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Gerhard Pröhl 8.1 Radioaktivität und ihre Eigenschaften Radioaktivität ist eine Eigenschaft bestimmter Atomkerne ohne Anregung von außen zu zerfallen und dabei energiereiche Strahlung auszusenden. Der radio- aktive Zerfall ist ein stochastischer Prozess; d.h. der Zerfallszeitpunkt eines ra- dioaktiven Atoms ist absolut zufällig. Für jedes Radionuklid ist die Zerfallswahr- scheinlichkeit eine charakteristische Größe, die durch dessen Zerfallskonstante (k r ) angegeben wird. Aus dieser lässt sich die Halbwertszeit ableiten (t 1/2 = ln(2)/ k r ); dies ist der Zeitraum, nach dem durchschnittlich die Hälfte der Radionukli- de zerfallen ist. Halbwertszeiten sind nuklidspezifisch, sie schwanken von Se- kundenbruchteilen bis zu einigen Milliarden Jahren. Im Wesentlichen unterscheidet man drei Strahlenarten, die man als a-, b- und c-Strahlung bezeichnet. Beim a-Zerfall stößt das zerfallende Atom einen Heliumkern (2 Protonen, 2 Neutronen) aus; dabei steht ein neues Element mit einer um 2 verringerten Kernladungszahl und einer um 4 verringerten Massen- zahl. Die Energie bzw. das Energiespektrums des emittierten a-Teilchens ist charakteristisch für das zerfallende Atom, a-Teilchen haben Energien von etwa 1–10 MeV (1 MeV & 1,60 · 10 –13 J). Beim b-Zerfall zerfällt ein Neutron des Atoms in ein Proton und ein Elektron, wobei das Elektron vom Atomkern emit- tiert wird; dabei entsteht ein Element mit einer um 1 erhöhten Kernladungs- zahl. Die emittierten Elektronen weisen Energien von wenigen keV bis etwa 10 MeV auf. Häufig sind a- und b-Zerfälle von der Emission von c-Strahlung be- gleitet, wobei es sich um hochfrequente elektromagnetische Strahlung mit Energien von etwa 10 keV bis etwa 10 MeV handelt. c-Strahlung wird auch emittiert, wenn ein Radionuklid in einem energetisch angeregten Zustand vor- liegt und in einen Zustand mit niedriger Energie übergeht. 613 Handbuch der Lebensmitteltoxikologie. H. Dunkelberg, T. Gebel, A. Hartwig (Hrsg.) Copyright © 2007 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ISBN: 978-3-527-31166-8 8 Radionuklide

8 Radionuklide - Wiley-VCH · Das wohl wichtigste primordiale Radionuklid ist Kalium-40, es kommt mit einer Häufigkeit von 0,0118% als Bestandteil des Elementes Kali-um in der Natur

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Gerhard Pröhl

8.1Radioaktivität und ihre Eigenschaften

Radioaktivität ist eine Eigenschaft bestimmter Atomkerne ohne Anregung vonaußen zu zerfallen und dabei energiereiche Strahlung auszusenden. Der radio-aktive Zerfall ist ein stochastischer Prozess; d.h. der Zerfallszeitpunkt eines ra-dioaktiven Atoms ist absolut zufällig. Für jedes Radionuklid ist die Zerfallswahr-scheinlichkeit eine charakteristische Größe, die durch dessen Zerfallskonstante(�r) angegeben wird. Aus dieser lässt sich die Halbwertszeit ableiten (t1/2 = ln(2)/�r); dies ist der Zeitraum, nach dem durchschnittlich die Hälfte der Radionukli-de zerfallen ist. Halbwertszeiten sind nuklidspezifisch, sie schwanken von Se-kundenbruchteilen bis zu einigen Milliarden Jahren.

Im Wesentlichen unterscheidet man drei Strahlenarten, die man als �-, �-und �-Strahlung bezeichnet. Beim �-Zerfall stößt das zerfallende Atom einenHeliumkern (2 Protonen, 2 Neutronen) aus; dabei steht ein neues Element miteiner um 2 verringerten Kernladungszahl und einer um 4 verringerten Massen-zahl. Die Energie bzw. das Energiespektrums des emittierten �-Teilchens istcharakteristisch für das zerfallende Atom, �-Teilchen haben Energien von etwa1–10 MeV (1 MeV�1,60· 10–13J). Beim �-Zerfall zerfällt ein Neutron desAtoms in ein Proton und ein Elektron, wobei das Elektron vom Atomkern emit-tiert wird; dabei entsteht ein Element mit einer um 1 erhöhten Kernladungs-zahl. Die emittierten Elektronen weisen Energien von wenigen keV bis etwa 10MeV auf. Häufig sind �- und �-Zerfälle von der Emission von �-Strahlung be-gleitet, wobei es sich um hochfrequente elektromagnetische Strahlung mitEnergien von etwa 10 keV bis etwa 10 MeV handelt. �-Strahlung wird auchemittiert, wenn ein Radionuklid in einem energetisch angeregten Zustand vor-liegt und in einen Zustand mit niedriger Energie übergeht.

613

Handbuch der Lebensmitteltoxikologie. H. Dunkelberg, T. Gebel, A. Hartwig (Hrsg.)Copyright © 2007 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, WeinheimISBN: 978-3-527-31166-8

8Radionuklide

8.2Radionuklide in der Umwelt

In der Umwelt findet man sowohl natürliche als auch künstliche Radionuklide,die durch menschliche Tätigkeiten erzeugt und freigesetzt wurden [23]. Natürli-che Radionuklide sind seit jeher Bestandteil unserer Umwelt. Ihrem Ursprungnach unterscheidet man primordiale Radionuklide, d.h. Radionuklide, die seitder Entstehung der Erde vorliegen und solche, die ständig durch kosmischeStrahlung erzeugt werden.

Primordiale Radionuklide haben Halbwertszeiten in der Größenordnung vonMilliarden Jahren. Das wohl wichtigste primordiale Radionuklid ist Kalium-40,es kommt mit einer Häufigkeit von 0,0118% als Bestandteil des Elementes Kali-um in der Natur vor, d.h. etwa eins von 8500 Kaliumatomen ist radioaktiv. DieHalbwertszeit von 40K beträgt etwa 1,3 · 109 a, es zerfällt zum stabilen 40Ca. Da-neben sind eine Reihe weiterer primordialer Radionuklide bekannt, die zu stabi-len Isotopen zerfallen, wie 87Rb (48· 109 a), 138La (105 · 109 a), 147Sm (106· 109 a)und 176Lu (37 · 109 a).

Zu den primordialen Radionukliden gehören auch die Radionuklide aus dennatürlichen Zerfallsreihen, dabei unterscheidet man die� Uran-Radium-Reihe mit dem Ausgangsnuklid 238U(t1/2 = 4,5· 109 a), das über

mehrere Zwischenschritte schließlich zum stabilen 206Pb zerfällt,� Uran-Actinium-Reihe mit dem Ausgangsnuklid 235U(t1/2 = 700· 106 a) mit

dem Endnuklid 207Pb,� Thorium-Reihe: Ausgangsnuklid 232Th (t1/2 = 14· 109 a), das zum 208Pb zer-

fällt.

Ferner existiert eine 4. Zerfallsreihe, die jedoch in der Natur wegen der relativkurzen Halbwertszeit ihres längstlebigsten Nuklids 237Np nicht mehr vor-kommt. Die Neptuniumreihe beginnt beim 237Np (t1/2 = 2,1 · 106 a) und endetmit 209Bi.

Beim Zerfall von Uran und Thorium entstehen u. a. Isotope des radioaktivenEdelgases Radon, die besonders mobil sind. Aus 238U entsteht über 226Ra (1600a) 222Rn (3,8 d), aus 232Th über die Zwischenprodukte 228Ra und 224Ra entstehtdas 220Rn (55,6 s) und aus 235U entsteht als Zwischenprodukt das 219Ra (3,96s). Wegen der größeren Halbwertszeit sind im Normalfall das 222Rn und ins-besondere seine kurzlebigen Zerfallsprodukte (218Po, 214Pb, 214Bi, und 214Po)für die Strahlenexposition von Bedeutung.

Es existiert eine Reihe von natürlichen Radionukliden, die ständig in der At-mosphäre durch kosmische Strahlung erzeugt werden. Die kosmische Strah-lung besteht aus verschiedenen hochenergetischen Teilchen. Dabei überwiegenProtonen und �-Teilchen, sie enthält aber auch andere schwerere Atomkerne,die z.B. in solarer Materie vorkommen. Kosmogene Radionuklide entstehendurch Wechselwirkung dieser Teilchen mit Atomen in der oberen Atmosphäre.Ein wichtiges kosmogenes Radionuklid ist 14C (t1/2 = 5730 a), das aus einerKernreaktion von 14N mit einem Neutron unter Aussendung eines Protons ent-

8 Radionuklide614

steht. Ein weiteres wichtiges kosmogenes Radionuklid ist Tritium (3H, t1/2 = 12,3a), andere kosmogene Radionuklide wie 7Be (53,3 d), 22Na (2,6 a), 26Al (74000a), 32Si (172 a), 35S (87,5 d), 36Cl (300 000 a), 41Ar (269 a) und 81 Kr (230 000 a)sind aus radiologischer Sicht unbedeutend.

Der Gehalt an natürlichen Radionukliden in Böden wird durch die Gehalte inden Ursprungsgesteinen bestimmt. Kieselsäurereiche Magmagesteine weisengewöhnlich höhere Aktivitäten primordialer Radionuklide auf als andere Gestei-ne. Somit finden sich in Böden mit hohen Anteilen an Verwitterungsproduktender Magmagesteine auch höhere Werte dieser Nuklide. Typische Werte für Ge-halte an natürlichen Radionukliden sind für einige Bodenarten in Tabelle 8.1zusammengefasst. Die angegebenen globalen Mittelwerte sind auch typisch fürDeutschland [5]. Die großen Schwankungsbreiten beinhalten Gebiete, in denenUran abgebaut wird.

8.2 Radionuklide in der Umwelt 615

Tab. 8.1 Typische Aktivitätskonzentrationen von natürlichenRadionukliden in verschiedenen Bodenarten [5, 23].

Ort Aktivitätskonzentration [Bq/kg Trockenmasse]

40K 238U 226Ra 232Th

Deutschland 40–1300 11–330 5–200 7–130Weltweit (Median,Bereich)

400 (140–850) 35 (16–110) 35 (17–60) 30 (11–64)

Tab. 8.2 Kumulative Deposition von Radionukliden im Bereichdes 50. Breitengrades der nördlichen Hemisphäre durch denKernwaffen-Fallout [3].

