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Anderes Land, andere Sitten… www.poleninderschule.de © Matthias Kneip (Stand: November 2014)

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Anderes Land, andere Sitten…

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Einführung zu den Situationen

Die folgenden Situationen eignen sich, um Schülerinnen und Schüler für unterschiedliche Verhaltensweisen zwischen Deutschen und Polen im Berufs- und/oder Schulalltag zu sensibilisieren. Einige der Situationen beruhen auf realen Erfahrungen, andere sind ihnen nachempfunden. Es geht dabei nicht um Pauschalisierungen von Verhaltensweisen, sondern um die Vermittlung möglicher Mentalitätsunterschiede – die auftreten können, aber freilich nicht müssen.

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Anwendung der Situationen im Unterricht

Der Einsatz der Situationen (1) im Unterricht kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Hilfreich und einprägsam ist sicherlich das persönliche Nachspielen und anschließende Auswerten und Präsentieren der Ergebnisse in Gruppenarbeit. Für die Auswertung dienen die jeder Situation zugeordneten Fragestellungen als Hilfe (1a).Zu jeder Situation gibt es darüber hinaus eine Analyse-Folie (2), die kurz und knapp landeskundliche Hintergrundinformationen liefert und die Auswertung erleichtern soll. Die Folie „Vermeidung der Situation“ (3) vermittelt Vorschläge, die Situation von vornherein zu vermeiden oder zu „entschärfen“. Die Folie „Mögliche Lösungsvorschläge“ (4) bietet Stichpunkte, wie man sich im Falle des Eintretens der Situation verhalten könnte.

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Situation 1/1: Der Besuch

Herr Schmidt lebt zusammen mit seiner polnischen Freundin in Warschau. Nach der Arbeit kommt seine Kollege, Herr Grabowski, zu Besuch. Als er ihm etwas zu Essen anbietet, lehnt Herr Grabowski dankend ab. Also trinken sie zusammen nur eine Tasse Tee und unterhalten sich. Als Herr Grabowski gegangen ist, beschwert sich die Freundin von Herrn Schmidt bei ihm, wie er nur so unhöflich sein konnte und Herrn Grabowski nichts zu Essen angeboten hat. Für sie sei es klar, dass er nach der Arbeit hungrig gewesen ist. Herr Schmidt hätte nur öfter fragen müssen, irgendwann hätte sein Kollege sicher etwas zu Essen angenommen. Herr Schmidt versteht das nicht. Er ist der Ansicht, wenn jemand nein sagt, dann meint er auch nein.

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Hat sich Herr Pauli Ihrer Meinung nach richtig verhalten?

Hätte er seinem Kollegen trotzdem etwas zu Essen anbieten müssen?

Hätte er stärker nachfragen sollen?

Hat seine Freundin vielleicht Unrecht?

Situation 2/1a: Fragestellungen

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Situation 1/2: Analyse

Essen und Trinken haben in Polen eine größere Bedeutung als in Deutschland. Das Servieren von Speisen und Getränken bei privaten (auch spontanen) Besuchen gehört als Zeichen der Gastfreundschaft selbstverständlich dazu und soll dem Gast gegenüber eine besondere Wertschätzung zum Ausdruck bringen – selbst wenn er keinen Hunger oder Durst hat.

Während man in Deutschland Gästen häufig nur etwas zum Trinken (oder bestenfalls zum Knabbern!) anbietet, ist es in Polen eigentlich immer üblich, bei Besuch auch etwas Kleines zum Essen auf den Tisch zu stellen. Oft sind es belegte Schnitten oder andere kleine Gerichte (in Polen oft als „zakąski“ bezeichnet).

