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ImpressumDies ist ein Auszug aus dem 2018 erschienenen Buch „Dreh

den Schubkarren um!“ISBN der kompletten gedruckten Ausgabe 978-3-00-059519-

6© 2019 des vorliegenden E-Books bei Dieter M. Hörner

Alle Rechte vorbehaltenAbhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zuunterschiedlichen Darstellungen des vom Autor

freigegebenen Textes kommen.Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des

Autors wiedergegeben werden.

Alle Werke des Autors sind hier erhältlichhttp://www.dietermhoerner.de

Den Autor und seine Seminaren persönlich kennenlernenhttp://www.positiv-factory.de

Inhalt

Ganz oben – Teil 1Aus und vorbei?

Ganz oben – Teil 2Geht es noch weiter?

Ganz oben – Teil 3Fucking crazy german guys

Ganz oben – Teil 4Alles im Kasten?

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Ganz oben – Teil 1Aus und vorbei?

„Wir fahren heute durch eine Ebene, danach geht es über einenFünftausender! Teilweise über Schotter, es wird einigeWasserdurchfahrten geben. Bitte achtet darauf, genügend Wasser zutrinken. Vier bis fünf Liter täglich sind das Minimum! Dann wird esnicht zur Höhenkrankheit kommen. Trinkt bitte keinen oder nur sehrwenig Alkohol. Heute Abend campen wir auf einer Höhe von ca. 4.000Metern, morgen geht es weiter zum Kardung La. Das Wetter hält sichgut, doch es sind Stürme und Schnee angesagt. Bitte richtet euerMaterial heute Abend schon her, wir müssen morgen früh los. Ich kannnicht garantieren, dass der Pass offen ist. Alleine die Anfahrt wirdanspruchsvoll, also achtet bitte darauf, dass es heute nicht zu spätwird. Und nochmals, nicht zu viel Alkohol, das verträgt sich nicht indieser extremen Höhe!“

Unser sonst so lustiger, lockerer Guide ist bei dieser Ansprache klarund ernst.

Ich blicke zu meinem Freund Ralf. Dieser sitzt wie immer ruhig undtiefenentspannt, mit einem Gesichtsausdruck, der für andere immergleich aussieht, auf seinem Moped. Es ist eine wunderschöne, extremzuverlässige Royal Enfield. Ich kann seinen Gesichtsausdruckmittlerweile lesen. Es sind nur Nuancen, die sich mir über die vielenJahre, in denen wir zusammen biken, erschlossen haben. Er spricht esnicht aus, denn er spricht sehr wenig, außer du beginnst ein Gesprächüber Computer oder Software, dann spricht er sehr viel.

Sein Gesichtsausdruck sagt Folgendes: „Ok, morgen geht es also aufden höchsten befahrbaren Pass der Welt. Gut. Bin dabei. Wetter sollschlecht werden. Hmpfff. Was soll‘s. Nun sind wir schon über zweiWochen unterwegs, da werden wir uns vom Wetter nicht aufhaltenlassen. Los geht‘s!“

Genau Ralf, wir fahren da hoch. Sind ja nur ein bisschen über 5.600Meter, ein Klacks, denke ich zurück.

Motorradfahren im Indischen Himalaja ist etwas Besonderes undEinmaliges. Enge, sehr enge Bergpfade, tiefe Schluchten, am Horizont

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die Siebentausender im Blickfeld. Eine enorme Weite, es riecht anders,das Essen ist speziell, die Menschen sind freundlich und die Luft sehrdünn.

Es ist der Tag vor dem absoluten Highlight dieser Tour. Die Auffahrtzum höchsten befahrbaren Pass der Welt. Das Wetter ist ideal,Sonnenschein und so warm, dass einige mit dem T-Shirt fahren. Nun,ich liebe meine Haut und meinen Körper, ich fahre auch bei großerHitze mit der Jacke. Lieber ein bisschen schwitzen als sich vielleichtnach einem Sturz die Kieselsteine aus der Haut pulen zu müssen.

Wir fahren durch ein wunderschönes Tal. Gefühlt nehme ich auf demgesamten Trip täglich ein Kilogramm Himalaja-Staub zu mir, denn wirfahren immer wieder Militärkolonnen hinterher. Überholen istunmöglich und wenn, dann ist es lebensgefährlich. Das Militär findestdu überall in dieser Gegend. Sobald wir uns einem größerenMilitärstützpunkt nähern, werden die Straßen überraschend gut. Dukannst dir vorstellen, wie verblüfft ich war, als wir aus einem dieserZiegenpfade auf einer Höhe von über 4.000 Metern um die Kurvebiegen und plötzlich eine vierspurige, perfekt asphaltierte Straße voruns liegt.

Wahnsinn, denke ich, wo kommt denn plötzlich diese Autobahn her?Liegt es am Luftmangel? Eine Sauerstoffmangel-Fata Morgana?

Da braust der Guide mit einem breiten Grinser an uns vorbei undruft: „Vollgas, Jungs!“

Vollgas mit einer Royal Enfield, das ist ein Erlebnis! Mitatemberaubenden 90 km/h rasen wir über diese geniale Bahn. Daserste Mal in meinem Bikerleben darf ich wahrnehmen, wie derMotorradrahmen ganz harmonisch ins Schwingen kommt, sichbewegt. Ein irres Gefühl. Die Militärkolonne wird überholt, es geht nunhoch auf den nächsten Pass.

Kurz darauf ist es wieder vorbei mit dem schönen Asphalt, wieder isteine Staubpiste angesagt. Und vor uns die nächsten Lastwagen. Toll,das nächste Kilogramm Dreck, ich brauche heute kein Mittagessen! ImGeiste höre ich Petras Stimme: „Das ist es doch, was du wolltest,oder?“

„Ja, ja, schon klar, ist ja auch geil!“, sage ich meiner Petra in

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Gedanken und muss daran denken, wie es ihr wohl im Moment ergeht.Tja, ich weiß genau, was sie gerade macht – auf den Malediven! Denndort ist meine liebe Petra. Zusammen mit zwei unserer Kinder, Tashinaund Marvin. Sonnen, tauchen, schnorcheln, an der Bar sitzen! Welchkrasser Gegensatz zu dem, was hier gerade abgeht.

Plötzlich lautes Hupen! Ein riesiger, bunt bemalter Lastwagen kommtvon hinten und drängt mich ab! Wahnsinn, der Spinner will michtatsächlich überholen. Das ist zu eng! Viel zu eng! Ich winkeverzweifelt, doch der Lastwagen bleibt hart am Gas, kommt immernäher. Ich spüre ihn förmlich im Nacken. Bremsen geht nicht, dannüberrollt mich das Teil. Also ebenso am Gas bleiben, links ran. Ichstreife mit der Schulter an der Felswand entlang, bin hoch konzentriertdabei mein Motorrad auf Spur zu halten. Ein kleiner Fehler und es istvorbei! Der Truck donnert an mir vorüber. Sein Außenspiegel streiftmeine rechte Schulter. Uff! Geschafft!

Nun, das ist etwas, was du als Biker im Himalaja sehr schnell lernst.Du bist als Motorradfahrer in der „Nahrungskette“ der kleinsteHappen! Keine Rücksicht auf Biker! Vorfahrtregeln? Vergiss es! Hierlernst du Demut und vor allem, vorausschauend und „egofrei“ zufahren. Du musst nachgeben, denn deine einzige Knautschzone istdein Körper.

Mich stresst das nicht, warum auch? So ist das hier eben. Ich bin Gastin diesem Land und ordne mich den Gepflogenheiten unter. Mir istbewusst, dass, wenn ich mich auf solch ein Abenteuer einlasse, neueDinge auf mich zukommen.

Vor der Reise habe ich mir ein Vademekum, also einen Reiseratgeberüber den Himalaja besorgt und studiert. Auf was muss ich achten alsEuropäer? Was kann ich essen? Wovon sollte ich die Finger lassen?Was ist mit der Wasserqualität? Wie verhalte ich mich im Kloster, beimEssen, in den Dörfern usw.?

