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Das vorliegende Skriptum Finanzstrafrecht verfolgt das Ziel, einen ersten Einblick in den Stand des österreichischen Finanzstrafrechts und Finanzstrafverfahrensrechts zu geben.
Leicht verständlich werden die Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Finanzstrafrechts, die Straftatbestände des Besonderen Teils sowie das gerichtliche und das finanzstrafbehördliche Finanzstrafverfahren beschrieben. Der Stoff wird anhand praktischer Beispiele verdeutlicht.
Am Ende jedes Kapitels finden sich Wiederholungsfragen. Zur Vertiefung wird auf weiterfüh-rende Literatur verwiesen. Ein umfassendes Stichwortverzeichnis ermöglicht das rasche Auffinden der gewünschten Textstellen.
Das Skriptum kann Studierenden und Berufsanwärtern als ideale Lerngrundlage dienen. Es bietet auch dem interessierten Praktiker wertvolle Basisinformation.
Der dritten Auflage liegt der Rechtsstand vom Jänner 2014 zugrunde. Die Änderungen durch das Abgabenänderungsgesetz 2012 und die Finanzstrafgesetz-Novelle 2013 sind eingearbeitet.
Ebenso berücksichtigt sind (bereits) die im Gefolge der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 erfolgten Änderungen im FinStrG durch das Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 und das Verwaltungsgerichts-barkeits-An-passungsgesetz (Inkrafttreten: 1.1.2014). Mit 1.1.2014 wird der Rechtszug an den unabhängigen Finanzsenat (UFS) als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz durch ein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht (BFG) – als erste Stufe einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit – ersetzt.
ISBN 978-3-7007-XXXX-X
Altenburger | Raschauer
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Dr. Oskar Maleczky ist Richter am Landesgericht Korneuburg und Vortragender im Justiz-Bildungszentrum Schwechat sowie in der Erwachsenenbildung tätig. Er war davor Universitätsassistent und Lehrbeauftragter am Institut für Strafrecht der Universität Wien und Referent in der Straflegislativsektion im Bundesministe-rium für Justiz.
Aktueller Diskurs im UmweltrechtLärmrecht in Bewegung Band 1
Veranstalter: Dr. Dieter Altenburger, MSc, Rechtsanwalt und Partner der Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH
PD Dr. Nicolas Raschauer, CHSH Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von
Rechtsanwälten OG
Referenten: Dr. Wolfgang Berger, Rechtsanwalt und Partner der Haslinger Nagele Rechtsanwälte GmbH
Mag. Karl Thomas Büchele, Richter am Bundesverwaltungsgericht
ao. Univ.-Prof. DI Dr. Christian Kirisits, Professor an der Medizinischen Universität Wien,
Ingenieurkonsulent für technische Physik (ZT Büro Kirisits)
Vorwort
Das vorliegende Flipping-Book ist das erste seiner Art. Die Idee des neuen Formats „Aktueller
Diskurs im Umweltrecht“ war, ein Forum zu schaffen, das nicht bei den Grundzügen beginnt, sondern
sich den Lösungen zu Fragen und Themenstellungen, die momentan relevant sind, in Verfahren immer
wieder auftauchen und für die es noch keine endgültige Lösung gibt, im Diskurs zu nähern.
Lösungsvorschläge sollen angeboten oder zumindest der wissenschaftliche Diskurs angestoßen und
vorangetrieben werden. Die Teilnehmer sind daher ausdrücklich eingeladen, mitzudiskutieren. Im
Unterschied zu anderen Veranstaltungen zu speziellen Themen beträgt das Verhältnis zwischen Rede-
und Diskussionszeit 1:1.
Die Veröffentlichung basiert auf dem wörtlichen Transkript der Veranstaltung. Bekannter Maßen
weicht das gesprochene vom geschriebenen Wort ab. Zwar wurde jenes im Satz leicht bearbeitet, blieb
aber ansonsten unverändert. Ziel der Publikation ist es, die stattgefundene Diskussion auch Personen
zu eröffnen, die an der Veranstaltung nicht teilnehmen konnten. Von einer Transformation in
wissenschaftlich aufbereitete Fachartikel der jeweiligen Referenten haben wir zugunsten einer
authentischen Übertragung des Ergebnisses der Veranstaltung abgesehen. Insofern bleiben die
Ausführungen teilweise an der Oberfläche bzw setzen Kenntnisse des interessierten Fachpublikums
voraus. An einigen Stellen, insbesondere in der Einleitung, wurden dennoch Querverweise, vor allem
auf die wesentlichen Entscheidungen, ergänzt, um das rasche Auffinden der Original-Quelle zu
ermöglichen. Im Anhang finden Sie die Folien der Vorträge, die gegenüber der Veranstaltung
unverändert blieben.
„Lärmrecht in Bewegung“ erschien uns als erstes Thema dieser neuen Reihe besonders gut geeignet,
weil sich in diesem Bereich in den letzten paar Jahren sehr viel getan hat. Eine der letzten
Hinterlassenschaften des Umweltsenates war die Entscheidung Wieselburg.1 Der
Verfassungsgerichtshof hat sich mit der Gesetzmäßigkeit der SchIV beschäftigt und diese partiell als
veraltet aufgehoben. Der BMVIT als Verordnungsgeber hat in den Jahren 2012 und 2014 zwei
besondere Immissionsschutzvorschriften erlassen, die Luftverkehr-
Lärmimmissionsschutzverordnung,2 und die Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung.
3
Ungefähr zur gleichen Zeit gab es auch noch zwei Erkenntnisse des VwGH, Koralmbahn4 und
Semmering-Basistunnel5. Zusammenfassen lassen sich diese Entwicklungen mit der Einsicht, dass
viele Dinge im Wandel und viele nach wie vor unklar sind; wo muss ich messen, wann besteht
Freiraumschutz, bricht eine Verordnung den Freiraumschutz oder ist eine Verordnung, die den
Freiraumschutz beseitigt, vielmehr bedenklich?
Büchele
Ich möchte mit Ihnen die Entscheidung Götzendorf besprechen, diese auch zum Schwerpunkt machen,
insbesondere die Thematik der Gesamtlärmbewertung – ist diese möglich? Die zweite Entscheidung,
die ich besprechen möchte und die sich ebenfalls mit Lärm befasst, ist „Spielberg neu“.6 Dann möchte
ich kurz auf die bereits erlassenen, besonderen Immissionsschutzvorschriften eingehen. Abschließend
1 US 30.10.2013, 4A/2010/14-182.
2 LuLärmIV, BGBl II 2012/364.
3 BStLärmIV, BGBl II 2014/215.
4 VwGH 22.10.2012, 2010/03/0014: „Bei den Grenzwerten der SchIV 1993 handelt es sich … um
Mindeststandards, deren Unterschreitung im Einzelfall geboten sein kann.“ 5 VwGH 19.12.2013, 2011/03/0160. Die Kernaussagen in Hinblick auf Lärm waren, dass Baulärm von der
SchIV nicht erfasst ist und mangels besonderer Immissionsschutzvorschrift auf jenen der Lärmquelle am
nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen ist. 6 Abnahmeverfahren.
werde ich auf die schon angesprochene Entscheidung des Umweltsenates „Wieselburg“, die glaube ich
in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, und kurz auch auf den VwGH eingehen.
Ausgangslage im Verfahren „Spange Götzendorf“ war, dass ein Schienenprojekt und ein
Straßenprojekt gleichzeitig hätten bewilligt werden sollen. Der Antrag auf Genehmigung des
Straßenprojekts ist dann später zurückgezogen worden; darum der Konjunktiv. Zusätzlich hat ein
drittes Projekt mit hineingespielt, nämlich die 3. Piste des Flughafen Wien-Schwechat. Es hätten also
sozusagen drei Lärmbereiche beurteilt werden sollen, zu denen es die einzelnen sektoralen
Verordnungen gibt. Der Gesamtlärmpegel wurde ermittelt von Ing. Lechner, der für die Akustik
zuständig war. Aus den verschiedenen Bereichen und unter Bedachtnahme auf die zukünftige
Entwicklung wurde deshalb auch die 3. Landepiste miteinbezogen, weil die eben schon im
Bewilligungsverfahren geprüft wurde bzw auch schon ein Bescheid der NÖ Landesregierung vorlag.
Die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Dritte Piste liegt jetzt derzeit noch beim
Bundesverwaltungsgericht.
Das BVwG hätte daher diese drei „Lärmerreger“ mit ins Verfahren einbeziehen müssen. Letztlich ist
aber herausgekommen, dass keine Gesamtlärmbetrachtung möglich ist. Im Erkenntnis wurde aber
festgehalten, dass die SchIV ein Mindeststandard ist – das ergibt sich auch aus der VwGH-Judikatur –
und unter Umständen auch ein Unterschreiten der in der Verordnung enthaltenen Grenzwerte im
Einzelfall geboten ist. Dabei haben wir auch das Gutachten von Lassnig/Neuberger7 als
Orientierungspunkt genommen.
Für mich wären die Meinungen interessant – sowohl der Kollegen am Podium als auch des
Auditoriums – ob so etwas möglich wäre, sprich eine Gesamtlärmbewertung. Das
Bundesverwaltungsgericht hat versucht, eine Gesamtlärmbetrachtung anzugehen; es wird auch in
Deutschland viel diskutiert. Es ist die Frage, ob so etwas auch in Österreich möglich sein wird.
Ich möchte nur ganz kurz auf „Spielberg neu“ hinweisen. Im Abnahmeverfahren ging es im
Wesentlichen um die geänderten Ausführungen eines Vorhabens gegenüber der Antragstellung und
um gravierende Schallüberschreitungen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes gibt es im
Wesentlichen zum heutigen Tag nur diese zwei Entscheidungen. Natürlich gibt es andere Vorhaben,
die das Thema Lärm berühren, wie zB die Genehmigung von Windparks. Dort spielt aber aber Lärm
nicht diese zentrale Rolle.
Zur Entscheidung bei uns steht auch die Dritte Piste des Flughafens Wien an.
Ich darf in weiterer Folge kurz auf die wesentlichen rechtlichen Bestimmungen zu Lärm eingehen. Die
Ausgangslage ist der Genehmigungstatbestand in § 17 Abs 2 UVP-G. In Entsprechung der
Gewerbeordnung wird dort der Nachbarschutz als Standard für die Genehmigung von UVP-Vorhaben
7 Lassnig/Neuberger, Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung - SchIV, BGBl. Nr. 415/1993, Studie
der Verkehrslärmauswirkungen im Freien und vergleichsweise in Räumen bei gekippten und bei geschlossenen
Fenstern, Untersuchung der Unterschiede von Schienenverkehrslärm zu Straßenverkehrslärm zur
schalltechnischen und humanmedizinischen Beurteilung des „Schienenbonus“, abrufbar unter
https://www.bmvit.gv.at/verkehr/eisenbahn/verfahren/stadlau_staatsgrenze/verhandlungsschrift/beilage_2_zur_v
hs_laermtechn_med_gutachten.pdf; dies, Noise annoyance correction factor und Schienenbonus aus
schalltechnischer und umwelthygienischer Sicht, RdU-UT 2014/13. Vgl weiters Altenburger/Berger/Meister,
Schienenbonus und besondere Immissionsschutzvorschriften vor dem Hintergrund der aktuellen
Rechtsprechung, RdU 2014/12.
festgeschrieben. Der Grund für die Ausnahme hinsichtlich der besonderen
Immissionsschutzvorschriften, wie sie in den genannten Verfahren eine besondere Rolle spielen (§ 17
Abs 3 UVP-G), liegt eben darin, dass bei Nichtanwendbarkeit von besonderen
Immissionsschutzvorschriften der Nachbarschaftsschutz nach den sehr strengen Judikaten des
Verwaltungsgerichtshofes bei lärmintensiven Vorhaben, wie insbesondere Infrastrukturvorhaben,
zahlreiche Komplikationen nach sich ziehen könnte. Es wäre mit hohen Grundablösen zu rechnen;
Objektschutzmaßnahmen wären unzureichend und die Beurteilung der Belästigung des
Gesundheitsschutzes wären entsprechend der GewO-Judikatur auf den Punkt des Grundstückes
bezogen, auf dem ein gewöhnlicher Aufenthalt bestehen kann und zwar im Freien und auch in der
Nacht.
Durch die UVP-G-Novelle 2000 wurde im UVP-G § 24h Abs 2 zweiter Satz aufgenommen, nunmehr
24f Abs 2 zweiter Satz, wo auf „besondere Immissionsschutzvorschriften“ abgestellt und eine
Ausnahme zum strengen Nachbarschaftsschutz angeordnet wurde; bekanntermaßen existierte schon
damals für Schienenvorhaben die SchIV. Diese Regelung wurde dann in § 17 Abs 3 ausgeweitet, was
die Grundlage für die später erlassene Luftverkehrslärmimmissionsschutzverordnung war. Und
letztlich wurde diese Regelungskonstruktion durch die UVP-G-Nov 2012 im 2. Abschnitt ausgedehnt.
Dadurch wurde es ermöglicht, dass für sämtliche Straßenvorhaben, Eisenbahnvorhaben,
Flughafenvorhaben und Starkstromwege (auch) im 2. Abschnitt besondere
Immissionsschutzvorschriften erlassen werden.
Dh für all diese Vorhaben gilt (seither): Bestehen solche Immissionsschutzvorschriften, sind insoweit
Gefährdungen im Sinne des § 17 Abs 2 Z 2 UVP-G (dh der Gesundheit, des Lebens, des Eigentums)
und zumutbare Belästigungen nach diesen „besonderen Vorschriften“ zu beurteilen. Das ist bei der
Eisenbahn die sogenannte Schienenverkehrslärmimmissionsschutzverordnung, bei den Flughäfen die
Luftverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung, die 2012 gekommen ist, und bei den Bundesstraßen
ganz neu die Bundesstraßenlärmimmissionsschutzverordnung.
Diese drei Verordnungen sind schon bei den jetzt anhängigen Verfahren beim
Bundesverwaltungsgericht anzuwenden. In Bezug auf Starkstromwegevorhaben gibt es noch keine
Verordnung; ob eine geplant ist, ist mir nicht bekannt. Aber was auch interessant sind: bislang gibt es
auch keine Anfechtung einer der genannten Verordnungen durch das Bundesverwaltungsgericht (nach
Art 89, 139 B-VG) beim VfGH.8
Ich möchte noch kurz auf die erwähnte Entscheidung Wieselburg des Umweltsenates eingehen, die
natürlich als Vorgabe auch vom Bundesverwaltungsgericht zu berücksichtigen ist; hier wurde
klargestellt: soweit eben keine besonderen Immissionsschutzvorschriften bestehen, wie im konkreten
Fall nach dem NÖ LandesstraßenG, gelten die Grundsätze der Gewerbeordnung. Das
Straßenbauvorhaben wurde dann bewilligt mit Auflagen betreffend Flüsterasphalt und
Geschwindigkeitsbeschränkungen. Der Projektwerber hat diese Auflagen in Kauf genommen. Der
Lärm wurde so weit reduziert, dass das Vorhaben bewilligungsfähig wurde.
8 Anmerkung der Veranstalter: diese Tatsache hat sich mittlerweile geändert. Das BVwG hat mit Beschluss
30.11.2015, V162/2015, zu Verfahren W104 2108274-1/26Z (S1 "Lobau-Tunnel") den Antrag an den VfGH den
Antrag gestellt, § 6 Abs. 1 bis 4 zur Gänze, in eventu § 6 Abs. 2 den Satz „Im Bereich von 60,0 dB < Lden ≤65,0
dB sowie im Bereich von 50,0 dB < Lnight ≤ 55,0 dB sind vorhabensbedingte Immissionserhöhungen von bis zu
1,0 dB irrelevant.“ sowie § 6 Abs. 3 und 4 zur Gänze aufheben.
