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Aktuelle Entwicklungen in der KJPPP und ihre (Aus-)Wirkungen auf die Kooperation mit der Jugendhilfe
Fachtagung 1. Dezember 2015, Köln
J. M. Fegert, Ulm
Offenlegung möglicher Interessenkonflikte
In den letzten 5 Jahren hatte der Autor (Arbeitsgruppenleiter)
– Forschungsförderung von EU, DFG, BMG, BMBF, BMFSFJ, Ländersozialministerien, Landesstiftung BaWü, Päpstliche Universität Gregoriana, Caritas, CJD
– Reisebeihilfen, Vortragshonorare, Veranstaltungs- und Ausbildungs-Sponsoring von DFG, AACAP, NIMH/NIH, EU, Goethe Institut, Pro Helvetia, Adenauer-, Böll- und Ebert- Stiftung Shire, Fachverbände, Wohlfahrtsverbände und Universitäten sowie Ministerien
– Keine industriegesponserten Vortragsreihen, „speakers bureau“
– Klinische Prüfungen und Beratertätigkeit für Servier, BMBF, Lundbeck
– Mindestens jährliche Erklärung zu conflicts of interest gegenüber der DGKJP und AACAP wegen Komissionsmitgliedschaft
– Kein Aktienbesitz , keine Beteiligungen an Pharmafirmen, Mehrheitseigner 3Li
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen • Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Versorgungsangebote für begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen
• Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Versorgungsangebote für begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Bevölkerungsentwicklung: Abnahme Gesamtbevölkerung, aber Veränderungen nicht primär bei Minderjährigen
Statistisches Bundesamt 2014/Zensus 2011: •insgesamt 1,5 Mio. Menschen weniger als zuvor angenommen
•Abnahme überwiegend bei den mittleren Jahrgängen
Statistisches Bundesamt 2013: • stabile Geburtenziffer
Veränderungen schon vor der “ Flüchtlingswelle“ 2015:
Zunahme der Bevölkerung mit Migrationshintergrund schon jetzt: •+ 3,8 % •eigene Migration + 3,6 %
•deutlicher Geburtenüberschuss gegenüber Einheimischen
•= besonders hoher Anteil an Personen mit Migrations-hintergrund bei unter 18jährigen
Kinder mit Migrationshintergrund: 30 % Armutsrisiko vs. 12,9 % allgemein
Aus: Fuhr 2012. Daten des Mikrozensus 2010; Hrsg. Stat. Bundesamt Risikokumulation
Epidemiologie: Metaanalyse
• Metaanalyse: 33 Studien zur emotionalen und Verhaltensstörungen bei deutschen Kindern und Jugendlichen
• Zeitraum:> 50 Jahre • unter Beteiligung von 72.978 Kindern und Jugendlichen aus
nicht-klinischen Stichproben
• Prävalenz von emotionalen und Verhaltensstörungen: 17,6%
• Häufigkeiten über die Zeit (eingeschränkte Vergleichbarkeit): kein Anstieg der Auffälligkeiten in den Studien über die Jahre
Barkmann & Schulte-Markwort, 2012
Epidemiologie: KiGGS
• Folgebefragung der KiGGS-Studie: 3-17-jährige • Erhebungszeitraum zwischen 2009 und 2012 • Strenght and Difficulties Questionnaire:
• Basiserhebung (2003-2006): 20,0% • 1. Welle: 20,2%
Hölling et al., 2014
Altersgruppe Basis 1. Welle p 3-6 19,3 17,2 0,16 7-10 22,6 23,1 0,75 11-13 21,5 23,3 0,26 14-17 17,0 17,8 0,54
Bekannte Risiken haben sich bestätigt
Bella Studie (Ravens -Sieberer2006) und RKI KIGGS-Survey (2006, 2007)
bestätigen englische Befunde (Meltzer et al. 2001):
• doppeltes Risiko bei Alleinerziehen (OR:2,09)
• aktuelle Familienkonflikte (OR: 4,97)
• Konflikte in der Familie der Eltern (OR: 2,02-3,89)
• Unzufriedenheit in der Partnerschaft (OR: 2,75)
Die Risiken zu erkranken sind auch abhängig vom SES, KiGGSWelle 1:
Zusammenhang hat sich in den letzten Jahren nicht verändert (Hölling et al.
2014)
•unterste vs. oberste Sozialschicht:
Risiko für Hyperaktivität x 3,2, Dissozialität x 4,7
Ängste x 1,7
Risiko für psychische Erkrankung steigt mit mehreren Belastungen
• bei 3 Risiken 30,7%
• bei 4 Risiken 47,7% aller betroffenen Kinder
Wer bekommt Versorgung?
• BELLA Studie: KiGGS sample: n=2863: 7-17 (Baseline): • 2003-2006, 2004-2007, 2005-2008, 2009-2012 • Behandlung durch
Psychiater/Psychologen/Psychotherapeuten in letzten 12 Monaten
Hintzpeter et al., 2015
Weniger als ein Drittel der Kinder mit psychischen Belastungen haben in den
letzten 12 Monaten eine Behandlung erhalten
Exklusion ist teuer (EU Grünbuch)
Abb.: Langzeitkosten psychischer Gesundheitsprobleme, umgerechnet auf Euro zum Preisniveau 2002 (Scott, Knapp, Henderson & Maughan, 2001. Umrechnung in Euro durch David McDaid, Mental Health Economics European Network). Quelle: Scott, S., Knapp, M., Henderson, J. & Maughan, J. (2001). Financial costs of social exclusion. Follow-up study of anti-social children into adulthood. British Medical Journal, 323, 191-196.