Radionuklid Kumulative Deposition [Bq/m2] Halbwertszeit

54Mn 8000 312 d55Fe 5600 2,7 a89Sr 30000 50,5 d90Sr 3300 28,5 a91Y 42000 58,5 d95Zr 53000 64 d103Ru 53000 39 d106Ru 34000 368 d125Sb 3100 2,8 a131I 28000 8 d137Cs 4900 30 a140Ba 53000 12,7 d141Ce 42000 32,5 d144Ce 67000 285 d

In den Gebieten des Uran- und Kupferschieferbergbaus in Sachsen, Thürin-gen und Sachsen-Anhalt sind im Allgemeinen höhere Gehalte an natürlichenRadionukliden zu beobachten. Der Mittelwert für 226Ra in den Böden der ge-nannten Bergbauregionen beträgt etwa 70 Bq/kg, während als mittlerer Wertfür das gesamte Bundesgebiet 40 Bq/kg genannt werden.

Künstliche Radionuklide wurden insbesondere in den Jahren 1945–1963 indie Umwelt eingebracht, als zahlreiche Kernwaffentests in der Atmosphäredurchgeführt wurden. Nach 1963 fanden nur noch vereinzelt oberirdische Kern-waffentests statt. Insgesamt wurden 543 Tests in der Atmosphäre durchgeführt.Die kumulative mittlere Deposition im Zeitraum 1945–1999 für den Bereichum den 50. Breitengrad der nördlichen Hemisphäre der verschiedenen Radio-nuklide ist in Tabelle 8.2 zusammengefasst. Viele dieser Radionuklide sindkurzlebig, langfristig sind nur 90Sr und 137Cs von Bedeutung. Als Folge des Re-aktorunfalls von Tschernobyl im Jahr 1986 wurden in großen Teilen EuropasRadionuklide abgelagert. Im Gegensatz zum Kernwaffen-Fallout war die Deposi-tion durch den Tschernobyl-Unfall sehr inhomogen und schwankte alleinDeutschland um mehr als einen Faktor 10. Als Beispiel sind in Tabelle 8.3 dieDepositionen in München und Berlin zusammengefasst [9, 19].

8 Radionuklide616

Tab. 8.3 Deposition von Radionukliden durch denTschernobylunfall in München und Berlin [9, 19].

Radionuklid Halbwertszeit Abgelagerte Aktivität [Bq/m2]

München Berlin

90Sr 28,5 a 210 7699Mo 60 h 9600 270103Ru 39,4 d 27000 7800106Ru 368 d 6900 2000129mTe 33,6 d 30000 2000132Te/132I 76 h 123000 4900131I 8 d 92000 8500133I 21 h 3700 < NWG134Cs 2 a 10400 1200137Cs 30 a 19000 2300140Ba/140La 13 d 12000 1600144Ce 285 d 400 < NWG238Pu 88 a 0,014 < NWG239Pu 24100 a 0,04 < NWG

8.3Radionuklide in Nahrungsmitteln

8.3.1Natürliche Radionuklide

Die Gehalte wichtiger natürlicher Radionuklide in Trinkwasser und Nahrungs-mitteln für Deutschland [5] sind in Tabelle 8.4 zusammengefasst, wobei nebenden Durchschnittswerten auch die Bandbreiten angegeben sind. Ferner sind die

8.3 Radionuklide in Nahrungsmitteln 617

Tab. 8.4 Natürliche Radionuklide in Lebensmitteln [5, 23].

Produkt Herkunft Aktivitätskonzentration [Bq/kg, Bq/L]

40K 238U 226Ra 210Pb 210Po

Trinkwasser Deutschland(Bereich)

0,070,003–0,8

0,0160,0005–0,3

0,0050,0005–0,03

0,0070,0002–0,17

0,0020,0001–0,04

GlobalerMittelwert

– 0,001 0,0005 0,01 0,005

Milch Deutschland(Bereich)

5035–65

– 0,0250,001–0,13

0,040,004–0,26

0,0240,003–0,07

GlobalerMittelwert

50 0,001 0,005 0,015 0,015

Fleisch Deutschland(Bereich)

9060–120

0,010,001–0,02

0,10,03–0,18

0,50,1–1

20,2–4

GlobalerMittelwert

0,002 0,015 0,08 0,06

Getreide Deutschland(Bereich)

15080–250

0,10,02–0,4

0,30,04–1,5

1,40,04–10

0,30,2–1,9

GlobalerMittelwert

0,02 0,08 0,05 0,06

Kartoffeln Deutschland(Bereich)

150102–190

0,60,02–3

0,20,02–1,3

0,10,02–0,6

0,10,2–0,33

GlobalerMittelwert

0,03 0,03 0,03 0,04

Pilze Deutschland(Bereich)

1208–230

1,30,2–5

1,20,01–16

1,20,1–4

1,30,1–5

Obst Deutschland(Bereich)

5023–160

0,60,02–2,9

0,20,005–2,1

0,20,02–2,3

0,10,02–1,1

GlobalerMittelwert

0,03 0,03 0,03 0,04

Seefisch Deutschland(Bereich)

10080–120

4,10,5–7,4

1,50,05–7,8

0,80,02–4,4

1,10,05–5

GlobalerMittelwert?

0,03 0,1 0,2 2

globalen Mittelwerte [23] angegeben, die in der gleichen Größenordnung liegenwie die in Deutschland beobachteten Werte.

8.3.2Radionuklide in Nahrungsmitteln aus dem Kernwaffen-Falloutund dem Reaktorunfall von Tschernobyl

In den Abbildungen 8.1–8.3 sind die mittleren 137Cs und 90Sr-Gehalte in ver-schiedenen Nahrungsmitteln von 1960 bis 1999 in Deutschland dargestellt [4].Dabei ist zu bemerken, dass die Aktivität während des Kernwaffen-Fallouts übermehrere Jahre eingetragen wurde, während es sich bei der Deposition als Folgedes Tschernobyl-Unfalls um ein kurzfristiges Ereignis handelte, das zudem er-hebliche örtliche Schwankungen aufwies. Den dargestellten Mittelwerten fürdas Jahr 1986 liegen daher Daten zugrunde, die insbesondere für 137Cs erheb-lich schwanken. Spitzenwerte, die für 137Cs im Mai 1986 beobachtet wurden,liegen teilweise um deutlich mehr als einen Faktor 10 über den hier dargestell-ten Werten [19]. Für 90Sr trifft dies weniger zu, da dessen Eintrag während desTschernobyl-Fallouts nur gering war.

Deutlich zu erkennen ist die Abnahme der Aktivitätsgehalte nach der Einstel-lung der Kernwaffentests in der Atmosphäre durch die UdSSR und die USA imJahr 1963. Nach dieser Zeit nahmen die Aktivitätsgehalte kontinuierlich ab, umdann als Folge des Tschernobylunfalls im Jahr 1986 wieder anzusteigen. Für90Sr ist wegen dessen geringer Deposition nur eine geringe Erhöhung der Ge-halte im Jahr 1986 zu beobachten.

Während des Kernwaffen-Fallouts und des Tschernobyl-Unfalls wurde fernereine Reihe von kurzlebigen Isotopen deponiert, die zum Teil erhebliche Aktivi-

8 Radionuklide618

Abb. 8.1 Zeitlicher Verlauf der bundesdeutschen Jahresmittel-werte von 137Cs in Weizen, Kartoffeln und Kernobst von 1960bis 1999.

täten in Nahrungsmitteln bedingten, die frisch verzehrt werden. Beispielsweisewurden in höher kontaminierten Gebieten Süddeutschlands im Jahr 1986 inMilch für kurze Zeit 131I-Gehalte von mehr als 1000 Bq/L gemessen. In Blatt-gemüse wurden vereinzelt Gesamtaktivitäten von mehr als 10 000 Bq/kg be-stimmt, wobei im Wesentlichen 131I, 103/106Ru, 140Ba/140La, 134/137Cs und132Te/132I zur Kontamination beitrugen. Derartig kontaminierte Lebensmittelwurden jedoch nicht zur Vermarktung freigegeben.

8.3 Radionuklide in Nahrungsmitteln 619

Abb. 8.2 Zeitlicher Verlauf der bundesdeutschen Jahresmittel-werte von 90Sr in Weizen, Kartoffeln und Kernobst von 1960bis 1999.

Abb. 8.3 Zeitlicher Verlauf der bundesdeutschen Jahresmittel-werte von 137Cs in Rindfleisch, Schweinefleisch und Kalb-fleisch von 1960 bis 1999.

Bei einzelnen Nahrungsmitteln wie Waldbeeren, Fischen aus Binnenseenoder Blütenhonig werden auch derzeit in einigen Proben 137Cs-Aktivitäten vonbis zu einigen Hundert Bq/kg gefunden. In Waldpilzen und Wild beobachtetman vereinzelt Werte bis zu einigen Tausend Bq/kg und darüber, jeweils bezo-gen auf die Frischmasse [4]. Insbesondere Wildschweine aus den relativ hochdurch Tschernobyl kontaminierten Gebieten Süddeutschlands überschreitenhäufig den Grenzwert von 600 Bq/kg für Radiocäsium und dürfen daher nichtvermarktet werden. Beispielweise wurden im Jahr 2003 57 Wildschweinprobenaus dem Bayerischen Wald analysiert, der zu den am höchsten kontaminiertenGebieten Deutschlands zählt [4]. Die Messungen ergaben mittlere 137Cs-Aktivi-täten im Muskelfleisch von 6400 Bq/kg bei einer Schwankungsbreite von430–20 000 Bq/kg. Neben der relativ hohen Deposition im Bayerischen Wald be-dingen die saure Bodenreaktion, die Nährstoffarmut und der geringe Tongehaltdieser Standorte die persistent hohe Cäsiumverfügbarkeit und die daraus resul-tierenden hohen 137Cs-Gehalte der Äsungspflanzen. Für die stellenweise außer-ordentlich hohen Gehalte von 137Cs in Schwarzwild wird den Hirschtrüffeln ei-ne besondere Rolle zugeschrieben; diese werden von Wildschweinen besondersgerne gefressen und sind sehr viel höher kontaminiert als Speisepilze. Ein wei-terer Faktor, der hohe 137Cs-Kontaminationen begünstigt, sind große geschlosse-ne Waldflächen, da die Tiere hier weniger auf landwirtschaftliche Flächen aus-weichen können, auf denen die Pflanzenkontamination nur unbedeutend ist.Landwirtschaftliche Nutztiere, die ausschließlich mit hofeigenen oder Handels-futtermitteln gefüttert werden, weisen dagegen nur sehr geringe Kontaminatio-nen auf [4, 5].

