowjetischen Besat-zungszone (SBZ) und in der DDR politisch Verfolg-

ter insbesondere denjenigen wirksamer geholfenwird, die sich weiterhin verfolgungsbedingt in einerschwierigen Lebenslage befinden und bisher nichtoder nur ungenügend unterstützt werden.“

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Genau das ist im Bundes-rat beschlossen worden!)

Ich verweise nochmals darauf: Das ist das, woraufsich Ihr Antrag bezieht. Und da gibt es die Bundes-ratsdrucksache 316/18.

Vizepräsidentin Marx:Herr Ministerpräsident?

(Zuruf Ramelow, Ministerpräsident: Nein!)

Nicht? Gut. Das war nur der Hinweis auf die Wort-meldung, die ich nicht gleich gesehen hatte. Dannsehe ich jetzt keine Wortmeldungen mehr.

Es wurde keine Ausschussüberweisung beantragtund wir stimmen deswegen direkt über den Antragder Fraktion der CDU in der Drucksache 6/6657 ab.Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitteich um das Handzeichen. Das sind die Mitgliederder CDU-Fraktion und die Abgeordnete Herold.Wer stimmt gegen diesen Antrag? Das sind die Ab-geordneten der Koalitionsfraktionen. Wer enthältsich? Das sind die Fraktion der AfD und der frak-tionslose Abgeordnete Rietschel. Der Antrag ist da-mit mehrheitlich abgelehnt und ich schließe diesenTagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 18

Approbationen und Zulassun-gen für ausländische Ärzteund Anerkennung der Berufs-qualifikation für ausländischesPflegepersonal in ThüringenAntrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/6685 -

Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Be-gründung? Das ist der Fall. Bitte schön, Frau Meiß-ner.

Abgeordnete Meißner, CDU:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnetenkollegen, am 17. Ja-nuar berichtete die „Thüringer Allgemeine“ von ei-nem Fall, und zwar von einem Arzt aus Serbien,der an der Geriatrischen Fachklinik „Georgenhaus“in Meiningen zum Jahreswechsel eine Stelle alsAssistenzarzt übernehmen sollte. Das Warten aufdie Berufserlaubnis zögerte sich über Wochen hinund er erhielt letztendlich im Februar einen Prü-

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fungstermin, zwei Monate nach dem eigentlich ge-planten Beginn seiner Tätigkeit. Das Ergebnis kön-nen wir uns alle denken, denn er konnte die Stellenicht antreten und ist inzwischen in seine Heimatzurückgekehrt.

Das ist leider kein Einzelfall. Ich denke, viele vonIhnen kennen die Klagen aus ihren Wahlkreisen.Denn Hintergrund ist, dass die Kenntnis- undSprachprüfungen in Thüringen viel zu schleppenderfolgen. Beschwerden kommen aus Krankenhäu-sern, kommen von den Kassen, den Pflegediens-ten, von den Kommunen oder oft von den betroffe-nen Ärzten oder deren Kollegen selbst. Mittlerweilegibt es hier im Landtag auch eine Petition dazu, diewurde im November eingereicht. Das Quorum derUnterzeichner von 1.500 wurde auch schon er-reicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Tatsacheist: Medizinisches Fachpersonal wird in Thüringenhänderingend gesucht. Das betrifft im Übrigen auchdie Pflegebranche. Um dieses Problem zu lösen,brauchen wir Unterstützung bzw. medizinischesPersonal auch aus anderen Ländern. Natürlichmüssen die Fachkenntnisse durch staatliche Stel-len anerkannt und geprüft werden. Die Anforderun-gen an die Fach- und Sprachkenntnisse sind ent-sprechend hoch. Aber wir müssen uns fragen, war-um in Thüringen diese Begutachtung so schlep-pend läuft und uns andere Bundesländer da voraussind.

Deswegen haben wir hier diesen Antrag einge-reicht, um diese Fragen zu klären. Was sind dieGründe für die oftmals schleppende Bearbeitung?Wo liegen in Thüringen die Schwachstellen im Sys-tem? Die Zahlen und Fakten dazu müssen auf denTisch. Sie sehen in unserem Antrag, den wir am23. Januar dieses Jahres eingebracht haben, wounserer Meinung nach der Schuh drücken könnte.Wir wollen sehen, was wir verbessern können,denn wir wollen die Zulassungsverfahren von Ärz-ten bzw. die Anerkennungsverfahren von Pflege-personal beschleunigen und entbürokratisieren.

Denn das Ziel für uns alle ist klar: Den Ärzte- undFachkräftemangel in Thüringer Krankenhäusernund Arztpraxen müssen wir zum Wohle aller Pati-entinnen und Patienten bekämpfen. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Marx:Vielen Dank. Die Landesregierung hat angekündigt,von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäߧ 106 Abs. 2 der Geschäftsordnung Gebrauch zumachen. Frau Ministerin Werner.

Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesund-heit, Frauen und Familie:Danke schön. Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehrgeehrte Damen und Herren Abgeordnete, in denletzten Wochen und Monaten haben wir uns imThüringer Landtag hier im Plenum und auch imFachausschuss mehrfach zu den Themen derFachkräftesicherung und des Ärztemangels ausge-tauscht, Anhörungen durchgeführt und daraus na-türlich auch Schlussfolgerungen abgeleitet. Ich hat-te gegenüber den Fachpolitikerinnen und Fachpoli-tikern des Landtags bereits in der 45. Sitzung desAusschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheiteinen Bericht über die Situation der Anerkennungs-verfahren abgegeben.

Zum Antrag der Fraktion der CDU, den wir heutezur Beratung vorliegen haben, darf ich zunächst ei-nige grundsätzliche Ausführungen zum besserenVerständnis abgeben. Die mit dem Vollzug der An-erkennung von einer im Ausland absolvierten Aus-bildung in einem akademischen Heilberuf oder ineinem Gesundheitsfachberuf beauftragte zuständi-ge Behörde/Approbationsbehörde ist das ThüringerLandesverwaltungsamt. Die für die Anerkennungmaßgeblichen bundesgesetzlichen Regelungen fin-den sich in den einschlägigen Ausbildungsge-setzen, so auch in der Bundesärzteordnung und imGesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde. DasVerfahren der Anerkennung wird vom Bundesge-setzgeber in Umsetzung der EU-Berufsanerken-nungsrichtlinie genau vorgegeben. Der Vollzug derAnerkennungsverfahren ist eine sehr verantwor-tungsvolle Aufgabe, die die exakte Kenntnis derbundesrechtlichen Regelungen und aufgrund derVielfältigkeit der Aufgabe auch Erfahrung voraus-setzt. Daher treffen sich die jeweils zuständigen Be-hörden aller Bundesländer jetzt regelmäßig, umsich über Vollzugsfragen abzustimmen.

Zu den Punkten des Antrags möchte ich Sie gernim Einzelnen unterrichten. Weil der Antrag sehr de-tailliert die Bearbeitungsverfahren, Rechtsgrundla-gen und statistischen Daten umfasst, bitte ich umIhr Verständnis, dass ich bei dem sicher wichtigenThema etwas weiter ausholen und unterrichtenmuss.

Zu 1 a) bis c): Die für die ärztliche Approbation rele-vanten Rechtsgrundlagen sind die Bundesärzteord-nung, die Approbationsordnung für Ärzte sowie dieRichtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parla-ments und des Rates vom 7. September 2005 überdie Anerkennung von Berufsqualifikationen. Wenndie ärztliche Ausbildung nicht in Deutschland, abereinem Mitgliedstaat der EU, des Europäischen Wirt-schaftsraums oder der Schweiz abgeschlossenworden ist, wird ein entsprechender Ausbildungs-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12215

(Abg. Meißner)

nachweis nach den Vorschriften der Richtli-nie 2005/36/EG in der Regel automatisch aner-kannt.

Weist der Antragsteller zwar eine ärztliche Ausbil-dung vor, die er in einem EU- oder EWR-Mitglieds-staat oder in der Schweiz absolviert hat, liegt aberkein Fall der automatischen Anerkennung nach § 1Abs. 1 Satz 2 oder § 14 b der Bundesärzteordnungvor, richtet sich der Anspruch auf Erteilung der Ap-probation nach § 3 Abs. 2 Bundesärzteordnung.Danach ist die Approbation zu erteilen, wenn dieGleichwertigkeit des Ausbildungsstands gegebenist. Wesentliche Unterschiede zwischen der auslän-dischen und der deutschen ärztlichen Berufsqualifi-kation können durch Kenntnisse und Fähigkeitenausgeglichen werden, die der Antragsteller im Rah-men seiner ärztlichen Berufspraxis oder durch le-benslanges Lernen erworben hat, sofern die durchlebenslanges Lernen erworbenen Kenntnisse undFähigkeiten von einer in dem jeweiligen Staat zu-ständigen Stelle formal als gültig anerkannt wurden.Liegen wesentliche Unterschiede vor, muss der An-tragsteller durch Ablegen einer Eignungsprüfungnachweisen, dass er über diese Kenntnisse undFähigkeiten verfügt, die zur Ausübung des Berufsdes Arztes erforderlich sind. Die Eignungsprüfungbezieht sich auf die festgestellten wesentlichen Un-terschiede.

Das vorgenannte Verfahren gilt auch für Antragstel-ler, die über einen Ausbildungsnachweis als Arztverfügen, der in einem Staat außerhalb der EU, desEWR oder der Schweiz, einem sogenannten Dritt-staat, ausgestellt wurde und den ein anderer EU-oder EWR-Mitgliedsstaat oder die Schweiz aner-kannt hat. Wurde die ausländische Ausbildung ineinem sogenannten Drittstaat erworben, ist die Ap-probation nach § 3 Abs. 3 Bundesärzteordnungdann zu erteilen, wenn die Gleichwertigkeit desAusbildungsstands gegeben ist. Sofern die Gleich-wertigkeit des Ausbildungsstands nicht gegeben ist,können wesentliche Unterschiede ganz oder teil-weise durch Kenntnisse und Fähigkeiten ausgegli-chen werden, die die Antragsteller im Rahmen ihrerärztlichen Berufspraxis oder durch lebenslangesLernen erworben haben, wobei durch lebenslangesLernen erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten nurdann als Ausgleich wesentlicher Unterschiede he-rangezogen werden können, wenn diese von einerdafür in dem jeweiligen Staat zuständigen Stelleformal als gültig anerkannt wurden.

Sofern ein Ausgleich wesentlicher Unterschiedenicht durch ärztliche Berufspraxis oder mit durch le-benslanges Lernen erworbenen Kenntnissen undFähigkeiten erfolgen kann, können die Antragstellerden Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und

Fähigkeiten durch das Ablegen einer Kenntnisprü-fung erbringen. Im Vergleich zur Eignungsprüfungbezieht sich die Kenntnisprüfung auf den Inhalt derstaatlichen Abschlussprüfung.

Neben einer abgeschlossenen Ausbildung zum Arztsind weitere Voraussetzungen für die Erteilung ei-ner Approbation zu erfüllen. Dazu gehören nach § 3Abs. 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung die Würdig-keit und Zuverlässigkeit, die gesundheitliche Eig-nung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 und die für die Berufstä-tigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschenSprache.

Hinsichtlich der Überprüfung der Sprachkenntnissehat der Bundesgesetzgeber keine Regelung getrof-fen, wie diese zu überprüfen sind. Aufgrund beste-hender Probleme im Zusammenhang mit denSprachkenntnissen der ausländischen Ärzte hat dieGesundheitsministerkonferenz daher in ihrer89. Sitzung im Jahr 2014 Eckpunkte zur Überprü-fung der für die Berufsausübung erforderlichenDeutschkenntnisse in den akademischen Heilberu-fen beschlossen. Mit der Durchführung der Fach-sprachenprüfung wurde die LandesärztekammerThüringen durch Verwaltungsvereinbarung zwi-schen dem Landesverwaltungsamt und der Lan-desärztekammer beauftragt. Weitere Einzelheitenführe ich zu Ziffer 1 h) aus.

Zu 1 d): Die Erlaubnis zum Führen der Berufsbe-zeichnungen Altenpfleger, Gesundheits- und Kran-kenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegersowie Pflegehelfer wird in den Rechtsgrundlagendes Altenpflegegesetzes, des Krankenpflegege-setzes sowie des Pflegehelfergesetzes geregelt.

Zu 1 e): Diese Frage der Anzahl der Entscheidun-gen steht im Zusammenhang mit dem Tenor vonZiffer 1 i) zur Nichtbestehensquote und der Zif-fer 1 t) zur Anzahl der erteilten Approbationen die-ses Antrags. Daher werde ich bei den beiden ge-nannten Ziffern dazu ausführen.

Zu 1 f): Sie bitten unter Ziffer 1 f) um Unterrichtungüber die Zusammensetzung der Prüfungskommis-sionen. Gern gebe ich Ihnen dazu Auskunft: DieZusammensetzung der Prüfungskommission für dieKenntnisprüfung nach § 3 Abs. 3 Bundesärzteord-nung ist in § 37 Abs. 4 Approbationsordnung fürÄrzte geregelt. Nach § 37 Abs. 3 Satz 3 der Appro-bationsordnung für Ärzte besteht die Prüfungskom-mission aus einem Vorsitzenden und zwei weiterenMitgliedern. Nach § 37 Abs. 3 Satz 4 Approbations-ordnung für Ärzte werden als Vorsitzende Professo-ren und als Mitglieder Professoren oder andereLehrkräfte der Fächer, die Gegenstand der Prüfungsind, bestellt. Nach § 37 Abs. 3 Satz 6 können alsMitglieder der Prüfungskommission auch dem Lehr-

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(Ministerin Werner)

körper einer Universität nicht angehörige Fachärztebestellt werden.

Bis zum Ende des Jahres 2016 wurden die Kennt-nisprüfungen von bei den akademischen Lehrkran-kenhäusern gebildeten Prüfungskommissionen ab-genommen. Aufgrund bestehender Bearbeitungs-rückstände, die sich auch auf die Durchführung derKenntnisprüfungen ausgewirkt haben, wurde derFSU Jena in gemeinsamer Abstimmung zwischenmeinem Haus, dem Landesverwaltungsamt und derFSU Jena die Durchführung der Kenntnisprüfungenübertragen. Mit der Übertragung der Durchführungder Kenntnisprüfungen wurden auch die entspre-chenden Modalitäten geändert und an die gesetzli-chen Vorgaben angepasst. Die Anpassung bezogsich dabei sowohl auf den Inhalt der Kenntnisprü-fung – also die Ausgestaltung als mündlich-prakti-sche Prüfung – als auch auf die Zusammensetzungder Prüfungskommission.

Aufgrund des bundesgesetzlich geregelten Niveausder Kenntnisprüfung auf dem Niveau des Staats-examens wurde festgelegt, dass die Prüfungskom-mission in Anlehnung an die Besetzung der Prü-fungskommission für die mündlich-praktische Prü-fung im Staatsexamen so sicherzustellen ist, dassder Vorsitzende dem Lehrkörper einer Hochschule– das heißt der FSU Jena – angehört. Als weitereMitglieder der Prüfungskommission werden Fach-ärzte der Fächer bestellt, die Gegenstand der Prü-fung sind. Dies sind in der Regel Fachärzte aus denLehrkrankenhäusern der FSU Jena.

Sie fragen dann zur Zahnheilkunde: Die Zusam-mensetzung der Prüfungskommission für dieKenntnisprüfung nach § 2 Abs. 3 Zahnheilkundege-setz ist gesetzlich nicht geregelt, da dies mit der ge-planten umfassenden Novellierung der Approbati-onsordnung des Bundes für Zahnärzte erfolgensollte, dies bislang aber noch nicht erfolgt ist. Daherwerden in Thüringen die Prüfungskommissionenimmer noch nach den am 01.01.2003 in Kraft getre-tenen Verfahrensgrundsätzen zur Ermittlung derGleichwertigkeit des zahnärztlichen Ausbildungs-stands besetzt. Danach besteht eine Prüfungskom-mission aus Hochschulprofessoren und praktizie-renden Zahnärzten. Neben dem Vorsitzenden ge-hören der Prüfungskommission drei Mitglieder an,die auf Vorschlag der LandeszahnärztekammerThüringen und des Landesverwaltungsamts beru-fen werden.

Zur Zusammensetzung der Kenntnisprüfung fürApotheker: Dies ist in der Bundes-Apothekerord-nung und in § 22d Abs. 4 Approbationsordnung fürApotheker geregelt. Danach besteht die Prüfungs-kommission aus einem Vorsitzenden und mindes-tens zwei, höchstens vier weiteren Mitgliedern.

Nach § 22d Abs. 4 Satz 5 Approbationsordnungwerden als Vorsitzender und weitere Mitglieder Pro-fessoren oder andere Lehrkräfte der Fächer, dieGegenstand der Prüfung sind, bestellt. Als Mitglie-der der Prüfungskommission können auch demLehrkörper einer Universität nicht angehörendeApotheker bestellt werden. Wie bei den Ärzten ent-spricht die Besetzung der Prüfungskommissionenfür die Kenntnisprüfung auch bei den Apothekern inThüringen der Besetzung der Prüfungskommissio-nen für das Staatsexamen. Das bedeutet, die Prü-fungskommissionen sind mit einem Vorsitzenden,der Professor oder Lehrkraft einer Universität ist,besetzt und mit zwei Mitgliedern, die nicht unbe-dingt dem Lehrkörper der Universität angehörenmüssen.

Ich möchte nun auf die möglichen Ursachen dernicht bestandenen Prüfungen eingehen. Die Kennt-nisprüfung bezieht sich auf die Fächer Innere Medi-zin und Chirurgie mit Fragestellungen zu den er-gänzenden Aspekten Notfallmedizin, bildgebendeVerfahren, klinische Pharmakologie, Strahlenschutzund Rechtsfragen der ärztlichen Berufsausübung.Zusätzlich kann die zuständige Behörde im Vorfeldder Prüfung ein Fach oder einen Querschnittsbe-reich als prüfungsrelevant festlegen, in dem sie we-sentliche Unterschiede zwischen der ärztlichenAusbildung in Deutschland und der Ausbildung desAntragsstellers festgestellt hat. Die Kenntnisprüfungist eine mündlich-praktische Prüfung mit Patienten-vorstellung und dauert zwischen 60 und 90 Minu-ten. Die Kenntnisprüfung wird in deutscher Spracheabgelegt.

Dies vorausgeschickt sind nach Mitteilung des Thü-ringer Landesverwaltungsamts die Gründe für dasNichtbestehen der Kenntnisprüfung überwiegendmangelnde Fachkenntnisse, aber auch ungenügen-de Sprachkenntnisse der ausländischen Ärzte. DieErteilung der Approbation setzt nach § 3 Abs. 1Nr. 5 der Bundesärzteordnung voraus, dass derausländische Arzt über die für die Berufsausübungerforderlichen Kenntnisse der deutschen Spracheverfügt. Wie der Nachweis zu erbringen ist, ist ge-setzlich nicht geregelt. Somit kann auch nicht expli-zit von unbestandenen Sprachprüfungen die Redesein – das bezieht sich auf 1 h) des Antrags.

In der Vergangenheit ließen sich die zuständigenBehörden und Stellen der Länder im Zweifelsfall alsNachweis ausreichender Sprachkenntnisse vonden Antragstellern in der Regel ein Sprachzertifikatvorlegen, das Kenntnisse des Sprachniveaus B2nach dem gemeinsamen europäischen Referenz-rahmen bescheinigte. Die Sprachniveaustufe B2bedeutet, dass die betreffende Person zur selbst-ständigen Sprachanwendung in der Lage ist. Sie

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12217

(Ministerin Werner)

kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkre-ten und abstrakten Themen verstehen und sich imeigenen Spezialgebiet auch an Fachdiskussionenbeteiligen. Die betreffende Person kann sich sospontan und fließend verständigen, dass ein nor-males Gespräch mit Muttersprachlern ohne größereAnstrengung auf beiden Seiten gut verständlichmöglich ist. Auch zu einem breiten Themenspek-trum kann sich die Person klar und detailliert aus-drücken, einen Standpunkt zu einer aktuellen Frageerläutern und die Vor- und Nachteile verschiedenerMöglichkeiten angeben.

In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die inso-weit von Sprachinstituten angebotenen allgemein-sprachlichen Zertifikate und Diplome für die Über-prüfung der für die Berufsausübung erforderlichenSprachkenntnisse nicht geeignet sind. Die Gesund-heitsministerkonferenz hat daher in der 89. GMK imJuni 2014 – wie vorhin schon gesagt – die Eck-punkte zur Überprüfung der für die Berufsausübungerforderlichen Deutschkenntnisse in den akademi-schen Heilberufen beschlossen. Danach umfasstdie Fremdsprachenprüfung, die mindestens 60 Mi-nuten dauert, ein simuliertes Arzt-Patienten-Ge-spräch über 20 Minuten, das Anfertigen eines in derärztlichen Berufsausübung üblicherweise vorkom-menden Schriftstücks, zum Beispiel eines Kurzarzt-briefs, von 20 Minuten und ein Gespräch mit demapprobierten Arzt über 20 Minuten zum Nachweisder sprachlichen Anforderungen in Bezug auf dieZusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegenoder im Team.

Mit Blick auf eine bundeseinheitliche Verfahrens-weise erfolgt die Durchführung der Fachsprachen-prüfung in fast allen Ländern außer im Saarlandund in Hessen durch die Landesärztekammer. InThüringen führt die Landesärztekammer die Fach-sprachenprüfung seit Januar 2018 durch. Nach Mit-teilung der Landesärztekammer liegt die Durchfall-quote bei 40 Prozent und damit im Rahmen derbundesdurchschnittlichen Durchfallquote von44 Prozent. Gründe für das Nichtbestehen derFachsprachenprüfung sind nicht ausreichende Fä-higkeiten, die bei der Verständigung im Rahmendes Arzt-Patienten-Gesprächs, im Rahmen derKommunikation mit anderen Berufskollegen oderbei der Anfertigung des in der ärztlichen Berufsaus-übung vorkommenden Schriftstücks erforderlichsind.

Zu Frage 1 i): Die Frage nach der Nichtbestehens-quote Ihres Antrags wird so interpretiert, dass damitdie Durchfallquote bei den Kenntnisprüfungen ge-meint ist. Die Möglichkeit zur Teilnahme an einerKenntnisprüfung zum Ausgleich festgestellter Defi-zite im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung ist mit

dem Gesetz zur Verbesserung der Feststellung undAnerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifi-kationen, das zum 1. April 2012 in Kraft getreten ist,eingeführt worden. In Thüringen werden die Kennt-nisprüfungen seit 2013 durchgeführt. Insoweit kön-nen nur die Nichtbestehensquoten ab demJahr 2013 vorgetragen werden. Die Nichtbeste-hensquote lag im Jahr 2013 bei 12,5 Prozent, imJahr 2014 bei 12,2 Prozent, im Jahr 2015 bei15,1 Prozent, im Jahr 2016 bei 15,4 Prozent, imJahr 2017 bei 24,03 Prozent und im Jahr 2018 bei34,35 Prozent.

Zu 1 k): In Thüringen finden für die Pflegeberufekeine Sprachprüfungen statt, sodass es aufgrundeiner nicht bestandenen Sprachprüfung keine Ab-lehnung geben kann. Ein B2-Zertifikat eines aner-kannten Instituts muss allerdings vorliegen.

Zu den Fragen 1 j) und 1 l): Aufgrund der Datenla-ge kann ich für die Landesregierung nur die Datender letzten drei Jahre mitteilen. 2016 gab es 34 An-erkennungen, sechs nach Kenntnis- bzw. Eig-nungsprüfung, drei nach Anpassungslehrgang,24 Direktanerkennungen, eine endgültig nicht be-standen. 2017 gab es 50 Anerkennungen, zwölfnach Kenntnis- bzw. Eignungsprüfung, drei nachAnpassungslehrgang, 33 Direktanerkennungen,zwei endgültig nicht bestanden. 2018 gab es39 Anerkennungen, neun nach Kenntnis- bzw. Eig-nungsprüfung, acht nach Anpassungslehrgang,21 Direktanerkennungen, eine endgültig nicht be-standen.

Die Gründe der Nichtanerkennung ausländischerBerufsqualifikationen für Medizin- und Pflegeperso-nal sind vielfältig. Die Anerkennung der ausländi-schen ärztlichen Qualifikation setzt eine Gleichwer-tigkeit der im Ausland erworbenen ärztlichen Quali-fikation mit der deutschen ärztlichen Ausbildungvoraus. Diese wird anhand der erforderlichen Un-terlagen durch die zuständige Behörde geprüft, wieich Ihnen bereits berichtet habe. Von der zuständi-gen Behörde festgestellte wesentliche Defizite zwi-schen der ausländischen und der deutschen ärztli-chen Berufsqualifikation können durch das erfolg-reiche Ablegen einer Kenntnisprüfung oder durchden Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeitenausgeglichen werden. Dies vorausgeschickt sinddie Gründe für eine Nichtanerkennung einer aus-ländischen ärztlichen Berufsqualifikation sehr unter-schiedlich. Sie sind darin begründet, dass seitensder Antragsteller erforderliche Unterlagen nicht vor-gelegt werden konnten bzw. nicht vorgelegt wur-den, die Echtheit von vorgelegten Unterlagen nichtbestätigt werden konnte, keine abgeschlosseneärztliche Berufsausbildung im Sinne der Bundes-ärzteordnung nachgewiesen wurde oder der An-

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(Ministerin Werner)

tragsteller die wiederholte Kenntnisprüfung zumAusgleich von festgestellten wesentlichen Unter-schieden nicht erfolgreich bestanden hat.

Gründe für das endgültige Nichtbestehen der ent-sprechenden Maßnahme für Pflegepersonal sindbei Nichtvorliegen eines deutschen Referenzberufssowie bei Nichtechtheit der Ausbildungsunterlagennach Prüfung durch die Zentralstelle für ausländi-sche Bildung gegeben.

Zu Frage 1 n): Wie viele ausländische Fachkräfte,also Ärzte und Pflegepersonal, Deutschland in denletzten zehn Jahren ohne einen Prüfungsterminverlassen mussten, wird nach Mitteilung des für dasAnerkennungsverfahren zuständigen ThüringerLandesverwaltungsamts nicht erfasst, sodass unsdazu keine Daten vorliegen.

Zur Frage 1 o): Nach Mitteilung der Landesärzte-kammer Thüringen sind aktuell, mit Stand vom29.01.2019, 1.658 ausländische Ärzte in Thüringentätig. Die Zahl der ausländischen Ärzte ist in Thürin-gen von 2005 bis 2016 stark angestiegen. Das be-deutet, die Anzahl der ausländischen Ärzte ist von2005 mit 361 ausländischen Ärzten auf 1.657 aus-ländische Ärzte im Jahr 2016 gestiegen. Seit 2016hat sich die Anzahl der ausländischen Ärzte auf einfast konstantes Niveau eingependelt. Im Jahr 2016sind 1.657 und zum 29.01.2019 1.658 ausländischeÄrzte verzeichnet worden.

