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BZB März 16 Wissenschaft und Fortbildung 64 Der Verlust gesunder Zahnhartsubstanz, der Zahn- typ, das Ausmaß der Ferrule-Präparation sowie die Restaurationsart sind entscheidende Faktoren im Hinblick auf die Überlebensrate endodontisch be- handelter Zähne. Wurzelkanalstifte sind lediglich bei einem hohen Zerstörungsgrad der Zähne mit einer bestehenden Kavitätenwand oder äquigingi- valen Defekten indiziert. Bei der Auswahl des Wur- zelkanalstifts können faserverstärkte Stifte als bes- ter Kompromiss in Bezug auf die biomechanischen Eigenschaften, Ästhetik und Befestigungsoptionen einerseits und die mechanische Stabilität anderer- seits bezeichnet werden. Durch adhäsive Verfahren und die Umsetzung mechanischer Maßnahmen wie die Realisierung des „Ferrule-Designs“ soll im Rahmen der postendodontischen Versorgung eine Frakturprophylaxe erzielt werden. Dabei gilt es, die für jeden Zahn individuellen Parameter auf den Ebenen des behandelten Endodonts, der verbliebe- nen Zahnhartsubstanz sowie des Parodonts in die Therapiestrategie einzubeziehen, um eine adäquate Versorgung durchführen zu können. Für den langfristigen Behandlungserfolg endodon- tisch behandelter Zähne sind neben der suffizien- ten endodontischen Behandlung eine sofortige und bakteriendichte koronale Versiegelung des Wur- zelkanalsystems sowie die Wiederherstellung der Kaufunktion entscheidend [38]. Bei der Entschei- dung bezüglich der definitiven Versorgung wurzel- kanalbehandelter Zähne spielt der Zerstörungs- grad des betroffenen Zahns eine wesentliche Rolle [39]. Lediglich bei der Rekonstruktion tief zerstörter endodontisch behandelter Zähne, deren verblie- bene koronale Zahnhartsubstanz keine suffiziente Retention für einen adhäsiven Aufbau bietet, be- steht die Indikation für die Insertion eines Wurzel- kanalstifts. Dieser trägt nicht zur Stabilisierung der Wurzel bei [52], sondern dient der Retention des Auf- baus und der koronalen Restauration [43,44,52]. Aufgrund einer nachgewiesenen höheren Fraktur- gefahr endodontisch behandelter Zähne im Ver- gleich zu vitalen Zähnen [1], sollte der Aspekt der Frakturprophylaxe bei der Versorgung wurzelkanal- behandelter Zähne besonders berücksichtigt wer- den. Veränderte Dentineigenschaften endodon- tisch behandelter Zähne wie eine erhöhte Sprödig- keit oder Austrocknung nach dem Vitalitätsver- lust ließen sich jedoch nicht nachweisen [32,40]. So werden verschiedene Ursachen, wie der Einfluss der Wurzelfüllungstechnik der lateralen Konden- sation [41] oder die Verwendung aggressiver Spül- lösungen wie beispielsweise Natriumhypochlorit in Konzentrationen von mehr als 2,5 Prozent [25,26], für die erhöhte Frakturanfälligkeit disku- tiert. Hauptursache ist jedoch die Destabilisierung des Zahns durch koronalen und radikulären Subs- tanzverlust [35]. Wann werden Wurzelkanalstifte benötigt? Das vorrangige Ziel bei der Rekonstruktion endo- dontisch behandelter Zähne ist die Stabilisierung der verbliebenen Zahnhartsubstanz. Mit der Res- tauration des Zahns soll die Frakturresistenz erhöht und die verbliebene gesunde Zahnhartsubstanz maximal geschont werden. Wurzelkanalstifte sind nur notwendig, wenn der koronale Aufbau eine zu geringe Retentions- beziehungsweise Adhäsions- fläche im Bereich der Kavität zur Verfügung hat. Von einer Frakturprophylaxe durch den Einsatz ei- nes Stifts per se kann nicht ausgegangen werden, da weitere Zahnhartsubstanz infolge der Präpara- tion einer nicht formkongruenten Stiftbettkavität geopfert werden muss [23]. Weiterhin muss bei der Indikationsstellung zur Stiftinsertion neben dem Ausgangsdefekt auch der Verlust von Zahnhart- substanz bei der Präparation für die geplante Res- tauration einbezogen werden. Frontzähne werden vorwiegend Scherkräften aus- gesetzt, die unter physiologischem Gebrauch auf sie einwirken. Bei einem geringen oder mittleren Zer- störungsgrad der Zahnkrone bestehen hier dennoch die gleichen restaurativen Versorgungsmöglichkei- ten wie für vitale Frontzähne mit vergleichbarem Adhäsive postendodontische Restaurationen Praxisrelevante Aspekte für die Restauration endodontisch behandelter Zähne Ein Beitrag von Dr. Manja Kölpin, Dr. Olivia Wolf, Dr. Guido Sterzenbach und Priv.-Doz. Dr. Kerstin Bitter, Berlin