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Man fragt in der Regel nicht, ob der Gast Hunger hat, sondern bietet ihm etwas an und überlässt es ihm, davon Gebrauch zu machen. Auf die Frage, ob man Hunger hat, wird der polnische Gast in der Regel mit „Nein“ antworten. Schließlich möchte er keine Umstände machen. Er weiß ja nicht, ob der Gastgeber dann nicht erst mal für eine halbe Stunde in der Küche verschwinden muss, um etwas anzurichten. Dieses „Nein“ stellt aber häufig nur eine Form der Höflichkeit dar, keine definitive Aussage. Polen untereinander wissen das, fragen oft mehrmals nach, oder Servieren trotzdem. In Deutschland bedeutet „Nein“ hingegen eine Form der Ablehnung. Und diese wird akzeptiert, ohne Nachzufragen.

Übrigens: selbst wenn etwas zum Essen auf dem Tisch steht, darf und sollte der Gast ruhig mehrmals zum Zugreifen ermutigt werden! Eine erste höfliche Ablehnung durch den Gast gehört auch ein bisschen zum „guten Ton“!

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Situation 1 /3: Vermeidung der Situation

Wenn Sie polnische Freunde zu sich nach Hause einladen, sollte wenigstens eine Kleinigkeit zum Essen auf dem Tisch stehen. Es macht ein bisschen Mühe, aber die Polen sind nicht umsonst für ihre „Gastfreundschaft“ überall bekannt. Sich eine Stunde lang bei einer Tasse Tee zu unterhalten, gilt als unhöflich. Andererseits erwartet niemand gleich ein Menü. Besser eine liebevoll hergerichtete kalte Platte servieren, als ein Gericht aus der Mikrowelle! Im übrigen wundert man sich häufig, wie schnell polnische Gastgeber selbst bei nichtangemeldetem Besuch „so ganz nebenbei“ den Tisch mit leckeren Speisen füllen. Entscheidend ist aber immer die Geste, nicht die Menge!

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Situation 1/4: Mögliche Lösungsvorschläge

Die Freundin von Herrn Schmidt stellt einfach etwas zu Essen auf den Tisch, obwohl Herr Grabowski „Nein“ gesagt hat. Als Polin kann sie das „Nein“ ihres polnischen Gastes besser interpretieren und damit richtig reagieren.

Herr Grabowski könnte, nachdem er nur Tee bekommen hat, andeuten, doch noch auf das Angebot nach etwas zu Essen zurückkommen zu wollen.

Wenn der Besuch direkt nach der Arbeit am Nachmittag erfolgt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Gast Hunger hat, sehr hoch, denn das Mittagessen ist ja schon eine Zeitlang her. Darauf könnte die Freundin Herrn Schmidt in einem kurzen vertraulichen Dialog hinweisen.

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Situation 2/1: Das TreffenHerr Altmann, Geschäftsführer einer deutschen Firma, fliegt von Berlin nach Posen, um sich dort mit seinem zukünftigen polnischen Handelspartner, Herrn Wojczak, zu treffen. Beide sind sich bis dahin noch nicht persönlich begegnet, haben aber bereits im Vorfeld des Besuches mehrfach telefoniert und die wichtigsten Inhalte des anstehenden Gesprächs vereinbart. Herr Altmann trifft in Krakau um 14 Uhr ein und wird persönlich von Herrn Wojczak am Flughafen abgeholt. Entgegen seinen Erwartungen fahren sie aber nicht sofort zum Firmensitz von Herrn Wojczak, sondern in ein Restaurant, in das Herr Wojczak seinen deutschen Gast unbedingt einladen möchte. Da Herr Altmann seinen Rückflug bereits um 18 Uhr gebucht hat, fürchtet er, zu wenig Zeit für das eigentliche Gespräch zu haben. [Fortsetzung nächste Folie]

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Als er dies im Restaurant vorsichtig äußert, bedauert Herr Wojczak, dass Herr Altmann nur so wenig Zeit für seinen Besuch eingeplant hat. Nach dem Essen fahren sie zur Firma von Herrn Wojczak und besprechen die Einzelheiten für die Zusammenarbeit. Die Zeit wird allerdings tatsächlich knapp und Vieles kann nur oberflächlich geklärt werden. Herrn Wojczak scheint dies allerdings wenig auszumachen, da er gerne zu einem zweiten Treffen bereit ist bzw. vorschlägt, ausstehende Fragen später noch telefonisch zu besprechen. Am Ende des Gesprächs bedauert Herr Altmann seinen frühzeitigen Abflugtermin, weil er seinen Partner für sympathisch und zuverlässig hält. Er kann allerdings nicht verstehen, warum in Anbetracht seines kurzen Aufenthaltes soviel Zeit in dem Restaurant verloren wurde.

