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Annette Hampl Psychodynamik von Patienten mit Retinopathia centralis serosa (RCS) - Ein kunsttherapeutischer Ansatz -

Annette Hampl Psychodynamik von Patienten mit Retinopathia ... · Im Zentrum der Überlegungen über die Psychodynamik bei RCS –Patienten liegt demnach wie diese Patienten ihr Selbstwertgefühl

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Annette Hampl

Psychodynamik von Patienten mit

Retinopathia centralis serosa

(RCS)

- Ein kunsttherapeutischer Ansatz -

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Augenklinik und Poliklinik

der Technischen Universität München

Klinikum rechts der Isar

(Direktor: Univ.-Prof. Dr. M. Mertz)

Psychodynamik von Patienten mit Retinopathia centralis serosa (RCS) -

Ein kunsttherapeutischer Ansatz

Annette Hampl

Vollständiger Abdruck der von der Fakultät für Medizin der Technischen Universität

München zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Medizin genehmigten

Dissertation.

Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. D. Neumeier

Prüfer der Dissertation:

1. apl. Prof. Dr. Th. Schmidt

2. Univ.-Prof. Dr. M. Mertz

3. Univ.-Prof. Dr. M. von Rad

Die Dissertation wurde am 21.11.2002 bei der Technischen Universität München

eingereicht und durch die Fakultät für Medizin am 09.04.2003 angenommen.

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Für Luise und Franz Hampl

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3

Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. med. Thomas Schmidt,

der diese Arbeit stets unterstützt hat.

Außerdem möchte ich Herrn Dr. med. Michael Warnhoff und Frau Flora von Spreti

danken, die mir bei der Verwirklichung meiner Idee mit sehr vielen

Anregungen zur Seite standen.

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Blind

Fallen

Fühlen

Suchen

Worte, Windgestalten, ziellos getragen

blind

falle ohne, dass die Hände greifen

nach der Mauer, die die Angst gebaut

fühle fessle Deine Hände

mit den Worten,

die nicht Deine sind

suche nach dem Blinden,

der Dir sagt, wo Du lernen kannst,

zu sehen

blind?

Dann sag mir was Du siehst!

Annette Hampl

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ..................................................................................................................... 7

1.1 Modelle zur Entstehung einer RCS: ...................................................................... 7

1.2 Die RCS als psychosomatische Erkrankung ......................................................... 8

1.3 Die Selbstwertregulationstheorien nach Deneke................................................. 10

1.3.1 Das bedrohte Selbst ..................................................................................... 11

1.3.2 Das klassische narzisstische Selbst: ............................................................ 12

1.3.3 Das idealistische Selbst ............................................................................... 12

1.3.4 Das hypochondrische Selbst........................................................................ 13

1.4 Die neurotischen Charakterprägungen im Sinne der Deneke´schen Theorien.... 13

1.5 Die Kunsttherapie – ein geschichtlicher Rückblick ............................................ 15

1.6 Die Kunsttherapie als therapeutisches und diagnostisches Medium................... 16

1.6.1 Kunsttherapie als Mittel der Kommunikation ............................................. 16

1.6.1.1 Analytischer Ansatz der Kunsttherapie: das fertige Bild als

Kommunikationsmittel ............................................................................................ 16

1.6.1.2 „Verhaltenstherapeutischer“ Ansatz: der Prozess des Malens als

Möglichkeit mit sich selbst in Kontakt zu kommen................................................ 17

1.6.1.3 Die analytische Kunsttherapie als Kommunikationsmittel im Rahmen

dieser Arbeit ............................................................................................................ 17

2 Methoden.................................................................................................................... 20

2.1 Ophthalmologische Untersuchung ...................................................................... 20

2.2 Psychosomatisches Interview.............................................................................. 20

2.3 Kunsttherapeutische Sitzung ............................................................................... 21

2.4 Nachgespräch ...................................................................................................... 21

3 Ergebnisse .................................................................................................................. 22

3.1 Ergebnisse der ophthalmologischen Untersuchung............................................. 22

3.2 Ergebnisse des psychosomatischen Interviews, der kunsttherapeutischen Sitzung

sowie des Nachgesprächs ................................................................................................ 24

3.2.1 Patient A ...................................................................................................... 25

3.2.2 Patient B ...................................................................................................... 32

3.2.3 Patient C ...................................................................................................... 38

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3.2.4 Patient D ...................................................................................................... 44

3.2.5 Patientin E ................................................................................................... 50

3.2.6 Patient F....................................................................................................... 55

3.2.7 Patient G ...................................................................................................... 62

3.2.8 Patient H ...................................................................................................... 68

3.2.9 Patient I........................................................................................................ 74

3.2.10 Patientin J .................................................................................................... 80

4 Diskussion................................................................................................................... 89

4.1 Falldiskussion: ..................................................................................................... 89

4.1.1 Patient A ...................................................................................................... 89

4.1.2 Patient B ...................................................................................................... 91

4.1.3 Patient C ...................................................................................................... 93

4.1.4 Patient D ...................................................................................................... 95

4.1.5 Patientin E ................................................................................................... 97

4.1.6 Patient F....................................................................................................... 99

4.1.7 Patient G .................................................................................................... 101

4.1.8 Patient H .................................................................................................... 103

4.1.9 Patient I...................................................................................................... 105

4.1.10 Patientin J .................................................................................................. 106

5 Zusammenfassung ................................................................................................... 109

6 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................ 114

7 Literaturverzeichnis ................................................................................................ 115

8 Anhang...................................................................................................................... 120

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1 Einleitung

Die Retinopathia centralis serosa (RCS) ist eine relativ seltene, plötzlich auftretende, nicht

schmerzhafte Augenerkrankung, die mit einem mäßigen Visusverlust einhergeht. Betroffen

sind vorwiegend Männer zwischen 20 und 50 Jahren. Bei etwa 80 % bildet sich die

Symptomatik innerhalb von Monaten zurück, die Rezidivrate ist jedoch mit 40% recht

hoch. Die Pathogenese der RCS wird noch nicht komplett verstanden. Charakteristisch ist

eine partielle Abhebung der neurosensorischen Retina sowie zumeist eine begleitende

seröse Abhebung des retinalen Pigmentepithels. (11, 18) In der Fluoreszenzangiographie

sieht man einen typischen hyperfluoreszenten „Quellpunkt“, eine fokale Leckage durch das

retinale Pigmentepithel. Zusätzlich zu dieser „Störung“ im Pigmentepithel zeigt die

Indocyaningrün-Angiographie eine Anomalie der Perfusion in der unter dem

Pigmentepithel-Defekt liegenden Choriokapillaris (10, 14, 18).

1.1 Modelle zur Entstehung einer RCS:

Als ein Erklärungsmodell käme in Frage:

Zunächst kommt es durch Verzögerung des arteriellen Einstroms zu einer Ischämie ,

gefolgt von einer Stauung in diesem Gebiet, welcher vermutlich über einen Spasmus der

abführenden Venolen bewirkt wird. Durch Schädigung der Choriokapillaris kommt es

dann zu einer erhöhten Permeabilität in diesem Gebiet und zur Ansammlung von

Flüssigkeit und Plasmaproteinen unter das Pigmentepithel (Pigmentblattabhebung). Dies

bewirkt eine Belastung des Pigmentepithels, was zu der typischen, in der

Fluoreszenzangiographie sichtbaren, Leckstelle führt. (18, 11) Die zugrundeliegenden

angiospastischen Prozesse der Choriokapillaris könnten durch eine sympathische

Dysregulation bzw. durch die Wirkung im Blut zirkulierender Catecholamine ausgelöst

werden. (26) Im Tierversuch lässt sich ein der RCS ähnliches Bild durch die

langandauernde Gabe von Adrenalin erzeugen. (32) . Eine Aktivierung des adrenergen

vegetativen Nervensystems könnte eine solche Reaktion der Choriokapillaris bewirken.

(31) Weitere Erklärungsmodelle sind:

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- Störung in der Autoregulation des Blutflusses der Choriokapillaris:

Hierbei wird die Durchblutung über die Freisetzung von Stickoxid und Prostaglandinen,

die beide eine Vasodilatation bewirken, gesteuert. Corticosteroide und Adrenalin greifen in

die Produktion dieser Substanzen ein und scheinen so die Autoregulation zu beeinflussen:

man fand bei Patienten, die systemisch mit Corticosteroiden behandelt wurden eine

Häufung der RCS-Erkrankungen. Die Cortisonfreisetzung wird unter anderem auch durch

Adrenalin getriggert. (25)

-In Experimenten an Pigmentepithelzellkulturen von Schweinen fanden Sibayan, Kobuch

et al eine direkte Wirkung des Adrenalins am Pigmentepithel. Bei Behandlung mit

Adrenalin in verschiedenen Konzentrationen wurde in den Zellkulturen Apoptose

(programmierter Zelltod) induziert. Wenn Apoptose für die Pathogenese des

Pigmentepithelschadens bei RCS verantwortlich wäre, könnte dies ebenfalls die Hypothese

einer beta-adrenergen Entstehung unterstützen. Corticosteroide induzierten keine Apoptose

in den getesteten Konzentrationen. Vielmehr wird angenommen, dass es die Anzahl der

adrenergen Rezeptoren und die Sensibilität derselben erhöht. Die Auslösung der Apoptose

ist ein beta-adrenerger c-AMP gesteuerter Prozess. (21)

-Spitznas formulierte folgende Theorie: Die Pumpen für den Flüssigkeitsabtransport unter

dem Pigmentepithel, - ein ebenfalls cAMP- abhängiger Prozess-, werden zur Umkehr des

Transportwegs gebracht. Die Flüssigkeit wird unter die Retina gepumpt anstatt über die

Chorioidea abtransportiert zu werden. So sammelt sich Flüssigkeit im subretinalen Raum

an. In manchen Fällen bricht zusätzlich die Barrierefunktion des Pigmentepithels

zusammen. Ob diese Schrankenstörung durch Apoptose im Pigmentepithel oder durch

mechanischen Druck der angestauten Flüssigkeit verursacht wird, ist ungeklärt. (21)

Zugrundeliegend ist allen Theorien eine Störung im adrenergen, vegetativen Systems im

Sinne einer erhöhten Catecholaminausschüttung.

1.2 Die RCS als psychosomatische Erkrankung

Die Aktivierung des adrenergen, vegetativen Systems unter psychischer Belastung spielt

bei vielen psychosomatischen Modellen eine Rolle: Durch Angst oder Aggression wird

dieses Stresshormon freigesetzt. Kann nun der Stress in der Reaktion (fight or flight) nicht

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abgeleitet werden, da Flucht oder Kampf in unserer heutigen Gesellschaft oft unmöglich

oder unsinnig geworden sind, bleibt das erhöhte sympathische Niveau bestehen und die

Mediatoren suchen sich einen anderen „Angriffspunkt“, der Stress ein anderes Ventil, die

somatische Erkrankung. (1)

Damit wäre die Verknüpfung oder Beziehung zur psychosozialen Ebene hergestellt.

Tatsächlich gilt die RCS schon seit langem als psychosomatische Erkrankung. Zahlreiche

Studien belegen dies.(7, 9, 13, 17, 30, 31, 33)

Auch eine in Zusammenarbeit mit der psychosomatischen Klinik des Klinikums rechts der

Isar (München) entstandene Studie bestätigte diese Hypothese. (27, 29) Bei einem Großteil

der Patienten bestehen in der Vorgeschichte funktionelle Beschwerden die auf ihre

Tendenz zu psychosomatischen Reaktionen hinweisen. In engerem zeitlichem

Zusammenhang mit dem Auftreten der RCS ließen sich Ereignisse eruieren, die als

psychische Auslösefaktoren für dieses Krankheitsbild Bedeutung haben könnten. So zum

Beispiel realer oder phantasierter Objektverlust und berufliche Belastungssituationen: Tod

oder Trennung von wichtigen Familienmitgliedern, stark ausgeprägtes Leistungsbestreben.

(30) Yannuzzi beschrieb hierzu den Zusammenhang zwischen dem aus der

Herzinfarktforschung bekannten Typ A Verhalten - das gerade in beruflichen

Konkurrenzsituationen eine große Rolle spielt- und RCS, der insbesondere deshalb

interessant ist, da es sich bei den an RCS Erkrankten vorwiegend um berufstätige, junge

Männer handelt. (31)

Unter Typ A-Verhalten versteht man einen spezifischen Adaptionsmechanismus mit

erhöhter Verausgabungsbereitschaft auf Situationen, die aus persönlichkeitsspezifischen

Gründen als unkontrollierbar und damit unerträglich angesehen werden:

Personen die durch ein Typ A-Verhalten auffallen

- haben ein stark ausgeprägtes Konkurrenzdenken

- bemühen sich ständig hervorzustechen und sich überall einzubringen

- versuchen ihr Arbeitstempo kontinuierlich zu erhöhen

-sind oft aggressiv und eher feindselig gegenüber anderen

(34)

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Aus der Herzinfarktforschung ist bekannt:

Das Typ A-Verhalten kann als mögliche innere Ursache von Stress angesehen werden, der

seinerseits als wichtiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen gelten kann.

Emotionaler Stress führt zu einer β-adrenergen Stimulation, das heißt Aktivierung des

adrenergen vegetativen Nervensystems, bei der es zu einem Anstieg der Herzfrequenz,

Erhöhung des Auswurfvolumens des Herzens, Vasokonstriktion, arterielle

Gefäßwandschäden und Verengung der arteriellen Strombahn kommt.(2, 16).

Damit ist auch der Zusammenhang zu der oben geschilderten Pathogenese der RCS im

Sinne eines Gefäßspasmuses gegeben.

Für das Entstehen eines Typ A-Verhaltens bei einer Person kann einerseits eine genetische

Veranlagung verantwortlich gemacht werden, andererseits ist eine wichtige Ursache

natürlich auch in der Störung der Eltern –Kind-Beziehung zu sehen: Die betreffenden

Personen lebten oft in einem sehr von Leistung geprägten Elternhaus, ihr

Selbstbewusstsein ist eher gering ausgeprägt und sie handeln oft nach dem Motto: „Weil

ich mir selbst nicht genüge, muss ich besser werden.“ (34)

Das Typ-A-Verhalten im Sinne einer erhöhten Leistungsbereitschaft kann in diesem

Zusammenhang als Mechanismus verstanden werden, das Selbstwertgefühl zu

stabilisieren. Im Zentrum der Überlegungen über die Psychodynamik bei RCS –Patienten

liegt demnach wie diese Patienten ihr Selbstwertgefühl regulieren und wie es im Sinne

ungünstiger Regulationsmechanismen zum Ausbruch dieser psychosomatischen Krankheit

kommen kann.

