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ABC – Jobs für Menschen mit ASS
Ein Handlungsleitfaden
Menschen bilden. begleiten. behandeln.
AusbildungBerufCoaching
gefördert aus Mitteln der Europäischen Union
Der vorliegende Handlungsleitfaden ist im Rahmen des EU-geförderten Pilotprojek-
tes „ABC - Jobs für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung“ (Mai 2011 bis April
2013), in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Matthias Dalferth von der Hochschule
Regensburg und Hajo Seng von der autWorker eG, entstanden.
Das vorrangige Ziel des Projektes bestand in der nachhaltigen beruflichen Integration
jugendlicher Rehabilitanden mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) aus dem
zweiten und dritten Lehrjahr der Berufsbildungswerk im Oberlinhaus gGmbH in den
ersten Arbeitsmarkt. Die hierbei zu vermittelnden Teilnehmer des ABC-Projektes
absolvierten eine Ausbildung zur Bürokraft, zur Fachkraft für Medien- und Informati-
onsdienste (Schwerpunkt Archiv), zum Fertigmacher im Buchbinderhandwerk, zum
Holzbearbeiter oder zum Hauswirtschaftshelfer.
Der Handlungsleitfaden richtet sich an Arbeitgeber, die Menschen mit ASS einstellen
möchten oder auch schon beschäftigen, an Arbeitskollegen von Menschen mit ASS,
Mitarbeiter der Agenturen für Arbeit und Mitarbeiter von Integrationsfachdiensten.
Der Handlungsleitfaden möchte Wissen über Autismus-Spektrum-Störungen vermit-
teln und Hinweise zu Besonderheiten bei der beruflichen Integration geben. Es wird
auf spezifische Bedingungen am Arbeitsplatz eingegangen und es werden Empfeh-
lungen über den Umgang mit Menschen mit ASS gegeben.
Im Anhang befinden sich heraustrennbare Handreichungen für Arbeitgeber, für
Arbeitskollegen und Mentoren sowie für Mitarbeiter der Agentur für Arbeit.
Gender-Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden nur die männliche Form
verwendet. Grundsätzlich beziehen sich diese Begriffe auf beide Geschlechter.
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Inhaltsverzeichnis
1. Ausgangs- und Arbeitsmarktsituation
2. Autismus und seine Besonderheiten
3. Nachhaltige Eingliederung von jungen Menschen mit ASS
in den Arbeitsmarkt
3.1 Besondere Anforderungen an den Arbeitsplatz und das Arbeitsumfeld
3.2 Coaching
3.3 Mentoring
3.4 Finanzielle Fördermöglichkeiten
4. Integration junger Menschen mit ASS in den Arbeitsmarkt am
Beispiel des ABC-Projektes
4.1 Das 3-Phasen-Modell zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt
4.1.1 Vorbereitungsphase
4.1.2 Bewerbungsphase
4.1.3 Phase der Erwerbstätigkeit
4.2 Fähigkeitenportal
4.3 Fallbeispiel einer beruflichen Integration
5. Resümee und Ausblick
6. Adressen und Links
7. Literatur
8. Anhang
8.1 Handreichung für Arbeitgeber und Hinweise für Vorstellungsgespräche
8.2 Handreichung für Mentoren und Kollegen von Beschäftigten mit Autismus
8.3 Handreichung für Mitarbeiter der Agentur für Arbeit
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1. Ausgangs- und Arbeitsmarktsituation
Die Praxiserfahrungen aus den Akquise-Gesprächen bei den jeweiligen Firmen und
Institutionen zeigen, dass die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit der Einstellung
von Menschen mit Behinderungen den meisten regionalen Arbeitgebern wichtig ist
und diese hierbei bereits Erfahrungen gemacht haben. Die Einstellung von Menschen
mit ASS hingegen bedeutet „Neuland“ und bedarf einer umfangreichen Aufklärung.
Dies zeigte sich sowohl bei großen und bekannten Unternehmen, als auch bei
kleineren Betrieben.
In Bezug auf die regionalen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes in Potsdam, Berlin
und Brandenburg ergibt sich hinsichtlich der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
ein tendenziell positives Bild. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen sank und das
brandenburgische Inlandsprodukt stieg im ersten Halbjahr 2012 um 0,3 Prozent im
Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dem schließt sich eine durchaus positive Konjunk-
turbewertung bei den 100 größten Unternehmen von Berlin und Brandenburg an
(vgl. Konjunkturtelegramm Land Brandenburg, 2013). Demnach bestehen in Bezug
auf Arbeitsmarktsituation und wirtschaftlicher Entwicklung mehrheitlich gute
Rahmenbedingungen zur Einstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen.
Es bleibt festzustellen, dass – trotz positiver wirtschaftlicher Entwicklungen und dem
bestehenden Bedarf an ausgebildeten Fachkräften – die Integration von Menschen mit
ASS in noch hohem Maße als ausbaufähig zu bezeichnen ist. Damit für Menschen mit
ASS der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtert wird, müssen die Reha-
Berater der Agenturen für Arbeit sowie die Arbeitgeber die Möglichkeit bekommen,
sich umfassend über Besonderheiten von Menschen mit ASS zu informieren.
2. Autismus und seine Besonderheiten
Autismus ist:
– eine tiefgreifende, bereits im frühen Kindesalter einsetzende Entwicklungsstörung
– hirnorganisch bedingt
– angeboren, nicht „heilbar“ und deshalb ein Leben lang vorhanden (ICD-10)
Da die einzelnen Symptome in unterschiedlichen Kombinationen und Schweregraden
vorkommen können, wird heute von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) gesprochen.
Im Allgemeinen unterscheidet man innerhalb des Spektrums zwischen dem frühkind-
lichen Autismus (Kanner-Syndrom), dem Asperger-Syndrom, dem High Functioning
Autismus und dem atypischen Autismus. Die Grenzen zwischen den verschiedenen
autistischen Störungen sind fließend, ebenso die Grenze zur „Normalität“.
5
Die Klassifikation der ASS erfolgt anhand der diagnostischen Kriterien, die in den
internationalen Klassifikationssystemen für Krankheiten (DSM-IV und ICD-10)
enthalten sind. Die nachfolgend sinngemäß wiedergegebenen Symptome gelten
als die wesentlichen Auffälligkeiten, die alle Gruppen betreffen.
Autismus bedeutet:
1. Eine qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktionen. Menschen mit ASS fehlt die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle anderer ange-
messen wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Soziale Regeln und Normen werden
nicht intuitiv erfasst, nicht durch Imitation erworben und können nicht flexibel ange-
wendet werden. Sie müssen gezielt erlernt werden. Aus diesem Grund stellen soziale
Situationen für Menschen mit ASS eine große Herausforderung dar, die zu Verunsi-
cherung und Überforderung führen kann und deshalb oft gemieden wird.
2. Eine qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation. Menschen mit ASS verstehen verbale Äußerungen in der Regel wortwörtlich, was oft
zu Missverständnissen führt. Bei den Meisten ist die Motivation zur Kommunikation
gering und die Themenauswahl eingeschränkt. Oft haben Menschen mit ASS große
Schwierigkeiten, der Umwelt ihre Bedürfnisse mitzuteilen.
Weitere Auffälligkeiten in der Kommunikation sind Veränderungen der Sprachme-
lodie, stereotype Äußerungen, die nicht immer der Situation angemessen scheinen,
eigene, ungewöhnliche Wortschöpfungen, häufiges Fragen und Echolalie.
3. Eine Beeinträchtigung in der Wahrnehmung und der Reizverarbeitung.Menschen mit ASS haben Schwierigkeiten beim Filtern und Verarbeiten von Sinnes-
eindrücken. Ihre Informationsverarbeitung ist verzögert. Auffällig ist das häufige
Auftreten von extremer Reizüber- oder -unterempfindlichkeit.
