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2) Religionswissenschaftliche Einschätzung und theologische Beurteilung

2.1. Religionswissenschaftliche Perspektiven auf Scientology11

Schon die grundlegende Frage, ob SC überhaupt als „Religion“ bzw. Religionsgemeinschaft anzusehen sei, ist oft umstritten12 – auch in juristischen Stellungnahmen.13 Nach wie vor existiert kein solides Standardwerk aus religionswissenschaftlicher Perspektive, das in kompetenter und umsichtiger Form alle hierzu relevanten Innen- und Außenperspektiven vorstellt und analysiert.14 Veröffentlichungen aus sozialpolitischen und theologisch-kirchlichen Kontexten neigen dazu, den Religionscharakter von SC zu bestreiten, während religionssozio-logische und religionswissenschaftliche Einschätzungen SC eher einen religiösen Status zubilligen, aber zu dieser Tendenz gibt es auch ge-genläufige Beispiele.15 – Untauglich und intellektuell unredlich sind die Versuche, die Verweigerung des Religions-labels mit der termino-logische Flucht in andere – stigmatisierende – Begriffe zu dramatisie-ren: weder die Begriffe „Sekte“16 oder „Magie“17 noch die Charakteri-

11 Vgl. meine SC-Überblicke in RGG4 VII (2004), 1079f und TRT5 III (2008) 1075f. 12 Vgl. die Sammlung „positiver“ religionssoziologischer und religionswissenschaft-licher Gutachten in der Publikation von Church of Scientology International (Hg), Scientology – Lehre und Ausübung einer modernen Religion. Ein Überblick aus religionswissenschaftlicher Sicht. Kopenhagen 1998; sowie „negativ“ Werner Thie-de, „Den Religionsbegriff differenziert anwenden. Warum die Einschätzung von Scientology als Religion problematisch bleibt“, in: EvTheol 60 (2000), 270–278. 13 Vgl. z.B. Arnd Diringer, Scientology. Verbotsmöglichkeiten einer verfassungs-feindlichen Bekenntnisgemeinschaft. Frankfurt am Main u.a. 2003; Raik Werner, Scientology im Spiegel des Rechts. Strukturen einer subkulturellen Ordnung zwi-schen Konformität und Konflikt mit den staatlichen Normen. München 2002. 14 Vgl. jetzt seit längerer Zeit erstmals James R. Lewis, Scientology. Oxford 2009. – Zuvor konnte nur die ältere religionssoziologische Studie von Roy Wallis, The Road to Total Freedom. A Sociological Analysis of Scientology, London 1976, als umfas-send-seriöse (religions)wissenschaftliche Durchdringung des SC-Themas gelten. 15 (positiv) Marco Frenschkowski, „Den Religionsbegriff rein halten? Thesen und Beobachtungen zur Debatte um Scientology und anderer Neuer Religiöser Bewe-gungen“, in: EvTheol 60 (2000), 257–269; (negativ) Benjamin Beit-Hallahmi, „Sci-entology: Religion or Racket?”, in: Marburg Journal of Religion 8 (2000:1), 1–56 [http://web.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/mjr/beit.html], Stephen A. Kent, “Scientology – Is this a Religion?”, in: Marburg Journal of Religion 4 (1999:1) [http://web.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/mjr/kent.html]. 16 „Sekten“ oder „cults“ sind ebenfalls Ausprägungen von Religion; vgl. den sehr guten Überblick zu churches, sects, cults bei Lorne Dawson, Comprehending Cults. The Sociology of New Religious Movements. Oxford 22006; vgl. Endbericht, 17–22. 17 Vgl. zu der – religionswissenschaftlich längst überholten(!) – Anwendung des Magiebegriffs auf SC v.a. Friedrich-Wilhelm Haack, Scientology. Magie des 20. Jahrhunderts, München 31995, und in seinem Gefolge Werner Thiede, Scientology – Religion oder Geistesmagie? Neukirchen/Vluyn 22002.