Krankenhaushäufigkeiten von 2003-2012
Ergebnisse Krankenhaushäufigkeiten von 2003-2012
• Untersucht wurden Daten der Krankenhäuser im Bundesgebiet
• Zeitraum: 2003-2012
• Statistische Mittel: Regressionsanalyse und t-Test
• Daten wurden nach Altersgruppen getrennt 0-bis 15-Jährige (Kinder)
15-bis 20-Jährige
20-bis 25-Jährige
deutliche Zunahme F-Diagnosen in den Altersgruppen der 0-bis 15-Jährigen sowie der 15-bis unter 25-Jährigen
Jugendliche / junge Erwachsene
Krankenhaushäufigkeiten – Kinder Veränderung in den einzelnen Diagnosen (F9 differenziert)
• Schizophrenie
gleichbleibend häufig diagnostiziert
• Abnahme bei organischen psychischen Störungen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen sowie Intelligenzstörungen
) Nervenheilkunde, Vol.34(1), pp.18-23.
Deutlichste Zunahme bei Störungen bedingt durch psychotrope Substanzen, affektiven Störungen, neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen sowie Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit und Jugend
Krankenhaushäufigkeiten – Kinder Veränderung in den einzelnen Diagnosen (F9 differenziert)
• Abnahme bei Störungen des Sozialverhaltens, anderen Verhaltens- und emotionale Störungen sowie psychische Störungen ohne nähere Angaben
Plener, Paul L. et al. Nervenheilkunde, Vol.34(1), pp.18-23.
Zunahme bei hyperkinetischen Störungen, kombinierten Störungen Sozialverhalten und Emotionen, emotionalen Störungen des Kindesalters, Störungen sozialer Funktionen und Tic-Störungen
Krankenhaushäufigkeiten – Kinder Veränderung nach Bundesländern NRW höchster Steigungskoeffizient
Signifikanter Anstieg der im Krankenhaus wegen psychischer Erkrankungen behandelten Kinder und Jugendlichen in allen Bundesländern außer in Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Plener, Paul L. ; Straub, Joanna. ; Fegert, Jörg.M. ; Keller, Ferdinand. (2015) Nervenheilkunde, Vol.34(1), pp. 18-23.
F0-F99: Psychiatrische und Verhaltensstörungen, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
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2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Bund NRW
F84: Tief greifende Entwicklungsstörungen
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NRW Bund
F90: Hyperkinetische Störungen
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NRW Bund
F91: Störungen des Sozialverhaltens
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NRW Bund
F92: Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen
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NRW Bund
Versorgung in der KJPP in Deutschland
Versorgungsdiskrepanzen:
• 1:8 zwischen Bundesländern stationär,
• 1:16 zwischen Kreisen ambulant
• erst in Entwicklung begriffene ambulante Bedarfsplanung
Versorgungssituation: BMZ KJPP vollstationär 2013: Schwankungen um Faktor 3,6
Land
Betten
KJPP
2013 1)
Veränderung
gegenüber
2010
Einwohner
< 18 J 2)
Zu-oder
Abnahme
seit
Vorjahr
BMZ 2013
(Betten/
10.000 EW
< 18)
BMZ 2005
(GMK-
Bericht
2007) 3)
BaWü 599 +32 1.818.120 + 3,29 2,62
Bayern 623 +104 2.083.447 + 2,99 1,74
Berlin** 200 +35 523.649 + 3,82 2,85
Brandenburg 211 = 354.593 + 5,95 5,61
Bremen 50 = 99.340 + 5,03 4,51
Hamburg 148 +21 276.826 + 5,35 3,57
Hessen 526 +66 998.724 - 5,26 3,63
Mecklenburg- Vorpommern
184
+10
225.586
+
8,16
6,89 Niedersachsen 655 +33 1.314.059 - 4,99 3,92
NRW 1.160 +32 2.917.733 - 3,98 3,06
Rheinland-Pfalz 270 +70 644.863 - 4,19 2,27
Saarland 49 +3 142.197 - 3,45 2,50
Sachsen 382 +21 578.758 + 6,60 5,88
Sachsen-Anhalt 331 -2 299.988 + 11,03 8,74
Schleswig-Holstein 254 +5 465.036 - 5,46 4,31
Thüringen 299 +30 300.565 + 9,95 7,07
Bund
5.941
13.043.484
-12.066
4,55
4,32
** Berlin hat zusätzlich ein tagesklinisches Angebot i.V. 1: 1.Statistisches
Bundesamt: Grunddaten der Krankenhäuser, Fachserie 12 Reihe 6.1 für 2013;
2.Statistisches Bundesamt: Bevölkerungsstatistik zum 31.12. 2013; Vorausrechnung nach Mikrozensus 2011;
3.Tabellenanhang zum Bericht „Psychiatrie in Deutschland –Strukturen, Leistungen, Perspektiven“ der AG Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbehörden an die Gesundheitsministerkonferenz 2012
sowie eigene Berechnungen
Seit Psych-PV deutlicher Bettenabbau und Leistungsverdichtung KJPP
1991 1995 2005 2013 1991-2013
Veränd.
Fallzahl 20.108 23.302 37.699 55.633 +277 %
Verweildauer
Tage
126,3 63,4 43,2 36,2 - 71 %
Berechnungs/-
Beleg.tage
2.539.894 1.478.07
6
1.626.719 2.011564 - 21 %
Betten,
aufgest.