Adhäsive postendodontische Restaurationen · ckenkonstruktion zu überkronen beziehungsweise eine Neuversorgung der bestehenden Restaura-tion indiziert, ist mit der Präparation

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Page 1: Adhäsive postendodontische Restaurationen · ckenkonstruktion zu überkronen beziehungsweise eine Neuversorgung der bestehenden Restaura-tion indiziert, ist mit der Präparation

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Der Verlust gesunder Zahnhartsubstanz, der Zahn-typ, das Ausmaß der Ferrule-Präparation sowie dieRestaurationsart sind entscheidende Faktoren imHinblick auf die Überlebensrate endodontisch be-handelter Zähne. Wurzelkanalstifte sind lediglichbei einem hohen Zerstörungsgrad der Zähne miteiner bestehenden Kavitätenwand oder äquigingi-valen Defekten indiziert. Bei der Auswahl des Wur-zelkanalstifts können faserverstärkte Stifte als bes-ter Kompromiss in Bezug auf die biomechanischenEigenschaften, Ästhetik und Befestigungsoptioneneinerseits und die mechanische Stabilität anderer-seits bezeichnet werden. Durch adhä sive Verfahrenund die Umsetzung mechanischer Maßnahmenwie die Realisierung des „Ferrule-Designs“ soll imRahmen der postendodontischen Versorgung eineFrakturprophylaxe erzielt werden. Dabei gilt es,die für jeden Zahn individuellen Parameter auf denEbenen des behandelten Endodonts, der verbliebe-nen Zahnhartsubstanz sowie des Parodonts in dieTherapiestrategie einzubeziehen, um eine adäquateVersorgung durchführen zu können.

Für den langfristigen Behandlungserfolg endodon-tisch behandelter Zähne sind neben der suffizien-ten endodontischen Behandlung eine sofortige undbakteriendichte koronale Versiegelung des Wur-zelkanalsystems sowie die Wiederherstellung derKaufunktion entscheidend [38]. Bei der Entschei-dung bezüglich der definitiven Versorgung wurzel-kanalbehandelter Zähne spielt der Zerstörungs-grad des betroffenen Zahns eine wesentliche Rolle[39]. Lediglich bei der Rekonstruktion tief zerstörterendodontisch behandelter Zähne, deren verblie-bene koronale Zahnhartsubstanz keine suffizienteRetention für einen adhäsiven Aufbau bietet, be-steht die Indikation für die Insertion eines Wurzel-kanalstifts. Dieser trägt nicht zur Stabilisierung derWurzel bei [52], sondern dient der Retention des Auf-baus und der koronalen Restauration [43,44,52].Aufgrund einer nachgewiesenen höheren Fraktur-gefahr endodontisch behandelter Zähne im Ver-

gleich zu vitalen Zähnen [1], sollte der Aspekt derFrakturprophylaxe bei der Versorgung wurzelkanal-behandelter Zähne besonders berücksichtigt wer-den. Veränderte Dentineigenschaften endodon-tisch behandelter Zähne wie eine erhöhte Sprödig-keit oder Austrocknung nach dem Vitalitätsver-lust ließen sich jedoch nicht nachweisen [32,40].So werden verschiedene Ursachen, wie der Einflussder Wurzelfüllungstechnik der lateralen Konden-sation [41] oder die Verwendung aggressiver Spül-lösungen wie beispielsweise Natriumhypochloritin Konzentrationen von mehr als 2,5 Prozent[25,26], für die erhöhte Frakturanfälligkeit disku-tiert. Hauptursache ist jedoch die Destabilisierungdes Zahns durch koronalen und radikulären Subs-tanzverlust [35].