Zur Anzahl des ausländischen Pflegepersonals,welches in Thüringen tätig ist, liegen der Landesre-gierung keine Informationen vor. Die Träger der sta-tionären Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pfle-gedienste haben hierzu keine Mitteilungspflicht.

Zu 1 p): Wie bereits zu Ziffer 1 o) dargestellt, istauch die Anzahl der ausländischen Pflegehelferin-nen und Pflegehelfer, welche in Thüringen tätigsind, nicht bekannt, weil die Träger der stationärenPflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegediens-te hierzu keine Mitteilungspflicht haben.

Zu 1 q): Gründe, weshalb für medizinisches undpflegendes Fachpersonal aus Nicht-EU-Staaten Vi-sa verwehrt worden sein könnten, sind der Landes-regierung nicht bekannt. Die Erteilung eines Visumserfolgt durch die Auslandsvertretungen. Der Lan-desregierung liegen hierzu keine Kenntnisse vor.

Zu Frage 1 r): Der Landesregierung liegt es amHerzen, sowohl gutes medizinisches Personal alsauch Pflegepersonal nach Thüringen zu bekommenund hier zu halten. Wir wären dankbar, wenn dieVerfahren schneller zum Abschluss kommen unddiese zum Einsatz in Thüringen zur Verfügung stün-den. Sowohl die Erteilung der Approbation als auchdas als Voraussetzung für die Erteilung einer Ap-

probation für ausländische Ärzte durchzuführendeAnerkennungsverfahren sind bundesrechtlich gere-gelt. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben sind die-se Verfahren auch standardisiert.

Zur Beschleunigung der Anerkennungsverfahrenfür ausländische Ärzte haben wir mit der Errichtungeiner länderübergreifenden Gutachtenstelle für Ge-sundheitsberufe bei der Zentralstelle für ausländi-sches Bildungswesen und der Übertragung derDurchführung der Kenntnisprüfungen auf dieFSU Jena bereits Maßnahmen ergriffen. Mit derÜbertragung der Kenntnisprüfungen auf dieFSU Jena konnte die Anzahl der Kenntnisprüfun-gen bereits erheblich erhöht werden. Dazu hat dieFSU Jena den Pool der potenziellen Prüfungsvor-sitzenden deutlich erweitert sowie für die Organisa-tion der Prüfungstermine notwendige Personalka-pazitäten geschaffen.

Mit Beschluss der 88. GMK vom 25. Juni 2015, der350. KMK vom 12. Juni 2015 und der FMK vom25. Juni 2015 wurde am 1. Januar 2016 zunächstfür den Zeitraum von drei Jahren beim KMK-Sekre-tariat/Zentralstelle für ausländisches Bildungswe-sen eine Gutachtenstelle für die Gesundheitsberufeerrichtet. Die Gutachtenstelle wird auch nach dendrei Jahren weiter von den Ländern unterhalten.Aufgabe der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufeist die Unterstützung der zuständigen Landesbehör-den im Verfahren zur Feststellung der Gleichwertig-keit im Ausland erworbener Berufsqualifikationenmit einem bundesrechtlich geregelten Gesundheits-beruf durch die Bearbeitung folgender Leistungsar-ten: Echtheitsprüfung der vorgelegten Dokumente,Bestimmung des deutschen Referenzberufs sowiedetailliertes Gutachten zur Gleichwertigkeit derAusbildungsnachweise unter Darstellung gegebe-nenfalls vorhandener wesentlicher Unterschiede.

Mit der Beauftragung der Gutachtenstelle für Ge-sundheitsberufe mit den vorgenannten Aufgaben,insbesondere mit der Gutachtenerstellung, werdendie zuständigen Stellen enorm entlastet, auch wenndiese aufgrund der langen Aufbauphase noch nichtin vollem Umfang arbeitet. Zu weiteren Überlegun-gen zur Verfahrensbeschleunigung werde ich unterZiffer 3 des Antrags im Zusammenhang mit demEntwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzesnoch berichten.

Zu 1 s): Für die Gleichwertigkeitsprüfung der imAusland abgeschlossenen ärztlichen Ausbildungauf der Grundlage der eingereichten Nachweisesieht der Gesetzgeber maximal vier Monate vor. Abder damit verbundenen Bescheidung einer Nicht-gleichwertigkeit unter Nennung der wesentlichenDefizite zur deutschen Ausbildung und dem Ange-bot einer Kenntnisprüfung hat die zuständige Be-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12219

(Ministerin Werner)

hörde dem Antragsteller innerhalb von sechs Mona-ten diese Kenntnisprüfung anzubieten. Für das Ver-fahren sieht der Gesetzgeber maximal zehn Mona-te vor. Das Thüringer Landesverwaltungsamt gibteine durchschnittliche Zeitdauer bis zur Kenntnis-prüfung von 1,5 Jahren an.

Zur Dauer der Anerkennungsverfahren gibt es eineLänderumfrage vom August 2018. Im Ergebnis derLänderumfrage beträgt die durchschnittliche Ver-fahrensdauer ab dem Vorliegen der vollständigenUnterlagen für ausländische Berufsabschlüsse auseinem anderem Mitgliedsstaat der EU, dem EWRoder der Schweiz eine Woche bis zu sechs Monate.Bei Berufsabschlüssen aus sogenannten Drittstaa-ten liegt die Verfahrensdauer für die Verfahren, indenen eine Kenntnisprüfung nicht erforderlich ist,bei sechs Monaten bis zu 2,5 Jahren. Bei Verfah-ren, in denen eine Kenntnisprüfung erforderlich ist,liegt die Verfahrensdauer je nach Anzahl der Kennt-nisprüfungen – es sind maximal zwei Wiederholun-gen möglich – bei sechs Monaten bis zu vier Jah-ren.

Die vorgenannten Zahlen machen deutlich, dassnicht nur Thüringen die gesetzlichen Fristen nichtzuletzt aufgrund der hohen Antragszahlen der letz-ten Jahre nicht einhalten kann. Insoweit kann auchdie Behauptung, dass durch die lange Dauer derAnerkennungsverfahren in Thüringen die ausländi-schen Ärzte in ein anderes Bundesland gehen unddort kurzfristig eine Anerkennung erhalten, nicht be-stätigt werden.

Eine Ländererhebung zur Dauer der Anerken-nungsverfahren für Pflegepersonal liegt der Lan-desregierung nicht vor.

Zu Frage 1 t): Es interessiert Sie, wie viele der An-träge auf Approbation und Zulassung ausländischerÄrzte in den letzten zehn Jahren positiv beschiedenwurden. Nach Mitteilung der zuständigen Stelle inThüringen, dem Landesverwaltungsamt, erfolgt ei-ne elektronische Erfassung der Antragsbearbeitungerst seit dem Jahr 2012. Daher können erst ab demJahr 2012 die erbetenen Daten mitgeteilt werden.

Im Einzelnen: Im Jahr 2012 wurden insgesamt550 Anträge auf Erteilung einer Approbation ge-stellt; erteilt wurden 241 Approbationen. ImJahr 2013 wurden insgesamt 285 Anträge auf Ertei-lung einer Approbation gestellt; erteilt wurden224 Approbationen. Im Jahr 2014 wurden insge-samt 281 Anträge gestellt; erteilt wurden 194 Ap-probationen. Im Jahr 2015 wurden insgesamt311 Anträge gestellt; erteilt wurden 165 Approbatio-nen. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 399 Anträgegestellt; erteilt wurden 225 Approbationen. Im Jahr2017 wurden insgesamt 999 Anträge gestellt; erteilt

wurden 160 Approbationen. Im Jahr 2018 wurdeninsgesamt 394 Anträge auf Erteilung einer Appro-bation gestellt; erteilt wurden 286 Approbationen.

Zu 1 u): Danach stellt sich die Situation für dieKranken- und Gesundheitspflege wie folgt dar:2008 27 bearbeitete Anträge, 18 Berufserlaubnisse;2009 20 bearbeitete Anträge, 11 Berufserlaubnisse;2010 21 bearbeitete Anträge, 13 Berufserlaubnisse;2011 20 bearbeitete Anträge, 7 Berufserlaubnisse;2012 29 bearbeitete Anträge, 16 Berufserlaubnisse;2013 29 bearbeitete Anträge, 12 Berufserlaubnisse;2014 27 bearbeitete Anträge, 10 Berufserlaubnisse;2015 66 bearbeitete Anträge, 35 Berufserlaubnisse;2016 48 bearbeitete Anträge, 34 Berufserlaubnisse.

Anschließend wurden Eingänge erfasst: 201750 Berufserlaubnisse und 110 Eingänge; 201839 Berufserlaubnisse und 134 Eingänge.

Zur Altenpflege: Zwischen 2008 und 2012 wurdenkeine Anträge eingereicht. 2013 wurde ein Antrageingereicht und eine Berufserlaubnis erteilt. 2014bis 2015 gab es keine Anträge; 2016 einen Antragund eine Berufserlaubniserteilung; 2017 zwei Anträ-ge, eine Berufserlaubnis und einen ablehnendenBescheid; 2018 fünf Anträge, drei erteilte Berufser-laubnisse.

Zu 2.: Zur Beschleunigung und Standardisierungdes Anerkennungsverfahrens habe ich bereits zuPunkt 1 r) ausgeführt, sodass ich zu Ziffer 2 desAntrags der CDU-Fraktion keine weiteren Ausfüh-rungen machen möchte.

In Ziffer 3 fordern Sie die Landesregierung auf, mit-tels einer Bundesratsinitiative dafür zu sorgen, dassBerufserlaubnisse deutschlandweit gültig sind undso bei einem Übertritt in ein anderes Bundeslandkein neues Verfahren notwendig wird. GestattenSie mir hier noch eine Präzisierung, da die Begriff-lichkeiten im Antrag teilweise etwas springen: DieErteilung einer Berufserlaubnis, also die Erlaubniszur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Be-rufs, ist sowohl zeitlich als auch örtlich beschränkt.Im Rahmen der Anerkennungsverfahren, also aufdem Weg zur Approbation, werden Berufserlaub-nisse in der Regel auch inhaltlich beschränkt, so-dass die Berufserlaubnisinhaber nicht eigenständigals Arzt arbeiten dürfen. Daher ist eine deutsch-landweite Anerkennung einer Berufserlaubnis nichtzielführend und auch nicht realisierbar. Eine Appro-bation als Arzt ist selbstverständlich in allen Bun-desländern anerkannt, ein neues Verfahren ist da-her nicht nötig; Gleiches gilt für die Pflegekräfte.

Ihnen ist sicher bekannt, dass ich grundsätzlich derAuffassung bin, dass es bundeseinheitliche Rege-lungen geben muss. Dass es diese für die Anerken-nungsverfahren gibt, hatte ich Ihnen schon zu Be-

12220 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Ministerin Werner)

ginn meiner Ausführungen erklärt. In Thüringen be-mühen wir uns gemeinsam mit dem Landesverwal-tungsamt darum, dass die Verfahren und Prozessebeschleunigt werden. Doch es muss auch klar ge-sagt werden, dass die Qualität in der medizinischenBetreuung und der ambulanten sowie stationärenPflege auf gutem Niveau gesichert ist und dass na-türlich das Patientenwohl immer an allererster Stel-le stehen muss.

Hinweisen möchte ich noch auf die Forderung des121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt an denBundesgesetzgeber, dass dieser regeln möge,dass alle Ärzte mit einer Drittstaatsqualifikation denNachweis der für den Arztberuf erforderlichenKenntnisse und Fähigkeiten durch erfolgreiches Ab-legen einer bundeseinheitlichen Prüfung analogdem Dritten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung erbrin-gen, und die Forderung des Ärztetages an die Bun-desländer, die Gutachtenstelle für Gesundheitsbe-rufe auszubauen und mit der Annahme und Be-scheidung von Anträgen auf Gleichwertigkeitsprü-fung im Rahmen von Anerkennungsverfahren zubeauftragen. Die Gutachtenstelle für Gesundheits-berufe solle so ausgebaut werden, dass sie alle An-träge auf Anerkennung ärztlicher Grundausbildungvollständig bearbeiten und fristgerecht bescheidenkönne. Insbesondere solle sie dabei die Echtheitder eingereichten Unterlagen prüfen – ich hatte da-zu bereits Ausführungen gemacht. Auch diese For-derungen werde ich in meine Überlegungen zur Be-schleunigung der Anerkennungsverfahren einbezie-hen.

In Ziffer 4 fordern Sie, dass die Landesregierung al-le Maßnahmen ergreifen soll, die notwendig sind,um die Approbation und Zulassung ausländischerÄrzte sowie damit einhergehende Prozesse zu be-schleunigen. Zu dieser Forderung verweise ich aufmeine Ausführungen zu Ihrer vorhergehenden For-derung in Ziffer 3.

Letztlich fordern Sie in Ziffer 5 des Antrags, alleMaßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, umdie Anerkennung der Qualifikation von ausländi-schem Pflegepersonal sowie damit einhergehendeProzesse zu beschleunigen. In der Vergangenheitgab es häufig Anfragen zu Bearbeitungsständenund Prozessen hinsichtlich des Anerkennungsver-fahrens von ausländischen Berufsabschlüssen inder Pflege. Das hat die Landesregierung zum An-lass genommen, um am 17. Januar in einem weite-ren gemeinsamen Gespräch zwischen der Staats-sekretärin Frau Feierabend und Herrn PräsidentenRoßner vom Thüringer Landesverwaltungsamt da-rüber zu sprechen. Herr Präsident Roßner hat indem Gespräch versichert, dass interne Änderungenvorgenommen wurden, welche die personelle Auf-

stellung und die strukturellen Abläufe im ThüringerLandesverwaltungsamt verbessern sollen. NachAussage des Thüringer Landesverwaltungsamts istim Rahmen der gesetzlichen Regelung die fristge-mäße Bearbeitung der Anträge möglich.

Ferner wird derzeit auf Bundesebene in der Arbeits-gruppe 4 der Konzertierten Aktion Pflege über wei-tere Beschleunigungs- und Verbesserungsmöglich-keiten der Anerkennungsverfahren von Abschlüs-sen in den Pflegeberufen diskutiert. Mein Ministe-rium ist an dieser Arbeitsgruppe beteiligt. Es gibterste Vorschläge wie zum Beispiel die Bereitstel-lung von Mustergutachten für Anerkennungsverfah-ren, die Einrichtung einer bundesweiten Datenbankusw., die allerdings noch im Diskussions- und Ab-stimmungsprozess sind. Nach der Zusammenfüh-rung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen ist mit ei-nem Maßnahmenpapier des Bundes und der Län-der sowie weiterer beteiligter Akteure voraussicht-lich im Sommer 2019 zu rechnen. Ich bedankemich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Marx:Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich frage, werwünscht die Beratung zum Sofortbericht zuNummer 1 des Antrags? Das sind die Fraktion DieLinke, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dieCDU-Fraktion, die AfD-Fraktion und die SPD-Frak-tion. Damit eröffne ich auf Verlangen der genanntenFraktionen die Beratung zum Sofortbericht zuNummer 1 des Antrags. Gleichzeitig eröffne ichauch die Aussprache zu den Nummern 2 bis 5 desAntrags. Als erstem Redner erteile ich dem Abge-ordneten Dr. Hartung von der SPD-Fraktion dasWort.

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,sehr geehrter Besucher, als Erstes vielen Dank fürden ausführlichen, um nicht zu sagen erschöpfen-den Bericht zu dieser Thematik. Vielen Dank auchan die Fraktion, die diesen Antrag eingebracht hat.Ich glaube, das ist tatsächlich ein Problem, demman sich widmen sollte. Ich will mal vorgreifen: Ichfreue mich, im Ausschuss dann darüber weiter re-den zu können, weil ich glaube, da gibt es tatsäch-lich hier und da Abläufe, die man verbessern kann,über die man reden kann. Das muss man einfachauch anerkennen.

Ich möchte aber trotzdem bei der Betrachtung die-ser Problematik noch mal einen Schritt zurückge-hen. Wenn ich höre – und die Gespräche führe

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12221

(Ministerin Werner)

auch ich –, dass die Approbation von ausländi-schen Ärzten, die bereits eingestellt sind oder Ein-stellungszusagen in Thüringer Kliniken haben, lan-ge dauert, dann ist das Ausdruck eines Problems.Das eigentliche Problem zeigt sich darin, dass mirdieselben Klinikdirektoren teilweise sagen, dass sieseit zwei, drei oder vier Jahren keine deutschen Be-werber mehr für Arztstellen hatten. Das ist das ei-gentliche Problem, dass wir es nicht schaffen, dieBerufsausübung in diesen betroffenen Krankenhäu-sern so attraktiv zu machen, dass auch deutscheÄrzte bereit sind, in diesen Regionen tätig zu wer-den. Das ist, glaube ich, nur eingeschränkt mit aus-ländischen Ärzten auffangbar. Ich glaube, das be-trifft nicht nur die Ärzte. Ich bin mir sicher, es betrifftauch die Pflegekräfte. Wir sollten vorsichtig sein.Wir können natürlich ausländische Ärzte, ausländi-sche Pflegekräfte hierherholen. Wenn wir aber et-was nicht an den Arbeitsbedingungen ändern, be-kommen wir nur einen Drehtüreffekt, dass wir dieAnerkennung zwar hier in Thüringen leisten, dasswir die Berufserlaubnisse, die Approbationen, dieTätigkeiten hier ermöglichen, aber am Ende, sobalddie bundesweite Anerkennung da ist, die Menschenda hingehen, wo sie mehr Geld verdienen oderbessere Arbeitsbedingungen haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Das Problem sind die Arbeitsbedingungen. DasProblem sind nicht lange währende Prüfungen,auch wenn das trotzdem problematisch ist, wenndas so lange dauert. Aber wir müssen uns die Ar-beitsbedingungen näher anschauen. Wir solltenuns die Frage stellen, warum für deutsche Absol-venten der frühere Traumberuf Mediziner gar nichtmehr so traumhaft ist, warum die frühere Tätigkeitin einem kleinen Krankenhaus – wo man das Hand-werk von der Pieke auf lernt, und zwar völlig egal inwelchem Fachbereich – offenkundig gar nicht mehrso attraktiv ist. Warum ist es nicht mehr so attraktiv,in einem kleinen Krankenhaus tätig zu sein, in demman sehr früh selbstständig viele Eingriffe, vieleBehandlungen machen kann? Das ist eine Frage,die ist, glaube ich, sehr intensiv zu erörtern. Da sindwir auch schon seit vielen Jahren dran. Ich glaube,das ist der Weg, wie wir das Grundproblem irgend-wann mal angehen.

Ich glaube, kurzfristig kann es eine Option sein,sich mit ausländischen Fachkräften zu behelfen.Aber das ist eine Thematik, bei der Gründlichkeitimmer vor Schnelligkeit geht. Ich höre immer: be-schleunigen, beschleunigen, beschleunigen. Dashöre ich mit einem zustimmenden Ohr – ja klar, wirbrauchen die Leute. Ich bin aber auch ein bisschenskeptisch. Ich erlebe es immer wieder, wenn ich –ich bin ja noch ein bisschen tätig – mit den Patien-

ten rede, die sich in dem Text, den Sie da zitiert ha-ben, darüber beklagen, dass die Anerkennung solange dauert. Die sehen das durchaus differenziert.Denen ist überwiegend egal, ob ein ausländischerArzt vor ihnen sitzt oder nicht, vorausgesetzt erspricht die Sprache so, dass sie das Vertrauensver-hältnis aufbauen können – das ist ganz wichtig. Ichmuss mich als Patient darauf verlassen können,dass der Arzt, dem ich gegenübersitze, das, wasich ihm erzähle, versteht, dass er das werten kann,dass er die richtigen Schlüsse zieht und dass er be-reit ist, sich darauf einzulassen.

Das geht dem deutschen Arzt nicht anders. In demMoment, in dem der Patient das Gefühl hat, derArzt widmet sich ihm nicht mit voller Aufmerksam-keit – der ist abgelenkt, der hat Stress, das Telefonklingelt noch fünfmal –, in diesem Moment ist auchdie Arzt-Patienten-Beziehung gestört, umso mehrwenn dann noch dazukommt, dass der Patient dasGefühl hat, der Arzt sollte sich doppelt darauf kon-zentrieren, dass er alles mitbekommt. Es ist auchschwierig, wenn der Patient das Gefühl hat, dasssich ärztliche Kollegen unterschiedlicher Herkunftgegebenenfalls untereinander nicht richtig verstän-digen können. Das ist auch ein Problem. Das istkein Vorwurf an die Kollegen. Wir müssen denenAngebote für eine angemessene Sprachausbildungmachen. Aber ich warne davor, im Sprachlevelniedrigere Ansprüche zu stellen, als es derzeit derFall ist.

Wir haben in Thüringen eine lange Tradition, hoheAnsprüche im Sprachlevel zu stellen – es sind ge-rade die Zahlen der Berufsanerkennung für 2013genannt worden. Das war, glaube ich, ein Antrag,eine Anerkennung. Ich bin damals 2013 vom „Ärz-teblatt“ angerufen worden zu der Frage, warum wirin Thüringen so ganz extrem strenge Sprachprüfun-gen haben, warum die Ärzte, die eigentlich hier inThüringen möglicherweise tätig sein möchten, inanderen Bundesländern ihre Sprachprüfung able-gen. Wir machen das schon immer so, dass wir hö-here Ansprüche an die sprachliche Ausbildung stel-len. Ich möchte eigentlich nicht davon abweichen.Ich glaube, das ist ganz wichtig. Wir tun nieman-dem – weder dem Arzt noch dem Patienten – etwasGutes, wenn er eventuell das Gefühl hat, sich nichtvollkommen mit dem Patienten verständigen zukönnen, nicht ordentlich verstanden zu werden.Das ist eine ganz wichtige Sache. Davon sollten wirnicht abweichen.

Was die fachliche Qualifikation angeht: Auch dabrauchen wir das Vertrauen der versorgten Patien-ten, dass da keine Abstriche gemacht werden. Ermuss sich verlassen können. Das ist eigentlich füralle beteiligten Seiten – für das Krankenhaus, für

12222 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Dr. Hartung)

den Arzt, für den Patienten – von existenzieller Be-deutung, dass er der Überzeugung ist: Egal, wervor ihm sitzt, welcher Arzt vor ihm sitzt, er hat das-selbe fachliche Niveau. Da können wir nicht runter-gehen. Da kann man das auch nicht ohne Proble-me beschleunigen und so tun, als wäre das im Prin-zip etwas wie einfach nur mal ein bisschen schnel-ler prüfen. Das Level muss erfüllt sein. Ich glaube,da sind wir mit 40 Prozent Durchfallquote nochnicht ganz da, wohin wir wollen. Ich finde es richtig,dass wir da ordentlich prüfen.

Einfach mal kurz Revue passieren lassen: Wir ma-chen es schneller, wir machen es etwas wenigergründlich, haben nur 20 Prozent Durchfallquote undhaben dann 20 Prozent Kollegen, die eventuell un-ter einer gründlicheren Maßgabe gar nicht hättentätig sein dürfen – und dann passiert etwas. Wermöchte derjenige sein, der dafür die Verantwortungübernimmt? Das sollten wir uns sehr genau überle-gen.

Aber ich möchte noch mal darauf hinaus, dass wirdarüber im Ausschuss reden sollten, weil es tat-sächlich Dinge gibt, bei denen wir Anpassungenvornehmen sollten. Ich gebe da jetzt auch ein Bei-spiel, damit das nicht so theoretisch klingt: Ein aus-ländischer Berufsanfänger, der zum Beispiel einenPflegeberuf erlernen möchte – er ist noch keinePflegekraft, er wird nicht selbstständig arbeiten –,muss am Beginn seiner Ausbildung das B2-Niveaunachweisen. Das ist eine Frage, über die sollten wirmal reden, ob es nicht reicht, wenn er beispielswei-se das B1-Niveau nachweist und den Rest im Rah-men seiner Ausbildung nachholt, einfach um dieMöglichkeiten zu öffnen, um die Ausbildungsmög-lichkeiten zu verbreitern und den Menschen dieMöglichkeit zu geben, in drei Jahren die Vervoll-kommnung auszubilden. Das wird auch unweiger-lich kommen, denn wenn er drei Jahre lang am Pa-tienten, am Gepflegten arbeitet, wird er sich am En-de besser verständigen können als vorher. Überdiese Anpassung sollten wir intensiv reden.

Wir sollten auch darüber reden, ob es vielleichtSinn macht, die Sprachkurse, die Sprachanerken-nung wesentlich zentraler zu bündeln als bisher.Der Flaschenhals, der zustande kommt durch vieleAnträge, die lange brauchen, hat unterschiedlicheGründe. Einer der Gründe ist beispielsweise, dassbundesweit vertretene Krankenhausbetreiber oderPflegeketten ihre Schäfchen in mehreren Bundes-ländern gleichzeitig anmelden. Das heißt, da, wosie zuerst zum Zug kommen, wird die Anerkennungdurchgeführt. Wenn sie anerkannt sind, können sieüberall arbeiten. Das ist ein Scheinhochsetzen derZahlen. Wir müssen schauen, dass man beispiels-weise auch bundesweit durchsetzt, dass man sich

nur in einem Bundesland anmelden kann, dass ei-ne Tätigkeitserlaubnis im Prinzip auch nur für die-ses Bundesland gilt. Da haben wir – glaube ich –noch einiges zu tun.

Deswegen freue ich mich auf die Beratung im Aus-schuss. Ich glaube, da können wir intensiv nachMöglichkeiten suchen, auf der einen Seite eine Be-schleunigung durchzuführen, auf der anderen Seitedie Qualität aber nicht runterzusetzen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Marx:Vielen Dank. Als nächste Rednerin erhält Frau Ab-geordnete Herold von der AfD-Fraktion das Wort.

Abgeordnete Herold, AfD:Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Kolle-gen Abgeordnete, liebe Besucher auf der Tribüneund Zuschauer im Netz, wir beurteilen den vorlie-genden Antrag der CDU-Fraktion aufgrund seinerSachlichkeit und vernunftbasierten Aussagen wohl-wollend. Nicht etwa weil der Antrag vortäuscht,dass die CDU pünktlich vor der Wahl im PolitikfeldGesundheit und Soziales aktiv wird, sondern weil erim Grunde eine alte AfD-Forderung nach einersorgfältigeren und unbürokratischeren Anerken-nung im Ausland erworbener Berufsqualifikationenim medizinischen Bereich aufgreift bzw. logisch anunseren Pflegefachkräfteantrag anschließt.