8.316 4.858 4.921 5.941* - 29 %
Quelle: Stat.Bundesamt, Jahresberichte Fachserie 12. Reihe 6, und eig. Berechnungen *= Zuwachs bedingt durch moderaten Ausbau a) ortsnaher Einrichtungen sowie Nachbesserungen im Bereich unterversorgter Gebiete und b) spezieller Angebote wie z.B. für die Suchtbehandlung Jugendlicher
Pflichtversorgungsgebiete durchschnittlich 2,9 mal so groß wie in der Erwachsenenpsychiatrie
Zunehmende Auseinandersetzung über Psychosomatik im Kindesalter
• Wegen demographischer Entwicklung Bettenüberkapazitäten in der Pädiatrie: Ausbau psychosomatischer Angebote
• Vermehrter Versuch von Kurkliniken und Erwachsenenkliniken für Psychosomatik, ebenfalls in diesem Segment Abteilung zu öffnen
• Psychosomatische Abteilungen mit interdisziplinärer Führung und fachärztlicher, kinder- und jugendpsychiatrischer Kompetenz (das einzige Modell welches die DGKJP unterstützt)
• Geplant: Grundsatzpapiere der DGKJP und DGKJ - derzeit in der internen Abstimmung
• Grundsatzgespräche zwischen beiden wissenschaftlichen Fachgesellschaften im 1. Quartal 2016 (Grundsatz nicht revierbasiert sondern qualitätsorientiert)
PEPP:Zuspitzung der Entgelt Diskussion durch Ersatzvornahme durch das BMG: massive Proteste praktisch aller Fachverbände, incl. Angehörigen und Patientenvertreter
• in 3 Tagen mehr als 32.000 Unterschriften gegen PEPP • dem BMG parallel zur letzten Anhörung am 12.11.2012 übergeben
Forum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
Reformstau: Modellvorhaben sind in der Kinder- und Jugendpsychiatrie besonders notwendig
10
• Im Ausland hat sich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mittlerweile eine differenzierte Versorgungskette mit aufsuchenden Behandlungsansätzen etc. entwickelt. In Deutschland ist aufwendige intensive Behandlung immer noch an das um Mitternacht belegte Bett oder den Tagesklinikplatz gebunden.
Nur 2 sog. Modelle entstehen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Modellparagraph § 64b SGB V sah die Entwicklung von Modellen in jedem Bundesland, unter besonderer Berücksichtigung der Kinder- und Jugendpsychiatrie vor. § 64b SGB V Modellvorhaben zur Versorgung psychisch kranker Menschen
(1)Gegenstand von Modellvorhaben nach § 63 Absatz 1 oder 2 kann auch die Weiterentwicklung der Versorgung psychisch kranker Menschen sein, die auf eine Verbesserung der Patientenversorgung oder der sektorenübergreifenden Leistungserbringung ausgerichtet ist, einschließlich der komplexen psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld. In jedem Land soll unter
besonderer Berücksichtigung der Kinder- und Jugendpsychiatrie
mindestens ein Modellvorhaben nach Satz 1 durchgeführt werden; dabei
kann ein Modellvorhaben auf mehrere Länder erstreckt werden. Eine bestehende Verpflichtung der Leistungserbringer zur Versorgung bleibt unberührt. § 63 Absatz 3 ist für Modellvorhaben nach Satz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass von den Vorgaben der §§ 295, 300, 301 und 302 sowie des § 17d Absatz 9 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes nicht abgewichen werden darf. § 63 Absatz 5 Satz 1 gilt nicht. Die Meldung nach Absatz 3 Satz 2 hat vor der Vereinbarung zu erfolgen.
Neue Ansätze zum home treatment und aufsuchenden intensiven Behandlungsansätzen
Aufsuchende Behandlungsangebote in Heimeinrichtungen (BMBF und von Krankenkassen gefördertes Projekt)
Ulmer Heimkinderinterventionsstudie
Ähnliche Ansätze könnten auch z. B. in Schulen für Erziehungshilfe, generell in Schulen oder in Pflegefamilien realisiert werden: Inklusion wird aufsuchende Behandlung in der Schule noch notwendiger machen
Projekt Schulbegleitung Inklusion (Baden-Württemberg Stiftung) soeben begonnen April 2013
Projekt Bezuhg (Versorgungsforschung Ba-Wü)
MST und MST CAN
KJP Ulm
KJP Weissenau
KJP Lüneburg
Praxis Dr. Hoehne
Praxis Dr. Crasemann
Kontrolleinrichtungen
Interventionseinrichtungen
Design: case-flow
n=781 Screening
TAU n=336
Implementierung des Liaison-Service
n=288
6 Monate
TAU n=231
F O L L O W
U P 1
Fortsetzung des Liaison-Service
n=215
6 Monate
F O L L O W
U P 2
ausgeschlossen => n=157
einge- schlossen n=624
Lost for follow-up: n=178
Lost for follow-up: n=50
Stationäre Behandlungstage
2,47
1,3
0,5
0,75
1
1,25
1,5
1,75
2
2,25
2,5
2,75
Behandlungstage pro Person
in 12 MonatenKG
IG
Continuum of Care AACAP 2008
Praxis oder Ambulanz (Institutsambulanz)
Intensives Case Management (kombinierte psychiatrische, medizinische, rechtliche und soziale Hilfen) community based
Home-based treatment services
Family support services
day treatment program
Tagesklinik = partial hospitalisation
Emergency/Crisis services
Hospital treatment (Vollstationäre Behandlung)
Schulbasierte Intervention
In den USA erhalten 70 % - 80 % aller Kinder, die Interventionen zur Förderung der seelischen Gesundheit erhalten, diese in der Schule (Hoagwood K. et al. 2001) Rones, M. und Hoagwood, K. 2000 School-Based Mental Health Services: A Research Review - 47 Studien zeigen, dass es eine Reihe von Programmen gibt, die positive Einflüsse auf emotionale und Verhaltensprobleme haben
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen • Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Versorgungsangebote für begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Themenschwerpunkt Kindheit und Entwicklung zur Schnittstelle KJPP und Kinder- und Jugendhilfe
Schnittstelle Jugendhilfe – Kinder- und Jugendpsychiatrie
Vor Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes Streit um „Verhaltensauffälligkeiten“. Zuständigkeit der Jugendhilfe vs. Zuständigkeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie
„Drehtüreffekte“, insbesondere bei Heimkindern
Mit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetztes 1990 zunächst Debatte um große Lösung, dann Realisierung der kleinen Lösung. Zuständigkeit der Jugendhilfe für die Kinder und Jugendlichen mit seelischer Behinderung.
