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aktuell Juli/August 2010 5. Jahrgang Inhalt Editorial: Neue Perspektiven 1 _______________________________________________________________________ Bericht aus den Institutionen: Euroskeptiker auf dem Vormarsch?/ Gipfel auf Gipfel/ EU-Sozialminister wollen Armut be- kämpfen/ Euro-Rettungsschirm besteht vor Bundesverfassungsgericht/ Streit um Europäischen Auswärtigen Dienst/ Ziele der belgischen EU-Ratspräsidentschaft 2-7 _______________________________________________________________________ dbb in Europa: Benra zum Europäischen Auswärtigen Dienst/ 13. Europäischer Abend: Strategie Europa-2020 und europäischer Arbeitsmarkt/ Lühmann im EBD-Vorstand wiedergewählt/ Landesbund bringt Europa nach Hessen 8-11 _______________________________________________________________________ Neues von der CESI: Neues CESI-Mitglied aus Finnland/ Sozialer Dialog: Bildungsausschuss nimmt Arbeit auf/ Europa 2020: EDUC Mitglieder fordern mehr Einsatz für Bildung/ EU-Lokführer mit neuem Vorsitz/ Mobilität im Gesundheitswesen/ Stellungnahme zur Arbeitszeitrichtlinie 12-15 _______________________________________________________________________ Bürger und Verbraucher: Mehr Verbraucherschutz und mehr 16 _______________________________________________________________________ Ausblick: Unionsrecht und öffentliches Dienstrecht Termine 17-20 _______________________________________________________________________ Einblick: Interview mit Gunther Krichbaum MdB, Vorsitzender des Europaauschusses des Deutschen Bundestags Impressum 21-23 Editorial Neue Perspektiven Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) ist im Wer- den. Kurz vor der Sommerpause einigten sich Abge- sandte des Europäischen Parlaments und die Außen- beauftragte des Rats auf wichtige Verfahrensfragen. Der EAD eröffnet der politischen Union neue Per- spektiven. Europa kann seine Rolle als Akteur im internationalen Mächtespiel stärken, die Vertretung seiner gemeinsamen Interessen in der Welt verbes- sern. Neue Perspektiven bietet der EAD auch für eine Reihe von Bundesbeamten. Denn der neue Dienst, dem rund 8.000 Mitarbeiter angehören sollen, wird sich unter anderem auch aus Angehörigen nationaler diplomatischer Dienste zusammensetzen. Um neue Perspektiven ging es auch beim 13. Europä- ischen Abend, der am 9. Juni im dbb forum stattfand. Die Europa 2020-Strategie und die Arbeitsmärkte der Zukunft waren das Thema, mit dem sich die Disku- tanten auseinandersetzten. Die Folgen der Krise für die europäische Beschäftigung werden auf absehba- re Zeit ein zentrales Thema bleiben. Während einer Fachtagung in Riga suchten Repräsentanten von CESI-Gewerkschaften nach neuen Perspektiven für ihre Mitglieder im Gesundheitssektor, einem Bereich, in dem sich der demographische Wandel in Europa spürbar auszuwirken beginnt. Neue Perspektiven haben auch die CESI-Bildungsgewerkschaften. Denn mit dem Start des 39. sektoralen sozialen Dialogs haben die Lehrerinnen und Lehrer eine europäische Sozialpartnerschaft begründet. Der öffentliche Dienst konzentriert sich nach wie vor sehr auf nationales Recht. Eine etwas andere Per- spektive bietet unser Ausblick. Denn Ulrich Wid- maier, Rechtsprofessor und ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, zeigt hier auf, in wel- chem Maß Unionsrecht und öffentliches Dienstrecht zusammenwirken. Dabei steht neben dem EU-Recht und dem europäischen Grundrechtschutz vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention im Vor- dergrund der Betrachtung. Widmaier legt dar, dass das öffentliche Dienstrecht sich zunehmend auch durch europäische Impulse fortentwickelt. Wie immer bietet unser Interview „Einblick“ in euro- päische Fragen. Wir haben es diesmal mit Gunther Krichbaum geführt, dem Vorsitzenden des Bundes- tagsausschusses für Angelegenheiten der Europäi- schen Union. Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen und eine sonnenreiche, erholsame Sommerzeit!

aktuell Juli/August 2010 - dbb...aktuell Juli/August 2010 5. Jahrgang _____ gggg die europäische Beschäftigung werden auf absehba-spürbar auszuwirken beginnt. Neue Perspektiven

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aktuell Juli/August 2010

5. Jahrgang

gggg

Inhalt

Editorial:

Neue Perspektiven 1 _______________________________________________________________________

Bericht aus den Institutionen:

Euroskeptiker auf dem Vormarsch?/ Gipfel auf Gipfel/ EU-Sozialminister wollen Armut be- kämpfen/ Euro-Rettungsschirm besteht vor Bundesverfassungsgericht/ Streit um Europäischen Auswärtigen Dienst/ Ziele der belgischen EU-Ratspräsidentschaft 2-7 _______________________________________________________________________

dbb in Europa:

Benra zum Europäischen Auswärtigen Dienst/ 13. Europäischer Abend: Strategie Europa-2020 und europäischer Arbeitsmarkt/ Lühmann im EBD-Vorstand wiedergewählt/ Landesbund bringt Europa nach Hessen 8-11 _______________________________________________________________________

Neues von der CESI:

Neues CESI-Mitglied aus Finnland/ Sozialer Dialog: Bildungsausschuss nimmt Arbeit auf/ Europa 2020: EDUC Mitglieder fordern mehr Einsatz für Bildung/ EU-Lokführer mit neuem Vorsitz/ Mobilität im Gesundheitswesen/ Stellungnahme zur Arbeitszeitrichtlinie 12-15 _______________________________________________________________________

Bürger und Verbraucher:

Mehr Verbraucherschutz und mehr 16 _______________________________________________________________________

Ausblick:

Unionsrecht und öffentliches Dienstrecht

Termine 17-20 _______________________________________________________________________

Einblick:

Interview mit Gunther Krichbaum MdB, Vorsitzender des Europaauschusses des Deutschen Bundestags

Impressum 21-23

Editorial

Neue Perspektiven

Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) ist im Wer-den. Kurz vor der Sommerpause einigten sich Abge-sandte des Europäischen Parlaments und die Außen-beauftragte des Rats auf wichtige Verfahrensfragen. Der EAD eröffnet der politischen Union neue Per-spektiven. Europa kann seine Rolle als Akteur im internationalen Mächtespiel stärken, die Vertretung seiner gemeinsamen Interessen in der Welt verbes-sern. Neue Perspektiven bietet der EAD auch für eine Reihe von Bundesbeamten. Denn der neue Dienst, dem rund 8.000 Mitarbeiter angehören sollen, wird sich unter anderem auch aus Angehörigen nationaler diplomatischer Dienste zusammensetzen.

Um neue Perspektiven ging es auch beim 13. Europä-ischen Abend, der am 9. Juni im dbb forum stattfand. Die Europa 2020-Strategie und die Arbeitsmärkte der Zukunft waren das Thema, mit dem sich die Disku-tanten auseinandersetzten. Die Folgen der Krise für die europäische Beschäftigung werden auf absehba-re Zeit ein zentrales Thema bleiben. Während einer Fachtagung in Riga suchten Repräsentanten von CESI-Gewerkschaften nach neuen Perspektiven für ihre Mitglieder im Gesundheitssektor, einem Bereich, in dem sich der demographische Wandel in Europa spürbar auszuwirken beginnt. Neue Perspektiven haben auch die CESI-Bildungsgewerkschaften. Denn mit dem Start des 39. sektoralen sozialen Dialogs haben die Lehrerinnen und Lehrer eine europäische Sozialpartnerschaft begründet.

Der öffentliche Dienst konzentriert sich nach wie vor sehr auf nationales Recht. Eine etwas andere Per-spektive bietet unser Ausblick. Denn Ulrich Wid-maier, Rechtsprofessor und ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, zeigt hier auf, in wel-chem Maß Unionsrecht und öffentliches Dienstrecht zusammenwirken. Dabei steht neben dem EU-Recht und dem europäischen Grundrechtschutz vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention im Vor-dergrund der Betrachtung. Widmaier legt dar, dass das öffentliche Dienstrecht sich zunehmend auch durch europäische Impulse fortentwickelt.

Wie immer bietet unser Interview „Einblick“ in euro-päische Fragen. Wir haben es diesmal mit Gunther Krichbaum geführt, dem Vorsitzenden des Bundes-tagsausschusses für Angelegenheiten der Europäi-schen Union.

Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen und eine sonnenreiche, erholsame Sommerzeit!

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Euroskeptiker auf dem Vormarsch?

Die Zuwächse für radikale Parteien bei den Euro-pawahlen in 2009 hatten bereits europaweit Sorge ausgelöst. Auch in nationalen Wahlen scheint sich der Trend zur Stärkung der Ränder fortzusetzen. Im April feierte die rechtsextreme Jobbik in Ungarn unerwartet große Erfolge. Nun stürzen Nationalisten und Separatisten die Nie-derlande und Belgien ins politische Chaos. Ein Lichtblick sind aber Tschechien und die Slowakei, wo die radikalen Kräfte keine vergleichbaren Zugewinne erzielen konnten.

In den Niederlanden hat sich der politische Auf-stieg des Islamkritikers Geert Wilders weiter fort-gesetzt. Bereits in der Kommunalwahl im März war Wilders „Freiheitspartei“ in Den Haag zweit-stärkste Kraft geworden. Die Ergebnisse der nie-derländischen Parlamentswahl im Juni setzten den Trend fort. Zwar landete Wilders „Freiheits-partei“ noch hinter Liberalen und Sozialdemokra-ten auf dem dritten Platz, allerdings mit dem stärksten Zuwachs an Stimmen. Eine Regierungs-bildung ohne den Rechtspopulisten scheint nur dann möglich, wenn es zu einer Vier-Parteien-Koalition aus linken und liberal-konservativen Kräften kommt. Geert Wilders ist offen islam-feindlich. Der Populist, dessen Partei mit ihm selbst nur ein einziges voll stimmberechtigtes Mitglied hat, will die Niederlande gegen äußere Einflüsse abschirmen. Die Hetzpartei des Dema-gogen tritt für einen Austritt der Niederlande aus der EU ein. Bei den EU-Wahlen im vergangenen Jahr hatte die „Freiheitspartei“ in den Niederlan-den als zweitstärkste Kraft abgeschnitten.

Die inneren Spannungen in Belgien, die bereits zu den vorgezogenen Parlamentswahlen geführt hatten, schlugen sich Anfang Juni auch im Wahl-ergebnis nieder. Die „Neue Flämische Allianz“ (N-VA) des Separatisten Bart de Wever bekam im flämischen Teil des Landes die meisten Stimmen. Sie tritt für eine Trennung der beiden großen Landesteile Flandern und Wallonie ein. Da die Mehrheitsverhältnisse in dem kulturell gespalte-nen Land, wie fast immer nach Wahlen, unklar sind, scheint eine weitere Entfremdung der Lan-desteile sehr wahrscheinlich. De Wevers N-VA, ohne die eine Regierungsbildung kaum möglich sein wird, gibt sich allerdings anders als der rechtsradikale Vlaams Belang nicht offen frem-denfeindlich und nicht einmal antieuropäisch. Vielmehr soll der belgische Staat zugunsten der Regionen, so der Wunsch dieser flämischen Sepa-ratistenpartei, in der EU überflüssig werden. Be-

obachter gehen allerdings davon aus, dass de Wever Kreide gefressen hat und lediglich den gemäßigten Europäer mimt, weil er auf koaliti-onswillige Partner angewiesen ist.

Bereits im April hatte die Wahl in Ungarn ein poli-tisches Erdbeben ausgelöst, als der rechts-konservative „Bund Junger Demokraten“ (Fidesz) unter dem zu rechtspopulistischen Äußerungen neigenden Ex-Premierminister Viktor Orban - nicht zuletzt mit euroskeptischen Parolen - mit fast 53 Prozent der Stimmen die Wahl gewann. Zusätzlich zog die rechtsextreme Jobbik mit fast 17 Prozent in das Parlament ein. Die europakriti-sche Stimmung nimmt seitdem deutlich zu.

