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Absolute und relative Konvergenz- trod Divergenzbewegungen. ~ron Dr. med. Fuss, Augenarzt in Neus~relitz. Beim Studium der Literatur zu meiner Dissertation: ,,l~ber die relative Akkommodations-und Konvergenzbreite ''~) zeigte es sieh mir, daI~ die Begriffe absolute und relative C-~) ~esp. D-Bewegungen die n6tige Eindeutigkeit bisher vermissen lassen. D~ jedoeh der I~ahmen meiner damaligen Arbeit dureh eine Er6rterung dieser Begriffe tibersehritten worden wgre, so unterblieb dieselbe. Andererseits abet seheint sie mir genug Interessierendes zu bieten, um eine naehtr~gliche Ver6ffentliehung zu reehtfertigen. Der Einteilung der C- und I)-Bewegungen in absolute und relative liegt der Gedanke zugrunde, eine Seheidung vorzunehmen zwisehen solehen Bewegungen, die auf ,,wahren" C- oder D-Innervationen beruhen und solehen, bei denen es sieh nur um eine Minderung einer vorher auf- gewandten D- oder C-Innervation handelt. Will man eine derartige Trennung durehfiihren, so gibt es vor allem die Frage zu beantworten, in weleher Stellung der Augen man den Innervationsnullpunkt zu sehen hat, auf den jene Einteilung Bezug zu nehmen h~tte. Dieser Nullpunkt mfiftte dann dadureh bestimmt sein, daG, so lange sieh die Augen auf ihm befinden, ihnen weder ein C- noeh ein D-Impuls zufliegt. K6nnte nun etwa die Paratlelstellung der Augen einen solehen Nutl- punkt abgeben und k6nnten jetzt als absolute Bewegungen diejenigen bezeiehnet werden, die yon jener Stellung ihren Ausgang nehmen, als relative dagegen diej enigen, die auf dieselbe zulaufen ? Wit miissen diese Frage verneinen. Denn weder daft man in der ParalMstellung den sieheren I-Iinweis auf eine fehlende C- oder D-Innervation erblieken, noeh aueh tMtt eine vorhandene C- oder D-Stellung der Augen yon vorn- herein darauf sehlieBen, daft zu ihrer Erreiehung eine absolute C- oder D-Innervation vorher notwendig war. Das Beispiel einer Exophorie soil dies erI~utem. Hier n~mlieh w~ire im Gegenteil die ParallelstelIung sehon dutch eine absolute C-Innervation erreieht, da die ,,innervations- lose" Lage der Augen in diesem Falle eine ~D-StelIung ist und gehen 1) Ma.rburg 1920. 2) C = Konvergenz, D = I)ivergenz.

Absolute und relative Konvergenz- und Divergenzbewegungen

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Page 1: Absolute und relative Konvergenz- und Divergenzbewegungen

Absolute und relative Konvergenz- trod Divergenzbewegungen. ~ron

Dr. med. Fuss, Augenarzt in Neus~relitz.

Beim Studium der Literatur zu meiner Dissertation: ,,l~ber die relative Akkommodations-und Konvergenzbreite ''~) zeigte es sieh mir, daI~ die Begriffe absolute und relative C-~) ~esp. D-Bewegungen die n6tige Eindeutigkeit bisher vermissen lassen. D~ jedoeh der I~ahmen meiner damaligen Arbeit dureh eine Er6rterung dieser Begriffe tibersehritten worden wgre, so unterblieb dieselbe. Andererseits abet seheint sie mir genug Interessierendes zu bieten, um eine naehtr~gliche Ver6ffentliehung zu reehtfertigen.

Der Einteilung der C- und I)-Bewegungen in absolute und relative liegt der Gedanke zugrunde, eine Seheidung vorzunehmen zwisehen solehen Bewegungen, die auf ,,wahren" C- oder D-Innervationen beruhen und solehen, bei denen es sieh nur um eine Minderung einer vorher auf- gewandten D- oder C-Innervation handelt. Will man eine derartige Trennung durehfiihren, so gibt es vor allem die Frage zu beantworten, in weleher Stellung der Augen man den Innervationsnullpunkt zu sehen hat, auf den jene Einteilung Bezug zu nehmen h~tte. Dieser Nullpunkt mfiftte dann dadureh bestimmt sein, daG, so lange sieh die Augen auf ihm befinden, ihnen weder ein C- noeh ein D-Impuls zufliegt.