Irgendwann in einer dieser faszinierenden Nächte sitze ich vor demZelt und lese in diesem Vademekum. Der Sternenhimmel ist so nah,dass ich das Gefühl habe, wenn ich jetzt die Hände ausstrecke, kannich die Sterne berühren. Vollkommene Ruhe.

Wie wäre es, denke ich, wenn es solch ein Vademekum auch für

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unser „Abenteuer Leben“ gäbe. Eines, das sich mit Fragen befasst, dieuns alle beschäftigen. Warum geschehen mir immer die gleichenDinge? Wieso kreiere ich mir immer die gleiche Realität? Bin ichtatsächlich der Schöpfer meines Lebens? Gibt es Zufälle oder eineVorbestimmung? Gibt es Selbstbestimmung? Gibt es einen Gott? Wiewerde und bleibe ich glücklich? Wie bin ich ein guter Vater, eine guteMutter? Wie pflege ich Freundschaften? Wie gehe ich mit meinenÄngsten um und wo kommen diese eigentlich her? Warum werde ichkrank oder unglücklich? Gibt es Prinzipien, also Grundregeln oder gibtes eine Anleitung fürs Leben?

Wie genial wäre es, wenn ich einen Lebensreisebegleiter hätte, indem ich nachschauen kann, welche universellen Gesetze wirken undwie sie zusammenhängen; in dem ich nachschlagen kann, was dieHintergründe der Situation sind, in der ich mich gerade befinde;welche Möglichkeiten, welche Wahl ich im Moment habe; der michdurch mein Leben begleitet, wie ein bester Freund, immer an meinerSeite, immer für mich da?

Mittlerweile habe ich dieses Vademekum geschrieben. Ich habe michdazu ermächtigt, 30 Evolvere-Prinzipien zusammenzustellen. All meinWissen aus bald 60 Jahren Lebenserfahrung, aus fast drei Jahrzehntenintensiver Persönlichkeitstrainertätigkeit und die Essenz ausungezählten Büchern. 30 Lebensprinzipien, die dir zur Verfügungstehen, wann immer dir danach ist.

Nach der Staubfahrt kommen wir an einen schönen Ort, dieser hatsogar ein Restaurant. Ok, wir Europäer würden es eine Bretterbudenennen, doch hier ist das Luxus pur. Sogar einen Wasserschlauch gibtes. Wie genial! So können wir unsere schwarzen Gesichter waschen,die Kehle ausspülen und einen Teller Reis mit Gemüse essen.

Weiter geht die Fahrt über einen Fünftausender und dann hinein inein fantastisches Tal. Kennst du Filme über die extremsten Straßen derWelt? Nun, so ungefähr kannst du dir die Strecke vorstellen, die sichvor uns öffnet.

Wow ... bloß nicht rechts runter schauen, denn da ist der Abhang.

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Ungesichert. Schmal, der Weg. Unbefestigt. Ab und an ist die halbeStraße weggebrochen und gleich müssen wir durch einen Wasserfallfahren. Unfassbar! Links geht die Steilwand hoch. Also konzentriertund mittig fahren.

In diesen Momenten bist du mit dir alleine. Vollkommengegenwärtig. Bewusst. Aufmerksam.

Diese Momente sind der Grund, warum ich diese extremen Reisenunternehme. Du bist lebendig. Wirst eins mit dir, der Natur und deinerMaschine.

PENG! Plötzlich bekommt mein Motorrad einen gewaltigen Schlagvon unten, bockt wie ein wildgewordenes Pferd und reißt mich inRichtung Abgrund. Im nächsten Sekunden-bruchteil übernimmt meinUnbewusstes die Regie. Meine Erfahrung aus über einer halben MillionKilometer auf dem Motorrad übernimmt die Situation. Den Blick wegvom Abgrund! Wo willst du hin? Zum Berg. Blickrichtung beachten!Die Energie folgt der Aufmerksamkeit! Hände locker am Lenker. DerBlick lenkt, der Arsch folgt.

Ich komme mittig auf dem Pfad zum Stehen.Mein Blick geht zum Abgrund. Ich nehme die Spur meines

Vorderreifens wahr! Diese führt geradewegs an die Kante derunbefestigten Straße und haarscharf am Abgrund entlang! Ein paarMillimeter weiter und ...!

Ich nehme Ölgeruch wahr. Mein linker Stiefel wird heiß. Öl fließt ausder Maschine. Über meinen Stiefel. WTF? Keine Verletzung, ok. AberÖlaustritt ist schlecht, sehr schlecht. Morgen geht es hoch auf denKardung La, auf den höchsten befahrbaren Pass der Welt! Wir habenkein Ersatzmotorrad dabei! Was für ein Mist!

Hey, Dieter, spricht eine Stimme in mir. Du bist am Leben. Könntestjetzt auch unten in der Schlucht liegen! Also ganz easy, schau einfach,wie es weitergeht. Du kennst das doch, du bist bis jetzt immer dahingekommen, wo du hinwolltest. Vertraue und bleibe in deiner Mitte!Ok?

Ich bleibe kurz sitzen, schließe die Augen, lege die Hand auf meinHerz und werde gegenwärtig. Du lebst, bist mitten im Himalaja, sitztauf deiner Maschine, atmest und fühlst das pure Leben! Das ist die

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Realität! Nicht deine Befürchtungen, nicht dein Wollen, sondernschlicht und einfach das, was jetzt ist. Das ist das Echte! Also, du bistinmitten dieser genialen, einmaligen Natur, die Sonne scheint, du lebstund spürst die Einmaligkeit deines Seins. Fühle. Atme. Geh in deineninneren Tempel, an deinen Kern und sei aufmerksam und in Liebe.

Ich steige ab und laufe zur Schlucht. Ok, das ist tief. Das hätte übelenden können. Ich bleibe stehen, lege nochmals die Hand auf meinHerz und erinnere mich an die Übung, die seit fast drei Jahrzehnten inmeinem Leben und in meinen Seminaren ist und eine wichtige Rollespielt. Ich gehe in meinen inneren Tempel, meinen inneren Kern.Nehme bewusst Verbindung mit meiner Seele auf. Ich bin der Kern imKern, stehe in der Sonne und lebe! Danke!

Das innere Gebet kommt wie von alleine. Währenddessen bleibe ichvollkommen ruhig. Kein Zittern, kein Adrenalinschub. Das kenne ichvon mir in solchen Situationen.

Ich drehe mich um und nehme wahr, dass die anderen auf ihrenBikes sitzen und mich beobachten. Keiner spricht ein Wort. Wie langestehe ich schon hier?

Da kommt Ralf mit der Kamera angelaufen und schaut mich nur an,mit seinem „Ralfgesichtsausdruck“. Geht zur Schlucht, schaut runter,sagt „Hmpff - tief“, knipst ein Foto von der Reifenspur, kommt zu mirund meint:

„Dein Schutzengel ist genial. Und gut, dass du so viel Fahrerfahrunghast. Bin hinter dir gefahren. Hast die Kiste gewaltig nach linksgeworfen. Das hätte übel ausgehen können!“

Du sagst es, Ralf, du sagst es, denke ich amüsiert.Ich gehe zum Bike. Hmm, ein Loch im Motor. Nicht gut, gar nicht

gut.Unser Enfield-Spezialist kommt mit dem Begleitfahrzeug an, springt

aus der Karre, die Werkzeugtasche schon in der Hand, lächelt diesesfreundlichen Inder-Lächeln, wackelt mit dem Kopf, wie es nur die Inderkönnen, und sagt:

„No problem!“„No problem? The engine is broken.”„No problem, wait a minute!”