Nur kurz erwähnen möchte ich die Flughafenentscheidung zu Wulkaprodersdorf und Nussdorf an der
Traisen, wo Lärm bei der Einzelfallprüfung im Feststellungsverfahren eine Rolle gespielt hat. Dann
die auch schon erwähnte Entscheidung des VwGH zum Semmering Basistunnel, wo unter anderem
auch gesagt wurde, Baulärm ist sozusagen kein Lärm nach der SchIV, sondern rein der
Schienenverkehr und zur Koralm-Bahn, dass unter Umständen auch zusätzliche Maßnahmen im
Bereich Lärm unterhalb der Grenzwerte vorgesehen werden können. Dies wurde dann auch in der
Entscheidung „Pottendorfer Linie“ bestätigt, dass also die Grenzwerte der SchIV einen
Mindeststandard darstellen.
Ich möchte abschließen und sozusagen den Fokus nochmals auf den Gesamtlärm lenken. Dem
Bundesverwaltungsgericht ist eine Gesamtlärmbeurteilung derzeit nicht möglich. Aber ich glaube, es
wird dennoch weiterhin Thema sein und wir werden uns sicher noch weiter mit dieser Frage
beschäftigen.
Altenburger
Zur Entscheidung Wieselburg9 möchte ich anmerken, dass ich die dort vertretene Ansicht des
Umweltsenats nicht teile. Auf Landesstraßenvorhaben sind durch den Verweis von § 17 Abs 3 auf 24f
Abs 2 UVP-G ebenfalls besonderen Immissionsschutzvorschriften anzuwenden, sofern solche
bestehen. Nach Auffassung des US enthält das NÖ Straßenrecht keine besonderen
Immissionsschutzvorschriften. Meiner Ansicht nach stellt § 10 NÖ Straßengesetz aber sehr wohl eine
Immissionsschutzvorschrift dar. Klargestellt wird dort, dass durch aktive Maßnahmen für Lärmschutz
zu sorgen ist, wenn dieser nicht durch objektseitige Maßnahmen erreicht werden kann. Diese
Anordnung geht als speziellere Immissionsschutzvorschrift der allgemeineren Bestimmung des
UVP-G vor.
Der Umweltsenat hat das diametral anders gesehen und gemeint, § 24f derogiere dem NÖ StraßenG in
Hinblick auf Gesundheits- und Belästigungsschutz als speziellere Norm. Insofern gelangen die Regeln
über den objektseitigen Lärmschutz nicht zur Anwendung. Wenn objektseitiger Lärmschutz keine
Berücksichtigung findet, gelange ich als Konsequenz dazu, dass ich auch außerhalb des Objekts, also
im Freiraum schützen muss. Mit der Frage, ob die verwiesene Bestimmung eine besondere
Immissionsschutzvorschrift darstellt, hat er sich in seinen Entscheidungsgründen nicht auseinander
gesetzt. Möglicherweise hatte der Umweltsenat bei seinen Überlegungen die Materialien vor Augen.
Diese bringen zum Ausdruck, dass Immissionsschutzvorschriften typischerweise solche sind, die
Grenzwerte enthalten.10
Kurzum: Anordnungen darüber, wie mit Lärm umzugehen ist, machen danach
noch keine besondere Immissionsschutzvorschrift aus; man benötige – um eine besondere
Immissionsschutzvorschrift nach dem Verständnis des Gesetzgebers zu erlassen – auch bestimmte
Grenzwerte.
Dieser Ansicht kann ich nicht folgen. § 24f Abs 2 bringt lediglich den allgemeinen Grundsatz zum
Ausdruck „lex specialis derogat legi generali“. Die speziellere Bestimmung derogiert der allgemeinen
ohnedies nur in jenen Bereichen, die vom Regelungszweck der spezielleren Bestimmung erfasst sind.
Insofern ist es mE nicht zwingend erforderlich, sämtliche Bereiche, die ansonsten in § 24 Abs 1
geregelt sind, abzudecken. Maßgeblich ist das Vorhandensein einer Regel, die zumindest in
9 US 30.10.2013, 4A/2010/14-182.
10 RV 1809 BlgNR 24. GP, zu § 24 f: „… besondere Immissionsschutzvorschriften, das sind besondere, durch
Gesetz oder Verordnung erlassene Bestimmungen, die auch verbindlich festgelegte Grenzwerte für die zulässige
Gesundheitsbelastung bzw. Belästigung enthalten, so sollen in Zukunft diese als Grenzwerte für einen
ausreichenden Gesundheits- und Belästigungsschutz gelten.“
Teilbereichen eindeutig einen immissionsschutzrechtlichen Aspekt aufweist. Ob sich die
entsprechenden Bestimmungen in einem Gesetz oder in einer Verordnung finden, kann nicht relevant
sein. Wenn sogar eine Verordnung ausreicht, muss nach einem Größenschluss auch ein Gesetz
reichen.
Wolfgang Berger
Ich möchte noch einmal zusammenfassend auf die rechtlichen Grundlagen eingehen, auf deren Boden
sich diese Judikatur und Verwaltungspraxis, die wir heute diskutieren wollen, entwickelt hat. Zum Teil
hat auch mein Vorredner schon erwähnt, dass wir bei UVP-Vorhaben nach dem drittem Abschnitt die
Genehmigungskriterien in § 24f UVP-G finden. Für die anderen Vorhaben, die dem 2. Abschnitt
unterliegen, enthält § 17 eine vergleichbare Regelung. Dieser enthält den Verweis, dass für
Infrastrukturvorhaben generell § 24f hinsichtlich der besonderen Immissionsschutzvorschriften gilt.
Durch den Verweis auf § 24f ist daher auch für Vorhaben nach zweitem Abschnitt das
Entlastungsprivileg maßgeblich.
Wir haben besondere Immissionsschutzvorschriften in der Bundesstraßenlärmschutzverordnung,
andererseits Landesstraßengesetze, die – wie wir gerade gehört haben –, anscheinend nicht wirklich
Sonderimmissionsschutzvorschriften sind. Im Bereich der Eisenbahn und der Luftfahrt bestehen die
bereits erwähnten Schienen- und Luftfahrtimmissionsschutzverordnungen.
Regelungen über den Schutz der Gesundheit und auch den Schutz vor unzumutbarer Belästigung
stehen an sich grundsätzlich in § 17 Abs 3 bzw § 24f Abs 1 UVP-G; aber die besonderen
Immissionsschutzvorschriften gehen diesen „allgemeinen Bestimmungen“ vor.
Dann sind die Genehmigungskriterien des § 24f Abs 1 UVP-G zu erwähnen, die für uns jetzt
besonders hinsichtlich Z 2 interessant sind, nämlich das Immissionsminimierungsgebot. Von dem sagt
man an sich, es sei schon zu berücksichtigen, aber es vermittle kein wirklich einklagbares unbedingtes
subjektives Recht.
Sozusagen „hartes“ Recht sind die Bestimmungen, nach denen jedenfalls folgende Immissionen zu
vermeiden sind: Lebens-, Gesundheits- und Eigentumsgefährdung, die erhebliche Umweltbelastung
und die unzumutbare Belästigung der Nachbarn im Sinne des § 77 Abs 2 GewO. Die besonderen
Genehmigungskriterien für Infrastrukturvorhaben des § 24f Abs 2 UVP-G sind einerseits in Satz 1 das
Entlastungsprivileg; hier wird ein wesentlich größerer Kreis von Nachbarn durch ein Vorhaben
dauerhaft entlastet, als Nachbarn belastet werden. Danach gilt der Belästigungsschutz auch als erfüllt,
wenn die Belästigung so niedrig gehalten wird wie es wirtschaftlich vertretbar ist. Diese Vorschrift ist
von der Genesis her eigentlich eine Bestimmung für Umfahrungsstraßen, die es ermöglichen soll,
einen größeren Teil von Personen zu entlasten. Leider müssen dort, wo die Umfahrungsstraße neu
angelegt wird, einige eine schlechtere Immissionssituation hinnehmen. Das soll durch dieses
Entlastungsprivileg ermöglicht werden.
Man hat im Verfahren Flughafen Schwechat dritte Piste versucht, von Seiten von Einwendern oder
Parteien des Verfahrens dieses Entlastungsprivileg eventuell zu verallgemeinern. Argumentiert wurde,
dass bei der Lärmbeurteilung zu berücksichtigen sei, dass dort, wo sehr viele Menschen wohnen, die
zulässige Lärmbelastung strenger zu regeln wäre, dh sie dürfen nur weniger belastet werden, als in
Gebieten, wo weniger Leute wohnen. Ich glaube nicht, dass man eine solche Auslegung der
Bestimmung zum Entlastungsprivileg entnehmen kann.
Andererseits regelt § 24f Abs 2 die besonderen Immissionsschutzvorschriften. Der Gesetzestext ist so
formuliert, dass für den Fall, dass besondere Immissionsschutzvorschriften bestehen, sämtliche
Eingriffe, nämlich nicht nur die Zumutbarkeit, sondern auch der Eingriff in das Recht auf Gesundheit
und Eigentum nach den besonderen Immissionsschutzvorschriften zu beurteilen ist. Dazu gibt es noch
keine Entscheidung des VfGH, ob es zulässig wäre, durch eine Verordnung auch den
Gesundheitsschutz in gewisser Weise einzuschränken.
Der VfGH hat sich in der Entscheidung Summerauer Bahn mit der SchIV beschäftigt. Er hat dort in
einem ersten Erkenntnis in einem Verordnungsprüfungsverfahren Teile der SchIV aufgehoben. Die
Frage, ob die SchIV mit ihrem Schienenbonus eigentlich als solche nicht dem Stand der Technik
entspricht und daher gesetzwidrig wäre, hat der VfGH in der zitierten Entscheidung dahin beantwortet,
dass der Schienenbonus (dh die bis um 5 dB günstigere Beurteilung des Bahnlärms) als nicht
verfassungswidrig und nicht dem Gesetz widersprechend angesehen wird; er hat aber dazu gesagt, die
SchIV greife ohnehin nur dort, wo es um die Zumutbarkeit von Lärm generell geht. Aber durch die
SchIV könne man nicht in die Gesundheit eingreifen.
Die neue Rechtslage, die der VfGH noch nicht anzuwenden hatte, ermöglicht aber genau das. Sie hatte
der VfGH noch nicht zu prüfen. Wir haben daher diskutiert, ob § 24f UVP-G vielleicht deswegen
verfassungswidrig sein könnte oder einschränkend zu interpretieren wäre. Man könnte aber natürlich
sagen, solange die zitierten Verordnungen keine Grenzwerte enthalten, die so hoch sind, dass sie trotz
Einhaltung zu einer Gesundheitsgefährdung führen, so lange passiert eigentlich nichts. Der § 24f wird
also in diesem Bereich betreffend Gesundheitsgefährdung eigentlich nicht schlagend, weil es ohnehin
durch die Anwendung der Verordnung zu keiner Gesundheitsgefährdung kommt.
Man könnte auch sagen, der § 24f UVP-G selber wäre gar nicht verfassungswidrig, vielleicht wäre nur
die Verordnung quasi gesetzwidrig, wenn sie derart hohe Grenzwerte enthalten würde, die eben zu
einer Gesundheitsgefährdung führen könnten. Aber das ist eine noch offene Frage.
Interessant ist schließlich die Thematik der Zustimmungsverweigerung. Es wurde ja schon über die
Entscheidung des US zu Wieselburg gesprochen; der Senat hat § 10 NÖ Straßengesetz 1999 eigentlich
nicht angewendet. Diese Norm lautet: „Wird die Zustimmung zu Baumaßnahmen [die eben auch
Lärmschutzmaßnahmen, zB den Einbau von Lärmschutzwänden enthalten, Anm d Red] verweigert, ist
der betroffene Grundstückseigner so zu behandeln, als wäre die Baumaßnahme, nämlich der Einbau
von Lärmschutzwänden, gesetzt worden“. Man kann ihn mit dieser Vorschrift an sich dazu zwingen,
entweder die Lärmschutzfenster einbauen zu lassen oder, wenn der Nachbar das nicht will, ihn
trotzdem so zu behandeln, als wäre bei ihm dieses Lärmschutzfenster eingebaut worden. Bei der
Entscheidung Wieselburg hat man aber diese Bestimmung nicht angewendet. § 24f Abs 1 verdränge
als lex specialis dieses Zustimmungssurrogat. Das führt im Ergebnis zu einer unter Umständen
strengeren Beurteilung des Vorhabens, das UVP-pflichtig ist, im Verhältnis zu kleineren Vorhaben,
die eben nicht UVP-pflichtig sind.
In der Luftverkehrlärmimmissionsschutzverordnung, die ich als erste der drei geltenden
Lärmschutzverordnungen kurz vorstellen möchte, sind geregelt: Schallimmissionen auf Grund des
Luftverkehrs, hier nur die verkehrsbedingten Immissionen, nicht etwa Baulärm-Immissionen, die für
die dritte Piste etwa entstehen, wenn die Piste einmal gebaut werden sollte (falls sie genehmigt wird
natürlich). Die Luftverkehrslärmimmissionsschutzverordnung enthält nur Regelungen für
verkehrsbedingte Immissionen. Es sind dort auch objektseitige Maßnahmen vorgesehen, wie der
Einbau von Lärmschutzfenstern. Das Zustimmungssurrogat steht in dieser Verordnung. In § 4 Abs 3
leg cit heißt es, bei einer Zustimmungsverweigerung des Nachbarn ist jener so zu behandeln, als wäre
die Schutzmaßnahme gesetzt worden. Also genau dieselbe Vorschrift wie in § 10 des NÖ
Straßengesetzes.
Interessant ist, dass diese angesprochene Verordnung auch auf Spitzenpegel abstellt und zwar in der
Nacht; es dürfen in der Nacht 6x die 68 dB erreicht werden. Diese Verordnung ist sozusagen ganz am
letzten Stand der Technik, weil der Verordnungsgeber nämlich auch Spitzenpegel berücksichtigt hat,
die bei den anderen beiden Lärmimmissionsschutzverordnungen nicht berücksichtigt worden sind.
Die Bundesstraßenlärmimmissionsschutzverordnung hat dafür wieder eine andere Besonderheit. Sie
regelt auch baubedingten Lärm, nicht nur den Verkehrslärm. Sie sagt, wo der maßgebliche
Immissionsort ist. Das ist beim Nachbarn auf der Fassade in der Höhe der jeweiligen Geschoße des
Objektes und dieser Immissionswert ist auch maßgeblich für die Beurteilung der Lärmauswirkungen.
Im Vordergrund steht hier, wo der Lärm zu messen ist und daher, wo auch der Schutz des Nachbarn zu
beurteilen ist. Es wird auch vorgegeben, was uns nicht unbekannt ist aus der GewO, dass die
Auswirkung auf ein gesundes normal empfindliches Kind bzw. einen Erwachsenen zu beachten sind.
Die Grenzwerte differenzieren für Tag/Nacht und sind auch für Betrieb- und Baulärm unterschiedlich,
wobei der Baulärm großzügiger beurteilt werden kann, weil hier die Mediziner sagen, dass bei
Baulärm immer nur ein temporärer Zustand vorliegt, kein ständiger Zustand wie bei Verkehrslärm.