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Wenn es Nacht wird in Europa… © sashpictures - Fotolia.com

Immerhin hatten die Wahlen in Tschechien und in der Slowakei keine Stärkung euroskeptischer Kräfte zur Folge. Zwar verloren auch in Tschechien die gemäßigten Sozialdemokraten und die konserva-tiv-liberalen Bürgerdemokraten erheblich an Stimmen, doch wurden die Ränder kaum gestärkt. Stattdessen erreichte die Parteineugründung des ehemaligen tschechischen Außenministers Karel Schwarzenberg auf Anhieb rund 17 Prozent. Schwarzenberg genießt in Europa und in Tschechi-en hohes Ansehen und steht für einen pro-europäischen Kurs. Seine Partei wird der neuen Mitte-rechts Koalition aller Voraussicht nach ange-hören. Somit könnte Schwarzenberg auch in das Amt des Außenministers zurückkehren. In der Slo-wakei konnte eine konservativ-liberale Mehrheit unter Führung der Soziologieprofessorin Iveta Ra-dicova die Schmuddelkoalition des linkspopulisti-schen Premierministers Robert Fico ablösen. Ficos Sozialdemokraten hatten mit zwei nationalisti-schen, skandalumwitterten Parteien regiert. Ärger droht Europa aber auch mit der neuen Regierung in Bratislava. Denn diese das 750-MilliardenHilfspaket für Griechenland nicht mittragen zu wollen.

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Der nächste Test für Europa werden die Präsi-dentschaftswahlen in Polen am 5. Juli sein. Der Kandidat der regierenden Liberalen, Bronisław Komorowski, lag in der ersten Runde der Stich-wahl Mitte Juni nur knapp vor Jarosław Kaczynski. Komorowski steht für einen gemäßigten pro-europäischen Kurs und will Polen auf absehbare Zeit zum Beispiel durch den Beitritt zum Euro näher an Europa führen. Jarosław Kaczynski ver-tritt seit dem tödlichen Flugunfall seines Bruders Lech Kaczynski zwar deutlich moderatere Positio-nen, doch ist schwer zu beurteilen, ob der Schwenk hin zu europafreundlicheren Aussagen taktischem Kalkül oder einem tatsächlichen Mei-nungsumschwung geschuldet ist.

Gipfel auf Gipfel

Der Europäische Rat vom 16./17. Juni und das G20 Treffen vom 26./27. Juni zeitigten erstaunli-che Ergebnisse. Die europäischen Staats- und Regierungschefs waren uneins, ob eine Finanz-marktsteuer in Europa einzuführen sei. Deutsch-land und Frankreich setzten das Thema gleich-wohl und auf Wunsch des Europäischen Rats auf die Tagesordnung des G20 Treffens im kanadi-schen Toronto. Dort waren noch weniger Für-sprecher zu finden. Also erklärte die Bundes-kanzlerin, die Abgabe nun in Europa umsetzen zu wollen. Auch im Hinblick auf die richtige Wirtschaftspolitik war kein wirkliches Einver-nehmen in Toronto herzustellen. Die EU beharrt, angeführt von Deutschland, auf einem strikten Haushaltssanierungskurs, während insbesonde-re die USA vor einem „Kaputtsparen“ der wirt-schaftlichen Erholung warnen.

Der Europäische Rat konnte sich lediglich dazu durchringen, die Einführung einer Finanzmarkt-steuer beziehungsweise einer Finanztransakti-onssteuer in das Belieben der Mitgliedstaaten zu stellen. Zu groß war der Widerstand der Briten, aber auch Tschechiens und der Skandinavier gegen eine klare europäische Positionierung in dieser Frage. Gleichzeitig sprach der Europäische Rat sich dafür aus, dass die auf dem G20-Gipfel vertretenen europäischen Staaten sich dort, also auf Weltebene, für eine Finanzmarktabgabe stark machen sollten. Dort war aber kein Blu-mentopf mit dem Thema zu gewinnen. Zwar sprechen sich mittlerweile auch Washington und London für eine Bankenabgabe aus. Eine Besteu-erung der Finanzmärkte wollen sie aber nicht.

Einig waren sich die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel hingegen bezüglich der künftigen Schwerpunkte europäischer Poli-tik. Alle EU-Politiken sollen in den Dienst des Wirtschaftswachstums gestellt werden. Parallel will die EU den Kurs der Haushaltssanierung in den Mitgliedstaaten fortführen. Die Europäer wollen also sparsam aus der Krise wachsen.

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Die größere Bühne: Am Rande des G20-Gipfels in Kanada, Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit dem ständigen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy

© Consilium 2010

Diese Haltung missfällt vor allem der Regierung in Washington. Der US-amerikanische Präsident Barack Obama und seine Emissäre haben in den vergangenen Wochen wiederholt vor einem zu strengen Sparkurs gewarnt. Die USA befürchten, Europa könne die weltweite wirtschaftliche Er-holung mit einer Austeritätspolitik wie damals in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre gefähr-den. Während China und Indien, aber auch Brasi-lien in Anbetracht ihrer Wachstumsraten mit großem Selbstbewusstsein in Toronto auftraten, wirkten die einstmals führenden westlichen Industrienationen verunsichert und zerstritten. Die ehrgeizige und doch unverbindliche Kom-promissformel des ergebnisarmen G20-Gipfels lautet, bis 2013 die Haushaltsdefizite in Nord-amerika und Europa halbieren und ab 2016 Schulden zurückzahlen zu wollen. Zwar machte der kanadische Gastgeber den Sparvorschlag. Es sei aber Deutschland, so französische Diploma-ten am Rande des Gipfels, das versuche, seine Schuldenbremse in der Welt durchzusetzen. Präsident Obama wiederholte in der Schlusser-klärung sein Credo, diejenigen, die es sich leisten könnten, müssten die wirtschaftliche Erholung weiter stützen. Deutschland, so sieht es zumin-dest Washington, könne sich das leisten.

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Konkretere Folgen könnte ein Ergebnis des Brüs-seler EU-Gipfels haben. Der Dienstleistungsmarkt soll weiter dereguliert werden. Binnenmarkt-kommissar Michel Barnier soll hierzu alsbald Ideen vorlegen. Was die Stärkung des Stabilitäts-pakts und eine mögliche Vorprüfung der nationa-len Haushaltsentwürfe der EU-Mitgliedstaaten etwa durch die Kommission anbelangt, so wurde jedoch lediglich beschlossen, dass es ein verbes-sertes Verfahren geben soll. Eine EU-weite, ver-besserte Bankenregulierung soll bis Anfang 2011 umgesetzt sein. Wie genau sie aussehen soll, blieb offen. Vage blieb auch das Bekenntnis zu einer stärkeren wirtschaftspolitischen Koordinierung, die nach französischer Lesart die Eurozone, nach deutscher, weniger verbindlich, die gesamte EU betreffen soll. Derweil wurde eine Task Force un-ter Führung des ständigen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy einberufen. Diese soll sich unter anderem mit der Lohnentwicklung in den Mitgliedstaaten und den Arbeitsmarktstrukturen in Europa befassen. Die beschäftigungspolitischen Ziele der EU 2020-Strategie wie etwa eine europä-ische Beschäftigungsquote von 75 Prozent sollen zielgerichteter verfolgt werden als in der bisheri-gen Lissabon-Strategie. Allerdings ist auch hierbei offen, wie die Zielverfolgung verbindlicher wer-den kann.

Die kleinere Bühne: EU-Kommissionspräsident Barroso (rechts)

empfängt den britischen Premierminister Cameron anlässlich des EU-Gipfels in Brüssel; Cameron ist entschlossen, die Londoner City

vor einer Finanzmarktsteuer zu bewahren © Consilium 2010

Ergebnisse der Task Force sollen auf dem Europäi-schen Rat im Oktober präsentiert werden. Weitere Schlussfolgerungen, so der Terminus technicus für Beschlüsse des Europäischen Rates, betrafen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island und die Aufnahme Estlands in die Währungsunion.

EU-Sozialminister wollen Armut bekämpfen

Die für Sozialpolitik zuständigen EU-Minister, für Deutschland also die Bundesarbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen, verstän-digten sich Anfang Juni auf ein konkretes Ar-mutsziel. Der informelle Rat für Beschäftigung und Soziales tagte am 7. Juni in Luxemburg, um den zehn Tage später stattfindenden Europäi-schen Rat vorzubereiten. Nach offiziellen Erhe-bungen leben in der EU 80 Millionen Menschen in Armut. Die Sozialminister verständigten sich nun darauf, diese Zahl im Rahmen der Lissabon-Nachfolgestrategie bis 2020 um 20 Millionen zu reduzieren. Als wichtigster Indikator für Armut gilt ein Durchschnittseinkommen von weniger als 60 Prozent des nationalen Durchschnittsein-kommens.

Euro-Rettungsschirm besteht vor Bundes- verfassungsgericht

Der Rettungsschirm für den Euro wurde in Re-kordtempo durch alle Gesetzgebungsinstanzen in Deutschland geschleust. Selbst der damalige Bundespräsident Horst Köhler nahm sich bloß etwa einen Tag Zeit, das Gesetz zu prüfen. Dennoch scheiterte der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler am 9. Juni vorläufig mit einer einst-weiligen Anordnung gegen das 750-Milliarden-

st in die Wäh-

Euro-Paket.

Um die Währung in Europa zu stützen, verein-barten die Staats- und Regierungschefs am 7. Mai einen Finanzmarktstabilisierungsmecha-nismus, der den Verfall des Euro verhindern soll. Auf Deutschland könnten im Extremfall drei-stellige Milliarden-Kosten zukommen. Peter Gauweiler, der bereits erfolglos gegen den Lis-sabon-Vertrag geklagt hatte, wollte die gesetz-liche Umsetzung in Deutschland vor dem Bun-desverfassungsgericht stoppen.

Gauweiler hatte seinen Antrag damit begrün-det, dass den deutschen Bürgern ein unange-messener wirtschaftlicher Schaden drohe, wenn das Gesetz greife. Das Bundesverfas-sungsgericht begründete seine Ablehnung des Antrags damit, dass der Allgemeinheit im Falle einer einstweiligen Anordnung voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile ent-stünden, da die Stabilität der Währung auf demSpiel stehe. Der Vertrauensverlurung soll so verhindert werden.

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Dieser Schaden, so die Karlsruher Richter, wür-de den angenommenen Schaden des Klägers deutlich überwiegen. Dennoch wird sich das Gericht auch weiterhin mit dem Rettungs-schirm beschäftigen, da eine Verfassungsprü-fung noch aussteht.

Streit um Europäischen Auswärtigen Dienst - Etappensieg für das Europäische Parlament

Der US-amerikanische Außenminister Henry Kis-singer soll dereinst gelästert haben, er kenne die Telefonnummer Europas nicht. Doch inzwischen anerkennt der Elder Statesman: „Heute haben wir nicht nur eine Telefonnummer, sondern Europa ist auch besser organisiert.“ Der Lissabon-Vertrag bedeutet in der Tat einen weiteren, großen Schritt in Richtung einer politischen Union auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Denn er sieht die Einrichtung eines Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD) mit insgesamt 8.000 Mitarbeitern vor. Um dessen Gestaltung wird nun hinter den Kulissen intensiv gerungen und zuweilen auch heftig gestritten. Denn das Europäische Parla-ment befürchtet, seine Kontrollfunktion nicht ausreichend gegenüber dem EAD wahrnehmen zu können. Für das Zustandekommen des EAD be-darf es aber der Mitwirkung des Parlaments, das somit über Druckmittel gegenüber dem Rat ver-fügt. Am 21. Juni konnte eine vorläufige Einigung zwischen der EU-Chefdiplomatin Catherine Ash-

r die außenpolitischen Gelder nicht mit der Neugründung des EAD hergeben“, sagt Inge Gräßle.

ton und dem Parlament über dessen Kontroll- und Mitwirkungsrechte erzielt werden.