Aktuell wieder Debatte um Umsetzung einer inklusiven Lösung im Kindes- und Jugendalter (13. Kinder- und Jugendbericht und positive Stellungnahme der damaligen Bundesregierung). Verzögerung in der letzten Legislaturperiode.
Bereich Schule mit ganz unterschiedlichen Lösungen in einzelnen Bundesländern Treiber der Inklusionsdebatte
PEPP Entgeltreform in der Psychiatrie verhindert kreative sektorübergreifende Versorgungsmodelle im natürlichen Milieu
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen
• Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Versorgungsangebote für begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Prinzipielle Umfassenheit des Kindeswohlbegriffs (Coester 1983, Seite 163)
• Kindeswohlförderung, Förderung der Teilhabe: Salutogenese-Konzept (Antonowsky) führt zur Definition von Basisbedürfnissen, die für eine Entwicklung erfüllt sein müssen.
• Berücksichtigung der Entwicklungsdimension
• Entwicklungsaufgaben
• Altersentsprechende Teilhabe
• Positiv Definition von Elementen die zum Kindeswohl beitragen versus negativ Definition im Sinne einer Eingriffsschwelle (Kindeswohlgefährdung)
Kindliche Basisbedürfnisse und deren Berücksichtigung in der UN-Kinderrechtskonvention
Basic need UN-Kinderrechtskonvention
Liebe und Akzeptanz Präambel, Art. 6;
Art. 12, 13, 14
Ernährung und Versorgung Art. 27, Art. 26, Art. 32
Unversehrtheit, Schutz vor Gefahren, vor materieller emotionaler und sexueller
Ausbeutung
Art. 16, Art. 19,
Art. 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40
Bindung und soziale Beziehungen Art. 8, 9, 10, 11;
Art. 20, 21, 22
Gesundheit Art. 24, 25, 23, 33
Wissen und Bildung Art. 17;
Art. 28, 29, 30, 31
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen
• Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Versorgungsangebote für begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Ausgangslage • 2013 wurden in Deutschland 6.584 unbegleitete Minderjährige
(90% männlich) in Obhut genommen (Stat. Bundesamt 2014)
• 4.399 Asylanträge unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) wurden 2014 gestellt, eine Steigerung von 76% im Vergleich zum Vorjahr (BAMF)
• Im ersten Halbjahr 2015 wurden bereits 3.874 Anträge unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) gestellt (BAMF); im zweiten Halbjahr stieg die Zahl enorm
• BumF (20.11.2015) spricht von über 30 000 UmF die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind
• Zahl psychischer Störungen ist bei Flüchtlingskindern erhöht (Gavranidou et al. 2008; Fazel, Wheeler und Danesh 2005)
• UMF besonders vulnerable Gruppe im Vergleich zu begleiteten Flüchtlingen (Huemer, Karnik und Steiner 2009; Derluyn und Broekaert 2007)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 33-34, 17. August 2015, C1115
„Die Krankheiten, bedingt durch Flucht, Folter, Vertreibung, Vergewaltigung, Entbehrungen jeglicher Art, und das über einen meist langen Zeitraum verbunden mit den psychischen Belastungen, sind vielzählig“. Dr. med. Ulrich Clever
Menschenrechtsbeauftragter der Bundesärztekammer
und Präsident der Ärztekammer Baden-Württemberg
Problemstellung bei Flüchtlingskindern – Komplexität der Belastung häufig multiple Traumata in der Vergangenheit hohe Belastung in der Gegenwart ungewisse Zukunft
Ursprungsland:
Traumatisierung, Trennungen,
Verlusterlebnisse
Gastland: Irritation durch fremde Kultur, Wechsel des Aufenthaltsortes und Beziehungsabbrüche, Spracherwerb, Schule/
Ausbildung, Diskriminierung, unklarer Aufenthaltsstatus, Sorge um Familie, materielle
Sorgen
Flucht:
Beziehungsabbrüche , Verlust des
biographischen Kontinuums,
Traumatisierung
während der Flucht
Zukunft ?
Multiple sequentielle Traumatisierung Bedeutung des „second hit“
Stellungnahme Trauma bei UMF
Veranstaltung World Childhood Foundation mit der Gründerin Königin Silvia von Schweden am 9.9.2015 in Würzburg
Schutz und Hilfe auch für minderjährige Flüchtlinge essentiell
Systematischer Review (Fachliteratur vom 1.1.2004 – 30.04.2015) Zeitschrift Kindheit und Entwicklung: Witt, Rassenhofer, Fegert, Plener
Nach Sichtung von 2699 Artikeln gingen 43 Artikel in das systematische Review ein:
•Psychische Belastung: 22 Stichproben mit Daten zu insgesamt 6.030, überwiegend männlichen (ca. 81 %) unbegleiteten minderjährigen Flüchtingen (UMF) aus knapp 100 unterschiedliche Herkunftsländer
•Häufig Studien mit Screening-Fragebögen (Angaben zu psychischen Auffälligkeiten)
•Fünf Studien machen Angaben zu psychischen Störungen (Ramel et al. 2015, Jakobsen, Demott und Heir 2014, Völkl-Kernstock et al. 2014, Huemer et al. 2011, Batista Pinto Wiese und Burhorst 2007)
•Mehrzahl der Studien stammt aus Europa: Norwegen, Schweden, Belgien, Niederlande, Großbritannien, Österreich
•Defizit in Deutschland in der wissenschaftlichen Bearbeitung
Ergebnisse Review
•Mehrzahl der UMF (bis zu 97 %) hat traumatische Erfahrungen
• (häufig Kriegserfahrungen) •UMF haben signifikant häufiger traumatische Erfahrungen als begleitete Flüchtlinge •Prävalenzen für PTBS: zwischen knapp 30 % - 60 % für männliche 70 % für weibliche UMF •Prävalenz Depression und Angst ebenfalls hoch zwischen 20 % und 40 %
Editorial ZKJPP November 2015
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen
• Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
13. Kinder- und Jugendbericht
Erster Kinder- und Jugendbericht, der explizit den Auftrag hat, die Lebensbedingungen von Kindern mit Behinderung in den Blick zu nehmen.