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Er schraubt das Motorgehäuse ab. Dieses hat ein riesiges Loch ander Unterseite. Ein Stein hat sich aufgestellt und mich ausgehebelt. Ernimmt einen Lappen, stopft diesen in das Loch und fixiert das Ganzemit einem stabilen Reparaturband. Dann öffnet er eine Tube und trägtdick eine ölige Paste auf das Motorgehäuse. Danach schraubt er eswieder dran, kickt die Maschine an und mit einem leichten Klappernbullert diese los.

„Ok!“, sagt er und lächelt mich fröhlich an.„Ok? Are you sure?“, frage ich zweifelnd.„Yes, drive away, have fun, it´s ok.”„And tomorrow?”„Yes, yes, it’s ok. Drive and have fun.“Mit dieser, in meinen Augen notdürftig zusammengeflickten

Maschine sollte es am nächsten Tag auf den höchsten befahrbarenPass der Welt gehen?

Aber, so einer Royal Enfield macht es nichts aus, wenn da einbisschen Öl aus dem Motor fließt. Lappen rein, Tesaband drüber, einbisschen Schmierpaste drauf und weiter geht es. Einfach unglaublich!Denn das sei schon einmal vorweggenommen: meine Enfield hatdurchgehalten, ganz im Gegensatz zu einigen anderen Bikes.

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Ganz oben – Teil 2Geht es noch weiter?

Die Fahrt geht weiter, endlos durch die Ebene. Auf unsererMotorradtour war es wichtig, den Anschluss zur Gruppe bzw. zumVordermann zu halten, denn nur unser Guide, der ganz vorne fuhr,wusste als Einziger, wo es lang geht.

Ich versuchte also immer in Sichtweite zu meinem Vordermann zufahren und gleichzeitig Ralf, meinen Buddy hinter mir, im Auge zubehalten. Um die Schönheit der Tour zu genießen habe ich wohl nichtoft genug den Abstand zu meinem Vordermann kontrolliert und soden Anschluss zur Gruppe verloren. Und da Ralf meist sehr langsamund mega gechillt fährt, habe ich auch ihn schon länger nicht mehr imRückspiegel gesehen.

Mist, wo ist die Gruppe? Warum wartet mein Vordermann nicht? Wielange fahre ich schon alleine? Genau lässt sich das nicht sagen, abersicher schon eine ganze Weile, wahrscheinlich Stunden.

Ok, erst mal Gas geben. Ralf wird schon kommen. Kurz darauf, auchdas noch, eine Abzweigung. Blöd, wirklich blöd. Ok, die größere Straßegeht rechts herum, ich fahr da mal weiter. Allein auf weiter Flur, unddas mit diesem Loch im Motor. Wie lange dieser Lappen das wohlnoch dicht hält?

Schluss damit, anhalten, Motor aus, kurzer Realitätscheck. Wasgeschieht gerade? Fakten! Keine Ängste oder Vermutungenformulieren. Wie ist die Lage wirklich? Der Tank ist halbvoll, gut. Ichhabe keine Landkarte, hätte aber ohnehin keine Ahnung, wie unserZiel heißt. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich noch auf derrichtigen Straße bin. Nicht so gut! Die Gruppe ist vor mir, Ralf hintermir. Er muss also irgendwann auftauchen, wenn er an der Abzweigungdie gleiche Entscheidung trifft wie ich.

Welche Optionen habe ich? Auf gut Glück weiterfahren, auf Ralfwarten oder einen Teil der Strecke zurückfahren? Was unternehme ich,wenn es dunkel wird und ich immer noch alleine bin? Wie kalt wird dieNacht? Reicht der Sprit, um ins nächste Dorf zurückzufahren? Hmm, dagab es keine Tankstelle, wir hatten Benzinkanister dabei. Ok,

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zurückfahren bringt also nichts. Wie ich es drehe und wende, so istkeine zufriedenstellende Lösung in Sicht.

Also eine neue Strategie anwenden. In die Ruhe, ins Vertrauengehen. Es passiert immer irgendwas, Dieter, dieser Gedanke kommtnun in mein Bewusstsein. Setze dich an den Straßenrand, freue dichdarüber, dass du im Himalaja bist und gesund in der Sonne sitzenkannst. Im Moment passiert ja nichts Schlimmes, im Gegenteil. Das istes, was du wolltest. Ein Abenteuer. Etwas Neues erleben. Na bitte, jetzthast du es. Ist doch genial! Das ist deine Kreation, deine Schöpfung.Freu dich und schau, was du kreiert hast.

So sitze ich völlig entspannt am Straßenrand. Irgendwo im IndischenHimalaja. Ohne zu wissen, wo ich bin, glücklich und in einererwartungsvollen Vorfreude auf das, was mein Leben als nächstes mitmir vorhat.

Plötzlich erweitert sich meine Wahrnehmung. Geht aus der Enge indie Weite meiner Seele. Ich nehme die wunderbaren Berge amHorizont wahr. Siebentausender, gleich zwei nebeneinander, in derSonne, majestätisch und ewig. Ich sehe kleine Blechhütten auf deranderen Straßenseite. Die hatte ich vorhin gar nicht bemerkt. Ich warso mit meinen Überlegungen und meinen Ängsten beschäftigt, dassich das alles ausgeblendet habe.

Hinter den Hütten ist ein kleines Dorf. Ich bin gar nicht alleine! Ichsehe einen Mann weiter vorne an der Straße, der einen Holzwagenaufgestellt hatte. Aha, ein Restaurant. Da gibt es sicher diese paniertenGemüsebällchen. Kosten ein paar Rupien. Mit dem Geld, das ich dabeihabe, kann ich mich hier wochenlang versorgen. Wie wunderbar! Ichbleibe jetzt einfach hier. Was zum Schlafen gibt es doch immer. TollerGedanke. Ich werde wunderbare Menschen kennenlernen undirgendwie komm ich schon wieder zurück nach Leh. Schlimmstenfallsmit einem dieser bunten Busse. Ach, wie ist das Leben schön!

Da höre ich das typische Motorengeräusch der Royal Enfield.Einerseits bin ich sehr erfreut Ralf gemächlich tuckernd um die Eckefahren zu sehen, andererseits aber auch ein bisschen enttäuscht, dassmein Abenteuer nicht die Version mit der Busfahrt nach Lehannehmen wird.

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„Hoi“, sagt Ralf, als er ankommt. Mehr nicht. Er ist Schweizer.„Hoi“, ist meine Antwort. Ralf steigt ab und setzt sich kommentarlos

neben mich. Schweigen. Ruhe.„Hmpppf“, sagt Ralf.„Genau“, ist meine Antwort.„Alleine?“, fragt Ralf.„Ja“, sage ich.„Blöd“, erwidert Ralf.„Ja“, ist meine knappe Antwort.„Weiterfahren?“, fragt Ralf.„Glaub schon, was meinst du?“, entgegne ich.„Weiterfahrt“, bestimmt Ralf.Wir steigen auf, denn alles ist gesagt und so fahren wir die Straße

weiter. Es ist für mich einer der friedlichsten Momente dieser Tour. Vormir diese endlose Straße, im Rückspiegel einer meiner besten Freunde.Es gibt nichts anderes zu tun, als zu fahren. Ein Flow-Erlebnis vomFeinsten. Leben pur. Ich danke dem Leben für solche Momente.

Irgendwann sehen wir die anderen an einer Tankstelle.„Ach, da seid ihr ja“, sagt unser tiefenentspannter Guide, „kommt, wir

haben Glück, es gibt Benzin. Volltanken bitte!“Wir fahren das Lager auf einer Ebene von ca. 4.400 Höhenmetern an.

Auf einer Wiese bauen wir unsere Zelte auf, ein Feuer wird entfacht,Kaffee, Gemüse und Reis gekocht. Die Dunkelheit und damit die Kältekommen in dieser Höhe urplötzlich. Eben noch im T-Shirt dieAbendsonne genossen, wird es, sobald die Sonne hinter denBerggipfeln verschwindet, sofort dunkel und eiskalt. Rasch ins Zelt,einen warmen Pullover angezogen und schnell wieder raus. Denndieser Anblick, wenn die Nacht einbricht, das Licht, die besondereSchwingung in der Luft – unbeschreiblich.