Was ich dort nicht gefunden habe, sind Spitzenpegel. Vielleicht, weil die im Bereich
Straßenverkehrslärm nicht in derselben Weise maßgebend sind wie beim Fluglärm; in der Verordnung
existiert auch kein ausdrückliches Zustimmungssurrogat, wenn ich nicht etwas übersehen haben sollte.
Ich habe einen aktuellen Bescheid des BMVIT über die Genehmigung einer Autobahn bzw. einer
Schnellstraße mitgenommen. Da sind in einer Auflage sehr ausführlich verschiedene Maßnahmen
geregelt worden, zB der Einbau von Lärmschutzfenstern. Auch das Prozedere, wie das von der
ASFINAG durchzuführen ist, wurde geregelt: Dann heißt es im Bescheid: „Die Maßnahme gilt auch
dann als rechtzeitig erfüllt, wenn die oben angeführten Zustimmungen zum Einbau der Fenster,
nachweislich nicht gewährt werden usw und so fort“. Dann steht aber hier „in diesen Fällen bleibt
jedoch der Anspruch der Anrainer auf Lärmschutz gemäß den festgelegten Richtlinien oder
Richtwerten für die Bau- und Betriebsphase wie folgt bestehen…“. Dh ein gewisser sanfter Druck ist
vielleicht in dieser Auflage enthalten, aber ich finde, wenn sie nicht zugestimmt haben, dann bleibt
trotzdem ihr Anspruch auf Lärmschutz gemäß den festgelegten Richtwerten für die Bau- und
Betriebsphase bestehen.
Dann haben wir noch die Schienenlärmimmissionsschutzverordnung, die älteste aus diesem
Dreigestirn der besonderen Immissionsvorschriften. Diese Verordnung, wie wir schon gehört haben,
hat der VfGH zum Teil etwas dezimiert, was sich aber in der Praxis nicht wirklich ausgewirkt hat,
weil dann in den Verfahren vor dem VfGH seitens der ÖBB nachgewiesen wurde, dass auch bei der
Anwendung der aktuellen Normen und der Richtlinien nichts anderes herausgekommen wäre, obwohl
man „nur“ die veralteten Standards angewendet hat. Die Normen sind nicht wirklich strenger
geworden. Wie gesagt, den Schienenbonus mit der 5db günstigeren Beurteilung, den hat der VfGH
gehalten. Die SchIV enthält keine Regelungen über den Baulärm, sondern nur solche über den
Verkehrslärm, und sie hat auch keine Spitzenpegel geregelt.
Vielleicht hier nur ganz kurz die Begründung, wieso der VfGH den Bonus für die
Schienenverkehrslärmimmissionen als nicht der Verfassung oder dem Gesetz widersprechend
angesehen hat. Innerhalb des Entscheidungsspielraumes des Verordnungsgebers habe man zu Recht
das hohe öffentliche Interesse an Infrastrukturvorhaben der Bahn berücksichtigt. Die größere Zahl
betroffener Personen bestehe bei Autobahnen; dann die unterschiedliche Lärmausbreitung: das mag
sein. Vielleicht schlafen wir bei Bahnlärm besser als bei Verkehrslärm, weil sich der Bahnlärm anders
ausbreitet und eben die geringere Störwirkung von Schienenlärm; vielleicht gewöhnt man sich leichter
an den Bahn- als an den Autoverkehrslärm.
Die Auswirkungen der SchIV sind aber vom VwGH schon ziemlich zurechtgestutzt worden. Der
VwGH hat ausgesprochen, die Mindeststandards der SchIV können notwendigerweise zu
unterschreiten sein, wenn sich das aus den vom medizinischen Sachverständigen für Umwelthygiene
verfassten Gutachten als zwingend beurteilte Maßnahme ergebe; dann muss man eben auch unter die
Grenzwerte der SchIV gehen. Auch wenn die Verordnung keine Schallpegelspitzen enthält, hat man
sich mit den Schallpegelspitzen auch auf sachverständiger Grundlage auseinander zu setzen und wenn
diesbezüglich vom Sachverständigen etwas vorgeschlagen wird, was nachvollziehbar und schlüssig
ist, dann ist trotzdem eine entsprechende Vorschreibung zu machen.
Altenburger
Gleich ein Punkt im Nachtrag zum Zustimmungssurrogat. Meiner Ansicht nach war man bei der
BStLärmIV deswegen so vorsichtig, weil man Angst gehabt hat, dass dieses eventuell
verfassungswidrig sein könnte. Das Zustimmungssurrogat durchbreche sozusagen Art 8 MRK, das
Recht auf Privat- und Familienleben, aus dem der EGMR ableitet, dass man auch einen Anspruch auf
Schutz vor Lärm genießt, und daher auch vor -belästigung.
Ich selbst hege aber keine Bedenken, dass das Zustimmungssurrogat verfassungswidrig sein könnte.
Art 8 Abs 2 räumt einen Eingriffsvorbehalt im Sinne des öffentlichen und wirtschaftlichen Wohles
ein. Bei den besonderen Immissionsschutzvorschriften sind Linienvorhaben angesprochen. Aus
meiner Sicht ist damit unzweifelhaft das öffentliche und wirtschaftliche Wohl des Landes betroffen.
Abgesehen davon bin ich der Ansicht, dass man die einzelne Person nicht vor sich selbst schützen
kann oder muss. Also der, der bewusst Lärm in Kauf nimmt und meint, er hat lieber sein 20 Jahre altes
Fenster anstatt ein neues Lärmschutzfenster, dem muss mE nicht geholfen werden, weil ich ihm auch
nicht verbieten kann, dass er sich tagelang in der Nähe einer Rollbahn eines Flughafens aufhält, um
Flugzeuge zu fotografieren. Er schädigt dann zwar wahrscheinlich sein Gehör; zumindest wäre er bei
objektiver Betrachtung belästigt, aber selbst beeinflusst. Meiner Meinung nach ist dem nicht zu helfen
und man muss auch ehrlich sein: ein Großteil der Leute, die die Zustimmung verweigern, verweigern
diese idR nicht, weil sie in Wien ein schönes historisches Doppelkastenfenster haben, sondern um das
Vorhaben zu verhindern. Das muss einmal ganz klar gesagt werden. Auch wenn man das
Zustimmungssurrogat im Licht des grundrechtlichen Eingriffsvorbehalts nicht als zulässig betrachtet,
dann kann ich davon ausgehen, dass die rechtsmissbräuchliche Ausübung eines Rechtes mir nicht ein
Schutzrecht einräumt, das ich dann mit viel Geld kompensieren muss. Der, der dann nicht das Fenster
akzeptiert, bei dem muss ich dann eine Lärmschutzwand aufstellen.
Kirisits
Ich möchte Ihnen das eine oder andere aus meiner fachlichen Sicht zu erklären versuchen. Ich finde es
ganz bedeutend, dass wir uns hier in Österreich von europäischen und internationalen Entwicklungen
abkoppeln. Wir hanteln uns immer von einem Arztgutachten, von einer Hörprobe zur nächsten weiter,
gehen immer von einem individuellen Beurteilungsmaßstab aus und müssen von einem Verfahren zum
nächsten, jedes Mal, diskutieren und so tun, als gebe es keine Evidenz in Europa, als gebe es keine
wissenschaftlichen Publikationen zur Thematik, als gebe es die Europäische Kommission gar nicht,
die dazu Richtlinien ausarbeitet. Wir haben eine sehr isolierte österreichische Sichtweise, die dann zu
gewissen Problemen führt. Die Richtlinie der Europäischen Kommission aus 2002 definiert ganz klar
einige wesentliche Punkte, die wir ständig brauchen, wenn wir über Lärmbelästigung sprechen [Folie
2]. Sie definiert einmal, was Belästigung im Zusammenhang mit Lärm überhaupt ist, nämlich ein Grad
der Lärmbelästigung der Umgebung, der mit Hilfe von Feldstudien festgelegt wird. Also keine
isolierten Studien, die man im Schlaflabor entwickelt hat, sondern in Feldstudien von extremer Anzahl
von Probanden und dazu sollen dann Lärmindizes verwendet werden. So werden physikalische
Größen ermittelt, die mit einer gesundheitlichen Auswirkung in Verbindung stehen. Über eine
sogenannte Dosis-Wirkungs-Relation ein Zusammenhang zwischen einem Index und einer
Auswirkung. Und bereits 2002 hat man in den ersten Positionspapieren der Europäischen Kommission
darauf Bezug genommen. Diese Papiere werden derzeit gerade diskutiert, in Anhang 3 der
europäischen Umgebungslärmschutzrichtlinie aufgenommen zu werden, dh man will dort einen Schritt
weiter gehen. Diese Positionspapiere gehen ganz klar davon aus, dass es einen Zusammenhang gibt
zwischen einem Lärmindex, hier auf der x-Achse aufgetragen, in diesem Fall der Index L-
Day/Evening/Night (Anm: Lden) [Folie 3]. Ein Index, der bereits berücksichtigt, dass die
Belästigungswirkung in der Nacht, am Abend und am Tag unterschiedlich ist. Dies wird mit einem
Gewichtungsfaktor bewertet und führt letztendlich nicht nur zu einem Wert in dB, der einem
Schalldruckpegel entspricht, sondern bereits einem Bewertungsindex, der hier unten aufgetragen ist.
Und hier auf der y-Achse habe ich den Prozentsatz von Personen aufgetragen, die angibt, dass sie hoch
belästigt sind. Diese Tabellen basieren auf etwa 20 bis 30 Studien mit mehr als 50.000 Probanden
dahinter (Anm: abhängig von der Fragestellung - siehe zitierte Literatur). Man sieht bei einem
bestimmten Lärmindex, zB von 50 dB, werden hier bei tausend Personen hundert Personen angeben,
dass sie sich wirklich massiv belästigt fühlen. Das ist das, was wir wirklich als harte Evidenz haben.
Ich gebe zu, das ist nicht viel, aber das ist zumindest das, was es gibt.
Festzuhalten ist aber, dass das alles Fassadenpegel sind. Das ist ganz bedeutend zu beachten. Wenn
jemand hergeht und sagt er möchte den Lärmindex an seinem Grundstücksrand der Belästigung im
Haus bzw an der Fassade gegenübergestellt bekommen, kann man ihm sagen, den kann man wohl
darstellen, es gibt auf der ganzen Welt jedoch keine Kurve, die den Zusammenhang zwischen dem
Lärmindex an der Grundgrenze in Relation zur Belästigungswirkung darstellt. Das wurde einfach
nicht untersucht. Das müssten wir untersuchen, wurde bis jetzt noch nicht. Bis jetzt hat sich also die
Vielzahl der Studien darauf beschränkt, den Fassadenpegel heranzunehmen, weil der relativ gut
zusammenstimmt – mit einem gewissen Kofidenzintervall, sie sehen das hier auf der Darstellung,
dass ich selbstverständlich eine Unsicherheit habe. Das ist das was vorliegt, was man beachten muss
meiner Meinung nach, was die europäische Kommission uns auch als Handwerkszeug in die Hand
gibt. Man sieht hier bereits deutlich, dass diese Kurven leider nicht auf Null gehen. Dh sie werden mit
einem bestimmten Infrastrukturprojekt, wenn Sie tausend Personen befragen, ob sie auf Grund dieses
Projekts belästigt sind, selbst dann Belästigte vorfinden wenn ganz geringe Pegel auftreten. Vielleicht
sogar Pegel, die man weder messen noch hören kann. Auch dann werden Sie immer ein, zwei, drei
Leute dabei haben, die sagen, seitdem die Straße da ist, fühle ich mich hoch belästigt, ich kann nicht
mehr schlafen. Dh wir werden hier niemals einen Nullwert finden. Genauso wenig wie wir beim
Strahlenschutz keinen Nullwert definieren können. Wie wir bei vielen anderen Gesetzen z.b.: Benzole,
etc. keinen Nullwert finden, wo man aber trotzdem vom Verordnungsgeber gesetzespolitisch gesagt
hat, irgendwo müssen wir eine Grenze setzen, wir können auch die Strahlung nicht komplett verbieten,
wir brauchen die beim Zahnarzt, wir brauchen sie in der Medizin, wir brauchen sie bei anderen
Punkten, aber wir müssen irgendwo einhaken und sagen, hier unten hier setzen wir an. Wenn wir diese
Kurven heranziehen, kann man zB bewusst sagen, ich akzeptiere 5% Belästigte oder 10% Belästigte.
Die Anforderung, alle zu schützen, ist mit Hilfe dieser Methode überhaupt nicht möglich, da der
Lärmpegel auf Null sinken müsste. Dh das ist einmal die grundsätzliche Bewertung der Belästigung
als Zusammenhang, ein Index gegenübergestellt einer Belästigung.
Im Folgenden kann ich die Thematik der Gesamtlärmbetrachtung und auch ein bisschen die
Problematik des sog. Schienenbonus zeigen. Wobei ich den Begriff des Schienenbonus verfehlt finde,
weil der Schienen-Bonus ausdrückt, dass ich etwas mit einem Bonus belege; zB aus gesellschafts-
oder umweltpolitischen Gründen das Bahnfahren günstiger bewertet wird. Da kann ich sagen, ja geben
wir einen Bonus aus diesem Grund. Das ist durchaus politisch rechtens. Da müsste ich dann aber wohl
eher beim Grenzwert ansetzen, aber nicht bei der Darstellung des Beurteilungspegels. Der soll nichts
anderes als einen Index darstellen, der die Belästigungswirkung korrigiert. Nun ist es einmal so, dass
diese Untersuchungen, die Studien gezeigt haben, dass ich bei den gleichen 60 dB Lden nur ~4%
Hochbelästigte bei der Schiene habe, aber schon ~10% vom Straßenlärm und ~15% vom Fluglärm. Dh
der selbe Schallpegel löst eine andere Belästigungsreaktion aus. Das geben diese Studien wieder und
das ist letztendlich auch die Idee des Schienen-Bonus gewesen, aber es ist kein Bonus, es ist ein
Anpassungswert. So müsste er richtigerweise auch lauten.
Die Gesamtlärmbetrachtung hätte jetzt folgende Idee, sie sagt, grundsätzlich können wir nicht so tun,
als würden die Belästigungsreaktionen einzeln sektoral abgehandelt werden können. Wir schauen uns
nur die Straße, nur die Schiene, nur den Flug an. Wir müssen schon versuchen, das irgendwie
zusammen zu bringen. Jetzt ist es aber so, dass wir die Lärmindizes nicht einfach zusammenzählen
dürfen; die 60 dB Flug, kann ich nicht mit 60 dB Bahn einfach zusammenzählen. Und deshalb war die
Idee dahinter, die ich sehr elegant finde, dass man jetzt das Ganze äquivalent umrechnet und zB sagt,
65 dB Bahnlärm ist soviel wie 60 dB Straße, beim Flug geht es in die andere Richtung, und das
zusammenzählt [Folie 4]. Das war die Idee dahinter, die Idee ist Stand der Wissenschaft, sie findet
sich wieder in vielen europäischen Ländern, sie findet sich im Koalitions-Übereinkommen in
Deutschland wieder, sie ist in Österreich aber rechtlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht umsetzbar,
weil es in das Gesamtgefüge nicht hinein passt. Wir können ein Verfahren finden, dass wir
zusammenzählen können, aber wir können dann letztendlich nicht sagen, welcher Grenzwert gilt dann
auf diesen kombinierten Werten. Man müsste sich wirklich einmal überlegen und zusammensetzen die
entsprechenden Verordnungsgeber, Institutionen, Universitäten, etc. und einmal versuchen, hier doch
einen Schritt weiter zu kommen.