Entscheidung der Kommission:
Lebenslage von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen als Querschnittsthema = keine Institutionenperspektive sondern personenzentriert
Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind in erster Linie Kinder und Jugendliche mit Bedürfnissen, Problemen, Entwicklungsaufgaben etc. wie alle anderen Kinder und Jugendliche auch und sie brauchen einen behinderungsbedingten Nachteilsausgleich , damit sie in der Gesellschaft bleiben können (Inklusion)
13. Kinder- und Jugendbericht
… ausgewählte zentrale Erkenntnisse:
In der Forschung gibt es kaum Daten über die gesundheitliche Lebenslage von Kindern mit Behinderung (Ausnahme ist der Bereich medizinischer Diagnostik).
Die medizinischen Diagnosen sind in der Mehrzahl „defizitorientiert“ („was geht nicht?“) und geben kaum Einblicke in Ressourcen und Lebenslagen.
Krankheit und Behinderung werden selten unterschieden – gleichwohl bewegen sich auch Heranwachsende mit Behinderungen auf einem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit und Gesundheit steigt mit besseren Teilhabe-Chancen!
Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Jugend- und Sozialhilfe für verschiedene Arten von Behinderungen ist hinderlich für die richtige Hilfe zum richtigen Zeitpunkt.
13. Kinder- und Jugendbericht
… ausgewählte zentrale Erkenntnisse:
Der Hilfebedarf wird häufig aus einer Angebots- und Institutionenlogik heraus formuliert und nicht vom Bedarf des Kindes oder Jugendlichen.
Die Praxis der Leistungsträger ist durch Abgrenzungen und Zuständigkeitsverweis zwischen Sozialhilfe und Jugendhilfe (und auch Krankenkassen) geprägt. Komplexleistungen und Mischfinanzierungen spielen kaum eine Rolle.
Es entstehen an den Schnittstellen der Systeme „Verschiebebahnhöfe“ und bisweilen „schwarze Löcher“.
Kindertagesstätten als Ausnahme: Hier haben wir es bundesweit mit einem flächendeckenden Ausbau integrativer Angebote zu tun.
Inklusion bedeutet nicht gleiches Recht für alle, sondern jedem die Förderung die er/sie benötigt
http://www.kas.de/wf/doc/kas_42671-544-1-30.pdf?150929110010
Teilhabekonzepte und Teilhabedimensionen (Diewald et al. 2016 in Migrationsgutachten WissBeirat Familienfragen)
• Prozessualität der Teilhabe (Teilhabe muss erreicht und aufrecht erhalten werden)
• Teilhabe per se doppelseitig konstruiert (muss von Betroffenen erwünscht, angestrebt und von der Gesellschaft ermöglicht werden)
• Teilhabe durch konkreten Handlungsbezug gut operationalisierbar (Handlungsbereiche, Subsysteme, Kommunikationsprozesse)
• Teilhabekonzept beschreibt Status der Abgrenzung (Barrieren) ebenso wie deren Überwindung und Unterstützung bei der Überwindung Faszilitation
• Entspricht der Tradition europäischer Demokratien in der Verbindung von Rechten und Pflichten, d.h. dem Konzept der voraussetzungsvollen staatlich-gesellschaftlichen Vertragsgemeinschaft
Capability Approach • Nach Amartya Sen 1998 Nobelpreis
•Verwirklichungschancen als Freiheiten Politische Freiheiten (Kinderrechte) Rechte auf Verfahrensbeteiligung, Informationsfreiheit,
angemessene Berücksichtigung, Ökonomische Faktoren (Ressourcen,
Verteilungsgerechtigkeit) Soziale Chancen (Bildung, Gesundheit) Transparenzgarantien (z.B. Informationspflichten,
Transparenz im Hilfeverfahren, Zugänglichkeit von Informationen)
Soziale Sicherheit (Krankenversorgung,Jugendhilfe, Eingliederungshilfe)
2 Klassifikationssysteme der WHO
Diagnose
ICD 10 Individuelle Teilhabe-beeinträchtigung
ICF
ICF der WHO
ICF der WHO: Überblick
über Komponenten des
Funktionsniveaus
Subjective satisfaction Assistance Localisation
Qualifiers: Second Qualifier
Uniform Qualifier: Extend or Magnitude Qualifiers: First Qualifier
Barriers / hindrances Participation
restriction Activity limitation Impairment
Negative aspect (Disability)
Facilitators Participation Activity Functional and
structural integrity
Positive aspect (Functioning)
Features of the physical, social and attitudinal world + Attributes of the person
Involvement in life
situations
Performanc of
individuals activities
Body function
Body structure Charakteristics
Environmental factors (external influence on functioning) +
Personal factors (internal influence on functioning)
Society
(life situations)
Individual
(person as a whole)
Body
(body parts) Levels of Functioning
Contextual Factors Participation Activities Body Functions & Structures
Generelle Aspekte der Teilhabebeinträchtigung zu beachtende Elemente (entsprechend von der WHO in der
ICF verwendet): – die Pervasivität, d.h., ob das Störungsbild in mehreren Bereiche
Auswirkungen hat, z.B. ob eine Funktionsbeeinträchtigung sich in der Familie, in der Schule und auch in der Freizeit auswirkt, oder ob die Funktionsbeeinträchtigung nur auf einen Bereich beschränkt ist. Die Pervasivität trägt erheblich zum Ausmaß der Beeinträchtigung bei.