1.3 Die Selbstwertregulationstheorien nach Deneke

Deneke hat ein Modell dieser Selbstwertregulation entwickelt, welches im folgenden kurz

dargestellt werden soll. Dabei beschreibt er zunächst verschiedene Regulationsmodi,

unabhängig von psychischen Krankheiten und ordnet diesen erst später psychischen

Störungen zu. (3, 4, 5) Inwieweit sich solche pathologische Muster auch bei RCS-Patienten

finden , soll primär Gegenstand dieser Arbeit sein.

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Der Mensch ist in der Lage über seine Empfindungen, seine Überlegungen zu reflektieren,

sich selbst in der Beziehung zu seiner Umgebung zu erkennen. Ausdruck dieses

Selbstbewusstseins ist das Selbstwertgefühl. In diesem Selbstsystem ist der Mensch

ständig auf der Suche nach einem stabilen Zustand:

Er ist in seiner Umwelt , in seinen Beziehungen, in seinem Arbeitsumfeld und in seinem

Selbst bestrebt, sich optimal auszubalancieren. Das heißt er versucht seine persönlichen

und zwischenmenschlichen Bedürfnisse, Hoffnungen, Sehnsüchte, Ziele usw. zu

verwirklichen, sich behaglich und zuversichtlich, sich „ganz“ zu fühlen. Vergangenheit,

Gegenwart und Zukunft soll als kontinuierlicher Prozess wahrgenommen und bejaht

werden können. Allerdings ist dies ein Zustand, den allenfalls einige Wenige fähig sind

wahrzunehmen (z.B. im meditativen Zustand).

Deneke spricht von einer Autoregulation des Selbstsystems und betont den dynamischen

Aspekt: Je nach äußeren und inneren Erfordernissen regelt sich das System immer wieder

neu ein.

Das Individuum pendelt zwischen der optimalen Balance und des Zustands Null, dem

Zusammenbruch des Systems hin und her. Dieser Zustand Null selbst wird allerdings nie

erreicht, da sich dann das Selbst vollständig handlungsunfähig, ohnmächtig und gelähmt

fühlt. Er kommt nur in archaischen Phantasien vor, und ist verbunden mit einer massiven

Angst, die allein schon dafür sorgt, dass dieser Zustand nie eingenommen wird.

Bei den andauernden Regulationsversuchen des Systems können natürlich auch

zwischenzeitlich Zustände gesucht werden, die durchaus vom Gleichgewicht abweichen:

z.B. Spannungen, Irritationen, da auch eine gewisse Neugier auf neue Situationen besteht.

Diese müssen aber immer wieder in einen neuen Gleichgewichtszustand einmünden.

Außerdem muss das Selbstwertgefühl aufrechterhalten und im eigenen Leben einen Sinn

erkannt werden.

Es lassen sich folgende Selbstwertregulationsmodi unterscheiden:

1.3.1 Das bedrohte Selbst

Die Angst vor dem totalen Zusammenbruch ist all diesen Organisationsformen gemeinsam.

Sie zeigen ein stark labilisiertes Selbst an. Im Rahmen dieser Arbeit ist vor allem das

Kleinheitsselbst, das negative Körperselbst, soziale Isolierung und Sehnsucht nach

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Verschmelzung mit den Elementen von Bedeutung. Das Kleinheitsselbst repräsentiert den

quälenden Zweifel an dem Wert der eigenen Person. Beim negativen Körperselbst wird der

Körper als abstoßend und hässlich für das eigene Selbst und für andere erlebt. Das

Unwerterleben wird hier auf den Körper eingegrenzt. Die Angst vor dem totalen

Zusammenbruch führt schließlich zur sozialen Isolierung, die Flucht vor den Menschen

und der Realität um sich vor weiteren Kränkungen zu schützen. Als Regulationsmodus hat

das bedrohte Selbst keine ausreichende und gesunde Möglichkeit eine innere Stabilität

wieder zu erreichen.

1.3.2 Das klassische narzisstische Selbst:

Es ist charakterisiert durch ein hohes Maß an Selbstbezogenheit, Kränkbarkeit,

Selbstüberhöhung.

Das Ich wird zum absoluten Größenselbst. Ein solch grandioser, phantastischer

Selbstentwurf, mag er völlig irreal sein, scheint aber ein guter Kompensationsmechanismus

zu sein.

Auch sucht der narzisstisch geprägte Mensch die Nähe von idealisierten Objekten, um an

deren Macht und Glanz teilzuhaben, um eigene Defizite auszugleichen.

Die narzisstische Persönlichkeit ist in hohem Maße auf Gratifikation durch ihre Umwelt

angewiesen und sehnt sich sehr nach Beifall und Anerkennung. Eine narzisstische

Stabilisierung wird durch soziale Bestätigung erreicht, die oft über erhöhtes

Leistungsstreben erhofft wird, zu erlangen.

1.3.3 Das idealistische Selbst

Im Autarkie-Ideal wird die Selbstbestimmung betont. Damit werden Abhängigkeitsgefühle

abgewehrt. Ziele werden konsequent verfolgt. Menschen, die sich auf diese Weise zu

stabilisieren versuchen, sind meist auch sehr leistungsorientiert.

Das Objekt wird als schlecht, unwert hingestellt. Diese Menschen leben nach einem hohen

Werteideal. Die persönlichen Wertvorstellungen sind der anderer überlegen. Damit wird

die eigene Person aufgewertet

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1.3.4 Das hypochondrische Selbst

Die Aufmerksamkeit ist auf den eigenen Körper fixiert. Es besteht eine große Sorge um

den eigenen Körper. Er wird aufmerksam und misstrauisch überwacht. Durch die Fixation

auf den Körper kann die Verantwortung an den Mediziner abgegeben werden . Das Selbst

indes rettet sich in die Phantasie an sich leistungsfähig und gesund zu sein, es sei lediglich

der Körper, der versage. Das Versagen kann somit entschuldigt werden. Die Stabilisierung

und Kompensation erfolgt durch den narzisstischen Krankheitsgewinn.

Auch diese ist eine sehr unzureichende und instabile Form das Selbstsystem zu regulieren.

Wie auch das bedrohte Selbst, ist das hypochondrische Selbst mit stark depressiven

Elementen verkoppelt. (4)

1.4 Die neurotischen Charakterprägungen im Sinne der Deneke´schen Theorien

Man kann nun den verschiedenen neurotischen Charakterprägungen die oben

beschriebenen Regulationsmodi zuordnen. (3):

Auf der Basis der vier Regulationsmodi wurden sechzehn idealtypische Konfigurationen

gebildet. Nach Beantwortung eines Fragebogens (Narzissmusinventar) ließen sich

Gesunde, psychosomatische, und psychoneurotische Patienten diesen Konfigurationen

zuteilen. (5)

Die Gesunden bedienten sich hauptsächlich der klassisch narzisstischen Regulationsmodi,

auch fand sich die Kombination aus klassisch narzisstischen und idealistischen

Regulationsmodi. Modi der Gruppen des bedrohten oder hypochondrischen Selbst wurden

fast überhaupt nicht gewählt.

Auch die psychosomatischen Patienten ließen sich in den erstgenannten Gruppen des

narzisstischen und des idealistischen Selbst wiederfinden. Sie gaben eher ein

„Übernormales“ (pseudonormales) Bild ab.

Die Gruppe der Regulationsmodi des idealistischen Selbst ist sogar signifikant überbesetzt.

Dies spiegelt die Problematik wieder, warum der Umgang mit psychosomatischen

Patienten so schwierig ist, warum es so viel Gespür braucht auf die Ursache ihrer

Beschwerden zu kommen. Vielmehr ist die Entlarvung der psychischen Problematik die

eigentliche Aufgabe.

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Der psychosomatische Patient dissoziiert sein wahres Selbst vom falschen Selbst. Das

Selbst passt sich an die Umwelt an, und wird so als reales Selbst gesehen. Das wahre

Selbst allerdings bleibt versteckt. Durch seinen Verstand sucht der Patient sein falsches

Selbst zu definieren. Das Individuum sucht nach Störungen in seinem Körper, da sie ihm

vermitteln, dass er lebt. (20)

Die Patienten werden aber von selbst nie ihre Probleme auf diesem Gebiet schildern.

(Übernormalität)

Das Körpersymptom wird vorgeschoben, dieser Mechanismus wird den betroffenen

Patienten aber nicht bewusst. Der Körper wird so zur Abwehrschranke des Erlebens ihrer

Ängste und Hilflosigkeit, also des Erlebens im Sinne des bedrohten Selbst..

Wenn er solche Gefühle dennoch erlebt, bringt sie der psychosomatische Patient mit seinen

körperlichen Unzulänglichkeiten in Verbindung und so schließt sich die Mauer, die der

Patient nun immer höher um sich herum aufbaut.

Nur indem der Patient wieder in Kontakt mit seinem verleugneten Impulsen des bedrohten

Selbst kommt, kann dieser Mechanismus unterbrochen werden. Dafür könnte, wie später

noch erläutert wird, besonders das Verfahren der Kunsttherapie von Vorteil sein.

Die Psychoneurotiker dagegen bedienten sich in ihren Regulationsweisen vor allem der des

bedrohten Selbst, einige auch in Kombination mit Regulationsmodi des narzisstischen

Selbst und des hypochondrischen Selbst. Allerdings bleiben diese zwei letztgenannten

Modi erfolglos, da die Patienten in ihren Selbst schon sehr stark geschwächt sind.

Diese Patienten haben zwar einen direkten Zugang zu ihrem Selbst, aber ihr

Bedrohungserleben ist für sie zu übermächtig. (3)

Die für die Psychosomatiker beschriebenen Regulationsmodi bei zugrundeliegender

Schwächung des Selbstwertgefühls, könnten auch bei den RCS-Patienten eine Rolle

spielen.

Die pseudonormale Reaktionsform der psychosomatischen Patienten mit dem damit

verbundenen Aufbau eines falschen Selbst und der Unfähigkeit diese Mechanismen

wahrzunehmen, bietet an, ein kunsttherapeutisches Verfahren zu verwenden. Das spontane

Malen von Bildern wird als Methode benutzt, die zugrundeliegende Psychodynamik

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aufzudecken. Die Bilder machen psychische Muster sichtbar. Durch neurotische

Verstrickung und Ich-Fixierung erscheinen Probleme sonst oft unüberschaubar.

Gleichzeitig stellt ein kunsttherapeutischer Ansatz nicht nur ein diagnostisches Werkzeug

bereit, sondern leitet auch den Beginn einer therapeutischen Arbeit ein.

Beim Gestalten steigen Formen, Erinnerungen und Gefühle aus dem Inneren auf, werden

sichtbar und erkundbar, d.h. der Patient und der Therapeut können sie besser bearbeiten,

denn durch die Kunsttherapie kann die, durch den Konflikt gebundene, Energie im

kreativen Prozess befreit werden und die Lösung des Problems ermöglichen. Mit der

Diagnose einer psychosomatischen Krankheit ist dem Patienten nur soweit geholfen, wie

die Zusammenhänge im begleitenden Erkenntnisprozess entschlüsselt werden können. Der

Therapeut und der Patient müssen eine gemeinsame Wirklichkeit aufbauen.

Die Krankheit ist das gemeinsame Kommunikationsmittel. (28) Die Krankheit zeigt sich

bei der Kunsttherapie im Bild, das Bild wird so zum gemeinsamen Kommunikationsmittel,

einer Ebene, auf die die Phantasie Wünsche und körperliche Bedürfnisse projiziert. Dort

sind sie auch erfüllbar. Die Phantasietätigkeit kann als Seelentätigkeit frei und spielerisch

Bilder produzieren und wir können sie distanziert, wie bei einem Theaterstück betrachten.

In der Kunsttherapie ist das Bild die Bühne auf der das Unbewusste handeln kann. (28).

Im Folgenden möchte ich zunächst auf die Kunsttherapie als Therapieverfahren

ausführlicher eingehen, deren Entwicklung und unterschiedliche Konzepte darstellen:

1.5 Die Kunsttherapie – ein geschichtlicher Rückblick

Seit ca. 70 Jahren hat die Kunsttherapie einen Platz im Umgang mit Patienten aus dem

psychiatrischen und psychosomatischen Bereich. Viel früher, ca. Mitte des 19. Jh. war das

Malen eine Methode, Langzeitpatienten zu beschäftigen und sie aus ihrer Isolation zu

holen.(12)

In den 20er und 30er Jahren beschäftigten sich die Analytiker Jungscher Prägung mit

Zeichnungen ihrer Patienten und nutzten sie als direkten Zugang zu ihrem Unbewussten.

Unwillkürlich werden Konflikte aufgedeckt und dem Bewusstsein zugänglich und

bearbeitbar gemacht.(12)

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Auch hat man entdeckt, dass Bilder teilweise schwere einschneidende Lebenskrisen, z.B.

eine Krebserkrankung, bereits lange vor dem Ereignis sichtbar werden lassen. (8)

Als die medikamentöse Therapie psychischer Erkrankungen in den 50er Jahren aufkam trat

die Kunsttherapie immer mehr in den Hintergrund und wurde erst in den letzten 10-15

Jahren wieder entdeckt.(12)

1.6 Die Kunsttherapie als therapeutisches und diagnostisches Medium

1.6.1 Kunsttherapie als Mittel der Kommunikation

Zusammen mit Musiktherapie, Bewegungstherapie, Gesprächstherapie und

medikamentöser Therapie hilft sie den intakten Bereich der Psyche des Patienten zu

bewahren, zu stabilisieren, oder neu zu entdecken. Auch dient sie verbal sehr

eingeschränkten Patienten, z.B. Dementen oder schwer Depressiven, als Sprachrohr, sich

ihrer Umwelt mitzuteilen:

1.6.1.1 Analytischer Ansatz der Kunsttherapie: das fertige Bild als Kommunikationsmittel

Symbole oder Archetypen , die allen Kulturen gemeinsam sind, können als

Kommunikationsmittel dienen. Hier ist das Bild Medium für eine analytisch orientierte

Psychotherapie. Der Patient spricht durch das Bild und gleichsam tritt der Therapeut

spiegelnd oder empathisch durch das Bild mit dem Patienten in Kontakt. (23)

Das gemalte Bild ist „drittes Objekt im systemischen Kontext der Wechselwirkungen

zwischen bewussten und unbewussten Vorgängen im Seelenleben des Patienten und des

Therapeuten.“ (22, S12/13)

In ihrem Buch „Krisen auf dem Lebensweg“ führt Gisela Schmeer den „Dialog der

Bildelemente“ an, der dazu dient Unbewusstes aufzudecken. Das heißt der Therapeut lässt

Bildelemente sprechen, zum Patienten und auch miteinander, oder er spricht Bildelemente

direkt an:„Wer bist du?“„Was machst du hier?“ Durch die Naivität der Fragen, die den

Malenden direkt berühren können, werden die „Wahrheit , die dunklen Töne des Traumes,

die Kraft der Helfer und Ahnungen von Erlösungen in den Raum gebracht“(22, S.35).