Die im Parlament zuständigen Abgeordneten befürchteten lange Zeit, die Mitgliedstaaten könnten den EAD einer effektiven parlamentari-schen Kontrolle entziehen. Das gilt insbesondere für die Haushaltskontrolle, das Königsrecht eines jeden Parlaments. Bis zur Einigung vom 21. Juni hatte es so ausgesehen, als könne das Kontroll-recht des Parlaments über den Haushalt des EAD jederzeit einseitig vom Rat bestritten werden. Der aus Baden-Württemberg stammenden Europa-abgeordneten Inge Gräßle hatte das „schlaflose Nächte bereitet“. Die Christdemokratin ist als Berichterstatterin im Haushaltsausschuss für die Haushaltsordnung des EAD zuständig. Der EAD, dem nach den laufenden Planungen bis zu 8.000 Mitarbeiter angehören werden, soll ein Budget von acht Milliarden Euro verwalten. Die Verwen-dung von EU-Mitteln in Drittstaaten wird in der Arbeit des EAD eine große Rolle spielen. Für Inge Gräßle wäre es ein unhaltbarer Zustand, wenn

das Geld vor Ort von den EAD-Botschaftern aus-gegeben werden könnte, ohne dass Transparenz und eine parlamentarische Kontrolle gewährleis-tet wären. Das könnte geschehen, wenn der EAD allein dem Rat unterstellt würde, den das Parla-ment weniger kontrollieren kann als die EU-Kommission. „Wir dürfen unser im Vertrag von Lissabon festgeschriebenes Kontrollrecht der EU-Kommission übe

„Kontrollrecht nicht hergeben“, Inge Gräßle

© Europäisches Parlament, 2010

Der EAD ist ein wichtiges und kompliziertes euro-papolitisches Thema, für das neben der Haus-haltspolitikerin Inge Gräßle drei weitere namhafte Abgeordnete als Hauptberichterstatter zuständig sind. Der Christdemokrat Elmar Brok, sein liberaler Kollege, der ehemalige belgische Regierungschef Guy Verhofstadt und der Sozialdemokrat Bern-

ent genauso kontrolliert werden kann wie die operativen Mittel, die bei der

hard Rapkay ziehen gemeinsam mit Inge Gräßle an einem Strang.

„Ein Auswärtiger Dienst muss dem Europäischen Parlament gegenüber in politischen und haus-haltsrechtlichen Angelegenheiten verantwortlich sein“, hatte etwa der einflussreiche Außenpoliti-ker Elmar Brok bereits im Frühjahr gefordert. In den Verhandlungen des Parlaments mit der Ho-hen Beauftragten Lady Ashton, der spanischen Ratspräsidentschaft und der Kommission, an denen Brok als EP-Verhandlungsführer teilnahm, konnte man sich nun einigen, dass das Parlament in allen Fragen umfassende Mitwirkungsrechte und Kontrollrechte bekommt. "Das bedeutet in Bezug auf die budgetären Kontrollrechte", so Brok, „dass der unabhängige Verwaltungshaushalt vom Europäischen Parlam

Kommission bleiben“.

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Laut Elmar Brok verbleiben also keine unkontrol-lierten Mittel. Der EAD und die Hohe Beauftragte sind voll dem Haushaltskontroll- und dem Entlas-tungsrecht des Parlaments unterworfen. Ein wei-terer großer Fortschritt sei, dass das Personal des EAD zu mindestens 60 Prozent aus permanenten EU-Beamten bestehen wird; damit sei die Ge-meinschaftsmethode im EAD auch personell re-flektiert, so Brok. Des Weiteren wurden dem Par-lament umfassende politische Kontrollrechte auch in Bezug auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zugesichert. Die Einigung ge-währleistet zum Beispiel, dass die Hohe Beauf-tragte gegenüber dem Parlament eine Berichts-pflicht hat. Sie werde die Parlamentarier informie-ren müssen, bevor Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik fallen, so Brok.

Der Chef-Außenpolitiker hen Parlaments

ine Arbeit aufnehmen

llte der Rat

e Außenbeauftragte in den nationalen Regierungen und deren diplomati-schen Diensten hat.

des EuropäiscElmar Brok während der Pressekonferenz am 22. Juni

© Büro Brok MdEP, 2010

Der EAD soll der vom Europäischen Rat eingesetz-ten Hohen Beauftragten für die EU-Außenpolitik Baroness Catherine Ashton of Upholland unter-stehen. Die Britin ist auch Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und im Kommissions-kollegium für die Außenpolitik zuständig. Sie trägt also als EU-Kommissarin für auswärtige Angele-genheiten und EU-Außenbeauftragte des Rats zwei Hüte. Als Kommissarin unterliegt sie der Kontrolle durch das Parlament, nicht aber als Außenbeauftragte, eine schwierige rechtliche Gemengelage, sagen Europarechtler. Die Einigung vom 21. Juni sieht nun vor, dass das Budget des EAD den gleichen Regeln unterliegen soll wie der von der Kommission zu verantwortende Haushalt. Das Parlament, so hat Catherine Ashton zugesi-chert, soll die volle Haushaltskontrolle behalten. Setzt diese informelle Zusage sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren auch im Rat durch, wird der Dienst schon 2011 se

können. Rund 130 Botschaften weltweit sollen die EU fortan repräsentieren.

Bernhard Rapkay ist als Berichterstatter des feder-führenden Rechtsausschusses für das EU-Beamtenstatut zuständig. Damit ist die Regelung der Personalausstattung des EAD berührt. Die Mitentscheidungsbefugnis des Parlaments in dieser Frage wie auch bei der Haushaltsaufstel-lung haben die Parlamentarier eingesetzt, um eine Paketlösung zu erzielen. Das Parlament ver-fügt hier über einen Hebel, um größeren Einfluss auf den EAD zu gewinnen. Denn Straßburg muss nicht nur dem Haushalt zustimmen. Es entschei-det auch mit über alle erforderlichen Änderungen am Beamtenstatut. Rapkay, der die vorläufige Einigung mit den Regierungen sehr begrüßt, fordert: „ Wir müssen erreichen, dass die Mitar-beiter des EAD unbedingt loyal zur Union stehen und nicht gegenüber den Mitgliedstaaten, aus denen sie entsandt sind.“ Dies müsse, so Rapkay, auf vernünftige Weise über das EU-Beamtenstatut geregelt werden. Die Einigung vom 21. Juni wird als ein erster Schritt bewertet, nicht mehr und nicht weniger. „Sosich nicht an die Absprachen halten, bleiben die Daumenschrauben“, so Rapkay.

Die Entscheidungen werden nach der Sommer-pause fallen, wenn das nun eingeleitete Gesetz-gebungsverfahren in die entscheidende Phase tritt. In dessen Verlauf wird sich auch zeigen, welchen Rückhalt di

„Sollte der Rat sich nicht an die Absprachen halten,

eneralsekretär Alexander

bleiben die Daumenschrauben“, Bernhard Rapkay ©Europäisches Parlament, 2010

In Deutschland zum Beispiel wird der EAD von hochrangigen Vertretern von Regierungsparteien in Frage gestellt. CSU-GDobrindt forderte die EU am 16. Juni über die Presse zum Sparen auf.

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„Als Erstes muss das geplante EU-Außenamt von Frau Ashton heruntergekürzt werden“, so Dob-rindt. Der Aufbau eines teuren Europäischen Auswärtigen Diensts passe nicht in die Zeit der Finanzkrise. Bundesaußenminister Guido Wes-terwelle zählt hingegen zu den Befürwortern des EAD, der nicht das Ende der nationalen Diplomatie bedeute, so der Außenminister am 28. April in einer europapolitischen Grundsatzrede an der Universität Bonn. „Der Europäische Auswärtige Dienst wird die Dinge maßgeblich verändern und zwar nicht irgendwann in 30 Jahren, sondern schon sehr bald.“ Der Europäische Auswärtige Dienst trete jetzt neben die nationalstaatliche Diplomatie. Die Mitgliedstaaten spielten bei der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen weiter-hin eine wichtige Rolle. „Aber wir müssen unsere Stimmen bündeln, damit wir besser gehört wer-den“, so Westerwelle.

Ziele der belgischen EU-Ratspräsidentschaft

Belgien hat wenige Stunden vor Beginn seines Ratsvorsitzes noch keine neue Regierung. Nach den Wahlen vom 13. Juni ist das Land gespaltener denn je. Der Wahlsieg der flämischen Partei N-VA des Separatisten Bart de Wever dürfte für eine schwierige Regierungsbildung sorgen. Nach dem Scheitern der zweiten Regierung Yves Letermes hat diese die Geschicke des Landes geschäftsfüh-rend geleitet. Die Übergangsregierung hat auch sichergestellt, dass das Königreich seine Ratsprä-sidentschaft vorbereitet und Ziele für seinen Vor-sitz formuliert. Das EU-Programm der Belgier wurde am 25. Juni der Öffentlichkeit präsentiert.

Es ist angesichts der belgischen Zerreißprobe kaum absehbar, ob die belgische Hauptstadt Brüs-sel in den kommenden sechs Monaten dazu in der Lage sein wird, die europäische Hauptstadt Brüssel zu präsidieren. Immerhin hat insbesondere der christdemokratische Außenminister Steven Vana-ckere für eine geräuschlose Vorbereitung der Präsidentschaft seines Landes Sorge getragen. Zudem gibt es seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags das Amt des ständigen Ratspräsidenten. Dieses wird von Herman Van Rompuy, dem Vor-gänger Letermes als Regierungschef geführt. Van Rompuy leitet als ständiger Ratspräsident die wichtigen Gipfeltreffen der Staats- und Regie-rungschefs, die Europäischen Räte. Die belgische Regierung sitzt den Fachministerräten, den Rats-formationen vor. Des Weiteren ist die Präsident-schaft in eine Triopräsidentschaft mit Spanien

und Ungarn und ein gemeinsames 18-Monatsprogramm eingebettet. Das könnte auch in politisch instabiler Lage Kontinuität sichern. Ob aber das krisengebeutelte Spanien und das poli-

ige Leterme die internationale Presse. Belgien sei zur turnusmäßigen Präsidentschaft gerüstet.

tisch nach rechts außen gerückte Ungarn dabei helfen können, wird in Brüssel bezweifelt.

Dennoch erklärte der noch amtierende Premier-minister Leterme am 26. Juni, das belgische Präsi-dentschaftsprogramm werde von allen politi-schen Kräften des Landes unterstützt. „Die politi-sche Situation bringt den Vorsitz nicht in Gefahr“, beschwicht

Katerstimm Wahlen;

rsitzes. Die EU-Kommission wird

sbau eines europäischen Asylverfahrens und der Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes.

ung nach den belgischen wer wird das Land regieren, wer den EU-Vorsitz führen?

© Maurizio Frisoli - Fotolia.com

Das belgische Programm umfasst einige zentrale Komponenten. In der Wirtschaftspolitik soll Euro-pa durch Reformen wettbewerbsfähiger werden. Die EU soll so zurück auf den Wachstumspfad gebracht werden. Gleichzeitig soll der soziale Fortschritt gefördert werden. Das Präsident-schaftsprogramm erwähnt ganz konkret die Sozi-aldienstleistungen von allgemeinem Interesse. Sollte es hier zu Initiativen kommen, könnte dies zur Ankündigung des Europäischen Rats passen, den Binnenmarkt im Bereich der Dienstleistungs-freiheit weiter modernisieren zu wollen. Auch der demographische Wandel steht auf der Tagesord-nung des Ratsvobald ein Grünbuch zur Alterssicherung in Europa veröffentlichen.