Ich bleibe bei meiner Meinung, derzeit glaube ich nicht, dass dieser Stand der Technik im UVP-
Verfahren eingesetzt werden kann, aber man kann nicht leugnen, dass die Sache einiges für sich hat.
Das gibt es auch für Schlafgestörtheit [Folie 5], vor allem für Belästigung und Schlafgestörtheit findet
man ein Literatur in den good practice guidelines der europäischen Umweltagentur, auch schon vom
Jahr 2010 und es gibt auch eine deutsche Richtlinie dazu, aber eine technische Richtlinie, die
Gesamtlärm betrachtet. Es tut sich hier einiges, auch wenn es wohl in Österreich noch ein bisschen zu
früh ist [Folie 6].
Zum Spitzenpegel: Beim Spitzenpegel finde ich es ganz interessant, wenn ich mir drei beliebige UVP-
Bescheide hernehme, dann finde ich in allen dreien etwas über Spitzenpegel geschrieben und im ersten
Teil, wenn man es näher durchliest, ist tatsächlich der Maximalpegel gemeint. Also das, was wirklich
ganz oben rot auftreten kann [Folie 7]. Da fahrt jetzt ein Zug vorbei, vorne kommt die Lok, die ist
etwas lauter, dann kommt der erste Wagon, der zweite, dann ist da ein bisschen ein lauterer, der hat
eine Schlagstelle irgendwo, und die Spitze, das wirklich Lauteste, was überhaupt passieren kann. Das
kann man gar nicht prognostizieren, das kann ein Zufallsereignis sein beim Vorbeifahren. Im nächsten
UVP-Bescheid steht, das ist eigentlich eine Art Vorbeifahrts-Pegel. Wir mitteln irgendwie da oben
drüber. Im dritten steht, der Spitzenpegel ist über 5 Sekunden zu mitteln. Ich glaub, bei der
Pottendorfer Linie war das so. Im vierten ist ein mittlerer Spitzenpegel gemeint, im fünften ein
geminderter Spitzenpegel, eine geminderte Pegelspitze, und es wird immer so getan, als wäre es alles
dasselbe. Und dann kommt der Mediziner, der Arzt, und sagt 70 dB. Was war jetzt die rote, die grüne,
die violette Linie?, - und das ging bis jetzt alles gut, aber wir haben leider nicht diese Detailschärfe uns
wirklich ein bisschen zu bemühen, zu schauen, welche internationalen Normen, welche
österreichischen Normen gibt es und nicht nur einfach auf den Spitzenpegel abstellen. Es gibt
technische Normen und es gibt die Physik, die ganz klar unterscheidet zwischen einzelnen
schalltechnischen Größen. Und ich kann nur die gleiche Größe dem gleichen Grenzwert
gegenüberstellen. Ich kann nicht die Größe austauschen und den Grenzwert gleich lassen.
Der Spitzenpegel ist überhaupt interessant. In Deutschland versucht man seit 10 Jahren den
Spitzenpegel anzuwenden und ist zum Schluss gekommen, dass man keine fachlich fundierte
Grundlage für Spitzenpegel beim Schienenlärm hat. In Österreich ist man einen Schritt weiter? - auf
Grund von einem Individualgutachten?
Zum nächsten großen Punkt Stichwort „Messen statt Rechnen“. Grundsätzlich ist nach der
Rechtsprechung immer der Vorrang von Messungen vor den Berechnungen zu geben. Das ist für mich
als Physiker ein Stich ins Herz. Natürlich haben wir jahrelang auch gemessen. Physiker haben sich
beispielsweise in der Antike damit beschäftigt herauszufinden, ob sich die Sonne um die Erde dreht
oder umgekehrt und sind zum Schluss gekommen, die Erde bewegt sich um die Sonne. Daraus haben
sie dann ein Berechnungsmodell entwickelt. Mit diesem Modell kann ich zB berechnen, wann morgen
Früh die Sonne aufgeht. Sie wird morgen um 5.32 Uhr aufgehen. Ein Modell, das durch viele
Messungen abgesichert ist und morgen gilt. Und jetzt kommt der VwGH und sagt, „das glaube ich
nicht. Messen Sie morgen, wann die Sonne aufgeht. Weil die Messung ist immer vorrangig zu sehen.“
Das ist die Problematik, die ich dahinter sehe. Selbstverständlich beruhen die Modellberechnungen auf
einer Vielzahl von experimentalphysikalischen Grundlagen. Es wurden Parameter erhoben, die
verifiziert wurden, letztendlich sind sie in einem Modell gelandet. Wenn man sagt, die Erde dreht sich
um die Sonne, dann muss ich nicht bei jedem Verfahren immer wieder hinterfragen, ob das tatsächlich
so ist. Das ist meine Meinung zu dieser Berechnungsgeschichte.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
Ich möchte erstens auf das Schweizer Modell im Umgang mit Lärm verweisen. In der Schweiz ist das
nicht auf das Fundament von Förderungen gebaut, die sogenannte Lärmschutzfensterförderung,
sondern wenn die Voraussetzung gegeben ist, und speziell erforderlich ist, dann gibt es eine Pflicht
des Gebäudeeigentümers, das einzubauen. Ich sage, da gibt es in der Praxis einen ganz massiven
Unterschied, weil wenn sie einen Vielparteienwohnbau anschauen, da wohnt normalerweise der
Eigentümer nicht drinnen und wenn dann vielleicht das Angebot der Lärmschutzfenster kein
vollständiges ist, wenn man dann vielleicht eine Fassade oder vereinzelte Fenster nicht saniert, oder
jene nicht hergerichtet werden, dann sagt man danke, das mache ich nicht. Ich sage hier ist eine
Schutzlücke. Und weil Sie [Anmerkung: gemeint Altenburger] gesagt haben, wer die Zustimmung
verweigert, der handelt rechtsmissbräuchlich; ich kenne eine alte Dienstanweisung für Bundesstraßen,
die hat vor ein paar Jahren noch den Passus enthalten: Wenn man eine Förderung annimmt, verzichtet
man für sich und alle Rechtsnachfolger auf jeglichen Schutz aus Titel Lärmschutz in Zukunft. Das ist
völlig absurd. Das war damals noch Gang und Gäbe. Ich glaube, dass die Leute sich auch heute noch
fürchten, dass die Zustimmung zur Förderung einen Verlust ihrer sonstigen Rechte bewirkt. Sie sind
eigentlich der Meinung, es ist zu wenig, also der Schutz ist unzureichend und dass man mit der
Zustimmung dann eigentlich seine Rechte aufgibt. Deshalb wartet man noch zu. Also diese
Fallkonstellation gibt es auch, die sollte man respektieren. Ich glaube, dass die Art und Weise, welches
Angebot den Betroffenen üblicherweise gemacht wird, in der Praxis nicht ausreicht.
Der dritte Hinweis zum Thema ist der auf ein Referat eines renommierten Vertreters im deutschen
Bundesamt anlässlich der Lärmkontor-Tagung heuer in Hamburg; das ist eine relativ angesehene
Tagung zum Thema Lärmschutz. Die Tagung hat sehr klar dargestellt, dass die Problematik von
Lärmschutzfenstern darin besteht, dass sie zwar den Lärm bannen, aber dass sie selbst eine
Belästigung darstellen, indem sie den Betroffenen dazu zwingen, die Fenster geschlossen zu halten.
Dieser Zwang ist aber keine Belästigung iS der Rechtsordnung und das ist auch ein Thema, dem man
sich in diesem Zusammenhang stellen muss. Und daher plakativ gesagt: Lärmschutzfenster sind
wahrscheinlich eine Gesundheitsmaßnahme, weil man dann möglicherweise eine Verbesserung der
Schallleistung bei geschlossenem Fenstern messen kann. Das ist eben auch ein Thema und die LuIV
sagt, als Alternative komme nur das Lärmschutzfenster in Betracht. Die V lässt sozusagen keine
andere Maßnahme zu. Dann kommt in Österreich auch folgendes Thema dazu: Wenn man in Wien
wohnt und dann wird Verkehrsinfrastruktur vorbei gebaut, gibt es für diese Wertminderung überhaupt
keinen Ersatz. In der Schweiz hat man hier einen Anspruch auf Ersatz der Wertminderung; es gibt eine
entsprechende Rechtsprechung der Schweizer Höchstgerichte. In Österreich gibt es dafür keine
Regelungen. Ich denke, man sollte bei allen Betroffenen nicht davon ausgehen, dass sie mutwillig in
den Lärm hineingesiedelt sind, sondern es gibt auch andere Betroffene. Und das ist einfach offenes
Thema.
Altenburger
Klarstellen möchte ich, dass ich nicht gemeint habe, dass jeder rechtsmissbräuchlich handelt, der
Lärmschutzfenster verweigert. Die praktische Erfahrung zeigt aber, dass die meisten Personen gerne
das Lärmschutzfenster nehmen würden, aber gleichzeitig Angst haben, dass ihnen die Einwendungen,
und damit die Parteistellung, abgekauft werden. Dann gibt es eben auch jene Fälle, in denen
Betroffene die Zustimmung nur aus taktischen Gründen verweigern, weil sie zwar gerne
Lärmschutzfenster hätten, aber noch lieber das Vorhaben ganz verhindern wollen. Das meinte ich eben
mit rechtsmissbräuchlicher Verweigerung. Aber natürlich gibt es auch die Fälle, in denen die Mieter
als sich ständig dort Aufhaltende eigentlich die Lärmschutzfenster haben wollen, der Eigentümer aber
versucht, die Mieter ohnedies aus der Wohnung zu bekommen, und daher das Wohnen dort unattraktiv
gestalten will und nur deshalb die Zustimmung verweigert.
In solch einem Fall muss man natürlich versuchen, den dort Wohnenden nicht zu beeinträchtigen.
Dass der Eigentümer die Zustimmung verweigert, kann nicht dazu führen, dass der sich ständig dort
Aufhaltende nicht geschützt ist.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
Ich kenne Personen, die streiten vor den Schlichtungsstellen mit den Eigentümern und die wollen, dass
das eingebaut wird; das nützt letztlich alles nichts.
Altenburger
Genau; das sieht man in Wien bei vielen Häusern. Der einzige Grund, warum diese in einem
baufälligen Zustand sind, ist oft, weil die Kaufpreise derzeit relativ hoch sind und die Mieter, die darin
wohnen, relativ wenig zahlen. Insofern wird versucht, durch Unterlassen von Sanierungsmaßnahmen
die ungewünschten Mieter loszuwerden. Für das Thema gibt es noch keine Lösung – zumindest keine
mir bekannte.
Mit der „psychischen Wirkung“ des offenen oder geschlossenen Fensters haben wir uns in einem
aktuellen Vorhaben – das ich nicht nennen will – auseinandergesetzt. Wenn ich nur bei geschlossenem
Fenster geschützt bin und wenn es in der Nacht nicht ganz leise ist, dann muss ich das als betroffener
Anrainer akzeptieren und das Fenster zulassen. Und wenn ich Schalldämmlüfter habe; das Fenster ist
trotzdem zu. Auch wenn man gerade im Sommer gern das Fenster offen hält. Es hat schon eine
gewisse Wirkung, dass man „eingesperrt“ ist. Das glaube ich auch, muss irgendwo berücksichtigt
werden. Letztlich ist das auch eine Frage der Interessensabwägung.
Auditorium
Warum meinen Sie (gemeint: Prof. Kirisits), dass die Gesamtlärmbetrachtung derzeit nicht anwendbar
ist? Mir ist bewusst, dass derzeit nur sektorale Betrachtungen vorgenommen werden, jeder also nur auf
seine Belastung schaut; aber warum sollte es nicht auch anders gehen?
Kirisits
Ich habe nicht gemeint, dass es nicht in der Zukunft gehen könnte. Aber derzeit gibt es nur die
Methodik, quasi das Handwerkszeug, das einmal zusammen zu spielen. Die Europäische Kommission
hütet sich ja davor, dann auch einen Grenzwert für einen Gesamtlärmpegel zu nennen, das überlässt
sie den Mitgliedsstaaten. Und wir müssen ein bisschen aufpassen, ob wir die einzelnen Pegel einfach
zusammenrechnen und dann gleichzeitig die gleichen Grenzwerte, die für die sektorale Anwendung
gedacht waren, auch für den zusammengespielten Wert verwenden. Da würden wir eventuell
vorschnell agieren, da könnten wir etwas vergessen. Dh wir haben zwar eine grundsätzliche Methodik
hier, die auch basiert auf Evidenz, aber es würde ganz gut sein, wenn die einen oder anderen sagen,
wir schauen uns das einmal an, wie könnten wir das in Österreich weiterbringen. In einigen Jahren
müsste man es wahrscheinlich auch auf einer Verordnungsebene diskutieren. Man könnte mit der
Methode auch relativ gut die ganze Diskussion um Bonus/Malus beseitigen, weil man danach
letztendlich nur mehr einen Beurteilungspegel hätte, der mit einem Anpassungswert versehen ist und
der nicht einmal linear immer genau 5dB ist, sondern so wie die Kurven dann eben laufen, je nachdem
wo man liegt. Ich gebe zu, selbst die VDI-Richtlinie besagt in ihrer Einleitung, dass dieses Verfahren
vorerst zur Auffindung von hot spots gedacht ist, aber nicht direkt 1:1 umgesetzt werden kann in den
Genehmigungsprozess. Das ist diese Krux. Eine schöne Methode, Stand der Wissenschaft, aber die
gehört noch einer weiteren Bearbeitung zugeführt.
Berger
Ich glaube, das Problem ist eigentlich weniger, dass die gesetzlichen Grundlagen nicht unbedingt
ausreichen würden, weil zumindest die Rechtsprechung sagt ja nur, es ist die konkrete Situation zu
beachten. Wie ist die Umgebung, welche verschiedenen Lärmarten gibt es, es ist die
Lärmcharakteristik usw. zu beachten; so fragt der VwGH im gewerblichen Betriebsanlagenrecht.
Wenn es eine technische Methode gäbe, die das für den ganz konkreten Fall wirklich abbildet, glaube
ich, könnte man diese schon einsetzen. Dies sieht man auch bei der Rsp zur SchIV: die dortigen Werte
sind aus der Sicht des VwGH Mindeststandards; im Einzelfall kann davon auch abzugehen sein, unter
Bedachtnahme auf die konkrete Beurteilung des Mediziners. Wenn die Technik etwas zur Verfügung
stellen könnte, was auch der Stand der Wissenschaften ist, dann muss man die Rsp anpassen.
Grundsätzlich glaube ich, ist gegen eine Gesamtlärmbeurteilung jedenfalls nichts einzuwenden. Man
kann nicht sagen, dass sie juristisch unmöglich wäre.
Kirisits
Sehen sie, das schwierige beim Genehmigungsprozess ist folgendes Problem: sagen wir, wir haben
jetzt die Quellen A, B und C. Das bereits laufende Projekt A hat einen gewissen sehr, sehr hohen
Immissionspegel. Jetzt steht zur Debatte, das Projekt B zu genehmigen und bei gesamter Betrachtung
komme ich drauf, ja es wird gesamt nur um 0,001 dB mehr, jetzt muss ich aber das Projekt B
genehmigen. Ich kann nur auf das Projekt B wirken und muss diesem vielleicht die Genehmigung
verwehren, obwohl es vielleicht 10 oder 20 oder mehr dB weniger hat und nur ein bisschen erhöht.