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Situation 2/1a: Fragestellungen

Spielen Sie die Situation nach und entwerfen Sie drei mögliche Lösungsszenarien!

Deutsche Zeitökonomie und polnische Gastfreundschaft – welchen Wert schätzen Sie höher ein und warum? Diskutieren Sie in der Klasse und beziehen Sie, wenn möglich, auch die Kulturen anderer Länder mit ein!

Wie hätte man diese Situation schon im Vorfeld vermeiden können?

Welche Rolle würde das durch einen Restaurantbesuch geschaffene Vertrauen für Sie bei Verhandlungen mit einem Geschäftspartner spielen?

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Situation 2/2: Analyse

In Polen spielt der persönliche Kontakt und das gegenseitige Kennenlernen auch im beruflichen Kontext eine größere Rolle als in Deutschland. Die Bewirtung des Gastes, auch wenn er „dienstlich“ anreist, gehört als Zeichen der Gastfreundschaft dazu. In diesem Rahmen werden in Polen – anders als in Deutschland! – durchaus auch private Themen angesprochen (Familie, Interessen usw.) Für polnische Verhandlungspartner gilt ein solches vertrauliches und offenes Vorgespräch als Vertrauensgrundlage für die später stattfindenden Verhandlungen. Diese können dann auch per Telefon fortgeführt werden, denn „man kennt sich ja“. [Fortsetzung nächste Folie]

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Für deutsche Unternehmer hingegen kommt dem Zeitfaktor größere Bedeutung zu. Entscheidend sind allein die in möglichst kurzer Zeit möglichst konkret verhandelten Ergebnisse (möglichst mit Protokoll und Unterschrift der Beteiligten). Berufliches und Privates wird streng getrennt und letzteres ungern kommuniziert, zumal es auch kostbare Zeit in Anspruch nimmt, die man in der Regel nicht eingeplant hat.

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Situation 2/3: Vermeidung der Situation

Der Umgang mit Zeit, insbesondere wenn es um eine Begegnung mit Gästen – als solche werden auch Verhandlungspartner betrachtet – geht, ist in Polen grundsätzlich etwas großzügiger. Dies sollte man bedenken, wenn man zu Gesprächen zu polnischen Partnern reist und seinen Zeitplan entsprechend ausrichten. Es gilt als unhöflich, das berufliche Interesse in den Vordergrund zu stellen und deshalb gemeinsame persönliche Gesprächszeit, z.B. in einem Restaurant, aus Zeitgründen abzublocken (vor allem, wenn es sich um erstmalige Begegnungen handelt). Ist das Vertrauensverhältnis erstmal hergestellt, kann es durchaus passieren, dass man die aus deutscher Sicht anfangs „verlorene“ Zeit später wieder durch unbürokratische Telefonate und Mails wieder „hereinholt“. [Fortsetzung nächste Folie]

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In Polen freut man sich darüber, wenn der deutsche Gast genügend Zeit für sein Anliegen mitbringt, denn das lässt die Wertschätzung auch gegenüber dem polnischen Partner erkennen. Nicht selten folgen dienstlichen Verhandlungen dann private Einladungen, wenn die gegenseitige Chemie stimmt. Und selbige erleichtert später die berufliche Zusammenarbeit.Als deutscher Gast sollte man also seinen Zeitplan großzügiger aufstellen und damit rechnen, dass Privates und Dienstliches in Polen nicht so stark getrennt wird wie in Deutschland.