4. Eingeschränkte, sich wiederholende, stereotype Verhaltensmuster und Interessen. Menschen mit ASS neigen dazu, starr an Routinen und einmal erlernten Handlungs-
strategien festzuhalten. Oft sind stereotype und zwanghafte Verhaltensweisen zu
beobachten. Auf plötzliche Veränderungen reagieren sie mit Widerstand, Angst,
manchmal auch mit Panik. Viele haben ein Problem, ihre freie Zeit eigenständig zu
strukturieren und mit Inhalten zu füllen. Die meisten haben sehr eingeschränkte
Interessen oder neigen zu ausgefallenen Spezialinteressen.
Die jeweilige individuelle Ausprägung dieser vier Aspekte kann sehr unterschiedlich
sein (vgl. Kooperationsverbund Autismus, 2010; Universität Marburg, 2009; Autea,
2012).
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Im Arbeitsprozess gewinnen folgende Stärken und Einschränkungen, die individuell
unterschiedlich ausgeprägt sein können, an Bedeutung:
Einschränkungen – Filtern und Verarbeiten von Sinneseindrücken
– Unterscheiden von wichtigen und unwichtigen Aspekten
– Erfassen von Zusammenhängen und Gesamtsituationen
– Umgang mit Stresssituationen
– mangelnde Flexibilität
– Herstellen und Halten von Blickkontakt
– Wahrnehmen und Verstehen der Gedanken und
Gefühle von Mitmenschen
– sich in Menschen hineinversetzen, die Perspektive
zu wechseln
– Deuten von Mimik und Gestik von Mitmenschen
– Verstehen von Metaphern, Ironie, Witzen und
dem „was zwischen den Zeilen steht“
– Initiieren, Gestalten und Aufrechterhalten von
sozialen Kontakten
– Erkennen und Beachten sozialer Regeln
– Smalltalk und Kommunikation in Gruppen
– Teamarbeit
– oft motorische Schwierigkeiten
– fehlendes Zeitgefühl
– Probleme bei Priorisierung
– Schwierigkeiten bei der zeitlichen und örtlichen
Orientierung
Stärken – Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe
– vorurteilsfreies Denken und Beurteilen
– Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein
– Pünktlichkeit
– Loyalität
– Einsatzbereitschaft
– gute Merkfähigkeiten
– Denken in Bildern, logisches Denken
– hohe Detailgenauigkeit
– Perfektionismus, Sorgfalt
– besondere Konzentration über einen
längeren Zeitraum
– Fachkompetenz
– Spezialinteressen
– Fähigkeit zu systematisieren
– gewissenhafte Orientierung an Vorgaben
und Regeln
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3. Nachhaltige Eingliederung von jungen
Menschen mit ASS in den Arbeitsmarkt
Da Menschen mit ASS gerne an Gewohntem festhalten und sich nur mit Mühe auf
Neues einstellen können, gestalten sich Umbruchsituationen aufgrund autismus-
spezifischer Besonderheiten schwierig. Gleichzeitig verschiedene Aufgaben zu
erledigen und sich auf Veränderungen kurzfristig einstellen zu können, stellt dabei
oftmals eine Überforderungssituation dar. Dies rückt insbesondere nach dem Ausbil-
dungsabschluss und beim Übergang ins Arbeitsleben in den Vordergrund.
Um die bestehende Versorgungslücke nach erfolgreichem Abschluss einer Berufs-
ausbildung und Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit zu schließen, ist das Zusam-
menspiel von Integrationsdienstmitarbeitern, Arbeitsvermittlern und potentiellen
Arbeitgebern von großer Bedeutung.
Zunächst gilt es, den Wissenszuwachs über diesen Personenkreis in den Agenturen
für Arbeit zu unterstützen. Dies erfordert eine Sensibilisierung der Reha-Vermittler in
der Arbeitsverwaltung für die Belange von Menschen mit ASS. Gerade Arbeitsmaß-
nahmen, die für autistische Menschen ungeeignet sind, werden aufgrund des oftmals
bestehenden Nichtwissens weiterhin angeboten.
Es ist wichtig, dass der Arbeitgeber auf die Stärken der Arbeitnehmer mit ASS auf-
merksam gemacht wird. Wenn ein Mensch mit ASS erfolgreich vermittelt werden
konnte, benötigt er individuell unterschiedliche und spezielle Rahmenbedingungen
am Arbeitsplatz. Dabei ist er in hohem Maße darauf angewiesen, von einem Job-
coach unterstützt und begleitet zu werden. Gleichfalls gilt es, im Verlauf der Einar-
beitung ein Mentorat einzurichten. Dies bedeutet, dass ein Mitarbeiter des Betriebes
als vertrauensvoller Ansprechpartner dem Beschäftigten mit ASS zur Seite steht,
um eine dauerhafte Beschäftigung zu sichern, auch wenn das Jobcoaching bereits
beendet ist.
Wurde das Arbeitsverhältnis bereits begonnen, bedarf es von Seiten des Integra-
tionsmitarbeiters einer vielseitigen Arbeitsweise. Die Schaffung passender Arbeits-
rahmenbedingungen für den autistischen Arbeitnehmer ist hierbei die zentrale
Aufgabe. Organisatorische Fragen sowie Formen des gemeinsamen Umgangs sind
zu moderieren und zu lenken. Unsicherheiten bzw. aufkommenden Missverständ-
nissen können und müssen gerade zu Beginn einer Arbeitsaufnahme entgegen-
gewirkt werden. Der Arbeitsbeginn ist für alle Beteiligten der Grundstein einer
guten Zusammenarbeit.
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3.1 Besondere Anforderungen an den Arbeitsplatz
und das Arbeitsumfeld
Aufgrund ihrer Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung und der Informationsver-
arbeitung benötigen Menschen mit ASS besondere Rahmenbedingungen, damit sie
ihre Kompetenzen am Arbeitsplatz einbringen können.
Von Bedeutung sind hierbei insbesondere:
– die Verwendung einer klaren und eindeutigen Sprache durch die Arbeitsanleiter
– eine genaue Einweisung in die Aufgaben mit exakter Beschreibung der einzelnen
Arbeitsschritte (möglichst mit visuellen oder schriftlichen Hilfestellungen)
– eine genaue Beschreibung des geforderten Ergebnisses und des zur Verfügung
stehenden Zeitrahmens
– eine reizarme und konstante Arbeitsumgebung
– die rechtzeitige Mitteilung anstehender Veränderungen
– eine klare Regelung der Pausenzeiten und Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten
– ein konstanter Ansprechpartner zur Klärung von Schwierigkeiten
Damit diese Rahmenbedingungen besondere Beachtung finden, steht der Jobcoach
dem Unternehmen als begleitende und beratende Hilfe zur Verfügung.
3.2 Coaching
Das Coaching ist eine spezifische Unterstützungsform. Menschen mit ASS sollten
entsprechend ihres Unterstützungsbedarfes am Arbeitsplatz durch einen Jobcoach
begleitet werden. Der Jobcoach kann den Arbeitgeber individuell beraten, damit die-
ser einen besseren Einblick in die Arbeitsweise von Menschen mit ASS gewinnt und
Bereitschaft zeigt, die besonderen Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz zu schaffen,
die der Betroffene benötigt. Auf diesem Weg soll sowohl die Zufriedenheit des Arbeit-
gebers als auch die des Arbeitnehmers mit ASS erreicht werden.
Im Sinne eines dynamischen Prozesses wird das Coaching immer an den jeweiligen
Bedarfen des Menschen mit ASS orientiert, stetig und flexibel weiterentwickelt, an-
gepasst und ausgeweitet.