8.3.3Aufnahme von radioaktiven Stoffen mit der Nahrung

Tabelle 8.5 zeigt die mittleren Gehalte von natürlichen Radionukliden in derGesamtnahrung [5], die in der gemischten Kost unterschiedlicher Gemein-schaftseinrichtungen über einen längeren Zeitraum bestimmt wurden. Die Wer-te beruhen auf repräsentativen Erhebungen, die in den Jahren 2000 und 2001

8 Radionuklide620

Tab. 8.5 Mittlere Gehalte an natürlichen Radionukliden in der Gesamtnahrung.

Radionuklid Aktivitätskonzentration in der Gesamtnahrung[mBq/kg]

238U 8 (1–20)234U 12 (4–400)230Th 2 (1–4)226Ra 20 (6–40)210Pb 30 (10–100)

232Th 1 (1–4)228Ra 30 (20–70)

in der gesamten Bundesrepublik durchgeführt wurden. Die mittleren Aktivitä-ten natürlich radioaktiver Stoffe [5] im Menschen sind in Tabelle 8.6 zusam-mengefasst.

Die derzeitige mittlere Aufnahme beträgt etwa 0,25 (0,02–7) Bq/d für 137Csund etwa 0,1 (0,01–0,7) Bq/d für 90Sr. Individuelle Verzehrsgewohnheiten undstarke örtliche Schwankungen der 137Cs-Aktivitäten können zu Abweichungenvon der durchschnittlichen Aktivitätszufuhr durch Ingestion führen.

8.4Abschätzung der Strahlendosis durch inkorporierte Radionuklide

Im Gegensatz zu chemischen Noxen ergibt sich bei Radionukliden die mögli-che Schadwirkung nicht durch chemische Reaktionen des Radionuklids, son-dern durch die Wechselwirkung von Strahlung mit Materie (Gewebe, Organe,Organismen). Daher können Radionuklide, die außerhalb des Körpers zerfallenund dabei ionisierende Strahlung emittieren ebenfalls zu einer Strahlenexpositi-on des Menschen führen. Wegen der geringen Reichweiten von �-Strahlung(3–100 mm in Luft, 4–100 �m in Gewebe im Energiebereich von 1–10 MeV)und �-Strahlung (0,003–10 m in Luft, 0,003–2 mm in Gewebe im Energie-bereich von 1–5 MeV), ist diese Möglichkeit weitgehend auf �-Strahlung be-schränkt.

Die zentrale Größe bei der Bestimmung der Strahlenexposition ist die Ener-giedosis, die sich als Quotient aus der in einem Volumenelement eines Organsoder Gewebes absorbierten Strahlungsenergie E und der Masse m dieses Volu-menelements ergibt. Die Energiedosis wird in Gray [Gy] angegeben, ein Grayentspricht 1 J kg–1; d. h. die Energie von einem Joule wird in einem KilogrammGewebe absorbiert. Die Energiedosis in einzelnen Organen kann nicht direktgemessen werden, sondern wird mithilfe von Modellen abgeschätzt.

8.4 Abschätzung der Strahlendosis durch inkorporierte Radionuklide 621

Tab. 8.6 Mittleres Inventar an Radionukliden im Menschen.

Radionuklid Mittleres Aktivitätsinventarim Menschen [Bq]

238U 0,5226Ra 1,2210Pb 18210Po 15232Th 0,2228Ra 0,43H 2014C 350040K 400087Rb 600

8.4.1Modelle für die Berechnung von internen Strahlenexpositionen

Aus der Inkorporation eines radioaktiven Stoffes resultiert eine im Allgemeineninhomogene, zeitlich variable Verteilung der Aktivität im Organismus. Die vonder Aktivität in den einzelnen Körperbereichen ausgehende Strahlung führt dannzu einer Exposition dieser Bereiche selbst sowie anderer Teile des Organismus.

8.4.1.1 BerechnungsverfahrenDie Energiedosis-Leistung D(T,t) [Gy/s] in einem Körperbereich T (target) zumZeitpunkt t nach einer einmaligen Inkorporation eines Radionuklids ergibt sichaus der Summe

D�T � t� ��

S

D�T �S� t� �1�

der Beiträge zur Strahlenexposition aus allen Körperbereichen S (source), die dasRadionuklid zum Zeitpunkt t enthalten. Diese Beiträge werden berechnet durch

D�T �S� t� � 1�6 � 10�10 � A�S� t� � SEE�T �S� �2�

wobei A(S,t) die zum Zeitpunkt t in S vorhandene Aktivität [Bq] des betrachtetenRadionuklids, SEE(T,S) die so genannte spezifische effektive Energie [MeV/g] und1,6· 10–10 den Umrechnungsfaktor von MeV/g in J/kg [Gy] bezeichnen. SEE(T,S)ist proportional zur Dosis im Körperbereich T pro Zerfall im Körperbereich S.

Die bis zum Zeitpunkt t nach der Inkorporation in T akkumulierte Energiedo-sis D(T,S,t) ergibt sich hieraus durch die Integration:

D�T �S� t� � 1�6 � 10�10 �� t

0

A�S� t� � SEE�T � s� � dt �3�

Kann die Altersabhängigkeit von SEE für die Dauer des Integrationsintervallsoder des Aufenthaltes des Nuklids in S vernachlässigt werden, gilt:

D�T �S� t� � 1�6 � 10�10 �U�S� t� � SEE�T �S� �4�

mit

U�S� t� �� t

0

A�S� t�� � SEE�T �S� � dt� �5�

U(S,t), auch als kumulierte Aktivität bezeichnet, ist die Zahl der in S bis zurZeit t nach Inkorporation stattfindenden Kernumwandlungen. Manche Radio-

8 Radionuklide622

nuklide zerfallen zu Radionukliden, die ihrerseits wieder radioaktiv sind und ei-nen Beitrag zur Exposition liefern können. Diese werden bei der Berechnungder Dosis nach Gl. (4) durch die Verwendung der jeweiligen nuklidspezifischenWerte von U und SEE zu berücksichtigt.

Für von Kindern und Jugendlichen inkorporierte Radionuklide, die sich langeim Organismus aufhalten, ist die Integration in Gl. (3) in Zeitintervalle auf-zuspalten, innerhalb derer die Werte von SEE in ausreichender Näherung als al-tersunabhängig angesehen werden können:

D�T �S� t� � 1�6 � 10�10�n

i�1

�ti�1

ti

A�S� t� � SEE�T �S� � dt �6�

8.4.1.2 Spezifische Effektive EnergienDer Parameter SEE (T,S) beschreibt den Transport und die Absorption der durchdas betreffende Radionuklid emittierten Strahlung vom Ort der Emission S inden Körperbereich T. Er ist abhängig von� der Strahlenart und -energie,� der räumlichen Anordnung von S und T zueinander und von� deren Masse.

Wegen dieser Abhängigkeit von der anatomischen Struktur des Organismus istSEE auch stark abhängig vom Alter. Die Berechnung erfolgt mithilfe anthropo-morpher Phantome, die den menschlichen Organismus mathematisch beschrei-ben. Solche Phantome stehen für sechs verschiedene Altersstufen zur Verfü-gung (Neugeborenes, 1, 5, 10, 15 und > 20 Jahre) und werden in den Modellender ICRP verwendet. Mit Hilfe dieser Phantome werden in der ICRP [10, 12,14–18] die Berechnungen altersabhängiger SEE-Werte durchgeführt. Die kern-physikalischen Daten der Radionuklide wie Halbwertszeit, Zerfallsart, -energieund Emissionswahrscheinlichkeit sind in [11] zusammengefasst.

8.4.1.3Stoffwechselmodelle der ICRP

Die nach Gl. (4) benötigten Werte für die kumulierten Aktivitäten U(S,t) gebendie Zahl der Kernumwandlungen an, die im Integrationszeitraum im Körper-bereich stattfinden. Sie hängen ab von� dem Zufuhrweg (Inhalation, Ingestion),� dem zeitlichen Zufuhrmodus (einmalige, wiederholte Zufuhr),� der physikalischen Halbwertszeit des Radionuklids,� dem Zerfallschema des Radionuklids,� der Absorption der Substanz im Magen-Darm-Trakt bzw. dem Übergang aus

der Lunge in das Blut,

8.4 Abschätzung der Strahlendosis durch inkorporierte Radionuklide 623

� der Verteilung und dem zeitlichen Verhalten der Substanz im Organismusnach der Aufnahme ins Blut und damit von der physikalisch-chemischenForm der Substanz (z. B. chem. Verbindung, Aerosolgröße) und

� dem Alter der betroffenen Person.

Aufgrund der Vielzahl der Einflussgrößen und deren oft komplexen Wechsel-wirkungen, die nur zu einem Teil durch Messungen oder mathematische Zu-sammenhänge erfasst werden können, sind vereinfachende Beschreibungen,das heißt biokinetische Modelle, erforderlich. Diese beruhen auf den metabo-lischen Modellen der ICRP, die im Folgenden kurz beschrieben werden sollen.

In Abbildung 8.4 ist ein vereinfachtes Stoffwechselmodell skizziert, wie es in[10] angewandt wird. Radionuklide werden durch Ingestion oder Inhalation auf-genommen und gelangen über das Blut in die verschiedenen Organe und Ge-webe des Körpers und werden schließlich wieder ausgeschieden. Dass die bioki-netischen Vorgänge wesentlich komplexer sind, sei anhand des ICRP-Stoffwech-selmodells für Blei veranschaulicht [20], in dem die am Blei-Stoffwechsel betei-ligten Organe berücksichtigt sind (Abb. 8.5).

Die beteiligten Vorgänge werden mit Differentialgleichungen beschrieben,wobei in der Regel zeitlich konstante Übergangsraten zwischen den Kompar-timenten angenommen werden. Die zeitabhängigen Konzentrationen ergebensich demzufolge durch Linearkombinationen von Exponentialfunktionen. Die

8 Radionuklide624

Abb. 8.4 Vereinfachtes Kompartmentmodell zur Berechnungder Strahlenexposition in Organen und Geweben nach Inkor-poration von Radionukliden durch Ingestion und Inhalation.

wichtigsten dafür benötigten Parameter sind die entsprechenden biologischenHalbwertszeiten eines Radionuklids im jeweiligen Kompartiment, die in ver-schiedenen Publikationen der ICRP [10, 12, 14–18] zusammengefasst sind.