Hg. v. Lachmann und Rothgangel, Göttingen --- erscheint 2010

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sierung als „Wirtschaftsunternehmen“/„Konzern“18

eignen sich als

selbsterklärende Leitdifferenzen gegenüber dem (zu verweigernden)

Religionsbegriff – von der unsinnigen, aber offenbar unausrottbaren

Etikettierung „Jugendsekte/-religion“ einmal ganz zu schweigen.

2.1.1 Dianetik als ‚therapeutische’ Grundlage und Scientology

In seinem Dianetik-Buch (1950)19

hat Hubbard einen (alternativ-) the-

rapeutischen Interventionsansatz vorgelegt, der im ‚Durcharbeiten’

traumatischer Erinnerungsgehalte (sog. „Engramme“) eine tiefgehen-

de Befreiung und „Heilung“ des Menschen verspricht und für das ge-

samte scientologische „Processing“ grundlegend ist. Die Leitvorstel-

lung von Hubbards Salutogenese besteht darin, während therapie-

artiger Sitzungen (sog. „Auditing“) sukzessiv alle negativen Gedächt-

nisinhalte des „reaktiven Verstandes“ (reactive mind) zu löschen, bis

der normale Verstand (analytic mind) wieder „clear“ ist: d.h., unbe-

hindert und perfekt funktionieren kann, da er nun nicht mehr – so die

Pathogenese – von heimtückischen, unbewussten Störungen aus der

reaktiven „Speicherbank“ mit ihren Traumata heimgesucht wird. Die

Skizze verdeutlicht Hubbards Interventionsmodell der Dianetik.20

Die Kritik von professioneller medizinischer und psychologischer

Seite war vernichtend: Hubbard wurden Dilletantismus, plumper Bio-

logismus

und unzulässige Simplifizierungen tiefenpsychologischer

18

Religion und dezidierte wirtschaftliche oder politische Ambitionen schließen sich empirisch nicht aus (vgl. aus neureligiösen Kontexten z.B. die Soka Gakkai). 19

L. Ron Hubbard, Dianetik – der Leitfaden für den menschlichen Verstand [Origi-naltitel 1950: Dianetics: The Modern Science of Mental Health], Kopenhagen 2007. 20

Vgl. hierzu bereits die etwas ausführlichere Darstellung in meinem Aufsatz, „‘To Get Ethics in’ – Ethik, Religion und Organisation bei Scientology“, in: Michael Utsch (Hg), Wie gefährlich ist Scientology? EZW-Texte 197, Berlin 2008, 21–58.

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Ideen vorgeworfen („Psychoanalyse für Arme“), aber auch sein tech-nizistisches Menschenbild (vgl. Hubbard: „Bei einer Ingenieurwissen-schaft wie der Dianetik können wir auf Knopfdruckbasis arbeiten“21).

Die Wende zur Religion hat Hubbard in den Jahren 1952–55 in der eigentlichen Lehre der „Scientology“22 vollzogen. Für den religiösen Charakter spricht eine mythologisch neu begründete Anthropologie, die den Menschen nicht nur, wie in der Dianetik, in Körper (body) und Verstand (mind) unterteilt, sondern ihn primär als ein „geistiges We-sen“ versteht. Dieser geistige Kern des Menschen wird „Thetan“ ge-nannt und hat die Funktion einer unsterblichen ‚Seele’, die Jahrmillio-nen früherer Leben in diesem Sektor des Universums hinter sich hat.23

Entsprechend wird das dianetische „Auditing“ entlang einer Le-bensbahn nun zu einer Art ‚Reinkarnationstherapie’ erweitert, denn nun müssen alle traumatischen Erinnerungen auf der „Gesamtzeit-spur“ (whole track) konfrontiert und aufgearbeitet werden, bis der Mensch zu einem wahrhaft befreiten sog. „Operierenden Thetan“ (OT) werden kann. Eine „unendliche Analyse“ (Freud) eröffnet sich, zu deren Umsetzung ein beitragspflichtiges Kurssystem entwickelt wurde, das in aufeinander aufbauenden Einweihungsschulungen „fä-higere“ und erfolgreichere Individuen hervorbringen soll: die „Brücke zur völligen Freiheit“.24 – Als technisches Hilfsmittel wurde das „E-Meter“ integriert, das auf der Messung des galvanischen Hautwider-

stands (GSR) basiert,25 laut SC jedoch in der Lage sein soll, die „La-dung“ und „Energie“ der gespeicherten Traumata entlang des (Ton-band- bzw. Film-artig konzipierten) Gedächtnisses zu lokalisieren.