Die Erfahrung zeigt, dass es auf diese Weise trotz oftmals schwieriger sozialer Um-
stände und persönlicher Einschränkungen gelingt, immer mehr Menschen mit ASS
mit Hilfe von Coaching ins Arbeitsleben zu integrieren.
Coaching beinhaltet:
– beziehungsorientierte, individuelle und bedarfsorientierte Hilfen zur Integration
– eine für den Beschäftigten mit ASS förderliche, flankierende Begleitung
– die Gestaltung geeigneter, klar strukturierter und überschaubar organisierter
Rahmenbedingungen
– die direkte Mitwirkung des Jobcoaches in vorhersehbaren zeitlichen Intervallen
Arbeitsvorbereitung in der Hausreinigung
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Der Jobcoach gibt Sicherheit und Halt und stellt eine verlässliche Vertrauensperson
dar. Er fungiert als Vermittler und Übersetzer zwischen dem Menschen mit ASS und
dem Arbeitgeber.
Daraus ergeben sich folgende bedarfsorientierte Unterstützungsangebote:
1. Strukturierung: – Aufmerksamkeitssteuerung
– Organisation von Handlungsabläufen
– Entwicklung und Training von Routinen
– kleinschrittige, visualisierte und präzise formulierte Aufbereitung
von Arbeitsaufgaben
– Strukturierung und ggf. Reduzierung von Arbeitsmaterialien
– räumliche, inhaltliche und personelle Orientierung
2. Kommunikation: – Vermeidung von Missverständnissen durch Begleitung/Reflexion von Gesprächen
– Vermittlung und Übersetzung bei nicht verstandenen Gesprächsverläufen
im fachlichen und sozialen Bereich
– Vermittlung und Moderation in krisenhaften Gesprächssituationen
3. Sozialverhalten: – Schulung im Umgang mit Selbst- und Fremdwahrnehmung
– Verhaltensregulation
– Training sozialer Kompetenzen im beruflichen Alltag
4. Regeneration: – Unterstützung und Begleitung bei der Gestaltung von Pausen
– Finden von adäquaten Rückzugsräumen
– Reduktion von Stress während unstrukturierter Zeitfenster
– Schaffung einer angemessenen Umgebung zur Einnahme von Mahlzeiten
5. Ausnahmesituation: – Krisenintervention
– Beratung des Umfeldes
– Begleitung bei Terminen
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3.3 Mentoring
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Integration eines Arbeitnehmers mit ASS in ein
Unternehmen besteht in der Einrichtung eines Mentorats. Als besonders geeignet gilt
ein wohlwollender und zugewandter Mitarbeiter vor Ort, der ausreichend über das
Störungsbild informiert ist.
Mentoring bezeichnet:
– die bedarfsorientierte Unterstützung des Beschäftigten mit ASS durch eine
erfahrene Person (Mentor) innerhalb des Unternehmens
– die Weitergabe des fachlichen Wissens und des Erfahrungswissens im Rahmen
eines Vertrauensverhältnisses an den Menschen mit ASS
– die Unterstützung des neuen Kollegen bei seiner Integration in das Unternehmen
und in seiner persönlichen Entwicklung
Da der Mentor in der Regel nicht für diese Tätigkeit ausgebildet ist, wird er in umfang-
reicher Art durch den jeweiligen Jobcoach unterstützt und geschult. Ein ständiger
Austausch zwischen Jobcoach und Mentor ist dabei sehr wichtig. Mentoren fungie-
ren in ihrem Unternehmen als Multiplikatoren gegenüber den übrigen Mitarbeitern.
Mentoren profitieren von ihrer Funktion, da sie dadurch die Möglichkeit erhalten,
eigenes Arbeiten zu reflektieren, soziale und kommunikative Fähigkeiten zu trainieren
und durch den Austausch mit anderen Mentoren (Netzwerkarbeit) neue Koopera-
tionsmöglichkeiten gewinnen. Dem Arbeitgeber entstehen keinerlei Nachteile, da die
Finanzierung der Mentorenschulung vom Integrationsamt gewährleistet wird. Auch
für die Finanzierung der reduzierten Arbeitszeit des Mentors besteht die Möglichkeit,
beim Integrationsamt eine Ausgleichszahlung zu beantragen.
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3.4 Finanzielle Fördermöglichkeiten
Menschen mit ASS und die potentiellen Arbeitgeber profitieren im Vermittlungs-
prozess von der Unterstützung und Beratung durch den Integrationsfachdienst.
Es gibt folgende finanzielle Fördermöglichkeiten bei der Einstellung eines Menschen
mit ASS von Seiten der Agentur für Arbeit, des Integrationsamtes oder auch des
Landesamtes für Soziales und Versorgung zur Gewährleistung einer möglichst
„reibungslosen“ Integration:
1. Anspruch auf Zuschuss zum Arbeitsentgelt für den Arbeitgeber (gem. § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 90 SGB III und § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX)
Hierdurch kann der Arbeitgeber bei einer Förderhöhe von bis zu 70 Prozent davon
ausgehen, dass das jeweils zu berücksichtigende Arbeitsentgelt (inkl. des pauschali-
sierten Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag) bei einer maximalen
Dauer von 60 Monaten durch die Agentur für Arbeit übernommen wird. Die entspre-
chenden Anträge hierzu sind beim Arbeitgeberservice der jeweiligen Agentur für
Arbeit zu stellen.
2. Zuschuss für Arbeitshilfen im Betrieb (gem. § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 46 Abs. 2 SGB III und § 34 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX und
§ 26 SchwbAV)
Hierbei kann der Arbeitgeber und durch ihn auch der Arbeitnehmer mit ASS Unter-
stützung erhalten, indem bis zu 100 Prozent der notwendigen Kosten für eine behin-
derungsgerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes von Seiten des Landesamtes für
Soziales und Versorgung übernommen werden. Die entsprechenden Antragsstel-
lungen sind direkt beim Landesamt für Soziales und Versorgung einzureichen.
Die Vermittlung zwischen Reha-Beratung der Agentur für Arbeit und dem Betroffenen
sowie der hierbei wichtige Einbezug des Arbeitgebers spielen bei der Realisierung und
der Sicherstellung finanzieller Hilfemöglichkeiten die zentrale Rolle.
3. Eingliederungszuschuss im Anschluss an eine abgeschlossene Aus- oder Weiterbildung (gem. § 73 Abs. 3 SGB III zu beantragen bei der jeweiligen Arbeitsagentur)
Nach Bewilligung dieser Fördermaßnahme steht Menschen mit ASS hierbei eine
Förderhöhe von bis zu 70 Prozent des zu berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts
(inkl. des pauschalisierten Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag)
zu. Die Förderdauer ist auf zwölf Monate festgelegt.
4. Zuschuss für Probebeschäftigung(gem. § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 46 Abs. 1 SGB III)
Bei einer maximalen Förderdauer von drei Monaten kann der Antragsteller
(Arbeitgeber) hier von der Agentur für Arbeit zusätzliche finanzielle Unterstützung
erhalten und bekommt die Möglichkeit einer gesicherten und dauerhaften Teilhabe
am Arbeitsleben.
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5. Notwendige Arbeitsassistenz (gem. § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX i. V. m. § 102 Abs. 4 SGB IX und § 17 Abs. 1a
SchwbAV)
Hierbei steht nach positivem Bescheid (bewilligt durch das Integrationsamt) dem
Menschen mit ASS eine Geldleistung in Form der Kostenübernahme zu. Dieser jewei-
lige Betrag kann u.a. eingesetzt werden, um eine Assistenzkraft zur Unterstützung
im Arbeitsleben finanzieren zu können. Der hierfür notwendige Antrag ist durch den
Arbeitgeber zu stellen.