Die Grundlage dieser Modellparameter sind meist Tierexperimente, die über-wiegend an Nagern durchgeführt wurden. Für nur wenige Elemente bzw. Ra-dionuklide stehen Daten zur Verfügung, die an Menschen gewonnen wurden.Beispiele für solche Radionuklide sind Cäsium (wegen seiner Bedeutung alsFallout-Nuklid) und Iod (wegen seiner Anwendung in der nuklearmedizi-nischen Diagnostik.

Die Verteilung eines Radionuklids im Organismus nach seiner Aufnahmeaus dem Darm bzw. der Lunge und der zeitliche Verlauf der Radioaktivität in

8.4 Abschätzung der Strahlendosis durch inkorporierte Radionuklide 625

Abb. 8.5 Stoffwechselmodell der ICRP für Blei, nach Pounds und Leggett [20].

einzelnen Körperbereichen ergeben sich aus dem physiologischen Verhalten derinkorporierten Radionuklide.

Mithilfe derartiger Stoffwechselmodelle werden für eine Reihe von OrganenDosiskoeffizienten berechnet, die die Exposition pro dem Körper zugeführterAktivitätseinheit angeben. Dosiskoeffizienten (Organdosis pro inkorporierter Ak-tivität) wurden für die in Tabelle 8.7 aufgeführten Organe bzw. Gewebe berech-net.

8.4.1.4 StrahlenqualitätDie biologische Wirksamkeit der verschiedenen Strahlenarten ist nicht gleich.Die Erfahrung zeigt, dass beispielsweise �-Strahlung bei gleicher Energiedosisgrößere Wirkungen hervorruft als �- oder �-Strahlung. Dieser Effekt kann da-durch erklärt werden, dass die Spuren von �-Strahlen eine wesentlich größereIonisationsdichte als jene von �- oder �-Strahlen aufweisen.

Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen biologischen Wirksamkeit wur-den im Strahlenschutz Qualitätsfaktoren eingeführt. Diese geben für eine be-stimmte Energiedosis an, um welchen Faktor bei gleicher Energiedosis eine be-stimmte Strahlenart biologisch wirksamer ist als �-Strahlung. Die Qualitätsfak-toren sind dimensionslos, für �-Strahlung wird ein Qualitätsfaktor von 20, für�- und �-Strahlung wird ein Qualitätsfaktor von jeweils 1 zugrunde gelegt [13].

8.4.1.5 ÄquivalentdosisUm die biologischen Wirkungen verschiedener Energiedosen vergleichen zukönnen, wurde die Größe der Äquivalentdosis eingeführt. Die ÄquivalentdosisH eines Gewebes oder Organs ergibt sich als Produkt aus der Energiedosis Eund dem Qualitätsfaktor Q für die betreffende Strahlenart. Die Äquivalentdosiswird in Sievert (Sv) angegeben.

Die Einführung der Äquivalentdosis hat den Vorteil, dass bei Einwirkung ver-schiedener Strahlenarten (�-, �-, �-Strahler) aus unterschiedlichen Quellen mit

8 Radionuklide626

Tab. 8.7 Berücksichtigte Organe und Gewebe bei der Berechnung von Dosiskoeffizienten.

Organ Organ Organ

Blase Haut NierenBrust Hoden OvarienÖsophagus Knochenoberfläche PankreasMagen Leber Rotes KnochenmarkDünndarm Obere Luftwege SchilddrüseOberer Dünndarm Lunge ThymusUnterer Dünndarm Milz UterusDickdarm Muskel EffektivdosisGehirn Nebennieren

verschiedenen Qualitätsfaktoren eine Gesamtdosis des betreffenden Gewebesoder Organs angegeben werden kann.

8.4.1.6 Effektive DosisZur Quantifizierung der Exposition eines Individuums bei inhomogener Be-strahlung des Körpers wurde die Größe der effektiven Dosis eingeführt. Dieseergibt sich aus der Summe gewichteter Äquivalentdosen der Gewebe und Orga-ne. Die Wichtungsfaktoren geben die über alle Altersgruppen und beide Ge-schlechter gemittelte relative Strahlenempfindlichkeit in Bezug auf stochasti-sche Effekte für die einzelnen Organe und Gewebe wieder. Die Summe derWichtungsfaktoren ist eins. Die von der ICRP [13] empfohlenen Gewebewich-tungsfaktoren sind in Tabelle 8.8 zusammengefasst.

Somit werden bei Inkorporation von Nuklidgemischen und bei gleichzeitigemAuftreten von interner und externer Exposition die Beiträge aller Organdosenzur Gesamtstrahlenexposition berücksichtigt. Außerdem ermöglicht das Kon-zept der effektiven Dosis den unmittelbaren, auf das Risiko bezogenen Ver-gleich der Exposition verschiedener Organe. Die effektive Dosis stellt damit einrisikorelevantes Maß zur Quantifizierung von Strahlenexpositionen dar, dasüber alle Strahlenarten und über alle Organe integriert.

Nach der Inkorporation von Radionukliden erfolgt die Bestrahlung nicht un-mittelbar, sondern über einen Zeitraum, dessen Länge von der physikalischenHalbwertszeit sowie von der Ausscheidungskinetik des Radionuklids abhängt.Bei langlebigen Radionukliden mit langen biologischen Halbwertszeiten kann

8.4 Abschätzung der Strahlendosis durch inkorporierte Radionuklide 627

Tab. 8.8 Gewebewichtungsfaktoren zur Berechnung der effektiven Dosis [13].

Gewebe, Organ Gewebewichtungsfaktoren

Gonaden 0,20Dickdarm 0,12Lunge 0,12Magen 0,12Rotes Knochenmark 0,12Blase 0,05Brust 0,05Leber 0,05Schilddrüse 0,05Speiseröhre 0,05Haut 0,01Knochenoberfläche 0,01Rest a) 0,05Summe 1

a) Unter „Rest“ werden die Organe Nebennieren, Gehirn,Dünndarm, Nieren, Muskeln, Bauchspeicheldrüse, Milz,Thymus und Uterus zusammengefasst.

die Bestrahlung aufgrund einer einmaligen Inkorporation sogar mehrere Jahr-zehnte andauern. Die zeitintegrierte Dosis in einem Gewebe oder Organ nacheinmaliger Inkorporation eines Radionuklid wird als Folgedosis bezeichnet. AlsIntegrationszeiten werden 50 Jahre für Erwachsene und 70 Jahre für Kleinkin-der angewandt. Die Folgedosis wird der Strahlenexposition im Jahr der Radio-aktivitätsaufnahme zugeordnet. Wird die effektive Dosis betrachtet, so sprichtman von effektiver Folgedosis.

In Tabelle 8.9 sind für einige ausgewählte Radionuklide Dosiskoeffizientenfür die effektive Dosis angegeben, wobei hier nur die Altersgruppen „3 Monate“und Erwachsene berücksichtigt sind. Diese wurden nach den Modellen derICRP berechnet und in die deutsche Strahlenschutzverordnung übernommen[3]. Die Dosiskoeffizienten für Säuglinge sind in der Regel höher, da die Resorp-tionen im Magen-Darm-Trakt häufig um etwa eine Größenordnung größer unddie Organmassen kleiner sind als für Erwachsene. Die Dosiskoeffizienten fürCäsium sind nahezu altersunabhängig, da die Resorption keine Altersabhängig-keit aufweist und die geringeren Organmassen durch die kürzeren biologischenHalbwertszeiten bei Kleinkindern kompensiert werden.

8.4.2Strahlenexposition

Die jährliche Strahlenexposition durch Aufnahme von Radionukliden mit derNahrung ergibt sich aus der Aktivitätszufuhr und den entsprechenden Dosisko-effizienten. Diese geben die Dosis in den Organen und die effektive Dosis prozugeführter Aktivitätseinheit an.

8 Radionuklide628

Tab. 8.9 Dosiskoeffizienten für Säuglinge und Erwachsene für ausgewählte Radionuklide [3].

Radionuklid Dosiskoeffizient [Sv/Bq]

Säuglinge (3 Monate) Erwachsene (> 17 a)

3H 6,4E-11 1,8E-1114C 1,4E-9 5,8E-1040K 6,2E-8 6,2E-990Sr 2,3E-7 2,8E-8137Cs 2,1E-8 1,3E-8232Th 4,6E-6 2,3E-7239Pu 4,2E-6 2,5E-7

Radionuklide der Uranzerfallsreihe238U 3,4E-7 4,5E-8226Ra 4,7E-6 6,2E-7210Pb 8,4E-6 6,9E-7210Po 2,6E-5 1,2E-6

Wegen der unterschiedlichen geologischen Bedingungen liegen die Gehaltenatürlicher Radionuklide in den Umweltmedien und deshalb auch in den Nah-rungsmitteln in einem großen Wertebereich (vgl. Tab. 8.4)

8.4.2.1 Natürliche StrahlenexpositionFür die mittleren Verhältnisse in Deutschland wird in Anlehnung an die Vor-gehensweise in UNSCEAR [23] abgeschätzt, dass sich durch die Aufnahmenatürlich radioaktiver Stoffe mit Nahrung und Trinkwasser eine jährliche effek-tive Dosis im Bereich von 0,3 mSv ergibt (Tab. 8.10). Die interne Strahlenexpo-sition durch Kalium-40 wird durch den Kaliumgehalt des Körpers bestimmt, da0,0118% des natürlichen Isotopengemisches von Kalium auf das Radionuklid40K entfallen. Der 40K-Gehalt im Körper beträgt 4000 Bq (Tab. 8.6). Daraus er-gibt sich eine jährliche effektive Dosis von ca. 0,17 mSv. Zur Vervollständigungsind in Tabelle 8.10 außerdem die Expositionen durch andere Strahlenquellenangegeben.

Neben der Aufnahme von Radionukliden mit der Nahrung sind dies die In-halation von Radionukliden und die externe Exposition.

8.4 Abschätzung der Strahlendosis durch inkorporierte Radionuklide 629

Tab. 8.10 Mittlere natürliche Strahlenexposition in der Bundesrepublik Deutschland.

Strahlenquelle Jährliche effektive Dosis [mSv/a]

Durchschnitt inDeutschland(BfS, 2003)

Bandbreite (global)(UNSCEAR, 2000)

Ingestion40KRadionuklide der U-Th-Zerfallsreihekosmische RadionuklideSumme

InhalationRadionuklide der U-Th-ZerfallsreiheRadon (222Rn und Zerfallsprodukte)Summe

Externe Expositionkosmische Strahlung (Meereshöhe)sonstige natürliche RadionuklideSumme

Gesamte natürliche Strahlenexposition

0,170,120,010,3

0,0061,11,106

0,30,40,7

2,4

0,2–0,8

0,2–10

0,3–1,0 a)

0,3–0,6 a)

1–10

a) Schwankungsbereich ergibt sich durch die Höhe über demMeeresspiegel.

b) Schwankungsbereich ergibt sich durch die verschiedenenRadionuklidgehalte in Böden und Baustoffen.