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1.6.1.2 „Verhaltenstherapeutischer“ Ansatz: der Prozess des Malens als Möglichkeit mit

sich selbst in Kontakt zu kommen

Ein anderer Ansatz der Kunsttherapie stellt das Produkt, das Bild, in den Hintergrund. Die

Patienten erleben sich, bzw. ihre Emotionalität, direkt im Umgang mit Farbe und Form.

Ein Beispiel dafür ist das „messpainting“ (24)

Blockaden werden abgebaut und Konflikte können im Malen besser gelöst werden.

Gefühle kommen an die Oberfläche. Das Bild wird zur Bühne, auf der der Patient mit sich

in Kontakt treten, Dinge durchspielen kann, ohne dass er befürchten muss, abgelehnt zu

werden.

Auch hier besteht die Möglichkeit für den Therapeuten ins Geschehen einzugreifen z.B.

indem er andere Möglichkeiten aufdeckt (Ankleben eines zweiten Blatt Papiers).

Kunsttherapie in Form des erlebten Bildwerdens soll nicht als Wissenschaft, nicht zu sehr

analytisch, abstrakt, betrachtet werden, da man sonst leicht Gefahr läuft, den Patienten zu

überhören und ihm eigene Interpretationen aufzudrücken.

Beide Ansätze lassen sich aber so nicht trennen. Bei jeder kunsttherapeutischen Sitzung

kommt beides zum Tragen. Der Patient wird mit einem oft für ihn neuen Ausdrucksmittel

konfrontiert und erlebt sich natürlich gleichermaßen beim Malen als auch in der

Begegnung mit dem fertigen Bild.

1.6.1.3 Die analytische Kunsttherapie als Kommunikationsmittel im Rahmen dieser

Arbeit

Die analytische Technik soll auch im Rahmen meiner Arbeit Bedeutung finden, da

besonders durch einen Dialog mit dem Bild, wie er oben beschrieben wird, der Kontakt des

psychosomatischen Patienten mit den verdrängten Impulsen seines bedrohten Selbst

intensiviert wird.

Ein Beispiel aus der analytischen Kunsttherapie soll das Deneke´sche

Selbstregulationsmodell erläutern.

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Flora von Spreti schildert in ihrem Artikel „Ein hoffnungsloser Fall, Kunsttherapie mit

einer chronisch depressiven Patientin“,(12) den Fall einer 34 jährigen Patientin, die seit 6

Jahren depressiv war und zahlreiche somatische Beschwerden, wie Glieder- und

Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Infekte, hatte. Suizidgedanken brachten sie

schließlich zu einer Einweisung in die psychiatrische Klinik.

Zögerlich nimmt sie an der täglichen Kunsttherapiegruppe teil. Langsam wird sie

entschlossener und malt mit Ausdauer gegen ihre Krankheit an. In ihren Bildern stellt sie

sich gleichzeitig als Täter und Opfer dar.

„Vernichtung und vernichtet werden, einstürzende Brücken, ausweglose Labyrinthe,

zersplitterte Bäume, weite verlorene Landschaften mit düsteren, tiefgezogenen Himmeln,

glühende, karge Wüsten und Einöden“ sind ihre Themen. (12, S.247)

Beim Malen ist sie aktiv, hat aber zunächst noch keinen Zugang zu den Gefühlen ,die sie in

ihren Bildern ausdrückt.

Erst nach „Monaten des Schweigens“ erkennt sie ihre so lange abgespaltenen Gefühle und

Verbindungen zu ihrer Lebensgeschichte werden deutlich. Allmählich wandeln sich die

Inhalte ihrer Bilder und vor ihrer Entlassung malt sie „einen kräftigen, der Jahreszeit

entsprechenden noch unbelaubten Baum. Eine Bank, noch ist sie leer, lädt an diesem

Spätherbsttag zum Verweilen ein und der Blick schweift hinaus übers Land über dunkle

Felder und helle Hügel zu fernen Weiten. Ein Schwarm Vögel zieht hoch oben aus dem

Bild hinaus, in den warmen Süden- Vielleicht.“ (12, S.152)

Die geschilderte Patientin hat zahlreiche psychosomatische Beschwerden entwickelt. Ihr

Selbst hat sich auf die Ebene der Depression zurückgezogen. Der direkte Kontakt zu ihren

Gefühlen, durchweg Elemente des bedrohten Selbst, hat sie verloren. Sie drückt sich über

die zahlreichen Erkrankungen ihres Körpers aus. In den kunsttherapeutischen Sitzungen

werden allmählich ihre Ängste deutlich.

Sie muss ihre Gefühle nicht verbalisieren, sie bildet sie ab, in dem sie sie in Symbole

kleidet. Die Kargheit ihrer gemalten Landschaften, die Hoffnungslosigkeit und der

Schrecken der Verwüstung drücken ganz klar Elemente des bedrohten Selbst aus. Indem

diese Elemente Gestalt bekommen, werden sie für eine Psychotherapie zugänglich. Erst

durch den Zugang zu seinem bedrohten Selbst kann die Übernormalität im Krankheitsbild

des Psychosomatikers durchbrochen werden.

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Der Psychosomatose kann so der Nährboden entzogen werden und der Patient hat die

Möglichkeit aus der Übernormalität in eine Normalität zurückzufinden.

In den vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass insbesondere bei

psychosomatischen Patienten Kunsttherapie eine mögliche Therapieform und

diagnostisches Hilfsmittel sein kann. Diese Patienten somatisieren in sehr

unterschiedlichen Bereichen des Körpers. Am häufigsten sind Schlafstörungen,

Migräneanfälle, Tachykardien, Rückenschmerzen, aber auch Sehstörungen, wie bei der

Retinopathia centralis serosa, auf, die einleitend bereits beschrieben wurde.

Meist verdrängen diese Patienten die Signale ihres Körpers und bringen sie nicht in

Zusammenhang mit ihrer Lebenssituation.

Die beruflich und/oder psychisch überforderten Menschen, deren Verhalten oft dem oben

erwähnten Typ A-Verhalten entspricht, oft in Führungspositionen, versuchen diese äußere

„perfekt funktionierende Hülle“ zu bewahren und flüchten sich hinter „dicke, kalte

Mauern“ die ihre innere Vereinsamung vor den Menschen schützt, die ihnen helfen

könnten.

In der kunsttherapeutischen Sitzung kann der Patient dann ohne unter Druck zu sein, seine

verschütteten Gefühle zum Sprechen bringen indem er sie in Farbe und Form wieder an

seinem Leben teilhaben lässt. Sie wäre für ihn eine Möglichkeit sich auszudrücken ohne

Worte finden zu müssen.

Auch könnte er neue Ressourcen entdecken, die ihm wieder Lebensfreude und Kraft

geben, wenn er es zuzulassen gelernt hat.

In der vorliegenden Arbeit wurde ein psychoanalytisch, systemischer Ansatz der

Kunsttherapie gewählt, wie er von Gisela Schmeer in ihren Büchern: „Krisen auf dem

Lebensweg“, „Das Ich im Bild“ (22, 23) aufgezeigt wurde. Er bietet gerade für

psychosomatische Patienten einen behutsamen Weg, die Psychodynamik wie sie oben

hypothetisch formuliert wurde weiter aufzudecken und den Weg für ein weiteres

therapeutisches Vorgehen zu bahnen.

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2 Methoden

Bei der Durchführung unserer Untersuchungen wurde folgende Vorgehensweise gewählt:

Unser Patientenkollektiv umfasste eine Patientengruppe bestehend aus acht Männern im

Alter von 28 bis 54 Jahren und zwei Frauen 35 und 50 Jahre alt. Bei allen war eine

Retinopathia centralis serosa in den letzten ein bis zwei Monaten als Erstmanifestation

oder Rezidiv aufgetreten.

2.1 Ophthalmologische Untersuchung

Die Patienten wurden nach der Anamneseerhebung ophthalmologisch untersucht:

Es wurde eine Visusprüfung durchgeführt, anschließend ein Amslertest gemacht, eine

Untersuchung, bei der der Patient monokular, auf ein Gitternetz blickt. So können

Metamorphopsien, die bei den meisten Patienten mit RCS auftreten, festgestellt werden.

Nach Pupillenerweiterung wird der Fundus mit einer 90dpt Lupe betrachtet um das

pathognomonische bullöse Netzhautödem nachzuweisen.

Zuletzt wird zur Bestätigung der Diagnose eine Fluoreszenzangiographie durchgeführt.

Eine punktförmige Leckage innerhalb des bullösen Ödems gilt als beweisend.

2.2 Psychosomatisches Interview

An einem gesonderten Termin fand dann ein einstündiges, psychosomatisches Interview

statt: Die Patienten wurden einzeln zu ihrer Familienstruktur, d.h. Primär- und

Sekundärfamilie befragt. Außerdem sollten sie, sich selbst beschreibend, näher auf

persönliche Grundstrukturen wie Selbstwertgefühl und Konfliktverarbeitung eingehen.

Abschließend wurde auch eine Stressanamnese erhoben mit besonderem Blick auf die

berufliche Situation zum damaligen Zeitpunkt.

Ergänzend flossen in die, durch das Gespräch erhobenen, Daten die subjektive

Beobachtung der Patienten ein.

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2.3 Kunsttherapeutische Sitzung

Ein bis zwei Wochen später wurden die Patienten jeweils zu einem eineinhalbstündigen

Termin wiedereinbestellt:

Nun sollten sie zum Thema „ein besonders bewegendes Ereignis aus dem Leben der

Patienten, positiver oder negativer Art“ ein Bild malen oder zeichnen. Eine

Mal-/Zeichentechnik wurde nicht vorgegeben. Sie erhielten dafür eine halbe Stunde Zeit

und bekamen Skizzenpapier der Größe DIN A 3 und Jaxon Ölkreiden, sowie Buntstifte zur

Verfügung gestellt. Während des Malens waren die Patienten unbeobachtet.

In der folgenden Stunde wurde dann das Bild besprochen:

Der Patient sollte beschreiben, was er auf dem Bild darstellen möchte und warum die

dargestellte Szene für ihn besonders bewegend ist. In einer Selbstinterpretation des Bildes

durch den Patienten konnte dann die psychischen Hintergründe besser beleuchtet werden.

In einer dritten Phase versuchten wir durch gezielte Intervention nach der eingangs

beschriebenen Methode Gisela Schmeers dem Patienten Zusammenhänge zwischen seiner

jetzigen Erkrankung und seinen immer wiederkehrenden psychischen Mustern

darzustellen:

Einzelne Bildelemente wurden zum Sprechen gebracht und die Familie bzw. wichtige

Personen aus dem Umfeld des Patienten als Spielfiguren mit ins Bild gebracht. Der Patient

hatte die Möglichkeit diese selbst zu platzieren oder sie auch wieder zu entfernen. Auch

gaben wir ihm den Anreiz sein Bild auf einem zweiten Blatt Papier zu ergänzen.

2.4 Nachgespräch

Bei einem vierten Termin, den nicht alle Patienten wahrnehmen wollten, wurde in einer

weiteren Stunde das beim Malen und beim anschließenden Gespräch Erlebte nachbereitet

und im Hinblick auf die RCS Genese noch einmal vertieft beleuchtet.

Zwei der zehn Patienten stellten sich im Laufe der folgenden zwei Jahre im Rahmen einer

Routinekontrolle ihres Augenbefundes in der Augenklinik rechts der Isar erneut vor.

Hierbei wurde auch auf ihre persönliche Weiterentwicklung im Sinne der

psychosomatischen Genese der Erkrankung eingegangen.

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3 Ergebnisse

3.1 Ergebnisse der ophthalmologischen Untersuchung

Bei der allgemeinen ophthalmologischen Anamnese der Patienten gaben alle Patienten

einen plötzlich aufgetretenen Visusverlust an einem Auge an. Mit den Sehzeichentafeln

ließ sich ein einseitiger Visusabfall auf größtenteils 0,8, in zwei Fällen auf 0,5-0,6 und in

weiteren zwei Fällen ein nur sehr geringer Abfall auf 1,0p feststellen. Alle Patienten gaben

ein mehr oder weniger zentral liegendes graubraunes meist rundes durchsichtiges Feld an,

das sie seit dem Eintritt des Visusabfalls am betroffenen Auge wahrnehmen würden.

Die Augeninnendruckwerte lagen im Normbereich und auch die vorderen Augenabschnitte

zeigten sich unauffällig. Bei Durchführung eines Amslertests gaben die meisten Patienten

Metamorphopsien an. Alle Patienten konnten einen dunklen Fleck im Amslergitter

lokalisieren.

Abbildung 1: Amslergitter

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Bei der Funduskopie zeigten sich bei drei Patienten bereits multiple punktförmige Narben

im Sinne von früher abgelaufenen RCS-Schüben. Bei fast allen Patienten konnte ein

fokales parafoveales bullöses Ödem festgestellt werden. Sie zeigte sich als kreisförmige

dunkler bis gräulich gefärbte Netzhautverdickung mit oft deutlich erkennbarem zentralen

Quellpunkt.

Bei den übrigen war die Makula aufgelockert, oft mit Pigmentblattdefekten.

Abbildung 2: Fundusfoto

In der Fluoreszenzangiographie stellten sich bei den bereits erwähnten drei Patienten

kleine scharf umschiebenen Hyperfluoreszenzen im Sinne von Narben dar. Bei allen

Patienten zeigte sich eine während der Fluoreszenzangiographie zunehmende

punktförmige Hyperfluoreszenz meist parafoveal, in einem Fall sogar foveal im Sinne

einer Leckage. Manchmal ließ sich auch das typische Schornsteinphänomen nachweisen:

Der Farbstoff trat rauchfahnenartig aus dem Quellpunkt aus.

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Abbildung 3: Fluoreszenzangiographie

3.2 Ergebnisse des psychosomatischen Interviews, der kunsttherapeutischen

Sitzung sowie des Nachgesprächs

Im folgenden werden zum besseren Verständnis die in der Methodik beschriebenen Punkte

2.2, 2.3 und 2.4 jeweils für jeden Patienten gesammelt aufgeführt, wobei zur Wahrung der

Anonymität, die Patientennamen durch Buchstaben ersetzt wurden.