6. Zuschuss zur Ausbildungsvergütung(gem. § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 73 Abs. 1 und 2 SGB III und § 34 Abs. 1 Nr. 1 u. 2
SGB IX)
Innerhalb einer Ausbildung kann ein Zuschuss zur monatlichen Ausbildungsvergütung
für das letzte Ausbildungsjahr bei der Agentur für Arbeit (ggf. auch beim Integrations-
amt) beantragt werden. Für behinderte Menschen können bis zu 60 Prozent, bzw. bei
Menschen mit einer Schwerbehinderung bis zu 80 Prozent übernommen werden. Die
Förderdauer orientiert sich an der jeweiligen Dauer der Aus- oder Weiterbildung.
7. Unterstützte Beschäftigung (gem. § 38a SGB IX i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SGB IX)
Um die Teilhabe von Menschen mit ASS am Arbeitsleben zu unterstützen und zu
sichern, kann eine Unterstützung in der jeweiligen Beschäftigung in der Form reali-
siert werden, indem durch den Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit (ggf. auch
beim Integrationsamt) entsprechend eine qualifizierte Berufsbegleitung/Arbeitsassis-
tenz beantragt wird. Die maximale Förderhöchstdauer beträgt hierbei drei Jahre.
4. Integration junger Menschen mit ASS in
den Arbeitsmarkt am Beispiel des
ABC-Projektes
Die Berufsbildungswerk im Oberlinhaus gGmbH blickt auf eine lange Tradition in der
beruflichen Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen zurück. Seit dem Jahr
1991 haben mehr als 2.500 Jugendliche mit Behinderung eine anerkannte Ausbildung
abgeschlossen. Seit 1999 kommen immer mehr Teilnehmer mit ASS in unser
Berufsbildungswerk (BBW) mit dem Ziel, eine Berufsausbildung bei uns zu
absolvieren. Seitdem wurden 165 Rehabilitanden mit ASS im BBW gefördert.
Vorrangiges Ziel des durch die EU geförderten Pilotprojektes „ABC - Jobs für Men-
schen mit ASS“ war es, eine nachhaltige Eingliederung jugendlicher Teilnehmer des
BBWs mit ASS bei einem Arbeitgeber des ersten Arbeitsmarktes zu gewährleisten.
Die hierbei zu vermittelnden 17 Teilnehmer des ABC-Projektes standen im letzten
bzw. vorletzten Ausbildungsjahr zur Bürokraft, zur Fachkraft für Medien- und
13
Informationsdienste (Schwerpunkt Archiv), zum Fertigmacher im Buchbinderhand-
werk, Holzbearbeiter oder zum Hauswirtschaftshelfer. Das Besondere an diesem Pro-
jekt war die Weiterführung des Coachings, das alle Projektteilnehmer schon während
ihrer Berufsausbildung im BBW erhalten haben. Des Weiteren erhielten die Teilneh-
mer nach Abschluss der Berufsausbildung eine bedarfsgerechte Unterstützung bei
der beruflichen Integration und eine Hilfestellung von Seiten der Projektmitarbeiter
bei der Einrichtung eines Mentorats am Arbeitsplatz.
Das Projekt unterteilte sich in zwei Projektfelder: Das erste Projektfeld betraf alle
Aktionen zur Integration von Teilnehmern mit ASS in den ersten Arbeitsmarkt. Im
zweiten Projektfeld ging es vor allem um einen Wissenstransfer und eine Qualifizie-
rung aller am Integrationsprozess Beteiligten. Während des Projekts erfolgte ein
Informationsaustausch vor allem durch die Durchführung thematischer Workshops
zu den Themen „Kommunikation“, „soziale Interaktion“ und „repetitive Verhaltens-
weisen“. Eine spezielle Schulung für Mentoren gewährleistete eine Informations-
vermittlung und einen Erfahrungsaustausch zum Thema ASS.
Projektfelder des ABC-Projektes
Projektfeld I: Aktionen zur Integra-tion in den ersten Arbeitsmarkt
Projektfeld II: Informationsaus-tausch und Qualifizierung aller Integ-rationsbeteiligten
Vorbereitungsphase Durchführung thematischer
Workshops zum Thema Autismus und
Beratung von Arbeitgebern
Bewerbungsphase Schulung von Mentoren
Erwerbstätigkeit Handbuch
Fähigkeitenportal Durchführung einer
Abschlussveranstaltung und
Präsentation von Projektergebnissen
4.1 Das 3-Phasen-Modell zur Integration in den
ersten Arbeitsmarkt
Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt erfolgte in drei, sich individuell an den Be-
dürfnissen der Teilnehmer mit ASS orientierenden Phasen, die nicht linear verliefen.
Coaches und Integrationsmitarbeiter des ABC-Projektes standen den Teilnehmern als
begleitende Hilfen in diesen Phasen zur Seite.
14
4.1.1 Vorbereitungsphase
Die Vorbereitungsphase hatte zum Ziel, die Teilnehmer zu ihren eigenen Experten zu
machen, so dass sie auch zukünftig in der Lage sind, den Arbeitgebern Auskunft zu
ihren besonderen Stärken und Bedürfnissen zu geben.
Hierzu:
– fand eine Informationsvermittlung über das Projekt statt
– gab es Einzelgespräche, zu denen betroffene Eltern bzw. Betreuer eingeladen waren
– wurde der Teilnahmepass eingeführt, der Sicherheit zur Aufgabenverteilung
im Projekt gab
– gab es verschiedene interdisziplinäre Entwicklungsgespräche, die im Austausch
der Beteiligten und der Vorbereitung des Stärkenprofils dienten
– trainierten die Teilnehmer den Umgang mit dem Fähigkeitenportal der autWorker
(siehe 4.2)
– wurden Bewerbungsmappen auf Grundlage des Stärkenprofils erstellt
– tauschten sich alle im Integrationsprozess Beteiligten gegenseitig aus
4.1.2 Bewerbungsphase
In enger Abstimmung arbeiteten der Integrationsmitarbeiter des ABC-Projektes und
die Projektteilnehmer in dieser Phase des Projektes miteinander zusammen. Grund-
lage dabei war eine fundierte und individuell auf den Teilnehmer ausgerichtete Bewer-
bung. Der Integrationsmitarbeiter akquirierte Arbeitsplätze, die sich entsprechend
an der Disposition des Bewerbers orientierten. Hierbei wurden unterschiedliche
Zugangsmöglichkeiten genutzt. Bestehende Netzwerke, wie z. B. die Wirtschafts-
junioren Potsdam oder der Regionalverband Potsdam des Bundesverbands mittel-
ständischer Wirtschaft, waren neben den öffentlich zugänglichen Möglichkeiten
(Internetportale, Zeitung, etc.) die primären Quellen bei der Arbeitsplatzrecherche.
Häufig fällt es Menschen mit ASS schwer, sich in einer neuen und für sie oftmals
missverständlichen sozialen Umgebung zu orientieren. Eine besondere Hürde stellt
das Bewerbungsgespräch dar. Im Bewusstsein, dass sie von der so genannten gesell-
schaftlichen „Norm“ abweichen, müssen sie in einer für sie fremden Umgebung ihre
fachlichen Kenntnisse vor unbekannten Menschen darstellen. Dies unterstreicht die
Bedeutung, die der Förderung sozialer und kommunikativer Verhaltensweisen
zukommt.