Der größte Beitrag ergibt sich durch die Inhalation von Radon (222Rn,t1/2 = 3,8 d; 220Rn t1/2 = 56 s), das als Zerfallsprodukt der Uran- bzw. Thorium-Zerfallsreihe entsteht. Bei Radon handelt es sich um ein Edelgas, das aus demBoden und Baustoffen entweicht und in der Außenluft in Konzentrationen vonetwa 10 Bq/m3 zu finden ist. Die Gehalte in Innenräumen liegen im Mittel fürDeutschland bei ca. 50 Bq/m3, sie können in Abhängigkeit von Geologie, Bau-stoff und Ventilation jedoch auch weit über diesem Wert liegen. Die Inhalationvon 222Rn und den daraus entstehenden radioaktiven, kurzlebigen Tochternukli-den verursacht etwa die Hälfte der natürlichen Strahlenexposition.

Die externe Exposition durch kosmische Strahlung und durch Radionuklideim Boden und in Baustoffen ergibt zusammen etwa 0,86 mSv/a, dies ist etwaein Drittel der Strahlenexposition aus natürlichen Quellen [5, 23].

8.4.2.2 Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von TschernobylDerzeit liegt die jährliche mittlere effektive Dosis für die Bevölkerung der Bun-desrepublik Deutschland durch Radionuklide aus dem Reaktorunfall vonTschernobyl bei weniger als 15 �Sv. Diese Strahlenexposition wird zu mehr als90% durch die Bodenstrahlung von abgelagertem 137Cs verursacht. Die jähr-liche effektive Dosis für Erwachsene durch Ingestion von 90Sr beträgt etwa2 �Sv/a, der Tschernobyl-Beitrag liegt bei ungefähr 0,2 �Sv/a.

Unmittelbar nach dem Reaktorunfall waren die Expositionen jedoch höher,sie sind für verschiedene Zeiträume von 1986 bis 2005 in Tabelle 8.11 zusam-

8 Radionuklide630

Tab. 8.11 Mittlere Strahlenexposition in Deutschland durchden Reaktorunfall von Tschernobyl [4].

Zeitraum Strahlenexposition [mSv/a]

Interne Exposition Externe Expositiondurch am BodenabgelagerteRadionuklide

Gesamte Exposition

1986 0,04 a) 0,07 b) 0,111987 0,04 c) 0,03 0,071988 0,015 0,025 0,041989 < 0,01 0,02 0,031990–1994 < 0,01 0,02 0,021995–1999 < 0,001 0,015 0,02> 2000 0,001 0,01 0,015

a) In Bayern 4-mal, in Südbayern 6-mal höher.b) Im Raum München etwa 4-mal, im Raume Berchtesgaden

etwa 10-mal höher.c) In Bayern 3-mal, in Südbayern 6-mal höher.

mengefasst. Daraus ergibt sich eine gesamte mittlere Exposition im Zeitraum1986–2005 von etwa 0,5 mSv.

8.4.2.3 Strahlenexposition durch Anwendungen in der KerntechnikDurch die Ableitung von Radionukliden aus Kernkraftwerken und sonstigen

kerntechnischen Anlagen wird die mittlere Strahlenexposition der Bevölkerungnur geringfügig erhöht. Der Beitrag der kerntechnischen Anlagen im Inland so-wie im angrenzenden Ausland zur mittleren effektiven Dosis der Bevölkerungder Bundesrepublik Deutschland lag 2002 unter 0,01 mSv/a [4].

8.5Strahlenwirkungen

Bei den Strahlenwirkungen unterscheidet man zwischen deterministischen undstochastischen Wirkungen.

8.5.1Deterministische Wirkungen

Unter deterministischen Effekten versteht man alle Wirkungen, deren Schweremit der Strahlenexposition zunimmt. Dazu gehören z.B. das Hauterythem,Haarausfall, Veränderungen des Blutbildes und Katarakte. Charakteristisch füreine derartige Wirkung ist die Existenz eines Schwellenwerts, d.h. die Wirkungkann erst auftreten, wenn die Exposition einen von der Art der Erkrankung ab-hängigen Wert überschritten hat.

8.5 Strahlenwirkungen 631

Tab. 8.12 Schwellendosiswerte für das Auftreten von determi-nistischen Effekten nach kurzzeitiger und einmaliger bzw.nach fraktionierter Bestrahlung, nach ICRP [13].

Gewebe Wirkung Schwellendosis [Sv]

KurzzeitigeBestrahlung

FraktionierteBestrahlung

Hoden vorübergehende Sterilität 0,15 NA*dauerhafte Sterilität 3,5–6 NA*

Ovarien Sterilität 2,5–6 6,0Augenlinse erste Trübungen 0,5–2 5

Katarakt 5 > 8Rotes Knochenmark reduzierte Blutbildung 0,5 NA a)

a) NA: Nicht anwendbar, da für die Wirkung vor allem die Do-sisrate und weniger die Gesamtdosis ausschlaggebend ist.

Für deterministische Wirkungen spielt der zeitliche Verlauf der Bestrahlungeine nicht unbedeutende Rolle. Nachhaltige deterministische Strahlenwirkun-gen treten erst bei relativ hohen Expositionen von über 0,5 Sv (500 mSv) auf(Tab. 8.12). Daraus wird ferner deutlich, dass die Schwellenwerte für kurzzeiti-ge, einmalige Bestrahlungen geringer sind als bei fraktionierten Bestrahlungen,die über einen längeren Zeitraum appliziert werden.

8.5.2Teratogenität

Die Strahlenwirkungen auf ungeborenes Leben umfassen insbesondere die Le-talität des Embryos, Fehlbildungen und andere Wachstums- und Entwicklungs-störungen sowie eine verzögerte geistige Entwicklung.

In Tierexperimenten konnte das Absterben des Embryos bereits durch Dosenvon etwa 0,1 Gy hervorgerufen werden, wenn die Bestrahlung kurz vor oderkurz nach der Einnistung des befruchteten Eis in den Uterus erfolgte. Es wirdvermutet, dass während der gesamten Schwangerschaft letale Wirkungen her-vorgerufen werden können, auch wenn dies erst bei höheren Dosen als 0,1 Gyder Fall sein dürfte. Die Daten sind allerdings zu dürftig, um derzeit eine quan-titative Beziehung zwischen dem Schwangerschaftsstadium und der Dosis, diezu einer Fehlgeburt führt, abzuleiten.

Ferner können Bestrahlungen während der Schwangerschaft Fehlbildungenan Organen bzw. am gesamten Organismus hervorrufen. Risiko, Art undSchwere der Schädigung hängen dabei von der Höhe der Exposition und derenZeitpunkt während der Schwangerschaft ab. Erfahrungen aus Tierexperimentenzeigen, dass derartige Wirkungen mit einer Schwellendosis verbunden sind, dienicht unter 0,25 Gy liegt [24].

Strahlenexpositionen zwischen der 8. und der 25. Schwangerschaftswochekönnen durch Schädigung der sich entwickelnden Nervenzellen eine Vermin-derung der Intelligenz zur Folge haben. Dabei ist die Zeit zwischen der 8. und15. Schwangerschaftswoche als besonders kritisch anzusehen. In [13] wird eineVerminderung des Intelligenzquotienten um 30 IQ Punkte pro Sv angegeben.Nach Expositionen während der 16. und 25. Woche treten ähnliche Wirkungen,allerdings in geringerem Umfang auf.

In enger Beziehung dazu stehen Beobachtungen, nach denen die Häufigkeitan geistig schwer zurückgebliebenen Kindern mit steigender In-utero-Expositi-on zunimmt. Besonders kritisch sind diesbezüglich wiederum Expositionenzwischen der 8. und 15. Woche nach Konzeption, in dieser Zeit wird in [13] einRisikofaktor von 0,4 Sv–1 für schwere geistige Retardierung angegeben. Im wei-teren Verlauf der Schwangerschaft geht diese Empfindlichkeit zurück, für die16.–25. Woche beträgt nach ICRP [13] der Risikofaktor für geistige Retardierung0,1 Sv–1.

8 Radionuklide632

8.5.3Stochastische Strahlenwirkungen

Stochastische Wirkungen zeichnen sich dadurch aus, dass mit zunehmenderDosis nicht die Schwere der Erkrankung, sondern deren Eintrittswahrschein-lichkeit ansteigt. Man geht davon aus, dass stochastische Wirkungen keinenSchwellenwert aufweisen, d.h. auch sehr kleine Strahlendosen können, aller-dings mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, stochastische Wirkungen hervor-rufen. Zu den stochastischen Strahlenwirkungen zählen die Kanzerogenität unddie Mutagenität.

8.5.3.1 KanzerogenitätDie Kanzerogenität von ionisierender Strahlung ist bereits lange bekannt. Diequantitative Abschätzung ist jedoch schwierig, da epidemiologisch nachweisbareErhöhungen von Krebsinzidenzen erst in einem Dosisbereich beobachtet werdenkönnen, dem nur relativ kleine Kollektive ausgesetzt sind bzw. waren. Fernerhängt die Krebsinduktion von Faktoren ab wie der Dosis, der Dosisrate (Dosispro Zeiteinheit), dem Geschlecht und dem Alter bei Bestrahlung, so dass bei al-ters- und geschlechtsspezifischer Betrachtung der Krebsinzidenzen in den einzel-nen Kollektivgruppen häufig nur wenige zusätzliche Fälle zu beobachten sind.

Die Abschätzung von Risikofaktoren stützt sich hauptsächlich auf die Atom-bomben-Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Daneben sind hoch expo-nierte Patientengruppen und beruflich Strahlenexponierte, die durch ihre Tätig-keit im Uranbergbau oder in Nuklearanlagen relativ hohen Dosen ausgesetztwaren, wichtige Kollektive für epidemiologische Untersuchungen.

Das bedeutendste Kollektiv sind die Atombomben-Überlebenden, da beideGeschlechter und alle Altersgruppen relativ gleichmäßig durch externe Strah-lung exponiert wurden. Allerdings waren die Dosen und Dosisraten hoch, wäh-rend für die Fragestellung des Strahlenschutzes niedrige Dosen und Dosisratenvon Interesse sind. In dieser Gruppe wurde für kleinere Dosen als 0,2 Sv keinesignifikante Erhöhung der Krebsinzidenz festgestellt. Daher ist in diesen Unter-suchungen die Extrapolation von hohen Dosen in den niedrigen Dosisbereichvon entscheidender Bedeutung.