Weitere zentrale Themen sind die Vorbereitung der Weltklimakonferenz im mexikanischen Cancún, aber auch der Au

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aktuell Juli/August 2010

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Benra zum Europäischen Auswärtigen Dienst: „Wir erwarten einen angemessenen Anteil deutscher Diplomaten“

Kritik an den Vorbereitungen für den Europäi-schen Auswärtigen Dienst (EAD) kommt nicht nur aus dem Europäischen Parlament, das sich vor allem um die haushalterische Kontrolle des EAD und seine politischen Mitwirkungsrechte sorgt. Auch das Auswärtige Amt in Berlin beo-bachtet die Schaffung eines europäischen Pen-dants mit Argusaugen. Hans-Ulrich Benra, der Chef des Verbandes der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden (VBOB), möchte einer unzureichenden Berücksichtigung deutscher Diplomaten vorbeugen.

VBOB-Chef Hans-Ulrich Benra

beide Bilder VBOB 2010

„Wir begleiten den entstehenden Europäischen Auswärtigen Dienst mit großer Aufmerksam-keit“, sagt Hans-Ulrich Benra. Der EAD eröffne interessante Entwicklungsperspektiven für Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Der Vorsit-zende der Bundesbeamtengewerkschaft VBOB, die Mitglied im dbb ist, setzt sich dafür ein, dass möglichst viele Stellen in der neuen Brüsseler Behörde und ihren geplanten 130 Botschaften für deutsches Personal reserviert werden. „In der jüngeren Vergangenheit ist es uns in Deutschland nicht immer gelungen, unsere Interessen auch personalpolitisch in angemes-sener Weise in der EU zu vertreten“, beklagt Benra. Dies müsse bei der Stellenbesetzung im EAD besser werden. Benra arbeitet in dieser Frage eng mit dem Personalratsvorsitzenden des Auswärtigen Amts zusammen. Michael Schmidt-Edinger verfolgt die Verhandlungen über das Personalstatut des EU-Außenamts aufmerksam. Denn die Perspektiven der Mitar-beiter des deutschen Auswärtigen Amts für einen Einsatz im EAD werden maßgeblich durch

das Statut bestimmt. „Hier darf es nicht zu Nachteilen für unsere Leute im Auswärtigen Amt kommen“, sagt Schmidt-Edinger.

Michael Schmidt-Edinger, VBOB-Gruppenchef und

Personalratsvorsitzender im Auswärtigen Amt

Der Vertrag von Lissabon sieht die Entsendung von Beamten aus den EU-Institutionen Rat und Kommission sowie aus den diplomatischen Diens-ten der Mitgliedstaaten vor. „Wir erwarten einen angemessenen, der Bedeutung unseres Landes in der EU entsprechenden Anteil deutscher Diploma-ten im EAD“, so Benra. „Das Auswärtige Amt muss personell wie strukturell so in die Arbeit des EAD einbezogen werden, dass es zu keinen Reibungs-verlusten in der Wahrnehmung deutscher und europäischer Interessen kommt“, fordert Schmidt-Edinger.

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13. Europäischer Abend: Strategie Europa 2020 und Arbeitsmarkt

Die Europäische Kommission stellte in der im März vorgeschlagenen Strategie Europa 2020 grundsätzliche Konzepte für den europäischen Arbeitsmarkt der Zukunft vor. Auch ohne eine direkte Gesetzgebungskompetenz beeinflusst sie so die europäische Diskussion über Reformen im Arbeitsmarkt. Im Lichte der aktuellen Wirt-schaftskrise erscheinen grundlegende beschäfti-gungspolitische Entscheidungen unausweichlich. Wie kann mehr Beschäftigungssicherheit ge-währt werden? Was schützt den Arbeitsmarkt vor Krisen wie dieser? Welches sind die Pflichten der Arbeitgeber, welches die der Arbeitnehmer? Auf dem 13. Europäischen Abend von dbb, der Euro-pa-Union Deutschland und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland am 9. Juni im dbb forum Berlin diskutierten rund 200 Vertreter aus Politik und Verbänden die Zukunft des Arbeitsmarktes und in diesem Zusammen-hang die aktuellen Herausforderungen der Politik.

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Die Leiterin der politischen Abteilung der Vertre-tung der Europäischen Kommission in Deutsch-land, Barbara Steffner, wies darauf hin, dass die Schlagkraft einer europäischen Strategie maßgeb-lich von der Mitarbeit der Mitgliedstaaten abhän-ge. Ohne sie seien die gesetzten Ziele nicht zu erreichen. Dies gelte insbesondere für ein Gebiet, in dem die einzelnen Staaten häufig noch die Handlungshoheit hätten. Deshalb sei es wichtig, dass es auf nationaler Ebene zu intensiven Debat-ten komme. Nur so sei auch auf europäischer Ebene stärkerer Zusammenhalt und eine gemein-same Strategie zu erreichen.

Barbara Steffner, Europäische Kommission © alle Bilder in diesem Beitrag: Jan Brenner, dbb 2010

Auf die Rolle der Politik ging der parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ralf Brauksiepe, in seiner Rede ein. Politik sei weder allmächtig, noch ohnmächtig, sondern habe Gestaltungsmöglichkeiten, die sie auch nutzen müsse. So sei es beachtenswert,

dass der Arbeitsmarkt in Deutschland in den vergangenen Monaten einen im europäischen Vergleich untypischen Verlauf genommen ha-be: die Arbeitslosenquote ging im Vergleich zum Vorjahr sogar zurück. Dies sei umso be-merkenswerter, wenn man bedenke, dass die Krise Deutschland über den Export besonders hart getroffen habe.

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a Staatssekretär Ralf Brauksiepe MdB

Im Umkehrschluss helfe der anziehende welt-weite Handel Deutschland nun aber auch, seine Position zu stabilisieren und wieder Handels-überschüsse zu erwirtschaften. Dies schlage sich in letzter Konsequenz auch wieder positiv auf den Arbeitsmarkt nieder. Doch all dies sei nicht ohne die notwendigen arbeitsmarktpoliti-schen Reformen möglich gewesen.

Die in Medien und von der Politik geäußerte Kritik an der Lissabon-Strategie bekräftigte der Staatssekretär nochmals in seiner Rede.

Das Podium von links nach rechts Max Uebe, Axel Schäfer MdB, Waldemar Dombrowski,

Birgitt Marschall, Achim Dercks und Gabriele Molitor

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Es habe zu viele quantitative und qualitative Ziele gegeben, so sei der Überblick schnell verloren gegangen. Konkrete Ziele könnten kaum erreicht werden, wenn europäische Programme derart überfrachtet seien. Umso mehr lobte er die neue Strategie Europa 2020, so wie sie von der Europäi-schen Kommission vorgeschlagen worden ist. Offensichtlich sei aus Fehlern gelernt worden. Durch die deutlich übersichtlichere Struktur der Strategie sei es nun einfacher, nationale Ansätze zu finden und sich auf die wesentlichen Bestand-teile der Strategie zu konzentrieren.

Max Uebe stellte die Europa 2020-Strategie aus Sicht

der Europäischen Kommission vor

Wichtig war Ralf Brauksiepe deshalb auch das europäische Konzept der Subsidiarität. Nur wenn diese gelebt werde, komme es zu einer angemes-senen Beteiligung der Bürger und Europa könne insgesamt besser vermittelt werden. Deshalb sei es auch gut, dass im Lissabon-Vertrag, der letztes Jahr in Kraft trat, auf genau diese Fragen geachtet wurde. Die neue Strategie lasse sich auf der neuen Vertragsgrundlage deutlich besser verwirklichen.

Dabei stelle sich gar nicht die Frage, ob die soziale Dimension eine Rolle spielen müsse oder nicht, sondern wie diese umgesetzt werden solle. So zeigte sich der Staatssekretär überzeugt, dass auch die Arbeitsmarktpolitik ein wichtiger Aspekt sei: „Die beste Sozialpolitik sind Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt!“ Schaffe die Wirtschaft mehr Arbeitsplätze, trage das dazu bei, dass Men-schen finanziell nicht mehr vom Staat abhängig seien und für ihr eigenes Leben sorgen könnten.

Als eine besondere Herausforderung strich Ralf Brauksiepe den demographischen Wandel heraus. Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen sei besonders niedrig, auch wenn in den vergan-genen zehn Jahren ein Anstieg von 37 Prozent auf 50 Prozent erreicht worden sei. Besonders deut-lich werde das Problem bei älteren Frauen, da

diese zu 73 Prozent keiner Arbeit nachgingen. Um die Situation der Familien, und somit auch der Frauen, langfristig zu verbessern, habe die Bun-desregierung in Deutschland deshalb einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einge-führt, der auch trotz der Sparbemühungen ab dem 1. August 2013 in Kraft treten solle.

Waldemar Dombrowski bewertete die Strategie aus

der Perspektive der Praktiker

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Abschließend forderte der Staatssekretär, dass die Interessen in Europa stärker gebündelt werden und einheitliche Ideen über die Gemeinschaft entwickelt werden müssten. Dennoch dürften die Fortschritte nicht klein geredet werden. „Wenn wir über Europa klagen, klagen wir auf hohem Niveau“, so Brauksiepe.

Der europapolitische Sprecher und nordrhein-westfälische

Landesgruppenchef der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer, im Gespräch mit dem Hausherrn, dbb-Chef Peter Heesen

In der anschließend von Birgit Marschall (Rheini-sche Post) moderierten Podiumsdiskussion stand die zukünftige Ausrichtung der nationalen Ar-beitsmarktpolitik im Mittelpunkt.

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Waldemar Dombrowski, der Bundesvorsitzende der Vereinigung der Beschäftigten der Berufs- und Arbeitsmarktdienstleister (vbba), wies auf die Problematik der Arbeitslosigkeit von Älteren in der Krise hin. Für eine erfolgreiche Wiederein-gliederung in den Arbeitsmarkt seien neue Quali-fizierungsmaßnahmen erforderlich. Für Achim Dercks, den stellvertretenden Hauptgeschäfts-führer des DIHK, war der mit dem Bevölkerungs-rückgang zu erwartende Arbeitskräftemangel „das Thema der Zukunft“. Auf dem Arbeitsmarkt mache sich bereits ein Aufschwung bemerkbar, so Dercks.

Die Bundestagsabgeordnete Gabriele Molitor (FDP) wies auf die Bedeutung der Ausgaben für Bildung und Forschung hin, die trotz Sparpaket stabil bleiben würden. Dies sei im Einklang mit den beschäftigungspolitischen Zielsetzungen von „Europa 2020“ und zeige, dass man aus dem Scheitern der Lissabon-Strategie gelernt habe. Für die Europäische Kommission nahm Max Uebe an der Podiumsdiskussion teil und begrüß-te, dass Deutschland bei Bildung und Forschung nicht vor habe, zu sparen. Das Kabinettsmitglied des Kommissars für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit Andor legte Wert auf Effizi-enzprüfungen von Arbeitsmarktmaßnahmen, um eine Konsolidierung der Haushalte der Mit-gliedstaaten zu erreichen. Der Bundestagsabge-ordnete Axel Schäfer (SPD) betonte, die Förde-rung von Arbeitskräften durch lebenslanges Lernen sowie der Ausbildungsfähigkeit junger Menschen müsse Hauptaufgabe der Beschäfti-gungspolitik werden.

dbb Chef Peter Heesen, der auch Präsident der Europäischen Union der Unabhängigen Gewerk-schaften (CESI) ist, äußerte in seinem Schluss-wort die Befürchtung, dass die 2020-Strategie in den EU-Ländern kaum Wirkung entfalten könn-te, weil nationalstaatliche Interessen noch im-mer Vorrang hätten und Europäisches gerne ignoriert würde. „Ich bin besorgt. Ich halte es für skandalös immer nur über Europa zu reden und zugleich nicht bereit zu sein, an der Entstehung des neuen Europas mitzuarbeiten, in dem es auch eine fundierte Arbeitsmarktpolitik geben muss,“ so Heesen. Besonders jetzt sei es wichtig, den Reden auch Taten folgen zu lassen.