Vor diesem Hintergrund war ein wichtiger Teil der Bewerbungsphase die Vorberei-
tung auf ein Bewerbungsgespräch. In einer Art Rollenspiel konnten die Absolventen
während der Beratung durch den Integrationsmitarbeiter einüben, wie man sich in
einem Bewerbungsgespräch verhält. Dies diente der Heranführung und der Bewälti-
gung von Artikulationshemmnissen und verringerte die Ängste vor der fremden Situ-
ation. Speziell für Menschen mit ASS schwer zugängliche Fragestellungen konnten
15
dabei besprochen und somit für das nächste Bewerbungsgespräch verständlicher
gemacht werden. Die Begleitung des Bewerbungsprozesses durch den Integrations-
mitarbeiter bezog sich vor allem auf die Koordination von verschiedenen Abläufen.
Dazu gehörten z. B. das Training neuer Fahrtwege oder die Beratung zur inhaltlichen
Vorbereitung der Vorstellungsgespräche.
Die Erfahrungen im Vermittlungsverlauf haben gezeigt, dass es mitunter wichtig war,
Anfragen von Arbeitgeberseite direkt an den Integrationsmitarbeiter heranzutragen.
So ließen sich Unsicherheiten und Missverständnisse im Kontakt zwischen Arbeitge-
ber und Teilnehmer vermeiden.
4.1.3 Phase der Erwerbstätigkeit
Die Teilnehmer wurden in dieser Phase entsprechend ihres Unterstützungsbedarfes
am Arbeitsplatz durch einen Coach begleitet. Der Arbeitgeber erhielt am Arbeits-
platz eine individuelle Beratung durch den Coach, um einen besseren Einblick in die
Arbeitsweise von Menschen mit ASS zu gewinnen und so geeignete Rahmenbedin-
gungen zu schaffen.
Vorteile für den Teilnehmer mit ASS:
– Coach und Teilnehmer kannten sich in der Regel sehr gut. Der Coach stellte somit
eine verlässliche Vertrauensperson für den Jugendlichen dar.
– Das Wissen des Coaches über den Teilnehmer konnte bei der Akquise eines
möglichen Arbeitsplatzes hilfreich sein.
– Sowohl individuelles teilnehmerspezifisches Wissen, das über Jahre generiert
wurde, als auch das allgemeine Fachwissen konnten an Reha-Arbeitsvermittler
und potentielle Arbeitgeber transferiert werden.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Integration des Teilnehmers in ein Unternehmen
bestand in der Einrichtung eines Mentorats. Für eine erfolgreiche Weiterführung des
Arbeitsverhältnisses nach Beendigung des Projektes empfiehlt sich die Beantragung
eines Jobcoaches beim zuständigen Integrationsamt.
Begleitung eines Projektteilnehmers zur Agentur für Arbeit durch den Coach
Mentoring am Arbeitsplatz
16
4.2 Fähigkeitenportal
Menschen mit ASS verfügen in aller Regel über Fähigkeiten, die oft Anderen und
auch ihnen selbst nicht auf Anhieb bewusst sind. Diese Fähigkeiten heben sich von
üblichen Kompetenzen deutlich ab und können ein Schlüssel für die Integration von
Menschen mit ASS in den Arbeitsmarkt sein. Das Fähigkeitenportal, das von der
autWorker eG im Rahmen des ABC-Projektes entwickelt wurde, stellt nicht nur ein
Hilfsmittel zur Bestimmung solcher „typisch autistischer“ Fähigkeiten dar. Es besteht
nach Freischaltung durch die autWorker eG auch die Möglichkeit für Arbeitgeber auf
dieses Fähigkeitenportal zuzugreifen. Zu finden ist dieses unter http://www.fähigkei-
tenportal.de. Bei der Erstellung der Profile werden die Teilnehmer im Rahmen von
Workshops begleitet. Indem sie sich mit ihren Fähigkeiten gerade auch in Hinblick auf
ihren Berufseinstieg auseinandersetzen, lernen sie sich besser kennen bzw. ein-
schätzen und finden Wege, ihre Fähigkeiten für Andere nachvollziehbar darzustellen.
Diese Profile spiegeln nicht nur die Fähigkeiten selbst, sondern auch die Auseinan-
dersetzungen mit ihnen wider. Dieser Prozess der Reflexion der eigenen Fähigkeiten
führt zu einer beständigen Weiterentwicklung des Profils.
Zum einen bietet das Portal die Möglichkeit, sich der eigenen Fähigkeiten bezüglich
der persönlichen Lebensgestaltung und dem Berufseinstieg bewusst zu werden.
Zum anderen stellt das Portal auch eine Plattform dar, auf der Menschen mit ASS ihre
Fähigkeiten aufzeigen können. Dafür müssen sie ihre Fähigkeitenprofile explizit für Ar-
beitgeber freischalten lassen. Arbeitgeber können über die Suchfunktion entsprechend
freigeschaltete Profile finden und diese einsehen und so über das Portal Kontakt mit
den Teilnehmern aufnehmen. Auch die Teilnehmer können über das Portal in Kontakt
mit Arbeitgebern treten. Da es sich bei dem Portal um einen geschützten Rahmen
handelt, findet eine Registrierung in dem Portal nur auf Anfrage bei der autWorker eG
statt. Arbeitssuchende erhalten ihren Zugang über die Teilnahme an mindestens einem
Workshop „Autistische Fähigkeiten“, Arbeitgeber erhalten ihn direkt auf Anfrage. Diese
wird an [email protected] gerichtet. Die „Arbeitgeberseite“ des Portals wird im Zen-
trum des weiteren Ausbaus liegen. Dabei ist geplant, das Fähigkeitenportal zu einem
Jobvermittlungsportal speziell für Menschen mit ASS auszubauen.
4.3 FallbeispieleinerberuflichenIntegration
Praktisches Fallbeispiel eines Vermittlungsverlaufes Herr A. - Hauswirtschaftshelfer
Vorbereitungsphase
Mit Beginn der Vorbereitungsphase lagen die Beratungsschwerpunkte bei Herrn A.
im Erstellen von individuell auf ihn und seine Ausbildungs- und Interessensschwer-
punkte zentrierten Bewerbungsunterlagen. Zunächst war es jedoch wichtig, dass
Herr A. die Beratungsgespräche in einem zuvor inhaltlich und zeitlich festgelegten
Rahmen beginnen konnte. Herr A. wusste bereits während seiner Ausbildung, in
17
welchen Bereichen der Gastronomie er arbeiten möchte und in welchen nicht.
Hierbei halfen ihm seine persönlichen Ressourcen wie:
– der Wille zur Teilhabe am Arbeitsleben
– ein hoher Grad an Eigendisziplin in punkto inhaltliche Vorbereitung auf das
Bewerbungsgespräch
– sowie die Fähigkeit und Bereitschaft bei Unklarheiten nachzufragen
Nach einer kurzen Phase der Anleitung konnte Herr A. größtenteils in Selbstorganisa-
tion entsprechend annoncierte Arbeitsstellen recherchieren und diese im Beratungs-
gespräch gemeinsam mit dem betreuenden Integrationsmitarbeiter besprechen und
für seine Bewerbungsanschreiben nutzen.
Zum Ende des 3. Ausbildungsjahres war es in den Beratungen bedeutend, dass Herr
A. innerhalb seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestärkt und hinsichtlich seiner
Abschlussprüfung motiviert wurde. Die zentralen Fragestellungen seinerseits waren:
– Schaffe ich die Doppelbelastung von Prüfung und zeitgleicher Bewerbungsphase?
– Werde ich von meinem kommenden Gehalt die eigenen Lebenshaltungskosten
bestreiten können?
– Nimmt mich ein Arbeitgeber auch dann, wenn mein Zeugnis nicht so gut ist?
– Kann ich meine eigenen Erwartungen erfüllen?
Durch diese Vorgehensweise innerhalb der Beratungsgespräche hat Herr A. mit der
für ihn notwendigen Sicherheit seinen Ausbildungsabschluss erfolgreich absolviert.