Die quantitative Abschätzung des Risikofaktors basiert auf der Annahme ei-ner linearen Dosis-Wirkungsbeziehung. Aufgrund eingehender Analysen wirdin ICRP [13] ein über alle Altersgruppen und beide Geschlechter gemitteltes Ri-siko von 0,05 tödlichen Krebsfällen je Sv für Expositionen kleiner als 0,2 Gy ab-geleitet. Für Kinder unter 10 Jahren ist das Risiko für Leukämie um etwa einenFaktor 3, für solide Tumoren um einen Faktor 2–4 höher. Für beruflich Strah-lenexponierte ergibt sich aufgrund der gegenüber der Allgemeinbevölkerungveränderten Altersstruktur ein Risikofaktor von 0,04 Sv–1.

8.5 Strahlenwirkungen 633

8.5.3.2Mutagenität

Bisher existieren keine Daten für den Menschen, die eine quantitative Abschät-zung des Auftretens von genetischen Schäden nach Exposition mit ionisierenderStrahlung erlauben. Die vorliegenden Untersuchungen an Tieren legen jedochnahe, dass auch beim Menschen ionisierende Strahlung Mutationen auslöst, diesich schließlich in Krankheiten manifestieren [24]. Alle Risikoabschätzungenfür Mutagene beruhen daher auf Experimenten, die mit verschiedensten Organis-men und Zellkulturen durchgeführt wurden. Dabei wird angenommen, dass fürvergleichbare Expositionsbedingungen eine vergleichbare Anzahl von genetischenSchäden in menschlichen Keimzellen und denen der jeweiligen Testorganismenhervorgerufen werden. Für die Abschätzung des Risikos genetischer Schädenwird eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung unterstellt. Unter diesen Vorausset-zungen wird in [13] für schwere genetische Schäden ein Risikofaktor von 0,01 Sv–1

für alle nachfolgenden Generationen abgeleitet.

8.6Bewertung von Strahlenwirkungen

Als integrales Maß zur Quantifizierung von stochastischen Strahlenschädenwurde von der ICRP [13] der Begriff des „Detriment“ (Schaden) eingeführt, deralle gesundheitlichen Wirkungen von Strahlenexpositionen in einer einzigenleicht handhabbaren Größe zusammenfassen soll. Im Schadensindex Detrimentwerden tödliche Krebserkrankungen, nicht tödliche Krebserkrankungen und ge-netische Schäden berücksichtigt:

Dgesamt � DKrebs � Dgenetische Sch�aden �7�

Der Beitrag von Krebserkrankungen zum Detriment setzt sich aus der gewich-teten Summe von tödlichen und nicht tödlichen Krebserkrankungen zusam-men, die wiederum mit dem relativen Verlust an Lebenserwartung durch einebestimmte Tumorart gewichtet wird:

DKrebs ��

Fi � ki � �1� ki� � Fi

ki

� �� �� Li

L�8�

DKrebs = Beitrag von Krebserkrankungen zum DetrimentFi = Sterbewahrscheinlichkeit durch die Krebsart i [Sv–1]ki = Anteil der tödlich verlaufenden Krebserkrankungen (Mortalität), Fi/k

gibt die Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung, (1–k) · Fi/k dieWahrscheinlichkeit für nicht tödlich verlaufende Fälle wieder [Sv–1]

Li = mittlerer Verlust an Lebensjahren durch einen tödlichen Tumor im Or-gan i [a]

8 Radionuklide634

L = mittlerer Verlust an Lebenserwartung durch alle tödlichen Tumoren [a],Li/L gibt den relativen Verlust an Lebenserwartung durch den Tumorim Organ i an

Nicht tödliche Erkrankungen werden demnach mit der Mortalität für die betref-fende Krebsart gewichtet. Tumoren mit geringer Mortalität erhalten so ein ge-ringes Gewicht, da angenommen wird, dass aufgrund der guten Heilungschan-cen die Lebensqualität des Erkrankten nicht nachhaltig negativ beeinflusst wird.Nicht tödliche Erkrankungen an Tumoren mit geringen Heilungschancen erhal-ten ein hohes Gewicht, da aufgrund der schlechten Heilungschancen eineschwierige und langwierige Behandlung und der damit verbundenen psy-chischen und physischen Belastung eine nachhaltige Beeinträchtigung der Le-bensqualität unterstellt wird. Diese Annahme wurde seitens der ICRP mehroder weniger willkürlich getroffen, da es ein objektives Maß für die Schwere ei-ner Krankheit letztendlich nicht geben kann. Es ist allerdings konsistent mitder Auffassung, dass eine Krankheit als umso schwerer empfunden wird, jehöher die Wahrscheinlichkeit ist, daran zu sterben. Die in [13] zugrunde geleg-ten organspezifischen Anteile an tödlichen Krebserkrankungen sind in Tabelle8.13 zusammengefasst.

Der Beitrag von schweren genetischen Schäden zum Detriment Dgenetische Schä-

den wird in ähnlicher Weise berechnet wie der von Krebserkrankungen (Gl. (9)). In[13] wird die Übereinkunft getroffen, schwere genetische Schäden hinsichtlich der

8.6 Bewertung von Strahlenwirkungen 635

Tab. 8.13 Anteil der tödlich verlaufenden Erkrankungen(Mortalität) für strahleninduzierte Tumoren in verschiedenenOrganen nach ICRP [13].

Organ Anteil der tödlichen Krebserkrankungen

Blase 0,5Brust 0,5Cervix 0,45Dickdarm 0,55Gehirn 0,8Haut 0,002Knochen 0,7Leber 0,95Knochenmark 0,99Lunge, Bronchialtrakt 0,95Magen 0,9Niere 0,65Ovarien 0,7Pankreas 0,99Prostata 0,55Schilddrüse 0,1Speiseröhre 0,95Uterus 0,3

Schwere der Erkrankungen wie tödlich verlaufende Krebserkrankungen zu behan-deln; d.h. der Sterbeanteil für schwere genetische Schäden kgenet wird deshalbgleich 1 gesetzt. Als Risikofaktor für schwere genetische Schäden wird in [13]ein Wert von 0,01 Sv–1 für alle nachfolgenden Generationen vorgeschlagen. Dannergibt sich Dgenetische Schäden zu:

SDgenetische Sch�aden � Fgenetische Sch�aden � Lgenetische Sch�adenL

�9�

Zur Berechnung des Detriments werden die aufgetretenen Erkrankungen mitdem relativen Verlust an Lebenserwartung gewichtet. Dabei wird davon aus-gegangen, dass im Mittel über alle strahleninduzierten Tumorarten der Verlustan Lebenserwartung durch eine tödliche Krebserkrankung 15 Jahre beträgt. Dafür das Auftreten der einzelnen Tumorarten verschiedene Lebensalter typischsind und die verschiedenen strahleninduzierten Tumoren unterschiedliche La-tenzzeiten aufweisen, ist der mittlere Verlust an Lebenserwartung für die einzel-nen Tumoren unterschiedlich.

Als Wichtungsfaktor für die einzelnen Tumorarten wird der relative Verlustan Lebenserwartung Li/L durch einen Tumor im betreffenden Organ oder einenschweren genetischen Schaden herangezogen. Der durchschnittliche Verlust anLebenserwartung für tödliche Tumoren in den einzelnen Organen und die da-

8 Radionuklide636

Tab. 8.14 Verluste an Lebenserwartung für verschiedenestrahleninduzierte Tumoren und daraus abgeleiteteWichtungsfaktoren [13].

Organ Verlust an Lebenserwartungdurch einen tödlichen Tumor Li

[Jahre]

Wichtungsfaktor Li/L a)

Blase 9,8 0,65Brust 18,2 1,21Dickdarm 12,5 0,83Haut 15,0 1Knochenmark 30,9 2,06Knochenoberfläche 15 1Leber 15 1Lunge 13,5 0,9Magen 12,4 0,83Ovarien 16,8 1,12Schilddrüse 15 1Speiseröhre 11,5 0,77Sonstige Organe 13,7 0,91Schwere genetische Schäden 20 1,33

a) Verhältnis aus dem Verlust an Lebenserwartung durch einentödlichen Tumor in einem bestimmten Organ und demmittleren Verlust an Lebenserwartung durch alle Tumoren(s. Gl. (8)).

raus abgeleiteten Wichtungsfaktoren sind in Tabelle 8.14 zusammengefasst. Da-ten für die Lebenszeitverkürzung durch schwere genetische Schäden liegennicht vor. Daher wurde in [13] für schwere genetische Schäden die etwas will-kürliche Übereinkunft getroffen, einen mittleren Verlust an LebenserwartungLgenetische Schäden von 20 Jahren anzunehmen.

Die Beiträge der verschiedenen Tumoren und der genetischen Schäden zumDetriment für die Gesamtbevölkerung und beruflich Strahlenexponierte sind inTabelle 8.15 angegeben. Das Detriment ergibt sich aus den Gleichungen undunter Berücksichtigung der Mortalität für die einzelnen Tumorarten und demdamit verbundenen relativen Verlust an Lebenserwartung.

Für Strahlenexpositionen der Gesamtbevölkerung ergibt sich, dass bei gleich-mäßiger Verteilung der Äquivalentdosis über den Körper Tumoren 82% undschwere genetische Schäden 18% zum Detriment beitragen. Für inhomogeneExpositionen können sich diese Anteile aufgrund der organspezifischen Mortali-tät der einzelnen Tumoren und deren unterschiedlichen Wichtungsfaktoren fürden Verlust an Lebenserwartung unterscheiden.

8.6 Bewertung von Strahlenwirkungen 637

Tab. 8.15 Inzidenz und Mortalität von strahleninduziertenTumoren und Wahrscheinlichkeit von genetischen Schädenund dem daraus resultierenden Detriment für die Allgemein-bevölkerung nach ICRP [13].

Organ Wahrscheinlichkeitvon Tumoren(Inzidenz)[10–2 Sv–1]

Wahrscheinlichkeitvon tödlichenTumoren bzw.schwerengenetischenSchäden[10–2 Sv–1]

Detriment jeEinheitsdosis[10–2 Sv–1]

Blase 0,6 0,3 0,29Brust 0,4 0,2 0,36Dickdarm 1,5 0,85 1,03Haut 10 0,02 0,04Knochenmark 0,51 0,5 1,04Knochenoberfläche 0,071 0,05 0,07Leber 0,16 0,15 0,16Lunge 0,89 0,85 0,8Magen 1,0 1,1 1,0Ovarien 0,14 0,1 0,15Schilddrüse 0,80 0,08 0,15Speiseröhre 0,32 0,3 0,24sonst. Organe 0,77 a) 0,5 0,59alle Tumoren 17 5,0 5,92schwere genetische Schäden – 1 1,33

Summe – – 7,3

a) abgeleitet aus einer mittleren Mortalität von 0,65.