(Beifall AfD)

Dass es bei den Anerkennungsverfahren und Ap-probationen im Freistaat gegenwärtig Problemegibt, die Verfahren unübersichtlich gestaltet sindund es im zuständigen Landesverwaltungsamt zumNachteil der Thüringer Bürger nicht richtig vorwärts-geht, ist allen Fachpolitikern schon länger bekannt.Auf besagtes Problem haben wir im Rahmen unse-res Antrags „Dem Pflegenotstand entschlossen ent-gegenwirken! Freie Potenziale von Kranken- undAltenpflegern aus osteuropäischen Nicht-EU-Staa-ten für Thüringen gewinnen“ vom September ver-gangenen Jahres hingewiesen.

(Beifall AfD)

Das Problem ist, dass die Verfahren der Anerken-nung der jeweiligen Qualifikation von ausländi-schem Pflegepersonal aus Nicht-EU-Staaten nurschleppend verlaufen und viel zu lange dauern. Ei-ne Besserung wurde uns von Betroffenen bislangnicht mitgeteilt. Im Landesverwaltungsamt klemmtes an entscheidender Stelle, es fehlt an sächlichenund personellen Ressourcen zur Bewältigung die-ser für Thüringen so wichtigen Aufgabe.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12223

(Abg. Dr. Hartung)

Grundsätzlich also begrüßen wir das Anliegen einereffektiven Neuordnung der Anerkennungsverfahrenim Ausland erworbener Berufsqualifikationen. Da-mit wir uns hier nicht missverstehen: Grundsätzlichfänden wir es aus unserer Perspektive und nachden Erfahrungen des gesunden Menschenver-stands besser, wenn der fachliche Nachwuchs inThüringen in Gesundheitsberufen – Ärzte und Pfle-gepersonal – durch inländisches Potenzial, dasheißt, durch hier in Deutschland ausgebildete Fach-kräfte, abgedeckt werden könnte. Hierfür fehlen ak-tuell allerdings geeignete Bewerber in ausreichen-der Zahl und Güte, was unter anderem Folge derbevölkerungs- und bildungspolitischen Fehler vo-rangegangener Landesregierungen ist. Demzufolgeist der Wirtschafts- und Arbeitsstandort Thüringenheute auf eine gezielte und qualifizierte Zuwande-rung ausgewählter Fachkräfte mit kulturkompatiblenHintergründen und entsprechend hochwertigenSprachkenntnissen angewiesen.

Wir sind im Bewusstsein unserer Verantwortung ge-genüber den Thüringer Bürgern bereit, diesen Wegunter folgenden Bedingungen mitzugehen: Die ver-antwortlichen politischen Akteure setzen sich mitNachdruck und mit Einsatz aller möglichen Maß-nahmen dafür ein, den akuten Fachkräftebedarf inder Sozial- und Gesundheitsbranche vorrangig mitLandeskindern zu decken. Politische Weitsicht unddie Verzahnung von aktivierender Bevölkerungspo-litik und fordernder Bildungspolitik sind hier striktvonnöten. Solange jedes Jahr über 2.000 Ärzte inDeutschland ihre Heimat und ihre Universitäten ver-lassen, um in Österreich, in der Schweiz und ineuropäischen Nachbarländern zu arbeiten, läuft et-was gewaltig schief.

(Beifall AfD)

Diesem internationalen Verschiebebahnhof vondeutschen und osteuropäischen Fachkräften mussendlich Einhalt geboten werden.

Nicht verhandelbar sind für uns als AfD die Ansprü-che an Fachlichkeit und Qualifikationsniveau sowiedie Sprachkenntnisse ausländischer Ärzte und Pfle-gekräfte. Ein Unterschreiten der guten, hohen deut-schen Standards bei aller Notwendigkeit zur Be-schleunigung von Anerkennungsverfahren werdenwir nicht mitmachen. Denken wir beispielsweise nuran solche in den letzten Monaten in der Presse auf-getauchten Meldungen wie Fake-Zeugnisse zurPflege aus Bosnien – für 1.200 Euro erlangbar mitzwei, drei Wochen Voranmeldefrist – oder an diesemerkwürdige Installation einer Online-Universität inMalta, wo man unter Zahlung von 19.500 Euro Jah-resgebühr in 5.500 Stunden Online-Unterricht zumMediziner gemacht werden kann. Verschiedene kli-nische Praktika sollen das Angebot abrunden. Die-

se Online- – wie soll ich sagen? – Instant-Medizinermüssen dann in Deutschland die Approbation aner-kannt bekommen. Ich möchte als Patientin Trägernsolcher Ausbildungsprozesse nicht ausgesetzt sein.

(Beifall AfD)

In den Thüringer Kliniken arbeiten mittlerweile un-gefähr 25 Prozent ausländische Ärzte. Viele Klini-ken sind gar nicht mehr in der Lage, ihre Dienstplä-ne ohne diese zugewanderten Kollegen abzude-cken. Allerdings sind diese Einsatzpläne und derEinsatz von zugewanderten Kollegen nicht überallund immer Grund zur Freude, wie uns immer wie-der auftauchende Berichte über mangelnde Qualifi-kation, fehlende Zeugnisse und Verständigungspro-bleme vor Augen führen.

Eine nicht minder deutliche Absage erteilen wirauch allen Versuchen eines sogenannten Spur-wechsels als einer Möglichkeit für abgelehnte Asyl-bewerber mit Duldung, durch Berufstätigkeit denAbschiebeprozess aufzuhalten. Wir halten strikt amGrundsatz der Trennung von Asyl und Erwerbsmi-gration fest. Jeglichen Versuchen einer Aushöhlungder Ausreisepflicht bzw. einer Konversion einer Dul-dung in eine Aufenthaltserlaubnis treten wir wegender dringend gebotenen Rückkehr zu uneinge-schränkter Gültigkeit bestehender Gesetze ent-schieden entgegen.

(Beifall AfD)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antragder CDU-Fraktion enthält Stärken und Schwächen.In der Problembeschreibung ist er zutreffend, in sei-nen politischen Forderungen bleibt er allerdingsdeutlich hinter den Notwendigkeiten zurück. Esreicht längst nicht, die Landesregierung aufzufor-dern, sowohl auf Landesebene wie auch auf Bun-desebene geeignete Maßnahmen zur Beseitigungder bestehenden Defizite zu ergreifen. Der Antragverharrt in der Logik kleiner Schritte und kosmeti-scher Korrekturen, und dies in einem hochsensi-blen Bereich, wo doch gerade ein großer Politikent-wurf aus einem Guss notwendig wäre.

(Beifall AfD)

In der kritischen Gesamtschau und eingedenk derhier von mir vorgetragenen Bedenken, müssen wirunsere Zustimmung leider verweigern und stimmenmit Enthaltung. Vielen Dank.

Vizepräsidentin Marx:Als nächstem Redner erteile ich Abgeordneten Zip-pel von der CDU-Fraktion das Wort.

12224 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Herold)

Abgeordneter Zippel, CDU:Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr ge-ehrte Frau Präsidentin, ich bin froh, dass wir beidem Thema doch sehr sachlich gesprochen haben.Ich bin froh, dass wir alle erkannt haben, dass essich um ein wichtiges Thema handelt, an das wirohne Polemik zielorientiert herangehen sollten. Da-für erst einmal danke.

Danke auch an die Ministerin für den Sofortbericht,der inhaltlich erschöpfend war, aber nicht erschöp-fend. Da komme ich gleich zum Kollegen Hartung,den das offensichtlich mehr mitgenommen hat alsmich. Ich fand den Bericht sehr interessant undsehr ausführlich. Kollege Hartung, ich muss Ihnensagen: Sie haben ein Stückchen weit am Themavorbeigesprochen. Das war ein geschickter Drehvon Ihnen. Sie wollten natürlich ganz bewusst aufviele Aspekte unseres Antrags nicht eingehen, son-dern haben über die oftmals doch problematischenArbeitsbedingungen vor Ort gesprochen. Ich sagees ganz kurz, das war ein bisschen am Thema vor-bei. Aber natürlich haben Sie grundsätzlich erst ein-mal damit recht, dass wir natürlich auch dafür sor-gen müssen, dass die Arbeitsbedingungen im Frei-staat für alle im Gesundheitswesen Tätigen stim-men.

Dann noch zur dritten Vorrednerin, Frau Herold.Wenn Sie Ihre Reden beginnen – oder ich sagejetzt mal, das ist bei der AfD-Fraktion allgemein so– und Sie reden zum Antrag, den die CDU-Fraktionzum Beispiel eingereicht hat, erinnert mich das im-mer ein bisschen an die Geschichte vom Hasenund vom Igel. Sie sagen dann immer, Sie waren dieErsten. Und wenn wir uns an die Geschichte vomHasen und vom Igel erinnern, hat auch der Igel be-hauptet, er wäre der Erste im Rennen gewesen.Aber Sie erinnern sich daran: Er hat es nur behaup-tet, er hat geflunkert. Und jetzt erkennen Sie viel-leicht die Parallele an Ihrer Geschichte, auch Siewaren hier nicht die Ersten bei der Thematik.

(Beifall CDU)

Kommen wir aber auf den Antrag an sich zu spre-chen. Ohne Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland– und das gilt es, erst einmal grundsätzlich festzule-gen – werden wir in unseren Krankenhäusern kei-nen Schritt mehr vorankommen. Ohne Pflegekräftesowie Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland geht inunseren Krankenhäusern aktuell nichts mehr. Wennwir medizinische Versorgung in der jetzigen Qualitätsichern wollen, brauchen wir Fachwissen und dasEngagement von Ärzten und Pflegekräften aus an-deren Ländern. Das Problem, um das es heute vorallem gehen sollte, sind die Zulassungsverfahren,die sich teilweise über Monate hinziehen. Ich den-

ke, das ist auch aus der Debatte heraus klar gewor-den, dass das die Hauptintention unseres Antragswar. Die längste Wartezeit auf Berufserlaubnis isteineinhalb Jahre, und das mag, wenn wir den Ver-gleich mit anderen Ländern ziehen, vielleicht jetztnicht allzu spektakulär klingen. Aber versetzen wiruns in die Lebensrealität dieser Menschen, dannsind anderthalb Jahre ein Wahnsinn, den man die-sen Leuten einfach nicht zumuten kann. Das sindMenschen, die planen, hierher zu kommen, die wol-len hier Verantwortung übernehmen, das sind gebil-dete Menschen, die hier ihrem Beruf nachgehenwollen. Und wir schaffen es nicht, Bürokratie dochso weit zu vereinfachen, dass sie ihrer Berufung, ih-rem Beruf hier nachkommen können, sodass vielevon denen dann doch frustriert davonziehen.

(Beifall CDU)

Die Rückmeldung von Bewerbern und Personalver-mittlern zeigt, dass insbesondere Thüringen alssehr schwierig eingeschätzt wird. Das ist ein Punkt,den es einfach auszudiskutieren gilt. Deswegen ander Stelle vielleicht schon der Dank, denn ich freuemich auch auf die Debatte im Ausschuss.

Die langen Wartezeiten und hohen Antragshürdenbehindern eine schnelle Zulassung. Viele Bewerber– ich habe es bereits erwähnt – wandern entnervt inandere Bundesländer ab. Das ist ein Fakt, die Mi-nisterin hat es ja schon angedeutet. Auch wenn Siees ein bisschen relativiert haben, aber wir wissen,dass es so ist. Wir kennen das von vielen Leuten,die es betrifft, wir wissen es von vielen, die tagtäg-lich damit zu tun haben. Das ist die Krux, Thüringensteht hier in Konkurrenz zu anderen Bundeslän-dern. In vielen Bereichen nehmen wir doch auchbewusst den Konkurrenzkampf mit anderen Bun-desländern auf, suchen den ja sogar. Aber an die-ser Stelle sind wir doch deutlich ins Hintertreffengeraten, denn die schleppenden Zulassungen sindein deutlicher Wettbewerbsnachteil.

Wir haben schon vor Monaten das Gespräch mitdem Landesverwaltungsamt gesucht und die Situa-tion ist leider nicht besser geworden. Frau Ministe-rin, ich musste etwas schmunzeln, als Sie gesagthatten, Sie hatten mit der Spitze des Landesverwal-tungsamts gesprochen und es wurde Ihnen zuge-sagt, dass jetzt alles besser wird. Das scheint soein Stückchen weit die Methode der Hausleitung zusein, immer zu sagen, es wird alles besser und eskommt. Wie gesagt, wir haben schon vor vielen Mo-naten das Gespräch gehabt – ich glaube, es ist in-zwischen ein halbes bis Dreivierteljahr her – und esist nicht besser geworden. Ich hoffe, dass mit derAussage Ihnen gegenüber vielleicht noch ein biss-chen mehr Druck in die gesamte Geschichtekommt, ansonsten können wir uns gemeinschaftlich

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12225

an die Hand nehmen und uns gemeinsam freuen,dass wir die Zusage erhalten haben, das Problemaber weiterhin besteht.

(Beifall CDU)

Unser Antrag hat vor allem das Ziel, dieses Pro-blem noch mal grundsätzlich anzugehen – Sie sindja auch auf alle Aspekte dieses Antrags eingegan-gen –, denn wir haben ein bisschen das Gefühl,dass an manchen Stellen, ich will nicht sagen: dieHände in den Schoß gelegt werden, aber schon soein bisschen abgewartet wird, nach dem Motto, naja, wir warten mal ab, bis sich die Prozesse einbisschen eingespielt haben, wir warten mal ab, bisdie Zusagen vom Landesverwaltungsamt greifenusw. Ich habe da jetzt einfach die Geduld verloren,die CDU-Fraktion hat hier die Geduld verloren unddas geht so einfach nicht mehr weiter.

(Beifall CDU)

Aber um hier einem Missverständnis vorzubeugen:Wenn wir sagen, wir wollen Zulassungsverfahrenbeschleunigen, dann meinen wir nicht: Wir brau-chen dringend Ärzte, also drückt da mal ein Augezu. Dieses Missverständnis will ich hier auf gar kei-nen Fall aufkommen lassen. Nein, die fachlichenAnforderungen an Ärztinnen und Ärzte sind hoch,und das ist auch gut und richtig so. Die Frage derQualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübungist ein hohes Gut und die gilt es zu bewahren. Vorallem der Patientenschutz ist ein hohes und großesAnliegen der CDU-Fraktion und soll durch unserenAntrag in keiner Weise geschmälert werden. Es istauch richtig, gute Sprachkenntnisse einzufordern –natürlich, das würde nie jemand infrage stellen. EinArzt muss sich mit Patienten und Kollegen verstän-digen können. Alles andere wäre absolut fatal undwürde dem Thüringer und dem gesamten deut-schen Gesundheitssystem nicht guttun, würde dasVertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Ge-sundheitssystem schwächen. Das gilt es unter allenUmständen zu verhindern.

(Beifall CDU)

Sie haben zu Recht gesagt, dass die Landesärzte-kammer seit Januar 2018 für die Sprachtests zu-ständig ist. Das ist sicherlich ein wichtiger Schritt,der einiges verbessert hat. Laut dem „DeutschenÄrzteblatt“ ist es inzwischen so, dass dort drei Prü-fungskommissionen mit insgesamt zwölf Kandida-ten pro Woche tätig sind – Sie haben die Zahlenauch noch mal genannt.

Ich will vielleicht eine andere Zahl nennen, die auchnoch mal zeigt, dass dort natürlich intensiv gearbei-tet wird. So ist der Rekordhalter unter den Prüfernauf sage und schreibe 69 Prüfungen gekommen –

Stand November 2018 –, eine immense Leistung.An dieser Stelle muss man diesen Prüferinnen undPrüfern auch einfach mal danken, denn sie machendas wohlgemerkt ehrenamtlich, also sie sind außer-halb ihrer eigentlichen Arbeitszeit für die Ärztekam-mer dort tätig. Also vielen Dank für dieses großeEngagement.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Eine Zahl, die Sie genannt haben, möchte ich auchnoch mal betonen: Zur Wahrheit gehört auch dazu,dass viele Bewerber – eben 40 Prozent – an denSprachtests scheitern. Aber diese Wiederholungen,die notwendig sind – und das Recht auf Wiederho-lungen besteht –, binden auch zusätzliche Kapazi-täten. Und hier stellt sich die Frage – abseits des-sen, wie ich es schon gesagt habe –, dass dieSprache wichtig ist: Gibt es in Thüringen überhauptausreichend Kurse, in denen sich Ärzte auf denSprachtest „Patientenkommunikation – Niveau B2“vorbereiten können? Das ist, denke ich, eine wichti-ge Frage, die wir mal im Ausschuss diskutierensollten, denn nach meinen Informationen ist eingroßer Anbieter für fachspezifische Sprachkurse fürÄrzte aus Thüringen abgewandert. Die Freiburg In-ternational Academy hat diese Kurse am StandortJena in Zusammenarbeit mit der Landesärztekam-mer angeboten. Die Academy hat sich jetzt ausThüringen zurückgezogen, weil das Zulassungsver-fahren zu kompliziert ist und ihr immer wieder Stei-ne in den Weg gelegt wurden.

Sicherlich gehören zu solchen Berichten immerzwei Seiten und sicherlich muss man sich da auchdas gesamte komplexe Verfahren anschauen, aberein Quäntchen Wahrheit wird doch daran sein. Alsomüssen wir uns anschauen, wie wir verhindern kön-nen, dass wir es in diesem Bereich unnötig kompli-ziert machen und die Leute, die wir für dieses Zu-lassungsverfahren brauchen, um diese Sprachkur-se zu geben, nicht auch noch vergrätzen. Vielleichtkönnen Sie dazu nachher auch noch mal etwas sa-gen, Frau Ministerin, ich sehe, Sie machen sich No-tizen. Es wäre vielleicht nicht verkehrt, wenn wir da-zu auch vorher schon mal noch ein paar Informatio-nen bekommen könnten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Siesehen, haben wir uns auch mit einem umfangrei-chen Fragenkatalog an die Landesregierung ge-wandt. Ich danke an der Stelle auch noch mal fürdie ausführliche Beantwortung. Was mir allerdingsetwas gefehlt hat, war die Analyse der Hemmnisse.Sie haben natürlich gesagt, welche Schwierigkeitenes gibt und welche Zusagen Sie erhalten haben.Sie haben zu Recht einige Maßnahmen erwähnt,die auch wichtig sind, und ich will zugestehen, dass

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(Abg. Zippel)

Sie das verändert und auch verbessert haben, aberSie haben das Problem eben nicht in Gänze gelöst.Deswegen hat mir der selbstkritische Aspekt in Ih-rer Analyse etwas gefehlt, was wir noch machenkönnen, was wir darüber hinaus, was bisher ge-schehen ist, noch tun können, um die langen War-tezeiten zu verhindern und die persönlichen Zwän-ge und die persönlichen harten Schicksale, die da-mit oftmals verbunden sind, zu minimieren.

Auch die Fragestellung, was zum Beispiel die Grün-de für das Nichtbestehen sind, ist ein Punkt, denwir auch noch mal ausgiebiger diskutieren sollten,um zu schauen, wie wir dann im System eine Glät-tung herbeiführen und das Ganze etwas effektivergestalten können. Ich denke, der Blick auf die an-deren Bundesländer ist dabei durchaus angesagt.Sie haben ja auch schon von Kooperation gespro-chen – ich denke, das ist grundsätzlich der Schlüs-sel, um das gesamte Prozedere zu verbessern,denn wir sind nun mal nur ein kleines Bundeslandmit 2,1 Millionen Einwohnern. Manche Infrastrukturist vielleicht einfach besser, wenn man sie mit an-deren Bundesländern aufbaut – sei es für Prüfun-gen von bestimmten Qualifikationen. Aber das wür-de ich grundsätzlich vielleicht noch mal in denRaum stellen, darüber müssen wir noch mal aus-giebig diskutieren.

(Beifall CDU)

Wir haben die Landesregierung aufgefordert, ver-schiedene Maßnahmen zu ergreifen und vor allenDingen den Prozess der Approbation und auch denProzess der Anerkennung der Qualifikation vonausländischem Pflegepersonal zu beschleunigen,wohlgemerkt nicht, indem man Standards auf-weicht, sondern unnötige Hürden beseitigt und dieProzesse vereinfacht.

Ein weiterer Punkt, der bei den Bewerbern oft fürein Kopfschütteln und Frust sorgt, ist, dass einmalerteilte Berufserlaubnisse – Sie haben es auch er-wähnt – in anderen Bundesländern nicht ohne Wei-teres anerkannt werden. Das heißt, wechselt einausländischer Arzt in ein anderes Bundesland, istein neues Verfahren notwendig. Bei aller Liebe zumFöderalismus, aber das ist ein Musterbeispiel fürunnötige Bürokratie, dass Schulabschlüsse gegen-seitig anerkannt werden, aber Bildungsabschlüssein dem Bereich nicht. Die Logik sehe ich nicht und,Frau Ministerin, nach Ihren Ausführungen habe ichdie Logik tatsächlich einfach nicht verstanden. Viel-leicht können Sie auch dazu noch mal ein paar Sät-ze sagen. Wenn wir einen Bildungsabschluss/Berufsabschluss akzeptieren, dann verstehe ichnicht, warum es nicht möglich ist, dass derjenige inein anderes Bundesland geht, sich dort niederlässt.Wenn Thüringen sagt, dass dieser Berufsabschluss

gültig ist, warum soll das nicht dann auch in Sach-sen seine Gültigkeit haben und andersherum?

Meine Damen und Herren, im Prozess der Appro-bation und der Anerkennung von Berufsabschlüs-sen gibt es eindeutige Schwachstellen. Da brau-chen wir nicht drum herumreden, ich habe auchdas Gefühl, bei allen Rednern, die heute hier schongesprochen haben, ist das ein Punkt, der nicht ge-leugnet wird und der durchaus auch Zustimmungfindet, dass er so besteht. Das ist nicht wegzudis-kutieren. Aber die Frage ist eben: Wo genau liegtdieses Problem? Aber die noch wichtigere Frage istnatürlich auch: Wie kann man dieses Problem lö-sen? Wir wollen uns nichts vormachen. Es ist einkomplexes Problem. Aber – und das will ich klarund deutlich sagen – ich sehe bei der gesamten Si-tuation immer noch die Schlüsselrolle beim Landes-verwaltungsamt. Frau Ministerin, ich weiß, dass Sieda genauso gegen Windmühlen kämpfen, wie esandere tun. Ich weiß, dass das ein schwieriger Pro-zess ist. Ich habe schon, wie gesagt, über dieselustige Situation gesprochen, dass Sie die gleicheInformation von der Verwaltungsspitze bekommenhaben wie wir und wahrscheinlich jeder andereauch. Aber es ist ein Fakt, dass Bewerber wegenschnellerer Verfahren in anderen Bundesländerndorthin wechseln. Das ist jedes Mal ein Verlust fürThüringen. Ich komme nicht umhin, dort die größe-re Verantwortung beim Landesverwaltungsamt zusuchen. Ich möchte Sie und die gesamte Landesre-gierung und alle zuständigen Ministerien bitten, dortfür eine Verbesserung, für eine Beschleunigung desVerfahrens zu sorgen. Wenn dafür eine Qualifika-tion des Personals notwendig ist, Personalaufbau indem Bereich notwendig ist, dann ist das eben so.

Aber es hat auch etwas mit der Qualität zu tun,nicht nur, dass die Leute schneller in Thüringen an-erkannt werden, sondern dass wir auch mit ent-sprechendem Personal sicherstellen können, dassdie Qualität im Gesundheitswesen Bestand hat.

(Beifall CDU)

Ich will abschließend noch eines zusammenfassen:Lassen Sie uns vor allen Dingen gemeinsam dieseletzten Bremsklötze lösen, die es noch gibt. Ich willdas ganz bewusst sagen: die letzten Bremsklötze.Es ist viel passiert. Es ist sicherlich auf Druck derPresse in der öffentlichen Debatte, die dort entstan-den ist, auch einiges passiert, aber ich habe dasGefühl, dass für die betroffenen Ärzte und Pflege-kräfte, aber auch für unsere Krankenhäuser und fürdie Patientinnen und Patienten noch kein vollstän-dig befriedigender Zustand eingetreten ist. SehenSie unseren Antrag bitte als eine Initiative dazu. Siewerden dort die CDU-Fraktion immer hinter sich ha-ben, wenn es darum geht, wichtige Schritte einzu-

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(Abg. Zippel)

leiten. Ich habe das Gefühl, im gesamten Hauswerden wir dort sicherlich eine sehr gute Diskus-sion im Ausschuss haben. Ich bedanke mich schonjetzt dafür, dass der Antrag aller Voraussicht nachan den Ausschuss überwiesen wird, und hoffe,dass wir dort eine intensive Diskussion führen kön-nen. Lassen Sie uns gemeinsam das Beste für dieBetroffenen und für das Thüringer Gesundheitswe-sen tun! Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Marx:Vielen Dank. Als Nächste erhält Abgeordnete Pfef-ferlein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dasWort.

Abgeordnete Pfefferlein, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnenund Kollegen, liebe Gäste! Herzlichen Dank, FrauMinisterin, für den ausführlichen, umfangreichenBericht. Er hat schon einiges an Zahlen und Faktengeliefert, die auch für mich sehr aufschlussreichwaren, denn – es wurde schon gesagt – diesesThema beschäftigt uns auf allen Ebenen. Man wirdvor Ort überall darauf angesprochen. Ich bin sehrfroh darüber, dass wir dieses Thema heute diskutie-ren. Ich bedanke mich auch bei der CDU-Fraktionfür diesen Antrag.

Sie haben einen sehr langen Abfragekatalog zudiesem wichtigen Thema gestellt. Sie haben sehrakribisch Fragen und Forderungen formuliert. Ichfinde, dass diese Sorgfalt bei diesem Thema auchsehr angemessen ist. Aber es lässt sich auch kurzzusammenfassen, denn vor allem wollen Sie ja wis-sen, wie sich die Zahlen der Anerkennung undNichtanerkennung mitsamt den Gründen dafür inden vergangenen Jahren entwickelt haben, undstellen Fragen nach den Verfahren. Das alles hilftaber in der derzeitigen Situation nicht, denn in derVergangenheit war vieles anders. Wir müssen fürdie Zukunft schauen, wie wir die dringend notwen-digen Verbesserungen im Anerkennungsverfahrenbeschleunigen können. Wir müssen auf den derzei-tigen und noch künftig steigenden Fachkräftebedarfin der Gesundheits- und Altenpflege reagieren.Deshalb ist es gut, dass Menschen aus Drittstaatendie Möglichkeit haben, über die Fachkräftezuwan-derung im Aufenthaltsgesetz nach Deutschland undnach Thüringen zuzuwandern. Deshalb ist die Zu-wanderung von ausländischen Fachkräften aus EU-und Nicht-EU-Ländern von erfreulicher Bedeutungfür unsere Gesellschaft.