Wann werden Wurzelkanalstifte benötigt?Das vorrangige Ziel bei der Rekonstruktion endo-dontisch behandelter Zähne ist die Stabilisierungder verbliebenen Zahnhartsubstanz. Mit der Res-tauration des Zahns soll die Frakturresistenz erhöhtund die verbliebene gesunde Zahnhartsubstanzmaximal geschont werden. Wurzelkanalstifte sindnur notwendig, wenn der koronale Aufbau eine zugeringe Retentions- beziehungsweise Adhäsions-fläche im Bereich der Kavität zur Verfügung hat.Von einer Frakturprophylaxe durch den Einsatz ei-nes Stifts per se kann nicht ausgegangen werden,da weitere Zahnhartsubstanz infolge der Präpara-tion einer nicht formkongruenten Stiftbettkavitätgeopfert werden muss [23]. Weiterhin muss bei derIndikationsstellung zur Stiftinsertion neben demAusgangsdefekt auch der Verlust von Zahnhart-substanz bei der Präparation für die geplante Res-tauration einbezogen werden. Frontzähne werden vorwiegend Scherkräften aus-gesetzt, die unter physiologischem Gebrauch auf sieeinwirken. Bei einem geringen oder mittleren Zer-störungsgrad der Zahnkrone bestehen hier dennochdie gleichen restaurativen Versorgungsmöglichkei-ten wie für vitale Frontzähne mit vergleichbarem

Adhäsive postendodontischeRestaurationenPraxisrelevante Aspekte für die Restauration endodontisch behandelter Zähne

Ein Bei t rag von Dr. Manja Kölpin, Dr. Ol iv ia Wol f , Dr. Guido Sterzenbach und Pr iv. -Doz. Dr. Kerst in B i t ter, Ber l in

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Destruktionsgrad und schließen direkte Komposit-versorgungen sowie indirekte Keramikrestauratio-nen mit ein. Bei großem Substanzverlust, das heißt,dem Erhalt einer verbliebenen Kavitätenwand oderäquigingivalen Defekten, sind im Frontzahnbereichaufgrund der erwähnten Belastungskomponentehäufiger Wurzelkanalstifte indiziert als im Seiten-zahnbereich. Dies begründet sich auch damit, dassdie Kavität nur eine reduzierte Adhäsivfläche fürden plastischen Aufbau bietet. Darüber hinaus wirdim Frontzahnbereich aus ästhetischen Gesichts-punkten häufiger eine Überkronung durchgeführtals im Seitenzahnbereich, was mit einem zusätz-lichen Substanzabtrag verbunden ist. Eine Kavitätenwand wird dann als fehlend gewer-tet, wenn sie eine Reststärke von weniger als 1 mmaufweist, da so keine mechanische Stabilisierungmehr von ihr ausgehen wird [30]. Die Überlebens-raten endodontisch behandelter Zähne konnten beieiner verbliebenen Restzahnhartsubstanz von zwei[16] oder weniger Kavitätenwänden [8] durch eineStiftinsertion signifikant erhöht werden. In diesemZusammenhang ist bei der Präparation zu beach-ten, dass eine 1,5 bis 2 mm hohe Dentinmanschette(Ferrule) sichergestellt wird, da dies einen maßgeb-lichen Effekt auf die Prognose der Zähne sowie dieFrakturresistenz ausübt [29,30]. Kann dies aufgrundeiner tiefen zervikalen Ausdehnung des Defektsnicht sichergestellt werden, so bieten die Verfahrender chirurgischen Kronenverlängerung oder derorthodontischen Extrusion Möglichkeiten für dieGestaltung eines adäquaten Ferrule-Designs unterBerücksichtigung der biologischen Breite [18].Bei Prämolaren mit geringem Substanzverlust – ein-oder zweiflächigen Kavitäten – ist die Restaurationmit einer intrakoronalen Versorgung durch Kom-

posit oder Keramik ohne zusätzlichen Einsatz einesWurzel kanalstifts möglich [22]. HöckerfassendeRestaurationen haben sich bei ausgedehnten mod-Kavitäten hinsichtlich einer adäquaten Fraktur-prophylaxe bewährt [5]. Hier kommen heute ausästhetischen Gründen vermehrt keramische Teil-kronen zum Einsatz. Bei der Versorgung mit Kro-nen muss ein nicht unerheblicher Substanzabtragder gegebenenfalls primär noch vorhandenen buk-kalen und lingualen Wände in Kauf genommenwerden. In diesen Fällen kann ein Wurzelstift dasMisserfolgsrisiko deutlich reduzieren [15]. Ist einPrämolar aufgrund der stark reduzierten korona-len Zahnhartsubstanz oder als Pfeiler für eine Brü-ckenkonstruktion zu überkronen beziehungsweiseeine Neuversorgung der bestehenden Restaura-tion indiziert, ist mit der Präparation ein Ferrule-Design herzustellen.