Bewerbungsphase
In der konkreten Bewerbungsphase war es wichtig, dass Herr A. zu folgenden Frage-
stellungen Antworten erhielt, die ihm Sicherheit gaben:
– Was ist das für ein Arbeitgeber?
– Handelt es sich um einen Integrationsbetrieb?
– Hat der Betrieb bereits Erfahrungen mit der Anstellung behinderter Menschen?
– Arbeiten in dem Betrieb weitere Menschen mit Behinderung?
– Welche Fahrtwege werden auf mich zukommen, wenn ich dort beginnen würde?
In Begleitung des Integrationsmitarbeiters war es Herrn A. möglich, sich positiv in zwei
Bewerbungsgesprächen für eine Anstellung im Bereich Gastronomie vorzustellen.
Phase der Erwerbstätigkeit
Mit einem Restaurant in Berlin wurde ein zweiwöchiges Probearbeiten für Zuarbeiten in
der Küche vereinbart, welches einmal wöchentlich von dem Coach begleitet wurde.
Die Arbeitsstätte ist für Herrn A. sehr gut zu erreichen. Die Fahrtzeit zum Arbeitsort
beträgt 30 Minuten.
Alle Kollegen waren mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Nach bestandener Probezeit
wurde ein Arbeitsvertrag mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden abgeschlossen.
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Seit Arbeitsbeginn ist der Coach alle zwei Wochen für ca. zwei Stunden vor Ort. Herrn A.
macht die Arbeit dort sehr viel Spaß. Er bereitet Gemüse für die Weiterverarbeitung vor
und reinigt die Küche. Der Coach übergab im persönlichen Gespräch mit dem Küchen-
chef und der Restaurantchefin die „Handreichung für Mentoren und Kollegen von Be-
schäftigten mit Autismus“ (siehe 8.2). Die persönliche Beratung und die Coachbegleitung
wurden von diesen als sehr hilfreich empfunden. Als Mentor wurde vom Küchenchef ein
Arbeitskollege vorgeschlagen, der sich auf Nachfrage auch bereit erklärte, diese Rolle zu
übernehmen. Dieser Kollege nahm an einer Mentorenschulung in der Berufsbildungs-
werk im Oberlinhaus gGmbH teil.
Coachingbedarf hat Herr A. in folgenden Bereichen:
– akustische Verständnisschwierigkeiten hinsichtlich des französischen Akzents
des Küchenchefs
– Dienstplanung
– Pausenzeiten
– Arbeitstempo
– punktuelle Telefonbereitschaft
Herr A. konnte im Gespräch mit dem Coach seinen Unterstützungsbedarf gut benen-
nen und Vorschläge des Coaches annehmen. Dieser ermutigte ihn, hinsichtlich seiner
störungsbildbedingten Schwierigkeiten offen mit seinen Kollegen zu reden und auf
seine Grenzen hinzuweisen. Sollte es ihm nicht gelingen, als Experte über sich selbst zu
sprechen, steht ihm der Coach unterstützend zur Seite. Da das Jobcoaching nur bis Ende
des Projektes sichergestellt ist und sowohl der Arbeitgeber, als auch Herr A. jedoch die
Notwendigkeit sehen, das Jobcoaching fortzusetzen, wurde auf die rechtzeitige Bean-
tragung des persönlichen Budgets zur Finanzierung einer Arbeitsassistenz (z.B. in Form
eines Jobcoaches) beim Integrationsamt hingewiesen.
5. Resümee und Ausblick
Der erfolgreiche Projektverlauf hat unter Beweis gestellt, dass junge Menschen mit ASS
nicht nur im Ausbildungsverlauf von der individuellen Betreuung durch einen Jobcoach
profitieren. Des Weiteren ist die weiterführende Begleitung beim Übergang ins Erwerbsle-
ben eine zentrale Voraussetzung für eine gelungene und nachhaltige berufliche Platzierung.
Nicht die erkennbaren individuellen Hürden stellen somit eine zentrale Herausforderung
bei der Vermittlung in eine inklusive berufliche Tätigkeit dar, sondern die autismusgerechte
Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Teilnehmer mit ASS. Dies geschieht durch
die zielgerichtete Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch und die beruflichen Anforde-
rungen, die intensive Arbeit am eigenen Fähigkeitenprofil, einer konsequenten Steigerung
der sozialen Kompetenzen, aber auch die beratende und begleitende Unterstützung des
Arbeitgebers durch Jobcoaches und Integrationsmitarbeiter sowie die Einrichtung eines
Mentorats im Unternehmen.
Da Behinderung heute nicht mehr als individuelles, unveränderliches Schicksal gilt, sondern
als Behinderung an der „vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesell-
schaft“ (UN Behindertenrechtskonvention, Art. 1), geht es darum, vor Ort Arbeitsrahmen-
bedingungen zu konzipieren und abzustimmen, die eine bestmögliche Entfaltung der
Fähigkeiten und Produktivität von Menschen mit ASS gewährleisten.
Herr A. bei der Verarbeitung von Möhren
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6. Adressen und Links
Prof. Dr. Matthias Dalferth
Hochschule Regensburg
University of Applied Sciences
E-Mail: [email protected]
Kompetenzzentrum für Autismus
Verein Oberlinhaus
Rudolf-Breitscheid-Straße 24
14482 Potsdam
Tel.: 0331 763-5306
Fax: 0331 763-5230
E-Mail: [email protected]
www.autismus-oberlinhaus.de
Integrationsfachdienst Potsdam
Tuchmacherstraße 49
14482 Potsdam
Teamleitung: Marina Brunnert
Tel.: 0331 27579-14
Fax: 0331 27579-23
E-Mail: [email protected]
autWorker eG
Nernstweg 32-34
22765 Hamburg
Tel.: 040 429039-50
E-Mail: [email protected]
www.autworker.de
20
7. Literatur
1. Ministerium für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg
(Hrsg.) Konjunkturtelegramm Land Brandenburg (Referat 21), 2013
2. Baumgartner, F. (2007): Berufliche Qualifizierung von Menschen mit Autismus im
Berufsbildungswerk St. Franziskus Abensberg, impulse, 45 (1/2008), S. 15 - 18
3. Dilling, H. Mombour & Schmidt, M. H. (Hrsg.) (2005): Weltgesundheitsorganisation:
Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V (F), Klinisch-
diagnostische Leitlinien (5. Aufl.), Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen,
Toronto, Seattle
4. Kooperationsverbund Autismus (Hrgs.) (2010): Autismus – eine (nicht) alltägliche
Herausforderung, Dokumentation der Arbeitsgruppe Autismus
5. autWorker eG (Hrgs.) (o.J.): Eine Informationsbroschüre für Vorgesetzte und
Kollegen/Kolleginnen
6. Autismus-Spektrum-Störung (2009): Was verbirgt sich hinter dem Begriff
„Autismus-Spektrum-Störung“? [online], verfügbar unter:
http://www.uni-marburg.de/fb20/kjp/forschung/aut/ass, [16.01.2013]
7. Autismus (2012): Was ist Autismus? [online], verfügbar unter:
http://www.autea.de/autismus-spektrum-stoerung, [15.11.2012]
8. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2010): Übereinkommen der
Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
9. Saß, H., Wittchen, H.-U. & Zaudig, M. (Hrsg.) (2003): Diagnostisches und
statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-IV-TR), Textrevision, Hogrefe
21
8. Anhang
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Handreichung für Arbeitgeber und Hinweise für Vorstellungsgespräche
Informationen über Bewerberinnen und Bewerber mit Autismus
Menschen mit Autismus (MmA) haben bemerkenswerte Fähigkeiten und verfügen
über Kenntnisse, die für ihr Unternehmen sehr nützlich sein können. Viele MmA
können sehr gute Ausbildungsergebnisse vorweisen und zum Vorteil des Betriebes
ihre Produktivität entfalten, wenn auf ihre Belange Rücksicht genommen wird.