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Situation 2/4: Mögliche Lösungsvorschläge

Die Einladung ins Restaurant sollte keinesfalls abgelehnt werden. Im Laufe des Gesprächs im Restaurant kann man ja andeuten, dass „leider“ nur noch ein früher Rückflug frei war, aber man natürlich bereit wäre, gegebenenfalls ein zweites Mal zu kommen (der polnische Partner wird das Signal verstehen und die Zeit im Restaurant verkürzen, um seinem Gast diesen Umstand zu ersparen!)

Sollte das Gespräch im Restaurant auf private Themen kommen, sollte man hier nicht abblocken (das kann als „nicht vorhandenes Vertrauen“ gegenüber dem polnischen Partner verstanden werden). Hier ist Diplomatie gefragt. Wer keine konkreten privaten Auskünfte geben möchte („Sind Sie verheiratet?“), sollte dies mit Humor und Souveränität umgehen. [Fortsetzung nächste Folie]

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Die Tatsache, dass am Ende des Gesprächs zu wenig Zeit war, sollte nicht ärgerlich „kommentiert“ werden. In Polen ist die Wahrung einer positiven Gesprächsatmosphäre ein hohes Gut. Das Bedauern sollte durch den Wunsch zum Ausdruck gebracht werden, sich hoffentlich bald mal bei mehr Zeit wiederzusehen (auch wenn die weitere Kommunikation dann nur noch per Telefon oder Mail erfolgt).

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Situation 3/1: Der Grillabend

Herr Westermann arbeitet seit kurzem als Projektmanager bei einer deutschen Marktkette in Krakau. Um sich mit seinen neuen polnischen Kollegen besser bekannt zu machen, lädt er sie und ihre Ehefrauen zu einem gemeinsamen Abendessen zu sich nach Hause ein. Als seine Gäste eintreffen, ist Herr Westermann erschrocken: Alle haben für den Abend eine sehr elegante Garderobe gewählt; die Herren tragen sogar Anzug. Herr Westermann dagegen hat sich auf einen gemütlichen Grillabend eingestellt. Dementsprechend ist er leger in Jeans und Pullover gekleidet.

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Situation 3/1a: Fragestellungen

Spielen Sie die Situation nach. Wie würden Sie beim Öffnen der Tür reagieren, wenn Sie die elegante Garderobe der Gäste sehen?

Wie hätte man die Situation vermeiden können?

Überlegen Sie, wie Herr Westermann die möglicherweise falsche Erwartungshaltung seiner Gäste elegant korrigieren könnte!

Wie würden Sie sich bei einer privaten Einladung „zum Abendessen“ bei einem deutschen Kollegen oder einer deutschen Kollegin anziehen?

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Situation 3/2: AnalyseUnter einer Einladung zum Abendessen verstehen Polen grundsätzlich keinen Grillabend. In Deutschland wäre es wahrscheinlich ähnlich. Der Fehler liegt zunächst bei Herrn Westermann, dass er den Grillabend bei seiner Einladung nicht angedeutet hat. Außerdem erwarten Polen bei einer solchen Einladung keinen Grillabend, zumal sie ja einen fast dienstlichen Charakter hat. In deutschen Firmen kann es da durchaus schon mal zu einem Grillabend kommen, in Polen eher selten.

Grundsätzlich neigen Polen dazu, sich bei Einladungen - noch dazu, wenn sie in einem quasi dienstlichen Kontext stehen - wesentlich eleganter zu kleiden als Deutsche. Das gilt übrigens auch für Konzert- und Theaterbesuche bis hin zum Kirchenbesuch. Deutsche, die in Polen leben, sollten sich darauf einstellen, zumal in Polen bekannt ist, dass Deutsche es mit der Garderobe eher pragmatisch halten.