Fall 1: Revision eines bestehenden Stift-Stumpf-Aufbaus am PrämolarenIm dargestellten Fall in der Abbildung 1a bis e warder Zahn bereits mit einem Stift und einer Kroneversorgt. Die bestehende symptomatische chroni-sche Parodontitis apicalis bedurfte einer Therapie.Das Röntgenbild (Abb. 1a) zeigt die Ausgangssitua-tion, eine 25 Jahre alte Wurzelkanalfüllung undeine Stiftkrone mit periapikaler Aufhellung. DerErfolg einer Therapie durch eine Revisionsbehand-lung wird in der Literatur mit 80 Prozent angege-ben [31]. Eine alternativ mögliche Wurzelspitzen-resektion kann generell zu einer Kompromittierungdes Kronen-Wurzel-Verhältnisses führen, wobeiauch der Zahnhartsubstanzverlust, der durch eineStiftentfernung im Rahmen einer orthograden Re-visionstherapie auftreten kann, sorgfältig abgewo-

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Abb.1a: Ausgangssituation mit Wurzel füllung, Stiftkrone und peri-apikaler Aufhellung

Abb. 1b: Röntgenmessaufnahme nach Revision der alten Wurzel-füllung mit elektrometrisch ermittelter neuer Arbeitslänge

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gen werden sollte. Bei der Entfernung eines Stiftssollte das koronale Freipräparieren stets mit feinenUltraschallspitzen erfolgen und dabei das koronaleWurzeldentin bestmöglich erhalten werden. Um einegute Desinfektion zu gewährleisten, müssen beste-hende Wurzelfüllungen restlos entfernt werden. Da-bei sollte jedoch das vorhandene Kanallumen beiausreichender Initialpräparation im Kanaldurch-messer nicht unnötig erweitert werden, denn mitzunehmender Kanal erweiterung steigt das Risikoeiner Wurzelfraktur [50]. Ein zur Aufbereitung des Wurzelkanals ausgewähl-ter Glasfaserstift ohne eine weitere Stiftbettpräpa-ration (Abb.1c) schont das Wurzeldentin. Die me-chanische Schwächung, die eine Zahnwurzel durcheine Wurzelkanalpräparation erfährt, kann nichtdurch eine Stift insertion kompensiert werden. Imdargestellten Fall wurde der Glasfaserstift ohneerweiternde Stiftbettpräparation in die palatinaleWurzel inseriert (Abb.1c). Bei der Stumpfpräpara-tion zur Neuversorgung mit einer Einzelkrone wurdedas Ferrule-Design beachtet (Abb. 1d und e).

Fall 2: Postendodontische Versorgung einesMolaren mit einer EinzelkroneMolaren sind überwiegend vertikalen Kraftkom-ponenten ausgesetzt. Dies verdeutlicht, dass dieStabilisierung der Höcker eine große Bedeutungfür den Langzeiterfolg endodontisch behandelterMolaren hat. Direkte Kompositrestaurationen kön-nen nur für rein okklusale oder Klasse II-Defektemit einer entsprechenden Restdentinwandstärkeempfohlen werden. Adhäsive Restaurationen inForm von Teilkronen mit entsprechender Höcker-fassung oder auch die Versorgung mit Goldteilkro-nen sind bereits bei Klasse III-Defekten indiziert.Auch bei der Indikation für eine (Voll-)Krone ist beiausreichend vorhandener Restzahnhartsubstanzkeine Stiftinsertion notwendig. Dies wird im dargestellten Fall der Versorgung destief kariös zerstörten Zahns 37 deutlich (Abb. 2abis j). Im Rahmen der Kariesexkavation kam es zurPulpaeröffnung und die endodontische Behandlungwurde eingeleitet. Nach Kariesexkavation zeigtesich im mesialen Bereich ein ausgeprägter zervika-ler Defekt, der einen Abstand vom Rand der Auf-baufüllung zum krestalen Knochen von maximal0,5 mm aufwies und für die definitive Versorgungdes Zahns eine chirurgische Kronenverlängerungzur Wiederherstellung der biologischen Breite erfor-derte (Abb. 2d). Der in diesem Fall versorgte Zahnwurde für die Aufnahme eines Langzeitprovisoriumszur Reevaluation der Heilung nach chirurgischerKronenverlängerung präpariert. Für die Herstellungdes Langzeitprovisoriums für den Zahn 37 wurdeintraoperativ eine optische Abformung (3ShapeTrios POD) genommen. Die Fertigung erfolgte imCAD/CAM-Prozess aus einem Hochleistungspoly-mer auf der Basis eines PMMA-Kunststoffs. Weiter-hin besteht prothetischer Behandlungsbedarf für