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3.2.1 Patient A

Herr A ist 44 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Er arbeitet Teilzeit

(3 Tage/Woche) in einer Automobilfirma im Qualitätsmanagement als

Maschinenbauingenieur. Seit 15 Jahren leidet er an Kopfschmerzen, die in den letzten 5-6

Jahren immer mehr zunahmen. Vor 5 Jahren erkrankte er das erste Mal an RCS die seitdem

bereits viermal rezidivierte.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Herr A beschreibt seine Eltern als sehr streng und religiös. Die Mutter habe in der Familie

dominiert, da der Vater auch oft nicht zu Hause gewesen sei und sich nicht sehr für die

Belange der Familie interessierte. Herr A sei als Kind wenig gelobt worden. Sein ein Jahr

älterer Bruder habe ihm sein ganzes Leben als Leitfigur und Vorbild gedient. Er sei ihm in

seinen Leistungen immer voraus gewesen.

Sekundärfamilie:

Her A ist verheiratet und hat zwei Kinder. Näheres sagt er zu seiner Sekundärfamilie nicht.

Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Der sehr ehrgeizige Patient hat sich zeitlebens bemüht seinem älteren Bruder nachzueifern.

Nach einem abgeschlossenen Maschinenbaustudium studierte er noch einige Semester

Innenarchitektur. In all seinen Bestrebungen neigt er zu absolutem Perfektionismus und

hinterfragt alles nach einem tieferen Sinn. Es ist für ihn sehr wichtig, wofür er etwas

macht. Mit seiner Leistung ist er meist unzufrieden. Er sagt von sich, er habe ein schlecht

entwickeltes Selbstbewusstsein und kein Durchsetzungsvermögen, besonders, wenn er sich

mit der Sache nicht voll identifizieren könne. Auch habe er Schwierigkeiten im Umgang

mit anderen Menschen, was ihm beruflich oft zum Hemmnis würde. Familiären

Spannungen (Frau und Kinder) weiche er lieber aus, anstatt zu argumentieren. Leicht habe

er das Gefühl, an die Wand geredet zu werden.

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Ohne eine Aufgabe im beruflichen oder zwischenmenschlichen Bereich fällt er in ein tiefes

Loch: Nach Beendigung des Maschinenbaustudiums habe er eine große Angst empfunden,

es könne nicht weiter gehen und sich sehr einsam gefühlt. Er habe dann einen

Suizidversuch begangen von dem er nie jemandem erzählt habe und der auch unentdeckt

blieb.

Rückblickend erkennt der Patient daraus sein starkes Bedürfnis geführt zu werden,

Grenzen und Vorschriften zu haben nach denen er sich richten müsse.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf Stressanamnese und Krankengeschichte:

Der Patient fühlt sich derzeit in seiner Arbeitsstelle unwohl. Er habe einen Job zugewiesen

bekommen den „keiner haben will“, obwohl ihm sein Chef eine kreativere Arbeit

versprochen hatte. Ein Wehren sei sinnlos gewesen. Das jetzt aufgetretene Rezidiv der

RCS habe er beim Lernen auf eine Prüfung festgestellt. Seinen ungeliebten Job beschreibt

er mit dem Ausdruck „aufs Auge gedrückt“. Mit seiner Leistung im Betrieb ist er

unzufrieden und wundert sich, dass nicht mehr von ihm gefordert und nichts kritisiert

werde. Es störe ihn auch, dass er keinerlei Feedback bekomme. Er möchte gerne geleitet

werden und weniger selbständig arbeiten. Sein Vorgesetzter wisse von den

Kopfschmerzen, die sehr selten während der Arbeit auftreten. Bemerkenswerterweise erst

Donnerstags, dem ersten Tag an dem er nicht arbeiten müsse. Wegen der Kopfschmerzen

befand er sich bereits 9 Wochen in psychosomatischer, stationärer Behandlung, die keine

Besserung brachte.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Herr A malt drei Bilder, die er als eine Art Bildgeschichte interpretiert. Er legt sie am

Boden von oben nach unter aus, wobei das zuletzt gemalte zu oberst liegt.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das erste Bild stellt eine Situation dar, die bereits 14 Jahre zurückliegt, der Patient war

damals 30 Jahre alt und befand sich allein auf einer Urlaubsreise. Dort lernte er drei

Urlauber kennen (einen Mann und ein Paar) mit denen er immer vertrauter wurde. An

einem Urlaubstag, an dem er besonders gut gelaunt war und er starke Lebensfreude

verspürte, rannte er so ausgelassen, barfuss, auf einen Sandsteinfelsen, dass er sich beide

Fußsohlen verletzte. Die Wunden bluteten nicht und waren nicht sehr tief ,jedoch konnte

Herr A den Weg nicht zu Fuß fortsetzen und war auf die Hilfe seiner drei neuen Freunde

angewiesen. Der eine Mann trug ihn daraufhin auf seinem Rücken bis zum Auto. Nach ein

paar Tagen waren die Wunden verheilt und er konnte den Rest seines Urlaubs unbeschwert

genießen

Bildbeschreibung:

Im unteren Eck sieht man 4 Menschen, Herr A wird gerade von dem einen Mann auf dem

Rücken getragen. Der Mann ist gebückt und Herr A hängt entspannt über des Mannes

Rücken. Dessen Freundin und der zweite Mann stehen ihnen zugewandt rechts daneben.

Das Bild beherrscht ein brauner Berg, dem kurz dahinter ein zweiter, sichelförmiger, folgt.

Den braunen Berg umgebend malte Herr A mit kreisförmigen Bewegungen eine

Farbfläche in gelb, hellgrün, rot, orange und rosa. Die Bewegungen der Linien wirken

ungebändigt, unkontrolliert und voller Energie. Anschließend an den zweiten

sichelförmigen Berg sieht man eine leuchtend hellblaue Farbfläche. Auf dem ersten Berg

befindet sich ein angedeuteter roter Fußabdruck mit einem roten Strich (Risswunde) in der

Mitte. Vom unteren Rand führen Fußspuren zu diesem hin.

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Interpretation durch den Patienten:

Dieses Bild stelle übergreifend,(symbolisch),eine Situation dar, die er schon oft erlebt

habe. Immer, wenn es ihm gut ginge und er voll ungebändigter Lebensfreude etwas

gemacht habe was „man eigentlich nicht tut“, wie barfuss über einen Sandsteinfelsen

laufen, bekomme er „eine auf den Deckel“. Die kreisförmigen bunten Linien stellen die

Kontrollaufgabe dar, er habe nicht darüber nachgedacht, ob es vernünftig sei, oder nicht, er

habe es einfach gemacht.

Er durfte aber das Glück der Unbeschwertheit nicht lange genießen. Um in Schranken

gewiesen zu werden, hatte er sich seine Füße verletzt und musste seinen

Gefühlsüberschwang abbrechen, um sich wieder in Kontrolle zu begeben. Die blaue Farbe

im oberen Teil stellt die Lebensfreude dar. Über die Farbe sagt Herr A, er wollte eine

besonders leuchtende Farbe wählen. Mit diesem Teil des Bildes habe er auch angefangen

zu malen, da er eine sehr wichtige Stelle einnimmt. Die Fußspuren seien rot, obwohl die

Füße nicht geblutet hätten. Auch liefen die Fußspuren auf den Felsen zu, obwohl es genau

andersherum richtiger gewesen wäre. Dafür habe er allerdings keine Erklärung, das sei ihm

auch jetzt erst so richtig aufgefallen.

Die entscheidende Rolle unter den Personen nimmt der Tragende ein, die anderen stehen

etwas abseits.

Intervention durch den Therapeuten:

Was könnten die Personen im Bild gesprochen haben?

Der tragende Mann könnte seine Hilfe angeboten haben und die Freundin hat vielleicht

gesagt:„Das schaffen wir!“. Herr A hat sich tragen lassen, obwohl es für ihn neu und

teilweise unangenehm war. Er hat sich vertrauensvoll dem Rücken des Mannes überlassen

und seine Hilfe angenommen.

In einer verzweifelten und mutlosen Stimmung konnte er sich helfen lassen und es auch

bewusst erleben. Dennoch dominieren die übrigen Elemente des Bildes.

Die Personen selbst sind nur klein und am Rande dargestellt. Der Hintergrund ist schwarz

schraffiert. Der Patient sagt über seine Stimmung, für ihn sei in dem Moment eine Welt

zusammengebrochen. Er sei aus einem Zustand absoluter Lebensfreude in tiefe

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Verzweiflung und Ohnmacht gefallen.

Die Frage, ob die anderen Personen das verstanden hätten, verneint er.

Als nächsten Schritt soll die Sekundärfamilie des Patienten, symbolisiert durch

Spielfiguren ins Bild gebracht werden. Herr A stellt seine Frau direkt über seinen Hals.(sie

säße ihm wohl öfter im Nacken) seine Kinder stellt er unter die Figur des tragenden

Mannes, auch sie würden mittragen obwohl soviel Hilfe dann auch schon wieder zu viel

wäre. Mit seiner Primärfamilie habe er Schwierigkeiten, sie sei ihm zu der Zeit schon sehr

fern gewesen. (früher Tod der Eltern) Die Mutter stellt er kommentierend neben das

Geschehen, den Vater ganz außerhalb des Blattes. Er könnte gesagt haben, der Sohn sollte

doch erst mal logisch denken bevor er etwas mache.

Bild 2

Bildbeschreibung:

Das Bild ist durchweg abstrakt. Im unteren Teil findet sich eine aufgelockerte, orangene

Farbfläche, durch die ein hellorangener und blauer „Weg“ führt. Oberhalb des Weges,

teilweise geht er auch darin über, sieht man die gleichen Farbbewegungen, wie in

Bild 1 nur lediglich beschränkt auf die rote Farbe. Der Hintergrund ist hellgelb schraffiert.

Den abschließenden oberen Rand des Bildes bildet eine dicht rotviolett schraffierte

Farbfläche.

Interpretation durch den Patienten:

Dieses Bild sei eine abstrakte Weiterführung des Themas aus Bild 1: Die Kontrollaufgabe,

auf die dann prompt die Strafe folgt.

Die violette Farbfläche sei wie eine dunkle Wolke, sie sei in diesem Bild das Bedeutendste

(parallel dazu der blaue „Lebensfreudehimmel“ aus Bild 1)

Die wilden Bewegungen in der oberen Mitte stellen wiederum die Kontrollosigkeit dar, die

zuerst genossen wird aber dann nicht über die violette „Wolke“ hinauskommt. Die

orangene Farbfläche beschreibt die Energie und den Tatendrang des Patienten. Die blaue

Säule bleibt uninterpretiert.

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Intervention durch den Therapeuten:

Wozu dient die violette Wolke?

Sie könnte die Energie des Patienten im Zaum halten, damit er sich schnell wieder in

kontrollierte Bahnen begibt, oder diese erst gar nicht verlässt. In diesem Bild werden

besonders die Negativaspekte des ersten Bildes herausgegriffen.

Bild 3

Bildbeschreibung:

Das gegenstandslos gehaltene Bild beherrschen zwei Grüntöne, ein helles Grasgrün, das

nur eine kleine Fläche einnimmt und ein Türkisgrün. Diese Farbe beherrscht das Bild. In

kurzen, schraffierenden Strichen sind zwei figurähnliche Gebilde gemalt, die durch eine

schmale weiße Fläche von einander getrennt sind.

Die zwei unterschiedlichen Grüntöne sind durch eine schwarze Umrandung voneinander

abgegrenzt, dazwischen bleibt das Papier weiß.

Interpretation durch den Patienten:

Hier wurde die andere Seite des ersten Bildes gelebt. Die Kontrollosigkeit kann sich fast

ungehindert ausbreiten. Es gibt keine dunklen Wolken, die sie daran hindern könnten. Die

Striche der Schraffur sind trotz Kontrollaufgabe geordnet und harmonisch. Beim Malen

dieses Bildes fühlte sich Herr A am wohlsten.

Intervention des Therapeuten:

Ist die schwarze Farbe nicht so etwas wie eine Einschränkung für die grünen Flächen? So

können sie sich doch nicht verbinden, die Kontrolle bliebe doch irgendwie überall

gegenwärtig.

Herr A sieht die schwarzen Konturen jedoch eher als künstlerisches Ausdrucksmittel.

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Sie würden lediglich die Farbe besser hervorheben.

Ausblickende Deutung der Bilder in Hinblick auf die jetzige psychische Situation des

Patienten:

Trotz der negativen Elemente (violette Wolke, blutige Fußspuren), zeigen die Bilder eine

große Energie und den Lebensmut des Patienten. Während er im zweiten Bild noch voll

von dem Hemmnis „Angst vor Kontrollverlust“ bestimmt wird, kann er sich in Bild 3

bereits teilweise davon lösen und seine Kraft harmonisch gestalten. Auch habe er sich

schon mit dem Thema des sich Helfenlassens und Getragenwerdens beschäftigt. Es sei ihm

zwar noch etwas ungewohnt und fremd aber er konnte es schon zulassen und auch

genießen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Frage nach dem Sinn einer solchen

kunsttherapeutischen Stunde war Herr A immer mehr in sein Thema involviert

und malte schließlich mit zunehmender Begeisterung. Nach dem letzten, dem grünen Bild,

von dem er sagte, es sei das beste, hätte er eine ganze Wand brauchen können um

weiterzumalen.

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3.2.2 Patient B

Herr B ist ein 43 jähriger Patient, verwitwet, er hat zwei Töchter,18 und 20 Jahre alt. Er

arbeitet als Maschinenbautechniker in der Qualitätskontrolle. Herr B ist in Polen geboren

und aufgewachsen, seit 12 Jahren lebt er in Deutschland. Vor 14 Jahren wurde er Witwer,

seine jetzige Lebensgefährtin wohnt ca. 400 km von ihm entfernt.

Die Retinopathia centralis serosa trat vor ca. zwei Monaten zum ersten Mal auf und ist seit

dem nahezu unverändert geblieben.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Der Patient beschreibt seinen Vater als eine sehr stille Person, er trat gegenüber der Mutter

und der Großmutter (väterlicherseits) eher in den Hintergrund. Zu ihm hatte Herr B ein

besonders gutes und enges Verhältnis. Als der Vater mit 58 Jahren plötzlich an einem

Herzinfarkt verstarb, war das für den damals 26 jährigen Patienten ein großer Schock.

Die Mutter, die ihrem Sohn nach Deutschland gefolgt war, und jetzt auch in seiner Nähe

wohnt sei sehr dominant. Sie habe sich immer in die Angelegenheiten ihres Sohnes

eingemischt. In Polen habe sie den Hof ihrer Eltern übernommen und sei deshalb nicht

arbeiten gegangen. Außerdem habe sie ihre Schwiegereltern, die bei der Familie wohnten,

gepflegt. Die Großmutter habe sich den ganzen Tag nur bedienen lassen und die Familie

ausgenützt. Der Großvater, zu dem der Patient ein sehr gutes Verhältnis hatte, sei bald

gestorben. Herr B habe außerdem noch einen 6 Jahre älteren Bruder, mit dem er sich schon

längere Zeit nicht sehr gut verstehe.