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Situation 3/3: Vermeidung der Situation

Hätte Herr Westermann gleich zu einem Grillabend eingeladen, wäre die Situation für alle Beteiligten klar gewesen. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass die polnischen Gäste auch zu dem Grillabend wesentlich eleganter gekleidet gekommen wären, als Herr Westermann es vermutet hätte. Um sicher zu gehen, müsste er die Bitte für legere Kleidungen unmittelbar bei der Einladung konkret aussprechen (auch wenn das auf viele Polen ziemlich unhöflich wirken könnte, weil eine Grillparty für sie eben nicht die geeignete Form eines solchen Kennenlernabends darstellt).Grundsätzlich wäre Herr Westermann in Polen gut beraten mit der Faustregel: besser zu elegant, als zu leger gekleidet. Auch bei einer Grillparty, bei der er noch dazu der Hausherr ist (ein leger gekleideter Gastgeber zwischen elegant gekleideten Gästen wäre für Polen und Polinnen ein Albtraum).

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Situation 3/4: Mögliche Lösungsvorschläge

Ist die vorgestellte Situation mit dem Missverständnis über die Art der Einladung eingetreten, wäre eine Möglichkeit, dass Herr Westermann ziemlich schnell nach jeder Begrüßung der Gäste das Problem – das ja vor allem sein Problem ist, weil er als ein einziger leger gekleidet ist – anspricht und mit Humor vermittelt. Eine ernsthafte Rechtfertigung, oder gar ein im Raum stehender Vorwurf an die Gäste, sich so „rauzuputzen“, ist undenkbar und wäre ein Gesichtsverlust für alle Beteiligten.

Die im wahrsten Sinne des Wortes wesentlich elegantere Lösung wäre für Herrn Westermann, sich möglichst schnell und diskret selbst in elegantere Garderobe zu kleiden. Besser im Anzug am Grill, als in der Jeans zwischen elegant gekleideten polnischen Gästen!

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Situation 4/1: Der Schüleraustausch

Die Klasse 11a fährt für eine Woche zu ihren polnischen Partnern nach Krakau, die bereits einige Monate zuvor bei ihnen in Münster waren. Schon kurz nach der Ankunft kommt es zu einem gemeinsamen Abendessen, auf dem das Programm für die ganze Woche vorgestellt wird. Nach der Präsentation beklagen sich die deutschen Schüler bei ihrer Lehrkraft, warum das Programm so dicht sei und es kaum Freizeit gäbe. Die deutsche Lehrkraft spricht ihre polnische Kollegin darauf an, die wiederum überrascht ist. Schließlich seien sie doch Gäste und den müsse etwas geboten werden!

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Situation 4/1a: Fragestellungen

Wie würden Sie bei der Präsentation des Wochenprogramms reagieren?

Wären Sie bereit, auf Freizeit zu verzichten und an dem gesamten Programm teilzunehmen, oder würden Sie – je nach Programmpunkt – selbst entscheiden, woran Sie teilnehmen und woran nicht?

Angenommen auf dem Programm ihrer Partnerschule steht ein Theaterabend, von dem Sie wissen, dass Sie sprachlich nichts verstehen werden. Würden Sie trotzdem hingehen oder mit der Begründung, nichts zu verstehen, absagen? Begründen Sie ihre Entscheidung!

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Situation 4/2: Analyse

Die Situation gehört zu den häufig auftretenden Unterschieden beim Ablauf von Austauschprogrammen in Deutschland und Polen. Während die Gäste in Deutschland oft erst gefragt werden, was sie machen möchten, verstehen Polen unter Gastfreundschaft vor allem die „Beschäftigung mit dem Gast“. Das äußert sich häufig in ziemlich dichten Progammen, die nicht immer sinnvoll sein müssen (z.B. polnischsprachiges Theater für deutsche Schüler), aber zum Ausdruck bringen wollen, wie wertvoll den Gastgebern der Besuch ist. Freizeit wird in Polen häufig als Faulheit des Gastgebers interpretiert, sich etwas auszudenken oder als fehlende Bereitschaft, eigene Zeit in den Gast zu investieren. [Fortsetzung nächste Folie]

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Als Deutscher fühlt man sich da oft gegängelt, überfordert, ganz abgesehen davon, dass das ziemlich anstrengend sein kann. Umgekehrt sind Polen manchmal enttäuscht, wenn sie merken, dass die deutschen Gastgeber zwar ab und an mal einen Programmpunkt vorschlagen, es ansonsten aber vom Gast abhängig machen, wie viel Programm er eigentlich haben möchten (was er aus Höflichkeit, dem Gast zu viel Zeit abzuverlangen, aber oft nicht einfordert).