(Thomas Bemmann/Katharina Leinius)

Lühmann im EBD-Vorstand wiedergewählt

Die stellvertretende dbb Bundesvorsitzende Kirsten Lühmann ist am 21. Juni von der Mitgliedervollver-sammlung des Netzwerks der Europäischen Bewe-gung Deutschland (EBD) wieder in den Vorstand des proeuropäischen Verbändeverbandes gewählt worden. Der ehemalige baden-württembergische Wirtschaftsminister Dieter Spöri wurde im Präsi-dentenamt bestätigt. Kirsten Lühmann, die seit der letzten Bundestagswahl für die SPD im Parlament sitzt und zudem Vorsitzende des CESI-Ausschusses für Chancengleichheit ist, wurde im Juni auch in den Vorstand der EU-Frauenlobby (EWL) gewählt.

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Kirsten Lühmann MdB © dbb 2010

dbb Landesbund bringt Europa nach Hessen

Vom 28. Mai bis zum 6. Juni fand in Stadtallendorf der „Hessentag“ statt. Bereits zum vierten Mal präsentierte sich der dbb Hessen mit seinen Mit-gliedsverbänden auf dem ältesten und größten Landesfest in Deutschland. Die Messebesucher konnten sich unter anderem auch über aktuelle Europathemen und die Arbeit der Europäischen Union der Unabhängigen Gewerkschaften (CESI) informieren.

Überzeugte Europäer auf dem Hessentag, dbb Hessen-Chef Walter Spieß und seine

Vorstandskollegin Ute Wiegand-Fleischhacker © dbb Hessen, 2010

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Neues CESI-Mitglied aus Finnland

Tullivirkamiesliitto – so lautet der Name des jüngsten CESI-Mitglieds. Die finnische Gewerk-schaft, deren Name übersetzt etwa Föderation der Zollbeamten lautet, ist in Finnland Teil der Dachorganisation Pardia, die stark im öffentli-chen Sektor engagiert ist. Durch die Tullivirka-miesliitto ist die CESI nun auch in Finnland ver-treten und deckt somit insgesamt etwa 30 Län-der in Europa ab.

Logo der finnischen Zollbeamtengewerkschaft

© Pardia

Europäischer Sozialer Dialog: Bildungsausschuss nimmt Arbeit auf

Auf 15 Millionen wird die Zahl der EU-weit im Bildungswesen tätigen Beschäftigten geschätzt. Europas Erzieher, Lehrer an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen und Hochschullehrer haben nun einen eigenen sozialen Dialog auf europäischer Ebene. Der Ausschuss „Bildung“ hat am 11. Juni seine Arbeit in Brüssel aufge-nommen. Die Europäische Union der Unabhän-gigen Gewerkschaften (CESI) ist als europäischer Sozialpartner mit dabei. Für die CESI nimmt Claude Heiser als offizieller Mandatsträger an den Sitzungen des Ausschusses teil. Der Aus-schuss hat zu drei zentralen Themen Arbeits-gruppen eingerichtet. Diese sind Qualitätsziele in der Bildung, demografische Herausforderun-gen sowie Höhere Bildung und Forschung.

Claude Heiser ist Vorstandsmitglied des luxem-burgischen Beamtenbundes CGFP. Er arbeitet seit vielen Jahren im Bildungsausschuss der CESI. „Ich freue mich, die CESI nun im endlich begrün-deten sozialen Dialog repräsentieren zu dürfen“, sagte Heiser nach der ersten Sitzung. Bildungs-politik sei zwar nach wie vor in erster Linie eine nationalstaatliche Zuständigkeit. „Wir stehen

aber in Europa vor einer Reihe gemeinsamer Herausforderungen“, so Heiser. „Da lohnt es sich, nach Synergien und gemeinsamen Lösungsan-sätzen Ausschau zu halten.“

Die CESI wird in allen drei Arbeitsgruppen mit Mandatsträgern vertreten sein. Die gewählten Themen - Qualität, Demographie und Forschung - spiegeln die bildungspolitischen Schwerpunkte der Lissabon-Nachfolgestrategie; sie sind auch regelmäßiger Beratungsgegenstand des Bil-dungsausschusses der CESI (EDUC).

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Für die die CESI im sozialen Dialog: Claude Heiser © Steve Heiliger, CGFP 2010

Im europäischen Ausschuss für den sozialen Dialog in der Bildung sitzen sich die europäi-schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber des ge-samten Bildungssektors gegenüber. Die Arbeit-geberseite wird durch den europäischen Dach-verband EFEE repräsentiert; die Arbeitnehmersei-te ist pluralistisch vertreten. Die europäische Bildungsgewerkschaft ETUCE hat gemeinsam mit den Kooperationspartnern CESI und EGÖD ein Abkommen über die Zusammenarbeit im sozialen Dialog geschlossen. Die Sozialpartner können nach dem EU-Vertrag auf europäischer Ebene Vereinbarungen schließen, die über vom Rat zu erlassende Richtlinien oder nationale Ta-rifverträge und Vereinbarungen in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Insgesamt existieren inzwischen 39 sektorale soziale Dialo-ge. Kaum eine Branche ist nicht auch auf EU-Ebene sozialpartnerschaftlich repräsentiert.

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Europa 2020 beschlossen - EDUC-Mitglieder for-dern mehr Einsatz für Bildung

Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs in der Nähe von Brüssel schien wieder nur ein Thema zu kennen: die Überwindung der Krise in Griechen-land. Doch im Windschatten dieser wichtigen Entscheidungen wurde ein Programm beschlos-sen, das für die Zukunft der EU ebenso wichtig werden könnte: die Europa 2020-Strategie. Ein Kernziel dieses Zukunftspakets ist die verbesserte Bildung in der EU. Wie schon ihre Vorgängerin setzt auch die Europa 2020-Strategie ehrgeizige Vorgaben. Monique Cartigny und Berthold Geh-lert fordern einen verstärkten Einsatz für den Bildungsbereich.

Die Vorsitzende des Fachausschusses "Bildung, Ausbildung, Forschung und Jugend" (EDUC) der CESI, Monique Cartigny, bewertet die Bildungszie-le der Strategie positiv. „Die neuen Vorgaben der europäischen Strategie sind mit den entspre-chenden Anstrengungen durchaus zu erreichen“. Auch die Möglichkeit, nationale Ziele zu setzen, sei ein großer Fortschritt. Allerdings müssten die Ziele der Strategie anders als bei den Lissabon-Zielen, nun entschiedener in den einzelnen Staa-ten umgesetzt werden. „Wir können es uns nicht leisten, weitere zehn Jahre nur geringe Fortschrit-te zu sehen. Die Europa 2020-Strategie muss ein Erfolg werden, damit wir unsere Kinder angemes-sen auf die Zukunft vorbereiten.“

Monique Cartigny und Berthold Gehlert

© CESI 2010

Der Vorsitzende des Bundesverbandes für Lehre-rinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS) und EDUC-Mitglied Berthold Gehlert lobte die Grundausrichtung der Strategie. „Die Bildungszie-le der neuen Strategie gehen in die richtige Rich-tung. Europas wichtigste Ressource ist die Bil-dung!“ Für wichtig hält er, dass im Bildungsbe-

reich die Zusammenarbeit aller Beteiligten gefor-dert wird und die Attraktivität der beruflichen Aus- und Weiterbildung gesteigert werden soll. „Unser deutsches System der dualen Ausbildung hat sich trotz aller Probleme im Grundsatz be-währt. Wir erreichen sowohl im dualen System als auch in der vollzeitschulischen Berufsausbildung Ausbildungsstandards, die im internationalen Vergleich vorbildlich sind. Voneinander lernen ist das richtige Rezept für die Bildungspolitik in Euro-pa“, so Gehlert.

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Gute Bildung für einen besseren Durchblick © AVAVA - Fotolia.com

Überblick: Bildung und Europa 2020

Die Lissabon-Strategie sollte Europa zum wettbe-werbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschafts-raum der Welt machen. Nicht nur die Weltwirt-schaftskrise, auch die Überfrachtung der Strategie mit zu vielen Einzelzielen gerade im Bereich der Bildung und die mangelnde Umsetzung in den Mitgliedstaaten führten dazu, dass in den meisten Punkten nicht der erhoffte Erfolg erreicht wurde. Europa 2020 wurde nun von den Staats- und Re-gierungschefs am 17. Juni in Brüssel beschlossen und setzt auch wieder auf Bildung als einen der wichtigsten Wachstumsmotoren. Der Anteil von Schulabbrechern soll von derzeit 15 Prozent auf zehn Prozent gesenkt und der Anteil von Hoch-schulabsolventen bei 30- bis 34-Jährigen soll von derzeit 31 Prozent auf mindestens 40 Prozent erhöht werden. Dabei sollen aber auch ausdrück-lich die nationalen Besonderheiten beachtet und die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Bildung gewahrt bleiben.

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Europas Lokführer mit neuem Vorsitz

Jesus Garcia Fraile folgt Manfred Schell. Der Vor-sitzende der spanischen Lokomotivführergewerk-schaft SEMAF wurde auf dem Kongress der Auto-nomen Lokomotivführer Gewerkschaften (ALE) am 22. Mai 2010 in Barcelona mit 96,6 Prozent zum neuen Präsident der ALE gewählt. Er löste damit den bisherigen Präsidenten und Ehrenvor-sitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomo-tivführer (GDL) Manfred Schell ab, der dieses Amt seit der Gründung 1989 inne hatte. Schell ist nun Ehrenpräsident der ALE. Frailes Stellvertreter sind der GDL-Bundesvorsitzende Claus Weselsky und der Vorsitzende der polnischen Lokomotivführer-gewerkschaft ZZM Leszek Mietek.

Die neue ALE-Spitze, die Stellvertreter Leszek Mietek

und GDL-Chef Claus Weselsky umrahmen den neuen Vorsitzenden Jesus Garcia Fraile

© ALE 2010

Die ALE kämpfen für eine angemessene Bezah-lung der Lokomotivführer in Europa im grenz-überschreitenden Verkehr. Sie fordern außerdem von der Politik eine für die Eisenbahnverkehrsun-ternehmen (EVU) in Europa bindende Qualifizie-rungsverordnung für Lokomotivführer. Bisher gibt es für die Ausbildung keine Rechtsnormen. Ein-heitliche Regeln sind jedoch zwingende Voraus-setzung zur Erhaltung einer hohen Qualität im sicherheitsrelevanten Eisenbahnverkehr. Dazu gehört auch die Schaffung einer europäischen Lenkzeitenverordnung, um nicht nur die jetzigen Sozialstandards zu halten, sondern die Lokomotiv-führer vor Überlastung bei ungeregelter Fahrzeit-länge zu schützen. Es ist laut ALE dringend not-wendig, die Fahrzeit auf den Zügen vergleichbar der Lenkzeitenverordnung im Straßenverkehr gesetzlich zu normieren.

Die ALE verlangen von den Europäischen Bahn- und Infrastrukturunternehmen (CER), an den Verhandlungen in allen für die Eisenbahner rele-

vanten Angelegenheiten auf europäischer Ebene beteiligt zu werden. Dies sei zwingend erforder-lich, um Lohn- und Sozialdumping in den EVU zu unterbinden.

Die ALE sind ein gewerkschaftlicher Zusammen-schluss von 16 europäischen Lokomotivführerge-werkschaften mit rund 100.000 Mitgliedern. Sie vertreten die beruflichen, sozialen und materiel-len Interessen ihrer Mitgliedsgewerkschaften auf europäischer Ebene. (Gerda Seibert)

Mobilität im Gesundheitswesen – CESI-Tagung in Riga

Europaweit gibt es zu wenige Angestellte im Gesundheitswesen, die Grundversorgung kann nicht überall mit derselben Qualität gesichert werden. Vor allem in finanzschwachen Ländern entscheiden sich viele gut ausgebildete junge Menschen, ihre Chancen im Ausland zu suchen. Dadurch kann es zu einem akuten Mangel an qualifiziertem Personal kommen. In Riga disku-tierten vom 16. bis zum 18. Juni Vertreter der CESI mit Rednern aus ganz Europa über die kon-kreten Probleme der Gesundheitsversorgung.