Sekundärfamilie:

Herr B wurde mit 29 Jahren Witwer. Danach habe er bei seinen Schwiegereltern gelebt,

da diese bereits den Bruder seiner Frau durch Tod verloren hatten und schwer damit fertig

wurden. Weil sich seine Schwiegereltern sehr in sein Leben einzumischen begannen, zog

er zwei Jahre später nach Deutschland. Seine Töchter waren zu diesem Zeitpunkt 6 und 8

Jahre alt.

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Jetzt habe er wieder eine Lebensgefährtin, die sehr weit weg wohne, mit der er aber wegen

der Kinder nicht zusammenziehen wolle. Mehrere seiner vorhergehenden Beziehungen

seien an seiner Familiensituation gescheitert, nachdem er mit der jeweiligen Frau

zusammengezogen war. So sehe er seine Partnerin nur ein bis zwei mal im Monat oder im

Urlaub, den sie gemeinsam verbringen. Herr B. beschreibt sie als eher ängstlich, sie sei

ihm auch unterlegen.

Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr B wirkt sehr kontrolliert. Die Frage nach besonderen Problemen oder beruflichen

Stress verneint er, es sei in seiner Familie wie in allen anderen Familien auch.

Erst allmählich lässt er sich auf das Gespräch ein und entwickelt mit der Zeit sogar ein sehr

großes Redebedürfnis. Besonders der Tod seiner Frau beschäftigt ihn immer noch sehr.

Noch jetzt falle es ihm sehr schwer auf den Friedhof zu gehen. Um seine Betroffenheit zu

überspielen, gibt er sich sehr beherrscht. Doch in seiner Sitzhaltung und seiner Art zu

sprechen, wird eine gewisse Unsicherheit deutlich. Während des Gesprächs lächelt er oft

und ändert häufig seine Sitzposition.

Berufliche Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und Krankengeschichte:

Herr B ist gelernter Maschinenbautechniker. In Polen hatte er eine leitende Funktion in

einem Betrieb inne. Durch den Umzug nach Deutschland musste er einen beruflichen

Abstieg hinnehmen. Er ist nun als ein einfacher Arbeiter in der Qualitätskontrolle einer

Firma, die technische Geräte vom Hersteller bezieht und weiterleitet, beschäftigt.

Mit dem beruflichen Abstieg würde er nur schwer fertig, aber als alleinerziehender Vater

dürfe man nicht so wählerisch sein. Er arbeite nun 10 Jahre in dem Betrieb und verstehe

sich mit seinen Kollegen sehr gut, zu Freundschaften reiche es aber nicht. Herr B mache

sehr viele Überstunden, von denen er seinen Vorgesetzten gegenüber nichts erwähne. Er

fühle sich oft gehetzt, könne aber auch schlecht Arbeiten delegieren und erledige lieber

alles selbst auch wenn er dafür bis 21 Uhr in der Arbeit bleiben müsse. In der Woche vor

seinem letzten Urlaub habe es besonders viel Arbeit gegeben und er sei abends immer sehr

spät nach Hause gekommen.

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Die RCS trat vor zwei Monaten das erste Mal auf und ist seit dem nahezu unverändert

geblieben.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Herr B fertigt eine Zeichnung an, die er hauptsächlich mit Buntstift gestaltet.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Thema des Bildes ist die Todesstunde seiner Frau.

Bildbeschreibung:

Der Patient zeichnet das Wohnzimmer seiner Wohnung in Polen, in der er vor 14 Jahren

mit seiner Frau und seinen Kindern wohnte .Von der Farbwahl her ist das Bild in

Braun/Rottönen gehalten. In der linken Ecke des Bildes befindet sich ein Sofa, auf dem

eine dunkelhaarige Person zugedeckt liegt. Direkt daneben ist das Lager einer zweiten

Person, eines Mannes, aufgeschlagen.

Auch diese Person ist zugedeckt. In der rechten Ecke steht ein Tisch mit drei Stühlen.

Etwas linksversetzt, über dem Lager des Mannes, befindet sich ein Blumenstrauß mit roten

Blumen. Direkt dahinter ist, wie eine schwarze Säule, ein Vorhang, daneben eine

Wanduhr, die zwei Uhr anzeigt. An der linken Wand hängen zwei Bilder, das Hintere zeigt

drei blaue angedeutete Vögel im Flug, das Vordere ist leer.

Interpretation durch den Patienten:

Die Szene stellt die letzten Stunden im Leben seiner Frau dar, die vor vierzehn Jahren an

einem Krebsleiden verstarb. Seine Frau liegt eingepackt auf dem Sofa im Wohnzimmer, da

sie in den letzten drei Monaten nicht mehr im Schlafzimmer schlafen wollte. Der Mann,

der sein Lager am Boden aufgeschlagen hatte, ist Herr B selbst. Die Uhr zeigt zwei Uhr

nachts, ca. eineinhalb Stunden bevor seine Frau starb. Um zwei Uhr hatte Herr B ein

letztes Gespräch mit ihr, sie hatte große Schmerzen. Dann schlief er erschöpft ein. Als er

wieder aufwachte war seine Frau bereits gestorben. Er hätte sie bei ihrem Tod allein

gelassen. Dieser Gedanke verursache bei ihm noch bis heute große Schuldgefühle.

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Intervention durch den Therapeuten:

Was würde die Frau sagen, wenn sie sich jetzt dazu äußern könnte?

Nach langem Schweigen sagt Herr B, dass sie es wohl verstanden hätte. Sie hätte ihm

zugestanden, auch einmal einzuschlafen, trotz der Möglichkeit im Augenblick ihres Todes

allein zu sein. Dennoch kommt die Antwort von Herrn B sehr zögerlich, als ob er nicht

wirklich davon überzeugt sei.

In Form von Spielfiguren sollen nun die übrigen Familienmitglieder in Beziehung zum

Bild gebracht werden. Die beiden Töchter, die zu diesem Zeitpunkt 4 und 6 Jahre alt

waren, durften in den letzten drei Krankheitsmonaten nicht zu ihrer Mutter kommen. Sie

waren bei den Schwiegereltern untergebracht. Deshalb kann Herr B seine Töchter auch nur

in Beziehung zum Bild bringen, in der Annahme, seine Frau, die er als rote Spielfigur

neben das Lager am Fußboden stellt, sei noch gesund. So platziert er die ältere Tochter

direkt neben seine Frau, als Spielfigur, und die jüngere zwischen sich (Herrn B` s

Spielfigur steht am Fußende des Lagers) und seine Frau. Die ältere sei seiner Frau näher

gewesen, die jüngere pendelte immer zwischen ihnen beiden hin und her.

Wie würden sich die Töchter, die ja jetzt schon erwachsen sind, zu der damaligen Situation

äußern?

Herr B sagt daraufhin, er habe mit ihnen nie darüber gesprochen. Sie wüssten nichts über

diese letzten Stunden im Leben ihrer Mutter. Sie hätten auch nicht danach gefragt. Im

weiteren Gespräch stellt sich heraus dass dieses Thema für den gesamten Beziehungskreis

des Patienten ein Tabuthema ist. Er war zu der Zeit als es passierte und ist auch jetzt damit

vollkommen allein. (Seine Spielfigur ist ebenfalls relativ isoliert in Beziehung zu den

anderen Mitgliedern der Familie.) Natürlich hätten sehr viele von der Krebserkrankung

gewusst, aber die letzten drei Monate sei er ganz alleine mit seiner Frau gegangen. Es sei

auch so ihr Wunsch gewesen. Deshalb kann er seine Eltern nur in Beziehung mit dem Bild

sehen, in der Annahme, seine Frau sei gesund. Er stellt sie auf die rechte Seite neben seine

Frau .Die Eltern hätten ebenfalls Verständnis für sein Einschlafen gehabt. Diese Antwort

kommt allerdings noch zögerlicher als die, betreffend seiner Frau und seiner Töchter. Es

ist, als würde er es einfach nur so sagen und nicht wirklich glauben. Es fällt ihm schwer

seine Schuldgedanken mit anderen zu teilen und so vielleicht etwas davon loszulassen, zu

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akzeptieren, dass seine „Kontrollaufgabe“ besonders in dieser Situation keine

unverzeihliche Schuld darstellt, sondern einfach nur menschlich ist.

Seine jetzige Lebensgefährtin, mit der er jetzt schon sieben Jahre zusammen ist, wird gar

nicht in das Bildgeschehen mit einbezogen. Ihre Geschichte sei in keinster Weise mit

seinen damaligen Erlebnissen in Verbindung zu bringen.

Die Beziehung zu ihr sei ein ganz neues Kapitel in seinem Leben. Er hätte ihr auch nie

etwas näheres vom Tod seiner Frau erzählt.

Ausblickende Deutung des Bildes im Hinblick auf die jetzige psychische Situation des

Patienten:

An der linken Wand des gezeichneten Wohnzimmers für den Patienten befindet sich ein

Bild mit drei blauen, fliegenden Vögeln. Als Herr B auf diese Vögel angesprochen wird

antwortet er ohne Zögern, seine Frau sei ja in diesem Augenblick schon erlöst gewesen.

Die Vögel versinnbildlichen für ihn Freiheit. In der Abgeschlossenheit des Wohnzimmers,

das für drei Monate ihr einziger Begegnungsraum war, ist das Bild ein „Fenster nach

draußen“, „ein Fenster zum morgen“. Die Vögel sind das Symbol der Erlösung für seine

Frau und in gewissen Sinne auch für ihn selbst...

Nachbereitung des Gesprächs:

Eine Nachbereitung lehnt der Patient ab.

Zwei Jahre später jedoch stellte sich Herr B im Rahmen einer Routineuntersuchung wieder

vor. Sein Visus war geringfügig angestiegen und er habe wohl noch mehrmals Rezidive

der RCS erlitten. An seiner psychischen Lebenssituation habe sich jedoch nichts verändert.

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3.2.3 Patient C

Herr C ist 38 Jahre alt, Grieche und lebt seit 8 Jahren in Deutschland. Zur Zeit arbeitet er

als Verwaltungsangestellter bei einem Betrieb. Vor ca. zweieinhalb Monaten trat bei ihm

erstmalig eine Retinopathia centralis serosa auf. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr leidet

der Patient an rezidivierenden Magengeschwüren. Herr C ist unverheiratet und hat seit

sieben Jahren eine Lebensgefährtin, mit der er auch zusammengezogen ist.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Die Eltern des Patienten leben, wie auch seine drei Geschwister, in Griechenland.

Herr C beschreibt seinen Vater als streng und sehr korrekt mit einem hohen

Leistungsanspruch. Für ihn und seine Geschwister sei der Vater kein Ansprechpartner für

Probleme gewesen, denn dieser verhielte sich seinen Kindern gegenüber eher distanziert.

Mit der Mutter sei dies dagegen sehr gut möglich gewesen. Sie sei damals und auch heute

noch wie eine „beste Freundin“. Sie verkörpere den Ruhepol und Wärmespender der

Familie.

Sekundärfamilie:

Die Lebensgefährtin des Patienten sei Deutsche und etwas älter als er. Dieser

Altersunterschied sei auch ein Problem bei der Familiengründung, da Herr C sehr gerne

Kinder hätte. Herr C beschreibt seine Freundin als eher still. In Hinblick auf die

Freizeitgestaltung lege sie keinen Wert auf neue Kontakte. Im Urlaub bestehe sie darauf,

dass ihr Bruder und seine Frau diesen mit ihnen verbringen, was immer wieder zu

Streitereien zwischen ihnen führe. Dennoch brächte der Streit keine Veränderung, denn sie

suche ihn möglichst zu vermeiden und schrecke auch vor einer Konfrontation mit ihrem

Bruder zurück.

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Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr C sagt über sich, er habe einen sehr hohen Leistungsanspruch an sich selbst. Alles

müsse immer hundertprozentig perfekt sein, sonst sei er mit sich nicht zufrieden. Er habe

besonders in der Arbeit oft Angst nicht genügen zu können. Schon immer habe er sich

ganz in seine Arbeit gestürzt und es falle ihm sehr schwer, wegen der RCS jetzt etwas

kürzer zu treten. In Bezug auf Problembewältigung könne er sich schlecht öffnen. Er

„fresse alles in sich rein“. Für den außenstehenden Beobachter wirkt Herr C dennoch eher

selbstsicher und mitteilsam. Voller Enthusiasmus schildert er seine Zukunftspläne.

Nach dem Hauptschulabschluss begann Herr C mit 14 Jahren eine Konditorlehre in der

Konditorei in der er schon seit seinem 9. Lebensjahr arbeitete. Mit 18 machte er seinen

Abschluss und gründete mit seiner Schwester eine Konditorei. Später erweiterte er den

Betrieb um einen Spirituosenhandel, musste aber aufgrund von widrigen wirtschaftlichen

Umständen kurze Zeit später sein Geschäft aufgeben. Da er nun in Griechenland wegen

seiner vielen Schulden und des Konkurses einen schlechten Ruf gehabt habe, sah er sich

gezwungen das Land zu verlassen und kam nach Deutschland. Hier nahm er erst einen Job

als Lagerarbeiter an, bevor er als Verwaltungsangestellter arbeiten konnte.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

Da zur Zeit zwei Kollegen ausgestellt wurden muss Herr C zusammen mit einem Kollegen

die Arbeit alleine bewältigen. Dabei „bleibe oft etwas liegen“, was ihn sehr belaste.

Diese Situation, aber besonders auch die Krise in der Beziehung zu seiner Freundin, bringt

er in Zusammenhang mit seiner Erkrankung:

Er fühle sich in seiner persönlichen Entwicklung und Freiheit eingeschränkt, möchte aber

einem Streit aus dem Weg gehen und die Beziehung aufrechterhalten.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patient C zeichnet sein Bild ausschließlich mit den Aquarellstiften. Der Farbauftrag ist

zart, in der Farbwahl beschränkt er sich auf dunkelbraun, blau grün und gelb.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Bild stellt einen langgehegten Wunsch von Herrn C dar. Seit dem er in Griechenland

seinen Betrieb aufgeben musste, beherrscht ihn der Gedanke, ein Bistro aufzumachen. Den

Baugrund hat sein Vater bereits in Griechenland gekauft. Er liegt direkt auf einem Hügel,

achthundert Meter von einem See entfernt, der ins Meer mündet.