21 L. Ron Hubbard, Dianetik 2007, 279 (vgl. bis 282). Hubbard hat die gesamte Dianetik als „Ingenieurarbeit“ konzipiert (ebd. 3), wodurch der Mensch und seine komplexe Persönlichkeit auf eine computerartige Maschine reduziert werden. 22 Vgl. v.a. L. Ron Hubbards, Scientology: Die Grundlagen des Denkens [Original 1956], zuletzt Kopenhagen 2007. – Eine spannende Station ist die Idee eines theolo-gischen Abschlusses: ders., „Why Doctor of Divinity?“ [1954], in: The Technical Bulletins of Dianetics and Scientology, Vol. II (1954–56), Kopenhagen 1976, 71–74. 23 Vgl. hierzu die Publikation L. Ron Hubbard, Haben Sie vor diesem Leben gelebt? Eine wissenschaftliche Untersuchung, eine Studie über den Tod und den Nachweis früherer Leben. [Original 1960] Kopenhagen 1987, die mit einer Vielzahl von „Er-innerungen“ – wohl eher Narrationen aufgrund gelenkter Phantasien – an frühere Leben aus der Auditing-Praxis aufwartet (einige Beispiele hieraus könnten auch gut im RU aufgegriffen werden: um die Frage zu diskutieren, weshalb solche Rückfüh-rungs-Sitzungen für Akteure attraktiv, plausibel oder eindrücklich sein könnten). 24 Vgl. die aktuelle Selbstdarstellung, Church of Scientology International (Hg), Was ist Scientology? Kopenhagen 1998 [im Internet: http://wasist.scientology.de], (Kap. 4–6), vgl. darin auch die „Gradkarte“ als Übersicht zu den Clear- und OT-Stadien. 25 Sehr gute Hinweise zu Aufbau, Funktionsweise und Geschichte des E-Meters finden sich z.B. bei www.emeter.de/html/historische_entwicklung.html.

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2.1.2 Zur Frage des religiösen Charakters von Scientology

Handelt es sich um Religion oder um Therapie? – Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da SC in einem Kontext analoger esote-risch-therapeutischer Ansätze zu verorten ist, die ähnliche ‚Mischfor-men’ zwischen therapeutischen und religiösen Elementen vertreten und sich ebenfalls ganz unterschiedlich positionieren.26 Hubbard nahm vereinzelt Impulse aus der damaligen Esoterik und tiefenpsychologi-sche Anleihen auf, integrierte das bereits vor ihm entwickelte E-Meter und synthetisierte daraus ein therapeutisches Interventionsmodell, wie es sich in ähnlicher Weise bis heute in vielen Sektoren von Esoterik- und alternativen Therapie-Milieus als erfolgreich und marktfähig er-wiesen hat. Offenbar wirkte SC auch auf die Entwicklung vieler ana-loger Ansätze zurück, die z.T. von ehemaligen Scientologen oder Mit-gliedern in Netzwerken der sog. „Freien Zone“ entwickelt wurden.27