Ralf und ich sitzen noch lange und blicken in den Sternenhimmel.Die Sterne sind so nah!

„Ralf, ich sehe das erste Mal die Milchstraße, unglaublich. Die ist jawirklich wie eine Straße. Sensationell!“, bemerke ich, mit einem Blick zuRalf, der wie ich in den Himmel blickt.

„Ja – Höhe, kein Fremdlicht, klare Luft, Milchstraße!“, antwortet Ralf.

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„Morgen soll es schneien, es gibt einen Wetterumschwung, habe ichgehört. Das wird spannend, hoffe der Pass bleibt offen und wirkommen da hoch“, sage ich.

„Schnee – Hmpff!“, ist Ralfs erschöpfende Antwort.Am Morgen hängen die Wolken schon tief am Himmel, ein eisiger

Wind weht und ich nehme einige besorgte Gesichter in der Gruppewahr. Ängste werden ausgesprochen und einige wollen das Ganzeabbrechen. Hallo? Das geht gar nicht, denke ich und schaue gespanntzu unserem Guide. Er selbst ist unsicher, überlegt kurz und meint:

„Ok, es sieht nicht gut aus. Ihr wisst, wir fahren hoch auf über 5.600Meter. Es sind sehr enge Straßen, teilweise unbefestigt, keineSicherung. Wenn es schneit, müssen wir umkehren. Das kann ich dannnicht mehr verantworten. Ich denke, wir machen es folgendermaßen.Wir fahren das obere Zwischenlager an. Da ist eine Schranke. Wenndiese bei unserer Ankunft offen ist, gehen wir es an. Wenn siegeschlossen ist, kommen wir eh nicht weiter. Die haben da oben einenzuverlässigen Wetterdienst, darauf können wir vertrauen. Also losgeht’s!“

Wir starten die Motoren und unser Abenteuer geht weiter.Es wird immer kälter. Bedrohlich schwarze Wolken ziehen über den

Bergen auf, so dass wir die Bergspitzen nicht mehr sehen können. Eineisiger Wind weht uns entgegen, als wir in Richtung desZwischenlagers kommen. Hoffentlich ist die Schranke offen.

Ich fahre wie immer am Ende der Gruppe, nur Ralf ist noch hintermir. Diesmal musst du dranbleiben an der Gruppe, Dieter, und Ralfmuss nun auch ein bisschen Gas geben. Da sehe ich Ralf auch schonim Rückspiegel. Er grinst übers ganze Gesicht, ist wie ich vollerVorfreude auf die Passauffahrt. Vor uns sehe ich die offene Schranke,hurra! Die Gruppe fährt durch und ich beschleunige. Ok, das Wort„beschleunigen“ trifft es jetzt nicht ganz so. Mit einer Enfield in dieserHöhe, während es steil bergauf geht, ist das schon ein Erlebnis. Ichdrehte den Gasgriff voll auf und langsam, ganz langsam nimmt derEinzylinder ein bisschen mehr Fahrt auf.

Als ich auf die Schranke zufahre – die Gruppe ist schon außerSichtweite – nehme ich wahr, dass einige Menschen wild

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gestikulierend um die Schranke herumstehen. Einige Einheimische mitLastwagen haben angehalten und diskutierten laut mit demSchrankenwärter, der sich gerade dazu aufmacht, die Schranke zuschließen.

Nein, das gibt es doch nicht! Gasgriff ganz auf, in den Rückspiegelschauen, ja Ralf hat es auch gesehen und liegt wie ich weitvorübergebeugt auf seiner Maschine. Noch ein paar Meter, noch istdie Schranke offen. Gaaaaassss!

Ohne auf das Geschrei des Uniformierten zu achten, brausen wirdurch die Schranke, blicken dabei stur geradeaus, hören dasSchimpfen hinter uns und sind froh, als wir um die Kurve und somitaußer Sichtweite sind. Ob wir verfolgt werden? Egal! Weiterfahren,jetzt kann uns nichts mehr aufhalten, nun geht es hoch zum höchstenbefahrbaren Pass der Welt. Ist doch alles ganz einfach, denke ich. Dochwie sich bald herausstellen sollte, ganz so easy wurde es dann dochnicht!

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Ganz oben – Teil 3Fucking crazy german guys

Wenn es auf einer Höhe von weit über 5.000 Metern zu schneienbeginnt, ist das eine vollkommen andere Liga als bei mir zuhause inden Alpen. Da kommt gefühlt innerhalb von wenigen Minutentonnenweise Schnee herunter. Das Ganze ist verbunden mit einemscharf wehenden, eisigen Wind, der immer mehr die Qualität einesSchneesturmes annimmt. Die Straße ist sofort mehrere Zentimeter mitSchnee und Eis bedeckt.

Mist, denke ich, als ich die immer schneller wachsende Schneedeckewahrnehme, kein Asphalt mehr sichtbar, nun sehe ich die Schlaglöchernicht mehr. Toll! Dazu geht es jetzt steil bergauf und die Straße wirdimmer schmaler.

Vor mir stehen einige Lastwagen an der Seite, die Fahrer ziehenSchneeketten auf! Schneeketten! Lastwagen! Die fahren da mitLastwagen hoch! Wie soll das gehen, wenn mir da einerentgegenkommt. Da ist kein Platz! Wahnsinn!

Hmmm, was für ein Reifenprofil hat denn meine Enfield? Ich blickezum ersten Mal bewusst auf meinen Vorderreifen. Kein Profil. Alsojedenfalls kein sichtbares, eher solche Längsrillen. Längsrillen! Ichschaue in den Rückspiegel. Ralf grinst nicht mehr. Rechts ran, anhalten.Motor laufen lassen, wer weiß, ob die Kiste bei der Kälte wiederanspringt. Ralf kommt ebenso zum Stehen.

„Kalt!“, ist sein ausführlicher Kommentar.„Ja, und Schnee mit einer Eisdecke. Hast du dir schon mal unser

Profil angeschaut?“, frage ich.„Längsrillen, schlecht“, meint Ralf.„Weiter?“„Ja, weiter!“„Wer fährt vor?“„Ich!“, ruft Ralf und bevor ich reagieren kann, springt er auf sein Bike,

klappt den Seitenständer hoch und gibt Gas. Schnee spritzt vonseinem Hinterreifen und er schlittert einige Mal nah an den Abgrund.Lacht der etwa? Ja, tatsächlich, er ist am Lachen und voller Freude.

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Ok! Da muss ich dann wohl hinterher. Ich kann ja meinen Ralf nichtalleine da hochfahren lassen. Füße unten lassen, egal, wenn Schnee inden Stiefel kommt, lieber kalte Füße als den Abhang runter stürzen.

Von weitem sehe ich einige Menschen den Berg hinunterlaufen.Menschen mit Helmen auf dem Kopf. Biker?! Wieso laufen die zurück?Sie winken schon von weitem. Mit einer Handbewegung, die uns dazuauffordert anzuhalten, abzubrechen. Was macht Ralf? Er nickt ihnenfreundlich zu und fährt weiter. Ich halte an.

„Lass es bleiben. Keine Chance. Nicht zu schaffen. Das wird immerschlimmer da oben. Wir haben gehört, dass der Pass gesperrt ist. Wirmüssen abbrechen! Eine Frechheit, dass der Guide uns nicht gewarnthat. Und überhaupt, wer baut denn solche Straßen. Das sind ja eherPfade. Eine Frechheit, so etwas als Tour auszuschreiben. Wir werdenuns beschweren, das geht gar nicht“, schimpfte einer der Biker, wobeimich alle anderen ernst und bestimmend anschauen.

„Wo sind eure Bikes?“, ist meine Frage, denn auf die seltsamenVorwürfe werde ich nicht eingehen.

„Die haben wir oben auf der Straße liegen lassen, es geht nicht vorund auch nicht zurück. Wenden ist unmöglich“, ist die Antwort.