Bildbeschreibung:

Die linke Seite des Bildes wird durch die Darstellung eines großen zweistöckigen Hauses

bestimmt. Der erste Stock und das Dach sind komplett ausgearbeitet, wohingegen das

Erdgeschoss bis auf eine Tür unfertig gelassen wurde. Aus dem Kamin des Hauses steigt

Rauch. Vor dem Haus ist eine grüne Wiese mit in braun gehaltenen Blumen. Im

Hintergrund sind Berge gezeichnet.

Der linke Teil des Bildes ist durch einen breiten, gelbbraun schraffierten Streifen vom

rechten getrennt. Rechts befindet sich der See, der durch blaue kreisförmige Linien

dargestellt wird. In der rechten unteren Ecke ist ein Steg an dem ein Segelboot vor Anker

liegt.

Eine Leiter führt vom gelben Streifen zum Steg.

Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Haus ist zwar noch nicht gebaut, doch als solches der feste Wunsch des Herrn C, und

auch schon, mit Ausnahme des Erdgeschosses, geplant. Dieses ist deshalb auch leer

gezeichnet, da ihm derzeit noch nicht klar ist, ob er lieber ein Bistro oder eine Tauchschule

eröffnen solle.

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Die Bildzweiteilung versinnbildlicht die Zweiteilung seines Lebens in Arbeit und

Vergnügen und somit auch den Konflikt mit seiner Freundin. Das Haus auf der linken

Seite steht für den Winter (rauchender Schornstein), die Zeit in der wenig Betrieb sein

wird, aber auch natürlich für das Bistro, oder die Tauchschule, also die Arbeit und

zukünftige Aufgabe, der man sich dann nicht so einfach entziehen kann.

Die rechte Seite, das Segelboot auf dem See symbolisiert den Sommer, das Vergnügen, die

Freizeit. Getrennt sind die beiden Seiten durch den gelben Strand, eine Verbindung besteht

durch die Leiter.

Intervention durch den Therapeuten:

Herr C verzichtet in seinem Bild ganz auf die Darstellung von Personen. Nach der

Aufforderung sich selbst in Form einer Spielfigur auf das Bild zu stellen, platziert er eine

blaue Spielfigur in den Raum, in dem das zukünftige Bistro entstehen soll. Daraufhin stellt

der Therapeut eine gelbe Figur auf eine Blume und gibt vor, die Blume könne Herrn C

fragen, weshalb er so alleine sei, beziehungsweise, wen er an seinem Vorhaben eigentlich

gerne beteiligen wolle. Der Patient setzt jetzt eine rote Figur (seine Freundin) auf den

Hügel unterhalb des Hauses, um die Distanz zu ihr zu verdeutlichen: Zu Beginn habe sie

noch die Begeisterung für seinen Plan geteilt. Jetzt sei sie höchstens noch bereit den

Sommer mit ihm in Griechenland zu verbringen, wenn sie im Winter in Deutschland sein

könne. Es gäbe jetzt aber schon keine Berührungspunkte mehr zwischen ihnen. Das Dorf

in dem das Haus mit dem Bistro entstehen soll habe nur 3000 Einwohner und sei ihr im

Winter zu einsam. Gäbe es noch Möglichkeiten wie sie wieder zusammenfinden könnten?

Herr C sieht derzeit keine Lösung.

Als Personen, die auf seiner Seite stehen könnten und ihn unterstützen würden, wählt er

den Bruder seiner Freundin und dessen Frau. Er stellt beide direkt neben sich, aber nahe an

der Tür des Hauses, die er sehr klein gezeichnet hat. Auch sein Vater würde zu ihm stehen.

Die Mutter sei eher zurückhaltend, habe aber dann die gleiche Meinung wie ihr Mann.

Herr C stellt sie ganz nahe zum Vater, den er zu sich ins Bistro holt. Die Eltern seien schon

zweiundfünfzig Jahre verheiratet und würden alles gemeinsam machen.

Betreffend den Bruder seiner Freundin sagt Herr C, auch er habe schon früher in

Griechenland ein Geschäft eröffnen wollen, aber die Schwester habe ihn bisher immer

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wieder entmutigt, so dass er es nie verwirklicht habe. Zur Verdeutlichung der Barriere legt

der Therapeut einen Stift zwischen die Gruppe um Herrn C und die Freundin.

Dort sei nun die Freundin ja sehr allein .Wen könnte es denn zu ihrer Unterstützung geben?

Der Patient stellt eine rote Spielfigur , die die Mutter seiner Freundin symbolisieren solle

neben seine Freundin. Die Mutter möchte, dass die Tochter in Deutschland bleiben soll, da

sie nicht nach Griechenland ziehen, aber auch nicht allein in Deutschland zurückbleiben

möchte.

Der Therapeut weist nun darauf hin, dass jetzt alles auffallend auf das Haus zentriert sei.

Was passiert denn auf der anderen Seite?

Wo befinden sich die Personen, wenn es um Freizeit und Vergnügen geht?

Schnell setzt Herr C die Figur der Freundin auf das Segelboot. Die eigene Spielfigur und

die Figuren des Bruders und dessen Frau folgen nach. Er stellt sie dicht nebeneinander.

Hier, in der Freizeit, sind Gemeinsamkeiten möglich. Es gibt mehr Unterhaltung. Das

Leben ist sorglos, ohne Probleme. Es fällt leicht zueinander zu stehen.

Die alten Leute, die Eltern des Patienten, und die Mutter der Freundin bleiben auf der

linken Bildseite zurück.

Für Herrn C stellt sich nun die Frage, wie es möglich ist, auch im Alltag zueinander zu

finden, die Leiter zwischen den zwei Bildhälften auch zu benützen.

Beobachtungen und ausblickende Deutung durch den Therapeuten:

Das Bild wirkt sehr farblos und zaghaft, nicht sehr überzeugend um als etwas zu gelten,

das als feste Vorstellung im Denken des Patienten existiert. Obwohl der Grund schon

gekauft ist, ist die Tür zum Bistro sehr klein. Herr C steht trotz dem Bruder seiner Freundin

und dessen Frau sehr allein im Bistro. Auch hat er Angst nach einem möglichen Ende der

Beziehung zu seiner Freundin deren Bruder zu verlieren und damit seine Unterstützung.

Beim Durchspielen dieser Möglichkeit mit den Figuren gelingt es Herrn C nicht gut, diese

Situation zu visualisieren. Er hat immer noch sehr viel Hoffnung, dass sich seine Freundin

letztendlich für ihn und das Bistro entscheidet und wendet sich nicht ganz seinen

Zukunftsplänen zu. Obwohl er sagt er würde im Zweifelsfall nie auf seinen Traum

verzichten klingt er nicht glaubwürdig. Andererseits existiert ja tatsächlich trotz der harten

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Trennung des Bildes in zwei Hälften (auch stellvertretend für die Situation von ihm und

seiner Freundin) eine klare Verbindung, die Leiter zum Steg.

In der Arbeit mit und in seinem Bild wirkt der Patient sehr offen und lebt enthusiastisch

seinen Traum. In Bezug auf die Realität muss die Brücke zur Entlastung der Spannung erst

gebaut werden.

Nachbereitung des Gesprächs:

Bei einem Treffen mit dem Patienten, eine Woche später, zeichnet sich bereits eine

gewisse Änderung in seiner Problematik ab.

Er habe die letzte Woche das Thema „Bistro in Griechenland“ bei seiner Freundin nicht

mehr angeschnitten. Darauf zeige sie wieder mehr Begeisterung für seine Idee und die

Situation in seiner Beziehung habe sich etwas entspannt, obwohl sie für Herrn C immer

noch ein großer Unsicherheitsfaktor ist.

Auf die Frage, wie es sich jetzt in der Arbeit verhalte, ob es ihm schwer falle, sich etwas

zurückzunehmen, entgegnet er, er könne gut damit umgehen. Dennoch geht er einem

Gespräch, konkret über sein Selbstbewusstsein, aus dem Weg. Er redet am Thema vorbei

oder gibt an, den Sachverhalt nicht zu verstehen, was auf die problematische Besetzung

dieses Themas hinweist.

Bezogen auf die Atmosphäre während des Malens und des Gesprächs insgesamt, sagt

Herr C, er habe sich dabei wohl gefühlt. Besonders das Gespräch danach habe ihn

entlastet. Ihm sei einiges klarer geworden. Er habe wohl seiner Freundin zu viel Druck

gemacht. Vielleicht gäbe es für sie beide auch die Möglichkeit einer Paartherapie um die

Beziehungskonflikte näher zu beleuchten.

Bei einem erneuten Treffen nach zwei Jahren im Rahmen einer Routinekontrolle zeigt sich

eine deutlich Änderung im Leben des Patienten. Er hat sich von seiner Freundin getrennt

und arbeitet nun an der Verwirklichung seines Bistros.

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3.2.4 Patient D

Herr D ist 43 Jahre alt. Er arbeitet Teilzeit als Jugendamtsleiter mit dreihundert

Mitarbeitern. Vor ca. eineinhalb Monaten trat bei ihm erstmalig eine Retinopathia centralis

serosa auf. Außerdem leidet er an Schlafstörungen und nächtlichen Schweißausbrüchen.

Herr D ist Vater von zwei Kindern,14 und 3 Jahre alt und lebt seit 5 Jahren, mit seiner

Lebensgefährtin mit der er jetzt auch gemeinsam ein Haus auf dem Land gebaut hat,

zusammen.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Die Mutter des Patienten sei 14 Jahre alt gewesen als die Familie aus Böhmen fliehen

musste. Sie habe keinen Beruf erlernt gehabt und habe fortan in Deutschland als

Fabrikarbeiterin gearbeitet. Der Vater habe das Handwerk seines Vaters übernommen, aber

sei in seinem Beruf nie richtig glücklich gewesen, weshalb er sich dann eine Arbeit in einer

Bank gesucht habe aber auch diese Tätigkeit stellte ihn nie zufrieden.

Das Lebensmotto der Familie sei „Ohne Leistung gehst du unter“ gewesen, obwohl Herr D

behauptet, die Eltern hätten es nie vorgelebt.

Herr D hat 2 Geschwister, eine jüngere und eine ältere Schwester. Die jüngere arbeitet

heute als Zahnarzthelferin.

Sekundärfamilie:

Herr D hat zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen. Bei der Geburt des ersten Sohnes,

vor 14 Jahren fiel Herr D in eine große Depression, da er sich durch die Situation sehr

überfordert fühlte. Er trennte sich von seiner damaligen Lebensgefährtin, der Mutter des

Kindes, weil er sich noch nicht reif genug für eine derartige Bindung fühlte. Seinen Sohn

sieht Herr D sehr selten, da er 120 km weit weg wohnt.

Mit der jetzigen Freundin hat er ein dreijähriges Kind, das allerdings ebenfalls nicht

gewollt war.

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Er stand damals zwischen zwei Beziehungen und entschied sich wegen der Geburt des

Kindes für dessen Mutter. Mit ihr und ihrer Schwester lebt er nun in einem Haus auf dem

Land, das sehr einsam gelegen ist.

Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr D hat in seinem Leben das Gefühl, er mache immer das, was er nicht sehr gut könne.

Auf die Frage nach seinem Selbstbewusstsein antwortet Herr D, er habe oft das Bedürfnis

nach Rückzug und halte sich nicht für sehr selbstbewusst. Konflikten gehe er lieber aus

dem Weg, als sich ihnen zu stellen. Er empfinde oft Bedrohung durch seine Umwelt, der

Druck dringe ungefiltert von außen zu ihm durch, ohne dass er sich groß wehren könne.

Diese Phasen der Hilflosigkeit seien in seinem Leben recht häufig. Auch auf Konkurrenz

reagiert er mit Rückzug.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

Nach dem Realschulabschluss absolvierte Herr D die Fachoberschule, die er mit dem

Abitur abschloss. Anschließend studierte er. Jetzt arbeitet er Teilzeit in der

Jugendamtsleitung. Er sagt von sich er sei in seiner Arbeit einem sehr großen Druck

ausgesetzt. Das Job-Sharing das er nun für sich verwirklicht hatte, stellte sich als Eigentor

heraus, da trotzdem alle Fragen an ihm hängenblieben. Er fühlt sich durch seine Arbeit

erdrückt und sehnt sich nach mehr Distanz.

Auch in seiner Krankheitstheorie spielt Druck eine große Rolle:

Psychischer Druck bringe in seiner Netzhaut „Gefäße zum platzen“.

Bei der Beschreibung der Beziehung zu seiner Freundin wird Herr D sehr unruhig, ein Teil

seines Körpers ist immer in Bewegung. Es sei nicht die große Liebe und er durchlebe mit

seiner Freundin auch keine rauschhaften Phasen, wobei er zugeben müsse, dass auch die

rauschhaften Lieben, die er in seinem Leben erlebt hatte ihn nicht glücklich machten.

Er habe mit seiner Freundin nicht sehr viele Gemeinsamkeiten außer dem Hausbau und

wünsche sich auf dieser Ebene eine Verbesserung.

Vor ca. 1.5 Monaten trat bei ihm erstmalig eine Retinopathia centralis serosa auf.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patient D malt sein Bild ausschließlich mit Ölkreiden, der Farbauftrag ist schwungvoll und

sehr kräftig.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Bild beschreibt einen Traum, den der Patient letzte Nacht hatte. Ein Streit mit zwei

Kolleginnen war vorausgegangen. Herr D hatte den Eindruck gehabt sie wollten ihn

genauso von seinem Arbeitsplatz vertreiben wie seinen Kollegen vor ihm. Nun sei er der

einzige Mann in seinem Team und Opfer der Mobbingversuche seiner Kolleginnen.

Bildbeschreibung:

Das Bild besteht aus mehreren Farbflächen, einem strudelartigen Gebilde in der Mitte und

einem kleinen roten Elefant, der in die linke, obere Ecke gezeichnet ist. Genauer betrachtet

teilen die Farbflächen das Bild in einen Hintergrund und einen Vordergrund. Im

Hintergrund ist eine grüne und eine blaue Farbfläche. Die grüne Farbfläche, schraffiert in

dunkel und hellgrün nimmt das untere Drittel des Bildrandes ein. Die oberen zwei Drittel

sind blau schraffiert. Die Mitte des Bildes bildet der Vordergrund: Ein Strudel aus sich

jeweils entsprechenden roten und violetten Linien wird umrahmt von einer schwarzen

(untere Hälfte), einer braunen (obere Hälfte) und einer leuchtend gelben Abschlussleiste

ganz zu oberst. Diese steht durch gelbe Verbindungslinien mit dem Strudel in

Zusammenhang. In das linke obere Eck der gelben Farbfläche ist ein kleiner roter Elefant

gezeichnet, der sich vom Betrachter abwendet.

Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Bild besteht aus zwei Komponenten: Der Hintergrund, die Wiese (grün) und der

Himmel (blau), ist zugleich der Hintergrund für seinen Traum, den Herr D die Nacht vor

der kunsttherapeutischen Stunde hatte. Dieser Traum sei stellvertretend für eine Situation,

die sich in seinem Leben oft wiederhole. Der Strudel in der Mitte ist ein Strudel aus Wut

und Trauer. Die roten und violetten Linien entsprechen sich, beziehungsweise heben sich

auf, so wie sich Wut und Trauer aufheben. Im Strudel gibt es keine Bewegung nach außen,

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ein Ausbruch ist nicht möglich. Die Leere in seiner Mitte symbolisiert die psychische

Leere im Kopf des Patienten. Er sagt von sich er habe die ganze Nacht nicht geschlafen

und sehr unter Nachtschweiß gelitten. Die schwarze und braune Umrahmung des Strudels

stellt ein wichtiges Kontrollelement dar. Sie hält den Strudel fest und verhindert ein

Zerfließen, welchem der Patient gerne nachgeben würde.

Der leuchtend gelbe Streifen oberhalb der braunen Umrahmung durchbricht diesen in der

Mitte und sendet seine „wärmenden“ gelben Strahlen in den Strudel: Hier gibt es einen

Weg nach außen.

Die linke obere Ecke, die Ecke, in der der Elefant steht, stellt für Herrn D einen Ausblick

in seine spirituelle Seite dar. Der Elefant ist ganz klein gezeichnet und er wendet sich zum

Gehen.

Er symbolisiert für den Patienten stoische Ruhe, er ist lebendig, aber nicht aufgekratzt, es

ist eine ruhige Lebendigkeit. Auch ist er sehr sensibel. Der Elefant soll einen Teil von

Herrn D darstellen. Dieser Teil hat sich aber zur Zeit zum Gehen abgewandt. Sein

Schwanz ist scharf und sehr dünn gezeichnet. Der Elefant befindet sich im gelben, lichten

Streifen. Er kann trotz seiner abgewandten Körperhaltung Herrn D noch Energie schicken,

fühlt sich aber nicht mit ihm verbunden.

Intervention durch den Therapeuten:

Auf die Aufforderung sich selbst als Spielfigur in das Bild zu stellen, überlegt der Patient

lange, welche Farbe er wohl wählen solle und stellt sich dann als blaue Figur in das

Zentrum des Strudels. Er sieht sich in großer Einsamkeit, von Wut und Trauer gebeutelt,

nur durch schwarze und braune Farbflächen in Zaum gehalten. Aber dennoch verspürt er

eine gewisse Kraft, das Potential, sich aus dem Strudel zu befreien. Was könnte der

Elefant, als Teil von Herrn D sagen? Ganz spontan antwortet der Patient: „Komm doch

raus, befrei dich, lass dich fließen!“ Gleich darauf hegt er schon wieder Zweifel, dass das

ja vielleicht nur schöne Worte sein könnten, da es ja fast unmöglich scheint aus dem

Strudel auszubrechen. Trotzdem mache ihm der Elefant Mut.

Nun soll er eine ihm sehr nahe stehende Person mit in das Bild aufnehmen, eine Person,

die ihn versteht und unterstützen könnte. Herr D will das Zentrum des Strudels niemandem

zumuten. Als er äußert, er wolle dort nur ganz allein sein, wird er aggressiv. Trotzdem

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gäbe es eine Freundin bzw. Bekannte der Familie, die ihn verstehen würde und die es auch

im Bild, zwar nicht im Zentrum, aushalten würde. Für sie wählt er eine rote Figur, sagt fast

nebenbei, sie bräuchte eine warme Farbe, und stellt die Figur auf die Grenze zwischen

Licht und Schatten.

Sie wirkt wie ein Bindeglied zwischen lebensbejahender Energie und einschränkender

Kontrolle. Als klar wird, welch tragende Rolle diese Person im Bild spielt, betont er, er

habe aber keine Liebesbeziehung zu ihr, sie sei aber die einzige, die stark genug sei, die

Spannung auszuhalten.

Seine Lebensgefährtin dagegen möchte er am liebsten nicht ins Bild stellen. Seinen

dreijährigen Sohn stellt er in einer hellblauen Farbe an den Rand zwischen die grüne und

die blaue Hintergrundfläche. Er betont, dass er trotzdem den Kontakt zur Erde (grüne

Fläche) nicht verliert. Wäre er etwas älter würde er mit dem Elefanten reden und

zusammen mit ihm Herrn D wieder Kraft zu geben versuchen, sich aus dem Strudel zu

befreien.

Bei einem erneuten Versuch die Lebensgefährtin ins Bild zu bringen wählt er eine

orangene Figur und stellt sie neben den Sohn in den Raum zwischen Himmel und Wiese.

Dabei zögert er sehr, er betont immer wieder, dass er sie am liebsten gar nicht ins Bild

bringen möchte.

Nur er allein, die Bekannte und der Elefant hätten Platz im Bild.

Den Vorschlag, noch ein Blatt Papier anzulegen, nimmt er begeistert auf, und stellt Mutter

und Sohn sofort außerhalb des Bildes auf.

Was könnte die Lebensgefährtin zu Herrn D sagen?

Natürlich würde sie ihm Hilfe anbieten. Das würde ihm aber nichts bringen, im Gegenteil

es würde zusätzlichen Druck erzeugen: Warum liebst du mich nicht, so wie ich dich liebe?

Also hält Herr D es für besser sie erst gar nicht ins Bild zu bringen.

Beobachtung und ausblickende Deutung durch den Therapeuten:

Bei der Besprechung des Bildes wirkt der Patient sehr unruhig, gereizt, teilweise aggressiv.

Er ist sehr unzufrieden und das Bild beschäftigt ihn sehr. Am liebsten möchte er in die

Rolle des Elefanten schlüpfen. Dieser Aspekt seines Ichs ist ihm aber derzeit schwer

zugänglich.

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Als der Therapeut die Figur des Patienten in den Elefanten stellt wehrt er sich heftig und

sagt, er sei noch nicht so weit.

Nochmals weist der Therapeut Herrn D darauf hin, dass jeder Teil des Bildes einen Teil

des Patienten wiederspiegelt und nicht nur negative sondern auch positive Energien in sich

trägt.

Das Licht aus dem gelben Streifen, der noch an die dunklen, blockierenden Streifen

angeschlossen ist, stahlt nicht nur in den Strudel hinein, sondern auch aus ihm heraus.

Das Licht ist die Verbindung zwischen dem Elefanten, dem Strudel und Herrn D der sich

im Inneren gefangen fühlt.

Nachbereitung des Gesprächs:

Da Herr D sich gerade in psychotherapeutischer Behandlung befindet, möchte er das Bild

und die Erfahrungen die er damit gemacht hat gerne dort einbringen und lehnt einen

Nachbereitungstermin ab.

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3.2.5 Patientin E

Frau E ist 35 Jahre alt. Sie arbeitet Teilzeit als Arzthelferin in einer Augenarztpraxis. Der

akute Beginn der RCS, die seitdem bereits einmal rezidivierte ist ihr nicht bekannt.

Die Patientin ist verheiratet und hat zwei Söhne, 5 und 3 Jahre alt.

Familienstruktur der Patientin:

Primärfamilie:

Frau E ist das jüngste von drei Geschwistern. Sie hat einen Bruder und eine Schwester mit

denen sie sich gut verstehe obwohl sie doch recht verschieden seien. Als jüngstes Kind

habe sie sehr viel Zuwendung genossen. Auch sei sie sehr oft krank gewesen, sie habe

Toxoplasmose am rechten Auge gehabt, und sei deshalb umsorgt worden. Die Mutter ist

der Angelpunkt der Familie. Ihr kann sie sich mit ihren Problemen anvertrauen. Der Vater

ist selbständig und sehr selten zu Hause. Frau E beschreibt ihn als oft grantig und

nörglerisch.

Sekundärfamilie:

Die Patientin hat mit 25 Jahren ihren zwei Jahre jüngeren Mann geheiratet. Mit ihm hat sie

zwei Söhne, 3 und 5 Jahre alt. Sie wohnt mit ihrem Ehemann im Elternhaus. Bevor sie

heirateten war ihr Mann nur noch zwei Jahre lang gesund. Ein viertel Jahr später, kurz

nach der Ehe wurde er dialysepflichtig. Fünf Jahre später wird ihm schließlich eine

Leichenniere transplantiert.

Persönlichkeitsstruktur der Patientin:

Frau E wirkt während des Erstgesprächs zurückhaltend, sie spricht wenig, aber sehr

überlegt und denkt länger über eine Antwort nach. Sie sagt von sich selbst sie habe kein

stabiles Selbstbewusstsein. Es sei eher schwankend: Für andere Menschen, zum Beispiel

für ihren Ehemann, könne sie sehr stark sein, bezogen auf ihre eigenen Belange sei es eher

weniger stark ausgeprägt. Auch sei sie immer bemüht den Anforderungen anderer,

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besonders der Eltern und des Ehemannes, zu genügen. Sie habe große Angst vor

Missachtung.

Berufliche und private Situation im Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

Die Krankheitssituation des Ehemanns belastet die Patientin sehr: Durch die

Cortisontherapie sei er psychisch verändert. Er sei oft ungeduldig und nörglerisch. Die

Transplantation, beziehungsweise die Tatsache eine Niere eines Menschen in seinem

Körper zu tragen, der „für ihn“ gestorben sei, machen ihm sehr zu schaffen. Während der

Dialyse sei er umgänglicher gewesen und Frau E hofft nun insgeheim auf eine

Abstoßungsreaktion, so dass der alte Zustand wiederhergestellt werden könne. Gleichzeitig

opfert sie sich für ihn auf und hat Angst ihn zu verlieren. Oft sieht sie sich hilflos der

Situation in ihrer Familie ausgeliefert und neigt dann zu Depressionen. Mit diesen

Depressionsphasen stünden die zwei RCS-Erkrankungen in Zusammenhang.

Beruflich fühlt sich Frau E eher stabil. Sie sei nicht übermäßig abhängig von der

Anerkennung durch ihren Vorgesetzten.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patientin E zeichnet mit den Aquarellstiften, der Farbauftrag ist zart und das Bild recht

karg.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Bild stellt den Tag vor der Nierentransplantation des Mannes der Patientin dar. Ihr

Mann ist in freudiger Erwartung des bevorstehenden Ereignisses. Die ganze Familie hatte

große Hoffnung in die Transplantation gesetzt und dieser Tag hatte für Frau E eine sehr

große Bedeutung, da ihre Hoffnung enttäuscht wurde und sie darin die Ursache für ihre

Erkrankung an RCS sieht.

Bildbeschreibung:

Das Bild der Patientin ist leer, bis auf ein sehr einfach in schwarz gezeichnetes Bett in der

linken unteren Ecke. Darin liegt ein Mann in einem grünen Schlafanzug. Während das Bett

nur mit Strichen angedeutet ist, zeichnet Frau E ihren Mann durchaus real. Er strahlt und

streckt die Arme nach der Niere aus, die mit einem Pfeil mit der Stelle, an der sie

implantiert werden soll, in Verbindung gebracht wird. Der Kopf ihres Mannes liegt auf

einem gelben Kopfkissen.

Eine Bettdecke zeichnet sie nicht ein.

Eigeninterpretation durch die Patientin:

Nachdem Frau E nur zögerlich die Aufforderung zum Gespräch annimmt, fordert der

Therapeut sie auf doch den Jetztzustand ihres Mannes darzustellen. Dazu legt er ein leeres

Blatt Papier an ihr altes Bild an. Nun nimmt sie eine schwarze Farbe und zeichnet

strichmännchenartig eine Figur wiederum in die linke untere Ecke des leeren Blattes.

Die Figur hat ein griesgrämiges Gesicht und die Arme weit von sich gestreckt.

Auf die Frage, warum sie ihren Mann so darstellt, antwortet Frau E, ihr Mann suche

irgendwie Hilfe, wolle es aber nicht zugeben und weise jedes Hilfsangebot von sich.

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In Bezug auf ihren gemeinsamen Alltag sagt sie, er sei sehr schwierig geworden da ihr

Mann nun oft ungehalten sei und sich zurückziehe. Die Cortisontherapie habe ihn

verändert, er selbst merke es jedoch nicht und weise jede Hilfe zurück. Von sich selbst sagt

er, es ginge ihm gut und alle anderen der Familie würden sich seine Launenhaftigkeit nur

einbilden.

Intervention durch den Therapeuten:

Auf die Aufforderung hin, sich selbst als Spielfigur in Beziehung zu ihren Bildern zu

bringen, stellt Frau E eine rote Spielfigur ans Bett ihres Mannes vor der Transplantation.

Als Grund dafür gibt Frau E an, sie habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es mit

seiner Situation irgendwann noch einmal besser würde.

Außerdem bedeutet ihre Wahl für den Standort der Figur auch einen Rückzug ihrerseits

vor der Konfrontation mit den Problemen in ihrer Familie.

Gibt es einen Menschen, der ihre Situation verstehen könnte, der ihr Unterstützung geben

könnte?

Die Patientin wählt eine gelbe Spielfigur und stellt sie als ihre Mutter hinter die rote, die

sie selbst darstellen soll. Die Mutter verstehe sich mit beiden, sowohl ihr selbst als auch

dem Mann gut. Sie sei immer ein Rückhalt für ihre Tochter gewesen, obwohl sie selbst

sehr krank sei. Sie habe seit einiger Zeit schwer Rheuma. In ihrer Krankheitsverarbeitung

ergeben sich Parallelen zu ihrem Schwiegersohn. Auch sie zieht sich bei Problemen zurück

und will in Ruhe gelassen werden.

Wo soll die Schwester der Patientin Ihren Platz im Bild erhalten?

Die Schwester, die mit Frau E sehr verbunden ist, platziert sie auf die Seite neben ihren

schwarz gezeichneten, missmutigen Mann. Ihr gibt sie die Aufgabe dem Mann Kontra zu

geben. Sie sage ihm oft er soll sich nicht so hängen lassen, sie sei das Gegenteil von ihr, da

sie nicht auf bessere Zeiten hoffe, sondern sich den Problemen stelle und die Konfrontation

mit dem Mann ihrer Schwester suche. Sie sieht in der Konfrontation etwas Entlastendes.

Der Bruder der Patientin erhält seinen Platz zwischen den zwei Bildern. Er nehme keine

Stellung zu den Problemen, sondern halte sich da raus.

Ihren Vater stellt die Patientin auf Grund der Ähnlichkeit mit ihrem Mann auf dessen

missmutige Seite.