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Abb. 1c: Neue Wurzelfüllung (Guttapercha) und Glasfaserstift-setzung in palatinaler Wurzel

Abb. 1d: Präparation des Zahns unter Berücksichtigung des Ferrule-Designs

Abb. 1e: Die Aufsicht des präparierten Zahns zeigt die zirkum -ferente Dentinmanschette.

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den Zahn 36, dessen bestehende Krone okklusalperforiert ist und infolge von Sekundärkaries er-neuert werden muss (Abb. 2b). Nach der Abhei-lungsphase der kronenverlängernden Maßnahmesollen die Zähne 36 und 37 definitiv mit Einzelkro-nen versorgt werden. Die Verwendung von Wurzel-kanalstiften ist nur bei tief zerstörten Molaren in-diziert, bei denen die Retention für den koronalenAufbau erhöht werden und anschließend eine Kro-nenversorgung mit einer entsprechenden Berück-sichtigung des Ferrules erfolgen muss. Im vorlie-genden Fall konnte daher auf die Insertion einesWurzelstifts verzichtet werden.Insgesamt sind die Faktoren Erhalt von Zahnhart-substanz, Gewährleistung eines Ferrule-Designsund die adhäsive Befestigung des Wurzelkanalstiftsentscheidend für den Langzeiterfolg postendodon-tischer Rekonstruktionen [17].

Welche Wurzelstifte stehen zur Verfügung?Besteht die Indikation zur Wurzelstiftinsertion, ste-hen heute zunehmend passive, konfektionierte Wur-

zelkanalstifte aus Metall (Titan) oder aus nicht-metallischen Materialien zur Verfügung. Dabeikann es sich um faserverstärkte Wurzelkanalstiftemit einer Epoxidharz- oder Kompositmatrix und ein-gelagerten Glas- oder Quarzfasern handeln sowieum Stifte aus Zirkon oxid-Keramik. Für letztere be-steht derzeit nur eine limitierte Anzahl von Publi-kationen klinischer Langzeitdaten und die Ergeb-nisse von In-vitro-Daten führen zu unterschiedlichenEmpfehlungen [3,13,28,42]. Bei der Verwendung von metallischen Wurzelstiftenmit einem höheren E-Modul (Titan circa 117 GPa)wird angenommen, dass es zur Spannungsübertra-gung an das Dentin mit einem geringeren E-Mo-dul (20 bis 25 GPa) [21] kommt. Hieraus könnenWurzelfrakturen resultieren. Die dentinähnlichenEigenschaften des Faserstifts sowie eines Bis-GMA-basierten Befestigungskomposits hinsichtlich desE-Moduls sollen das Risiko für Wurzelfrakturen re-duzieren. Begründet wird dies durch eine möglichepositive Beeinflussung des biomimetischen Verhal-tens dieser Stifte auf die Spannungsverteilung im

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Abb. 2a: Ausgangsbild des Zahns 37. Der Zahn ist nach der Entfer-nung eines Gold-Inlays provisorisch mit einer insuffizienten Füllungaus Glasionomerzement versorgt, die sich in der mesialen Translu-zenz zervikal des Füllungsrands im Röntgenbild zeigt.

Abb. 2b: Dargestellt ist ein dreiflächiger Defekt infolge von Sekun-därkaries. Aufgrund der zentralen Ausdehnung der Karies kommtes zur Eröffnung der Pulpa. Eine endodontische Therapie wird ein-geleitet.