„Wir laufen jetzt bis zu diesem Zwischenlager und wenn derSchneesturm vorbei ist, können wir die Bikes mit dem Hängerabholen.“

„Ich fahre weiter“, ist meine Antwort.„Hör zu, du kommst da nicht hoch! In zweihundert Metern geht es

scharf rechts um die Kurve, dann ist die Felswand hier links weg, dabekommst du die ganze Wucht des Sturmes zu spüren. Es geht nichtweiter!!“, warnen sie mich nochmals.

„Ralf ist da oben, ich kann und will nicht zurück. Viel Freude beimZurücklaufen, ich fahre jetzt hoch und erzähle euch heute Abend, wiees oben war, tschüss“, und weg bin ich.

Kein Ralf vor mir. Entweder ist er schon fast oben oder er istabgestürzt. Nein, daran möchte ich nicht denken. Doch mein Blickgeht fast zwanghaft weg von der Straße und ich beginne den Abgrundzu fixieren. Nichts zu sehen. Schneegestöber und Nebel. Wenn er daunten ist, habe ich keine Chance ihn zu finden. Also weiterfahren. Um

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die Kurve.Urplötzlich packt mich der Schneesturm, drückt meine Maschine in

Richtung Felswand. Ich schramme mit der Schulter am Fels entlangund kann die Maschine gerade noch halten. Uff, Glück gehabt.

Ich versuche ruhig zu atmen, doch das ist in dieser Höhe extremschwierig. Luft! Ich brauche dringend Luft. Wie hoch bin ichmittlerweile? Schon über 5.500 Meter? Das wird ja immer krasser mitdem Atmen. Wie das wohl ganz oben ist? Wahnsinn!

Ich versuche Luft in meine Lungen zu pumpen und ... nichts. Dasbefreiende Gefühl, wenn der Atemstrom in den Körper fließt, bleibtaus. Ich bin eh schon erschöpft, muss die Maschine halten und meineBikerklamotten kommen mir wie eine schwere Rüstung vor. Dazu dasAdrenalin, das schon seit der Auffahrt durch meinen Körper strömt.Luft!! Nichts!

Ich ziehe energisch den Atem ein. Es geschieht fast nichts. Als wennich eine Plastiktüte mit einem winzigen Loch vor dem Mund hätte undnur durch dieses Löchlein atmen kann.

Mein Herz rast, kalter Schweiß steht auf meiner Stirn. Die extremeHöhe und diese Ausnahmesituation fordern ihren Tribut. Dochabbrechen? Wäre das nicht vernünftiger? Was ist schon vernünftig?Die ganze Aktion hat mit Vernunft doch eh nicht viel zu tun. Luft! Ichbrauche dringend Sauerstoff.

Mein Blick geht die Straße hoch und was ich sehe, lässt meinen Atemstocken. Trotzdem werde ich ganz ruhig. Der Anblick, der sich mireröffnet, macht mir klar, warum ich hier bin. Kurz schließe ich dieAugen, lege die Hand auf mein Herz und finde sicher den Zugang zumeiner inneren Ruhe. Sofort fließt mein Atem leichter, mein Körperwird weicher, mein Herzschlag rhythmischer. Bewusst wende ich michwieder dem Anblick vor mir zu.

Es ist eine gespenstische Szenerie. Wie gefallene Tiere liegen einigeMotorräder auf der Straße im Schnee. Bei einem läuft sogar noch derMotor, der aber in dem Augenblick erlischt, als ich dasMotorengeräusch wahrnehme. Tot! Gestorben und alleingelassen. Wieerschossene Pferde. Das Bild brennt sich in mein Gedächtnis ein, sosurreal ist dieser Anblick. Soll ich auch aufgeben und mein Bike

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erschießen?Da sehe ich Ralf. Gott sei Dank!Er hat seine Enfield an den Felsen gelehnt und hilft gerade einem

Biker, sein Motorrad wieder aufzurichten, doch es klappt nicht. Derandere kann das Bike nicht mehr halten, es fällt wieder in den Schnee.Geistig sehe ich ihn vor mir, wie er seinen Revolver zieht, sich seinemeisernen Pferd nähert und mit rauer Stimme sagt: „Es tut mir leid,Brauner, doch ich kann dir nicht mehr helfen. Danke für deine Treue.“Peng! Er nimmt seine Satteltaschen und läuft den Berg hinunter.

Als ich näher komme, sehe ich Ralf mit hoch motiviertem Gesichtdastehen.

„Genial! Arschkalt, kein Sauerstoff, aber genial! Wir sind bald oben.Schau hoch, da sind schon die Gipfelgebetsfahnen!“

Tatsächlich, wir sind nahe dran. Vielleicht noch 500 Meter! Dasschaffen wir.

Da kommt unser Guide von oben um die Ecke. Sein Bike schiebt erlangsam durch den Schnee, hinter ihm drei sichtlich frierende unddemotivierte Biker. Ohne Worte hilft er mit, das umgefallene Bike inRichtung Tal umzudrehen.

„Wart ihr oben?“, möchte ich wissen.„Fast, nicht ganz, wir mussten umdrehen, denn es ist nicht zu

schaffen. Ich muss jetzt alle runterbringen, ich kann das nicht mehrverantworten. Mich wundert es, dass die Schranke offen war, beidiesem Schneesturm hätte die geschlossen sein müssen“, sagt er. Ichblicke zu Ralf. Er grinst nur.

„Also Jungs, Abbruch!“, sagt der Guide bestimmt.Ich überlege. Ist es das wert? Muss ich wirklich da hoch? Das Wetter

wird auch immer extremer, jetzt abzubrechen bedeutet nicht zuversagen, sondern ist vernünftig.

Komm, Dieter, breche ab, das ist ok, die anderen haben das auchgemacht.

Nein! Das ist zu schaffen, ich sehe schon die Gipfelfahnen. Waspredige ich denn immer an meinen Feuerlauf-Seminaren? Gehe bis ansEnde der Glut. Dahin, wo die Freude ist, dahin, wo du wahrnehmenkannst, dass scheinbar Unmögliches möglich ist. Gehe in die Freude,

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konzentriere dich auf den Lauf, darauf, dass du unbeschadet am Endeder Glut ankommst. Das ist hier doch das Gleiche. Ich bin hier, weil ichdas möchte! Ich bin hier, weil ich diese extreme Erfahrung ausgewählthabe. Ich wusste im Vorfeld, dass es kein Zuckerschlecken wird, genaudas war es ja, was mich diese Himalaja-Reise hat buchen lassen. Ok, esist anstrengend. Ok, ich wusste nicht, dass es so extrem wird. Doch esist auch genial, geil, was ganz Besonderes.

Also richte ich mich jetzt vollkommen auf das aus, was ansteht. Ichbündle meine Ressourcen, meine Gedanken, meine Energie! Ich fahreda rauf! Basta! Und wenn ich oben bin, kümmere ich mich um dennächsten Schritt. Denn wenn ich jetzt darüber nachdenke, wie es dannweitergehen soll da oben, kriege ich die totale Krise. Also aufhören mitRumhirnen. Aktiv werden! Los geht‘s. Freude!

„Wir fahren da hoch!“, ist meine Antwort. „Ich sehe schon dieGipfelfahnen, das sind nur noch wenige Meter. Das ist es, was wir seitüber zwei Wochen möchten, wir werden jedenfalls jetzt nichtaufgeben. Was meinst du, Ralf?“

„Hochfahren“, ist seine Antwort, dabei dreht er am Gasgriff und seineMaschine heult wie zur Bestätigung auf. „Auf jeden Fall dahochfahren!“

Ich blicke dem Guide in die Augen. Mit einem, wie ich hoffe,unerbittlichen Blick. Doch dieser schaut zu Ralf, denn der hat diesenunerbittlichen Blick. Seinen Ralf-Militär-Blick. Graue Augen, kalt wieStahl!