Ausländische Ärztinnen und Ärzte schließen Lü-cken. Die Qualität der Ausbildung wird anhand kla-rer Regeln für die Erteilung der Approbation ge-währleistet. Über den am 20.12.2016 verabschiede-ten 7. Thüringer Krankenhausplan wurde unter an-derem auch die Facharztquote – wofür auch wirsehr gekämpft haben – geregelt. Das ist positiv,was wir da eingeführt haben, aber es bringt in die-ser Situation auch Probleme. Das ist für die Patien-tinnen und Patienten, dass es gute Arbeitsbedin-gungen für die Ärztinnen und Ärzte gibt. Allerdingskönnen viele Häuser diese Quote nur dann erfüllen,wenn sie auch ausgebildete Ärztinnen und Ärzteaus dem Ausland an den Kliniken beschäftigenkönnen. Eine Prüfung der Gleichwertigkeit der Ab-schlüsse ist dafür selbstverständlich eine erforderli-che Bedingung. Damit Ärztinnen und Ärzte ihrenBeruf in Deutschland ausüben können, können zu-gewanderte Medizinerinnen und Mediziner ausDrittstaaten durch das Thüringer Landesverwal-tungsamt eine auf zwei Jahre begrenzte Berufser-laubnis für eine Arbeit in einem Krankenhaus erhal-ten, um sich dann auf eine Kenntnisprüfung zur Ap-probation vorzubereiten. In allen Fällen sind ausrei-chende Deutschkenntnisse nachzuweisen.

Die Bundesärzteordnung und die Approbationsord-nung regeln die Anerkennung und das Vorgehenzur Erteilung von Berufserlaubnissen. Darin heißtes – und ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsi-dentin – zur Gleichwertigkeitsprüfung: Wer in derBundesrepublik den ärztlichen Beruf ausüben will,bedarf nach der Bundesärzteordnung der Approba-tion als Arzt. Eine vorübergehende oder eine aufbestimmte Tätigkeiten beschränkte Ausübung desärztlichen Berufs ist auch aufgrund einer Erlaubniszulässig. Bei im Ausland ausgebildeten Medizine-rinnen und Medizinern hat beim Antrag auf Ertei-lung der Approbation eine Gleichwertigkeitsprüfungstattzufinden, das heißt eine individuelle Dokumen-tenprüfung nach sachlicher und fachlicher Gleich-wertigkeit. Bei Feststellung der Gleichwertigkeitwird bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen,so auch der Sprachkenntnis, die Approbation erteilt.Zur Kenntnisprüfung und Berufserlaubnis: Ergibtdie oben genannte Überprüfung auch bei Berück-sichtigung gegebenenfalls bestehender einschlägi-ger Berufserfahrung keine Gleichwertigkeit, siehtdie Bundesärzteordnung vor, dass der Antragstellerals Ausgleichsmaßnahme und aus Gründen desPatientenschutzes eine vollumfängliche Kenntnis-prüfung absolvieren muss, die sich auf den gesam-ten Inhalt der staatlichen Abschlussprüfung bezieht.In diesen Fällen kann dem Antragsteller auf Antragzur Vorbereitung auf die Kenntnisprüfung eine Be-rufserlaubnis erteilt werden. Hierfür ist eine Einstel-lungszusage des künftigen Arbeitgebers notwendig.

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(Abg. Zippel)

Das Landesverwaltungsamt ist in Thüringen die zu-ständige Behörde für die Erteilung der staatlichenBerufserlaubnis für eine ärztliche Tätigkeit und prüftbei ausländischen Ärzten auf Gleichwertigkeit desAbschlusses. Wir haben es heute schon mehrfachgehört: Hier liegt das Problem, denn die Anerken-nung dauert häufig viel zu lange. Die insgesamtnicht zufriedenstellende Situation in Thüringen istbekannt. Im Ministerium für Soziales und Gesund-heit, im Ministerium für Migration, im Petitionsaus-schuss, beim Bürgerbeauftragten, bei uns im Wahl-kreisbüro, beim Migrationsbeauftragten und auchbei vielen Abgeordneten wurde die Kritik am Ver-fahrensablauf der anerkennenden Behörde – alsoim Thüringer Landesverwaltungsamt – vorgetragen.Doch das Problem wurde erkannt und es wird nachLösungen gesucht – das haben wir heute auch ge-hört –, um für alle betroffenen Krankenhäuser, Ärz-tinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten eineschnelle Verbesserung herbeizuführen, ohne dassdie Qualität und Nachprüfbarkeit der Anerkennungdarunter leidet.

Halbherzige Vorschläge zur Verbesserung, diemeist nicht mal in der Hand des Landes liegen, sindda wenig hilfreich. Wir müssen dringend daran ar-beiten, das Anerkennungsprozedere für Fachperso-nal und Ärztinnen und Ärzte an die Lebenswirklich-keit anzupassen, zu beschleunigen und den An-tragsstau abzubauen. Ich habe auch gestern inmeiner Rede zur Fachkräftegewinnung gesagt – ichglaube, Herr Zippel hat es auch gesagt –, in ande-ren Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen dauertes sechs Monate und in Thüringen halt eineinhalbJahre. Das können wir uns auf Dauer, auch alsLand, nicht leisten.

Aber das wird auch nicht reichen, um den Auswegaus dem drohenden Pflegenotstand zu finden. Esmüssen endlich die von Bündnis 90/Die Grünen seitJahren geforderten Verbesserungen in der Pflegeauf den Weg gebracht werden. Einen Ausweg ausdem Dilemma wird es also nur geben, wenn wirweiterdenken und die Arbeitsbedingungen attrakti-ver gestalten, die Arbeitsbelastungen auf ein ange-messenes Maß reduzieren, die Bezahlung aus-kömmlich nach einem flächendeckenden Tarifsys-tem organisieren, die Ausbildung differenziert unddurchlässig gestalten,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fort- und Weiterbildung ebenso wie Spezialisierungunterstützen. Letztendlich brauchen wir sicherlichauch mehr Medizinstudienplätze, attraktive Ausbil-dungsmöglichkeiten und Bleibeperspektiven für jun-ge Menschen. Genau das ist auch unsere Forde-rung. Wir stimmen sehr gern der Überweisung anden Sozialausschuss zu. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als Nächsterspricht Abgeordneter Kubitzki von der Fraktion DieLinke.

Abgeordneter Kubitzki, DIE LINKE:Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ichkann es jetzt verhältnismäßig kurz machen, dennich wiederhole nicht das, was viele schon gesagthaben,

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

nur weil ich es nicht gesagt habe. Ich bedanke michfür Ihren Beifall.

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Ge-nieß es!)

Ich will jetzt nicht über das Thema reden, es stimmtvieles, was hier gesagt wurde. Aber, Herr Zippel, ei-nes muss ich korrigieren: Dr. Hartung hat nicht amThema vorbeigeredet, das muss ich an dieser Stel-le sagen.

(Beifall DIE LINKE)

Denn wenn wir über die Notwendigkeit reden, war-um wir ausländische Ärzte hier brauchen, dannmüssen wir über die Ursachen reden, warum wirdie brauchen.

(Beifall SPD)

Das ist zum Beispiel ein Problem – da bin ich wie-der bei dem, was ich gestern gesagt habe –: Es hatauch was mit der Ökonomisierung dieses Gesund-heitssystems zu tun. Wir haben diesen Verschiebe-bahnhof. Vor Kurzem hatte ich mal Gelegenheit,drei Tage in einer stationären Einrichtung einesKrankenhauses zu verbringen. Ich musste feststel-len: viele ausländische Ärzte, man merkt es an derSprache. Die Chefärzte haben alle deutsch gespro-chen.

Ich glaube, wir haben hier wirklich ein Problem we-gen der Bezahlung, wegen der Arbeitsbedingungenan unseren Krankenhäusern, dass viele sagen:Diese Belastung mache ich nicht mehr mit. MeineAufstiegschance als Oberarzt, als Chefarzt dauertein Stück, da gehe ich lieber in die Schweiz, da ge-he ich nach Skandinavien, da gehe ich nach Groß-britannien – das wird nun demnächst nicht mehr soattraktiv werden – und da verdiene ich mehr Kohle,mehr Geld und ich gehe.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12229

(Abg. Pfefferlein)

Ich hatte schon die Situation – da haben wir über-haupt noch nicht über Flüchtlinge gesprochen, daswar Anfang der 2000er-Jahre –: ein Familienmit-glied von mir, vor einer Operation, Gespräch mitdem Anästhesisten. Ich hatte das Gefühl, ich habeden Anästhesisten nicht so richtig verstanden, undich hatte aber auch das schlimme Gefühl, derversteht uns nicht. Da wurde es dann schon in ge-wissen Fragen kritisch.

Wir müssen die Ursachen bekämpfen, warum dasso ist. Die andere Seite ist: Wir nehmen den ost-europäischen Staaten – oder wo das ist – im Prin-zip auch die Fachleute weg, weil unsere Fachleutewieder woanders hingehen, wo sie viel Geld verdie-nen. Das ist eine Sache, die müssen wir angehen,aber dazu brauchen wir eine Veränderung in die-sem Gesundheitssystem.

Ich könnte jetzt noch was zur Pflege sagen, aberdas lasse ich an dieser Stelle weg, es wurde vielesgesagt. Aber da stimme ich mit Ihnen überein, HerrZippel: Auch ich habe das Gefühl, das Landesver-waltungsamt ist hier ein gewisses Nadelöhr. Dashat das Ministerium schon erkannt. Deshalb bean-trage ich hier ganz offiziell die Überweisung desAntrags an den Ausschuss für Soziales usw. Viel-leicht finden wir eine Möglichkeit, ohne dass wir indas Prozedere einer Anhörung gehen, dass wir beidiesem Tagesordnungspunkt die Landesregierungbitten, dass sie da mal das Landesverwaltungsamtmitbringt und dass wir die Landesärztekammer da-zu einladen

Präsidentin Diezel:Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra-ge?

Abgeordneter Kubitzki, DIE LINKE:– gleich – und dass wir dazu vielleicht auch dieFSU einladen und wir uns dann im Ausschuss mitdiesen Leuten unterhalten, die aktiv an diesem Pro-zess beteiligt sind.

Präsidentin Diezel:Bitte schön. Sie hatten eine Zwischenfrage, HerrAbgeordneter Zippel.

Abgeordneter Zippel, CDU:Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Zwischenfra-ge bezieht sich auf Ihre Aussage bezüglich derÖkonomisierung im Gesundheitssystem. Sie hattenauch betont, dass der Kollege Dr. Hartung gar nichtso sehr am Thema vorbeigesprochen hat, und ha-ben vor allem über die Rahmenbedingungen ge-

sprochen. Ich will vor allen Dingen eines von Ihnenwissen: Sehen Sie abseits aller Problematiken, dieSie mit der Ökonomisierung haben, nicht grund-sätzlich die Notwendigkeit, die Anerkennung aus-ländischer Ärzte oder Pflegekräfte in Thüringenoder in Gesamtdeutschland zu optimieren,

(Beifall CDU)

weil wir nicht von einer Problematik der Ökonomi-sierung sprechen, sondern weil wir von der Globali-sierung sprechen? Wir reden immer von einem ver-einten Europa und tun uns eben damit schwer.Glauben Sie nicht, dass das das eigentlich grund-sätzliche Problem ist und da die Grundnotwendig-keit entsteht?

Abgeordneter Kubitzki, DIE LINKE:Ich habe nie abgestritten, dass wir ausländischeÄrzte brauchen. Aber wenn Sie schon von einemvereinten Europa reden, dann müssen wir einesmachen: Dann brauchen wir in Europa auch einegewisse Vereinheitlichung vom Steuersystem, vomLohnniveau, dass wir nicht diese Problematik ha-ben, dass wir aufgrund dieser unterschiedlichenBezahlung, dieser unterschiedlichen Vergütung,diese Wanderbewegung haben. Haben wir nämlicheinheitliche Sozialstandards in Europa,

(Beifall DIE LINKE, SPD)

eine vernünftige einheitliche Bezahlung, dann ha-ben wir auch nicht diese Wanderbewegung. Da binich bei Ihnen oder vielleicht auch nicht bei Ihnen.Aber trotzdem, wenn wir ausländische Ärzte brau-chen, hat es ja Ursachen, warum wir die brauchen– weil wir nicht genug deutsche Ärzte haben, diehier arbeiten wollen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Herr Dr. Hartung,Sie möchten noch mal sprechen, bitte schön.

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,zwei Sachen von Herrn Zippel treiben mich nochmal vor. Sie sagen, ich habe am Thema vorbeigere-det und haben das noch mal ein bisschen mit IhrerNachfrage begründet. Ja, wir haben ein Problem,wir müssen die Abläufe möglicherweise optimieren,möglicherweise bundesweit optimieren. Aber war-um ist das denn so? Und jetzt sind wir bei demThema, das ich vorhin angesprochen habe: Es liegtdaran, dass wir ein Wanderungsproblem haben.

12230 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Kubitzki)

Ich möchte es mal für Thüringen machen: Wir ha-ben in Thüringen in der Pflege jeden Tag2.000 Auspendler in benachbarte Bundesländer –2.000 Auspendler. Das liegt doch an den Arbeitsbe-dingungen. Hätten wir diese 2.000 Auspendler hierin Thüringen, wäre der Druck bei der Anerkennungvon Pflegekräften aus dem Ausland bei uns we-sentlich geringer. Wenn die hierbleiben würden,weil die Arbeitsbedingungen gut sind, dann müss-ten wir jetzt nicht auf die Tube drücken, dass dieausländischen Pflegekräfte hier zügig anerkanntwerden, dann wäre die Situation wesentlich ent-spannter.

Und gehen wir mal noch ein Stück weiter: Jetzt gibtes Träger, die tatsächlich ausländische Pflegekräftezur Anerkennung führen; ich habe mit denen vielgesprochen. Die sagen mir ganz klar: Von vier oderfünf, die sie in Thüringen zur Anerkennung führen,bleibt durchschnittlich einer in Thüringen – einer.Das heißt, wenn wir die Effizienz wirklich steigernwollen, dann sollten wir die Leute, die anerkanntwerden, auch hier halten. Das hat etwas mit Ar-beitsbedingungen zu tun. Wenn wir die Arbeitsbe-dingungen nicht verbessern, dann können wir hiernoch so schnell und noch so viel anerkennen, danngehen die trotzdem weiter.

Jetzt sind wir bei dem zweiten Punkt, den Sie ange-sprochen haben. Sie sagen: Bei der Anerkennungvon Berufsabschlüssen müsste das bundesweiteinheitlich sein. Die Tätigkeitserlaubnis ist aber ge-rade keine Anerkennung eines Berufsabschlusses.Die Anerkennung des Berufsabschlusses erfolgt mitder Approbation. Die Leute haben keine anerkann-te Berufsausbildung, deswegen dürfen sie nichtüberall arbeiten, deswegen werden sie in ihrer Tä-tigkeit, am Tätigkeitsort, im Tätigkeitszeitraum be-schränkt. Da sind Sie auf dem Holzweg. Das kannman nicht bundesweit anerkennen, das geht nicht,aber wir können über all das im Ausschuss reden.Ich unterstütze den Antrag, das im Sozialausschussweiterzuberaten. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ichsehe, das ist nicht der Fall. Ich kann davon ausge-hen, dass das Sofortberichtsersuchen erfüllt ist? Ichsehe keinen Widerspruch. Es wurde die weitere Be-ratung des Antrags und des Sofortberichts im Aus-schuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit bean-tragt. Ich lasse darüber abstimmen. Wer damit ein-verstanden ist, dass die Nummern 2 bis 5 und derSofortbericht im Ausschuss für Soziales, Arbeit undGesundheit weiterberaten werden, den bitte ichjetzt um das Handzeichen. Ich sehe Zustimmung

aus allen Fraktionen. Gibt es Gegenstimmen?Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit istdie Ausschussüberweisung bestätigt und ich schlie-ße diesen Tagesordnungspunkt.

Meine Frage ist jetzt, wir hatten uns verständigt beider Tagesordnung, dass der Punkt 21, Daten-schutz, vorher beraten werden soll. Oder sollen wirmit TOP 20 weitermachen?

(Zuruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Wirmachen erst mal 20, ach nein, 19!)

Erst mal TOP 20, ja? Okay – nein, TOP 19, Europa.

Aufruf zum Tagesordnungspunkt 19

Europäisches Jahr des Kultur-erbes 2018 – Chancen für Thü-ringen und Europa nutzenAntrag der Fraktion der CDU- Drucksache 6/6824 -

Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Be-gründung des Antrags? Nein. Die Landesregierunghat darauf hingewiesen, dass sie einen Sofortbe-richt abgeben will. Auch nicht?

(Zwischenruf Krückels, Staatssekretär: Ichhabe einen Redebeitrag!)

Einen Redebeitrag, gut. Möchten Sie beginnen?Dann fangen wir so an.

Krückels, Staatssekretär:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abge-ordnete, als Europäisches Kulturerbejahr wurdedas Jahr 2018 von der Europäischen Kommissionunter dem Motto „Sharing Heritage“ – also das Erbeteilen – ausgerufen. International ist die Veranstal-tung auch geläufig unter der Bezeichnung „Euro-pean Year of Cultural Heritage“, abgekürzt ECHY2018. Es geht auf eine Initiative des Deutschen Na-tionalkomitees für Denkmalschutz, des Bundes, derLänder und der kommunalen Spitzenverbände zu-rück. Seit 1983 widmet die europäische Union re-gelmäßig ein Kalenderjahr einem bestimmten The-ma, das namensgebend für das betreffende euro-päische Jahr ist. Ziel des Europäischen Kulturerbe-jahres 2018 war es, das Bewusstsein für die euro-päische Geschichte zu schärfen und das Gefühl ei-ner europäischen Identität zu stärken. Den Men-schen sollen die Geschichte und die Werte Europasnähergebracht werden.

Das deutsche Programm des Kulturerbejahres2018 orientierte sich an zwischen Bund, Ländernund Kommunen abgestimmten Themen unter derGrundidee: das Europäische im Lokalen entdecken.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12231

(Abg. Dr. Hartung)

Die deutschen Aktivitäten setzten dabei einen be-sonderen Schwerpunkt auf die Vermittlung des Kul-turerbes an Kinder und Jugendliche und auf folgen-de fünf Themenpunkte: „Austausch und Bewe-gung“, „Grenz- und Begegnungsräume“, „Die Euro-päische Stadt“, „Erinnern und Aufbruch“ und „Euro-pas Erbe gelebt“. Insbesondere wurden der Denk-malschutz und die Denkmalpflege wieder in denFokus der Öffentlichkeit gerückt. Laut dem europä-ischen Denkmalschutzverbund Europa Nostra stelltdas kulturelle Erbe das „unschätzbare Gewebe dar,das Europa zusammenhält – von Norwegen bisGriechenland und von Polen bis Spanien“. Denk-male verbinden Menschen über Ländergrenzen undGenerationen hinweg miteinander, sie stiften Identi-tät, prägen das Werteempfinden, sind lebendigeOrte der Erinnerung, Wahrzeichen, Mahnmale undZufluchtsorte. Das deutsche Nationalkomitee fürDenkmalschutz rief öffentliche und private Träger,Bürger, Bewahrer, Experten sowie Vermittler deskulturellen Erbes zur Mitwirkung am Kulturerbejahr2018 auf, aber auch Museen, Gedenkstätten, Archi-ve, Bibliotheken, denkmaleigene Vereine und För-derkreise wurden einbezogen.

Bedauerlicherweise wurde das Themenjahr von derEU, also von der Kommission, erst sehr spät be-schlossen und es standen auch im Bundeshaushalt– ich sage mal – nur überschaubare Mittel zur Ver-fügung. Das betrifft natürlich nicht nur, aber auchThüringen in der Konsequenz. Dennoch hat sichder Freistaat mit einer Vielzahl von Projekten, Bei-trägen und Maßnahmen am Europäischen Kulturer-bejahr 2018 beteiligt. Beispielhaft darf ich sechsnennen: den Bürgerdialog zum Europäischen Kul-turerbejahr am 08.09.2018 in Jena im Rahmen desThüringer Denkmaltages, die Informationsveran-staltung zur Europawoche am 27.02. mit einemVortrag des Präsidenten des Thüringer Landes-denkmalamts mit dem Titel „Bewahren, was unsverbindet“, das Projekt „Von der Gartenstadt zurklassischen Moderne – Architektur und sozialeKonzepte“ im ECHY-Themenschwerpunkt „DieEuropäische Stadt“, das Projekt „Denk mal – wo-rauf baut Europa?“ im ECHY-Themenschwerpunkt„Zuhause Europas Geschichte entdecken“, die Mit-wirkung bei der Ausstellung „Bewegte Zeiten – Ar-chäologie in Deutschland“, die in Berlin stattgefun-den hat, und die Ausstellung der Kunstwerke derPreisträgerinnen des 65. Europäischen Wettbe-werbs 2018 im EIZ in der Regierungsstraße.

Mit den durchgeführten Beiträgen soll das Bewusst-sein für den europäischen Kulturrahmen gestärkt,die Begeisterung dafür geweckt und die kulturelleZusammenarbeit gefördert werden. Durch die Ver-mittlung von Inhalten bestand die Möglichkeit, Fra-gestellungen grenzüberschreitend auszutauschen

und zu entwickeln. Dabei konnte der Blick auf unsergemeinsames Kulturerbe geschärft werden. Diesich hierdurch ergebende Sicht auf die räumlicheund kulturelle Verbundenheit sollte zum einen iden-titätsstiftend sein, zum anderen essenziell für dieBewahrung der europäischen Einheitsidee dienensowie eine kritische Reflexion der eigenen Ge-schichte, eine tolerantere, offenere Gesellschaft so-wie den generationsübergreifenden Dialog fördern.

Europa besteht aus einem dichten Netz vielfältigerVerbindungen und Beziehungen, was verschieden-artige Anknüpfungspunkte birgt. Anliegen und An-forderungen an das kulturelle Erbe konnten meinesErachtens doch recht erfolgreich nicht nur inDeutschland mit der breiten Gesellschaft diskutiertwerden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt – daraufzielt auch der Antrag der CDU ab, darüber zu be-richten, das Jahr 2019 ist ja noch jung – liegt derLandesregierung keine abschließende Bewertungüber die Wirkung des Kulturerbejahres 2018 für dieKulturlandschaft Thüringens vor. Konkrete Erkennt-nisse für deren Fort- und Weiterentwicklung sowieEffekte für die touristische Entwicklung in Thüringenbefinden sich noch in der Sammlung und Bewer-tung. Hinzu kommt, dass einige Projekte im Rah-men des ECHY 2018 auch noch nicht abgeschlos-sen sind, sondern noch laufen und somit eine Ab-schätzung möglicher erzielter Impulse bzw. Syner-gien dementsprechend logischerweise noch nichtvorgenommen werden konnten.

Insofern ist es aus unserer Sicht sicherlich sinnvoll,die Beratung zu der Thematik bei Vorliegen der Be-wertungsvoraussetzungen fortzuführen. Ich dankefür Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich eröffne dieAussprache. Zu Wort gemeldet hat sich Abgeord-neter Kellner von der CDU-Fraktion.

Abgeordneter Kellner, CDU:Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,„Europäisches Jahr des Kulturerbes 2018 – Chan-cen für Thüringen und Europa nutzen“ ist heute derAntrag, den wir eingebracht haben. Ich möchte be-ginnen: „Kultur ist gewissermaßen der Kitt, der unszusammenhält. […] Kulturerbe ist etwas, woranman nicht nur die herrliche Vielfalt unserer Gesell-schaften, sondern auch ihre Gemeinsamkeiten be-sonders gut erkennen und sich vergegenwärtigenkann.“

12232 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Staatssekretär Krückels)

(Beifall CDU)

Das ist das Zitat von dem Vertreter der EU-Kom-mission in Deutschland, Richard Kühnel, zur Eröff-nung des Europäischen Kulturerbejahres in BerlinAnfang letzten Jahres. Ich denke, das hat sehrdeutlich zum Ausdruck gebracht, wie wichtig Kulturletztendlich ist und welche Bedeutung sie auch inder Gesellschaft hat. Ich denke, unser Antrag istbrandaktuell. Wenn diese Veranstaltung auch imletzten Jahr war, das Kulturerbejahr, haben wir ge-rade jetzt in Vorbereitung der Europawahl, denkeich, den Zeitpunkt auch deswegen gewählt, damitwir noch mal darauf aufmerksam machen, wiewichtig gerade die Kultur im Zusammenhang mitEuropa und mit Blick auf die Akzeptanz in Europaist. Deswegen, denke ich, ist auch dieser Antragheute noch brandaktuell.

Gerade jetzt in der Diskussion um den Brexit, wasuns alle beschäftigt, zeigt sich auch, wie labil Euro-pa sein kann. Wir können nicht genug darübersprechen und das auch nach vorne schieben, dassdie Kultur ein wesentlicher Bestandteil ist, der dieGesellschaft in Europa und Europa insgesamt zu-sammenhält. Das sollte letztendlich auch an derStelle noch mal deutlich werden, wie solche Veran-staltungen wie das Europäische Jahr des Kulturer-bes dies in den Fokus rücken und auch mehr in dasBewusstsein zurückbringen. Kultur ist, was wir letzt-endlich im europäischen Raum an Gemeinsamkei-ten haben. Das sollte damit unterstrichen werdenund sollte an der Stelle für alle greifbar werden, mitVeranstaltungen, die stattgefunden haben, um dasauch dem Bürger näherzubringen. Zum einen hilftes Europa insgesamt, aber zum anderen hilft esuns natürlich auch als Thüringer, weil wir doch einesehr reichhaltige Kulturlandschaft haben und einehohe Kulturdichte an Gebäuden, Theatern usw. Wirsind da sehr gut aufgestellt, wenn man so will, aberdas hat ein Stück weit etwas mit dem historischenErbe zu tun. Das ist auf der einen Seite ein Fluchund auf der anderen Seite Segen zugleich. Aber ichdenke, wir können das natürlich zum Segen nutzen,deswegen sollten auch solche Veranstaltungenoder solche Jahre, die ausgerufen werden, dazudienen. Das ist auch für Thüringen eine Chance,seine Kulturdenkmäler, seine Bauten näherzubrin-gen und in den europäischen Kontext zu stellen.

Der Staatssekretär hat ausgeführt, dass verschie-dene Veranstaltungen stattgefunden haben. Wir ha-ben natürlich jetzt gedacht, es gibt ein bisschenmehr Informationen, aber ich habe ja vernommen,der Staatssekretär ist noch bei der Ausarbeitungoder Aufarbeitung und Auswertung, was im Jahr2018 alles gemacht wurde. Ich meine, ich habe mirauch ein paar Sachen angesehen, zum Beispiel die

Kapelle in Krobitz, diese Gutskirche, die auch fertigsaniert wurde. Aber es haben natürlich auch dieTheater teilgenommen. Zum Beispiel das Eckhof-theater in Gotha, das Liebhabertheater in Kochbergoder auch Meiningen haben sich in diesem Zusam-menhang präsentiert. Ich denke, das ist auch einegute Möglichkeit, das näherzubringen. Ich kann ander Stelle nur unserem StaatskanzleiministerProf. Dr. Hoff beipflichten, der gestern zur Jahres-pressekonferenz des Thüringer Museumsverbandsgesagt hat – ich zitiere –: Thüringen ist weit hinterseinen Möglichkeiten, wenn es darum geht, ausdem kulturellen Erbe etwas zu machen. – Demkann man nur beipflichten. Ich denke, das ist aucheine Botschaft, die ich da mitgenommen habe, dasser das auch wirklich so gemeint hat und ernstnimmt, dass wir hier mehr machen müssen.