Das müsste man, das könnte man nur auf Grund einer Gesamtimmission betrachten. Ich habe keinen
Zugriff mehr auf das Projekt A, das schon existiert und das eigentlich hauptverantwortlich ist für die
Immission. Wenn man es jetzt morgen einführen würde, würde man wahrscheinlich sehr zu Lasten
von gut gemeinten Infrastruktur-Projekten arbeiten und die, die sozusagen ein schlechten Status jetzt
haben, die würde man eigentlich so belassen und die könnten da jetzt auch so bleiben, das meine ich
mit der Schwierigkeit.
Berger
Es gibt eben nicht so eine „Schallsanierung“ wie bei Luftschadstoffen. Da könnte man beim Stand der
Technik entsprechende Verbesserungen vornehmen.
Kirisits
Es gibt freiwillige Maßnahmen durch Infrastrukturunternehmen, initiiert durch ihre
Eigentümervertreter, umgesetzt durch Dienstanweisungen, aber das sind letztendlich freiwillige
Sanierungsrichtlinien. Auch wenn das so umgesetzt wird, dann ist das letztlich nicht verpflichtend.
Büchele
Bei der Götzendorfer Spange hat das letztlich unter dem Strich keine Rolle gespielt, weil das
Vorhaben eigentlich eine Schadreduktion durch die im Projekt eingearbeiteten Maßnahmen gemacht
hätte, aber die Antwort ist nicht gegeben worden. Aber ich denke, wir kommen nicht darum herum,
uns der zu stellen.
Altenburger
Aus meiner Sicht darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass im Titel der bestehenden „besonderen
Immissionsschutzvorschriften“ schon der aus dem Vorhaben entspringende sektorale Lärm erwähnt
ist: Schienenverkehrslärm, Straßenverkehrslärm etc. Insofern ist natürlich die Frage zu stellen: Würde
ich den Gesamtlärm berücksichtigen, verstößt das nicht gegen die jeweilige Verordnung? Denn eine
derartige Gesamtlärmbetrachtung ist de lege lata gerade nicht angeordnet. Die jeweiligen Pegel sind
klar in Hinblick auf das jeweilige Vorhaben (dh den Lärmemittenten) festgelegt.
Ich hätte noch eine kurze Frage zum Luftverkehrs-, Straßen- und Schienenlärm. Sind die
Unterschiede, die Sie [Anm: gemeint Prof. Kirisits] in den Kurven aufgezeigt haben, aus der
Tonhaltigkeit, aus der Charakteristik oder quasi aus psychischen oder aus sonstigen Wirkungen
erklärbar? Ein Flugzeug, das über mein Haus fliegt, das nehme ich optisch viel stärker wahr, während
hingegen die Eisenbahn hinter einer Böschung vielleicht genau soviel emittiert; ich sie aber vielleicht
nicht sehe und sie mich daher nicht stört. Sind die Störwirkungen auch da begründet? Oder ist es mehr
die Geräuschcharakteristik, dass das Flugzeug momentan sehr laut und dann wieder weg ist. Beim Zug
wird zB sogar Werbung mit der gleichmäßigen Geräuschentwicklung gemacht.
Kirisits
Letztendlich ist es eine Vielzahl von Parameter - selbstverständlich. Was sie erwähnt haben, das ist
aber auch noch vieles anderes, z.B. eine Erwartungshaltung. Die Belästigungsreaktion von jemanden,
der sich in Wien eine Wohnung gekauft hat, wird eine andere sein, als von demjenigen, der sich im
Montafon ein Berghaus errichtet. Es spiegelt sich alles wieder und wir kriegen, wenn wir nur Index
versus Belästigung auftragen, auch eine Kurve, aber mit einem Konfidenzintervall, das über 10 oder
20 dB hinausgeht. Der erste Versuch war jetzt einmal, trennen wir es nach Lärmarten auf und da hat
sich gezeigt, die sind zumindest so signifikant und unterschiedlich, dass ich drei Kurven darstellen
kann. Natürlich müsste man noch einen Schritt weitergehen und müsste sagen, ja gibt es bei den
Zügen nicht auch eventuell eine Kombinationswirkung mit Erschütterungen, ja/nein, gibt es einen
Stand der Wissenschaft, wo sich die beiden Kurven dann wieder aufteilen, gibt es einen Unterschied,
müssten wir eigentlich diese Kurven für den städtischen Bereich anders heranziehen als für den
ländlichen Bereich. Würden sich auch ein bisschen aufteilen. Da fehlen uns aber die Fallzahlen,
50.000 Probanden ist eh schon sehr viel. Jetzt haben wir es auf drei schon geteilt, also unter 100.000
hat die Studie keinen Sinn mehr. Und so ist dies der erste Versuch und diese drei Kurven haben immer
noch so eine Bandbreite nach oben/unten, aber es ist schon einmal gut, das zu haben. Und ja Luft
versus Schiene versus Straße bringt die von Ihnen erwähnten Probleme. Da ist alles dabei, da ist die
Geräuschcharakteristik dabei, da ist die zeitliche Abfolge dabei, also eine Vielzahl von Punkten ist da
automatisch inkludiert, die wurden aber nicht im Detail extra für sich alle untersucht, sondern man hat
klassische Fragebogen-Studien verwendet.
Altenburger
Aber wenn ich Ihre Kurven hernehme und richtig interpretiere, auch mit dem was sie gesagt haben,
dann ist es so, dass Fluglärm quasi bei der Lärmbetrachtung schlechter abschneiden würde und die
Schiene besser, während sich die Straße irgendwo neutral bewegt.
Kirisits
Schlechter/besser, das ist rein subjektiv. Man muss es aus der Sicht des Anrainers auch sehen, und
dem der dann das Schutzniveau entsprechend herstellen muss, dann ist es so, dass natürlich der
Fluglärm jetzt, wenn man bei der österreichischen Einordnung bleiben möchte, einen Malus hätte und
die Bahn eher einen Bonus. Man hat es aber schon abgebildet, wenn man wirklich ganz genau schaut,
mit drei Verordnungen. Leider hat man es nicht kongruent gemacht. Man hat in der einen Verordnung
den Grenzwert gesetzt, in der anderen Verordnung hat man es über den Anpassungswert gemacht, also
kommt dann das Gleiche heraus, aber deswegen kann man es noch nicht zusammenspielen. Wenn man
in einem Verfahren schnell sagt, es hat bei mir 63 dB Fluglärm, dann ist es aber nicht der gleiche, ist
es nicht die gleiche schalltechnische Größe wie wenn jemand sagt ein Beurteilungspegel von 63 dB
nach Definition der SchIV. Also man hat sich hier leider nicht auf ein kongruentes einheitliches
Vorgehen einigen können, weil es auch nicht chronologisch gleichzeitig abgelaufen ist. Ist ja kein
Vorwurf an jemanden.
Altenburger
Also der Vorschlag aus Ihrer Sicht, aus der technischen und medizinischen Physik, wäre – wenn ich
das richtig verstanden habe – ein Instrumentarium zu entwickeln, eine Verordnung, wo man versucht,
die Sektoren zusammenzuführen. Damit man alles unter einen Hut bringen kann, weil man es sonst
wahrscheinlich nie 100% kongruent bekommen wird, wenn für jeden Sektor gesondert eine
Verordnung erlassen wird.
Kirisits
Das ist zumindest das, was in den meisten Ländern der europäischen Union jetzt versucht wird, dass
man in Richtung Immissionsschutzgesetze geht, das haben auch andere Länder diese sektorale
Betrachtung wie zB Deutschland, aber ich gebe zu, das dürfte rechtlich nicht so einfach sein. Das ist
ein schnell formulierter Wunsch.
Auditorium
Ich wollte nur zur Belästigung, die ja in Österreich explizit abgefragt wird, sagen, dass wir uns im
UVP-Verfahren zur Frage der Belästigung nach der GewO richten müssen. Da ist ja die Belästigung
immer an die ortsüblichen Verhältnisse angepasst. Dh es ist zwar internationaler Standard. Andernorts
gibt es jedoch Grenzwerte und wissenschaftlichen Studien, die uns ganz eindeutig zeigen, wie die
Kurve ansteigt und wie wir dann belästigt sind. In Österreich ist uns das meines Wissens nach
eigentlich relativ egal, weil ich ja abhängig von der Ortsüblichkeit zu beurteilen habe. Dh dort wo es
laut ist, wie zB am Gürtel, ist die Bewilligung irgendeines Gewerbes wohl nicht zu untersagen,
während im Waldviertel, irgendwo, wo es ganz leise ist, werde ich mir sehr schwer tun, etwas zu
bewilligen. Ich finde es positiv, wenn der österreichische Gesetzgeber Grenzwerte einführt, weil das
auch den Gutachter entlastet und die Problematik der Ortsüblichkeit abschwächt. Vielleicht kommt
man irgendwann soweit, dass man den Gutachter gar nicht mehr braucht, wie es in anderen Ländern
auch der Fall ist, weil man dort eben diese Grenzwerte eingeführt hat. Und wenn man im Einzelfall
darunter ist, passt es und wenn man darüber ist, eben nicht. Aber bei uns ist es momentan so, dass ich
im Gewerbeverfahren keine Grenzwerte kenne und habe und daher nur abhängig davon, was da ist,
quasi meine Aussage tätige und die Behörde dann entscheiden muss.
Altenburger
Na ja, wobei Grenzwerte wenig nutzen, wenn der VwGH wie im Koralmbahnerkenntnis sagt,
Grenzwerte sind schön und gut und geben auch eine Richtschnur vor; im Einzelfall kann aber deren
Unterschreitung geboten sein.
Anstoß war damals der Humanmediziner Dr. Marth. Es ist um eine besonders leise Gegend gegangen,
wo er vereinfacht formuliert gesagt hat: ich habe zwar den Grenzwert der SchIV, aber der ist mir im
konkreten Fall ein wenig zu hoch. Das Vorhaben führt aufgrund des relativen Anstiegs des Lärms
dennoch zu einer Belästigungsreaktion der Menschen.
Wie würdest du, Wolfgang, als ehemaliger Richter des Verwaltungsgerichtshofes, die Judikatur des
gebotenen Unterschreitens der Grenzwerte in Hinblick auf die BStLärmIV und LuftverkehrsLärmIV
einschätzen?
Berger
Im VwGH sind drei Senate für die unterschiedlichen Immissionsschutzvorschriften zuständig. Es gibt
einerseits den Senat 3, das ist der Eisenbahn- und Luftverkehrssenat; und es gibt die Senate, die für
Straßenprojekte zuständig sind. Die von Dir erwähnten Aussagen stammen alle vom Senat 3.
Vielleicht auch deswegen, weil die SchIV halt doch relativ alt ist und es im konkreten Verfahren
Koralm-Bahn einerseits wirklich eine besonders leise Gegend war und der Mediziner dort gesagt hat,
man muss das eben berücksichtigen und deswegen die Grenzwerte unterschreiten.
Bei der Straße ist es eigentlich in den Entscheidungen des VwGH, die es bis jetzt gibt, immer ohne
eine solche Verordnung abgegangen, weil es damals noch gar keine gegeben hat. Zur
BundesstraßenlärmIV hat er ja noch nicht judiziert. Und der Senat 3, was ich so gehört habe, möchte
an sich bei seiner Judikatur bleiben, was man auch schon gesehen hat; er hat gesagt, die
Spitzenschallpegel muss man berücksichtigen, die sind in der SchIV nicht abgebildet. Wenn man sie
nicht berücksichtigt, wäre das ein Aufhebungsgrund. Ich hab so den Eindruck, dass jedenfalls, weil
sich die SchIV nicht wirklich geändert hat, sich auch die Judikatur des Senates 3 nicht ändern wird.
Wie der Senat 5 oder 6 zu den Straßenprojekten judizieren wird, kann ich schwer prognostizieren.
Auditorium (Mitarbeiter BMLFUW)
Wir alle machen ja eine Gesamtlärmbewertung. Gerade in den Gewerbeverfahren, in denen der
medizinische Sachverständige eine Rolle spielt, machen wir auch eine Gesamtlärmbewertung. Der
Mediziner mit der Hörprobe hört nicht selektiv die Einzelquelle und bewertet diese, sondern die
Einzelquelle ist im gehörten Gesamtlärm enthalten. Schwierig ist es natürlich, den Gesamtlärm zu
berechnen, wie Kirisits anhand der unterschiedlichen Wirkungskurven dargestellt hat. Der
regulatorische Prozess auf EU-Ebene ist aber jetzt wirklich stark in Gang gekommen. Die
Kommission steckt relativ da viel Kraft hinein. Die Kommission hat uns mitgeteilt, dass sie schon im
Herbst 2015 vorhat, ein neues Expertenpapier zu diesem Thema zu entwerfen. Wahrscheinlich wird es
Anfang nächsten Jahres, denke ich.
Die Kommission hat auch gesagt, sie würden gerne den Länderbeschluss, den es für den Anhang der
Umgebungslärm-Richtlinie braucht, bis Sommer des nächsten Jahres einplanen. Das wird es auch
nicht ganz spielen; es wird sich ein bisschen verzögern. Aber ich denke, bis zur übernächsten Stufe der
strategischen Lärmkartierung 2022 wird es wohl festgelegte Dosis-Wirkungskurven geben. Wie wir es
umsetzen müssen, dass werden wir erst sehen. Aber wir werden uns einer Gesamtlärmbewertung über
Dosis-Wirkungskurven ziemlich sicher nicht verschließen.
Altenburger
Was glauben Sie: Wird es in naher Zukunft ein Gesamtlärmgesetz geben oder werden wir sektoral
bleiben?