Abb. 2c: Adhäsive Aufbaufüllung nach Wurzelfüllung Abb. 2d: Kontrollbild nach Wurzelfüllung und adhäsivem koronalenVerschluss. Die Defektausdehnung mesial verläuft epikrestal und lässteine Versorgung aufgrund des Unterschreitens der biologischenBreite nicht zu. Im Rahmen der präprothetischen Therapie ist einechirurgische Kronenverlängerung indiziert.

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Wurzeldentin bei Kaubelastung [14,47]. Faserver-stärkte Wurzelkanalstifte zeigten in Finite-Ele-ment-Analysen im Vergleich zu metallischen Stif-ten eine vierfach reduzierte Zug- und Scherspan-nung im Bereich der Grenzschicht zwischen Stiftund Befestigungsmaterial. Dies erhöht das Risikovon Stiftdezementierungen und Mikrospaltentwick-lungen auch bei adhäsiv befestigten Metallstiftendeutlich [36].Der Einfluss des Stiftmaterials auf die Überlebens-raten post endodontischer Restaurationen in vivokann aktuell nicht auf Basis systematischer Über-

sichtsarbeiten zufriedenstellend beantwortet wer-den [12,48]. Daten einer randomisierten kontrol-lierten klinischen Studie über den Einfluss des Stift-materials (glasfaserverstärkte Wurzelkanalstifteoder Titanstifte) auf die Überlebensraten endodon-tisch behandelter Zähne zeigen nach sieben Jahrenin beiden Gruppen eine Überlebens rate von über90 Prozent und der Unterschied zwischen den bei-den Interventionsgruppen war nach dem angege-ben Untersuchungszeitraum nicht signifikant [45].In der Studie wurde bei der Präparation konsequentauf eine adäquate Ferrule-Präparation geachtet und

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Abb. 2e und f: Scan der intraoperativen optischen Abformung (3Shape Trios POD) zur Aufnahme eines Langzeitprovisoriums (links Ober-kiefer, rechts Unterkiefer)

Abb. 2g: Nahtlegung nach Kronenverlängerung Abb. 2h: Modell gefertigt aus dem Scan-Datensatz

Abb. 2i: Langzeitprovisorium auf dem Modell Abb. 2j: Langzeitprovisorium in situ

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in Abhängigkeit von der Ausgangssituation wurdein 13 Fällen eine chirurgische Kronenverlängerungzur Wiederherstellung der biologischen Breite vor-genommen. Somit scheint der Einfluss des Stift-materials auf die Überlebensraten und Bruchlastenpostendodontischer Restaurationen bei konsequen-ter Einhaltung einer 1,5 bis 2 mm breiten Ferrule-Präparation eher vermindert zu sein [19]. Zähnemit faserverstärkten Aufbaustiften zeigen im Sinneder Wiederversorgbarkeit günstigere Frakturmus-ter, da das Versagen oftmals im zervikalen Wurzel-bereich auf Höhe des Limbus alveolaris eintritt.

Fall 3: Postendodontische Versorgung einesMolaren mit Aufbaustift und EinzelkroneIm vorliegenden klinischen Fallbeispiel der Abbil-dungen 3a bis l wurde ein epoxidharzbasierterGlasfaserstift verwendet (Dentin Post, Komet Den-tal), da infolge des ausgedehnten Substanzverlustsdie Indikation zur Stiftinsertion gegeben war. DieFasern sind bei faserverstärkten Wurzelkanalstif-ten verantwortlich für die Frakturresistenz des Stifts,während die Kunststoffmatrix Kompressionskräf-ten entgegenwirkt. Die parallel verlaufenden Fasernkönnen entweder aus Karbon, Quarz oder Glas zu-sammengesetzt sein, die in eine Kunststoffmatrixeingebettet sind. Die Kunststoffmatrix besteht zu-meist aus Epoxidharz oder methacrylatbasiertenKompositen. Im Rahmen der adhäsiven Befestigungfaserverstärkter Wurzelkanalstifte gilt es, einen opti-malen Verbund zwischen Befestigungskomposit undWurzelkanaldentin sowie zwischen Befestigungs-komposit und Stiftoberfläche zu etablieren.Die Hauptfaktoren für den Verbund zwischen Stift -oberfläche und Befestigungskomposit sind einer-seits der chemische Verbund in Form von Kopoly-merisation oder Diffusion in die Polymerstruktur