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Akademie-Präsident Wilhelm Gloss, Andrejs Jirgensons, Daina

Bruvele und CESI-Generalssekretär Helmut Müllers © CESI 2010

Nach den Begrüßungsworten von Wilhelm Gloss, dem Präsidenten der Akademie Europa, und Helmut Müllers, dem Generalsekretär der CESI, erläuterte der lettische Gesundheitsminister Didzis Gavars die Lage in seinem Land. So sei es einerseits zwar schwierig, die Arbeitnehmer im Land zu halten, andererseits bemühe sich die Regierung aber in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, tragbare Lösungen zu entwi-ckeln. Der Minister wies auch auf die besonderen strukturellen Herausforderungen eines kleinen europäischen Landes hin und forderte die Ge-

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werkschaften auf, auch weiterhin zusammen mit der Politik Lösungsvorschläge und Strategien zu erarbeiten.

Lettlands Gesundheitsminister Didzis Gavars

© CESI 2010

Die Präsidentin der lettischen CESI-Mitgliedsorganisation LAADA, Daina Bruvele, kritisierte in ihrer Rede, dass durch den häufigen Wechsel im Gesundheitsministerium Lettlands die Arbeit der Gewerkschaften nicht einfacher geworden sei und es so häufig zu Reibungsverlus-ten komme. Die Fortschritte kämen zu langsam voran. Unterstützt wurde sie in diesen Aussagen von Andrejs Jirgensons, dem Präsidenten der letti-schen CESI-Gewerkschaft LVPUFDA. Beide unter-strichen, dass dieses Thema alle Mitgliedstaaten auf die ein oder andere Art und Weise beträfe und es deshalb ein wichtiges Signal an die Politik sei, dass die CESI dieser gemeinsamen Herausforde-rung eine hohe Priorität einräume.

Programmstudium

© CESI 2010

In Referaten und Diskussionsrunden konnten sich die etwa 130 europäischen Gewerkschaftsvertre-ter über die aktuelle Situation im Gesundheitssek-tor zahlreicher EU-Länder informieren und ge-meinsame Strategien zur Stabilisierung und Ver-besserung der Arbeitsbedingungen diskutieren.

So hatten einerseits Vertreter der Europäischen Kommission und von nationalen Behörden die Möglichkeit, ihre Politikansätze zu erklären. Ande-rerseits konnten aber auch Praktiker und Wissen-schaftler aus verschiedenen europäischen Län-dern ihre Erfahrungen und Schlussfolgerungen präsentieren.

In seiner Schlusserklärung wies Wilhelm Gloss darauf hin, dass etwa zehn Prozent der europäi-schen Arbeitskräfte im Gesundheitssektor be-schäftigt seien. Die berufliche Mobilität sei eine der europäischen Grundfreiheiten und könne somit auch nicht eingeschränkt werden. Vielmehr müsse verstärkt daran gearbeitet werden, eine bessere Versorgung in ganz Europa zu erreichen. Drei Ziele seien dabei besonders wichtig für die Angestellten in diesem Sektor: attraktive Beschäf-tigungsverhältnisse, mehr Ausbildungsangebote und eine leichtere Anerkennung von Diplomen. Die Leistungsstandards in Europa müssten stärker nach oben angeglichen werden.

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CESI – Vorstand verabschiedet Stellungnahme zur Arbeitszeitrichtlinie

Der Vorstand der CESI verabschiedete am 10. Juni eine Stellungnahme zur Arbeitszeitrichtlinie. Im Oktober will die EU-Kommission das Ergebnis einer Studie über die Auswirkungen der gelten-den Richtlinie sowie die angenommenen Folgen einer möglichen Neuregelung vorstellen. Schon im September soll eine zweite Phase der Konsul-tation der Sozialpartner beginnen. Mit einem neuen Rechtsetzungsverfahren ist erst für die Jahreswende oder das Frühjahr 2011 zu rechnen.

Die CESI hält eine Überarbeitung der Richtlinie für geboten und spricht sich für die verbindliche Festlegung einer wöchentlichen Höchstarbeits-zeit auf 48 Stunden aus. Die derzeit in der Richt-linie vorgesehene generelle Opt-out Möglichkeit lehnt die CESI ab. Ausnahmen von der Regelar-beitszeit sollen in jedem Fall durch die Sozial-partner und nicht individualvertraglich festge-legt werden. Dabei legt die CESI Wert darauf, dass in einer neuen Richtlinie berufsspezifische Ausnahmen zulässig bleiben, da bestimmte Be-rufe nicht mit der ausnahmslosen Festlegung der 48-Stunden-Woche zu vereinbaren sind. Bereit-schaftsdienst muss vollwertig als Arbeitszeit gewertet werden, so die CESI in ihrer Stellung-nahme.

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Telefonieren wird noch günstiger

In den vergangenen Jahren wurden die europäi-schen Verbraucher spürbar entlastet, da durch eine EU-Verordnung einheitliche Obergrenzen für die so genannten Roaming-Gebühren für das Mobiltelefonieren aus dem Ausland einge-führt worden waren. Gegen diese Regelung hatten große Mobilfunkbetreiber beim Ge-richtshof der Europäischen Union (EuGH) ge-klagt, aber nicht Recht bekommen. Zum 1. Juli werden die zulässigen Höchstgrenzen nun wie geplant für ausgehende Gespräche von heute 43 Cent auf 39 Cent und für angenommene Gespräche von 19 Cent je Minute auf 15 Cent (alle Angaben plus Mehrwertsteuer) gesenkt. Sogar eine Abschaffung der Roaming-Gebühren bis 2015 scheint nun möglich.

Verbraucherschutz nach oben offen

Ein spanisches Gericht hatte den EuGH aufge-fordert, zu klären, ob eine bestimmte Richtlinie den Verbraucherschutz nach oben beschränkt. Es sollte geklärt werden, ob es zu einer Miss-bräuchlichkeitsprüfung kommen dürfe, auch wenn die ursprüngliche Richtlinie dies nicht vorsah. Die Richter urteilten, dass mehr Schutz für Verbraucher mitnichten ausgeschlossen und ein höherer nationaler Standard in diesem Zu-sammenhang begrüßenswert sei.

Nicht geplanter Krankenhausaufenthalt – nicht geplante Kosten

Wenn ein EU-Bürger einen nicht geplanten Krankenhausaufenthalt in einem anderen Land als dem, in dem er versichert ist, antreten muss, können höhere Kosten auf ihn zukommen. Die Europäische Kommission hatte gegen eine spa-nische Regelung geklagt, die im Falle von über-raschenden Krankenhausaufenthalten im Aus-land eine Rückerstattung bloß in der Höhe des Deckungsniveaus des Krankenhausstaates ge-stattet. Dies beschränke den freien Personen-verkehr. Die Richter folgten dieser Argumenta-tion allerdings nicht. Auch zukünftig müssen Spanier dann einen Teil selber übernehmen, wenn das Deckungsniveau niedriger ist als im eigenen Staat.

Mehr Rechte in Bus und Boot

In der Bahn und bei Flugreisen ist es bereits normal, jetzt sollen auch Reisende in Bussen und Schiffen Entschädigungen bekommen, wenn ihr Verkehrsmittel länger als eine Stunde zu spät kommt. Die Regelung wurde bereits von

den Mitgliedstaaten genehmigt und fand nun auch im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments eine Mehrheit. Ausgenommen blei-ben von der Regelung Nahverkehrsangebote, da die Parlamentarier den Kommunen entspre-chende Entschädigungszahlungen nicht auf-bürden wollten.

Keine ölverschmierten Strände in Europa

Nach wie vor ist kein Ende der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko abzusehen. Unmengen von Öl sprudeln nach wie vor jeden Tag aus dem Leck in den Golf von Mexiko. Der Golfstrom, der hier entsteht, transportiert laufend warmes Wasser nach Europa. Deshalb besteht nun die Befürch-tung, dass sich das Öl zukünftig nicht nur im Golf ausbreiten könnte, sondern bis an die eu-ropäischen Strände gespült wird. Bislang sehen die meisten Forscher für diese Sorge aber kei-nen Anlass, zumal das Öl auf dem Weg nach Europa chemisch größtenteils zersetzt werden könnte. Die aktuelle Ausbreitung des Öls ist auf verschiedenen amerikanischen Internetseiten zu verfolgen.

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ERASMUS wächst und wächst und wächst

In den vergangenen knapp 25 Jahren, seit das ERASMUS-Austauschprogramm von der Europä-ischen Union gestartet wurde, erhielten über zwei Millionen junge Menschen finanzielle Un-terstützung für ein Praktikum oder einen Studi-enaufenthalt im Ausland. Für das Studienjahr 2008/2009 erhöhte sich die jährliche Zahl um beinahe zehn Prozent auf nun fast 200.000 Stipendien. An dem Programm nehmen neben den EU-Staaten auch Norwegen, Island, die Schweiz und die Türkei teil. Beliebteste Ziellän-der sind Spanien, Frankreich und Deutschland.

Erasmus verbindet Europas Jugend

© Pétrouche - Fotolia.com

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Zur Bedeutung der Europäischen Menschen-rechtskonvention für öffentlich Bedienstete

Prof. Dr. iur. Ulrich Widmaier, Richter am Bun-desverwaltungsgericht a. D.

Das öffentliche Dienstrecht entwickelt sich zunehmend auch durch europäische Impulse fort. Diese können sich aus dem supranationa-len Recht der Europäischen Gemeinschaften, aber auch aus der Anwendung und Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, kurz der EMRK, ergeben. Bedauerlicherweise stehen selbst richtungweisende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum nationalen öffentlichen Dienst-recht nicht im Blickfeld und Interesse des juris-tischen Schrifttums in Deutschland.

Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die bis-weilen auch als „Europäische Grundrechtsver-fassung“ bezeichnet wird, hat sich zu einem internationalen Rechtsschutzsystem entwickelt, dem inzwischen 47 Staaten Europas mit über 800 Millionen Bürgern angehören. Hierbei ist die wichtige und nicht zu ersetzende Rolle des Europarats hervorzuheben, die ihm im Men-schenrechtsschutz zukommt. Die Konvention wurde am 4. November 1950 in Rom unter-zeichnet und trat etwa drei Jahre später am 3. September 1953 nach der Ratifikation durch zehn Staaten in Kraft. Deutschland gehörte zu den Mitgliedstaaten der ersten Stunde.

Der Straßburger Gerichtshof, eine Gründung des Europarats mit derzeit 47 Richtern und die letzte gerichtliche Instanz des Grundrechts-schutzes, wurde 1959 errichtet und feierte im letzten Jahr sein 50-jähriges Bestehen bei einer Arbeitslast von über 100.000 anhängigen Be-schwerden. Die Gefahr, dass der Gerichtshof mit seinem weltweit einzigartigen Modell des individuellen Menschenrechtsschutzes bei einer solchen Belastung Schaden nimmt, ist nicht von der Hand zu weisen.

Die Konvention ist als rechtsstaatlicher Min-deststandard in Europa anerkannt und damit Leitlinie und Maßstab jeder politischen Organi-sationsform. Die Konvention und ihre mittler-weile 14 Zusatzprotokolle gelten nicht in allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise. Im Gegen-satz zum Recht der EU enthält die Konvention keine Vorgaben über ihre Stellung, ihren Rang und ihre Wirkungsweise im nationalen Recht. In

Deutschland ist sie durch ein innerstaatliches Zustimmungsgesetz in Landesrecht transfor-miert worden. Die Konvention zählt in Deutsch-land nicht zu den allgemeinen Regeln des Völ-kerrechts sondern hat den Rang eines einfachen Gesetzes. Dabei ist zu beachten, dass eine Indi-vidualbeschwerde vor dem Straßburger Ge-richtshof erst dann zulässig ist, wenn alle inner-staatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind.

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UIrich Widmaier © Widmaier

Da in Deutschland die Menschenrechte der Konvention keinen Verfassungsrang haben – wie etwa in Österreich - sondern lediglich als einfaches Recht eingestuft werden, ist kritisch anzumerken, dass auf diese Weise die Konven-tionsrechte herabgesetzt werden, obwohl es im Grundgesetz heißt: „Das deutsche Volk bekennt sich (darum) zu unverletzlichen und unveräu-ßerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“.