„Ok“, gibt der Guide nach, „macht doch was ihr wollt, ich muss dieGruppe zurückbringen.“ Er schiebt seine Maschine, ohne einen Blickzurück zu werfen, vorsichtig in Richtung Tal.

„Ok, also weiter“, sage ich und wende mich Ralf zu. Doch dieser istschon weg, in Richtung Gipfel unterwegs. Ich sehe ihm hinterher, erhat den zweiten Gang eingelegt, die Füße am Boden und ich höre wieer systematisch leicht Gas gibt. Er kommt überraschend gut voran. Ok,so geht das, guter Ralf.

Ich lege den zweiten Gang ein, gebe vorsichtig Gas, nichts! Wiesogeht es nicht voran? Wieso dreht das Hinterrad durch? Mehr Gasgeben. Nichts. Kein Millimeter.

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Ich steige ab. Da kommt mir Ralf entgegengelaufen.„Was ist los? Ich war fast oben, möchte aber nicht ohne dich oben

ankommen. Lass mal sehen.“ Der Militär-Ralf ist wach. Bestimmend,lösungsorientiert, voller Energie und bereit seine Männer in dieSchlacht und zum Sieg zu führen. Er versucht das Vorderrad zu drehen... nichts.

„Ok, klare Sache. Eingefroren. Setze dich aufs Pferd, ich geh hintendrauf, gebe deinem Hinterrad Belastung. Also los, gib Gas, der Bergruft!“ Tatsächlich geht es nun voran. Das Vorderrad dreht sich immernoch nicht, doch ich schiebe es wie einen Schlitten vor mir durch denSchnee. Welch eine spezielle Auffahrt.

Plötzlich gibt es einen Ruck und einige Eisstücke fliegen in hohemBogen unter dem Vorderradblech hervor. Das Rad dreht sich wieder.Ralf springt ab, läuft zu seinem Bike und fährt los. Wieder in seinerspeziellen Himalaja-Schneesturm-Fahrtechnik, sodass wir fastzusammen oben ankommen.

Yeahhh! Oben! Geschafft! Wir rollen auf die Passhöhe.Ich bin total erschöpft und gleichzeitig voller Freude und Energie.

Geschafft! HA! Wir sind ganz oben! Unbändige Freude, Stolz, Demut,Lachen und Weinen im Gesicht, unbeschreiblich! Doch da packt michder Schneesturm mit aller Wucht. Wir sind auf über 5.600 Metern undstehen mit unseren Motorrädern ungeschützt im Freien. DerSchneesturm ist gewaltig. Mist, wir werden erfrieren, brauchendringend Schutz.

Da, Militärbaracken! Ralf ist schon auf dem Weg und schiebt seineEnfield zielsicher in die halb zerfallene Blechbaracke. Immerhin, einDach überm Kopf. Eine Wand steht noch, gibt einigermaßen Schutz.Geschafft, wir sind oben! Und jetzt?

Da hören wir ein Motorengeräusch. Hier ist noch jemand oben? Wirblicken um unsere Schutzwand und sehen, wie da tatsächlich einGeländewagen mit Schneeketten von der anderen Passseiteangefahren kommt. Am Steuer ein Inder mit einem riesigen Turban aufdem Kopf und einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Verwundertschaut er zu uns herüber und kann wahrscheinlich nicht glauben, waser da sieht. Zwei sicherlich einfältige, frierende, aber glücklich

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grinsende Biker, die sich hinter einer Wand vor dem Wind wegducken.Auch ohne Worte und Erklärungen ist klar, dass wir uns beide in einerschwierigen Situation befinden.

Der Inder hält an, öffnet das Fenster und ruft:„Hey guys, get into the car quickly, I‘ll take you down.”Ralf antwortet: „We‘ll wait until the storm has passed.“„The storm is getting worse and worse“, ist darauf die Antwort des

Inders, bei der er dramatisch auf die schwarzen Wolken am Himmelzeigt.

„Hey, Ralf, verstehe ich das richtig? Der will uns mitnehmen?“„Ja, und er meint, wir sollen sofort einsteigen, denn der Sturm wird

immer schlimmer.“„Ralf, wenn ich da einsteige, kann ich nie mehr in den Spiegel

schauen. Ich habe mein Pferd hier hoch gebracht, ich bring es auchwieder runter. Was meinst du?“

„Natürlich nicht einsteigen, was für eine Frage!“, sagt Stahlblick-Ralf!„Thanks for the offer. But we’ll stay here. Drive down by yourself. I

wish you a safe trip”, ruft Ralf dem Inder zu. Dieser schüttelt den Kopf,blickt uns nochmals mitleidig an und fährt davon.

Mit gemischten Gefühlen schaue ich dem Wagen hinterher. Habenwir eine Fehlentscheidung getroffen hier oben alleine in der Kälte zubleiben? Was ist, wenn die Bikes nicht mehr anspringen? Über Nachthier oben bleiben? Da erfrieren wir. Nach unten laufen, wenn esdunkel ist? Lebensgefährlich! Wie spät ist es eigentlich? Wann brichtdie Nacht herein?

Stopp! Das bringt dich nicht weiter. Schau dich um, Dieter. Es gibtimmer eine Option. Und wo ist Ralf schon wieder?

Ich stehe alleine an der Blechwand. Na super, das wird ja immerbesser. Da kommt er grinsend aus dem Schneesturm auf mich zu undwinkt. Ich stoße mich von der Wand ab und sofort packt mich derWind mit voller Wucht. Wahnsinn! Das wird ja immer noch extremer.

Ich folge den Umrissen von Ralf und da schält sich plötzlich einMilitärbau aus dem Nebel. Ralf klopft hart und fordernd an dieStahltüre. Ob da jemand ist? Hier oben? Tatsächlich geht die Türe aufund ein Soldat in langer Unterhose, Jacke und mit einer dampfenden

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Tasse Tee in der Hand schaut uns verblüfft an.„Hello, nice to see someone up here. Can we warm ourselves up? A

cup of tea would also be great”, begrüßt Ralf ihn fröhlich. Ja,reinkommen und mit einem Tee aufwärmen. Gute Idee, guter Ralf,denke ich.

„What are you doing up here during this snowstorm?”, platzt es ausdem Soldaten heraus.

„We come up here with our motorbikes”, sagt Ralf.„By motorbike?”„Yes”, grinst Ralf.„Fucking crazy German guys, come in …”

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Ganz oben – Teil 4Alles im Kasten?

Der freundliche Inder stellt Tee und Kekse auf ein Tischchen und lässtuns allein. Da sitzen wir nun. Ganz oben! Wir sind fast zwei Wochendurchs Himalaja-Gebirge gefahren um hier anzukommen. Ralf hat dieHöhenkrankheit erwischt, eine üble Sache. Er ist tapfer weitergefahren.Ich selbst bin fast den Abgrund runter gestürzt, knapp einem,wahrscheinlich tödlichen Sturz entkommen. Wir sind durch einenextremen Schneesturm bis nach ganz oben gefahren, um endlich aufeiner Höhe von 5.605 Metern anzukommen. Wenn wir auf der anderenSeite weiterfahren würden, wären wir an der Grenze zu China. Welchtoller Gedanke. Doch im Moment gibt es kein Weiterkommen. Wederin die eine, noch in die andere Richtung. Also erst mal Tee trinken.Kekse essen. Zur Ruhe kommen. Nicht darüber nachdenken, wieaussichtslos die Situation gerade ist. Den einmaligen Momentgenießen.

Wir nehmen die Helme ab und dampfen vor uns hin. Also unsereKöpfe dampfen. Ralf zeigt lächelnd auf seine Stiefel.