– die Intensität, d.h., ob das Störungsbild in einem (oder mehren) Bereich(en) so stark ausgeprägt ist, dass die Stärke der Funktionsbeeinträchtigung nicht mehr mit einer Teilhabe vereinbar ist. Das bedeutet, dass z.B. auch bereits ein Bereich genügt, um eine Teilhabebeeinträchtigung festzustellen, obwohl das Funktionsniveau in den anderen Bereichen hoch und ausreichend sein kann.
– die Chronizität, d.h. die Dauer der Funktionsbeeinträchtigung. Für die Chronizität liegt bereits in der Norm des §35a KJHG ein Kriterium vor, da dort der Halb-Jahreszeitraum in der Regel vorausgesetzt wird
Teilhabebeinträchtigung Indikatoren – Einteilung
Individuelle Voraussetzungen: – soziale Lebenslage
– Selbstpflegekompetenzen
– Kompetenzen der Familie
– Leistungsfunktionen des Kindes / Jugendlichen
– Leistungsfunktionen der Familie
Interaktionelle Voraussetzungen: – Integration in die Familie
– Integration Kita / Schule / Arbeit,
– Integration in die Peer-Group,
– Integration in der Freizeit und
– Integration in den Sozialraum.
– Beziehungsqualitäten des Kindes / Jugendlichen
Freizeit Kindergarten /
Schule / Ausbildung
peer group
Kind, Jugendliche/r, junge/r Erwachsene/r
Vater / Ersatz-vater
Mutter / Ersatz-mutter
Geschwister
keine Teilhabe-
beeinträchtigung
ein wenig/etwas beeinträchtigt
teilweise beeinträchtigt
weitgehend beeinträchtigt
vollständige Teilhabe-
beeinträchtigung
Familie
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen
• Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Versorgungsangebote für begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Zweigliedrigkeit der Norm : 1. Eingangsvoraussetzungen werden
ärztlich, bzw. kinder- und jugendpsychotherapeutisch festgestellt.
2. Teilhabebeeinträchtigung am sozialen Leben, bzw. Hilfebedarf zur Behebung derselben wird unter Federführung des zuständigen Jugendamts erhoben und definiert.
Eingliederungshilfe in der Jugendhilfe
Diagnose Individuelle Teilhabe-beeinträchtigung
Große Lösung
Diagnose Seelische Störung Körperliche Störung Geistige Behinderung
Individuelle Teilhabe-beeinträchtigung
Argumente für die „große Lösung“
Argumente für die „große Lösung“ in der Jugendhilfe • Zuständigkeit eines Jugendamtes für alle Kinder und
Jugendlichen • Mehrfachbehinderungen: seelische Behinderungen
treten vermehrt in Kombination mit geistiger Behinderung und körperlicher Behinderung auf
• Abgrenzung der seelischen und körperlichen oder geistigen und gesellschaftlichen Ursachen der Teilhabebeeinträchtigung kaum möglich, da Teilhabe immer den Menschen in seiner Gesamtheit betrifft
Contra-Argument für „Grosse Sozialhilfelösung“: Transition in die Zuständigkeit der Sozialhilfe im Erwachsenenalter Versorgung aus einer Hand mit fachlicher Expertise
Vorgeschichte der Eingliederungshilfe
• Krankenversicherung nach Bismarcks-Sozialreformen
- 1881 gesetzliche Krankenversicherung
- 1884 gesetzliche Unfallversicherung
- 1889 gesetzliche Invalidenversicherung
• Ausschluss so genannter „stationärer Erkrankungen“ bei „Krüppeln und Sinnesbehinderten“ aus der Krankenversicherung.
• Anfang 20. Jahrhundert (1906) erste „Reichs - Krüppelzählung“ • Schon vor der „Reichs-Krüppelzählung“ Debatte
zwischen Biesalski (Orthopäde und Gründer des Berliner Oskar-Helene-Heims) und dem Präsidenten des Reichsgesundheitsamts über die Formulierung des Begriffs „Krüppel“
• Erfassung aller Fehlbildungen versus Erfassung von Personen, „welche durch Verlust oder Gebrauchsunfähigkeit eines oder mehrerer Glieder in ihrer Erwerbsfähigkeit gänzlich behindert oder wenigstens beschränkt“ sind.
Entwicklung der Eingliederungshilfe Unterscheidung zwischen diagnostizierbaren Abweichungen und Funktionseinschränkungen
Unterschiede zwischen Feststellung des Rechtsanspruchs in der Jugendhilfe und der Sozialhilfe
• § 53 SGB XII und Eingliederungshilfeverordnung: Verpflichtender Rechtsanspruch ist an das Kriterium „wesentliche Behinderung“ geknüpft
• § 35 a SGB VIII Rechtsanspruch an die Erfüllung der in Abs. 1, Satz 1, Nr. 1 und 2 genannten Leistungsvoraussetzungen gebunden
• Kein Verweis mehr auf die Wesentlichkeit der Behinderung
• Kein Verweis auf eine Eingliederungshilfeverordnung
• Kein Erfolgskriterium
• Weiterer Unterschied: In der Sozialhilfe spielt das Erfolgskriterium nach § 53 Abs. 1, Satz 1 SGB XII eine Rolle: Hilfen werden nur so lange gewährt, wie die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
• Eine solche Einschränkung macht im Kindes- und Jugendalter, also im Entwicklungsalter keinen Sinn. Hierzu Wiesner-Kommentar zu § 35 a: „Gerade im Hinblick auf den Personenkreis von Kinder und Jugendlichen kann es keinen vernünftigen Grund für eine solche Leistungsbegrenzung geben, da damit deren Entwicklungschancen verkürzt und das generelle Ziel der Verbesserung der Teilhabe aufgegeben würde“. (5. Auflage 2015, RZ 8).