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Situation 4/3: Vermeidung der Situation

Ein Schüleraustausch dient in der Regel immer auch der Begegnung mit einer anderen Kultur. Was nicht heißt, dass während dieser Begegnung nicht auch Unterschiede an den Tag kommen können, die den SchülerInnen nicht unbedingt sympathisch sind. Natürlich könnte man mit den Gastgebern darüber diskutieren, ob so viel Programm sein muss, ob es nicht ein bisschen weniger sein könnte, usw. Und sie werden darauf eingehen, natürlich, „der Gast ist König“! Doch möglicherweise verbaut man sich damit eine wichtige Erfahrung. In der Regel haben sich die polnischen Gastgeber etwas bei ihren Vorschlägen gedacht. Selbst eine scheinbar „unsinnige“ polnische Theateraufführung kann eine Bereicherung sein – und sei es nur, um mal das Flair eines polnischen Theaters zu erleben. [Fortsetzung nächste Folie]

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Es wäre sicher sinnvoll, deutsche SchülerInnen auf die möglicherweise anstehende Programmdichte gut vorzubereiten und im Vorfeld abzuklären, ob alle Schüler bereit sind, ohne wenn und aber mitzumachen. Sollte sich die Mehrheit dagegen aussprechen, kann man immer noch vorsichtig mit den Partnern reden – und schon im Vorfeld betonen, dass sich die deutschen Schüler auch ein bisschen Freizeit, z.B. zur alleinigen Erkundung der Stadt, wünschen.

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Situation 4/4: Mögliche Lösungsvorschläge

Es wäre unhöflich, gleich nach Bekanntgabe des vollen Programmplans zu monieren, dass zu wenig Freizeit bleibt. Das gilt für Lehrer wie Schüler. Allerdings spricht nichts dagegen, sich in vertraulicher Atmosphäre mit dem verantwortlichen Partner zusammenzusetzen und das Programm noch einmal durchzugehen. Mit etwas Geschick lässt sich bestimmt die eine oder andere Veränderung anbringen, ohne dass man den Anschein erweckt, den Gastgeber korrigieren zu wollen.Ab und an sind Polen empfindlich, wenn die deutschen Gäste vorgeben, wie es vielleicht „besser“ wäre. Umgekehrt würden es die wenigsten Polen in Deutschland machen (á la „könnten wir vielleicht ein bisschen mehr Programm haben?!“) Die gegenseitige Chemie spielt bei solchen Situationen immer eine große Rolle. Im Zweifelsfalls sollte man die eigenen Schüler einfach davon überzeugen, mal mitzumachen. Anderes Land, andere Sitten. Und nicht selten stellt sich am Ende heraus, dass das Programm tatsächlich ganz toll war!

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Situation 5/1: Der Schrank

Herr Jahn ist nach Polen umgezogen, wo er jetzt arbeitet. Als er sich bei seinem Kollegen Herrn Nowak erkundigt, wo er am besten einen Kleiderschrank für seine neue Wohnung kaufen kann, bietet der ihm an, ihn zu dem entsprechenden Möbelhaus zu begleiten. Sie fahren zusammen los und kaufen einen Schrank. Da der montiert werden muss, beschließt Herr Nowak zu Herrn Jahn zu fahren und ihm dabei behilflich zu sein. Als sie um zwölf Uhr nachts zu arbeiten aufhören, steht erst ein Viertel des Schranks. Herr Nowak kommt deshalb auch an den drei folgenden Abenden, um Herrn Jahn zu helfen. Der freut sich sehr darüber, wundert sich aber auch über diese große Hilfsbereitschaft. Soll er Herrn Nowak für seine Hilfe bezahlen?