Anders als dem Unionsrecht kommt der Kon-vention kein Anwendungsvorrang gegenüber dem Grundgesetz zu. Das Bundesverfassungs-gericht trägt jedoch der gegenüber sonstigen Bundesgesetzen gesteigerten Bedeutung da-durch ergänzend Rechnung, dass es die Konven-tion zusätzlich als Auslegungshilfe für die Grundrechte des Grundgesetzes heranzieht sowie den Grundsatz der Konventionskonformi-tät auch späteren Bundesrechts aufstellt.

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So stellte das Bundesverfassungsgericht in die-sem Zusammenhang im Jahre 1987 fest: „Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu zie-hen (…). Deshalb dient insoweit auch die Recht-sprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsät-zen des Grundgesetzes. Auch Gesetze – wie zum Beispiel die Strafprozessordnung - sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflich-tungen der Bundesrepublik auszulegen und anzuwenden.“

Zuletzt machte das Bundesverfassungsgericht im Görgülü – Beschluss vom 14.Oktober 2004 zur Bedeutung und Anwendung der Konvention unter anderem folgende grundlegende Ausfüh-rungen: „Es ist die Aufgabe der nationalen Ge-richte, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den betrof-fenen Teilrechtsbereich der nationalen Rechts-ordnung einzupassen (…). Solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft deutsche Gerichte die Pflicht, der konventions-gemäßen Auslegung den Vorrang zu geben (…) `Berücksichtigen` bedeutet, die Konventionsbe-stimmung in der Auslegung des Gerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall an-zuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Ver-fassungsrecht verstößt. Die Konventionsbe-stimmung muss in der Auslegung des Gerichts-hofs jedenfalls in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, das Gericht muss sich zu-mindest gebührend mit ihr auseinander set-zen.“

Nach dem Görgülü-Beschluss kann die Nichtbe-achtung von Entscheidungen des EGMR zu-gleich einen Verstoß gegen die Grundrechte des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechts-staatsprinzip des Grundgesetzes darstellen und als solcher mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht geltend ge-macht werden. Gegenüber der bisherigen Pra-xis bedeutet dies eine deutlich gesteigerte Wir-kung der EMRK, weil die nunmehr eröffnete Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde den Gewährleistungen der EMRK und den Entschei-dungen des EGMR zusätzliche Durchschlags-kraft verleiht.

Gleichwohl bleibt die Gefahr, dass der Gerichts-hof, vor allem in Fällen widerstreitender Men-schenrechtspositionen, nachfolgend eine ande-re Abwägungsentscheidung trifft als das Bun-desverfassungsgericht. Andererseits muss man aber auch Verständnis dafür haben, dass der EGMR für derzeit 47 Vertragsstaaten Recht spricht und dass es dabei Differenzen zum Grundgesetz und zur Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht geben kann.

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Auch die Justitia des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte steht vor dem europäischen Sternenkranz,

der die Fahne sowohl der EU als auch des Europarats darstellt © Gina Sanders - Fotolia.com

Im Unterschied zur Rechtsprechung des Europä-ischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg kommt den Grundrechten in der Recht-sprechung des EGMR eine überragende Bedeu-tung zu. In der Tat hat der Straßburger Ge-richtshof bisher wesentliche Grundlagen für ein europäisches Verfassungsrecht gelegt, auch wenn zuweilen zu bemängeln ist, dass er in seiner Rechtsprechung einem ausschließlich fallbezogenen Ansatz folgt. Dies erscheint je-doch für die Konventionspraxis typisch. Die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle ist mit-unter schwer vorherzusagen.

Durch die Änderungen des Lissabon-Vertrags sind die Grundrechte, wie sie in der EMRK ge-währleistet sind und wie sie sich aus den ge-

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meinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, nun als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.

Die Gewährleistung der Konvention als Rechts-erkenntnisquelle für die Grundrechte im Ge-meinschaftsrecht und im Verhältnis zum Lu-xemburger Gerichtshof wird damit deutlich sichtbar. Der EuGH übernimmt – zumindest in neuerer Zeit – im Allgemeinen folgsam und unkommentiert die Auslegungsvorgaben aus Straßburg zu einzelnen Konventionsrechten und bestimmt nach diesen Vorgaben den Inhalt der entsprechenden Unionsgrundrechte. Die Urteile des EGMR bilden dann für den EuGH nicht nur eine bloße Auslegungshilfe, sondern eine direkte Erkenntnisquelle.

Die mitunter geäußerte Sorge vor dem Aus-bruch eines offenen Konflikts der beiden euro-päischen Gerichtshöfe wird gegenwärtig der juristischen Realität in keiner Weise gerecht. Über ihre Wirkungsweise als Rechtserkenntnis-quelle hinaus kann die Konvention das Gemein-schaftsrecht dadurch beeinflussen, dass der Gerichtshof die Einhaltung von Konventions-standards bei der Übertragung von Hoheits-rechten auf die Europäische Union überprüft.

Wächter über die Einhaltung der Menschenrechte

Der EGMR in Straßburg © PANORAMO.de - Fotolia.com

Was insbesondere den Einfluss der Konvention auf den Inhalt der EU-Grundrechtecharta (EGRC) anbelangt, so zeigt sich die enge Verbin-dung der Charta zu den Gewährleistungen der Konvention nicht nur in der Präambel der Char-ta, wonach sie die Rechte bekräftigt, die sich aus der Konvention ergeben, sondern auch darin, dass zahlreiche Konventionsrechte, wenn auch zum Teil verkürzt, in die Charta aufge-nommen wurden. Dies gilt zum Beispiel für die folgenden auch für Angehörige des öffentlichen

Dienstes bedeutenden Rechte: Die Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit der Mei-nungsäußerung oder die Vereinigungsfreiheit.

Die Konvergenzregelung der EGRC lautet: „So-weit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garan-tierten Rechten entsprechen, haben sie die glei-che Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird.“ Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Angehö-rigen des öffentlichen Dienstes auch das Recht auf ein gerichtliches und faires Verfahren und die vorausgesetzte Unschuldsvermutung zu erwähnen.

Der Gerichtshof hat zwar Rechtsstreitigkeiten nicht „nach der Art eines letztinstanzlichen Rechtsmittelgerichts zu beurteilen“, so der da-malige Präsident des Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier 2004 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Fällt aber ein deutsches Gericht eine Entscheidung, die den normativen Anforderungen einer Individualgewährleistung der Konvention nicht entspricht und weist das Bundesverfassungsgericht die dagegen erhobe-ne Verfassungsbeschwerde zurück oder nimmt sie nicht zur Entscheidung an, ist der Gerichts-hof auf eine zulässige Individualbeschwerde verpflichtet, eine Konventionsverletzung Deutschlands festzustellen. Er ist dann keine „Ober-Ober-Revisionsinstanz“, sondern erfüllt die ihm von den Mitgliedstaaten anvertraute judikative Aufgabe. Das gilt auch dann, wenn sich hierdurch im Verhältnis zum Bundesverfas-sungsgericht ein Rechtsprechungskonflikt nicht immer ausschließen lassen wird, und es dem Bundesverfassungsgericht schwer fällt, ent-sprechende Vorgaben des EGMR in das deut-sche Recht zu integrieren. Der Gerichtshof ent-scheidet über einen Einzelfall. Angesichts der überragenden Bedeutung des Individualbe-schwerderechts muss es dem Gerichtshof auch in Zukunft um Einzelfallgerechtigkeit gehen, was eine stärkere Konzentration auf grundle-gende und richtungweisende Entscheidungen nicht ausschließt.

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Der Gerichtshof beschränkt sich grundsätzlich auf die Feststellung einer Konventionsverlet-zung und verurteilt möglicherweise zur Zah-lung einer gerechten Entschädigung – dies liegt im Ermessen des Gerichtshofs - wozu materiel-ler und immaterieller Schadensersatz gehört.

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Wichtig in diesem Zusammenhang ist darüber hinaus, dass die Strafprozessordnung und die Zivilprozessordnung besondere Wiederauf-nahmetatbestände für den Fall vorsehen, dass der Gerichtshof einen Konventionsverstoß fest-gestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.

Auch wenn das Urteil des Gerichtshofs nur für die an einem Rechtsstreit betei-ligten Parteien in Rechts-kraft erwächst und damit die Entscheidung des Ge-richtshofs für die anderen Konventionsstaaten völ-kerrechtlich nicht verbind-lich ist, sind die Urteile auch für die nicht an ei-nem konkreten Verfahren beteiligten Konventions-staaten nicht bedeutungs-los, denn ihnen kommt eine Orientierungswirkung zu. Auch wird der Ge-richtshof in aller Regel in künftigen Fällen und damit in einem Verfahren gegen andere Konventionsstaa-ten seine einmal vorge-nommene Auslegung und Anwendung der Konventi-on fortführen. Obwohl das Urteil selbst also nicht bindet, kann dann von einer rechtlichen Bindung an die Konvention in der durch den Gerichtshof konkretisierten Wir-kung gesprochen werden.

Die Wirkung der EMRK ist dabei nicht auf einen bestimmten Personenkreis in den Staaten be-schränkt. Nach Artikel 1 der Konvention sichern die Mitgliedstaaten „allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmten Rechte und Freiheiten“ zu. Die Rechte aus der EMRK stehen somit jeder Person zu, die der Hoheitsgewalt des Staates unterwor-fen ist; keine Personengruppe ist ausgeschlos-sen, nicht Beamte und andere Angehörige des öffentlichen Dienstes, auch nicht Soldaten.

Für die Auslegung des Beamten- und Soldaten-rechts können vor allem die Artikel 6 Recht auf ein faires Verfahren und auf Rechtsschutz in angemessener Zeit, Artikel 9 Gedanken-, Gewis-

sens- und Religionsfreiheit, Artikel 10 Freiheit der Meinungsäußerung und Artikel 11 Ver-sammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfrei-heit der Konvention Bedeutung erlangen. Sie haben durch die Rechtsprechung des Gerichts-hofs weitgehend konkrete Gestalt gewonnen und einen hohen Grad an Ausdifferenzierung erlangt. Zugleich sind sie zu durchsetzbarem

Recht geworden. Die prak-tische Bedeutung dieser Konventionsrechte für das innerstaatliche Recht bleibt in der Öffentlichkeit oftmals unbemerkt, weil vordergründig meist die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Grundrechts-schutz ins Blickfeld gerät und hierdurch das hohe Niveau des Konventions-Rechtsschutzes nicht im-mer die ihm gebührende Aufmerksamkeit erlangt.

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© ChaotiC_PhotographY - Fotolia.com

Professor Widmaier wird voraus-sichtlich im nächsten Jahr die genannten Konventions- Grund-rechte in ihrer Bedeutung für das öffentliche Dienstrecht im Rah-men eines Vortrages in der dbb akademie (Königswinter) im Einzelnen darlegen.

Termine

01.07.2010 Beginn der belgischen EU-Ratspräsidentschaft

04.07.2010 Treffen der Vorsitzenden der EU-Ausschüsse in den Parlamenten der Mit-gliedstaaten (COSAC), Brüssel

05.-08.07.2010 Plenum des Europäischen Parlaments, Straßburg

05.-06.07.2010 Informelles Treffen der EU-Gesundheitsminister

08.-09.07.2010 Informelles Ministertreffen Beschäftigung und Soziales

12.07.2010 Sitzung der Eurogruppe

14.-16.07.2010 Informelles Ministertreffen Wettbe-werbsfähigkeit

15.-16.07.2010 Informelles Ministertreffen Justiz und Inneres

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Interview mit Gunther Krichbaum MdB, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Der studierte Jurist Gunther Krichbaum ist seit 1983 Mitglied der CDU und zog für seine Partei als direkt gewählter Kandidat im Wahlkreis Pforzheim erstmals 2002 in den Bundestag ein. Zuvor war er als Rechtsreferendar am Landgericht Heidelberg und als selbständiger Wirtschaftsberater tätig. Seit 2007 ist Gunther Krichbaum Vorsitzender des Ausschusses für Angele-genheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestags. Zusätzlich ist er auch stellvertretendes Mitglied im Auswärti-gen Ausschuss und Berichterstatter für Rumänien. Seit 2005 kümmert er sich außerdem um die Erweiterungspolitik der Eu-ropäischen Union und die Auswirkungen auf Deutschland. Im März 2010 wurde Krichbaum auf Geheiß des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy mit dem Orden eines Offi-ziers der Ehrenlegion ausgezeichnet. Gunther Krichbaum wur-de so für seine Verdienste um die deutsch-französische Zu-sammenarbeit und den Dialog zwischen den beiden Partnern geehrt.