Unterschiede zwischen Feststellung des Rechtsanspruchs in der Jugendhilfe und der Sozialhilfe
Inklusive Lösung
Diagnose Seelische Störung körperliche
Störung Geistige
Behinderung Individuelle Teilhabe-beeinträchtigung Barrieren Hinderungs-
gründe
Feststellbare Förderdefizite Problematische Persönlichkeits- entwicklung
Fascilitatoren
Inklusion ein wichtiges Thema für Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie
interdisziplinäres Querschnittsthema welches viele betroffene Familien und viele spezialisierte Institutionen angeht
Veränderung von Schule und Einrichtungen der Jugendhilfe ebenso notwendig wie sektorübergreifende Behandlung im Milieu
Neue normative Grundlage für die systemübergreifende Unterstützung der Teilhabe erforderlich
Schulbegleiter: neue Hilfeform oder
Lückenbüser?
Schulbegleiter helfen bei:
•Verhaltensauffälligkeiten,
• Kommunikation im Unterricht
• Vernetzung zwischen Eltern und Schule
• der Alltagsbewältigung (Arbeitsstrukturierung)
• Lernhilfe (wobei sie keine Hilfslehrer sind!)
• notwendiger Pflege und medizinischer Versorgung (vor allem bei Körperbehinderungen)
• Stress- und Emotionsregulation
Onlinebefragung von insgesamt 3.553 Schulen
- Anzahl der eingesetzten (SB)
- Einsatzort (Schulart, Klassenstufe) der SB
Rückantwort (per Mail, Fax, postalisch oder telefonisch)
erhalten von 1.696 (47,7%) Schulen
Davon gaben 592 Schulen (34,9%) an, mindestens einen SB zu
haben.
Befragung aller allgemein bildenden Schulen in
Baden-Württemberg
Projekt der Baden-Württemberg Stiftung
Vorläufige Daten des Inklusionsprojekts
•Ca. jedes 241. Kind hat einen SB
•In ca. 65% der Schulen gibt es einen SB
•Die meisten SB sind in den ersten Klassen; Abnahme der Anzahl SB je Zunahme der Klassenstufe
Prozentuale Verteilung der SB je Schulform
Prozentuale Verteilung der Behinderungen/Beeinträchtigungen der Kinder/Jugendlichen die SB erhalten
Projekt der Baden-Württemberg Stiftung
Prozentuale Verteilung der Störungen von Kindern/Jugendlichen mit seelischer Behinderung die SB erhalten
Projekt der Baden-Württemberg Stiftung zur Inklusion
Gliederung
1. Aktuelle Entwicklungen in der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
2. Aktuelle Entwicklungen in der fachlichen Debatte, welche Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen betreffen
• Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
• Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
• Große Lösung – inklusive Lösung
• Schutzräume in Institutionen und Umgang mit Zwang
3. Fazit
Untersuchung zur Information und Partizipation in der KJP - Behandlung
• Vorstudie: qualitative Befragung in Rostock ,
Entwicklung der Fragebögen (2000) • Hauptstudie: konsekutive Aufnahmen in 2001
• Rostock und ZfP Weissenau • N 296 • Verläufe nur in HRO n = 110
• Förderung VW Recht und Verhalten • Leitung: J.M.Fegert und G. Wolfslast • Mitarbeiterinnen: I. Dippold, S. Rothärmel, K.
Wiethoff • Kooperationspartner: A.Naumann und L. Konopka
Wurdest Du informiert über Deine Behandlung?
Rostock: keine Angaben = 2 weiß nicht = 1Weissenau: keine Angaben = 3
ja sehr eher ja teils teils eher nein überhaupt nicht0
10
20
30
40
50%
Rostock (n = 144) Weissenau (n = 148)gesamt (n = 292)
Rostock (n = 144) 7,6 16,7 16,7 13,2 45,8Weissenau (n = 148) 25 18,2 18,2 12,2 26,4
gesamt (n = 292) 16,4 17,5 17,5 12,7 36
Wurdest Du informiert über die Stationsregeln?
Rostock: keine Angaben = 1Weissenau: keine Angaben = 2
ja sehr ausführlich eher ja ausführlich teils teils eher nicht überhaupt nicht0
10
20
30
40
50
60
70%
Rostock (n = 146) Weissenau (n = 149)gesamt (n = 295)
Rostock (n = 146) 66,4 11,6 6,8 2,7 12,3Weissenau (n = 149) 47 20,1 14,1 3,4 15,4
gesamt (n = 295) 56,6 15,9 10,5 3,1 13,9
Aufklärung
BGH 7. 8.2013 XII ZB 559/11 § 1631b BGB: Fixierung mdj. Kinder ist keine Unterbringung
Entscheidung des BGH wurde bei der aktuellen Debatte um die Reform der Psych KGs vielerorts nicht berücksichtigt
Bayrischer Rundfunk, Frau Hawranek berichtet ausführlich über Zwangsmaßnahmen in einer Behinderteneinrichtung
http://www.br.de/nachrichten/au-franziskushaus-kinderheim-ermittlungen-100.html
Weggesperrt nach Tagesplan
Konsequenz aus BGH-Urteil: für die KJP, die Jugendhilfe und den Behindertenbereich
Ein noch in der Entwicklung befindliches Kind darf allein auf der Basis der Einwilligung der Sorgeberechtigten massiven, regelmäßigen, lang andauernden und sehr einschneidenden Grundrechtseingriffen ausgesetzt sein, ohne dass irgendeine unabhängige Instanz hiervon Kenntnis erlangt und die Rechtfertigung für diese Maßnahmen überprüft.