Ich habe mich dann natürlich schon gefragt, warumim Jahr 2018 in der Titelgruppe 76 – da geht es umdas Europäische Jahr des Kulturerbes – 0 Euro an-gesetzt waren. Herr Staatssekretär hat gerade ge-sagt, die Entscheidung ist sehr spät gekommen,deswegen konnte man nicht darauf reagieren. Wirhaben 2019 im Haushalt 20.000 Euro und 2020wieder 0 Euro für dieses Europäische Kulturerbe-jahr veranschlagt. Das hat mich doch ein Stück weitüberrascht, weil das nicht unbedingt das unter-streicht, was der Minister zur Jahrespressekonfe-renz gesagt hat. Da hätte ich schon erwartet, dassim Haushalt etwas mehr als 0 Euro steht. Ich den-ke, da ist vielleicht noch Zeit, der Haushalt ist nochnicht abgeschlossen und auch nicht beendet. Ichdenke, der Minister wird sich dafür einsetzen, dassan der Stelle auch mehr Geld zur Verfügung steht,wenn man das auch erkannt hat, wie wichtig dasletztendlich für Thüringen, für Deutschland, aberauch für Europa ist.

Ich denke, das Erfolgsmodell Europa oder so, wiees sich die letzten Jahre gestaltet hat, macht manam besten daran fest, dass es letztendlich in denletzten 70 Jahren keine ernsthaften kriegerischenAuseinandersetzungen in Europa gegeben hat.Das allein zeichnet die EU schon als Erfolgsmodellaus. Wesentlich dazu beigetragen hat sicherlichauch die Gemeinschaft, der kulturelle Hintergrundder einzelnen Staaten. Aber ich denke, das alleinspricht schon für die EU und ist es auch wert, wei-terhin daran zu arbeiten, dass letztendlich die EUnicht nur ein Erfolgsmodell wird, sondern auchbleibt. An der Stelle muss ich den Blick mal zur AfDrichten, die das alles ganz gern anders hätte. Siesollten noch mal darüber nachdenken, ob das derrichtige Weg ist, sich von der EU zu trennen, dieEuropäische Gemeinschaft nach 70 Jahren ohneernsthafte kriegerische Auseinandersetzungen in-frage zu stellen.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12233

(Abg. Kellner)

Das Zusammengehörigkeitsgefühl, was letztendlichin der Kultur in Europa eine große Rolle spielt bzw.auch unterstützt wird, macht sich in der Regel nichtnur an Zahlen fest. Wenn man über die EU spricht,spricht man über Wirtschaftskraft, Finanzen, Si-cherheitspolitik und vieles mehr. Wesentlicher Be-standteil ist aus meiner Sicht aber die Kultur, daszeigen letztendlich auch die Umfragen. Da gibt esdieses Eurobarometer, das 2017 Umfragen ge-macht hat, was für die Bürger in Europa oder inDeutschland das Wichtigste ist im Zusammenhangmit der EU. Auf den vordersten Plätzen in Deutsch-land wurden „Rechtsstaatlichkeit“ und „Kultur“ ge-nannt. Das waren die beiden vorderen Plätze. Inder EU insgesamt haben sich die Bürger auf demersten Platz für die Kultur ausgesprochen. Daszeigt doch deutlich, dass die Kultur ein wesentlicherBestandteil in Europa und auch für die Bürger einwichtiger Bestandteil ist.

Mit unserem Antrag haben wir natürlich auch einpaar Ziele verbunden, nachdem das Jahr 2018 zumEuropäischen Kulturerbejahr erklärt wurde: Reich-tum der europäischen Kultur stärken, ins Bewusst-sein der Menschen rufen, Startschuss für Tausendevon Veranstaltungen – die haben in ganz Europastattgefunden. Das war das Ziel und wir haben na-türlich auch in unserem Antrag ein paar Forderun-gen aufgemacht, die Ihnen vorliegen. Wir könnenuns gut vorstellen, dass es eine Art Aktionsplan zurFörderung des kulturellen Erbes in Thüringen für ei-ne ausreichende Finanzierung der Kultur gibt, dassdie im Kulturerbejahr entstandenen Netzwerke undKooperationen zum Nutzen unserer Kulturland-schaft fortgesetzt und unterstützt und Bundesmitteleingesetzt werden. Ich denke, das ist auch ein we-sentlicher Punkt. Wir sprechen hier gerade überviele Hundert Millionen Euro, die wir unter Umstän-den vom Bund bekommen können. In den zurück-liegenden Jahren hat das auch gut geklappt, ich sa-ge mal, wie bei Schloss Friedenstein in Gotha mit60 Millionen Euro oder jetzt in Altenburg mit 40 Mil-lionen Euro. Man hat schon immer gesehen, dassauch der Bund mit in die Pflicht genommen wird,weil letztendlich nicht das Land Thüringen dafüraufkommen sollte, da es auch ein nationales Kultur-erbe ist.

Länderübergreifende interkommunale Kooperati-onsverbünde sollten aufgebaut und gestärkt wer-den. Auch das sollte man jetzt im Zusammenhangmit diesem abgelaufenen Jahr noch einmal be-trachten, welche Möglichkeiten sich daraus erge-ben. Natürlich sollte hier gerade bei den Jugendli-chen die Vermittlung des Einigungsgedankens überdie Kulturen stärker in den Fokus genommen wer-den, weil sie letztendlich auch die Generation sind,die Europa weiter tragen soll.

Stärkere Bündelung von Wissen und fachlicher Ex-pertise zum Kulturerbe auf staatlicher und zivilge-sellschaftlicher Ebene, Nachwuchsförderung undGewinnung bei Pflege des kulturellen Erbes, Erhaltund Pflege des kulturellen Erbes, bessere Nutzungdes Potenzials für kulturelle und touristische Ver-marktung sowie die Vermarktung unserer Kultur-schätze, gerade im touristischen Bereich – all diesmuss in Thüringen noch besser ausgebaut werden.Dann könnten das zum einen viele Menschenwahrnehmen. Auf der anderen Seite ist es mittler-weile natürlich auch ein riesiger wirtschaftlicherFaktor geworden. Städtetourismus wird immer stär-ker nachgefragt. Da gilt es auch, diese Kulturdenk-mäler noch mehr in den Fokus zu nehmen. Auchdas Konzept zur Kulturdigitalisierung sollte vorge-legt werden – hier gibt es ja die Thüringer Strategiefür die digitale Gesellschaft. Das sollte man auf je-den Fall stärker in den Fokus nehmen und ausbau-en.

Das sind Anregungen, die wir mit auf den Weg ge-ben, und ich würde mich freuen, wenn wir diesenAntrag im Ausschuss für Europa, Kultur und Medi-en noch intensiver beraten könnten. Gleiches giltnatürlich auch für die Auswertung, die jetzt derStaatssekretär schon angekündigt hat, dass wir dieim Ausschuss betrachten, auswerten und die richti-gen Schlüsse für die Zukunft für Thüringen, für un-ser Kulturerbe und nicht zuletzt für Europa darausziehen können. Ich wünsche mir, dass Sie uns beiunserem Antrag unterstützen und ihn an den Aus-schuss überweisen. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Als Nächsterspricht Abgeordneter Dr. Hartung von der SPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,Herr Kellner, das Wichtigste am Anfang: Klar ma-chen wir das im Ausschuss weiter. Das ist für unsalle durchaus ein interessantes Thema. Dem wer-den wir uns im Ausschuss natürlich nicht verwei-gern.

Zu Ihrem Antrag: Als erstes möchte ich dem Staats-sekretär für die kurze, knappe Darstellung der ab-gefragten Projekte danken und einige Worte zumAntrag selbst sagen. Zum Punkt 1 – da wird mit einbisschen Wortgeklingel gewünscht, dass man dieErgebnisse des Kulturerbejahres 2018 evaluiert, re-flektiert, die Veranstaltungen analysiert usw.: Ichhoffe, das tun Sie so oder so, weil wir auch wissen

12234 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Kellner)

wollen, ob die dafür getätigten Anstrengungen auchtatsächlich Sinn hatten. Ich hoffe, dass sich diesererste Punkt sowieso erledigt.

Als zweites – ich zitiere mal – möchten Sie, „um diereiche kulturelle Tradition unseres Landes weiter zupflegen, zu bewahren und fortzuentwickeln“ auch inZukunft eine „ausreichende Finanzierung“ haben.Dem stimme ich ausdrücklich zu, ich danke für denHinweis. Ich kann mir allerdings nicht ersparen, da-rauf hinzuweisen, dass diese Landesregierung seit2014 den Kulturhaushalt wesentlich besser ausstat-tet als alle CDU-Minister der vergangenen Jahre.Das müssen wir leider feststellen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Wenn Sie sich jetzt so echauffieren, dann erspareich uns auch nicht das Zweite: Ich erinnere Sie da-ran, dass es Herr Göbel war, der in der letztenCDU-Alleinregierung den Kulturetat derart zusam-mengestrichen hat,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

(Unruhe CDU)

dass die traditionsreiche Theater- und Orchester-landschaft tatsächlich in ihrer Existenz bedroht war,und dass es der Kultusminister Christoph Matschiewar, der gegen die Widerstände verschiedenerCDU-Finanzminister wieder eine auskömmliche Fi-nanzierung etabliert hat.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN; Abg. Reinholz, fraktionslos)

(Unruhe CDU)

Das gehört zur Wahrheit dazu, wenn Sie solche An-träge stellen, dass wir darauf verweisen.

(Unruhe CDU)

Kommen Sie, das müssen Sie jetzt einmal sportlichmitnehmen.

In Ihrem Punkt 3 verweisen Sie auf das Kooperati-onsverbot. Bevor ich mich eingehend mit diesemPunkt befasse, erwarte ich von Ihnen, dass Sie dasmit Ihren CDU-Kollegen in anderen Ländern, mitanderen CDU-Kultusministern und Ähnlichen be-sprechen, weil ich glaube, dass die Frage „Aufhe-bung des Kooperationsverbots“ vielleicht CDU-in-tern noch nicht gänzlich abgesprochen und über dieBundesländer noch nicht so mehrheitsfähig ist. Dabin ich gern offen, wir haben schon immer dafürplädiert, dass wir das nutzen. Insofern glaube ich,sind wir dann, wenn wir Ihre Unterstützung haben,auf einem guten Weg.

Die Punkte 4 und 5 schenke ich mir mal. Das istviel Prosa.

Zum Punkt 6 erklären Sie, dass hier zur Pflege deskulturellen Erbes qualifizierte und engagierte Künst-ler, Denkmalschützer und Architekten gebrauchtwerden. Das ist für mich als Weimarer jetzt nichtsBesonderes, wir machen das. In Gotha, ja, da ma-chen wir das auch, aber auf einem anderen Levelmit einem anderen Zielpunkt – mein Fraktionsvor-sitzender hört gerade draußen zu. In Gotha machtman das auch. Ich bin mir ganz sicher, dass wir dameines Erachtens auch auf einem guten Weg sind.Ich glaube aber, wir sollten darüber intensiv im Aus-schuss reden.

Ich habe es nur mal sehr kursorisch gemacht undwollte zumindest das eine oder andere mal in diepolitische Relation setzen, in die es gehört, undauch mit der Wertigkeit der Arbeit anderer Kulturmi-nister in der Vergangenheit abgleichen. VielenDank.

(Beifall DIE LINKE)

Präsidentin Diezel:Als Nächste spricht Abgeordnete Henfling für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Abgeordnete Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr ge-ehrte Präsidentin, die CDU bringt mit ihrem Antragzum Europäischen Jahr des Kulturerbes 2018 eineetwas verworrene kulturpolitische Einschätzung indas heutige Plenum ein. Der Antrag fordert im ers-ten Teil eine umfangreiche Berichterstattung derLandesregierung. Wir wissen, eine seriöse Evalua-tion braucht Zeit, und das Jahr 2018 ist ja erst kürz-lich zur Neige gegangen. Es spricht also nichts da-gegen – da schließe ich mich dem Kollegen Har-tung an –, den Bericht der Landesregierung im Aus-schuss entgegenzunehmen und zu vertiefen. EinigeFragen interessieren auch mich und sicherlich auchmeine Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfrak-tionen.

Im zweiten Teil des Antrags ist allerdings nicht vielmehr als Prosa reingekommen. Die meisten Ihrerhier formulierten Aufträge haben wir bereits in die-ser Legislaturperiode umgesetzt. Tun Sie sich denGefallen und schauen Sie doch mal in den Haus-haltsentwurf des Jahres 2020, auch wenn es Ihneninnerlich etwas wehtut, sich den anzuschauen. Mirscheint, die Quintessenz Ihres Antrags ist, Sie hät-ten gern den gleichen Haushalt wie R2G im Kultur-bereich abgeschlossen, haben es aber in Ihren

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12235

(Abg. Dr. Hartung)

25 Jahren nicht hinbekommen. Klingt ein wenignach Neiddebatte. Es ist schade, dass Sie da sodünnhäutig sind.

Ihr Punkt I verwirrt aber ein bisschen. Im Berichts-ersuchen zweifeln Sie die Angemessenheit der An-strengungen der TSK an, noch im Punkt II.1 wollenSie aber, dass die 2018 im Rahmen von Initiativenentstandenen Netzwerke und Kooperationen weiterunterstützt werden. Das klingt eher nach: Schön,dass ihr was gemacht habt, bitte weiter so, kannman dankend annehmen.

Unter Punkt II.2 fordern Sie dann: „Sowohl die insti-tutionelle als auch projektbezogene Kulturförderungist dauerhaft auf einem angemessenen Niveau fort-zuführen.“ Für die Projektförderung wurde unterR2G übrigens so viel Geld wie noch nie in denHaushalt eingestellt. Die Musik- und Jugendkunst-schulen wurden unter R2G in die institutionelle För-derung aufgenommen. Das ist sehr hervorragend.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: 11 Milliar-den!)

Ihren Punkt 2 haben wir damit eigentlich schon um-fänglich erfüllt.

Bei Punkt 4 wollen Sie Kinder und Jugendlichedurch Austauschprogramme stärker in den Genussvon kultureller Bildung kommen lassen und eineStärkung der Museen. Das klingt nach der Muse-umsperspektive, die schon öffentlich vorgestelltwurde. Auch im Haushalt wurden diese bedachtund finanziell zukunftsfähig aufgestellt und auchdas Volontärprogramm ist verstetigt worden, wieSie unter Punkt 6 fordern.

Die finanziellen Mittel für die Kulturgutdigitalisierungwurden ebenfalls erhöht – Ihre Forderung vonPunkt 5. Dort formulieren Sie, dass Sie außerdemgern das Konzept zur Kulturgutdigitalisierung vor-gelegt bekommen wollen. Das können wir danngern im Ausschuss vertiefen.

Am Ende bleibt von Ihrem Antrag nicht viel Inhaltübrig, aber aus meiner Sicht einige Fragezeichen.Die sind vor allem in Ihrem Sprach- und Gedanken-duktus begründet. Aber das ist auch eine Sache,die wir gern im Ausschuss noch weiterdiskutierenkönnen. Wir plädieren aber schon mal dafür, mehrvon Utopien, weniger von Kitt in der Gesellschaft zusprechen, vielleicht hilft das ein bisschen, die Kulturnach vorne gedacht und nicht immer nur nach hin-ten gedacht zu sehen, so wie Sie das hier in IhremAntrag machen. Aber natürlich sind wir gern bereit,im Ausschuss auch noch sehr ausführlich mit Ihnendarüber zu sprechen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Für die AfD-Fraktion hat Abgeordne-ter Rudy das Wort.

Abgeordneter Rudy, AfD:Sehr geehrte Frau Parlamentspräsidentin, sehr ge-ehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Zu-schauer, die CDU redet über Europa oder denkt je-denfalls, dass sie über Europa redet. Tatsächlichscheint es in diesem Antrag aber weniger um Euro-pa als vielmehr um die Europäische Union zu ge-hen. Ein Beispiel dafür war: Herr StaatssekretärKrückels hat in seiner vorigen Rede davon gespro-chen, dass Europa von Spanien bis Polen geht. Ichdenke, da hat er schon einiges vergessen – einwichtiges Land.

Weil bald Wahlen zum EU-Parlament stattfinden,wollen sich die Kollegen der CDU als EU-Enthu-siasten präsentieren. Um das Ganze irgendwie par-lamentarisch thematisieren zu können, hat mansich das Europäische Kulturerbejahr 2018 ausge-sucht. Niemand hat etwas dagegen, über das Euro-päische Kulturerbejahr 2018 – European Year ofCultural Heritage – zu reden. Das waren viele guteIdeen, viele lobenswerte und interessante Veran-staltungen. Es gab zahllose Möglichkeiten, europä-ische Kultur in ihrer Vielfalt und in ihren Gemein-samkeiten kennenzulernen. Es wurden Impulse ge-setzt, die weiter wirken – das freut uns als AfD-Fraktion.

(Beifall AfD)

Ja, es ist gut, wenn wir über europäische Traditio-nen und über gemeinsames europäisches Erbe re-den und wenn sich die Menschen damit auseinan-dersetzen. Nur glaube ich, dass es der CDU imGrunde gar nicht um dieses Kulturerbejahr geht. Obdie CDU-Fraktion selbst so genau weiß, worum esin diesem Antrag eigentlich geht, ist ohnehin frag-lich.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Sie wissen es, oder was?)

Ja, natürlich.

Denn der Antrag ist ein wildes Sammelsurium vonBeschwörungsformeln und Assoziationen.

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Der war doch gar nichtvon Ihnen!)

12236 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Henfling)

Kulturerbejahr, Europa, EU-Werte, Kulturtourismus,Zivilgesellschaft, natürlich Nachhaltigkeit, Akzep-tanz, Gesinnung und natürlich Digitalisierung – dahabe ich Klimaneutralität vergessen. Das sindStichwörter, die da auftauchen, „tutti frutti“ sagt derItaliener. Und doch lässt sich diese gewisse Linie indiesem wirren Text identifizieren. Es ist die alteIdee, dass die Politik den Menschen vorgeben müs-se, was sie von der EU zu halten haben, die Idee,dass die Politik eine europäische Identität herbei-zwingen müsse. Mit europäischer Identität meintman natürlich platterweise Zustimmung zur EU,zum europäischen Einigungsgedanken. Genausosteht es da, dass nämlich das Bewusstsein derMenschen geformt werden soll. „Die Landesregie-rung“, so heißt es wörtlich, „wird aufgefordert, dieAkzeptanz der europäischen Integration und Werte-gemeinschaft im Bewusstsein der BevölkerungThüringens […] zu stärken“.

Es geht also um das, was wir jetzt alle schon alsFraming kennen: Die Menschen sollen auf denBrüsselkurs konditioniert werden. Ich persönlichlehne ihn ab – genauso wie die AfD –, das ist mitder AfD nicht zu machen. Wir haben nach den Er-fahrungen des 20. Jahrhunderts die Nase von ge-sinnungsproduzierenden Staaten gestrichen voll.Wir akzeptieren nur noch freiheitliche Staatlichkeit.

(Beifall AfD)

Warum die CDU die Menschen in dieser Weisekonditionieren will, liegt auf der Hand: weil die CDUnämlich weiß, dass die Menschen schon längstskeptisch gegenüber dem Elitenprojekt EU gewor-den sind. Und die Menschen sind zu Recht skep-tisch geworden, weil sie sehen, wohin dieses Pro-jekt geführt hat. Dieses EU-Projekt hat beispiels-weise zu einer Niedrigzinspolitik geführt, weil manauf Gedeih und Verderb an einem anderen Projektfesthalten will, nämlich der Eurowährung. Zu derensogenannter Rettung enteignet man de facto dievielen Millionen Sparer. Das EU-Projekt hat zu zahl-losen Normen geführt, die unsere kleinen und mitt-leren Unternehmen mit bürokratischen Pflichten be-lasten, die sie kaum mehr erfüllen können. Ich erin-nere nur an die unsinnige Datenschutzverordnung,die übrigens auch der Vereinsarbeit das Lebenschwer macht. Ich möchte gar nicht mehr Beispielenennen, es gibt noch Dutzende.

Was die Menschen gegenüber dem ElitenprojektEU skeptisch macht, ist vor allem, dass sich immermehr von einer demokratisch nicht legitimierten, le-bensfernen Brüsseler Bürokratie bevormunden las-sen müssen. Weil die Menschen in Europa traditio-nell die Bevormundung ablehnen, gehen sie aufDistanz. In Großbritannien war es dieser Freiheits-impuls, der dazu geführt hat, dass sich die Briten

nicht länger von Brüssel aus fernsteuern lassenwollen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Oh ja!)

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Oh ja!)

Wenn man verstehen will, warum die Menschen aufDistanz zur EU gehen, muss man etwas von Euro-pa verstehen – vom wahren Europa.

(Beifall AfD)

Dieses wahre Europa hat nämlich mit dem EU-Europa nicht allzu viel gemeinsam.

(Unruhe im Hause)

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Jetztwerden wir es hören!)

Ja, hört genau zu! Was ist denn dieses europäischeErbe, das „European Heritage“? Welches sind denndie Werte, die Europa zu dem gemacht haben, wases war und was es für die Menschen in den Län-dern immer noch ist?

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: WasIhr gerade kaputt macht!)

Es sind die Werte: Gott, Familie und Vaterland. Dashat Europa groß gemacht.

(Beifall AfD)

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Gott, also die christliche Religion mit der göttlichenEbenbildlichkeit als Kernidee, Familie, also die Le-bensgemeinschaft von Vater, Mutter und Kindern,und Vaterland, also der moderne, auf der Volkssoli-darität beruhende säkulare Staat, mit diesem Euro-pa hat die EU nichts gemein.

(Beifall AfD)

Denn dieses wahre Europa, dessen Erbe wir pfle-gen müssen, ist ein Europa ohne Massenzuwande-rung aus islamischen Staaten,

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Ja,jetzt sind wir beim Thema!)

ein Europa ohne Homo-Ehe und ein Europa derRechtsstaatlichkeit.

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Ein paar Worte zu diesem letzten Punkt: Der neu-heitliche europäische Staat, das ist die politischeOrdnung, die sich durch Staatsvolk, Staatsgebietund Staatsgewalt definiert. Staatsvolk ist unverein-bar mit der multikulturellen Gesellschaft, die die EUaus Europa machen will. Staatsgebiet ist unverein-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12237

(Abg. Rudy)

bar mit einer Politik der offenen und ungeschütztenGrenzen. Staatsgewalt ist unvereinbar mit rechts-freien Zonen und Parallelgesellschaften, unverein-bar mit Zerfall der inneren Sicherheit und dem fort-währenden Bruch des Rechts, auch des EU-Rechts. Das Europa, das wir kennen und meinen,ist nicht das Europa, das die Euraten im Blick ha-ben. Das wissen die Menschen im Lande. Die Poli-tik der AfD-Fraktion ist eine Politik pro Europa,

(Heiterkeit CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

eine Politik für das wahre Europa, eine Politik deseuropäischen Erbes.

(Beifall AfD)

Die Politik der CDU ist eine Politik der zentralisti-schen Brüsselherrschaft. Darin wird sie von allenanderen Altparteien unterstützt.

(Heiterkeit CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Was immer sonst mit diesem merkwürdigen Antragbeabsichtigt ist, verdient er schon allein wegen dereurokratischen Grundlinie unsere Ablehnung. Vie-len Dank.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Tutti frutti!)

Tutti frutti – ab in die Tonne.

(Heiterkeit DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Wir setzen die Aussprache auch beiHeiterkeit im Saal fort. Als Nächste spricht Frau Ab-geordnete Mitteldorf. Bitte schön.

Abgeordnete Mitteldorf, DIE LINKE:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, ich fühle mich einbisschen, als müsste ich jetzt „Helau“, „Alaaf“,„Krah-krah“ oder was auch immer von diesem Pultrufen und finde das wirklich tragisch, weil wir ei-gentlich zu einem Thema reden, was ein sehr wich-tiges für unsere gesamte Gesellschaft ist, und zwardas Thema „Kultur“. Wie wir gerade eindrucksvollgehört haben, fehlt es der AfD offensichtlich an le-sendem Verstehen, weil sie sich jetzt hier einzigund allein herablassen konnte, ihre EU-Kritik loszu-werden, die aber mit diesem Antrag herzlich wenigzu tun hat. Aber ein Wort, was ich jetzt neu gelernthabe, ist „Verschwörungsformeln“. Die „Verschwö-rungsformeln“ in diesem Antrag laut AfD-Abgeord-

neten sind im Übrigen – Achtung, jetzt wird es eineBildungsveranstaltung – alles Punkte, die Teil vonKultur und Kulturpolitik sind. Das mag Sie überra-schen, aber Kultur und Kulturpolitik ist eben mehrals nur die Bratwurst und der Horizont, den Sie of-fensichtlich damit verbinden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

(Zwischenruf Ramelow, Ministerpräsident:Nichts gegen die Bratwurst!)

Nein, natürlich nichts gegen die Bratwurst.

Ich komme zum Antrag: Es ist schon von meinenKolleginnen gesagt worden, dass wir diesen Antragnatürlich sehr gern an den Ausschuss überweisen,gerade auch, weil es uns natürlich interessiert, et-was breiter darüber zu diskutieren, was uns dasEuropäische Kulturerbejahr gebracht hat, welcheVeranstaltungen stattgefunden haben usw., und ge-rade auch zu den Forderungen, die die CDU-Frak-tion hier aufmacht, denn die sind – auch das istzum Teil gesagt worden – nicht per se falsch oderirgendwie abwegig, sie sind nur leider, muss ich aneinigen Stellen feststellen, eben dann doch sehrunkonkret formuliert. Ich würde diesen Antrag poli-tischer und konkreter machen und natürlich auchdarüber reden, dass bestimmte Punkte in diesemAntrag tatsächlich redundant sind, weil sie – unddas ist schon erläutert worden – tatsächlich bereitsgemacht bzw. sogar ausgebaut werden. Die Bei-spiele, die bereits genannt worden sind, lasse ichmal weg. Aber ich sage hier zum Beispiel zuPunkt 6, wo Sie vom Volontär-Programm sprechen,da empfehle ich einen Blick in den Landeshaushalt,und zwar in die vergangenen und auch in den, denwir jetzt noch beschließen. Da können Sie nachle-sen, dass vor allem auch das Volontariatspro-gramm, gerade im Museumsbereich, nicht nur fort-geführt wird, sondern die Mittel auch erhöht wer-den. Also das sind alles Dinge, die wir schon tun.