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© Gunther Krichbaum MdB

Europathemen: Deutschland ist in den vergangen Wochen und Monaten wiederholt von verschiede-nen europäischen Partnern für sein zögerliches Verhalten beim Krisenmanagement ermahnt wor-den. Dies habe Europa geschadet. Ist diese Kritik gerechtfertigt?

Krichbaum: Bei meinen Gesprächen mit Kollegin-nen und Kollegen aus den übrigen Mitgliedstaa-ten höre ich derzeit oft den Vorwurf, Deutschland hätte in der Griechenland-Krise zu spät gehandelt. Manch einer mag hier auch überlegen, ob nicht das eigene Land als nächstes Hilfen benötigen wird. Aber ich werbe im Gegenzug dafür, auch die deutsche Position zu verstehen. Immerhin sind wir mit fast einem Viertel an den Griechenland-Hilfen beteiligt und daher war es uns besonders wichtig, die Hilfen nicht quasi automatisch und auf bloßen Zuruf zu gewähren. Deutschland ist solidarisch und hilft. Allerdings erst dann, wenn andere Formen der Finanzierung auf den Kapi-talmärkten nicht mehr möglich sind und wenn die Sanierung der Staatsfinanzen auch wirklich um-fassend in Angriff genommen wird.

Davon zu trennen sind Aussagen, Deutschland sei wirtschaftlich viel zu stark und lasse den übrigen

Euro-Staaten keine Chance im Wettbewerb. Die-ses Argument ist schon sehr erstaunlich. Denn noch vor zehn Jahren wurden wir ja von allen Partnern dringend aufgefordert, unsere Wettbe-werbsfähigkeit zu erhöhen, um wieder Konjunk-turlokomotive für Europa zu sein. Und nun ist die Verwunderung groß, dass unsere Maßnahmen – Unternehmensteuerreform, Hartz IV, Rente mit 67, Reformen auf dem Arbeitsmarkt, Senkung der Lohnnebenkosten – greifen, während andere Staaten ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Es kann doch nicht richtig sein, dem schnellsten Schiff in einem Geleitzug den Motor abzustellen, damit alle mitkommen. Vielmehr müssen die anderen beschleunigen. Denn nur so kann Europa insgesamt im globalisierten Wettbewerb eine ernsthafte Rolle spielen. Europa muss dynami-scher und wettbewerbsfähiger sein, weil es an-sonsten auf den weltweiten Märkten keine Chan-ce haben wird.

Europathemen: Hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy Recht, der schon vor seiner Präsi-dentschaft eine europäische Wirtschaftsregierung forderte? Kann so der Euro dauerhaft stabilisiert werden?

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Krichbaum: Die „Wirtschaftsregierung“ ist zwar ein wunderbares Schlagwort, aber kaum mit Leben erfüllt. Alle in Deutschland, die jetzt ganz fasziniert eine solche „Regierung“ verlangen, sollten sich einmal überlegen, welche Vorstel-lungen die Franzosen damit verbinden. Ich bin mir nicht sicher, ob sich beispielsweise die deut-schen Gewerkschaften mit der französischen Form der staatlichen Lohnfestsetzung anfreun-den könnten. Aber eines ist auch klar: Wir brau-chen in der EU mehr wirtschaftspolitische Koor-dination. Und wie die jüngsten Vorgänge in Un-garn zeigen, reicht es eben nicht, diese Koordina-tion allein auf die Euro-Staaten zu beschränken, wie dies die Franzosen wollen. Aber zwischen „Koordination“ und „Regierung“ besteht ein großer Unterschied. Europa hat immer von einer internen Konkurrenz um das beste Wirtschafts- und Sozialmodell profitiert, weil nur so auch auf national spezifische Besonderheiten Rücksicht genommen werden konnte. Und Konkurrenz sollte auch künftig die EU beleben.

Europathemen: Ist der Deutsche Bundestag bereit zu weiterem Souveränitätsverzicht, zu weiteren Kompetenzübertragungen, um die Währungsuni-on zu retten? Und was wird das Bundesverfas-sungsgericht dazu sagen?

Krichbaum: Nach dem Lissabon-Urteil des Bun-desverfassungsgerichts sind weitere Souveräni-tätsübertragungen derzeit kaum möglich, unab-hängig davon, ob sich hierfür überhaupt eine Mehrheit im Bundestag finden würde. Aber ich glaube auch nicht, dass wir zur Stabilisierung des Euro eine solche Übertragung nationaler Zu-ständigkeiten an die europäische Ebene brau-chen. Was wir aber brauchen, ist eine Wiederbe-lebung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Denn bei allen notwendigen Überlegungen, ihn zu verschärfen muss doch zunächst gelten, dass die bestehenden Regeln endlich wieder umge-setzt werden. Leider war es ausgerechnet die Bundesregierung, die 2003 dafür sorgte, dass notorische Defizitstaaten kaum Konsequenzen zu befürchten haben.

Europathemen: Was sagen Sie der Boulevard-Presse, die nach der Wiedereinführung der Deut-schen Mark schreit?

Krichbaum: Die Antwort ist relativ einfach: Ge-rade das Exportland Deutschland hat ganz be-sonders stark vom Euro profitiert. Fast 50 Pro-zent unserer Exporte gehen in die übrigen Euro-Staaten, und die deutsche Wirtschaft spart durch

die jetzt nicht mehr notwendige Absicherung gegen Währungsschwankungen jährlich acht bis zehn Milliarden Euro. Dass der Euro gut für Deutschland ist, zeigt sich auch am starken Rückgang der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren. Im Übrigen müsste bei einer Wiederein-führung der DM mit ihrer drastischen Aufwer-tung gerechnet werden. Aber neben diesen wichtigen ökonomischen Erwägungen zählt für mich noch etwas anderes: Würde der Euro wie-der aufgegeben werden, wäre dies das erste europäische Projekt seit 50 Jahren, das scheitert. Ob die EU einen solchen Rückschritt verkraften würde, ist mehr als fraglich. Wenn aber das ge-samte Projekt einer politischen Union scheitert, wäre Europa nur ein lockerer Handelsclub. Aber wir sehen doch immer mehr – Klimaverhandlun-gen, SWIFT-Abkommen, Handelsbeziehungen, Sozialstandards – dass Europa nur dann eine Chance hat, seine Vorstellungen durchzusetzen, wenn es einig und stark ist. Jeder Mitgliedstaat für sich alleine wäre viel zu klein, um den Her-ausforderungen der Globalisierung etwas entge-gensetzen zu können. Es geht also um sehr viel mehr, als nur um die Währung.

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Jerzy Buzek, Präsident des Europäischen

Parlaments, zu Gast im Ausschuss © Deutscher Bundestag/ Lichtblick/ Achim Melde

Europathemen: Was halten Sie von der Austeri-tätspolitik, die nun überall in Europa einzieht? Hatten nicht die Ökonomen unisono davor ge-warnt, die Fehler zu wiederholen, die in der Welt-wirtschaftskrise der dreißiger Jahre gemacht wur-den?

Krichbaum: Viele Staaten haben schlicht und einfach keine andere Alternative, als jetzt ihre Ausgaben drastisch zu reduzieren. Auch Deutschland muss in den nächsten Jahren deut-lich sparen, um die Vorgaben der Schuldenbrem-

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se des Grundgesetzes einzuhalten. Aber wir be-finden uns glücklicherweise auch durch die An-strengungen in der letzten Wahlperiode in einer etwas komfortableren Situation. Bei unserem Sparpaket, das nach der Sommerpause im Bun-destag beraten werden wird, können wir darauf achten, nur dort den Rotstift anzusetzen, wo die gerade wieder anspringende Konjunktur nicht gefährdet wird.

Europathemen: Es ist nun genau ein Jahr vergan-gen seit dem Karlsruher Urteil zum Lissabon-Vertrag. Der Bundestag sollte seine Kontrollrechte stärker ausüben. Wo ist dies in den vergangenen zwölf Monaten geschehen?

Krichbaum: Zunächst muss festgehalten werden, dass der Bundestag auch bereits vor dem Lissa-bon-Urteil seine Mitwirkungsrechte in der Euro-papolitik in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert hat. So muss an die „Zusammenar-beitsvereinbarung“ erinnert werden, die 2006 zwischen Parlament und Regierung geschlossen wurde. In ihr wurden viele Rechte erstmals fest-geschrieben, die heute auch in den Begleitgeset-zen enthalten sind. Allerdings war diese Verein-barung noch kein förmliches Gesetz, sondern eher eine Art Vertrag zwischen zwei Verfas-sungsorganen. Noch vor der Bundestagswahl wurden dann die deutschen Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon verabschiedet und so die Vorgaben aus Karlsruhe umgesetzt. Wesentli-ches Element der stärkeren Parlamentsbeteili-gung in Fragen der Europapolitik ist das Instru-ment der „Stellungnahme“, mit dem der Bundes-tag der Bundesregierung seine Auffassung zu bestimmten Themen politisch und rechtlich verbindlich übermittelt. Die Regierung darf hier-von nur noch aus wichtigen integrationspoliti-schen Gründen abweichen. Damit ist die Stellung des deutschen Parlaments auf dem Gebiet der traditionell regierungsgeprägten Europapolitik sehr stark angestiegen.

Europathemen: Was muss sich noch bessern, um die Beteiligung des Parlaments in der Europapoli-tik optimal zu gewährleisten?

Krichbaum: Nach einem Jahr kann eine durchaus positive Bilanz gezogen werden, weil sich das Parlament seiner neuen Rechte bewusst ist und sie auch nutzt. Aber wir müssen immer auch darauf achten, dass wir die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel nicht blockieren. Denn wenn sie sich vor jedem Kompromiss immer mit dem Bundestag

rückkoppeln müsste, würde das die deutsche Position nicht stärken, sondern schwächen.

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Europathemen: Ist infolge des Lissabon-Urteils und der Weltfinanz- und Eurokrise das Bewusst-sein der Abgeordneten für die Wichtigkeit europä-ischer Politik gestiegen?

Krichbaum: Das Lissabon-Urteil hat mit Sicher-heit die Sensibilität der Kolleginnen und Kollegen für europäische Fragen erhöht. Und beispiels-weise die Subsidiaritätskontrolle gehört inzwi-schen zum parlamentarischen Alltag. In allen Ausschüssen des Bundestages wird jetzt viel intensiver über europäische Fragestellungen debattiert. Dazu gehört auch, dass immer mehr Bundestagsabgeordnete nach Brüssel reisen, um sich vor Ort zu informieren und ihre Sichtweisen einzubringen. Dies ist wichtig, damit wir Ent-scheidungen beeinflussen können, bevor sie endgültig getroffen werden.

Europathemen: Wie soll die EU im Jahr 2020 aus-sehen?

Krichbaum: Wenn ich vor 20 Jahren gefragt wor-den wäre, wie ich mir die EU im Jahr 2010 vor-stelle, wäre ich ganz sicher von der Wirklichkeit überholt worden. Aber eines ist für die Zukunft klar: Der Druck der Globalisierung wird zuneh-men und den großen Problemen - zum Beispiel Klimawandel und Migrationsdruck vom afrikani-schen Kontinent - kann Europa nur gemeinsam entgegentreten. Daher ist die EU für mich kein Selbstzweck, sondern für unseren künftigen Wohlstand und für den Erhalt unserer Wertvor-stellungen zwingend notwendig.

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