Zwangsmaßnahmen
Freiheitsentziehende Maßnahmen
Unterbringungsähnliche Maßnahmen mit
freiheitsentziehender Wirkung
Zwangsbehandlungen
-Freiheitsentziehende Unterbringung -Einschluss
-Festhalten -Fixierung -Isolierung -Videoüberw./1:1 -Sedierung („chemische Zwangsjacke“)
-Zwangsmedikation (Behandlung der Grunderkrankung) -Zwangsernährung -Diagnostik unter Zwang -Körperhygiene unter Zwang
Wir sehen gesetzgeberischen Bedarf bei Zwangsmaßnahmen
Ergebnisse Auseinandersetzung mit der Problematik „Sexueller Kindesmissbrauch“ zur Zeit des runden Tisches
Mehr-Ebenen-Strategie der Prävention Implementierung von Mindeststandards 1. Vorlage eines verbindlichen Schutzkonzeptes 2. Durchführung einer einrichtungsinternen Analyse zu
arbeitsfeldspezifischen Gefährdungspotentialen und Gelegenheitsstrukturen
3. Bereitstellung eines internen und externen Beschwerdeverfahrens
4. Notfallplan für Verdachtsfälle 5. Hinzuziehung eines/einer externen Beraters/Beraterin Verdachtsfällen (z.B. Fachkraft für Kinderschutz) 6. Entwicklung eines Dokumentationswesens für Verdachtsfälle 7. Themenspezifische Fortbildungsmaßnahmen für MitarbeiterInnen durch externe Fachkräfte 8. Prüfung polizeilicher Führungszeugnisse 9. Aufarbeitung und konstruktive Fehlerbearbeitung im Sinne der Prävention und Rehabilitierungsmaßnahmen (Unterarbeitsgruppe I des Runden Tisches Kindesmissbrauch)
Entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention sind die Rechte von Mädchen und Jungen auf institutioneller Ebene verankert Ohne Möglichkeit diese einzufordern, bleiben Regeln und Rechte wirkungslos
Niederschwellige Beschwerdesysteme für Kinder
Freisprechanlage zum Patientenfürsprecher und zu den umliegenden Jugendämtern
in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Ulm
Projekt „Ich bin sicher!“
Ein interdisziplinäres Verbundprojekt der 3 Standorte Universität Hildesheim, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm und Hochschule Landshut; gefördert vom BMBF im Rahmen der Förderlinie „Sexuelle Gewalt in pädagogischen Kontexten“ – Studienrelevante Kontexte:
Heime, Internate und Kliniken
– Zielgruppen: • Kinder und Jugendliche (K/J) von 11 bzw.
14 bis 18 Jahren, in stationärer Unterbringung
• Betreuungspersonen (BP), keine Leitungsfunktion
– Studiendesign: Methodenkombination • Qualitative Gruppendiskussionen vor Ort
• Quantitative Online-Befragung
„Ich bin sicher!“ – Schutzkonzepte aus der Sicht von Jugendlichen und Betreuungspersonen
Fazit
Die „schwierigsten“ Kinder brauchen komplexe Hilfen aus unterschiedlichen Systemen Aufsuchende Modelle sind ermutigend und gewährleisten die störungsspezifische Versorgung von mehr Jugendlichen
Wesentliche Schnittstellen Gesundheitswesen zu:
Jugendhilfe,Schule,Arbeit
Inklusion und Neudefinition der sozialrechtlichen Schnittstellen durch inklusive Lösung, erfordert neue Modelle der Zusammenarbeit
Trotz des demographischen Wandels größere Behandlungsnachfrage, Zunahme von Krisen, erwartbare Bedarfssteigerung durch belastete Flüchtlingskinder
Zwang und Schutz in Einrichtungen sind zentrale Themen
Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe mehr denn je auf gute Kooperation angewiesen
Kosten der Jugendhilfe in Deutschland
Art der Hilfe
Betrag in
Tausend €
(Daten von
2013)
Betrag pro
Einwohner in €
(Basis 2013:
80,8 Millionen)
Betrag pro 0-
bis 21-
Jährigem/r in
€ (Basis 2014:
16,4
Millionen)
Einzel- und Gruppenhilfen 8 408 787 104,1 512,5
Hilfe zur Erziehung 6 520 779 80,7 397,4
Heimerziehung; Erziehung in einer sonstigen betreuten
Wohnform 3 437 999 42,5 209,5
Vollzeitpflege 1 000 500 12,4 61,0
Andere 2 082 280 106,5 524,3
Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und
Jugendliche 1 027 519 12,7 62,6
Hilfe für junge Volljährige (i.d.R. 18- bis 21-Jährige) 601 927 7,4 36,7
vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und
Jugendlichen 258 562 3,2 15,8
Einrichtungen 297 764 3,7 18,1
SUMME 8 706 551 107,8 530,7
Forschungsbedarf zu Hilfeverläufen in Hochrisikopopulationen
• Heimkinder
• Pflegekinder
• Kinder in Inobhutnahme
• Kinder psychisch kranker Eltern
• Kinder mit Teilhabebeeinträchtigung (insbesondere in diversen inklusiven Betreuungsformen; derzeit großes Feldexperiment ohne kindeswohlbezogene Begleitforschung)
• begleitete und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Jörg M. Fegert
Steinhövelstr. 5 89075 Ulm www.uniklinik-ulm.de/kjpp www.deutsche-traumastiftung.de www.comcan.de