Neben der SC-Kirche entstanden nämlich von Anbeginn an abtrünnige, eigen-ständige Gruppen und Gemeinschaften, die sich zunehmend in Netzwerken zu-sammenschlossen und in einen heftigen Streit mit der etablierten SC-Kirche um die wahre Authentizität versus illegitime Abweichung verwickelt sind: Diese „freien“ SC-VertreterInnen sehen sich als die Traditionshüter von Hubbards wahren Intentionen, wobei sie – mitunter nahezu fundamentalismusartig – der SC-Kirche Abfall und Verrat unterstellen28, u.a. mit der Verschwörungstheorie einer Unterwanderung der heutigen SC-Kirche durch übelwollende Agenten. Umgekehrt betrachtet die SC-Kirche diese abtrünnigen Alternativen als „aber-rierte“ Häretiker (sog. „Squirrels“). Auch in diesen „freien“ SC-Milieus29 wird die Frage nach dem religiösen Charakter oftmals unterschiedlich beantwortet.

Für die ‚Religionshaftigkeit’ von SC spricht also die o.a. Seelenkon-

zeption und die damit verbundene Wiedergeburtsvorstellung. Außer-dem wird Hubbard intern in vielfältiger Weise als Religionsstifter sti-lisiert, denn ein Großteil der SC-internen biographischen Narrationen entpuppt sich bei näherem Hinsehen als hagiographisierende Über-treibung (Hubbard als Universalgenie): Scientolog(inn)en erweisen sich in ihrer Meisterverehrung als „fromme“ Hubbard-Anhänger. Ein weiteres Indiz ist die massive Sakraskripuralisierung des „technologi-

26 In Deutschland wäre v.a. Thorwald Detlefsens „Reinkarnationstherapie“ zu nen-nen oder das von Ulrich Kramer vertretene „MindWalking“ (www.mindwalking.de). Beide operieren mit analogen Vorstellungen einer therapeutischen „Rückführung“ zur Heilung virulenter Störungen aus früheren Leben (z.T. mithilfe von E-Metern). 27 Vgl. www.freezone.de oder http://de.freiescientologen.de. 28 Vgl. z.B. die „International Church of Advanced Universal Enlightenment“, die sich auf ihrer Website (www.icause.net) als „Protestant Scientologists” bezeichnen und der SC-Kirche illegitime Änderungen an Hubbards „scripture“ nachsagen. 29 Hier hat sich v.a. die „Ron’s Org“ zu einem international erfolgreich agierenden Netzwerk entwickelt; vgl. http://rons-org.de, www.ronsorg.ch, http://saentolog.ru.

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schen“ Kanons, der mittlerweile auf Stahlplatten eingraviert und

atombombensicher in Titanboxen in einem unterirdischen Bunker

eingelagert wurde. Außerdem wurden seit der Gründung der „Church

of Scientology“ (1954) spezielle Übergangsriten entwickelt (Namen-

gebung, Heirat und Tod). Diese rituellen Sequenzen – aber auch die

sog. Sunday Services, bei denen v.a. Schemapredigten Hubbards ver-

lesen werden30

– spielen jedoch keine dominante Rolle. Im Vorder-

grund steht eindeutig der Vertrieb der therapieartigen Dienstleistungs-

produkte, die als Kurse oder Einzel-Auditing angeboten werden.

Damit verbinden sich häufig nachdrückliche bis harte Verkaufstaktiken, mit de-

nen Kursabsolvent(inn)en zur Abnahme weiterer Dienstleistungsprodukte ge-

drängt werden. Die Tendenz zur maximalen Einbindung der Mitglieder, die v.a.

im Blick auf den internen Mitarbeiterstab häufig berichtet wurden,31

und diese

auffälligen Versuche zur Vertriebssteigerung haben SC den negativen Ruf eines

„Psycho-Konzerns“ eingebracht, der primär und einseitig auf Gewinnmaximie-

rung abgestellt sei. Die Existenz solcher harten Verkaufstaktiken ist nicht anzu-

zweifeln, dafür existieren zu viele entsprechende Berichte, es muss jedoch davon

ausgegangen werden, dass viele Niederlassungen weniger rigide agieren. Viele

SC-Mitglieder partizipieren nämlich – entgegen den landläufigen Totalitarismus-

und Gehirnwäschetheoremen – eher ‚volkskirchlich’: also mehr oder weniger

(un)regelmäßig und freiwillig. Das bedeutet übrigens auch, dass SC bei diesen

Menschen tatsächlich ‚therapeutische Effekte’ erzielt hat – bzw., dass sie positi-

ve Kraft aus dem Auditing ziehen, sonst würden sie SC nicht treu bleiben.