Man muss, glaube ich, noch mal eines ganz deut-lich in Bezug auf die Frage „kulturelles Erbe“ unddie Förderungen im Europäischen Jahr des Kultur-erbes sagen: Darüber hinaus – auch das lässt sichwunderbar in den Haushalten des Freistaats Thü-ringen lesen – verwendet der Freistaat für das Be-wahren und das Entwickeln von kulturellem Erbe indiversen Haushaltstiteln in Millionenhöhe Geld –auch das richtigerweise –, und – das muss maneben auch sagen – zum Glück sind wir im Momentin einer Situation, wo wir das mit wachsenden Titelnmachen können. Das ist, glaube ich, eine Ge-schichte, da kann uns auch die CDU-Fraktion nichtvorwerfen, dass wir hier irgendwie einfach nur Geldrausschmeißen würden. Sondern das ist – so wie

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(Abg. Rudy)

ich das aus Ihrem Antrag lese – auch für Sie richtigangelegtes Geld.

Es gebe natürlich noch – das ist immer so ein biss-chen mein Petitum – die Möglichkeit zu sagen: Ja,Sie beziehen sich in diesem Antrag im Speziellenauf das europäische Kulturerbe, und ja, Ihr Forde-rungskatalog, der daraus hervorgeht, bezieht sichin weiten Teilen auch auf den Aspekt des Bewah-rens. Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt, aber inder Frage von Kultur und Kulturpolitik ist Bewahreneben nur ein Aspekt. Aus meiner Sicht muss es imkulturellen Verständnis und besonders auch im kul-turpolitischen Handeln immer eine Balance zwi-schen dem Bewahren des Erbes und dem Zulassenvon neuen Impulsen und kreativen Ideen geben.Ich finde, es ist in ganz Deutschland viel zu vieleJahre ganz engstirnig darüber geredet worden, alswäre das immer nur eine Entweder-oder-Frage inder kulturpolitischen Debatte. Ich glaube ganz fest,dass es zusammengehört und dass es auch in Thü-ringen gelebte Praxis ist, dass es immer mehrwächst, im Übrigen auch an Netzwerken und Syn-ergien, die von ganz alleine entstehen, gewachsensind und gelebt werden, ohne dass – das ist auchvöllig richtig – der Freistaat in unserem Fall irgend-welche Dinge erzwingen muss. Es gibt einen gro-ßen und breiten Nährboden an Sachen, die in die-sem Freistaat passieren, auch schon über vieleJahre passieren. Ich finde, immer wenn man überdas kulturelle Erbe redet und darüber, was die Ver-mittlung des kulturellen Erbes, das Bewahren deskulturellen Erbes anbetrifft, darf man nicht den Brü-ckenschlag vergessen, weil aus dem kulturellen Er-be auch immer der Impuls für die Neuzeit erwächstund auch erwachsen muss. Ich finde, das gehörtauch in so einen Antrag. Das ist wieder ein Punkt,den ich auch gern im Ausschuss noch etwas tieferdiskutieren möchte.

Dann will ich noch eines sagen – Kollege Hartunghat es schon angedeutet –, wenn Sie in Ihrem An-trag unter II.3 die Bund-Länder-Beziehung – nenneich es mal – in der Kulturförderung ansprechen: Siebeschreiben, dass Sie das im Rahmen dessen, wasjetzt schon möglich ist, forciert haben wollen. Dasverstehe ich auch. Da ist die CDU – das hat derKollege Hartung angedeutet – in ganz Deutschlandnoch nicht ganz so weit, wirklich über eine ernsthaf-te Gemeinschaftsaufgabe „Kultur“ von Bund undLändern reden zu wollen. Aber ich will mal sagen,dass wir natürlich an mehreren Stellen, auch imFreistaat, in einer Situation sind, wo wir natürlichdankbar sind, dass sich der Bund an der Kulturför-derung beteiligt. Aber – und das sage ich auchganz klar – die Art und Weise, wie dies geschieht,kann ich einfach nicht gutheißen, weil im Moment inden Bahnen und in den Gesetzmäßigkeiten, in de-

nen wir sind, der Bund immer, wenn er Förderun-gen für bestimmte Bereiche, auch im Bereich Kul-tur, in Form von Programmen oder in Form vonSonderinvestitionsprogrammen etc. in Aussichtstellt, in die Kulturhoheit eingreift – aus Sicht desBundes verstehe ich das sogar ein bisschen – undsehr gern bestimmen möchte, wie das Geld ausge-geben wird.

Dabei wird oft vergessen, dass mit Programmenaus dem Bund, weil es eben keine echte Gemein-schaftsaufgabe „Kultur“ gibt – ich wäre übrigens im-mer dafür, einmal ganz ernsthaft darüber zu reden,wie das gehen kann, ohne dass die Länder ihre re-gionale Identität und ihre regionale Prioritätenset-zung in der Kulturförderung verlieren. Aber derBund gibt Geld hinein und in den seltensten Fällengelingt es, bereits gewachsene Strukturen und be-reits gewachsene Netzwerke in diesen Fördertopfhineinzubringen bzw. diese davon profitieren zu las-sen. In ganz Deutschland ist es ein Problem, dassdann in den Antragsverfahren dazu auf Landesebe-ne – bzw. sogar darunterliegend, wenn es direkt andie Kommunen gehen soll oder einzelne Verbändeund Vereine betrifft – ein Riesenaufwand betriebenwerden muss. De facto müssen neue Projekte aus-gedacht werden, um die Bundesförderung abzu-greifen. In der Kulturförderung, wie sie jetzt seitensdes Bundes passiert, ist nicht vorgesehen, beste-hende Sachen, die es auch verdient hätten, weiter-zuführen und zu unterstützen.

Deswegen rede ich in den Diskussionsrunden –auch innerhalb meiner Bundespartei – immer da-rüber, in welcher Form wir es hinkriegen können,wenn wir es denn wollen. Ich wäre dafür, eineernsthafte Gemeinschaftsaufgabe „Kultur“ gemein-sam mit dem Bund auf Augenhöhe zu etablieren.Das ist im Übrigen im Bericht der Enquetekommis-sion „Kultur in Deutschland“ tatsächlich diskutiertworden. Es lohnt sich, auch jetzt – mittlerweile elfJahre danach – noch einmal sehr ernsthaft darüberzu diskutieren, ohne dass es zu einer Neiddebattewird.

Wie es der Zufall wollte, hat der Geschäftsführerdes Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, heuteMorgen gerade wieder den neuen kulturpolitischenWochenbericht getwittert. Darin gibt es eine Aussa-ge von ihm in seinem Editorial: Er geht davon aus,dass ein tatsächliches Kulturministerium auf Bun-desebene, was es bis heute nicht gibt, in dernächsten Legislatur des Bundestags nicht aufzuhal-ten sei. Das fordert der Deutsche Kulturrat im Übri-gen seit 21 Jahren. Auch meine Partei und Fraktionhaben das immer gefordert. Olaf Zimmermann hatnicht ganz Unrecht. Das ist wirklich ein sehr lesens-wertes Editorial. Er zählt noch einmal auf, welche

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12239

(Abg. Mitteldorf)

Kulturbereiche in den einzelnen Bundesministerienverhandelt werden. Ich kann nur jedem empfehlen,sich das durchzulesen, um sich auch bewusst zumachen, wie breit eigentlich die Themen „Kultur“und „Kulturpolitik“ sind und das, was auf Bundes-ebene passiert. Wenn wir es besser verzahnenkönnten und eine gemeinsame nachhaltige Kultur-förderung hinkriegen würden, wäre das sehr schön.Das können wir wohl sicherlich – das weiß ich auch– nicht in diesem Ausschuss im Thüringer Landtagbeschließen und irgendwie auf den Weg bringen.Aber vielleicht – das ist meine große Hoffnung –können wir im Ausschuss darüber reden, wie wirvielleicht als Vision und vielleicht auch ein Stückweit als Utopie, die es aber wert ist, darüber mal zureden, vorankommen.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Debatte imAusschuss. Ich glaube, dass es sehr viel darüberzu reden gibt, wie wir im Zweifelsfall noch präzisie-ren, was man an Schlussfolgerungen aus diesemKulturerbejahr ziehen kann, aber auch, was wir inGänze aus der Frage „Umgang mit unserem sehrvielfältigen kulturellen Erbe“ noch so hinkriegen. Ichwürde mich freuen, wenn das irgendwie gemein-sam gehen könnte. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Gibt es weitere Wortmeldungen? Diesehe ich nicht. Dann kommen wir zum Antrag. Eswurde von den Fraktionen Die Linke,Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der CDU –der AfD nicht, wenn ich das richtig verstanden ha-be, wird auch Ausschussüberweisung beantragt?Nein, gut – Ausschussüberweisung an den Aus-schuss für Europa, Kultur und Medien beantragt.Wer ist dafür? Die Fraktionen Die Linke, Bündnis90/Die Grünen, die SPD und die CDU. Wer ist da-gegen? Dagegen ist niemand. Wer enthält sich? Esenthält sich die Fraktion der AfD. Damit ist die Aus-schussüberweisung bestätigt und ich schließe denTagesordnungspunkt. Wir kommen jetzt zu Tages-ordnungspunkt 21, den wir auf alle Fälle behandelthaben wollten.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 21

Datenschutzordnung des Thü-ringer LandtagsAntrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6822 -

Wünscht jemand aus diesen Fraktionen das Wortzur Begründung? Ja, bitte, Frau Henfling.

Abgeordnete Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr ge-ehrte Präsidentin, wir reden mal wieder über denDatenschutz. Das kommt hier nicht so häufig vor,ist aber eigentlich ein wichtiges Thema. Daten-schutzrechtliche Bestimmungen, welche den Da-tenaustausch zwischen dem Landtag und den Ab-geordneten, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern und den Fraktionen und deren Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern regeln, gab es in anderen Bundes-ländern schon vor den Zeiten der Datenschutz-Grundverordnung. Das ist prinzipiell keine neue Er-findung.

Thüringen hatte in der Vergangenheit keine Daten-schutzordnung. Mit dem Thüringer Datenschutzge-setz vom Juni 2018 wurde in § 2 Abs. 6 Satz 3 und4 dem Landtag der Auftrag mitgegeben, dass dieVerarbeitung personenbezogener Daten bei derWahrnehmung parlamentarischer Aufgaben durchden Landtag sowie der parlamentarischen Tätigkeitder Abgeordneten einschließlich der Fraktionendurch eine eigene Datenschutzordnung geregeltwerden soll. Diesem Auftrag sind wir als Koalitions-fraktionen mit unserem Vorschlag einer Daten-schutzordnung nachgekommen. Die wesentlichenPunkte der Ordnung betreffen den Datenaustauschmit dem Landtag und innerhalb des Landtags. DerLandtag nimmt dabei eine Doppelrolle ein. Er istzum einen Verfassungsorgan. Als Parlament bzw.Gesetzgeber ist er die erste Staatsgewalt und lautVerfassungsprinzip als ein solches Verfassungsor-gan eigenständig und unabhängig von den anderenStaatsgewalten Verwaltung und Rechtsprechung.Für den Bereich seiner Tätigkeit als eigenständigesVerfassungsorgan und die Aufgabenerfüllung alsParlament und Gesetzgeber gibt sich der Landtagdiese Datenschutzordnung. Er ist allerdings auf deranderen Seite auch eine Verwaltungseinrichtung.Das Thüringer Landesdatenschutzgesetz nimmtdiese Trennung auf und formuliert einen Datenbe-standskatalog für Verwaltungshandlungen. Für Da-tenverarbeitung in diesen Tätigkeitsbereichen giltdas Thüringer Datenschutzgesetz.

Als eigenständige Regelung in datenschutzrechtli-chen Fragen war es uns ein Anliegen, dem eher dif-fusen Bereich der parlamentarischen Tätigkeit ei-nen Leitgedanken zur Seite zu stellen. Der Leitge-danke dieser Ordnung findet sich in § 1 wieder:„Aufgabe dieser Datenschutzordnung ist es, dasRecht auf informationelle Selbstbestimmung natürli-cher Personen durch die Tätigkeit des Landtags

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(Abg. Mitteldorf)

und seiner Organe auch im Datenaustausch mitden Abgeordneten und deren Mitarbeitenden sowieden Fraktionen und deren Mitarbeitenden zu wah-ren.“ Die Wahrung der informationellen Selbstbe-stimmung von Personen ist ein grundrechtlich ge-schütztes und oberstes Gut. Sie soll im Mittelpunktunserer Betrachtung stehen. Da die nationalen Par-lamente nicht dem Unionsrecht unterfallen, sonderndem Recht der Mitgliedstaaten unterstehen, findetdie Datenschutz-Grundverordnung für die parla-mentarische Arbeit keine Anwendung. Dennoch be-kennen sich die Abgeordneten und Fraktionen zumSchutz personenbezogener Daten. Die Daten-schutzordnung versucht, beide Interessen in Ein-klang zu bringen.

Dabei sind zwei verfassungsrechtliche Gebote zubeachten. Erstens: Die Datenschutzordnung kannund darf nur die Datenverarbeitung zwischen demLandtag, seiner Verwaltung und seinen Organenauf der einen Seite und den Abgeordneten, derenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Fraktionenund wiederum deren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern auf der anderen Seite regeln. Zweitens: Kon-krete Anweisungen für interne Abläufe an die Frak-tionen darf die Datenschutzordnung nicht geben.Damit ist die Datenschutzordnung ein vergleichs-weise schwaches Schwert im datenschutzkonfor-men Umgang mit personenbezogenen Daten undder innerfraktionären parlamentarischen Arbeit.Gleichzeitig können und wollen wir uns der Aufgabenicht entziehen. So sind die Fraktionen unter § 2Abs. 3 angehalten, sich eigene Regelungen für ihreinternen Datenverarbeitungen zu geben, die demLeitgedanken aus § 1 gerecht werden.

Den Diskurs, wie dieser Leitgedanke in den konkre-ten parlamentarischen Abläufen umgesetzt werdenkann, wollen wir gern gemeinsam im Ausschussanhand unseres Antrags führen und datenschutz-rechtliche Aspekte stärker in den Fokus der Fraktio-nen stellen. Deswegen bitten wir um Überweisungan den Justizausschuss. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Mir liegt die Wortmeldung der Frak-tion der CDU vor. Herr Geibert, bitte schön.

Abgeordneter Geibert, CDU:Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnenund Kollegen, wir haben hier einen interessantenAntrag vorliegen, den ich auf der einen Seite alsbedauerlich und zum Zweiten als peinlich empfinde.Bedauerlich, weil an sich in diesem Rund seit An-

beginn ein Konsens besteht, dass Dinge, die dieParlamentarier betreffen, zunächst in parlamenta-rischen Arbeitsgruppen vorberaten werden unddann in Übereinstimmung und in Anbetracht dieserDiskussion gegebenenfalls – wenn der Rechtscha-rakter das erfordert – hier im Rund eingebracht undbehandelt werden. Das ist die Vorbemerkung zu„bedauerlich“. Aber das, was vorliegt, ist auch pein-lich. Es ist ganz offensichtlich abgeschrieben, es istschlecht abgeschrieben. Abgeschrieben – würdeich mal annehmen – aus Schleswig-Holstein, aberes verkennt vieles.

Das fängt schon damit an, dass in § 2 beim Gel-tungsbereich das Abschreiben von unserer eigenenVorschrift, nämlich dem Thüringer Datenschutzge-setz, nicht gelungen ist. Alle vier Ziffern, die drinste-hen, sind falsch abgeschrieben bis dahin, dass dieZiffer 3 die Landesverfassung falsch zitiert. Da wirdAbs. 4 der Landesverfassung zitiert, das ist die Au-ßenvertretungsbefugnis der Landtagspräsidentin.Sie meinen in Wirklichkeit Abs. 3 Satz 2. So ziehtsich das durch das komplette Papier durch und eswird auch erkennbar, wenn man sich das vergegen-wärtigt, was Frau Henfling hier eben ausgeführt hat,dass sie ganz offensichtlich den Regelungsgedan-ken nicht erkannt hat. Der Regelungsgedanke istnämlich nicht nur das Binnenverhältnis zwischenLandtag, Fraktionen und Abgeordneten, sonderninsbesondere auch das Außenverhältnis, der Wir-kungsbereich der Abgeordneten im Verhältnis zumBürger, wo ja die Masse der personenbezogenenDaten an sich entstehen dürfte. Aber all diese Feh-ler ziehen sich im Prinzip quer durch.

Zu jeder Vorschrift könnte man jetzt im Einzelnenetwas ausführen. § 2 Abs. 4, wo auf besondere Re-gelungsbereiche abgestellt wird, blendet etwa dasUntersuchungsausschussgesetz aus. § 3 Abs. 4 isteine ganz spannende Vorschrift, da soll uns vorge-geben werden, dass sich die Gestaltung und Aus-wahl von Datenverarbeitungssystemen an dem Zielauszurichten haben, keine oder so wenig personen-bezogene Daten wie möglich zu verarbeiten. Dasheißt, schon der Einkauf unserer EDV wird dort re-glementiert. Ja, Gestaltung und Auswahl von Da-tenverarbeitungssystemen – heißt das, ich kannkein Microsoft-Produkt mehr einsetzen oder auchein anderes Softwareprodukt, oder heißt das, ichkann irgendwelche Hardwaredinge nicht einsetzen?In § 4 Abs. 1, wo es durcheinandergeht zwischendem Erheben, Speichern, Nutzen zur Erfüllung par-lamentarischer Aufgaben, dort wird etwas anderesals Voraussetzung benannt als in § 4 Abs. 2, wo esum die Erfüllung der parlamentarischen Aufgabenals Untergruppe zur Erstellung parlamentarischerInitiativen geht. Das ist ja nur ein besonderer Fallvon parlamentarischen Aufgaben. Dort werden wie-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12241

(Abg. Henfling)

derum ganz andere Dinge als Voraussetzung be-nannt. Interessant ist auch die Vorschrift in § 4Abs. 4.: Spätestens nach Abschluss der Wahlperio-de sind die personenbezogenen Daten – von denAbgeordneten erhobene oder von den Fraktionenerhobene – zu löschen. Da frage ich mich, warumdenn das. Für die Grünen ist das ja eine neue Er-fahrung, aber es gibt auch Abgeordnete, die sichmehrere Wahlperioden im Hohen Haus aufhalten.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Neuer als für Sie, aberganz neu auch nicht!)

Na ja, anscheinend doch, ansonsten hätten Sie dasnicht so reingenommen.

Auch der Abs. 5 ist interessant, der ist von Schles-wig-Holstein abgeschrieben, aber er hat nicht gese-hen, dass Sie in § 7 Abs. 3 was ganz anderes re-geln. In § 7 Abs. 3 regeln Sie das, was in Parla-ments-, Informations- und Dokumentationssys-temen gespeichert ist. Das wird aber von § 4 Abs. 5nicht in Bezug genommen. Das heißt also, es wärealles, was im AIS an personenbezogenen Datengespeichert ist, danach zu löschen. Das kann hiereinfach nicht gemeint sein. Und so könnte man jetztdas komplette Papier durchgehen. Jede Vorschriftist dabei der Diskussion auszusetzen.

Es geht, wie gesagt, nicht nur um den Bereich desVerkehrs des Landtags mit den Fraktionen, sondernes geht auch um den Bereich nach draußen, denman in den Blick nehmen muss. Die Vorschrift tutdas an einigen Stellen, aber Sie haben eben gera-de, Frau Henfling, betont, dass das nicht Rege-lungsgegenstand sein soll. Ich denke, wir tun gutdaran, das ganze Teil noch mal intensiv durchzuge-hen und zu bearbeiten. Es ist notwendig, eine Da-tenschutzordnung für den Landtag zu erlassen, dasist völlig unstreitig, aber dieses Papier ist dafür bes-tenfalls als Skizze geeignet. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Möl-ler von der AfD-Fraktion das Wort.

Abgeordneter Möller, AfD:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, liebe Gäste, ich mache esganz kurz: Wir brauchen so eine Datenschutzord-nung des Landtags. Herr Geibert hat schon ausge-führt, dass der vorliegende Entwurf einige Mängelaufweist. Uns sind auch noch welche aufgefallen,beispielsweise bei der Berichtigung unwahrer Tat-sachen. In dem Entwurf steht zum Beispiel die Pas-

sage – ich darf zitieren –: „Sind in einer Landtags-drucksache oder in einem Ausschussdokument Tat-sachen über eine bestimmte oder bestimmbarePerson veröffentlicht worden, deren Unwahrheitsich herausgestellt hat, sind die wahren Tatsachenauf schriftlichen Antrag des Betroffenen oder vonAmts wegen […] zu veröffentlichen“. Ja, was dennnun? Entweder von Amts wegen oder auf Antrag –da muss man sich schon entscheiden. Darüber soll-te man sich im Ausschuss noch einmal Gedankenmachen. Ich denke, das kriegen wir auch hin. Inso-fern werden wir einer Ausschussüberweisung zu-stimmen. Danke.

(Beifall AfD)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ichsehe, das ist nicht der Fall. Gewünscht ist die Über-weisung an den Ausschuss für Migration, Justizund Verbraucherschutz. Ich frage: Wer ist für dieseAusschussüberweisung? Ich sehe Zustimmung al-ler Fraktionen. Wer ist dagegen? Keine Gegenstim-men. Wer enthält sich? Es enthält sich auch nie-mand. Damit ist der Antrag an den Ausschuss fürMigration, Justiz und Verbraucherschutz überwie-sen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 20

Drogen- und Suchtpräventionfür Kinder und Jugendlicheund an Thüringer Schulen stär-kenAntrag der Fraktionen DIE LIN-KE, der SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 6/6821 -

Wünscht jemand aus diesen Fraktionen das Wortzur Begründung? Ich sehe gerade, Herr Abgeord-neter Wolf – Herr Abgeordneter Schaft.

Abgeordneter Schaft, DIE LINKE:Ich vertrete mal den Kollegen Wolf bei der Einbrin-gung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnenund Kollegen, werte verbliebene Zuschauerinnenauf der Tribüne und am Livestream, wir als Koali-tionsfraktionen legen Ihnen heute den Antrag zurDrogen- und Suchtprävention für Kinder und Ju-gendliche an Thüringer Schulen vor, um diese zustärken. Im Mai 2018 wurde von uns zu diesemProblem ein Selbstbefassungsantrag eingebrachtund an den Bildungsausschuss überwiesen. DerBildungsausschuss hat einen Bericht des Ministe-

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(Abg. Geibert)

riums zum Thema angehört und sich daraufhin ent-schlossen, die Möglichkeit der Geschäftsordnungzu nutzen, eine Anhörung durchzuführen. Es wur-den dann mehr als 40 Anzuhörende aus unter-schiedlichen Arbeitsbereichen zu dem Thema umStellungnahmen gebeten.

Auf deren Stellungnahmen gestützt konnten wir unsals Abgeordnete im Ausschuss dann am 10. Sep-tember in einer sehr konstruktiven und ergebnisrei-chen Anhörung ein zweifellos sehr gutes Bild da-rüber machen, was im Bereich der Präventionsar-beit, der Sucht- und Drogenprävention an denSchulen und in den Thüringer Kommunen bereitsgeschieht, aber eben auch dahin gehend, wo esnoch Lücken gibt und wo eventuell Probleme lie-gen. Dabei wurde vor allem deutlich, dass die Thü-ringer Schulen nicht nur als Lern- sondern auch Le-bensorte, an denen die Schülerinnen und Schülerjede Woche viele Stunden verbringen, einenSchwerpunkt bilden, wenn wir uns mit dem Thema„Sucht- und Drogenprävention“ auseinandersetzen.

Im Ergebnis dieser Diskussion legen wir jetzt hierals Koalitionsfraktionen diesen Antrag vor, der ausunserer Sicht dringliche und wichtige Schritte beidiesem Themenfeld skizziert und auch einige Maß-nahmen aufführt, die auf den Weg gebracht werdenmüssen. Wie aktuell die Frage der Prävention undUnterstützung im schulischen Bereich ist, zeigtauch heute die Mitteilung der Erfurter Elternvertre-tung, die beispielsweise die Suchtprävention für2019 zu ihrem Jahresthema und zum wichtigen Ar-beitsfeld erklärt hat. Sehr viele junge Menschen, dieheute in Kontakt mit Drogen kommen – da redenwir dann immer sowohl über legale als auch über il-legale Drogen – und davon abhängig werden, sindauf Unterstützung und Hilfe angewiesen. LassenSie uns deswegen aktiv werden – nicht nur dann,wenn es um die Begleitung geht, sondern ebenauch schon bei der Sucht- und Drogenprävention.Dazu haben wir diesen Antrag heute für die Bera-tung eingebracht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Dann eröffne ich die Beratung und für die CDU-Fraktion ist hier Herr Abgeordneter Bühl angemel-det.

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: Der mussseine Wurst noch zu Ende essen!)

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Nicht verschlucken, Herr Abgeordneter, ganz in Ru-he! Ich hoffe, sie hat geschmeckt.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Den Satz hört hoffentlich die Protokollierung!)

Abgeordneter Bühl, CDU:Dass dem Datenschutz in diesem Haus so wenigZeit gegönnt wird, das hätte ich bei den Koalitions-fraktionen bei Weitem nicht vermuten können, aberokay.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Sagt der, der nie zu den Sitzungen kommt!)

Nun, Sie könnten ja mal Ihren Datenschutzbeauf-tragten dazu anhalten, dass er uns im Ausschussbesucht,

(Beifall CDU)

dann hätten wir da auch diskutieren können. Aberdas will er ja scheinbar nicht. Er saß zwar vor derTür, aber er kam nicht.

Aber das ist nicht der Punkt, zu dem wir heute hiersprechen, sondern der Antrag, den Sie eingebrachthaben, „Drogen- und Suchtprävention für Kinderund Jugendliche und an Thüringer Schulen stär-ken“. Wir haben im Ausschuss eine sehr intensiveDiskussion mit vielen Anzuhörenden in einer – sa-gen wir mal – eher untypischen Situation geführt,nämlich dass wir aus einem SB-Antrag heraus eineAnhörung beschlossen haben; ich vermute mal,deswegen kommen Sie auch jetzt mit diesem An-trag. Man hätte es auch andersrum machen kön-nen, man hätte natürlich zuerst den Antrag hier imPlenum machen können, den dann an den Aus-schuss überweisen. Es war ein bisschen eine selt-same Situation, aber wir hatten eine gute Diskus-sion und haben auch viele Anzuhörende gehört.Vor allen Dingen ist mir die Äußerung der Polizei inden Ohren geblieben, die gesagt hat, sie schätztein, dass es an keiner Thüringer Schule keine Dro-genprobleme gibt, sondern dass es weit verbreitetist und fast jede Thüringer Schule auch mit Drogenin unterschiedlicher Art und Weise zu tun hat. Dasmuss einem natürlich schon Warnung und Mah-nung genug sein, hier auch etwas zu tun. Da sindwir uns – glaube ich – auch einig, dass wir dagegenauch vorgehen wollen.