sowie andererseits der mikromechanische Verbund,der durch die Oberflächenmorphologie der Faser-stifte beeinflusst wird [20]. Eine Modifikation derOberflächenmorphologie kann durch Sandstrah-len zur Steigerung der Rauhtiefe (50 µm Alumi-niumoxid bei 2,5 bar und 30 mm Abstand für circa5 s [2]) erreicht werden und die Retention erhöhen.Jedoch besteht hierbei die Gefahr der Oberflächen-beschädigung und Desintegration der Faserstifte,wodurch die Frakturfestigkeit verringert werdenkann. Eine Ätzung mit Flusssäure wirkt sich auf-grund des stark korrosiven Effekts an der Glasphaseebenso nachteilig auf die Integrität der Stifte aus.Auch eine Silanisierung der Stiftoberfläche zeigteteilweise widersprüchliche Ergebnisse [6,7,34,51],da ein chemischer Verbund lediglich zwischen denfunktionellen Monomeren des Silans und anorga-nischen Bestandteilen an der Stiftoberfläche (Glas-fasern und Füllkörper) zu erwarten ist. Hauptfak-tor für einen positiven Effekt der Silanisierung derStiftoberfläche ist somit eine erhöhte Benetzbarkeitder Stiftoberfläche [51]. Dies kann jedoch auch durchdie Verwendung eines Adhäsivs erreicht werden.Eine aktuelle Studie bescheinigt der Kombinationaus einer Silanisierung der Stiftoberfläche und deranschließenden Applikation eines Adhäsivs ver-besserte Haftwerte im koronalen und mittleren Be-reich der Stiftbettkavität [24]. Im vorliegenden Fallwurde der Stift mit Alkohol entfettet und anschlie-ßend zur Erhöhung der Benetzbarkeit mit Mono-bond Plus silanisiert (Abb. 3e). Die adhäsive Befestigung von Wurzelkanalstiftenstellt eine besondere Herausforderung dar, da diekorrekte Anwendung der techniksensitiven Ad-häsivtechnik in tiefen und engen Wurzelkanälenschwierig zu kontrollieren und damit als eher un-günstig einzustufen ist. Sowohl der hohe C-Faktor

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Abb. 3b: Klinische Ausgangssituation des Zahns 46

Abb. 3a: Ausgangsbild des Zahns 46. Indikationsstellung zur Revi-sion der Wurzelfüllung. Zu erkennen sind apikale Transluzenzen imBereich der mesialen und distalen Wurzelspitzen bei nicht vollständiggefüllten Wurzelkanalbereichen im unteren Wurzeldrittel.

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[46] und die schlechte Einsicht als auch verbliebeneSealer- und Guttaperchareste [33] sowie irreguläreDentinstrukturen [27] können die Ausbildung derAdhäsivschicht negativ beeinflussen. Zur adhäsiven Befestigung faserverstärkter Stift-systeme stehen selbstkonditionierende sowie Etch-and-Rinse- Systeme zur Verfügung. Selbstkonditio-nierende Systeme lassen sich noch einmal eintei-

len in selbsthaftende Befestigungskomposite undBefestigungskomposite, bei denen zuvor ein selbst-konditionierender Primer angewendet wird. Selbst-haftende Befestigungssysteme zeigten in den Ergeb-nissen von In-vitro-Untersuchungen zufriedenstel-lende Haftwerte, die zum Teil über den Werten vonSystemen lagen, die mit der Etch-and-Rinse-Technikangewendet werden [4,9,11]. Ein Erklärungsansatz

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Abb. 3c: Der Kofferdam wurde gelegt und die Kavität dargestellt.Der distale Kanal ist für die Stiftinsertion vorgesehen.

Abb. 3d: Nach der Stiftbettpräparation wird der Stift einprobiert.Im Anschluss erfolgt die Abschlussspülung mit Ethanol 99%.