 

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Situation 5/2: Analyse

Die Situation kann stellvertretend stehen für viele Erlebnisse dieser Art von Deutschen in Polen. Gastfreundschaft ist ein hohes Gut, und die meisten Polen sind gerne bereit, eigene Zeit zu opfern, um Freunden oder Gästen bei Problemen zu helfen. Da Herr Jahn in Polen wohnt, sollte er sich aber darauf einstellen, dass Hilfsbereitschaft auch auf Gegenseitigkeit beruht. Es ist gut denkbar, dass Herr Nowak eines Tages ebenfalls mit einer Bitte um Hilfe (die Zeit beansprucht!) an Herrn Jahn herantritt. Hilft Herr Jahn dann? Oder fühlt er sich erpresst bzw. zur Gegenhilfe „verpflichtet“? Oder lehnt er ab, und wenn ja, wie? Jedenfalls würde sich Herr Nowak wundern, wenn Herr Jahn plötzlich ihm gegenüber keine Hilfsbereitschaft zeigen würde. [Fortsetzung nächste Folie]

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Eine Bezahlung von Herrn Nowak liegt zwar nahe, wäre aber der falsche Weg, sofern es sich um einen Kollegen handelt, mit dem man freundschaftlich verbunden ist. Eine bessere Art, Danke zu sagen, wäre z.B. eine Einladung zum Essen oder eine andere kleine Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall ab: auch helfen, wenn der Kollege mal mit einer Bitte kommt!

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Situation 5/3+4: Vermeidung der Situation und Lösungsvorschlag

Vermeiden lässt sich eine solche Situation nicht. Warum auch? Die Hilfe beim Kauf des Schrankes ist ebenso ehrenwert wie freundlich. Schwieriger ist die Antwort auf die Frage, ob Herr Jahn das Angebot zur Hilfe beim Schrankaufbau von Herrn Nowak hätte ablehnen können. Der Zeitaufwand ist enorm, eine solche Hilfeleistung nicht mehr selbstverständlich. Gerät Herr Jahn hier unter Druck, den Kollegen bezahlen zu müssen? Im Prinzip nein. Aber eine solche Hilfeleistung schafft Freundschaften, die auch in der anderen Richtung belastbar sein müssen. Also muss Herr Jahn sich überlegen, ob er diesen Aufwand auch für seinen Kollegen treiben würde. Wenn nicht, empfiehlt es sich, nach dem Kauf den Schrank – unter irgendeinem Vorwand – nicht gemeinsam aufzubauen. Stattdessen sollte eine Geste des Dankes für das gemeinsame Einkaufen erfolgen.

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Literaturtipps Andrea Mewaldt: Managerwissen kompakt. Polen, München:

Hanser Verlag 2006.

Gawin, Izabella/Schulze, Dieter: KulturSchock Polen. Reise Know-How. 2008.

Joanna Sell: Geschäftskultur Polen kompakt: Wie Sie mit polnischen Geschäftspartnern, Kollegen und Mitarbeitern erfolgreich zusammenarbeiten. Meerbusch: Conbook Medien 2013.

Knapp, Radek: Gebrauchsanweisung für Polen. Piper 2005.

Kneip, Matthias: Grundsteine im Gepäck. Begegnungen mit Polen. Lektora Verlag 2002

[Fortsetzung nächste Folie]

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Literaturtipps

Krzysztof Wojciechowski: Knigge für deutsche Unternehmen in Polen. Industrie- und Handelskammer, Potsdam.http://www.ihk-ostbrandenburg.de/file/10199-PolenKnigge_ohne_IHKLogo.pdf

Möller, Steffen: Viva Polonia. Als Deutscher Gastarbeiter in Polen. Fischer Taschenbuch Verlag 2009.