K6nnte nun etwa die Paratlelstellung der Augen einen solehen Nutl- punkt abgeben und k6nnten jetzt als absolute Bewegungen diejenigen bezeiehnet werden, die yon jener Stellung ihren Ausgang nehmen, als relative dagegen diej enigen, die auf dieselbe zulaufen ? Wit miissen diese Frage verneinen. Denn weder daft man in der ParalMstellung den sieheren I-Iinweis auf eine fehlende C- oder D-Innervation erblieken, noeh aueh tMtt eine vorhandene C- oder D-Stellung der Augen yon vorn- herein darauf sehlieBen, daft zu ihrer Erreiehung eine absolute C- oder D-Innervation vorher notwendig war. Das Beispiel einer Exophorie soil dies erI~utem. Hier n~mlieh w~ire im Gegenteil die ParallelstelIung sehon dutch eine absolute C-Innervation erreieht, da die ,,innervations- lose" Lage der Augen in diesem Falle eine ~D-StelIung ist und gehen

1) Ma.rburg 1920. 2) C = Konvergenz, D = I)ivergenz.

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andererseits nach Aufhebung des binokularen Sehens die Augen in diese ihre Ruhelage zuriiek, so wiirde es sich um das Riickggngigmachen einer vorher aufgewandten C-Innervation handeln, also um eine relative D-Bewegung, wghrend im Hinbliek auf die Parallelstellung als Nutl- punkt wir eine absolute D-Bewegung vor uns hgtten.

Wiirden wir die Parallelstellung der Augen als den fragliehen Nult- punkt annehmen, so mtigten wir dann auch imstande sein, absolute D-Bewegungen auf willkiirliehem Wege auszulSsen, welches Verm6gen sonst durehggngig geleugnet wird. Angenommen ngmlieh der Fall, es bestgnde eine Exophorie, wobei der ]!'usionszwang die Augen bei Blick in die Ferne parallel gestellt halt. Verdecke ieh jetzt das eine derselben, so weieht es, da der Fusionszwang aufgehoben ist, naeh auften ab. Fixiert darauf der Untersuehte einen passend gewghlten nahegelegenen Punkt oder konvergiert er einfaeh aueh ohne dies ttilfsmittei um ein gewisses Mat willkiirlieh, so vermag er die Lage der Augen so zu gndern, dab sie wieder parallel stehen. Wenn er nunmehr willktirlieh die Konvergenz wieder aufgibt, so weieht aueh das verdeckte Auge in seine divergente Ausgangsstellung zurttek, wobei es also -- immer die Parallelstellung als Nullpunkt vorausgesetzt -- willkiirlieh eine absolute D-Bewegung maehen wiirde.

grenn trotzdem die Neigung besteht, die ParMlelstellung als einen geeigneten Nullpnnkt fiir die in Frage kommende Seheidung anzusehen, so riihrt dies wohl davon her, daft x~dr gewohnt sind, hinsiehtlieh der Stellung der Angen in der P~rallelstellung den Beziehungspunkt zu sehen, naeh dem wit zwisehen C- und D-Stellnng unterseheiden. Sweehen wit beispielsweise kurzweg yon D-Stellung der Augen, so woUen wir damit stets nur die Abweiehung der Gesiehtslinien naeh au!3en yon der Pa- rMlelen zum Ausdruek bringen, denn im Vergleieh zu einer a, nderen hSheren Grades kSrmte eine solehe D-Stellung nattirlieh aueh als -- relative -- C-Stellung bezeichnet werden.

Will man also die Bewegungen nieht nut naeh einem rein guBerliehen Gesiehtspunkte seheiden, sondern aueh den ihnen zugrunde liegenden Innervationen gerecht werden, so seheint es demnaeh das Gegebene zu sein, den fraglichen Nullpunkt in die sogenannte ,,relative Ruhelage" zu verlegen. Mit diesem Worte bezeiehnet man die Lage, die die Augen einnehmen, wenn aufter den meehaniseh wirkenden anatomisehen Ver- ha'ltnissen allein der Tonus ihrer Muskeln in Wirkung ist.