Auditorium (Mitarbeiter BMLFUW)
Das ist, denke ich zu früh. Man spricht auch in Brüssel von den Dosis-Wirkungskurven und den
gezeigten drei Sektoren, Schiene, Luftfahrt, Straße. Jedenfalls ist eine vergleichbare Diskussion auch
in Brüssel aufgetreten. Umgebungslärm befasst sich ja auch mit den kleinen Betriebsgeräuschen. Man
braucht dazu auch eine Dosis-Wirkungskurve, um auch diese Geräusche einordnen zu können. Auch
das probiert die Kommission. Und wenn wir es auf dem Tisch haben, dann werden wir schauen, dass
wir es auch in der Umsetzung zustande bringen. Im Prinzip ist es ja doch auch eine politische
Entscheidung. Man sieht an den Kurven, gar keine Betroffenen geht quasi nicht, also gar keine, die
sich belästigt fühlen, die Kurve geht nie bis Null herunter. Es ist nur die Frage, wieviel akzeptieren wir
und ob man sich da auf ein 5%, 7%, 10% von Personen, die sich belästigt fühlen, einigen kann.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
Diese Frage der Mindeststandards ist eine juristische Frage. Wie man diese Veränderung im UVP-
Gesetz interpretiert und ob diese Grenzen jetzt als Mindeststandard akzeptiert werden oder nicht und
daher unterschritten werden müssen. Ich merke dazu kritisch an, dass der Gesetzgeber bei
Infrastrukturvorhaben viel zu ungenau ist. Ich kann kein Schutzniveau aus dem Luftverkehrsgesetz,
aus dem Eisenbahngesetz, aus dem Bundesstraßengesetz entnehmen. Überspitzt würde ich sagen, es
sind Leerformeln, bei denen der Gesetzgeber eine Festlegung dessen, was er meint, vermeidet. Ich
stelle einmal die Schweizer Rechtsnormen gegenüber. Wenn man dort das Umweltschutzgesetz liest,
bekommt man ein Gespür dafür, wo die Dinge zu liegen kommen. Da bekommt man auch ein Gespür
dafür, wie der Schweizer Gesetzgeber stationäre gewerbliche Anlagen und wie er im Vergleich dazu
die Infrastrukturanlagen behandelt haben will. Stichwort: Es gibt Erleichterungen – Erleichterungen
im öffentlichen Interesse, was sich dann in den Verfahren auch abbildet. Die österreichische
Rechtslage, würde ich einmal sagen, ist so, dass man dem Gesetz ein Schutzniveau nicht entnehmen
kann. Das ist einmal ein grundsätzlicher Kritikpunkt. Bei der
Bundesstraßenlärmimmissionsschutzverordnung glaube ich, dass sich die Frage des Unterschreitens
von Mindeststandards dort stellen kann, wo Projekte auf ganz besonders ruhige Ausgangslagen
treffen. Die Bundesstraßenlärmimmissionsverordnung hat meines Erachtens einen ganz interessanten
Schritt gemacht im Vergleich zu den beiden Vorgängerregelungen. Es wird anerkannt, dass es Dinge
geben muss, wo man bei der Einzelfallbeurteilung bleibt. Das ist zum ersten Mal erfolgt; dieser Weg
sollte auch weiter beschritten werden, um zu sachgerechten Lösungen zu kommen. Nur bei der Frage
des Außenraumschutzes, dort, wo eine ganz geringe Grundbelastung vorherrscht, da ist man „drüber
gegangen“. Ich persönlich bin Jurist; aber ich habe das Gutachten von Marth in diesem Punkt nicht
überzeugend gefunden.11
Auf den Juristentagen12
hat er betont, wie wichtig der Freiraumschutz ist.
Aus dem Gutachten habe ich das nicht herauslesen können. Meines Erachtens hätte er das Konzept,
dass der Bundesstraßenlärmimmissionsverordnung in dem Punkt zu Grunde liegt, nicht goutieren
dürfen. Das führt dazu, dass man sozusagen das Versprechen der Verordnung, „ja, wir schützen den
Freiraum, die Terrasse vor dem Haus“, nicht eingelöst hat. Und dort kann sich auch diese Frage dann
zum Unterschreiten der Mindeststandards stellen.
Kirisits
Das es nicht ganz eingelöst wird, das teile ich nicht. Wenn wir den schrittweisen Aufbau in § 6
betrachten, wird ganz wesentlich einmal der Eintrag der Bundesstraßentrasse hervorgehoben, der
vorrangig mit aktiven Maßnahmen bedient werden muss. Das steht schon drinnen, das gab es vorher
gar nicht. Es wird immer ein bisschen so getan, als könnte man mit diesen Verordnungen jetzt quasi
unbegrenzt das ganze Land mit Lärmschutzfenstern abdecken und sich Lärmschutzwände ersparen,
das ist in dieser Verordnung dezidiert nicht so. Man kann darüber diskutieren, wo dieser untere
Grenzwert beginnt. Der liegt derzeit bei 45 dB in der Nacht. Man hätte darüber diskutieren können, ob
man das Ganze auf die Widmung abstellt, auf die Nutzung, ob man tatsächlich sagt, in der Stadt
brauch ich einen höheren sozusagen Grundpegel und wenn ich eine Trasse mitten in der grünen Wiese
baue wo weit und breit nichts ist, dann muss ich diesen etwas niedriger ansetzen. Da kann man
darüber diskutieren.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
Ich kenne Empfehlungen, die sagen, diesen bestimmten Wert brauche ich, damit das ungestörte
Sprechen auf einer Terrasse noch möglich ist. Ich gebe nur wieder, was ich aus Gesprächen mit den
Technikern gewonnen habe, wenn man die ganzen Reflexionen und Fassade usw berücksichtigt, und
bei den Werten liegt man weit über dem, was da empfohlen wird.
Kirisits
Es sind 45 dB laut BStLärmIV.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
45 dB in der Nacht, aber da sitzt man nicht auf der Terrasse, sondern unter Tags.
11
Anmerkung: Haidinger/Marth haben die humanmedizinischen Grundlagen zur BStLärmIV verfasst. 12
Anmerkung: Auf den österreichischen Umweltrechtstagen 2014
Kirisits
Dann sind es 55 dB. Die Verständlichkeit des Sprechens spielt meiner Meinung nach eine
untergeordnete Rolle. Aber dass man vorrangig natürlich aktiv bei der Trassenfindung schon diese
Dinge miteinfließen lassen soll, das ist selbstverständlich. Ich denke, das ist auch durchaus der Fall.
Auch in der Schienenimmissionsschutzverordnung ist das eigentlich so drinnen, dass ich zuerst einmal
mit trassennahen Maßnahmen arbeiten muss und erst, wenn die voll ausgeschöpft sind, kann ich mit
Fenstern arbeiten. Zum Stichwort „Fenster“ wird oft ein bisschen so getan wird, als würde man eh alle
mit Fenstern zupflastern. Wenn man sich die vergangenen drei, vier Bescheide durchliest, dann sieht
man einen enormen Anteil an trassenseitigen Maßnahmen.
Berger
Ich wollte noch fragen, Du (Anm: angesprochen Mitarbeiter AK/Auditorium) hast gesagt, in den
Gesetzen finden wir keine Grenzwerte. Bei uns finden wir sie halt in diesen speziellen Verordnungen
im Verkehrsbereich und auf der anderen Seite in der Gewerbeordnung. Dort, wo die Gewerbeordnung
anzuwenden ist, haben wir die Zumutbarkeitsgrenze. Natürlich stehen dort keine ziffernmäßigen
Grenzwerte. War das gemeint? Oder würdest Du Dir wünschen, dass es sozusagen ein
Umweltschutzlärmimmissionsschutzgesetz gibt, in dem ein oder mehrere Grenzwerte stehen? Was
wäre deine Zielrichtung?
Auditorium (Mitarbeiter AK)
In den Verordnungen steht „nach dem Stand der Technik“. Was ist der Stand der Technik des
Lärmschutzes? Das halte ich überhaupt für einen grundlegenden Fehler, in einer
Lärmschutzverordnung eine „Stand der Technik“-Klausel einzufügen und sich nachher auf jene zu
berufen. Aus dieser Klausel kann man die Abwägungen mit dem öffentlichen Interesse, wonach der
Einzelne auch etwas hinnehmen müsste, nicht entnehmen. Das ist alles von irgendwo her abgeleitet.
Ich glaube, dass der Gesetzgeber da schon gehalten ist, einmal diese Abwägungsvorgänge abzubilden,
Kriterien zu setzen; und ich sage einmal ein Statement. Ich vermisse so etwas im Eisenbahngesetz und
auch im BStG.
Berger
Aufgrund des Fehlens von gesetzlichen Vorgaben ist auch der Entscheidungsspielraum des
Verordnungsgebers relativ groß, wie der VfGH betont hat. Aber dann in der Folge natürlich auch jener
des Sachverständigen.
Altenburger
Ich kann den Hinweis auf den Stand der Technik nicht ganz nachvollziehen. Die Anknüpfung an den
Stand der Technik spielt eine Rolle beim allgemeinen Immissionsminimierungsgebot. Dort sage ich,
„was machbar ist, gehört gemacht“. Aber wirtschaftlich soll es auch irgendwo noch sinnvoll sein und
ein Projekt ermöglichen. Bei den besonderen Immissionsschutzvorschriften spielt der Stand der
Technik bei der Messung/Berechnung eine Rolle, nicht aber bei der Frage der Ausmittlung eines
allenfalls nicht festgelegten Grenzwertes. Auch im Rahmen der GewO spielt der Stand der Technik bei
der Ermittlung der Grenzwerte keine Rolle. Was gefährdend oder belästigend ist, bestimmt sich nach
dem Stand der medizinischen Wissenschaft. Was von den Betroffenen zu (er)dulden ist, ist aber nicht
im Stand der Technik begründet.
Auditorium (Amtsarzt)
Mir ist klar, für Infrastrukturprojekte benötigt man eine besondere Herangehensweise, einen
nachvollziehbaren Zeitfaktor im Projekt. Grundsätzlich würde mich sowohl von der technischen, als
auch der juristischen Herangehensweise stark die Frage interessieren, wo hört die Person bzw ihr
Schutzbereich auf. Wenn ich eine Person anspucke, ist es klar, habe ich ein Problem. Wenn ich auf
den Boden spucke, ist es auch relativ klar, dann habe ich die körperliche Integrität eines anderen
grundsätzlich noch nicht berührt. Die Frage ist jetzt, wie weit bzw nahe darf ich an eine Person
„heranspucken“, ohne ihn zu beeinträchtigen? Wann beeinträchtige ich ihn unmittelbar durch direkten
Kontakt, und ab wann fühlt er sich schon gestört bzw belästigt. Stört sie der Lärm von oben, stört sie
das Flugzeug mehr, wieviel brauchen sie einfach an Kontakt zu Raum und Zeit. Sonst sind wir
irgendwann bei der Lärmschutzhaube. Man macht das Fenster auf; dann sehen wir die Quelle gar
nicht, was noch einmal besser ist. Oder brauchen wir den Kontakt zum
Sonnenaufgang/Sonnenuntergang, die Anzeige, dass es hell wird. Die Wahrnehmung ist ja unsere
Alarmanlage. Reicht es, dass sie nicht mehr anschlägt, weil es zu laut ist oder stört uns unsere
Alarmanlage, dieses Blinklicht, das uns dann anzeigt, die Alarmanlage ist außer Betrieb gesetzt, wenn
man nur 2m hört und wir nicht wissen, was nach den 2m ist. Das glaube ich, ist die Frage, der man
sich im Prozess noch stellen muss.
Altenburger
Ich gebe ihnen völlig Recht. Prof. Kirisits hat es ja auch angesprochen. Entscheidend sind
Erwartungshaltung plus subjektive Faktoren. Wer in Döbling oder irgendwo in Tirol wohnt, wird eine
andere Einstellung zum Umgebungslärm haben, als jener, der in Gürtel-Nähe oder an einer sonst viel
befahrenen Straße aufgewachsen ist. Es ist wirklich sehr schwer, das irgendwie legistisch so stark
herunter zu brechen, dass ich jeden Fall erfasse. Deswegen nehme ich in der Gewerbeordnung die
Maßfigur des gesunden, normal empfindenden Erwachsenen und des Kindes, weil die
Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeit des konkreten Anrainers zu weit führen würde.
Auditorium
Aber irgendwo muss es doch auch eine eindeutige Grenze geben.
Altenburger
Das ist richtig, klar, irgendwo wird es eine Grenze geben, wo sich alle Experten einig sind, dass bei
Überschreiten dieser Grenze jedenfalls eine Belästigung vorliegt. Aber wie hoch das Schutzniveau
insgesamt sein soll, wie niedrig der einzelne Lärmpegel sein muss, damit sich niemand mehr gestört
fühlen kann etc, … dafür wird man nicht für jeden Einzelfall eine allgemeingültige Regel treffen
können. Vor allem keine, mit der dann sowohl Projektwerber, als auch Anrainer zufrieden sind. Wenn
keine zwingenden Grenzwerte bestehen, kommt es dann auf die Einschätzung des Mediziners, sein
Gespür für die konkrete Situation an. Das war es wohl auch, was Marth dazu bewogen hat auszusagen,
dass ein Unterschreiten der Grenzwerte der SchIV erforderlich sei, weil eben seiner Ansicht nach
aufgrund der besonderen Umstände (besonders leise Gegend), ein wenig mehr an Schutz erforderlich
sei.
Auditorium
Ich hätte noch eine Frage: Wie kann man sich das jetzt vorstellen mit dem humanmedizinischen
Gutachten? Es gibt auf der einen Seite eine Verordnung, in der Grenzwerte festgelegt sind, wie zB in
der BStLärmIV. Und auf der anderen Seite gebe ich noch ein Gutachten in Auftrag, für den Einzelfall
quasi? Wird sich dann zukünftig die Behörde nur auf die Lärmthemen fokussieren, die im Einzelfall
zu lösen sind? Vorher haben wir gehört, dass es bei der SchIV auch Grenzwerte gibt und dann geht
man her und sagt, es gibt ein Gutachten, wonach es dort so leise ist, dass man ein besonderes
Schutzniveau einzuhalten hat, obwohl das Gesetz oder die Verordnung das gar nicht hergibt. Dann
folgt der VwGH diesem Gutachten. Da stellt sich mir die Frage, was ist das Gesetz oder die
Verordnung eigentlich wert? Der Gutachter geht zukünftig genauso wie bisher vor oder wie wird es
dann zukünftig sein, wenn das eindeutig geregelt ist; sagt der Gutachter dann, das ist aber im
Einzelfall nicht ausreichend? Da würde ich mir eine Verbesserung wünschen. Oder wird es vielleicht
von der Behörde in dem Sinne gelöst werden, dass ein SV nur dort gefragt wird, wo im Gesetz
eindeutig auf die Einzelfallbeurteilung abgestellt wird?
Altenburger
Also Ihre Frage ist, wenn ich es zusammenfassen bzw ergänzen und an Mag. Büchele weitergeben
darf, der als Verwaltungsrichter solche Gutachtensaufträge erteilt, ist, ob man ein Gutachten benötigt
und wenn ja, ob man sozusagen schon eine Suggestiv-Frage stellt, wenn man fragt, ob die Grenzwerte
in der SchIV laut § 1 eingehalten werden oder nicht. Oder ob ich zu fragen habe, ob allenfalls eine
Unterschreitung erforderlich ist. Ich glaube, das ist gemeint, ob man schon dem Gutachter zu erkennen
gibt, dass er ein gewisses Pouvoir hat, strengere Grenzwerte zu fordern.
Büchele
Ich glaube, es kommt darauf an, um welches Vorhaben es sich handelt. Wenn man das Koralm-Bahn
Erkenntnis heranzieht, wo in einer leisen Umgebung sozusagen die Eisenbahn durchfahren soll und es
auf Grund der Judikatur des VwGH indiziert ist, dass man noch einmal einen Mediziner fragt, ob das
ein Problem ist, dann müssen wir uns diesem Auftrag stellen. Aber wenn es eine Schiene ist, für die
die SchIV gedacht ist, dann ist die Frage, ob man zusätzlich noch einen Mediziner dazu befragt.
Auditorium
Ich habe noch eine Nachfrage. Ich war in dem Verfahren nicht beteiligt, habe aber gehört, dass beim
Flughafen 3. Piste, medizinische Fragen angeblich mehr oder weniger nicht zugelassen wurden. Eben
auf Grund der Aussage, wir haben ohnehin die Fluglärmverordnung, und daher brauchen wir uns
damit nicht auseinandersetzen. Der VwGH judiziert ja zum Gewerbelärm, was ein anderes Thema ist,
dass der Mediziner immer das letzte Wort hat. Zuerst kommt der Emissionstechniker, dann kommt die
Immissionsfrage und dann am Schluss der letzte unter den Sachverständigen, der Mediziner.
Büchele
Ich möchte mich da jetzt nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, weil die Entscheidung noch nicht
getroffen wurde, aber die Verhandlungsschrift war zugänglich und unsere Auffassung war, dass die
Verordnung auf einer medizinischen Studie beruht, wo auch kritische Mediziner dabei waren und es
umwelthygienischer Sicht sozusagen abgesegnet haben. Die Beiziehung eines umweltmedizinischen
SV war daher nicht erforderlich.