Hinsichtlich der Religionsproblematik kommt erschwerend hinzu,

dass sich SC nicht mit einem einheitlichen Bild positioniert: An der

einen Front wird der Rekurs auf den (gänzlich unbestimmten) Gottes-

begriff in den Vordergrund gespielt, um z.B. besonders christentums-

kompatibel zu erscheinen, an anderer Stelle streicht man den „rationa-

len“, „wissenschaftlichen“ und auf Hubbards „Forschung“ beruhenden

Charakter von SC heraus, um aufklärungskompatibel und modern-

post-religiös zu erscheinen, während andererseits wieder die Nähe

zum exotisch-positiv attribuierten Buddhismus beschworen wird32

(Hubbard hat sich in seinem „Hymn of Asia“33

sogar als zukünftiger

Buddha stilisiert). Andererseits offenbaren manche der nicht öffentlich

zugänglichen Dokumente Hubbards einen sehr religionskritischen

30

Hierzu existiert eine eigene Agende: New Era Publications (Hg), Ursprung, geist-liches Amt, Zeremonien und Predigten der Scientology Religion, Kopenhagen 1999. 31

Vgl. Wallis, The Road to Total Freedom, 134ff; A. Grünschloß, „‘To Get Ethics in’ ...“, 50–56 (Abs. 3: „Bürokratische Ausdifferenzierung einer Supertheorie“). 32

Vgl. die Einleitung zum Handbuch für den ehrenamtlichen Geistlichen [Original-titel 1976: The Volunteer Minister’s Handbook]. Kopenhagen 1980. 33

L. Ron Hubbard, Hymn of Asia. Los Angeles: CSI Golden Era Productions & L. Ron Hubbard Library, 2000 (Textausgabe plus Musikvertonung auf Audio-CD).

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Tenor: Die religiösen Vorstellungen der Menschheit seien nur künstli-che „Implantate“ aus einer grauen Vorzeit, von denen ständig Verwir-rung ausgeht und derer man sich daher nachhaltig entledigen muss.34

Ein zunehmend freier, operierender Thetan benötigt keine Religion, geht es doch nur darum, ein „besseres Spiel zu spielen“35 – d.h.: effek-tiver, mächtiger, erfolgreicher zu sein. Diese immanenten Folgen wer-den in der Werbung regelmäßig angepriesen, Anspielungen auf eine irgendwie geartete religiöse Befreiungserfahrung sind dagegen rand-ständig – abgesehen von der Idee, dass der befreite Thetan gewisse para-normale Fähigkeiten36 zurückerlangen könne. – Hubbard formu-lierte zudem stramm exklusive Überlegenheitsansprüche: SC sei die alle Probleme der Menschheit lösende ‚Supertheorie’, die für jeden Lebensbereich den Schlüssel zum besseren „Überleben“ enthält.

Zusammenfassung. – Die Pro- und Contra-Argumente zum Religions-charakter können gut in der synoptischen Übersicht37 abgebildet wer-den (analog lässt sich das Thema auch im Unterricht sinnvoll aufgrei-fen). – Manche Vorstellungen von SC weisen durchaus religiöse Ele-mente auf, und dies immer noch bestreiten zu wollen, ist nicht sach-

34 Der berühmteste (interne) Text hierzu ist Hubbards HCO-Bulletin vom 11. Mai 1963: Titel „Routine 3 – Heaven“ (glaubwürdige Kopien zirkulieren im Internet). 35 Das ist das Ziel von SC laut Hubbard, Scientology: Grundlagen des Denkens, 107. 36 Vgl. A. Grünschloß, „Die Konstruktion des ‚para-normalen’ Menschen. Über-menschliche Fähigkeiten als Bestandteil religiöser Anthropologien“, in: Eilert Herms (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde. (VWGTh 17) Gütersloh 2001, 497–528 (vgl. hier v.a. 516–525, über die paranormalen Kräfte bei SC). 37 Vgl. zu dieser Übersicht bereits Grünschloß, „‘To Get Ethics in’ ...“, 26–30.