Wit h~tten nunmehr die MSgliehkeit einer reinliehen Seheidung beider Arten yon C- und D-Innervationen. Wenn wit yon dem EinfluB etwaiger Seitenwendungsinnervationen absehen, so wtirden wir yon einer absoluten C-Bewegung da, nn zu spreehen haben, wenn die Interni s~rker die Externi sehwaeher Ms dem Tonus entsprieht innerviert worden sind, yon einer absoluten D-Bewegung dalm, wenn die Innervation der Ex-

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terni den Tonus iibersehreitet, die der Interni dahinter zuriiekbleibt Hingegen nut mit einer XVfinderung einer D- oder C-Innervation, Mso mit einer relativen C- oder D-Bewegung hgtten wit es in den Fi~llen zu tun, wo die vorher im Sinne einer D- oder C-Innervation kontrahierten resp. ersehlafften Augenmuskeln wieder dem mittleren Tonus zustrebem

Es zeigt sieh nun abet, dag auch diese Einteilung nieht allen Tat- saehen gereeht wird. Bei Orthophorie z. B. lggt sleh fiir die Ferne ein um mehrere Grad ablenkendes abduzierendes Prisma dutch eine absolute Fusions-D-Innervation ausgleichen. Ein, wie wir nach Hess, Unter- suchungen annehmen dtirfen, naeh Aussehlug aller Fehlerquellen gleieh starkes Prisma kann man bei Bliek auf einen nahegelegenen Punkt iiberwinden. Dort wiirde also die doch durehans gleiehgeartete Fusions- D-Innervation eine absolute sein, hier dagegen eine relative, denn hier streben j~ die vorher willkiirlieh im Sinne einer Konvergenz veri~nderten Muskeln ihrem mittleren Tonus wieder zu, geradeso ats werm willkiirlieh die C. aufgegeben worden w~tre. Und doeh ist es bei ~ugerlich gleicher Bewegung ein augenseheinlieher Unterschied, oh ieh eine willkiirlich erregte C.-Innervation willkiirlich absehw/~ehe oder ob dieser wiltkiir- lichen C.-Innervation, wiihrend sic gleiehzeitig weiter besteht, eine ihr entgegen und starker wirkende unwillkiirtiche Fusions-D-Innervation gegeniibertritt, dureh die nunmehr die Bewegung in Riehtung der Pa- rallelstelhmg erzielt wird. Wiiren in unserem Beispiel dutch das Prisma die vorher willkiirlieh convergent gestell~en Augen auch wirMich wieder in die Parallelstellung -- sic entspr~ehe bei Orthophorie ja der rela~iven guhelage -- gebracht, so befitnden sic sich trotzdem nieht in einem innervationslosen Zustande, da sic jetzt vielmehr unter dem doppelten Zwange zweier sieh entgegenwirkenden Innervagionen st~tn- den, wi~hrend nur bei willkarliehem Nachlassen der C-Innervation wir mit der Parallelstellung den innervationslosen Zustand wieder erreieht haben warden.

Ganz i~hnlieh liegen die Verhaltnisse bei einer anderen Voraussetzung. Wit wollen annehmen, es bestehe eine Esophorie yon 1 Meterwinkel. Die Fusions-D-Bewegung, dutch die bei Blick in die Ferne die Pa- rallelstellung herbeigefiihrt wird, wi~re dann, da die l~uhelage konver- gent zu dieser gelegen is~, eine absolute. Fixiere ieh jetzt einen in 1 m Abstand liegenden Punkt, so warden die Augen damit ihre Ruhelage wieder erreicht haben, die erforderliche willkiirtiehe C-Bewegung w'gre demnaeh eine relative gewesen. Dies wird man jedoeh kaum zuge- stehen wollen. Offenbar ja aueh liegt dieser willkiirliehen NaheinstelIung eine absolute Innervation zugrunde, die nieht auf eine St.ufe zu stellen ist mit derjenigen Innervationsgnderung, dureh die beispielsweise nach Verdeeken eines Auges die Augen in ihre Ausgangsstellung zuriickgefiihrt wtirden, obgleich rein i~uBerlich in beiden Fallen die C-Bewegungen

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in ihrer Beziehung zur I~uhelage sich nieht unterscheiden, vielmehr beide rel~tiv genannt werden mfil~ten.

Um diesen Widersprttchen zu entgehen, sehen wit uns also gezwungen, uns nicht wie bisher iiblieh mit dem allgemeinen-Begriff der relativen Ruhelage zu begniigen, sondern zu trennen zwischen einer Ruhelage hinsichtlich der willkiirhchen C- und D-Innervationen und einer solehen im Hinbliek muf die Fusionsinnervationen. Als Ruhelagen im ersteren Sinne wgren dann alle die Stellungen der Augen anzusehen, in denen diese -- yon Seitenbewegungen ist hier stets abgesehen -- nur dutch den allgemeinen Muskeltonus, sowie durch etwa bestehende Fusions- innervationen gehalten werden, l~uhelagen far die Fusionsinnervationen dagegen wgren mile die Augenstellungen, in denen nur der Tonus sowie eine etwa bestehende ~411kiirliche C-Innervation ira Spiele ist. Die Fusionsinnervation im ersten Fmlle, die wiltkiirliche C-Innervation im zweiten kSnnen natarlieh much = 0 sein, wodurch dann der Tonus allein- bestimmend far die t~uhelage sein wtirde.