Berger
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die neue Regelung des § 24f Abs 2 UVP-G, wo es ausdrücklich
heißt, nicht nur für den Belästigungsschutz sind die besonderen Immissionsschutzvorschriften von
Bedeutung, sondern auch für den Gesundheitsschutz. Dann ist die Frage vom Gesetz- bzw
Verordnungsgeber so klar vorgegeben, dass ich keinen Mediziner benötige.
Büchele
Für uns war das so klar und nachvollziehbar geregelt, dass wir auch keinen Anlass für ein
Verordnungsprüfungsverfahren sahen.
Berger
Bis jetzt hat der Senat 3 des VwGH aber das sicherlich nicht so gesehen, dass kein Mediziner
notwendig ist.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
Es wird immer in Anspruch genommen, dass man zwecks Mobilität Erleichterungen zulässt. Es gibt
zwar einen eigenen Schutzmaßstab, und es gilt, eine Abwägung zu treffen. Aber wir können auch
Ausnahmen / Erleichterungen zulassen. Genau diese Idee ist den Gesetzen selber jedoch gar nicht zu
entnehmen. Man weiß aufgrund des Gesetzes einfach nicht: Soll das jetzt ein optimaler Schutz, ein
verringerter Schutz oder ein Mindestschutz sein. Ich halte das schon für ein Problem. Wie gesagt, ich
verweise auf die Schweizer Rechtslage; da kriegt man ein Gespür, welches Schutzniveau der
Gesetzgeber erreichen wollte.
Ich möchte auch noch auf einen ganz anderen Aspekt hinweisen, der überhaupt noch nicht zur Sprache
gekommen ist. Ich sehe einen Riesenunterschied zwischen gewerblichen Betriebsanlagen und
Verkehrsanlagen, insofern, wie mit der Situation nach der Genehmigung umgegangen wird. Wenn ich
neben einer genehmigten gewerblichen Betriebsanlage wohne, und der Betreiber sagt, er will
verdoppeln, und dann wird es halt lauter, dann braucht er eine Erweiterungsgenehmigung. Bei den
Verkehrsanlagen habe ich eine normative Kraft des Faktischen. Wenn ich zB eine zweigleisige
Strecke habe und es fahren plötzlich doppelt soviel Züge drüber, passiert gar nichts. Und ich habe hier
sozusagen nur freiwillige Verfahren der Lärmsanierung. Ich halte das auch für ein Problem. Bei
Straßen sagt man, ich mache eine Prognose über 10 Jahre. Was ist nach 10 Jahren? Wird dann noch
einmal geschaut? In der Schweiz ist es zB so, dass es eine eigene Vorgabe gibt, dass quasi auch
Verkehrsvorhaben an den Vorsorgewerten auszurichten sind. Dann gibt es einen stufenweisen Zugang,
es gibt Immissionsgrenzwerte, und im Betrieb darf das Projekt die Immissionsgrenzwerte aber nicht
überschreiten. Es ist also schon im Gesetz die Idee enthalten, es kann natürlich dann ein bisschen
lauter werden, aber ein gewisses Maß darf es nicht überschreiten. Wenn dieses überschritten wird,
dann müsst ihr was machen, das ist im Gesetz abgebildet. Dazu findet man bei uns auch nichts.
Auditorium (Mitarbeiter BMVIT)
Das stimmt so nicht. Eisenbahnvorhaben werden in den Baugenehmigungsbescheiden detailliert
abgebildet. Es gibt klare Vorgaben in der SchIV und dann auch in den Bescheiden, dass bestimmte
Grenzwerte einzuhalten sind. Und bei der Eisenbahn gibt es keinen Zug, der ohne Fahrplan fährt, dh
es ist im Vorhinein festgelegt, wie viele Züge werden dort fahren werden und dementsprechend sind
auch die Maßnahmen im Bescheid festgelegt. Dh es wird geprüft, ob mit den zukünftigen Fahrplänen,
mit dem zukünftigem Material die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten werden oder nicht.
Dazu muss man sagen, das gilt natürlich nicht für Strecken, die im 19. Jahrhundert genehmigt worden
sind. Damals war die Idee, den Verkehr auf Eisenbahnen zu beschränken, völlig fremd. Da war eher
die Idee, es soll so viel wie möglich auf der Bahn fahren. Also da gibt es sicher im Bestand noch
gewisse Grenzbereiche, auch wenn man versucht hat, das mit Bestandslärmsanierungen nachzuziehen.
Auditorium (Mitarbeiter AK)
Und da wird dann die Anzahl der Zugbewegungen fix vorgeschrieben?
Auditorium (Mitarbeiter BMVIT)
Nein, die Grenzwerte. Anhand der Anzahl der Zugbewegungen laut Betriebsprogramm werden die
Lärmpegel prognostiziert und die Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte vorgeschrieben. Da gibt
es auch klare Regelungen für die Berechnung. Wenn sich etwas ändert, am Material, am
Zugaufkommen etc, dann muss neu berechnet werden und der Grenzwert dennoch eingehalten
werden.
Berger
Außerdem sieht ja auch schon die SchIV vor, dass bei Überschreitung dieser Pegel auch bei
Bestandstrecken Lärmschutzmaßnahmen vorzusehen wären oder nicht? Wenn ich § 5 Abs 2 lese: „Das
Eisenbahnunternehmen hat Lärmschutzmaßnahmen vorzusehen, wenn die Beurteilungspegel Lr in den
maßgebenden Immissionspunkten nach Realisierung der baulichen Maßnahmen (§ 1) die
Immissionsgrenzwerte überschreiten und wenn zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung für
ein von den Immissionen betroffenes Gebäude nicht bekannt sein konnte, daß in diesem Bereich mit
erheblichen Lärmbelästigungen durch den Schienenverkehr gerechnet werden muß.“ Also könnte ich
hinsichtlich von „Altstrecken“ schon sagen, na ja, wie wir die das damals gebaut haben, war mit einem
derartigen Verkehrsaufkommen nicht zu rechnen und jetzt überschreitet man die Werte; dann könnte
man das unter Umständen schon anwenden.
Kirisits
Ich muss dazu auch sagen, das wurde in den 80-iger Jahren verfasst, wo Immissionsprognosen noch
nicht diese Schärfe hatten wie heute. Und heute werden solche Bewilligungsverfahren normalerweise
derart durchgeführt, dass man jede einzelne Fassade im Nahbereich der Trasse mit dem
prognostizierten Pegel kennt. Dieser Pegel ist auch mit einem Betriebsprogramm verknüpft. Daraus
kann ich ableiten, was immissionsseitig maximal möglich ist, sodass solche Fälle, wie soeben
geschildert, eigentlich gar nicht mehr auftreten können. Außer es wird das Betriebsprogramm massiv
überschritten, aber dann ist es eh nicht mehr im Bescheid gedeckt. Dann muss sowieso in einem
Zusatzantrag um Genehmigung angesucht werden. Wenn ich zB sage, es fahren nur Personenzüge und
10 Jahre später entscheidet man sich, es zu einer Hochleistungs-Güterstrecke umzufunktionieren, wird
das sicher nicht mit dem alten Bescheid gehen - wenn es sich nicht ausgeht mit dem
Immissionsschallpegel.
Berger
Und für diese Fälle könnte auch § 5 Abs 2 SchIV helfen.
Auditorium (Mitarbeiter BMVIT)
Aber nur bei Fällen, die bereits nach der SchIV genehmigt wurden.
Berger
Ja, natürlich ab Inkrafttreten der SchIV.
Auditorium (Mitarbeiter BMVIT)
Das Hauptproblem ist, ich bin da ziemlich eingeschränkt mit dem Anwendungsbereich der SchIV.
Berger
Aber der VwGH sagt auch, die SchIV ist eine Mindestnorm, durch die ein Mindestschutz begründet
wird. Aber wenn der Mediziner schlüssig begründet verlangt, das mehr gemacht werden muss, um
eben Gesundheit zu schützen, dann muss man auch strengere Grenzwerte vorschreiben als in der
SchIV stehen.
Altenburger
Also ich glaube, man muss schon festhalten: Gedacht war zum Zeitpunkt der Erlassung der SchIV
sicher nicht, dass man die Grenzwerte auch unterschreiten muss, sondern die V legte den
Schutzbereich fest. Im Verfahren Koralm-Bahn wurde die Frage zugespitzt, was passiert, wenn der
Humanmediziner mehr fordert, als die SchIV hergibt. Projektwerber und Behörden haben eben
gemeint, die Einhaltung der SchIV reiche aus. Der VwGH ist dem entgegengetreten und hat gesagt,
nein, die Forderung des Humanmediziners ist nicht überzogen. Die bloße Einhaltung und der Verweis
auf die SchIV reicht dann nicht, wenn der Humanmediziner mehr fordert. Und das ist dieses
sogenannte „Unterschreiten der an und für sich vorgesehenen Grenzwerte“.
Berger
Bzw die zweite Frage mit den Spitzenpegeln, die ist in der SchIV nicht geregelt. Diesbezüglich ist
sozusagen der Mediziner alleine unterwegs. Der Jurist muss sich dort im Endeffekt auf den Mediziner
verlassen und kann sich gar nicht auf die SchIV berufen.
Kirisits
… auch nicht geregelt werden muss. Das Thema Spitzenpegel gibt es gesetzlich gelöst in keinem
einzigen Land Europas.
Berger
Ja, das verstehe ich; ich kritisiere das nicht. Ich sage nur, dass es so ist. Während beim Luftverkehr
zumindest die Spitzenpegel in der Nacht geregelt sind.
Kirisits
Das ist ganz was Anderes. Das sind dort Überflugswerte, das ist eine andere schalltechnische Größe.
Auditorium
Bei der vom (Mitarbeiter der AK) angesprochenen Veranstaltung in Deutschland wurde ein
interessanter Ansatz zum Gesamtlärm in Hinblick auf die Lärmsanierung vorgestellt. Stellen Sie sich
vor, Sie haben ein geschlossenes Siedlungsgebiet. Auf einer Seite die Autobahn, auf der anderen Seite
Betriebsgebiet und auf der dritten Seite eine stark befahrene Gemeinde- oder Landesstraße. Hier teilt
man die Emittenten nach Anteilen auf, zB 60:30:10. Nach dem Modell wäre es dann so, dass eine
Maßnahme zB an der Bahn bewirkt, dass der Pegel insgesamt abgesenkt wird und dass nach diesen
Prozenten des Schalleintrages die anderen Emittenten mitzahlen. Dh es wird geschaut, welche
Maßnahmen sind am effizientesten und auch die Autobahngesellschaft und die
Landesstraßenverwaltung zahlen mit, um den Gesamtpegel bei diesen Gebäuden hier zu dämmen.
Altenburger
Das ist ein interessanter Ansatz, den ich so nicht gekannt habe. Die Vorgehensweise man dann
„kooperative Bestandslärmsanierung“ nennen. Damit würden nicht den Letzten die Hunde beißen, wie
bei uns derzeit.
Derzeit haben wir in Österreich aber ganz klar das Antragsprinzip. Die Behörde kann nur das
entscheiden, was beantragt ist. Derjenige, der als Letzter hinzukommt, ist angesprochen, Maßnahmen
zu setzen, obwohl er vielleicht nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wer schon eine länger genehmigte
Anlage hat, steigt gut aus, auch wenn er einen größeren Beitrag zu den Immissionen leistet. Insofern
wäre dieser Ansatz nach dem Verursacherprinzip vielleicht die ehrlichere Herangehensweise.
Berger
Vielleicht darf ich noch einen Fall ergänzen, der dazu passt. Es hat schon vor vielen Jahren eine
interessante Entscheidung des VwGH gegeben. Ein Betrieb sollte ausgeweitet werden. Dadurch wäre
es lauter geworden; es war bekannt, dass die Bahn in der Nähe des Betriebes eine Lärmschutzwand
errichten würde. Und da hat man dann in der Beurteilung des Betriebslärmes gesagt, es wäre schon die
sichere Erwartung mit zu berücksichtigen, dass vor dem Betrieb die Lärmschutzwand steht und daher
könne man dem Betrieb das genehmigen. Das war für den Genehmigungswerber sehr positiv, dass die
Bahn ohne Kostenbeteiligung des Betriebes diese Lärmschutzwand aufgestellt hat.
Die BStLärmIV ist jünger. Wir wissen daher noch nicht, wie das Bundesverwaltungsgericht oder der
VwGH dazu entscheiden werden, weil ein konkretes Erkenntnis noch nicht da ist. Aber nehmen wir
an, es würde so auf die Spitze getrieben werden. Dann müsste derselbe Senat des VwGH, der auch für
Luft und Eisenbahn zuständig ist, und der bei der Eisenbahn gesagt hat, die SchIV sei ohnehin nur ein
Mindeststandard, der müsste dann Farbe bekennen und sagen: Vielleicht ist das bei der
Luftlärmimmissionsschutzverordnung anders, weil die eben aktueller ist und sie daher die
Entwicklungen der Rsp schon berücksichtigen konnte.
Büchele
Ja, bei der LuLärmIV ist es ähnlich. Das interessante ist ja beim Verfahren 3. Piste Flughafen
Schwechat, dass die Luftlärmimmissionsverordnung beim UVP-Verfahren durch die NÖ
Landesregierung noch gar nicht anzuwenden war, weil es sie noch gar nicht gegeben hat. Die ist erst
im November 2012 erlassen worden und der Bescheid ist im Sommer, glaublich Juni,
herausgekommen. Da gab es daher eine individuelle medizinische Beurteilung. Und interessanterweise
korrelieren diese Werte ziemlich genau, dh die V und die durchgeführte medizinische Begutachtung.
Also es gibt irgendwo einen niedrigeren Wert, glaub ich in der Nacht, aber sonst passt das.
Auditorium
Meine Frage ist eine andere. Sie haben gesagt, die medizinische Frage ist bei der LuLärmIV oder jetzt
neuerdings BStLärmIV nicht zu erörtern.
Büchele
Genau.
Auditorium
Weil eine Studie von 4 Umweltmedizinern, Institut für Umwelthygiene, zugrunde lag, die sozusagen
als Grundlage für die Verordnungserlassung diente? Diese Werte sind in die V übernommen worden,
dh es gab eine medizinische Basis für die V. Das ist der Grund?
Büchele
So haben wir das in der mündlichen Verhandlung gesehen.
Auditorium
Wenn man das Koralm-Erkenntnis auf andere Verordnungen überträgt, dann ändern aber die
Grenzwerte nichts daran, dass der Umweltmediziner im Einzelfalls sagen muss, ob eine
Unterschreitung der Grenzwerte geboten ist.
Altenburger
Ich glaube, das Koralm-Erkenntnis muss man anhand des konkret entschiedenen Falls bzw der
entsprechenden Verordnung anschauen, nämlich der SchIV. Diese hat jetzt schon einige Jahre hinter
sich, ist das älteste gediente Instrument.
Die Frage ist, ob man das generalisierte humanmedizinische Fachwissen, das in die neuen
Verordnungen eingeflossen ist, so verstehen kann, dass man sagt, ok, damit ist es auch für jeden
Einzelfall konkrete Vorsorge getroffen, ohne einen Mediziner in concreto zu betrauen.