Aus dem Risikofaktor für stochastische Schäden von 0,073 Sv–1 (0,05 Sv–1 fürKrebserkrankungen) ergibt sich ein rechnerisches Risiko durch die natürlicheStrahlenexposition an Krebs zu sterben in der Größenordnung von 0,0001 proJahr. Bezieht man genetische Schäden mit ein, so ergibt sich ein rechnerischesRisiko von etwa 0,00015 pro Jahr.

8.7Gesetzliche Bestimmungen und Empfehlungen zur Begrenzungvon Strahlenexpositionen

8.7.1Grenzwerte für die Allgemeinbevölkerung und beruflich Strahlenexponierte

Zur Begrenzung der beruflichen Strahlenexposition und der Strahlenexpositionder Bevölkerung wurden Dosisgrenzwerte festgelegt. Die in [13] empfohlenenGrenzwerte sind in Tabelle 8.16 angegeben. Die genannten Grenzwerte limitie-ren die zusätzliche Strahlenexposition durch Ableitungen von Radionuklidenmit der Abluft und dem Abwasser durch kerntechnische Einrichtungen für Pla-nung, Errichtung, Betrieb und Stilllegung von kerntechnischen Einrichtungen.

Die Empfehlungen der ICRP [13] wurden in die EU-Grundnormen [8] über-nommen, in denen der Strahlenschutz in der Europäischen Union festgelegt

8 Radionuklide638

Tab. 8.16 Empfohlene Dosisgrenzwerte nach ICRP [13].

Zielorgan Dosisgrenzwert

Berufliche Exposition Exposition der Bevölkerung

Effektivdosis 20 mSv a–1

als 5-Jahresdurchschnitt,nicht mehr als 50 mSvin einem Einzeljahr a)

1 mSv a–1,unter außergewöhnlichen Um-ständen in einem Einzeljahr5 mSv b)

Augenlinse 150 mSv a–1 15 mSv a–1

Haut c) 500 mSv a–1 50 mSv a–1

Extremitäten 500 mSv a–1 –

a) Für beruflich strahlenexponierte Schwangere wird eine Be-grenzung der Exposition des Abdomens auf 2 mSv a–1 emp-fohlen.

b) Im 5-Jahres-Durchschnitt darf eine Dosis von 1 mSv a–1

nicht überschritten werden.c) Prinzipiell ist der Grenzwert für die Effektivdosis ausrei-

chend, um stochastische Hautschäden zu begrenzen; derhier für die Haut genannte Grenzwert dient zur Begrenzungdeterministischer Hautschäden. Der Grenzwert gilt für eineMittelungsfläche von 1 cm2; er ist unabhängig von derGröße der betroffenen Hautfläche.

ist. Die EU-Grundnormen wurden mit der im Jahr 2001 veröffentlichten Strah-lenschutzverordnung [3] in deutsches Strahlenschutzrecht umgesetzt.

Die Grenzwerte für die berufliche Strahlenexposition und die Strahlenexpo-sition der Bevölkerung für die Bundesrepublik Deutschland sind in der Strah-lenschutzverordnung (StrlSchV) [3] festgelegt (Tab. 8.17), die im Kern die Emp-fehlungen der ICRP nachvollziehen, bezüglich einiger Grenzwerte für Orgando-sen jedoch etwas restriktiver sind.

Die Bestimmung dieser Strahlenexposition erfolgt für sechs definierte Refe-renzpersonen unter Berücksichtigung aller radioaktiven Emittenten an einemStandort; d.h. die Vorbelastung durch bereits im Betrieb befindlichen Anlagenmuss berücksichtigt werden. Zusätzlich wird in der Strahlenschutzverordnungdie effektive Dosis durch Direktstrahlung aus einer Anlage begrenzt. Die ge-samte effektive Dosis darf unter Einbeziehung der erwartenden Strahlenexpo-sition durch Ableitung mit der Abluft oder dem Abwasser 1 mSv a–1 nicht über-schreiten. Das Berechnungsverfahren zur Bestimmung von Strahlenexpositio-

8.7 Gesetzliche Bestimmungen und Empfehlungen zur Begrenzung von Strahlenexpositionen 639

Tab. 8.17 Dosisgrenzwerte nach Strahlenschutzverordnung [3]für berufliche Strahlenexposition und für die Strahlen-exposition der Bevölkerung.

Zielorgan Dosisgrenzwert [mSv a–1]

Berufliche Exposition der BevölkerungExposition a)

NormaleUmstände b)

AußergewöhnlicheUmstände c)

Effektivdosis 20 d) 0,3e) 50Gonaden, Uterus, rotesKnochenmark

50 0,3 50

Knochenoberfläche, Haut 300 1,8 300Schilddrüse 300 0,9 150alle anderen Organe und Gewebe 150 0,9 150Extremitäten 500 – 500

a) Für Personen über 18 Jahre, für Personen unter 18 Jahregelten um einen Faktor 10 kleinere Werte.

b) Grenzwerte für die Strahlenexposition durch die geplanteAbleitung von Radionukliden aus kerntechnischen Anlagenmit Abluft oder Abwasser im bestimmungsgemäßen Be-trieb.

c) Grenzwerte für die Ableitung von Radionukliden aus kern-technischen Anlagen mit Abluft oder Abwasser im nicht be-stimmungsgemäßen Betrieb (Störfälle).

d) Für gebärfähige Frauen darf die Exposition des Uterus5 mSv pro Monat nicht überschreiten.

e) Die gesamte effektive Dosis durch Direktstrahlung von einerAnlage und Ableitungen mit Abluft oder Abwasser aus einerAnlage ist auf 1 mSv a–1 begrenzt.

nen durch geplante kerntechnische Einrichtungen ist in der Allgemeinen Ver-waltungsvorschrift zu § 47 Strahlenschutzverordnung geregelt [2].

Zusätzlich zu den Grenzwerten wird in der Strahlenschutzverordnung dasvon der ICRP [13] empfohlene Minimierungsgebot festgeschrieben, das besagt,dass die Strahlenexposition auch unterhalb der Grenzwerte so gering wievernünftigerweise erreichbar („as low as reasonable achievable“) zu halten ist.Demnach ist „jede Strahlenexposition oder Kontamination von Personen,Sachgütern oder der Umwelt unter Beachtung des Standes von Wissenschaftund Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auchunterhalb der in dieser Verordnung festgesetzten Grenzwerte so gering wiemöglich zu halten“ [3].

8.7.2Grenzwerte für Radionuklide in Nahrungsmitteln

In der Strahlenschutzverordnung sind keine Grenzwerte für Radionuklidgehaltein Nahrungsmitteln angegeben, da die Strahlenschutzverordnung als primärenGrenzwert die Dosis definiert.

Unmittelbar nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurden jedoch von derEuropäischen Union Grenzwerte [7] für die Cäsium-Kontamination für denHandel von Nahrungsmitteln zuwischen den Mitgliedsstaaten und für die Ein-fuhr von Lebensmitteln aus Drittländern erlassen (370 Bq/L für 134/137Cs inMilch, Milchprodukte und Kleinkindernahrung, 600 Bq/kg 134/137Cs in allenübrigen Lebensmitteln). Diese Grenzwerte wurden schließlich auch für den in-nerdeutschen Handel angewandt. Diese Werte galten zunächst bis zum 30. Sep-tember 1986, wurden dann aber wegen der z.T. anhaltend hohen Cäsiumgehal-te in Wild und Pilzen mehrmals verlängert, so dass sie auch heute noch Gültig-keit haben. Die Überwachung der Einhaltung dieser Grenzwerte obliegt denLandesuntersuchungsämtern.

Im Jahr 1987 wurden von der Europäischen Gemeinschaft daneben Grenzwerte(Tab. 8.18) eingeführt, die im Falle eines neuen Reaktorunfalls zunächst in Krafttreten und dann bei Kenntnis der spezifischen radiologischen Situation eventuellmodifiziert werden, um die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gege-benheiten angemessen und situationsangepasst zu berücksichtigen [6].

8.7.3Grenzwert für Trinkwasser

Ein weiterer Grenzwert für die Limitierung der Strahlenexposition durchnatürliche Radionuklide (ohne Tritium, 40K, Radon und Radonzerfallsprodukte)ist in der Trinkwasserverordnung [1] festgeschrieben. Diese regelt, dass die jähr-liche Dosis durch den Verzehr von Trinkwasser 0,1 mSv nicht überschreitendarf.

8 Radionuklide640

8.7.4Behandlung bestehender Kontaminationen

Für bereits bestehende Kontaminationen existieren keine verbindlichen Grenz-werte. Die Sicherstellung eines ausreichenden Schutzes der Bevölkerung vor io-nisierender Strahlung erfolgt nach dem von der ICRP vorgeschlagenem Kon-zept der Intervention [13] und den abgeleiteten Interventionsrichtwerten. Dabeihandelt es sich nicht um feste Grenzwerte, sondern um Orientierungswerte, bei

8.7 Gesetzliche Bestimmungen und Empfehlungen zur Begrenzung von Strahlenexpositionen 641

Tab. 8.18 Grenzwert für Radionuklide in Lebensmitteln [6], dienach einer großflächigen radioaktiven Kontamination in Kraftgesetzt werden.