Ich will bei diesem Punkt aber auch gleich sagen,dass Sie nicht nur so einen Antrag schreiben dür-fen, sondern auch konsequent bei sich selbst blei-ben sollten in dem, wie Sie mit aktuell illegalen Dro-gen umgehen, nämlich mit Marihuana, und dortnicht ständig die Legalisierung fordern sollten.Denn uns ist in dieser Anhörung auch ganz klar ge-sagt worden, dass das die Einstiegsdroge ist, die

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12243

(Abg. Schaft)

auch zu härteren Drogen führt. Deswegen sollteman da an Ihrer Stelle auch konsequent sein undsollte sagen: Wir wollen nicht, dass so etwas legali-siert wird, was eine starke Einstiegsdroge ist.

(Beifall CDU)

Im Übrigen sollte man auch nicht dazu aufrufen, il-legale Drogen zu konsumieren,

(Beifall CDU)

so wie es die Linke in Altenburg gemacht und beieinem Fest dort dazu aufgerufen hat. Das, denkeich, tut dem Ansinnen, was Sie hier formuliert ha-ben, auch nicht gut.

Wenn man in die Punkte schaut, die Sie hier aufge-rufen haben, dann ist das alles doch – sagen wirmal – eher oberflächlich. Wir fangen mal an beiPunkt 1, den geeigneten Maßnahmen und fachlichversierten Partnerinnen und Partnern, wissen-schaftlichen, verlässlichen und repräsentativen Da-ten: Na ja, man kann das zwar versuchen, aber ausder Anhörung heraus hatte ich zum Teil nicht denEindruck, dass man von den Schulen eine ehrlicheAntwort bekommt, denn die Schulvertreter in derAnhörung haben eher gesagt, sie haben das Pro-blem bei sich nicht so. Es war die Polizei, die ge-sagt hat, es besteht ein extremes Problem.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Problem oder extremes Pro-blem?)

Deswegen muss man schon sehen, ob man dort zuErgebnissen kommt, die dann auch realistisch undehrlich sind.

Punkt 2, geeignete Maßnahmen zum Aufbau undzur Stärkung der kommunalen Vernetzung aller Ak-teure: Was sind denn geeignete Maßnahmen? Siebeschreiben hier nicht, was geeignete Maßnahmensind, das klingt mir eher wie ein Platzhalter, den Siehingeschrieben haben, um hier einen Punkt aufzu-nehmen.

Punkt 3, Landesstrategie „Drogen- und Suchtprä-vention an Schulen“: Auch das ist wieder nicht kon-kret, auch wenn es sicherlich einheitliche Maßnah-men braucht, wie man an Schulen damit umzuge-hen hat. Wir haben ja wirklich landesweit solcheDrogenfälle auch bei Schulen, bei denen mandenkt, die im ländlichen Raum mögen weniger be-troffen sein. Nein, auch die sind gerade zum Bei-spiel mit Crystal Meth betroffen. Das ist eine Droge,deren Ausmaße so extrem sind, dass man sich ein-fach fragt, wie man so etwas nehmen kann. Dage-gen muss man wirklich vehement vorgehen.

Aus-, Fort- und Weiterbildung: Ja, auch das istwichtig, auch das ist aber ein Platzhalter, der jetztnicht weiter untersetzt ist.

Dazu soll der Landtag dann 2020 unterrichtet wer-den. Also alles in allem kann man sicherlich nichtsFalsches dazu sagen. Es wurde nicht wirklich in dieTiefe gegangen. Ich habe eher den Eindruck, Siehaben hier was formuliert, weil Sie aus der Anhö-rung was formulieren mussten, weil wir angehörthaben, und das relativ schnell zusammengeschrie-ben. Wie gesagt: Das ist ein wichtiges Thema, ichfinde, dem sollte man mehr Tiefgang widmen, alsSie es hier getan haben – so viel zur Einschätzungvon uns dazu.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Wo ist Ihr Antrag dazu?)

Wenn Sie fragen „Wo ist Ihr Antrag?“: Wozu sollenwir was beantragen, wenn wir das im Ausschussaus einem SB-Antrag heraus behandelt haben?Das haben Sie ja jetzt praktisch neu in den Lauf ge-bracht. Wir hätten das von vornherein ein bisschenanders aufziehen

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ach ja, ist das Ihre Vorla-ge?)

und nicht aus einem SB-Antrag eine Anhörung ma-chen sollen. So viel dazu. Danke.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Gehen Sie doch wieder zuIhrer Wurst!)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Als Nächste spricht Frau Abgeordne-te Engel von der Fraktion Die Linke.

Abgeordnete Engel, DIE LINKE:„Es gibt keine drogenfreie Schule“ – Herr Loyenvon der Landespolizeiinspektion Erfurt. „[E]in nochimmer übliches Bild an Thüringer Schulen ist, dassvor und nach der Unterrichtszeit sowie […] in denPausen rund um das Schulgelände herum gerauchtwird“ – die Landesschülervertretung Thüringen. „Anillegale Drogen kommt man ganz leicht durch Dea-ler direkt vor der Schule“ – ein Jugendlicher aus Ei-senach. Dies alles sind Aussagen, die uns währendder Anhörung zu unserem Selbstbefassungsantragerreichten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen,liebe Zuschauerinnen auf der Besuchertribüne und

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(Abg. Bühl)

am Livestream, blicken wir der Realität ins Auge:Die meisten Kinder und Jugendlichen haben bereitsErfahrungen mit Alkohol, Nikotin und anderen Dro-gen gemacht. Oft wollen sie diese einfach nur aus-probieren und hören danach selbst wieder mit demKonsum auf. Einige von ihnen aber beginnen, re-gelmäßig Drogen zu konsumieren, und dies hatdann körperliche, emotionale sowie soziale Folgen.Sie entwickeln sogar eine Abhängigkeit und scha-den sich selbst und anderen sehr stark. Der Ein-stieg des Drogenkonsums im Kindes- und Jugend-alter ist mit einer Vielzahl von negativen psychoso-zialen Konsequenzen verbunden. Alkoholkonsumzum Beispiel wirkt sich auf alle Organsysteme so-wie das zentrale Nervensystem aus und kann ir-reversible Schäden verursachen. Der Konsum vonCannabis in jungen Jahren kann die Entwicklungvon psychischen Erkrankungen und psychotischenSymptomen fördern.

Selbstverständlich gibt es für die Drogen- undSuchtprävention auf Bundes- sowie auf Landesebe-ne bereits gesetzliche Grundlagen. Es geht alsonicht um die Frage, ob, sondern um die Frage, wiePräventionsmaßnahmen erfolgen sollen und kön-nen, also um deren Effektivität. Ich denke, dass wiruns alle darin einig sind, dass die Drogen- undSuchtprävention vor allem im Bereich der Schuleanzusiedeln ist. Denn Kinder und Jugendliche ver-bringen nun einmal den größten Zeitraum ihres au-ßerfamiliären Lebens in der Schule. Schule ist ebennicht nur Bildungsort, sondern besitzt auch eineweitreichende Sozialisationsfunktion. Sie ist Aus-gangspunkt für Kontakte und Aktivitäten und beein-flusst maßgeblich die biografische Entwicklung.

Aber was genau macht eigentlich ein effektivesPräventionsprogramm aus? Noch in den 70er-Jah-ren war die Suchtprävention zum großen Teil demKonzept der Aufklärung durch reine Wissensver-mittlung und Abschreckung verpflichtet. In Schulenwurden beispielsweise Broschüren über die Gefah-ren des Drogenkonsums verteilt, im Biologieunter-richt angsteinflößende Filme über die möglichengesundheitlichen Konsequenzen gezeigt oder derlokale Polizeibeamte kam mit einem sogenanntenDrogenkoffer in die Klasse und zeigte den Schü-lerinnen, wie verschiedene psychotrope Substan-zen aussehen. Durch Erfahrungsberichte von Kon-sumentinnen ist jedoch heute bekannt, dass verall-gemeinernde Postulate und dämonisch besetzte,verzerrte Darstellungen – wie „alle Crystal-Konsu-mentinnen werden rasend schnell zu Zombies“oder dass Produkten Batteriesäure oder Abflussrei-niger beigemengt werden – dazu führen, dass Aus-sagen zur Gefährlichkeit von Drogen kategorischals übertrieben abgelehnt werden und folglich wir-kungslos bleiben. Konsumentinnen berichten, dass

sie präventive Maßnahmen als zu stark auf das Bilddes kaputten Fixers zugeschnitten erlebt hätten.

Der erste Konsum dagegen findet gemäß der Schil-derung der Konsumentinnen meist in der Peer-group, also in der Bezugsgruppe – oder früher sag-te man Clique –, statt und beschert dem Konsumie-renden zunächst Anerkennung und eindrucksvolleVerbesserung der eigenen Befindlichkeiten. DerKonsumierende erlebt ein gesteigertes Selbstbe-wusstsein. Er kann die Nacht durchtanzen oderüberwindet seine Müdigkeit. Das Verschweigen vonanfänglich positiven Wirkungen, dass das nicht be-nannt wird, haben viele Konsumentinnen als gravie-renden Fehler bezeichnet. Präventionsprojekte, diedas Konzept der Abschreckung benutzen, erweisensich daher als wenig wirksam. Oft haben sie sogareine gegenteilige Wirkung. Dazu zählt auch diesersogenannte Revolution Train, der letztes Jahr auchan acht Thüringer Orten gastierte.

(Zwischenruf Abg. Walk, CDU: Sehr gut!)

In dem zu multimedialen Erlebnisräumen umgestal-teten Zug wird die scheinbare Lebenswelt vonsuchtmittelkonsumierenden Menschen dargestellt.So werden Szenen wie zum Beispiel der gewaltsa-me Zugriff einer Spezialeinheit, Beschaffungskrimi-nalität in Form von Prostitution sowie die Darstel-lung einer stark verschmutzten Wohnung von Dro-genkonsumentinnen gezeigt.

(Zwischenruf Abg. Walk, CDU: Welche Aus-sage!)

Dieser Ansatz erweist sich nicht nur als wenig wirk-sam, sondern gilt auch seit Jahrzehnten im Sinneeiner gelingenden Suchtprävention als überholt. Eswird suggeriert, dass bei Drogenkonsum der Wegin die Kriminalität, in die Abhängigkeit bis hin in denTod vorbestimmt wäre. Die Gründe für den Konsumwerden dabei genauso außer Acht gelassen, wiedas Aufzeigen von frühzeitigen Hilfen.

Gute Präventionsmaßnahmen im Bereich der Dro-gen- und Suchtprävention haben dagegen eine flie-ßende Grenze zur Entwicklungsförderung und lau-fen über einen viel längeren Zeitraum mit einemwesentlich größeren Umfang. Effektives, primärpräventives Bemühen zielt darauf ab, Schule so zugestalten, dass die Schülerinnen sich wohlfühlenkönnen und dass sie wichtige Impulse zur Persön-lichkeitsentfaltung erhalten. Da gilt es, Risikofakto-ren abzumildern und Schutzfaktoren zu stärken.Zentrale Schutzfaktoren sind zum Beispiel ein posi-tives Selbstwertgefühl, das Vertrauen in die Selbst-wirksamkeit, die Überzeugung, wichtige Ereignisseselbst beeinflussen zu können. Es hat auch einenGrund, warum meine Kolleginnen Diana Lehmannoder Astrid Rothe-Beinlich und ich die ganze Zeit

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(Abg. Engel)

rumrennen und für Mitbestimmungsrechte für Kin-der und Jugendliche werben. Wir wollen sie nichtnur beschäftigen, sondern wir gehen davon aus,dass es positive nachhaltige Effekte für die Persön-lichkeitsentwicklung hat.

Weitere zentrale Schutzfaktoren sind Beziehungs-und Konfliktfähigkeit, feste emotionale Bezugsper-sonen, ein gutes soziales Netzwerk oder nicht zu-letzt ein förderliches Klima in der Schule, das heißtüberschaubare Unterrichtsstrukturen und angemes-sene Anforderungen. Suchtprävention bedeutet dieFörderung der Lebenskompetenz bei gleichzeitigerWissensvermittlung über psychoaktive Substanzenund Suchtmechanismen sowie die Einflussnahmeauf bestehende Rahmenbedingungen. Suchtprä-vention muss auch als Anlass für Begegnung, fürAuseinandersetzung mit sich selbst und dem ande-ren als Beziehungsarbeit aufgefasst werden. Sucht-prävention ist damit auch eine pädagogischeGrundhaltung, die im wertschätzenden und respekt-vollen Umgang mit Schülerinnen, aber auch mitKolleginnen zum Ausdruck kommt.

Ein solches Suchtpräventionsprogramm ist zumBeispiel IPSY, das die Psychologin Prof. Dr. KarinaWeichold von der FSU Jena mit ihrem Team entwi-ckelt hat. IPSY ist eine Abkürzung und steht dafür,dass erst aus dem Zusammenspiel von Informationund psychosozialer Kompetenz der Schutz erfolgt.Psychisch gestärkte, gut informierte Jugendlicherauchen weniger, trinken weniger und konsumierenauch weniger andere Drogen. Bei IPSY geht esnicht nur darum, explizit vor Drogen zu warnen,sondern es werden auch die eigentlichen Ursachenfür Drogenkonsum angegangen, indem Kompeten-zen vermittelt werden, welche die Persönlichkeitstärken und den Jugendlichen helfen, Einflüssen imPeerkontex zu widerstehen, also dem Gruppen-druck standzuhalten. Die Effekte werden noch da-durch verstärkt, dass das Programm über einenlängeren Zeitraum – insgesamt drei Jahre – in derSchule implementiert wird. Es werden nicht nur Ver-änderungen der einzelnen Person, sondern im ge-samten Klassenverband angestrebt. Durch die Ver-änderung des Sozialverhaltens der Schülerinnenerfolgt nämlich gleichzeitig eine Verbesserung desKlassenklimas. Damit geht IPSY genau das zentra-le Problem an, was die LandeselternvertretungThüringen in ihrer Stellungnahme ebenfalls be-schrieben hat – ich zitiere –: „Das soziale Umfeldsteht im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsumder Jugendlichen. Das Klima in der Klasse scheintrelevantes Korrelat des Alkoholkonsums bei Kin-dern und Jugendlichen zu sein.“

Wir sind nun in Thüringen mit folgenden Problem-stellungen konfrontiert: Wie die Gesundheitsförde-

rung und damit auch die Suchtprävention in Thürin-gen erfolgt, liegt zu einem großen Ausmaß bei denSchulen selbst. Diese sind jedoch konfrontiert miteiner wahrlichen Angebotsflut an Präventionsmaß-nahmen. Häufig werden deshalb der Einfachheithalber Präventionsstrategien gewählt, die kurzfristigdurch Externe implementiert werden können undnatürlich mit geringem Aufwand und geringen Kos-ten verbunden sind. Dass dies aber oftmals wenigeffektiv ist, habe ich eben erläutert. Außerdem wis-sen wir relativ wenig über den aktuellen Drogen-konsum und die Suchtproblematiken von ThüringerKindern und Jugendlichen. Die vorliegenden Datensind nur begrenzt in der Lage, Rückschlüsse aufdie aktuelle Situation zu geben, da sich diese Datenauf die Kriminalitätsstatistik beziehen und somit nurdas Hellfeld des schwerwiegenden Konsums wie-dergeben.

In Anbetracht dieser im Rahmen der Anhörung zumSelbstbefassungsantrag deutlich gewordenen Pro-blematik haben wir deshalb den nun vorliegendenAntrag verfasst, denn im Hinblick auf die großenUnterschiede der durchgeführten Präventionsmaß-nahmen in Thüringen brauchen wir dringend ein-heitliche Standards für die Präventionsarbeit sowieeine Vernetzung aller beteiligten Akteure. Zusätz-lich bedarf es einer Befähigung der Lehrkräftedurch Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich derDrogen- und Suchtprävention. Außerdem benötigenwir endlich verlässliche repräsentative Daten zurVerbreitung von Suchterkrankungen und zum Dro-genkonsum unter Jugendlichen.

Natürlich, Herr Bühl, ist das auch möglich, zum Bei-spiel macht das die Stadt Frankfurt jährlich. Seit2002 veröffentlicht die Stadt Frankfurt einen Moni-toringbericht zu Drogentrends, der einen Überblicküber Drogengebrauchssituationen in der Stadt bie-tet und sich unter anderem auf eine repräsentativeklassengestützte Schülerinnenbefragung beruft.

Im Sinne einer effektiven Drogen- und Suchtprä-vention für alle Kinder und Jugendlichen in Thürin-gen bitte ich Sie daher, diesem Antrag zuzustim-men.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Erlauben Sie mir bitte noch eine abschließende Be-merkung: Ein schulbasiertes Interventionspro-gramm wie zum Beispiel IPSY kann nur ein Teil ei-ner umfassenden Drogenpräventionspolitik sein,denn schulbasierte Interventionen können nur einbegrenztes Spektrum einschlägiger Risiko- undSchutzfaktoren für Drogenkonsum beeinflussen,nicht aber solche, die in Familie, in der Freizeit undin der weiterreichenden Gesellschaft liegen. Hier

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(Abg. Engel)

sind wir alle gefordert. Wir alle sollten einmal über-prüfen, wie wir gerade im öffentlichen Raum mitSuchtmitteln umgehen. Es hilft dabei nicht, hier jetztzwischen illegalen oder legalen Drogen zu unter-scheiden, denn diese Unterteilung ist vollkommenwillkürlich und sagt rein gar nichts über die Gefähr-lichkeit einer Substanz aus. Laut der Weltgesund-heitsorganisation geht jeder 20. Todesfall auf Alko-hol zurück. Damit sterben daran jedes Jahr mehrMenschen als durch Aids, Gewalt und Verkehrsun-fälle zusammen. Kollektive Besäufnisse unter demDeckmantel der Brauchtumspflege, wie wir sie ge-rade jetzt in der Faschingszeit erleben, sind derbeste Beweis, dass Alkoholmissbrauch eben keinProblem einer Randgruppe ist, sondern Alkohol dieGesellschaftsdroge schlechthin ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Raphael Gaßmann, der Geschäftsführer derdeutschen Hauptstelle für Suchtfragen – DHS – be-schreibt dies so – ich zitiere –: „In Deutschland ha-ben wir ein Konsumverhalten, das völlig unvernünf-tig ist, das kann eine Gesellschaft sich nur leisten,wenn sie das Problem herunterspielt. […] Als einzi-ge von allen psychoaktiven Substanzen wird nurder Alkohol nicht geahndet. […] Die deutsche Poli-tik erlaubt, bewirbt und fördert ihn sogar.“ Vielleichtdenken Sie am Wochenende mal darüber nach.Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Für die AfD-Fraktion hat Abgeordne-te Muhsal das Wort.

Abgeordnete Muhsal, AfD:Vielen Dank. Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, wir haben auf Antrag derRegierungsfraktionen eine Anhörung zum Thema„Drogenmissbrauch an Schulen“ durchgeführt. IhreBilanz daraus lautet – ich zitiere aus Ihrem An-trag –: In der Präventionsarbeit an Schulen würden„trotz schulgesetzlichem Auftrag immer wieder gro-ße Unsicherheiten und aktuelle Herausforderungenbestehen“. Meine Damen und Herren, das ist eineerstaunlich inhaltsleere Bilanz für eine so ausführli-che Anhörung.

(Beifall AfD)

Auch für den vorliegenden Antrag haben Sie eini-ges an Bedenkzeit gebraucht. Leider kommt auchdieser ziemlich oberflächlich daher. Ich sehe, dassda erstaunlicherweise auch mal eine Kongruenz zurEinschätzung mit der CDU besteht.

In Punkt 1 Ihres Antrags wollen Sie die Landesre-gierung bitten, Daten zur Verbreitung von Suchter-krankungen und Drogenkonsum unter ThüringerJugendlichen und an Schulen zu erheben. DiesesVorhaben finde ich grundsätzlich richtig, denn Er-gebnis der Anhörung war ja, dass das Datenfeld alssolches mehr als lückenhaft ist. Viele, die in derDrogenprävention arbeiten, haben keine Daten zumDrogenmissbrauch, sondern nur ihre persönlichePerspektive aus der Jugendsozialarbeit. Das hatbeispielsweise Frau Riedel von Polaris aus Jena er-zählt. Andere wie Herr Loyen von der Landespoli-zeiinspektion in Erfurt haben zwar einzelne Datengenannt, aber gerade Herr Loyen hat darauf hinge-wiesen, dass er von einer sehr hohen Dunkelzifferausgeht.

Sicherlich ist es sinnvoll, entsprechende Daten zuerheben, wie es auch Ihr Antrag vorsieht. Was michaber stört, ist, dass Sie nicht sagen, wie diese Da-ten erhoben werden sollen. Herr Loyen hat bei-spielsweise angemerkt, die Schulen seien nicht ver-pflichtet, Drogendelikte an die Polizei zu melden.An dieser Stelle könnte man konkret ansetzen.Statt das zu tun, schreiben Sie in Ihrem Antrag nur,die Daten sollten mit „geeigneten Maßnahmen undfachlich versierten Partnerinnen und Partnern“ er-hoben werden. Welche Maßnahmen sollen denngeeignet sein? Wenn Sie konkrete Vorstellungenhätten, dann würden Sie die doch sicher auch hi-neinschreiben.

Und wer sollen die fachlich versierten Partner sein?Planen Sie mit linken Sozialaktivisten oder ernst zunehmenden Personen? Das wäre mal interessant.Den Grünen wäre zuzutrauen, dass sie über eineAnschlussverwendung ihres ehemaligen Parlamen-tarischen Geschäftsführers der BundestagsfraktionVolker Beck nachdenken, der bekanntlich wegendes Anfangsverdachts auf Erwerb und Besitz vonDrogen von seinen Ämtern zurücktrat.

(Beifall AfD)

Diesem nebeligen Vorschlag werden wir jedenfallsnicht zustimmen.

Der gleiche Vorwurf trifft im Prinzip Punkt 4 IhresAntrags. Sie fordern, Lehrer in Drogen- und Sucht-prävention aus-, fort- und weiterzubilden sowieSchulsozialarbeiter kontinuierlich fortzubilden. Zu-nächst sind das doch zwei verschiedene Dinge. DerLehrer hat doch bekanntlich eine vollkommen ande-re Aufgabe als der Sozialarbeiter.

(Beifall AfD)

Selbstverständlich ist es nicht vollkommen verkehrt,wenn ein Lehrer Anzeichen von Drogenmissbraucherkennen kann. Aber ein Lehrer sollte vor allem ei-

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12247

(Abg. Engel)

nes: unterrichten. Von Ihnen bekommt er wieder ei-ne Zusatzaufgabe, deren Umfang und Nutzen ausIhrem Antrag nicht hervorgeht. Dann ist festzuhal-ten: Wenn wir immer nur weiter sozialpädagogisie-ren, dann ziehen wir nie die Wurzel des Übels.

Seitens der LPI Erfurt wurden zwei wichtige Punkteangemerkt. Erstens: Die Ressourcen der Polizeisind viel zu gering, um umfassende Präventionsar-beit leisten zu können. Zweitens: In Bezug aufCrystal Meth erklärte Herr Loyen, dass CrystalMeth als Problem beispielsweise aus Tschechienherübergeschwappt sei. Statt die Schule weiter zusozialpädagogisieren, liegt doch der Gedanke na-he, einfach mal die Polizei zu stärken – mehr Kräftefür die Präventionsarbeit, bessere Grenzkontrollenund mehr Zeit, Geld und Energie dafür, dass dieDrogen gar nicht erst nach Deutschland kommen.Denn eines ist klar: An einer Schule können sichnoch so viele Drogendealer herumtreiben, die kön-nen nichts verkaufen, wenn sie keine Drogen ha-ben, und sie werden auch keine verkaufen, wennes ihnen zu gefährlich wird, sprich sich die Gefahrerhöht, erwischt zu werden. Hier müssen wir dochgrundsätzlich ansetzen.

(Beifall AfD)

Zu Punkt 2 Ihres Antrags in aller Kürze: Sie wollenerneut, dass die Landesregierung geeignete Maß-nahmen unternimmt, um Akteure der Drogen- undSuchtprävention auf kommunaler Ebene zu vernet-zen. Auch das ist mir zu wischiwaschi, vor allemnach einer umfangreichen Anhörung.

Zu Punkt 3 Ihres Antrags: Die Landesregierung solleine Landesstrategie „Drogen- und Suchtpräventionan Schulen“ erarbeiten, um landesweit einheitlicheund verbindliche schulische Standards für die Prä-ventionsarbeit zu schaffen sowie die Informationenüber bestehende schulische Präventionsprogram-me und geeignete Projekte zu intensivieren. Auchdas ist mir viel zu oberflächlich, um dem zuzustim-men, vor allem wenn es von den rot-rot-grünenFraktionen kommt.

Vor allem, Frau Engel, wenn ich Ihre Rede gehörthabe, da zweifelt man ja wirklich an allem. Eigent-lich war die ganze Rede fürchterlich, muss man sa-gen, was die Thematik angeht,

(Unruhe DIE LINKE)

gerade was Sie am Ende gesagt haben. Ihre Aus-lassung, dass die Unterscheidung in legale und il-legale Drogen vollkommen willkürlich sei, und dieSchlüsse, die Sie gezogen haben, das ist einfachvollkommen daneben bei der Thematik.

(Beifall AfD)

(Unruhe DIE LINKE)

Allgemein ist mir noch in sehr guter Erinnerung,dass Frau Prof. Weichold von der Friedrich-Schiller-Universität Jena in der Anhörung erklärt hat, sieselbst habe zunächst bei der WHO in Genf gearbei-tet und dort Richtlinien für die Evaluation von Le-benskompetenzprogrammen entwickelt, sodann ha-be sie das Programm IPSY entwickelt und diesesdann selbst evaluiert. Wen wundert es, dass siedann zu dem Ergebnis kommt, dass ihr Programmgut ist? Falls das mit der Landesstrategie „Drogen-und Suchtprävention an Schulen“ nach dem glei-chen Prinzip gemacht werden soll – na dann guteNacht!