Im Verordnungsprüfungsverfahren hat sich VfGH nur mit dem Stand der Technik und dem
Schienenbonus auseinandergesetzt. Dazu haben Neuberger-Lassnig, die Studie ist bereits erwähnt
worden, geprüft, ob dieser Schienenbonus auch heute noch aktuell wäre. Kurzum haben sie eine
Evaluierung der damaligen Verordnung vorgenommen. Die Experten sind zur Auffassung gekommen,
dass die Gründe, warum man die V eingeführt hat, auch heute noch aus technischer und
humanmedizinischer Sicht Bestand haben.
Berger
Und Neuburger ist ja ein Mediziner.
Auditorium
Ja, aber ich verstehe noch immer nicht: Sind jetzt die neuen Lärmverordnungen auch nur ein
Mindeststandard oder sind sie eben kein Mindeststandard mehr?
Altenburger:
Na ja. Der VwGH hat meines Erachtens gesagt, dass ist ein Mindeststandard, weil der
Humanmediziner sich nicht in der Verordnung gefunden hat. Der hat gesagt, ok, das ist ein Grenzwert,
den der Techniker überprüft, ob er eingehalten wurde. Aber irgendwo fehlt mir dieser medizinische
Ansatz; und den bring ich jetzt ins Verfahren ein. Und da hat der VwGH gesagt, ok, dann sehe ich es
die Grenzwerte der SchIV als Mindeststandard, die unterschritten werden können. Wenn man jetzt
aber sagt, dadurch, dass der medizinische Ansatz bei der Entstehung der anderen Verordnungen
mitberücksichtigt wurde, wird man die Situation anders zu beurteilen haben.
Kirisits
Na eigentlich hat es damals auch eine gut gemachte Studie dazu geben, das war damals Prof. Haider,
und die Haider-Studie ist ja auch publiziert worden.
Altenburger
Aber wenn man eben sagt, dieser medizinische Aspekt ist in den neuen Verordnungen abgebildet,
dann habe ich Dr. Büchele so verstanden, dass das Gericht sagen würde, dann sind die Grenzwerte fix,
der Mediziner kann diese nicht unterschreiten. Deswegen sind dann spezifische Fragen in Richtung
des Mediziners beim Flughafen-Verfahren nicht zugelassen worden, weil sie nicht als relevant
angesehen wurden.
Büchele
Beim Koralm-Tunnel war es jedenfalls so, dass der Umweltmediziner gesagt hat, mit den Grenzwerten
werde nicht das Auslangen gefunden.
Auditorium
Ich glaube, dass man auch die Sachverhalte, um die es da jeweils gegangen ist, mitbetrachten muss.
Also meine persönliche Deutung dieses Koralm-Erkenntnisses ist es, dass da eine mögliche Lücke der
Verordnung angesprochen wird. Dass die Verordnung möglicherweise eine gute Grundregel ist. Wenn
man sozusagen durch bewohntes Gebiet durchfährt und da eine Grundlärmbelastung vorfindet, dann
mögen die Werte der V ok sein. Aber wenn Du eine ganz geringe Grundbelastung hast, zu der sagt die
Verordnung nichts. Und das war auch der Sachverhalt. Als Jurist habe ich von den Technikern früher
immer gehört, wenn 10 dB Steigerung, dann sind wir eigentlich schon in der Gefährdung. Meines
Erachtens gibt es diese Thematik auch in der Bundesstraßenlärmimmissionsschutzverordnung. Für
diesen Sachverhalt ist nichts vorgesehen. Also es kann jemandem, wenn es ganz blöd hergeht,
passieren, dass möglicherweise bis 15 db Lärmsteigerung bei seinem Objekt möglich ist.
Altenburger
Sie meinen, wenn es vorher besonders leise ist und es dann plötzlich eine große Steigerung gibt.
Auditorium
Wenn es vorher besonders leise ist, dann ist das vom Konzept der BStLärmIV so angelegt. Solche
Sachverhalte sind möglich. Da muss eigentlich jeder Mediziner dazu sagen, also bitte, das geht absolut
nicht.
Kirisits
Woher gibt es Evidenz, dass 10 dB irgendwie mit Gesundheitsgefährdung oder Belästigung
korrelieren? Ich kenn nur diese Kurven, die ich hier präsentiert habe, ich kenne keine einzige namhafte
Publikation wo die Steigerung untersucht wurde. Das ist auch so eine österreichische Geschichte. 10
dB ist viel, 1 dB ist nichts. Was ist irrelevant, 1 dB? Das kann man bis nach oben ziehen?? Wenn man
sich die Kurve anschaut, die ist ja nicht flach, die wird immer steiler. Man hat ganz oben jemanden
von 70 auf 71 erhöht, das ist genauso viel wenn wenn man von 40 auf 41 geht?? Das war auch nicht
richtig meiner Meinung nach, weil von 70 auf 71 wird es viel steiler, da richte ich viel mehr Schaden
an. Wir arbeiten immer mit solchen Faustregeln, 10 dB, ich kenn das alles, aber ich kenn nicht den
Hintergrund dazu, ich kenn die wissenschaftlichen Publikationen zu diesen österreichischen
Faustregeln nicht.
Berger (zynisch)
Das ist wohl medizinisches Gewohnheitsrecht.
Auditorium
Ich würde gerne fragen, warum muss eine Verordnung den Stand der medizinischen Wissenschaft
widerspiegeln? Es ist doch das, was der Gesetzgeber weitergibt. Lärmbelästigung ist etwas Nicht-
Objektivierbares. Auch wenn wir uns die Kurven anschauen, sieht man das. Dh der Gesetzgeber sagt
das, was er möchte. Das gilt ja bei anderen Gesetzen auch. Der Gesetzgeber hat irgendwie eine
Freiheit und auch beim Luftgesetz, beim Immissionsgesetz-Luft hat Österreich gesagt, wir wollen 30
und nicht 40, wie die EU-Richtlinie sagt. Weil das einfach besser ist. Als Mediziner muss ich sagen,
eigentlich reicht 40; 30 brauchen wir nicht. Beim Feinstaub sagt er 40 μm, das gibt die WHO niemals
her.13
Wenn mich jemand fragt, dann sag‘ ich, eigentlich ist das nicht zulässig. Ich meine, das kann
man als Zusatzbelastung betrachten; aber die Grenzwerte sind, wissenschaftlich gesprochen, eigentlich
irrelevant. Wenn der Gesetzgeber einen Grenzwert festgelegt, heißt das ja nicht, dass noch keine
Gefährdung da ist. Der Gesetzgeber sagt, was er haben will. Eine gewisse Gefährdung wird trotzdem
da sein. Das haben wir in vielen anderen Gesetzen auch. Der Gesetzgeber, der österreichische Staat,
trifft eine klare Aussage und überlässt das nicht dem einzelnen Gutachter. Der Gutachter muss
natürlich ganz anders agieren, weil er nicht sagen kann, dass ist im öffentlichen Interesse, da kann man
das oder das machen. Das kann der Gesetzgeber aber machen.
Kirisits
Ich finde den Ansatz sehr gut, dass sie dies auch hereingebracht haben, dass es auch andere Dinge
gibt, wo man es sich einmal anschauen könnte, Luftgesetz zB. Man macht beim Lärm immer
Sonderlösungen. Man würde ja auch nicht beim Nichtraucherschutz, wo der Gesetzgeber gesagt hat,
wieviel Quadratmeter hat ein Lokal, einen getrennten Bereich aufzuweisen, eine Einzelfallbeurteilung
vornehmen. Das ist ein Gesetz. Und man schickt dann auch nicht Ärzte durch Wien und sagt, schaut es
euch im Einzelfall an, von Lokal zu Lokal. Ist es jetzt ein Nichtraucherlokal oder darf es ein
Raucherlokal sein? Das ist ein Gesetz, obwohl jeder Mediziner sagen müsste, macht doch alle Lokale
zu Nichtraucherlokalen. Wird er auch sagen müssen, wenn sie ihn fragen. Aber warum sollten wir ihn
fragen, wenn es gesetzlich definiert wird.
Berger
Ja, aber dort geht es nicht um Nachbarschutz.
Kirisits
Na ja, aber zumindest Arbeitnehmerschutz. Jeder Mediziner müsste sagen, bei dieser Frage
Arbeitnehmerschutz, jedes Gramm Nikotin Teer weniger ist natürlich besser, also müsste er sofort
sagen, alle sind Nichtraucherlokale. Der Gesetzgeber hat zumindest vorerst anders entschieden. Da
kommt man auch nicht auf die Idee der Einzelfallprüfung.
Altenburger
Das stimmt. Es gibt sicher ein rechtspolitisches Handlungsermessen, welche Verordnungen und
Gesetze man vorsieht. Aber man muss das, glaube ich, schon mit einem Blick auf die Grundrechte
sehen, Recht auf Schutz vor Belästigung usw. Alles geht nicht. Ich kann mE nicht sagen, in Österreich
ist alles, was unter 80 dB liegt, per se genehmigungsfähig. Das wird beim VfGH oder beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht halten; da gibt es schon eine gewisse Grenze.
Natürlich das, was Prof. Kirisits angesprochen hat, stimmt: Vergleichbares hat es bislang beim
Raucherschutz nicht gegeben; das ist so eine „Tradition“. Lärm hat man sich schon immer extrem
genau angeschaut, Luft in den letzten Jahren auch und Rauchen und Alkoholismus waren eine
Volkskrankheit. Aus diesem Grund hat man keine strengen Regeln vorgesehen. Dass man natürlich
alle Passivraucher mit geschädigt hat, war halt bislang kein Problem. Deswegen wird es jetzt geändert.
Man kann nicht sagen, jede Norm, die etwas zulässt und die einen geringen Schutzstandard festlegt, ist
deswegen verfassungs- oder gesetzeskonform, weil man einen rechtspolitischen Spielraum hat. Ich
glaube, das kann man nicht sagen.
Kirisits
Ich glaube, das haben wir beide nicht gemeint.
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http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/69477/1/WHO_SDE_PHE_OEH_06.02_eng.pdf.
Auditorium
Aber es gibt ja das Gesetz bzw die Verordnung. Und im Einzelfall wird dann zB gesagt, dass das dort
nicht stimmt. Dann ist ja die V mehr oder weniger nicht mehr konform. Die SchIV ist jetzt nach dem
Urteil des VwGH konform. Da wurde quasi im Einzelfall gesagt, dass eigentlich eine übergeordnete
Norm, also die V, im Einzelfall nicht mehr anwendbar ist und gegenüber der Betrachtung des
Einzelfalls zurücktritt. Da frage ich mich, ob es überhaupt eine Berechtigung für die V gibt.
Altenburger
Auf das wollten Sie hinaus. Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Ich habe es auch ein bisschen überzogen
gefunden. Wobei man natürlich das Problem, dass es im Anlassfall vor Ort besonders leise war, nicht
einfach ausklammern darf. Also inhaltlich kann man schon sagen, hat die Entscheidung, bezogen auf
den Einzelfall, insoweit schon wieder gepasst.
Aber: Man muss schon festhalten. Wenn es Handlungsregeln gibt, an die ich mich halten soll, und ich
halte mich an die Regel, und plötzlich heißt es, ok, Du hast Dich zwar an die Regel gehalten, wirst
aber trotzdem bestraft, weil man nun doch einen strengeren Maßstab ansetzen muss, hat das mit
Rechtssicherheit wenig zu tun.
Auf das kann man es überspitzt formuliert hinführen. Darum glaube ich, in der
Bundesstraßenlärmimmissionsschutzverordnung und in der
Luftverkehrslärmimmissionsschutzverordnung hat man versucht, alle angesprochenen Aspekte
abzudecken. Vielleicht hat man wieder nicht alle Fälle erfasst. Dann könnte man insofern im
Gleichschritt mit „VwGH Koralm“ gehen, dass ein Humanmediziner notwendig sein kann, aber eben
nur dann, wenn der konkrete Sachverhalt abstrakt nicht durch die V abgedeckt ist.
Berger
Ich glaube, dass auch der VwGH das so sieht. Der Gerichtshof meint, die Verordnung regle quasi den
Regelfall, den man damals bedacht hat. Dh, je neuer die Verordnungen sind, desto mehr Regelfälle
sind bereits berücksichtigt worden, weil einfach die Basis der Grundlagen für die Verordnung schon
viel breiter ist. Wenn es aber Fälle gibt, die einfach nicht berücksichtigt wurden, weil sie nicht dem
Regelfall entsprechen, vielleicht, weil sie auch sehr selten sind, dann kommt eben der Mediziner zum
Zug, der dann sagt, in diesem Fall passt es eigentlich nicht. Und in der Rechtsprechung heißt es eben
immer, es sind die im Einzelfall konkret gegebenen Umstände maßgebend, etwa die des Start- und
Landeplatzes und dessen Umgebung. In der Entscheidung, die ich mitgenommen habe, ging es um
Hubschrauberlandungen. Es sind daher die im Einzelfall gegebenen konkreten Umstände zu
berücksichtigen. Und wenn die Verordnung genau diesen ausgerissenen Einzelfall nicht berücksichtigt
hat, mag sein, dass sie dann eben zu großzügig ist. Also, das dieser Standard noch über- oder
unterschritten wird.
Auditorium
Man kann ergänzen, dass die Bundesstraßenlärmschutzimmissionsverordnung jetzt sogar das auch
anerkennt, indem sie an einigen Stellen sagt, da können wir keinen allgemeinen Maßstab machen; das
steht, glaube ich, an zwei drei Stellen sogar drinnen, wo dann eine Einzelfallprüfung vorgesehen ist.
Wo man zugesteht, wir können da keine Generalregel machen.
Berger
Und ist das auch in ihrem Sinne?
Auditorium
Ja, die Bundesstraßenlärmschutzimmissionsverordnung regelt ja nach unten. Dh der Grenzwert 55/45
dB. Dh ich bin genau dort, wo die SchIV ist. Im Einzelfall könnte es irgendwo leiser sein und die
Straße müsste nichts machen. Aber der Gutachter kommt zum Schluss, dass dort sehr wohl eine große
Veränderung der ortsüblichen Verhältnisse da ist; dann müsste etwas passieren. Damit habe ich überall
das Gleiche, was auch bei der SchIV gilt, auch wenn das aktueller ist. Da ist das sehr ähnlich. Jetzt
bleibt nur die Frage offen: Was soll dann sein? Gilt die V oder das medizinische Gutachten. Außer es
sagt die Behörde, das ist nicht zu betrachten für den Gutachter.
Berger
Im Endeffekt obliegt es der Behörde, das zu sagen.
Auditorium
Ja, aber im Vorfeld. Wobei der VwGH wieder sagen könnte, die Behörde muss sich zwar an die V
halten, aber im Einzelfall dann doch an den Gutachter.
Berger
Na gut, der VwGH könnte immer noch sagen, der Gutachter hätte die Frage trotzdem untersuchen
müssen, oder sagen wir die Behörde liegt falsch, in dem sie dem Gutachter einen zu engen
Gutachtensauftrag vorgegeben hat. Nur, weil die Vorherrschaft der Behörde gegeben ist, haben wir
noch nicht endgültige Sicherheit. Weil es aus der Sicht des VwGH viele Jahre später die falsche
Vorgabe, die falsche Fragestellung, die zu enge Fragestellung gewesen sein könnte.
Altenburger
Aber pragmatisch kann man sagen, wer weiß, ob man noch zum VwGH kommt mit so einem
vergleichbaren Fall. Vielleicht endet es ja beim Bundesverwaltungsgericht, beim Senat von Mag.
Büchele oder anderen.