Abb. 3e: Benetzung des Aufbaustifts miteinem Silan (Monobond Plus, Ivoclar Viva-dent)

Abb. 3f: Applikation des selbsthaftendenBefestigungskomposits (RelyX Unicem,3M Espe) mit einem Elongation-Tip

Abb. 3g: Initiale Lichthärtung des Befesti-gungsmaterials

Abb. 3h: Adaptierte Frasaco-Krone (Frasaco)zur Formgebung für den adhäsiven Aufbau

Abb. 3i: Aufbaufüllung gelegt und Stifteingekürzt vor der Abdeckung mit niedrigviskösem Komposit

Abb. 3j: Röntgenkontrolle der Wurzelfüllungund Stiftsetzung vor der weiteren protheti-schen Therapie

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hierfür ist die höhere Techniksensitivität von Etch-and-Rinse-Systemen bei den gegebenen ungünsti-gen Bedingungen im Wurzelkanal. Darüber hinausbelegt eine aktuelle Meta-Analyse zur adhäsivenBefestigung von Faserstiften einen positiven Effektselbsthaftender Befestigungskomposite auf die Re-tention von Wurzelkanalstiften [37].Im dargestellten Fall erhielt der endodontisch und inseiner Zahnhartsubstanz kompromittierte Zahn 46eine Revisionsbehandlung. Koronal wurde er ab-schließend mit einer metall keramischen Krone ver-sorgt. Aufgrund des erheblichen Zerstörungsgradsdes Zahns mit einer residualen bukkalen Kavitäten-wand wurde zur verbesserten Retention des Aufbausein Glasfaserstift mit dem selbsthaftenden Befesti-gungskomposit RelyX Unicem (3M Espe) befestigt.Der Aufbau wurde aus dem Komposit Luxacoredual (DMG) gefertigt. Die Umsetzung des Ferrule-Designs wurde durch eine epi- und subgingivalePräparation angestrebt. Eine chirurgische Kronen-verlängerung konnte aufgrund des Risikos einer Fur-kationsfreilegung nicht durchgeführt werden. Nach der Präparation der Stiftbettkavität mit einemgenormten Vorbohrer sowie der Einprobe des Stifts(Abb. 3d) erfolgte eine ultraschallaktivierte Spülungmit 1 % Natriumhypochlorit für eine Minute, ge-folgt von einer Zwischenspülung mit Aqua dest undeiner Abschlussspülung mit Ethanol 99 %. DieErgebnisse unserer Arbeitsgruppe deuten daraufhin, dass dieses Spülprotokoll bei der Anwendungeines selbsthaftenden Befestigungskomposits sowiebei einem Etch-and-Rinse- Adhäsivsystem zu sig-nifikanten Haftwert erhöhungen im Wurzelkanalführen kann [4].Im Anschluss erfolgte die Applikation des selbst-haftenden Befestigungskomposits RelyX Unicemmithilfe eines Elongation-Tips als Einbringhilfe(Abb. 3f). Diese Applikationsmethode zeigte auch

in In-vitro-Studien eine blasenfreie Applikation desBefestigungskomposits [49]. Nach der Stiftinsertionwurde eine konfektionierte lichtdurchlässige Fra-saco-Krone mit koronaler Perforation zur Aufnahmedes Aufbaukomposits adaptiert (Abb. 3h und i).Nach der Präparation (Abb. 3k) wurde der Stift zumSchutz vor Flüssigkeitsaufnahme mit einem niedrigviskösen Komposit abgedeckt.

Fazit für die Praxis · Mit der Restauration eines endodontisch behan-delten Zahns soll die verbliebene Zahnhartsubs-tanz maximal geschont und gleichzeitig eineFrakturprophylaxe angestrebt werden.

· Bei einem hohen Zerstörungsgrad mit einer ver-bliebenen Kavitätenwand oder äquigingivalenDefekten ist die Insertion eines Aufbaustifts in-diziert.

· Die Präparation des Ferrule-Designs trägt entschei-dend zur Frakturprophylaxe bei.

· Adhäsiv befestigte, faserverstärkte Aufbaustiftevereinen biomechanische und ästhetische An-forderungen.

· Die Anwendung der Befestigungsmaterialien füradhäsiv befestigte Aufbaustifte erfordert die Ein-haltung empfohlener Protokolle. SelbsthaftendeBefestigungkomposite zeigten sowohl in vivo alsauch in vitro akzeptable Ergebnisse und könnensomit für die Stiftbefestigung empfohlen werden.

Korrespondenzadresse:Priv.-Doz. Dr. Kerstin Bitter

Abteilung für Zahnerhaltung und PräventivzahnmedizinCharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Charité – Universitätsmedizin BerlinAßmannshauser Straße 4-6, 14197 Berlin

[email protected]

Literatur bei den Verfassern

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Abb. 3k: Präparation zur Aufnahme einer metallkeramischen Krone,Ansicht von bukkal

Abb. 3l: Krone in situ nach Befestigung mit Glasionomerzement