Insgesamt ist Ihr Antrag entweder unausgegorenoder absichtlich viel zu vage. Ich stimme ihm jeden-falls nicht zu. Herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Als Nächster spricht AbgeordneterDr. Hartung von der SPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,zu meiner Vorrednerin nur so viel: Ich möchte eineeinzige Gesellschaft sehen, bei der man Drogen-probleme mit mehr Polizei gelöst hat. Da gibt eskeine.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Dennoch fand ich die Anhörung sehr aufschluss-reich. Dort sind sehr viele Anregungen gekommenund ich möchte an dieser Stelle die drei Punkte her-ausgreifen, die wir dann auch zur Grundlage desAntrags genommen haben. Der erste Punkt – unddas ist für mich der entscheidende und eigentlichauch der bedenklichste –: Wir haben überhaupt kei-ne verlässlichen Zahlen darüber, wie dramatischdie Situation tatsächlich ist. Wir haben keine Thü-ringer Erhebung, wir haben keine Überblicke, wirhaben lediglich mittelbare Zahlen, aus denen wirRückschlüsse ziehen können. Das ist zum einendie Anzahl der polizeilich auffälligen Drogendelikte.Es ist zum anderen die Frage, wie viele Drogenab-hängige aus welchen Gründen medizinisch vorstel-lig werden. Und es ist natürlich auch hier zunächstdarauf zu achten, dass wir eine ordentliche Erhe-bung der Datenlage bekommen, um darauf reagie-ren zu können, denn wir müssen wissen, wo dieSchwerpunkte sind, wo wir das größte Problem ha-ben, in welchen Regionen wir uns besonders enga-gieren müssen und wo das Problem vielleicht etwas

12248 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Muhsal)

geringer als bislang ist. Und wenn wir heute in derZeitung lesen, „Erfurt hat ein Drogenproblem“, dannist das nur ein Schlaglicht. Ich glaube, wir brauchenda ein Raster, das wir über das ganze Land legenmüssen, um zu wissen, wo die Probleme noch viru-lent sind.

Ein zweiter wichtiger Punkt – auch das ist aufgefal-len –: Wir haben eine Vielzahl an Projekten, wir ha-ben eine Vielzahl an Trägern, aber die Vernetzunginnerhalb dieser Projekte und unter den Trägern istrelativ unterentwickelt. Für mich ist der denkwür-digste Punkt, dass der Vertreter der PolizeidirektionErfurt vom Projekt IPSY überhaupt das erste Mal inder Anhörung erfahren hat. Das ist eine Situation,die ist geradezu widersinnig, weil dieses Projekt un-ter wissenschaftlicher Begleitung einen wertvollenAnsatz liefert – und ein wesentlicher Vertreter derPolizei hat es bislang nicht gekannt. Solche Dingedürfen nicht mehr vorkommen. Auch diesem Punktwidmet sich unser Antrag.

Der dritte Punkt, den ich herausheben möchte, istdie Frage, welcher Qualität die einzelnen Angebotesind. Wenn ich mich beispielsweise erinnere, dassverschiedene Jugendhilfevertreter und Jugend-amtsvertreter erzählt haben, wie schön das dochwar, als der Revolution Train den Schülern zur Ver-fügung gestellt wurde und wie toll die Schüler dasaufgenommen haben, und kurz darauf dürfen wirlernen, dass der didaktische und pädagogische An-satz und auch die Konzeption als hochproblema-tisch eingeschätzt werden, dann wissen wir, dasses dabei eine erhebliche Diskrepanz der tatsächli-chen Qualität und der gefühlten Qualität einzelnerAkteure gibt.

Deswegen, glaube ich, müssen wir darauf reagie-ren. Wir brauchen, und das sehe ich ganz dezidiertanders als meine Vorrednerin, wesentlich mehr Bil-dung in dem Bereich, nicht nur für die Schüler, wirbrauchen sie für die Lehrer, für die Sozialarbeiter,wir brauchen eine stärkere Vernetzung, wir brau-chen einen organisatorischen Überbau. All demträgt unser Antrag Rechnung und ich bitte, ihn des-halb anzunehmen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen hat Abgeordnete Rothe-Beinlich das Wort.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, ich will etwas anders beginnen, als ich daseigentlich vorhatte. Gerade jetzt in der Faschings-zeit gehört es offenkundig schon dazu, auch malgemeinsam zu trinken, das ist auch gar nicht ver-werflich. Aber vielleicht haben Sie sich schon mal indie Lage von Menschen versetzt, die sich – auswelchen Gründen auch immer – bewusst dafür ent-scheiden, nicht zu trinken, nicht zu rauchen, weilsie das für sich so wollen. Wissen Sie, wie oft ichals Spaßbremse bezeichnet werde, nur weil ichnicht trinken möchte?

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das könnenwir uns vorstellen!)

(Beifall AfD)

Wie oft ich als Frau gefragt werde, ob ich etwaschwanger wäre oder warum ich nicht mal eben mitanstoßen würde?

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das hat michnoch nie einer gefragt!)

(Heiterkeit AfD)

Das hat Sie vielleicht noch nie jemand gefragt –das kann auch andere Ursachen haben.

Das klingt jetzt alles sehr lustig. Ich will damit nuraufzeigen, wie normal es in unserer Gesellschaftist, Alkohol zu konsumieren. Und das beginnt ebenleider immer früher. Ich finde schon, dass man da-rüber reden können muss, dass das auch Gefahrenmit sich bringt, dass es scheinbar so selbstver-ständlich ist: Jetzt hab dich nicht so, ein Glas Sektkannst du doch mal mit uns trinken.

(Heiterkeit CDU)

Vielleicht haben Sie mal Respekt davor, wenn sichMenschen anders entscheiden,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

genauso wie Sie vielleicht Respekt davor habensollten, wenn Menschen in eine Suchtabhängigkeitgeraten, anstatt sich hier vorne hinzustellen und ei-ne Person aus unserer Partei zu diskreditieren, diedazu gestanden hat, dass sie süchtig geworden ist.

Frühzeitiger und intensiver Drogenkonsum und da-raus resultierende Sucht- und Abhängigkeitserkran-kung stellen – das wissen wir alle – eine eminenteGefährdung für das gesunde Aufwachsen von Ju-gendlichen und jungen Menschen dar. Ich will dasauch an einigen Fallzahlen erläutern: So steigt dieZahl der aus Krankenhäusern entlassenen jungenMenschen, die infolge von Drogenkonsum vollsta-

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(Abg. Dr. Hartung)

tionär betreut wurden, seit Jahren. Wurden nachAngaben des Statistischen Landesamts im Jahr2011 noch insgesamt 552 Fälle von unter 20-Jähri-gen gezählt, die aufgrund von Alkoholkonsum voll-stationär in Krankenhäusern aufgenommen wur-den, ist diese Zahl im Jahr 2017 bereits auf 661 an-gestiegen. Frau Engel hat auch schon darauf ver-wiesen: Das ist eine Steigerung um 20 Prozent.Auch die Fallzahl von jungen Patientinnen und Pati-enten in Krankenhäusern, die aufgrund von massi-vem illegalem Drogenkonsum vollstationär behan-delt wurden, steigt. 2011 waren es 195 Betroffene,im Jahr 2017 wurden 320 Patientinnen und Patien-ten unter 20 Jahren gezählt. Das ist ein Anstieg umfast 40 Prozent. Hinzu kommen auch gestiegenekriminalstatistische Fallzahlen von nicht legalemDrogenkonsum.

Klarstellen will ich an dieser Stelle noch einmal,dass Alkohol und dessen übermäßiger Konsum ei-ne der konstanten Haupttodesursachen für jungeMenschen darstellt. Die Zahl der Jugendlichen, diemit akuter Alkoholvergiftung im Krankenhaus be-handelt werden mussten, lag im Jahr 2014 bei22.628 Fällen. Das sind doppelt so viele wie nochim Jahr 2000. 10 Prozent der Jugendlichen konsu-mieren Alkohol in gesundheitlich riskanten Mengenund jeder vierte Jugendliche trinkt regelmäßig, sodie Angaben der Bundeszentrale für gesundheitli-che Aufklärung. Wir müssen also in der Suchtprä-vention und auch und gerade im Umgang mit dergesellschaftlich akzeptierten Droge Alkohol wesent-lich sensibler werden, darum geht es mir.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Es geht mir um einen bewussten Umgang und esgeht mir um einen ehrlichen Umgang damit. Ichkann die Janusköpfigkeit im Umgang mit Drogen indieser Gesellschaft schwer ertragen.

Unser vorliegender Antrag ist Ausdruck dafür, dasswir uns als Rot-Rot-Grün dieser Herausforderungstellen. Schließlich hat das Land gemeinsam mitden Kommunen und auch mit den schulischen undaußerschulischen Akteurinnen und Akteuren einehohe Verantwortung für eine gelingende Drogen-und Suchtprävention von Kindern und Jugendli-chen. Das funktioniert eben nicht nur mit drakoni-scher Abschreckung, das wissen wir alle.

Es geht in erster Linie darum, den Gedanken derPrävention und des Jugendschutzes auch umzuset-zen. Wir stehen als Koalition gemeinsam dafür,dass Drogen nicht verharmlost, aber eben auchnicht ideologisch verteufelt werden. Wir setzenstattdessen auf eine wirksame Prävention, auf kon-

sequenten Jugendschutz und auf Entkriminalisie-rung und Aufklärung statt Abschreckung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Ziel ist es, dass Menschen gar nicht erst ab-hängig werden. Klar ist aber auch, falls sie doch ineine Abhängigkeitserkrankung geraten, dann soll-ten sie auch die Hilfe bekommen, die sie brauchen.Unsere Schulen als zentrale Bildungsorte habendabei einen wichtigen schulgesetzlichen präventi-ven Auftrag. Sie sollen, so heißt es auch jetztschon, die Gesundheitserziehung unterstützen undschulbezogen umfassende Konzepte zur Gesund-erhaltung und für eine gesunde Lebensweise entwi-ckeln. Ein Schwerpunkt der Konzepte soll die Prä-vention mit Blick auf nicht legale Drogen sowie vonTabak und Alkohol sein.

Wir haben uns daher im Bildungsausschuss imRahmen des Selbstbefassungsantrags auch inten-siv mit der Situation des Drogenkonsums unter Ju-gendlichen und an Thüringer Schulen befasst. Wirhaben ja auch schon gehört, welche Ergebnisseaus der umfassenden schriftlichen und mündlichenAnhörung zu Tage getreten sind. Für uns waren esdurchaus renommierte Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler wie zum Beispiel FrauProf. Weichold, die zu Wort gekommen sind. Wirhaben aber auch Fachleute aus der Drogenbera-tung, der Jugendhilfe, Mitarbeiterinnen der Sicher-heits- und Schulbehörden und den Landesjugend-ring dazu angehört. Im Ergebnis der Anhörungmussten wir feststellen, dass Präventionsarbeit anSchulen noch zu sehr von Unsicherheiten geprägtist und sich je nach Schulstandort bzw. dem indivi-duellen Engagement einzelner Lehrkräfte zum Teilgravierend unterscheidet.

Um hier alle Lehrenden entsprechend zu sensibili-sieren, legen wir in unserem Antrag einen Schwer-punkt bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung aller anSchule Beteiligten, weil sie nämlich auch erst dafürgeschult werden müssen. Wenn wir hören, dass anvielen Schulen, aber auch bei der Polizei Program-me beispielsweise gar nicht bekannt sind – es wur-de schon gesagt, Herr Loyen kannte das IPSY-Pro-jekt zum Beispiel auch nicht –, dann ist klar: Dabrauchen wir Bildung genau in dieser Frage.

Wir mussten auch feststellen, dass eine Vielzahlvon Präventionsprojekten und -programmen kaumbekannt sind bzw. deren Inanspruchnahme sehrstark variiert. Hier wollen wir schlicht und ergreifendmehr Transparenz und verlässliche Informationenfür alle gewährleisten. Außerdem bemängelten vie-le Anzuhörende – das stimmt auch – das Fehlenvon verlässlichen wissenschaftlichen Daten zumDrogenkonsum von Jugendlichen in Thüringen. Es

12250 Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019

(Abg. Rothe-Beinlich)

geht uns eben nicht darum zu mutmaßen, sonderntatsächlich einmal zu erheben – selbstverständlichwissenschaftlich –, welche Drogen konsumiert wer-den, wie sie von wem tatsächlich genommen wer-den und wie die Jugendlichen damit in Berührunggekommen sind. Daher sieht unser Antrag vor,dass wissenschaftliche, verlässliche und repräsen-tative Daten zum Drogenkonsum junger Menschenin Thüringen erhoben werden sollen. Die Friedrich-Schiller-Universität hat sich hier schon als Partnerinangeboten.

Wir wollen und müssen in der schulischen Sucht-prävention ein deutliches Stück vorankommen. Un-ser Antrag beschreibt dafür einen gangbaren Weg,deshalb bitten wir auch hier um Unterstützung undZustimmung. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Zip-pel von der CDU-Fraktion das Wort.

Abgeordneter Zippel, CDU:Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, nachdem der Kollege Bühlschon zu dem Punkt gesprochen hat, habe ich ge-sagt: Ich halte mich erst einmal zurück und schauemir an, was hier so für Dinge besprochen werden,die vielleicht auch eine gewisse medizinische Rele-vanz haben. Aber nachdem ich doch manche Ein-lassung der Kollegin Engel gehört habe, hat esmich doch nach vorn getrieben. Auf einige Dingemöchte ich noch einmal dezidiert eingehen.

Zum einen muss ich sagen, dass ich doch erstauntbin aufgrund dieses Antrags. Als ich den zum aller-ersten Mal in der Hand gehalten habe, war ich er-staunt, einen Antrag von Rot-Rot-Grün zu lesen, indem tatsächlich der Begriff „Prävention“ vorkommt.In der Form, in der Qualität haben Sie beim Thema„Drogen“ zum allerersten Mal in dieser Legislatur-periode das Thema „Prävention“ aufgegriffen. Herz-lichen Glückwunsch dazu erst einmal, dass es dochsogar zu einem fast biederen Antrag von Ihrer Seitegekommen ist.

(Beifall CDU)

Ich kann mich nur wundern, wie es jetzt zu solchenfast bürgerlichen, vernünftigen Anträgen bei Ihnenkommt. Vielleicht wollen sie sich so ein bisschen ei-nen Anstrich geben, so kurz vor der Landtagswahl.Das kann auch gut sein, aber der Antrag ist einfachnicht die Sprache, die Sie sonst in diesem Bereichpflegen, das muss man klar und deutlich sagen.

(Unruhe DIE LINKE)

Als ich mir den Beitrag der Kollegin Engel angehörthabe, dann hat sie Ihrem Antrag auch wieder dieFassade und schon ein bisschen auch die schein-heilige Maske vom Gesicht gerissen. Denn Sie sindund bleiben – und das hat man auch in dem Haus-halt gesehen, den Sie jetzt eingereicht haben –auch die Koalition des Drug-Checking. Das sindSie, und Sie sind eben nicht primär die Partei derPrävention, wie Sie das hier schreiben.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Das ist Prävention! Sie verstehen es einfachnicht!)

Nein, Quatsch ist, dass Sie es Leuten ermöglichen,ganz entspannt zu konsumieren, und den Leutenzu erklären, wie harmlos alles ist. Das ist Drug-Checking und das ist nicht Prävention, sehr geehrteKollegin. Sie verstehen nicht, welchen Schaden Siedamit anrichten.

(Beifall CDU)

Und dann eines noch mal, um das klar und deutlichzu sagen: Abschreckung ist und bleibt wichtig. Mitder Art und Weise, wie Sie immer Abschreckung re-lativieren, richten Sie einen Schaden an, der ist ein-fach nicht mehr gutzumachen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE:Was für ein hanebüchener Unsinn!)

Zur Prävention gehört auch eine Abwägung dazu,das sagt Ihnen jeder Experte. Mit welchen ExpertenSie da reden, das will ich gar nicht wissen. DieFraktion der CDU wirbt seit Jahren für Prävention.Bei dem Thema waren wir immer diejenigen, diegesagt haben: Nicht Verharmlosung, sondern Prä-vention ist das Entscheidende.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE:Deshalb haben Sie die Mittel für Jugendhilfeso massiv gestrichen!)

An der Stelle will ich noch mal eines klar und deut-lich sagen: Wie Sie hier die Themen vermischen,insbesondere auch wenn es um das Thema „Alko-hol“ geht, das ist schon sehr problematisch. Ja, na-türlich ist Alkohol gefährlich. Wenn Alkohol miss-braucht wird, dann ist das ein Problem. Sie werfenuns bei dem Thema immer Verharmlosung vor. Mitwelcher Konsequenz oder – ich weiß nicht, wie Siedas machen – mit welcher Gewissensfreiheit Siedann aber den Schritt tun und andere Drogen ver-harmlosen, das ist mir vollkommen unklar. Uns vor-zuwerfen, wir würden Alkohol verharmlosen, und imnächsten Schritt verharmlosen Sie ein gutes Dut-zend anderer Drogen, das ist einfach inkonsequentund ein absolut irrer Widerspruch.

Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - 141. Sitzung - 01.03.2019 12251

(Abg. Rothe-Beinlich)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Siehaben die ganze drogenpolitische Debattehier verpennt, oder?)

Ich will zu dem Antrag noch einen Punkt sagen, ins-besondere zu dem Punkt, wo es darum geht, dieLehrer zu stärken: Ja, unbedingt! Wir müssen unse-re Lehrer stärken, denn das sind die, die direkt vorOrt mit den Schülern zu tun haben, die vor Ort er-kennen, wo es Probleme gibt. Wir müssen sie sen-sibilisieren, wir müssen sie fortbilden. Das ist einPunkt, über den wir tatsächlich reden müssen. Des-wegen stellen wir als CDU-Fraktion den Antrag aufÜberweisung an die entsprechenden Ausschüsse –an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sportund an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Ge-sundheit. Denn wenn wir – und das ist das Beste –die Reden dazu ignorieren, die aus Ihren Fraktio-nen gekommen sind, vor allen Dingen von der Kol-legin Engel, dann ist an dem Antrag tatsächlich et-was Diskutierbares dran. Aber wie gesagt: Mansollte die Redebeiträge dazu am besten ignorieren.Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Präsidentin Diezel:Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht derFall. Von der Regierung wird auch nicht das Wortgewünscht.

(Zuruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Doch!)

Doch, Frau Staatssekretärin Ohler.

Ohler, Staatssekretärin:Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren Abgeordnete, als Erstes möchteich den Abgeordneten der rot-rot-grünen Fraktionendafür danken, diesen Antrag vorgelegt zu habenund diesem Thema damit die Bedeutung zu verlei-hen, die ihm gebührt.

Der heute schon erwähnte Artikel auf der Erfurt-Seite der „Thüringer Allgemeinen“ Zeitung bestätigteinmal mehr, wie wichtig das Thema „Drogenprä-vention“ ist. Drogen- und Suchtprävention ist einewichtige gesellschaftliche Aufgabe. Der Artikel heu-te hat einmal mehr veranschaulicht, dass Suchter-krankungen in allen sozialen Schichten und gesell-schaftlichen Bereichen vorkommen. Die Fallzahlenzum Missbrauch von legalen und illegalen Drogenunter Kindern und Jugendlichen sind in den vergan-genen Jahren gestiegen, sowohl bei Alkohol alsauch bei Crystal Meth, die hier stellvertretend fürlegale und illegale Drogen stehen, mit allen erdenk-lichen gesundheitlichen und sozialen Folgen, man-

che davon schwer oder sogar kaum umkehrbar –Frau Rothe-Beinlich hat die Zahlen genannt.

Im bereits erwähnten TA-Artikel wird der PolizistMatthias Polten zitiert – ich zitiere –: „Es ist wirklichschwer, von Crystal wieder wegzukommen. Die Fol-gen sind fatal, derjenige wird sein Leben lang aufHilfe angewiesen sein.“ Um hier möglichst früh ent-gegenzusteuern, haben sowohl der Freistaat alsauch die Kommunen die Aufgabe, frühzeitig evi-denzbasierte Maßnahmen der Sucht- und Drogen-prävention vorzuhalten. Im Thüringer Schulgesetzist der Auftrag der Schulen zur Erstellung vonschulinternen Konzepten zur gesunden Lebenswei-se und Gesunderhaltung, speziell zur Präventionvon legalen und illegalen Drogen festgeschrieben.Damit ist Thüringen bundesweit Vorreiter mit derklaren gesetzlichen Benennung der Präventionsauf-gabe.

Eine Vielzahl von Angeboten und Anbietern zumThema „Sucht- und Drogenprävention“ leisten inThüringen eine engagierte, professionelle und fach-lich fundierte Präventionsarbeit. Das wurde auch inder Anhörung des Ausschusses für Bildung, Ju-gend und Sport zum Drogenkonsum von Kindernund Jugendlichen an Thüringer Schulen deutlich. InThüringen erfolgt die Vernetzung der Akteure zudiesem Thema aus fachlicher Sicht sowohl auf Lan-desebene wie auch auf kommunaler Ebene gut. Einfachlicher Austausch ist hier gewährleistet. Aller-dings gilt es, Angebote nicht nur vorzuhalten, son-dern auch bekannter zu machen.

Um den Schulen eine gesicherte Übersicht überAngebote vorhalten zu können, soll das Projekt„Koordinierung von Beratung und Angeboten fürGesunde Schule in Thüringen“ – kurz KoBAGS –unterstützt werden. Damit erhalten die Schulenauch eine Sicherheit bei der Auswahl von Anbieternentsprechender Bedarfe. Die Schulen werden damitvon der Recherche und der Auswahl fachlich be-gründeter und nachhaltiger schulischer Präventi-onsangebote entlastet. Gleichzeitig können überdas Projekt KoBAGS und über die Thüringer Fach-stelle Suchtprävention landesweit einheitliche undverbindliche schulische Standards der Präventions-programme umgesetzt werden. Dies wiederum wä-re auch für die Anbieter hilfreich, um zielgruppen-spezifische und zielorientierte präventive Angebotevorhalten und gegebenenfalls entwickeln zu kön-nen.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wirdürfen nichts unversucht lassen, um Kinder und Ju-gendliche zu stärken, um einer Suchterkrankungvorzubeugen.

(Beifall DIE LINKE)

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(Abg. Zippel)

Ein stabiles Selbstbewusstsein ist der beste Schutzvor Sucht. Das ist auch eine Aufgabe der Schule –Frau Engel hat bereits einiges Wichtige dazu ge-sagt. Wir wissen aber auch, dass nicht alle jungenMenschen das Glück haben, in stabilen Verhältnis-sen aufzuwachsen. Deswegen müssen wir dafürsorgen, frühzeitig Problemlagen zu erkennen undsie – also die jungen Menschen – frühzeitig darinzu unterstützen, die Weichen für ihren weiteren Le-bensweg richtig zu stellen, sowohl an den Schulenmit dem entsprechenden Schulklima und der Unter-stützung als auch durch Präventionsangebote. Esgeht darum, die bereits vorhandenen Präventions-angebote auf den Prüfstand zu stellen und weiter-zuentwickeln, um die Gesundheit von Kindern undJugendlichen zu schützen. Ich danke Ihnen für IhreAufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich sehe keineweiteren Wortmeldungen. Es wurde beantragt, anzwei Ausschüsse zu überweisen, an den Aus-schuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit und anden Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Ichfrage: Wer möchte den Antrag an den Ausschussfür Soziales, Arbeit und Gesundheit überweisen?Das sind die Fraktionen der AfD und der CDU. Werist dagegen? Dagegen sind die Fraktionen Bündnis90/Die Grünen, die SPD und die Fraktion Die Linke.

Als Nächstes ist die Überweisung an den Aus-schuss für Bildung, Jugend und Sport beantragtworden. Wer dafür ist, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Dafür sind die Fraktionen der AfDund der CDU. Dagegen? Dagegen sind die Fraktio-nen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und dieSPD. Damit sind die Ausschussüberweisungen ab-gelehnt.

Ich frage jetzt zum Antrag: Wer dem Antrag seineZustimmung gibt, den bitte ich um das Handzei-chen. Das sind die Fraktionen Die Linke, Bündnis90/Die Grünen und die SPD. Dagegen sind dieFraktionen der AfD und der CDU. Wer enthält sich?Es enthält sich niemand. Damit ist der Antrag ange-nommen. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Wir kommen zum letzten Tagesordnungspunkt. Dasist der Tagesordnungspunkt 24

Mitgliedschaft von Mitgliedernder Landesregierung in Lei-tungs- und Aufsichtsgremien

auf Erwerb gerichteter Unter-nehmen hier: Zustimmung des Land-tags gemäß Artikel 72 Abs. 2der Verfassung des FreistaatsThüringenAntrag der Landesregierung- Drucksache 6/6783 -

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Be-gründung? Ja, bitte schön, Herr Staatssekretär.

Krückels, Staatssekretär:Ich mache es kurz. Der Antrag, der Ihnen vorliegt,ist ja auch kurz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abge-ordnete, Frau Babette Winter – bislang Staatsse-kretärin in der Thüringer Staatskanzlei – ist ab dem11. Januar 2019 Mitglied des Europäischen Parla-ments. Dies lässt eine Neubesetzung einzelnerGremien notwendig werden, in denen sie bislangtätig war. Sie hat mit dem Wechsel in das Europä-ische Parlament ihre Tätigkeit als Vorsitzende desAufsichtsrats der Deutsches Nationaltheater undStaatskapelle Weimar GmbH – Staatstheater Thü-ringen – niedergelegt. Der Minister für Kultur, Bun-des- und Europaangelegenheiten und Chef derStaatskanzlei Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff sollin dieses Aufsichtsgremium eintreten und dort denVorsitz übernehmen. Für die Entsendung von Mi-nister Prof. Dr. Hoff in den Aufsichtsrat der Deut-sches Nationaltheater und Staatskapelle WeimarGmbH – Staatstheater Thüringen – als Vorsitzen-den ist nach Artikel 72 Abs. 2 der Verfassung desFreistaats Thüringen in Verbindung mit § 5 Abs. 1Satz 2 Thüringer Ministergesetz die Zustimmungdes Thüringer Landtags erforderlich. Das Kabinetthat in seiner Sitzung am 5. Februar 2019 der Mitar-beit im Aufsichtsratsgremium der genannten Ge-sellschaft zugestimmt und den Chef der Staats-kanzlei gebeten, die Zustimmung des ThüringerLandtags einzuholen, was ich jetzt in seiner Vertre-tung tue.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Abgeordne-te, ich bitte Sie, die Zustimmung zu erteilen. VielenDank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Präsidentin Diezel:Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Mir liegen keineWortmeldungen aus dem Hause vor. Ich frage nochmal, sehe auch keine. Dann würden wir über denAntrag abstimmen. Wer für den Antrag in Drucksa-

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(Staatssekretärin Ohler)

che 6/6783 stimmt, den bitte ich jetzt um das Hand-zeichen. Das sind die Fraktionen der CDU, derSPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion DieLinke. Wer ist dagegen? Dagegen ist die Fraktionder AfD. Wer enthält sich? Es enthält sich niemand.Damit ist dem Antrag der Landesregierung stattge-geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeord-neten, ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.Ich schließe diese Plenarsitzung und lade ein zurPlenarsitzung am 27., 28. und 29. März.

Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhausewegund ein schönes Wochenende – mit Feiern oderohne Feiern, mit Fasching oder ohne Fasching.

Ende: 17.28 Uhr

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(Präsidentin Diezel)