„Hmmpppf, Sommerstiefel – kalt!“Da habe ich mit meinen GoreTex-Teilen die deutlich bessere Wahl

getroffen.„Zeig mal, sind die Zehen schon schwarz, abgefroren?“, frage ich

interessiert.Ralf zieht vorsichtig die Stiefel und die Socken aus, auch die Füße

dampfen. „Alles noch dran“, ist seine Antwort, „ich frage mal, ob ichzwei von diesen Tüchern da in der Küche haben kann, die wickele ichmir um die Füße und dann fahren wir runter.“

Er schaut mich an. Diesen Blick kenne ich. Stahlaugen-Ralf hat eineStrategie entwickelt, die er mir jetzt erläutern wird. Ich nicke ihm kurzzu und er beginnt:

„Zuerst müssen wir die Bikes enteisen, also das Eis aus denZwischenräumen vom Reifen und Schutzblech kratzen. Ich habe in derBaracke einige dünne Stahlrohre gesehen, damit müsste es gehen. Beider Abfahrt den ersten Gang rein, Füße nach unten, keine Handbremse

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bestätigen und logischerweise auch keine Fußbremse. In derGeschwindigkeit des ersten Gangs fahren wir dann, im günstigsten Fallohne anzuhalten, den Berg wieder runter. Wenn das Bike nach linksabkippt, ist das nicht so schlimm, denn dann stoppt uns die Felswand.Wenn es nach rechts kippt, sollten wir die Kiste sofort loslassen, dennda geht es steil runter. Lieber das Bike liegt unten als wir. Du fährst vor.Bei dem Nebel sehen wir höchsten zwei bis drei Meter weit. Alsomüssen wir ein Signal bestimmen. Einmal Hupen bedeutet, alles ok, ichfahre noch. Wir hupen in regelmäßigen Abständen. Zweimal Hupenbedeutet, ich bin gestürzt. Soweit alles klar?“

Stahlaugen-Ralf hat gesprochen. Später hat er mir von seinermilitärischen Laufbahn erzählt. Diese Ressourcen kommen nun zumEinsatz.

Ralf wickelt sich die Tücher um die Füße und zwängt sich in seineStiefel. „Los geht‘s!“

Wir ziehen uns an, um die Abfahrt anzugehen. Das muss jetztgeschehen, denn wenn es dunkel ist, wird das einSelbstmordkommando. Über Nacht hier oben in der Hütte zu bleiben,das ist für uns keine Option.

Wir drücken die Türe gegen den Sturm auf. Es ist kalt, sehr kaltsogar! Doch wenigstens hat es aufgehört zu schneien.

Wir kämpfen uns bis zu den Maschinen durch. Ralf findet zweiStahlrohre und wir beginnen mit der Enteisungsaktion.

Ich bin nach ein paar Minuten körperlich fix und fertig.Unangenehmer kalter Schweiß fließt mir über das Gesicht. Mein Herzschlägt wie verrückt. Luft! Ich brauche Luft! Nichts! Egal, wie stark icheinatme, in den Lungen kommt nichts an. Also innehalten, dieaufkommende Panik anschauen. Hand aufs Herz legen. Zwiesprachemit dem Körper halten. Alles ok, lieber Körper. Du packst das. Bist eintoller Körper, trägst meine Seele wunderbar durch Raum und Zeit, ichdanke dir dafür. Nun schau, dass du mit dem, was an Sauerstoffreinkommt, irgendwie zurechtkommst. Das wird bald besser. Wenn wirwieder weiter unten sind. Versprochen!

Es geht mir sofort besser, mein Atem wird wieder unaufgeregter, esfühlt sich an wie eine innere Akzeptanz der momentanen Situation. Die

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Angst verschwindet. Gut!Ok, und jetzt weitermachen, denn Jammern bringt nichts. Es war

meine Entscheidung diesen Pass hochzufahren, erinnere ich michselbst. Ich habe mich entschieden. Jetzt gilt es die Situation soanzunehmen wie sie ist.

Während ich mein Motorrad enteise, erinnere ich mich an dieMotorradmesse, die ich vor einiger Zeit zusammen mit Petra und Ralfin München besucht habe. An einem Stand mitMotorradreiseprospekten läuft ein Film über den Himalaja. Petraschüttelt den Kopf und meint: „Wer ist so wahnsinnig, dort mit demMotorrad hochzufahren. Schau dir den Dreck an. Diese engen Straßen,diese gefährlichen Abhänge, der Wahnsinn. Das ist dochlebensgefährlich! Schau doch, igitt, da gibt es Wasserdurchfahrten undsicher viele eklige Tiere. Und die schlafen in diesen kleinen Zelten.Keine Duschen, wääähh! Das ist eklig! Und überhaupt, da gibt eskeinen Strand, keine Wellness-Hotels und nichts zum Shopping. Dasbucht doch niemand und für den Preis erst recht nicht!“

Ich schaue zu Ralf. Er grinst bis über beide Ohren. Seine Augenleuchten. Ich spüre, bei mir ist das genauso.

Petra schaut uns beide sprachlos an.„Echt jetzt? Euch gefällt das?“ Ja, uns gefällt das, und wie.Also durchziehen, Dieter, es war deine Entscheidung. Genau das

wolltest du! Was ist es, was dir Energie bringt? Freude! Na also, gehtdoch. Lass einen Freudenschrei los, enteise das Teil und dann kick dieMaschine an und fahr da runter!

Ein leises „Juhuuu“ kommt aus meiner Kehle gehaucht. Das Grinsenauf meinem Gesicht ist nicht sonderlich beeindruckend. Doch es hilft.Die Energie kommt wieder in mein Herz. Ok, klappt. Aktiv werden undbleiben! Die Sache angehen! Nicht zu viel nachdenken! Einpragmatischer Ansatz ist wichtig. Was ist zu tun?

Ich bewege die Maschine ein wenig und nehme erleichtert wahr,dass die Räder frei sind. Gut, geschafft! Nächster Schritt!

Ralf öffnet den Benzinhahn seiner Enfield, drückt auf den Startknopf.Nichts. Also ankicken. Den Joke weit auf, ein beherzter Kick. Ja! Läuft!Gute Enfield. Meine braucht drei bis vier Kicks, dann bullert diese auch

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schon vor sich hin.„So weit, so gut. Bereit für die Abfahrt?“, fragt mich Ralf.„Fast, noch nicht ganz. Ich habe mir etwas Besonderes

vorgenommen, das muss ich unbedingt noch erledigen“, ist meineAntwort.

„Und was ist das?“, fragt Ralf.„Nun, du weißt doch, dass ich ab und an diesen neuseeländischen

Tanz, den Haka tanze. Den werde ich hier oben tanzen. Jetzt. Denhöchsten Haka der Welt, was meinst du?“

„Hmmpff, jetzt?“, meint Ralf mit einem sonderbarenGesichtsausdruck.

„Ja, jetzt, denn so schnell werde ich nicht mehr so weit oben sein“, istmeine Antwort.

„Ok, Moment, ich hole meine Kamera, das muss ich aufnehmen“, istRalfs Reaktion.

Ich suche mir eine geeignete Stelle. Ralf kramt in seinenSatteltaschen und denkt sich wahrscheinlich: „Ein Verrückter. Ich binmit einem Verrückten hier oben. Der will jetzt sein Geschreiveranstalten. Na, wenn‘s schön macht!“

Ich stehe im Wind, im luftleeren Raum und bereite mich auf meinenHaka-Tanz vor. Ralf stellt sich in einen günstigen Winkel und ich sehedas rote Licht in der Kamera aufleuchten. Aufnahme läuft. Ich fange an.

„Kamate, Kamate ...“ und schaffe es tatsächlich bis zum letzten Schrei.Die rote Lampe geht aus und ich kippe auf die Knie. LUFT! Ich ersticke!Gestorben beim Haka-Schreien auf dem höchsten befahrbaren Passder Welt, mitten im Himalaja! Wie Petra das wohl den Kindern erklärt?