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haltig, sondern unglaubwürdig.38

Angesichts des therapeutischen

Grundansatzes wird man SC dennoch in erster Linie als ein alternativ-

therapeutisches Dienstleistungsunternehmen mit Produkten im Le-

benshilfebereich anzusehen haben.39

Die Dienstleistungsprodukte sind

vielseitig und nicht nur dem religiösen Sektor zuzuweisen: Mit dem

Fokus auf eine technische Handhabbarkeit – gerade auch spiritueller

Gegenstände – und auf innerweltlichen Erfolg gehört SC eher zu den

„entzauberten“, post-religiösen Bewegungen der Gegenwart. SC un-

terscheidet sich von herkömmlichen Religionen v.a. dadurch, dass die

‚religiösen’ oder ‚spirituellen’ Inhalte völlig machbar, technologisch

herstellbar und kontrollierbar erscheinen – vermittelt über ein verhal-

tenskybernetisches System, das zugleich als „religiöse Technologie“,

„angewandte Philosophie“ und „Wissenschaft“ auftritt, sich und seine

Produkte aber streng als ein „eingetragenes Warenzeichen“ schützt.

SC präsentiert sich daher sehr schillernd – wie viele der ähnlich ge-

lagerten Akteure im alternativ- und esoterisch-therapeutischen Spek-

trum. SC repräsentiert in besonderer Deutlichkeit den „entzauberten“

Pol eines breiten Esoterik- und Therapie-Spektrums, der spirituelle

Elemente, ökonomisches Marktdenken, technisches Weltbild und Re-

ligionskritik in eine post-religiöse Synthese amalgamiert. – Im Fazit

bietet Scientology im Wesentlichen ein weltanschaulich überhöhtes

Verhaltensmodifikationsprogramm40

, das an manchen Stellen unbe-

streitbar religiöse Züge trägt, allerdings ohne darin aufzugehen.

2.2. Theologische Perspektiven auf Scientology

Ich verlasse in diesem Abschnitt die rein deskriptive Haltung des Re-

ligionswissenschaftlers und trete in den methodisch anders akzentuier-

38

Auch der Fokus auf Gewinn, erhöhte „Statistiken“ und eine Produktvertriebsma-ximierung (kompetitiv zwischen den SC-Niederlassungen) ändert daran nichts. 39

Dass dabei auch religiös klingende Vorstellungen mitspielen, promoviert die Organisation nicht zur Gänze in den Religions-Status. Die Institution der „Diakonie“ steht z.B. auch einem religiösen Weltbild (der evangelischen Kirche) nahe, bietet aber als ökonomisierte Organisation weitaus mehr als nur religiöse Dienstleistungen an, und sie ist keine Religionsgemeinschaft, bei der man Mitglied werden könnte. 40

Vgl. hierzu ein bedenkenswertes „Sondervotum“ im Endbericht der Enquete-Kommission (1998), 159: „Nimmt man das Mensch-Maschine-Modell L. Ron Hub-bards ernst, wie er es in seinem Buch Dianetik ausgeführt hat [...], gehört Scientolo-gy in den postmodernen Bereich, der Technik und Naturwissenschaft als Ideologie benutzt, und nicht, wie von den Religionswissenschaftlern weltweit bis heute be-hauptet wird, in den Bereich von Religion als Glaube. Nach dem eigenen Selbstver-ständnis Hubbards sieht er sich als Psychoingenieur, der mit Ingenieurtechnik den Mensch-Computer neu programmiert und die aus perfekt funktionierenden Mensch-Computern zur Megamaschine geformte Gesellschaft sozialkybernetisch steuert.“