Radionuklid/Radionuklidgruppe Nahrungsmittel a)

Nahrungs-mittel fürSäuglinge b)

Milch-erzeugnissec)

AndereNahrungs-mittel c)

FlüssigeNahrungs-mittel d)

Strontiumisotope,insbesondere 90Sr

75 125 750 125

Iodisotope, insbesondere 131I 150 500 2000 500�-Strahlen emittierendePlutoniumisotope- und Transplu-toniumelemente, insbesondere239Pu, 241Am

1 20 80 20

alle übrigen Radionuklide miteiner Halbwertszeit 10 d, ins-besondere 134Cs und 137Cs e)

400 1000 1250 1000

a) Die für konzentrierte und getrocknete Erzeugnisse geltendeHöchstgrenze wird anhand des zum unmittelbaren Verzehrbestimmten rekonstituierten Erzeugnisses errechnet. DieMitgliedstaaten können Empfehlungen hinsichtlich derVerdünnungsbedingungen aussprechen, um die Einhaltungder in dieser Verordnung festgelegten Höchstwerte zu ge-währleisten.

b) Als Nahrungsmittel für Säuglinge gelten Lebensmittel fürdie Ernährung speziell von Säuglingen während der erstenvier bis sechs Lebensmonate, die für sich genommen denNahrungsbedarf dieses Personenkreises decken und in Pa-ckungen für den Einzelhandel dargeboten werden, die ein-deutig als „Zubereitung für Säuglinge“ gekennzeichnet undetikettiert sind.

c) außer Nahrungsmittel von geringer Bedeutung (z B.Gewürze).

d) Die Werte werden unter Berücksichtigung des Verbrauchsvon Leitungswasser berechnet; für die Trinkwasserversor-gungssysteme sollten nach dem Ermessen der zuständigenBehörden der Mitgliedstaaten identische Werte gelten.

e) Diese Gruppe umfasst nicht Kohlenstoff C-14, Tritium undKalium-40.

deren Überschreiten Maßnahmen zur Reduzierung von Expositionen ins Augegefasst werden sollten, wobei die sozialen und ökonomischen Kosten zu berück-sichtigen sind.

Für die Sanierung von Altlasten aus dem Uranbergbau in Sachsen undThüringen fand dieses Konzept Anwendung. Auf dessen Grundlage wurdenvon der Strahlenschutzkommission [21] Kriterien für die Nutzung abgeleitet,die sicherstellen, dass die zusätzliche Exposition 1 mSv a–1 nicht überschreitet,davon dürfen maximal 0,5 mSv a–1 durch die Aufnahme von Trinkwasser ver-ursacht werden. Da der primäre Richtwert von 1 mSv a–1 für den praktischenStrahlenschutz eine etwas unpraktikable Größe darstellt, wurden daraus als se-kundäre Richtwerte Radiumkonzentrationen des Bodens abgeleitet, die schließ-lich als Kriterium für die Freigabe von kontaminierten Flächen für bestimmteNutzungen dienen [21].

8.8Zusammenfassung

In der Umwelt liegen eine Reihe von natürlichen und vom Menschen erzeugteRadionuklide vor. Die natürliche Strahlenexposition des Menschen beträgt inder Bundesrepublik Deutschland etwa 2,1 mSv a–1, davon werden etwa die Hälf-te durch die Inhalation des Edelgases Radon und seiner Zerfallsprodukte, etwaein Drittel durch externe Exposition und etwa ein Sechstel durch die Aufnahmevon radioaktiven Stoffen mit der Nahrung hervorgerufen. Vom Menschen er-zeugte, in der Umwelt vorliegende Radionuklide tragen derzeit nur in unbedeu-tender Weise zur Strahlenexposition bei. Aufgrund der guten Verfügbarkeit vonCäsium sind auf Waldstandorten zum Teil hohe137Cs-Gehalte in Beeren, Pilzenund Wild zu beobachten, deren Verzehr für bestimmte Bevölkerungsgruppenzu höheren Expositionen führen kann. Der Einfluss auf die mittlere Expositionder Bevölkerung ist jedoch unbedeutend.

Nach Exposition durch ionisierende Strahlen können deterministische undstochastische Wirkungen auftreten. Für deterministische Effekte wird die Exis-tenz von Schwellenwerten unterstellt, bei stochastischen Effekten (z. B. Krebs-entstehung) wird davon ausgegangen, dass kein Schwellenwert existiert, son-dern nur ein Risiko für diese Effekte angegeben werden kann, das mit der Do-sis ansteigt.

Deterministische Effekte durch ionisierende Strahlung treten erst bei hohenStrahlendosen auf und sind für natürlich bedingte Expositionen nicht von Be-deutung. Die Abschätzung von Risiken durch Radioaktivität in der Umwelt kon-zentriert sich daher auf stochastische Wirkungen. Dabei hat der Gesetzgeberfür die Bundesrepublik Deutschland die Bewertungsgrundsätze der internatio-nalen Gremien (ICRP) übernommen und verwendet das Detrimentkonzept.Das Detriment ergibt aus den verschiedenen stochastischen Wirkungen ionisie-render Strahlen Krebsmortalitätsrisiko, Krebsinzidenzrisiko und Risiko für ver-erbbare genetische Schäden. Das Detriment ergibt sich als gewichtete Summe

8 Radionuklide642

der einzelnen Risiken und wird als Risiko pro Strahlendosis mit der EinheitSv–1 ausgedrückt.

Für das Risiko von stochastischen Schäden wird in ICRP ein Risikofaktor von0,073 Sv–1 (0,05 Sv–1 für Krebserkrankungen) abgeschätzt. Daraus ergibt sichein rechnerisches Lebenszeitrisiko durch die natürliche Strahlenexposition anKrebs zu erkranken und zu sterben in der Größenordnung von 0,007 (0,7%);unter Einbeziehung genetischer Schäden ergibt sich Lebenszeitrisiko von etwa0,01 (1%).

8.9 Literatur 643

8.9Literatur

1 BMJ (Bundesminister der Justiz) (2001)Verordnung über die Qualität von Was-ser für den menschlichen Gebrauch(Trinkswasserverordnung – TrinkwV2001), Bundesgesetzblatt, 24, Teil I,Bonn, 28. Mai 2001.

2 BMU (Bundesminister für Umwelt, Na-turschutz und Reaktorsicherheit) (1990)Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu§ 47 Strahlenschutzverordnung, (Fort-schreibung der Allgemeinen Verwal-tungsvorschrift zu § 45 Strahlenschutz-verordnung: Ermittlung der Strahlen-expostion durch die Ableitung radio-aktiver Stoffe aus kerntechnischenAnlagen oder Einrichtungen, Bundes-anzeiger 42).

3 BMU (Bundesminsiter für Umwelt, Na-turschutz und Reaktorsicherheit) (2001)Verordnung über den Schutz vor Schä-den durch ionisierende Strahlen (Strah-lenschutzverordnung – StrlSchV); Bun-desgesetzblatt 38, S. 1714.

4 BMU (Bundesministerium für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit)(2003) Umweltradioaktivität und Strah-lenbelastung, Jahresbericht 2002, Bonn.

5 BMU (Bundesministerium für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit)(2005) Umweltradioaktivität und Strah-lenbelastung, Jahresbericht 2003, Bonn.

6 EG (Europäische Gemeinschaft): Verord-nung (Euratom) Nr. 3954/87 des Ratesvom 22. Dezember 1987 zur Festlegungvon Höchstwerten an Radioaktivität inNahrungsmitteln und Futtermitteln imFalle eines nuklearen Unfalls oder einer

anderen radiologischen Notstandssituati-on (ABl. L 371 vom 30. 12. 1987, S. 11)

7 EG (Europäische Gemeinschaft): Verord-nung des Rates der Europäischen Ge-meinschaft über die Einfuhrbedingun-gen für landwirtschaftliche Erzeugnissemit Ursprung in Drittländern nach demUnfall im Kernkraftwerk Tschernobyl(Verordnung (EWG) Nr. 1707/86, ABl.Nr. L 152 vom 31. 5. 1986, bis zur Ver-ordnung (EG) Nr. 1609/2000, ABl. Nr. L185 vom 25. 7. 2000).

8 EU (Europäische Union) (1996) Richt-linie 96/29/Euratom des Rates vom 13.Mai 1996 zur Festlegung der grund-legenden Sicherheitsnormen für denSchutz der Gesundheit der Arbeitskräfteund der Bevölkerung gegen die Gefah-ren durch ionisierende Strahlungen;Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften39.

9 Gans, I. (1986) Künstliche Radioaktivitätin der Umwelt vor und nach dem Reak-torunfall, in: Sonderheft Tschernobyl,Forschung aktuell, Zeitschrift der TU Ber-lin, 32–37.

10 ICRP (International Commission on Ra-diological Protection). Limits of intakesof radionuclides by workers (Publication30); Annals of the ICRP, Part 1–4 (withsupplements), Annals of the ICRP, Volu-me 2/3–4, 1979; Volume 4/3–4, 1981;Volume 6/1–6, 1982, Volume 7 & 8,1982.

11 ICRP (International Commission on Ra-diological Protection) (1983) Radionucli-de Transformation: Energy and Intensity

8 Radionuklide644

of Emissions (Publication 38), Annals ofthe ICRP, Vol. 11–13.

12 ICRP (International Commission on Ra-diological Protection) (1990) Age-depen-dent doses to the members of the publicfrom intake of radionuclides (Publication56); Part 1; Annals of the ICRP, Volume20/2.

13 ICRP (International Commission on Ra-diological Protection) (1991) Recommen-dations of the International Commissionon Radiological Protection, (Publication60); Annals of the ICRP, Volume21/1–3.

14 ICRP (International Commission on Ra-diological Protection) (1994) Age-depen-dent doses to the members of the publicfrom intake of radionuclides (Publication67); Part 2, Ingestion dose coefficients;Annals of the ICRP, Volume 23/3–4.

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18 ICRP (International Commission on Ra-diological Protection) (1997) IndividualMonitoring for Internal Exposure ofWorkers (Publication 78); Annals of theICRP, Volume 27/3–4.

19 ISS (Institut für Strahlenschutz ) 1998):Umweltradioaktivität und Strahlenexpo-sition in Südbayern durch den Tscherno-byl-Unfall. GSF-Bericht 16/86,.

20 Pounds, JG, Leggett, RW (1998) TheICRP age-specific biokinetic model forlead: validations, empirical comparisons,and explorations. Environ Health Perspect.106 Suppl. 6:18, 505–11.

21 SSK (Strahlenschutzkommission) (1992)Strahlenschutzgrundsätze für Verwah-rung, Nutzung oder Freigabe von kon-taminierten Materialien, Gebäuden, Flä-chen oder Halden aus dem Uranerzberg-bau. Empfehlungen der Strahlenschutz-kommission mit Erläuterungen;Veröffentlichungen der Strahlenschutz-kommission, Band 23, Gustav Fischer,Stuttgart.

22 UNSCEAR (United Nations ScientificCommittee on the Effects of Atomic Ra-diation) (1993) Sources and effects of io-nizing radiation, UNSCEAR Report tothe General Assembly with ScientificAnnexes, United Nations, New York.

23 UNSCEAR (United Nations ScientificCommittee on the Effects of Atomic Ra-diation) (2000) Volume I: Sources, Uni-ted Nations, New York.

24 UNSCEAR (United Nations ScientificCommittee on the Effects of Atomic Ra-diation) (2000) Volume II: Effects, Uni-ted Nations, New York.