Wenn Bewerber mit Autismus auch über gute fachliche Fähigkeiten verfügen, gelingt
es ihnen nur mit Mühe, dies in einem Vorstellungsgespräch unter Beweis zu stellen.
Dies ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass sie kommunikative Hindernisse
überwinden müssen und die sozialen Regeln des Umgangs nicht ohne Weiteres
beherrschen.
Als Unternehmer können Sie eine erfolgreiche Jobbewerbung allerdings unterstützen,
wenn Sie den nachfolgenden Hinweisen zum Umgang mit autistischen Bewerbern
Beachtung schenken.
Bei Herrn / Frau ________________________ sind die angekreuzten Aspekte besonders beachtenswert:
Zunächst erscheint es ungewöhnlich, dass der Bewerber Ihnen nur flüchtig in die
Augen schaut. Auch sollten Sie sich nicht irritieren lassen, wenn das Gesicht und
die Mimik des Bewerbers nahezu ausdruckslos erscheinen. Blickkontakt halten und
die Hand geben ist für Menschen mit Autismus eher unangenehm. Gleichfalls fällt
es ihnen schwer, bei anderen Menschen Gefühle in Mimik und Gestik zu erkennen
oder ihren Gefühlen in Mimik und Gestik Ausdruck zu verleihen. Das bedeutet
allerdings nicht, dass sie an den Äußerungen ihrer Mitmenschen keinen inneren
Anteil nehmen.
Es ist für Bewerber mit Autismus einfacher, wenn Sie zunächst nur eine Frage
stellen und diese beantworten lassen. Bewerber mit Autismus haben mitunter
Schwierigkeiten, mehrere Fragen im Gedächtnis zu behalten oder sie möchten
diese gleichzeitig beantworten.
Wundern Sie sich nicht, wenn etwas Zeit verstreicht, bis eine Antwort gegeben
wird. Einzelne Bewerber mit Autismus benötigen ca. 20 - 45 Sekunden Zeit, um
eine Antwort zu formulieren.
AusbildungBerufCoaching
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Generell benötigen MmA bei der Verarbeitung von Informationen mehr Zeit, als wir es
gewohnt sind. Dies hängt mit der unzureichenden neuronalen Verknüpfung zwischen
Wahrnehmung, Verstehen und Handeln zusammen. Oft entsteht fälschlicherweise
der Eindruck, die Bewerber hätten die Frage nicht verstanden, oder sie könnten diese
nicht beantworten, obwohl sie Bescheid wissen.
MmA geben in aller Regel auf konkrete Fragen eine genaue und wahrheitsgetreue
Antwort (z. B.: „Welche berufliche Tätigkeit haben Sie zuletzt ausgeübt?“)
Allerdings fällt es ihnen schwer, Fragen, die in die Zukunft gerichtet sind (z. B.: „Was
möchten Sie in 5 Jahren erreicht haben?“) oder allgemein formulierte Fragen („Nun
erzählen Sie mal, was Sie bisher gemacht haben...“) zu beantworten. Es fällt ihnen
leichter, konkrete Fragen zu beantworten (z. B.: „Was waren Ihre bisherigen Arbeits-
aufgaben?“ oder „Wie haben Sie diese ausgeführt?“).
Erwarten Sie nicht, dass der Bewerber seine Fähigkeiten besonders hervorheben
kann. Auch bewundernswerte Fähigkeiten sind für Menschen mit Autismus eher
selbstverständlich. So sehen sie keinen zwingenden Grund, darauf besonders
hinzuweisen.
Kurze und prägnante Sätze erleichtern den Bewerbern das Zuhören. Gegebenenfalls
ist es hilfreich, Fragen zu wiederholen.
MmA neigen dazu, ironische oder witzige Bemerkungen ernst zu nehmen. Auch
benötigen sie bei für sie noch unbekannten bildhaften Beschreibungen (z. B.: „Mir
geht da ein Licht auf.“ oder „Da hat man Ihnen aber einen Bären aufgebunden.“)
eine konkrete Übersetzung, damit sie verstehen, wie es gemeint ist.
Oft fällt es den Bewerbern schwer, bei ihren Ausführungen zu einem Ende zu
kommen oder ihren Redefluss zu unterbrechen. Dies macht es notwendig, ihre
Ausführungen, höflich, aber bestimmt zu unterbrechen.
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Handreichung für Mentoren und Kollegen von Beschäftigten mit Autismus
Mein Kollege ist Autist: Was heißt das für mich?
Die nachfolgenden Hinweise sollen dazu beitragen, die Problemstellungen für
Menschen mit Autismus besser zu verstehen und die Kommunikation mit ihnen zu
erleichtern.
Bei Herrn / Frau ______________________ sollten insbesondere die angekreuzten Aspekte Beachtung finden:
Telefonieren: Mitarbeitern mit Autismus fällt es bisweilen schwer, Telefonate entgegenzunehmen.
Die Unsicherheit wird dadurch ausgelöst, dass sie nicht sicher wissen können, wer
der Anrufer ist, welche Wünsche geäußert werden und ob sie darauf auch eine
Antwort wissen. Deshalb sollte bei Arbeitsblockaden auf das Entgegennehmen von
Anrufen verzichtet und die Kommunikation mit E-Mail oder Fax bevorzugt werden.
Pausen: Für Mitarbeiter mit Autismus sind Pausen oft unangenehm. Hier gibt ihnen keine
Struktur vor, wie sie sich verhalten sollen. Offene Situationen erzeugen bei ihnen
jedoch Stress, weil Verhaltensorientierungen fehlen. Deshalb kommt es ihnen
entgegen, wenn die Pausen ritualisiert, d. h. immer nach einem gleich bleibenden
Schema ablaufen können.
Die Dauer der Pausen ist mit Uhrzeitangaben (von... bis...) genau zu vereinbaren.
Reize: Mitarbeiter mit Autismus können Reize, die ihnen unangenehm sind, nicht ohne
weiteres ausblenden oder abwehren. Es kann sein, dass sie empfindlich auf
Geräusche, Gerüche, Farben, Bewegungen oder Lautstärke reagieren. Deshalb
kommt ihnen ein ruhiger, reizgeschützter Arbeitsplatz entgegen.
Multitasking: Mitarbeitern mit Autismus fällt es schwer, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Die
Arbeit wird ihnen erleichtert, wenn ihnen die Aufgaben nacheinander gegeben
werden oder sie diese – notiert auf einer Liste – abarbeiten können.
Schwerpunkte setzen: Mitarbeiter mit Autismus stehen einer Fülle von Aufgaben bisweilen hilflos gegen-
über. Gleichfalls fällt es ihnen schwer zu entscheiden, welche Tätigkeit, welcher
Arbeitsschritt zunächst der Wichtigste ist. Sie benötigen daher strukturierende
Hinweise, damit sie wissen, welchen Aufgaben Priorität einzuräumen ist und
welche Aufgaben später durchgeführt werden können.
AusbildungBerufCoaching
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Stereotypien: Einzelne Mitarbeiter zeigen - insbesondere in Stresssituationen - verbale oder motorische
Stereotypien. Diese Übersprungshandlungen dienen der Herstellung des inneren Gleich-
gewichts und dem Stressabbau und sollten daher akzeptiert bzw. ignoriert werden.
Kommunikation: Mitarbeiter mit Autismus können sich die einfachen Regeln des sozialen Umgangs
und der Kommunikation im Alltag nicht ohne Weiteres erschließen.