Dm nun jede witlkt~rliehe C-Bewegung die Augen yon der dafiir gel- tenden l~uhelage fortfiihrt, also eine absolute ist, andererseits jede will- kiirliehe D-Bewegung zu eben dieser RuheIage hinffihrt, also eine relative ist, so eriibrigen sich diese BeiwSrter far die Bewegungen, die dutch willkiirliche C- oder D-Innervmtionen hervorgerufen werden, und die Scheidung zwisehen absoluter und relmtiver Bewegung hgtte demnaeh nut noch Bezug zu nehmen auf die Fusionsbewegungen. Als absolute Fusionsbewegung resp. -innervation wiirde nunmehr diejenige Bewegung resp.-Innervation zu bezeiehnen sein, die die Augen aus einer ohne Auf- wendung einer Fusionsinnervmtion erreiehten Stellung, d.h. also aus einer Fusionsruhelage, jetzt zum Zweeke der Fusion in eine dazu konvergente oder divergente Lage iiberfiihrt. Von einer relativen Fusionsbewegung resp. innervation wiirden wir dann zu sprechen haben, wenn die Augen aus einer solchen Lage dutch ,,Aussehaltung" der vorher aufgewmndten Innervation wieder in ihre Ausgangsstellung zurackgehen. L~ltt man komplizierende Versuehsbedingungen (Prismen etc.) aus dem Spiele, so gib~ es, falls es sich um Orthophorie handelt, ftir die winkiirliehe O- und D-Idmervation nur einen Nultpunkt resp. nut eine Ruhelage, dins ist die Parallelstellung. ]~esteht dmgegen Eso- oder Exophorie, so haben wir jedesmml zwei Nullpunkte oder t~uhelagen und zwar Parallelstellung ats aueh Fnsionsrnhelage far die Ferne, oder besser lguhelage des in seiner Akkommodation entspannten Auges je nachdem ob binokular fixiert wird oder nicht, denn yon beiden Punkten aus kann die willkiirliehe C-Bewegung ihren Ausgang nehmen. (Von der Tatsache, dal3 die Fu- sionsruhelage bei ihrer praktischen Bestimmung sich meist als etwas Schwankendes, Pendelndes erweis% sich also streng genommen nieht auf eine einzige Stellung der Augen festlegen l~ftt, wollen wir dabei

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absehen, da wit ja wenigstens theoretisch die Eindeutigkeit der Ruhe- lage fordern diirfen.)

Fiir die Fusions-C- und D-Im~ervationen dagegen haben wir eine ganze l~eihe yon Nullpunkten, und zwar k6nnen als solehe Mle mehr oder weniger konvergenten St.ellungen der Augen in Frage kommen, die atlein dureh wittkiirliche C-Innervation zu erreiehen sind. Was man Ifir ge- w6hnlieh kurzweg Ruhelage der Augen nennt, ware demnaeh nur einer dieser vielen Nullpunkte, n~mIieh derjenige, weleher beim Emmetropin die Fusionsruhelage fiir die Ferne angibt. Bet der gr~phischen Darstellung, dureh die man die Verh~ltnisse der relativen Akkommodations- und C-Breite, zu veransehauliehen pflegt, wiirden dann diese Punkte eine Linie bilden, die zusamraenfiele mit der sogenannten C-Linie und die wir Ms die Linie der Fusionsruhelagen bezeiohnen k6nnten. Links yon ihr Ii~ge das Gebiet der absoluten D- resp. relativen C-Bewegungen, rechts yon ihr das Gebiet der absotuten C- resp. relativen D-Bewegungen. l)er Umstand dal~ sowohl die Fusions-C-Bewegungen als aueh die Fusions-I)-Bewe- gungen absolt~t sein k6nnen, li~Bt es fibrigens aueh als Iogiseh notwendig ersoheinen, einem hypothetischen C-Zentrum ein D-Zentrum zur Seite zu sgellen -- wie es z. B. BielschowJcy vertri t t -- , w~hrend wir Ifir die Erkl~rung der willkfirliehen gegensinnigen Bewegungen mit der An- nahme eines C-Zen~rums auskommen wiirden.