Es braucht einige Minuten, bis ich wieder einigermaßen bereit bin.Ich hauche zu Ralf hin: „Alles im Kasten?“

„Ja.“Ich kippe langsam um, bin fast bewusstlos. Luft! Ich brauche

dringend Luft!Was bin ich ab und an bescheuert. Kann eh nicht richtig atmen und

dann brülle ich hier oben wie ein Wahnsinniger herum. Tanze einenneuseeländischen Kriegstanz auf über 5.600 Metern. Bin ich einSpinner.

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Ich muss grinsen. Mein Blick wandert zu Ralf, der meine abgefahreneAktion in stoischer Gelassenheit gefilmt hat. Kein Kommentar von ihm.Das ist es, was ich so an ihm liebe.

Ralf wartet ruhig ab, bis ich wieder einigermaßen aufrecht stehe,dann dreht er sich zum Moped und sagt:

„Dann los, lass uns runterfahren.“Ich bewege die Maschine in Richtung Abfahrt und sehe den steilen,

engen Weg vor mir. Wahnsinn, ist das steil! Das schaut schon sehrgefährlich aus, was wir da vorhaben. Ich will nicht!

Bei dem Anblick dieser engen, schneeglatten Straße im dichtenNebel ist mir bewusst, wie gefährlich unser Vorhaben ist. Es istlebensgefährlich!

Ich spüre leichte Panik in mir hochsteigen. Sie beginnt in meinemMagen, wandert langsam, gemein und leise kichernd hoch in meinenSolarplexus und setzt sich dort fest. Dort wird sie stärker und wandertzu meinem Hals. Ich spüre, wie mich Angst und Panik packen und mirdie Energie rauben. Ich verspüre Todesangst.

Dieter, ermahne ich mich, lass die Enfield weiterrollen! Wenn du jetztanhältst, bleibst du stehen! Du wirst nicht mehr weiterfahren!

Nun werde ich streng, aber doch liebevoll mit mir selbst in diesemZwiegespräch: Achte auf deine Gedanken, du Hirsch! Du bist nichtdeine Gedanken! Du kannst den Denker beim Denken beobachten.Mach das jetzt, nun ist der Zeitpunkt gekommen, das anzuwenden,was du in deinen Seminaren vermittelst. Beobachte, wie du dir dieAngst selbst erschaffst. Diese Angst und die Panik, die kannst du dirbei der Abfahrt nicht leisten. Wenn du mit der Panik fährst, ist deineLockerheit im Eimer. Dann verreißt du den Lenker bei der erstenanspruchsvollen Stelle. Und diese Stellen werden kommen, garantiert!Öfter, als du dir im Moment vorstellen möchtest. Also mach was undübernehme die Regie in deinem Inneren. Befreie dich von der Angstund der Panik! Was ist es, was deine wahre Natur ist? Welche innereQualität brauchst du im Moment, um diese Abfahrt unbeschadet zuüberstehen? Wie möchtest du unten ankommen? Konzentriere deineEnergie auf das Gelingen! Jetzt! Also, was brauchst du? Lockerheit,Vertrauen und vor allem Freude. Ja, auch den Spinner in dir, den

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brauchst du jetzt! Schau dir im Rückspiegel deinen Gesichtsausdruckan. Völlig verbissen. So wird das nichts! Lächle!

Ich lächle ein bisschen gequält in den Spiegel und es wird langsambesser. Ok, so geht es! Aktiviere dein Äußeres und vor allem deininneres Lächeln! Ja, das ist es. Das innere Lächeln. Das ist es, was dubrauchst. Aktiviere dein inneres Lächeln, jetzt!

Ich stelle mir vor, wie ich in meinem Inneren in einen Spiegel schaue.Wie der sympathische Spinner mich breit grinsend aus dem Spiegelanschaut. Yeah, sagt er mir, genieße die Abfahrt, habe Freude undbleibe lebendig und aufmerksam! Ja, genau das ist es! Doch warumfolgt auf meine Gedanken nicht endgültig die Emotion der innerenBefreiung? Ich muss wohl noch etwas anderes unternehmen. Etwasfehlt noch.

In diesem Moment, ich habe die Hand schon an der Kupplung, umauszukuppeln und zu bremsen, kommt Ralf mit viel zu hoherGeschwindigkeit von hinten angebraust. Was ist denn mit dem los?Hat der vollkommen den Verstand verloren, einen Höhenkoller,Sauerstoffmangel im Hirn? Der ist viel zu schnell!

Ralf lacht unter seinem Helm und schreit laut, teils in Panik, teils mitÜberraschung, jedenfalls lachend:

„Mist, zweiter Gang eingelegt. Aus dem Weg, scheiße, das wird zuschnell, ich bin als erster unten, weg da ...“

Wow, habe ich eben einen neuen Gesichtsausdruck bei Ralfentdeckt? Ich muss laut lachen und mit einem Mal verblassen meineÄngste, meine Panik und Zweifel und verschwinden endgültig.

Das war genau das, was mir noch gefehlt hat. Nun ist da endlichPlatz für aufbauende Emotionen. Es wird leicht in mir. Jetzt habe ichRaum für Freude, Spaß und diese besondere innere Anspannung des„Lebendigseins“ in meinem Bewusstsein.

Ralf ist im Nebel verschwunden. Ich nehme die Füße nach unten, siegleiten durch den Schnee, das gibt mir Sicherheit. Ralfs Abfahrttheoriefunktionierte in der Praxis hervorragend. Erster Gang, leicht mit derKupplung spielen, das Herz und den Arsch lenken lassen –sensationell.

Wir liegen während der Abfahrt einige Male im Schnee, immer auf

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der richtigen Seite. Es ist, wie Ralf öfters betont, schweinekalt und vorallem ist es megageil!

Wir biegen nach circa einer Stunde um eine Kurve und fahren in denschönsten Sonnenschein hinein. Kein Schnee mehr, sondern vor unswunderschöne Bergwiesen. Immer wieder beeindruckend, wie sich dasWetter in diesen Höhen plötzlich verändert. Wir halten an, nehmen dieHelme ab, grinsen uns an. Es braucht nicht viele Worte. Geschafft!

Ich habe Ralf die vier Teile der Story: „Ganz oben“ zugesandt, mit derBitte sich das durchzulesen. Gespannt habe ich auf ein Feedbackgewartet. Es kam eine typische, kurze Ralf-Antwort zurück.

„Wahrscheinlich wird sich der verantwortungsvolle Bergtourer oderKletterer (falls es solche in der Leserschaft gibt) fragen, welchleichtsinnige Aktion das war, im Himalaja bei schlechtem Wetter aufeinen Berg zu fahren. Ansonsten flüssig zu lesen, ziemlichabenteuerlich, wird dir nicht jeder abnehmen, aber wir haben‘s erlebt,also stimmt‘s.“

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Hiermit enden die Erzählungen von meiner Himalaja-Tour.

Weitere wahre Geschichten und lebensbejahende Botschaften vomSchubkarrenmann für ein leichtes und glückliches Leben findest Du inder Gesamtausgabe.

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DIETER M. HÖRNERist seit 1982 als freiberuflicher Persönlichkeitstrainer tätig.Er ist fünffacher Vater und lebt in seiner Wahlheimat Tirol.Zusammen mit seiner Partnerin Petra Colberg und seinemFreund Wolfgang Gerstel hat er 1996 das Institut fürPersönlichkeitsbildung (Positiv Factory) gegründet.Die von ihm entwickelte s.e.i.® Methode ist wissenschaftlichevaluiert und wurde mit dem Internationalen Trainerpreisausgezeichnet.Mittlerweile hat er über 4000 aktive und lebendigeSeminartage im Bereich der Persönlichkeitsbildungdurchgeführt.Als Autor gibt er seine Erfahrungen aus unzähligenBegegnungen an diesen Seminaren verständlich undnachvollziehbar weiter.Seinen wahren, teilweise autobiografischen Geschichtenverbindet er auf anschauliche Weise mit Themen derPersönlichkeitsentfaltung.Ihm gelingt der Spagat zwischen Hintergrund-Fachwissenund leichter, unterhaltsamer Lektüre.

http://www.dietermhoerner.de

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