Folgende Kommunikationshilfen kommen ihnen entgegen:
Als Gesprächsgegenstand die Interessen des autistischen Mitarbeiters aufgreifen.
Besser kurze und geschlossene als offene Fragen stellen.
Fragen, die auf die Zukunft oder die Bedeutung sozialer Beziehungen gerichtet
sind, eher vermeiden.
Man sollte sich darüber bewusst sein, dass sie ironische Bemerkungen
missverstehen können.
Bei Witzen ist es u. U. hilfreich, darauf hinzuweisen (z. B.: „Das war nur ein Witz.“),
um Irritationen zu vermeiden.
Bildhafte Formulierungen werden oft wortwörtlich verstanden und rufen Unsicher-
heit hervor. Sie sollten daher kurz erläutert werden (z. B.: „Jetzt platzt mir gleich
der Kragen...“ = Ich bin sehr wütend).
Kollegen mit Autismus können am besten verstehen, wenn man in kurzen,
knappen Sätzen mit ihnen spricht.
Man sollte ihnen genügend Zeit (20 - 45 Sek.) geben, um eine Antwort zu formu-
lieren. Es dauert bisweilen etwas länger, als wir es gewohnt sind, bis die Frage
oder Mitteilung „angekommen“ ist.
Mitarbeitern mit Autismus fällt es schwer, Blickkontakt zu halten. Dies sollte
man akzeptieren.
Wenn im laufenden Gespräch ein neues Thema besprochen werden sollte, ist
es im Einzelfall erforderlich, den Gesprächspartner darauf hinzuweisen (z. B.:
„Jetzt mal was anderes...“).
Mitarbeiter mit Autismus übersehen oft Signale, die darauf hinweisen, dass man
das Gespräch jetzt beenden möchte. Daher sind klare Ansagen (z. B.: „Ich muss
jetzt aufhören, muss jetzt wieder arbeiten.“) hilfreich.
Wenn es dem Mitarbeiter mit Autismus schwer fällt, bei seinen Ausführungen zu
einem Ende zu kommen, sollte man keine Scheu haben, ihn zu unterbrechen.
Wichtige Informationen sollten aufgeschrieben werden, damit der Mitarbeiter mit
Autismus sie nachlesen kann.
Manchmal verhalten sich Mitarbeiter mit Autismus unhöflich. Sie fallen anderen
ins Wort, kritisieren wegen Kleinigkeiten, machen unangemessene Bemerkungen
oder stellen Fragen, die die Privatsphäre berühren. Sie sind sich aber nicht
bewusst, dass dies einem Anderen unangenehm sein oder ihn verletzen könnte.
Hier benötigen die Mitarbeiter klare Hinweise. Man sollte das Verhalten nicht
ignorieren, besser positive Verhaltensorientierungen geben.Weitere Hinweise:
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AusbildungBerufCoaching
Handreichung für Mitarbeiter der Agenturfür Arbeit
Menschen aus dem autistischen Spektrum sind sehr unterschiedlich. Es muss im
individuellen Fall jeweils nach Ausprägung der autistischen Symptomatik und der
speziellen Fertigkeiten festgestellt werden, welche Arbeitsrahmenbedingungen für
den Bewerber besonders förderlich bzw. hinderlich sind.
Bei Herrn / Frau __________________________ sollten die angekreuzten Aspekte Berücksichtigung finden:
Eher förderlich:
feste, gleich bleibende Arbeitsabläufe
(- weil sie durch Wiederholung von Arbeitsvorgängen nicht gelangweilt werden)
feste äußere räumlich-zeitliche Rahmenbedingungen
(- weil auf Montage oder bei wechselnden Arbeitsorten keine gleich bleibenden
Strukturen gewährleistet werden können)
autismusgerechte Rahmenbedingungen, wie z. B. bei Bedarf ein separater,
ruhigerer, gut strukturierter Arbeitsplatz
(- weil sie aufgrund einer fehlenden inneren Struktur eine feste äußere Struktur
benötigen, die ihnen Handlungssicherheit gibt)
Coaching zu Beginn einer beruflichen Tätigkeit
(- weil sie davon profitieren, dass ihnen jemand zu Beginn einer neuen Arbeit
sämtliche Vorgänge erklärt, die Arbeitsabläufe strukturiert und für Fragen zur
Verfügung steht, bis sie sich sicher fühlen)
Coaching im Verlauf einer beruflichen Tätigkeit
(- weil sie dann sicherer in der Arbeitsausführung sind)
Teilzeitbeschäftigung
(- weil sie möglicherweise von einer Ganztagsbeschäftigung überfordert werden)
Unterstützung durch Mentoren im Betrieb
(- weil sie bei Unklarheiten oder Unsicherheiten auf eine Vertrauensperson zurück-
greifen können)
zugewandte, wohlwollende, verständnisvolle, geduldige Kollegen im unmittelbaren
Umfeld, die über die autistische Behinderung Bescheid wissen
(- weil sie aufgrund ihrer sozialen Naivität in Gefahr geraten, Mobbingopfer zu werden)
Strukturierung der Pausenzeiten
(- weil sie sonst keine klare Verhaltensorientierung haben)
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verkehrstechnisch ungünstig gelegene Arbeitsplätze
(- denn viele MmA besitzen keine Fahrerlaubnis oder kein Auto)
Tätigkeiten in einem Großraumbüro
(- MmA werden durch akustische und visuelle Reize rasch überfordert und können
sich dann nicht so gut konzentrieren)
Arbeitsplätze, die von Kunden oder Kollegen stark frequentiert werden, wie
z. B. Telefondienst, Pforte, Kundenservice
(- weil sie sich nur mit Mühe auf verschiedene Menschen und deren Anliegen
einstellen können)
häufig wechselnde - persönliche oder telefonische – Kontakte
(- weil es ihnen schwer fällt, sich auf neue Personen einzustellen)
wechselnde Ansprechpartner und Anleiter
(- weil jeder sein Anliegen, gerichtet an den MmA, in einer anderen Weise formuliert
und weitergibt)
selbstständige Planung und Schwerpunktsetzung bei der Arbeit und Priorisierung
(- weil sie oft nicht wissen, welcher Arbeitsvorgang der Wichtigste ist und welche
Aufgaben später erledigt werden können)
Erfordernis einer hohen Sozialkompetenz
(- weil sie beim Erkennen und Zeigen von Gefühlen in Mimik und Gestik beein-
trächtigt sind)
Notwendigkeit, schnell und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren
(- weil sie aufgrund einer exekutiven Beeinträchtigung Gedanken nicht sofort in Hand-
lungen umsetzen können)
Arbeiten unter Zeitdruck
(- weil sie sich jeden Handlungsablauf zunächst vorstellen müssen, bevor sie aktiv
handeln können. Allerdings machen sie kaum Fehler und es gelingt ihnen, ihr Tempo
nach und nach zu steigern)
Arbeiten im Schichtsystem
(- weil sie einen gleich bleibenden und festen Alltagsrhythmus benötigen, um ihr
Leistungspotential entfalten zu können)
Eher hinderlich:
ImpressumSatz und Layout: Thomas Ackermann, Auszubildender im 3. Ausbildungsjahr,
Mediengestalter Digital und Print
Druck und Weiterverarbeitung: Druckerei und Buchbinderei im Berufsbildungswerk
Berufsbildungswerk im Oberlinhaus gGmbH
Steinstraße 80/82/84, 14480 Potsdam
Tel.: 0331 6694-0
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S7
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Bf. Griebnitzsee
Uni und Plattner-Institut
AS Babelsberg
Bf. Medienstadt
Berlin - A115
Richtung A10
Teltow / Stahnsdorfund Kleinmachnow