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54

Den Vorschlag sich einen Rollentausch mit ihrer Schwester vorzustellen, beziehungsweise

ihn im Bild einmal durchzuspielen, nimmt Frau E begeistert an. Sie sagt, sie würde sofort

tauschen. Man bekommt den Eindruck sie fühle sich bei einer Konfrontation mit ihrem

Mann besser. Als Sie diese Möglichkeit durchspielt, ist sie voller Enthusiasmus bei der

Sache und kann sich gut darauf einlassen. Gleichzeitig wird sie aber auch sehr

nachdenklich. Ihre Mutter würde es gar nicht gut finden, wenn sie mit ihrer Schwester

Rollen tauschen würde. Sie hätte dann niemanden mehr mit dem sie sich solidarisieren

könne. Auch würde sich ihre Schwester bei ihrer Mutter nicht wohl fühlen.

Nachbereitung des Gesprächs:

Die Patientin berichtet, sie habe sich jetzt deutlich mit ihrem Mann ausgesprochen. Er

akzeptiere ihre Hilfe nun besser. Zu Anfang sei er sehr skeptisch der „Psychotherapie“

seiner Frau gegenübergestanden. Dann aber, weil die Patientin für ihre Probleme so

deutliche Worte gefunden habe, konnte er auch von den Gesprächen profitieren.

Außerdem sei es Frau E gelungen, ihren privaten Bereich der Freizeit zu vergrößern. Sie

ginge jetzt auch öfter mit Freunden aus oder widme sich ihrer Handarbeit.

Auch die Mutter erlebt es als positiv dass ihre Tochter ihr Selbstbewusstsein stärkt.

Mit ihren Kindern könne die Patientin ebenfalls gelassener umgehen.

Insgesamt sei das kunsttherapeutische Verfahren für die Patientin sehr eindrucksvoll

gewesen.

Besonders die Beschäftigung mit dem Bild, das Figurenstellen habe sie sehr bewegt.

Dadurch seien die Konstellationen für sie viel klarer geworden.

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55

3.2.6 Patient F

Herr F ist 55 Jahre alt . Er arbeitet als Psychiatriepfleger bei psychisch auffälligen

Straffälligen. Derzeit ist er jedoch vertretungsweise für die Gefängnisapotheke

verantwortlich.

Er lebt seit drei Jahren von seiner Frau getrennt. Sie haben keine Kinder. Den Beginn der

RCS Erkrankung bringt Herr F mit einer derzeitigen sehr problematischen Situation an

seinem Arbeitsplatz in Zusammenhang

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Herr F. wurde als uneheliches Kind geboren. Mit drei Jahren habe er dann einen Stiefvater

bekommen, der sich viel um ihn gekümmert hatte, jedoch sich auch sehr fordernd ihm

gegenüber verhalten habe, besonders was Leistung anbelangte. Oft habe er ihn an seinem

Selbstwert zweifeln lassen. Jetzt im nachhinein komme er besser mit ihm aus, als damals.

Seine Mutter habe sich ihm gegenüber sehr gleichgültig verhalten. Für sie sei er eine

Belastung gewesen. Außerdem hätte sie eine akademische Laufbahn von ihm erwartet.

Folglich wurde Herr F von beiden Elternteilen nicht voll akzeptiert. Sein Großvater war bis

zu seinem 18. Lebensjahr sein Vormund.

Sekundärfamilie:

Seine erste Beziehung zu einer Frau hatte der Patient mit 24 bis 28 Jahren. Diese

Beziehung endete mit dem Tod der Freundin an Leukämie.

Mit 43 Jahren heiratet er schließlich, doch auch diese Beziehung ist nicht von Dauer:

Herr F lebt seit drei Jahren von seiner Frau getrennt.

In beiden Beziehungen sei die Frau jeweils die stärkere gewesen., Herrn Fs Schwäche sei

von seinen Partnerinnen schlecht akzeptiert worden.

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Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr F hat immer in seinem Leben das Gefühl gehabt, er sei anderen hilflos ausgeliefert. Er

fühlt sich als der Schwächere, in dessen Rolle er sich aber auch immer wieder freiwillig

einfindet. Im Gespräch wirkt er aufgeschlossen und hat einen ausgesprochenen Rededrang,

wobei er Dinge oft wiederholt um sie stärker zu betonen. Er versucht die Situationen und

Stationen seines Lebens genau zu durchdenken und von mehreren Seiten zu beleuchten.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

Herr F habe dem Leistungsanspruch seiner Eltern nie genügen können. In der Schule sei er

immer schlecht gewesen. Sein anschließendes BWL-Studium an der FH schloss er mit

besserem Erfolg ab. Danach machte er eine Krankenpflegeausbildung, die er erfolgreich

beenden konnte.

Zur Zeit arbeitet er als Psychiatriepfleger für straffällig gewordene, psychisch auffällige

Patienten.

Vor einem Jahr hat er zusätzlich als Vertretung in der Gefängnisapotheke gearbeitet. In

dieser Zeit sei das Fehlen von 600 Codeintabletten aufgefallen.

Als Gegenleistung für seine Hilfe bei einem Computerkauf habe er dem Service-

Mitarbeiter kostenlose Medikamente angeboten.

Anlässlich des Fehlens der Codein-Tabletten kam auch dieser Vorfall zur Sprache. Der

Verdacht er könne mit dem Verschwinden der Tabletten etwas zu tun haben wurde dann

im Juni 98 niedergeschlagen. Herr F habe lediglich einen Verweis bekommen. Doch jetzt

wurde die Sache noch mal aufgerollt weil wieder Medikamente fehlten.

Dieser erneuten Situation der Anklage fühlt sich der Patient hilflos ausgeliefert und sieht

sie als Auslöser für seine Erkrankung an RCS.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patient F zeichnet zwei Bilder mit schwarzer Kreide. Der Farbauftrag ist präzise und

durchdacht.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Bild 1

Das erste Bild stellt eine besonders negative Erfahrung in der Kindheit des Patienten dar,

er war damals ca. fünf Jahre alt:

Er erwacht nach einer Ohnmacht neben seiner Mutter, die immer noch ohnmächtig auf

dem Rücken liegt. Ein großer Spiegel an der Wand ist zerbrochen. In der Zimmertür steht

seine über alles geliebte Oma, die, wie ihm später erzählt wurde seine Mutter nach einem

Streit mit dem Messer bedroht haben soll.

Bildbeschreibung:

In der Mitte des Blatt Papiers ist mit schwarzer Kreide ein Rahmen gezeichnet in dem das

eigentliche Ereignis dargestellt ist:

Der Betrachter blickt in einen perspektivisch dargestellten Raum, in dem sich außer einem

großem Wandspiegel kein Möbelstück befindet. Gegenüber der Tür, die auf der rechten

Seite eingezeichnet ist, kann man ein großes mit Fensterkreuz versehenes Fenster

erkennen.

Der Wandspiegel ist mit skizzenhaften Strichen als zerbrochen dargestellt. In der

Zimmertür steht eine der drei Personen des Bildes, vor ihr auf dem Fußboden liegt ein

überdimensional gezeichnetes Messer. In der linken Ecke des Bildes liegen eine große und

daneben eine kleine Figur. Beide liegen mit dem Kopf zur Person an der Tür, die kleinere

hat die Arme vor dem Körper verschränkt.

Unter dem Rahmen des Bildes steht die Jahreszahl dieses Ereignisses: 1948/49

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Eigeninterpretation durch den Patienten:

Die Person in der Tür stellt die Großmutter des Herrn F dar, die nach einem Streit mit der

Mutter diese mit einem Messer bedroht haben soll, diese sei dann mit ihm auf dem Arm in

den Spiegel gefallen und daraufhin ohnmächtig am Boden liegen geblieben. Herr F konnte

die Geschichte allerdings nie glauben, da ein derartiges Verhalten, wie die Bedrohung mit

dem Messer eigentlich gar nicht zu seiner Oma gepasst hätte. Noch eher hätte er so etwas

seiner Mutter zugetraut, die er als sehr jähzornig beschreibt. Herr F träumt noch heute von

diesem Ereignis, das ihn damals so erschüttert hat, weil seine Oma die einzige Person in

seinem Leben gewesen sei, zu der er vollstes Vertrauen gehabt habe.

Er habe bis heute in seiner Verwandtschaft nach der wahren Geschichte geforscht. Keiner

habe ihm jedoch eine befriedigende Antwort geben können.

Intervention durch den Therapeuten:

Nach der Aufforderung sich selbst als Spielfigur in sein Bild zu stellen, platziert er eine

gelbe Figur auf die liegende, kleinere Figur, seine Mutter (blau) auf die größere, liegende

Figur, jedoch nicht so nah, wie im Bild dargestellt. Die Oma (gelb) stellt er nicht auf die

Person in der Tür, sondern sich gegenüber.

Was könnte die Oma zu ihrer Tochter gesagt haben?

Sie solle sich zusammenreißen, und sich nicht so in den Streit hineinsteigern. Die gelbe

Figur der Großmutter könnte der Person in der Tür erklären, dass das Messer nicht zur

Bedrohung oder gar zum Mord gedacht war, sonder nur zufällig auf den Boden gefallen

war, da sie vor dem Streit gerade in der Küche beschäftigt war.

Der Patient tauscht die Figuren der Mutter und der Oma aus: Er stellt die Figur der Mutter

auf die Person in der Tür und die der Oma auf die Liegende der Mutter. Das

Aggressionspotential sei bei der Mutter viel höher gewesen als bei der Oma. Die Mutter

habe im Gegensatz zur Oma den Sohn oft geschlagen.

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Bild 2

Das zweite Bild stellt eine positive Situation mit einem negativen Beigeschmack dar.

Vor 23 Jahren habe der Patient mit seiner damaligen Freundin an Weihnachten auf einem

Folkfestival in den USA gespielt. 600 Leute wären da gewesen und hätten begeistert

applaudiert. Diese Freundin habe er als Pfleger in der Klinik kennengelernt. Nach 4 Jahren,

die er mit ihr verbracht hatte sei sie an Leukämie gestorben. Er habe sie sehr geliebt, da sie

die einzige gewesen sei, zu der er Nähe zulassen konnte. Er sei sonst eher ein Mensch, für

den ein gewisser Abstand sehr wichtig sei.

Außerdem habe sie ihn so gelassen wie er war und ihn nicht zu ändern versucht. Zwar habe

sie ihn geändert aber nur im positiven Sinne. Ihren Tod habe er nie richtig verwunden.,

Herr F sagt von sich, er suche diese Nähe, die er damals verspürt habe immer noch.

Bildbeschreibung:

Diesmal ist auf der linken Seite des Blattes wie zuvor ein Rahmen für eine Szene wie auf

einer Postkarte gezogen worden. Im Gegensatz zu Bild 1 ist der Rahmen nach oben offen.

In der rechten Mitte des Bildes sind ein Mann und eine Frau auf einer Bühne dargestellt.

Der Mann spielt Gitarre, die Frau Bass. Sie sind winterlich gekleidet, neben ihnen steht ein

Weihnachtsbaum mit Kerzen und einem Stern, darunter ein Geschenk.

Vor der Bühne hat Herr F skizzenhaft eine zuhörende Menge dargestellt.

Unter dem Bild befindet sich als Titel wiederum die Zeitangabe des Ereignisses:

Weihnachten `76.

Intervention durch den Therapeuten:

Als der Patient erneut den Auftrag erhält sich als Spielfigur ins Geschehen zu bringen stellt

er sich sehr eng zu seiner Freundin, diese als Figur auf die seinige.

Freunde hätten von ihnen als Paar behauptet sie seien unzertrennlich, es gäbe sie nur

„im Doppelpack“. Dieses jedoch dementiert Herr F.

Was könnte die Freundin zur Mutter im ersten Bild sagen?

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Eigentlich hätte sie keine Kinder bekommen sollen. Sie sei zu unbeherrscht, teilweise

schlicht unfähig mit ihrem Sohn umzugehen.

Die Oma hätte der Freundin ihres Enkels gesagt, sie solle ihn für immer mit in die USA

nehmen.

Angesprochen auf die Rolle die Frauen in seinem Leben spielen, entgegnet der Patient, er

habe eigentlich immer selbständige starke Frauen als Freundinnen gehabt. Er könne bei

ihnen besser Distanz halten. Sich selbst sieht er in der Beziehung als den schwächeren Part.

Beobachtung und ausblickende Deutung durch den Therapeuten:

Der Patient ist in der Besprechung der Bilder aufgeschlossen und bemüht an sich zu

arbeiten.

Seine Antworten sind sehr überlegt und strukturiert. Der Grund warum er nur mit schwarz

gezeichnet hätte, sei, dass es ihm wegen einer Rot-Grün-Blindheit peinlich sei, Farben zu

benutzen, aus Angst sie könnten falsch gewählt sein und etwas anderes ausdrücken, als

beabsichtigt.

Die Bilder repräsentieren das gering entwickelte Selbstbewusstsein des Patienten:

Im negativen Bild, das wahrscheinlich auch gerade darum so einen negativen Charakter

hat, fühlt sich Herr F klein und der Situation vollkommen ausgeliefert. Er liegt am Boden,

die zwei starken Frauen über, bzw. neben ihm. Er wurde in die Situation völlig

unvorbereitet hineingeworfen und sieht seine einzige Unterstützung, die Oma als

potentielle Mörderin, was ihre Rolle in seinem Leben erheblich ins Wanken bringt.

Das positive Bild zeigt genau das Gegenteil: Herr F wird umjubelt, steht auf der Bühne vor

einem applaudierenden Publikum. Dies stellt die Sehnsucht des Patienten nach

Anerkennung, nach Ruhm dar, um sein Selbstbewusstsein von Außen zu stärken, da es die

innere Stärkung nie erfahren hatte.

Während der kunsttherapeutischen Sitzung habe sich Herr F sehr wohl gefühlt, es sei ihm

vieles klarer geworden, vor allem dass er das Erlebnis in seiner Kindheit überhaupt nicht

verarbeitet hatte. Allerdings möchte er die Mutter, die jetzt schon 80 sei, nicht mehr damit

beschäftigen.

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Nachbereitung des Gesprächs:

Bei der Nachbereitung wirkt der Patient gereizt und sarkastisch. Man hat den Eindruck er

wolle sich dadurch wieder mehr Distanz verschaffen. Nach einiger Zeit beginnt er sich zu

öffnen und will noch mal den Gegensatz der zwei dargestellten Situationen verdeutlichen:

In seiner Kindheit, Jugendzeit, und frühen Erwachsenenperiode habe er keinerlei

Anerkennung oder Unterstützung durch seine Familie bekommen. Dadurch habe sich ein

Selbstwertgefühl schlecht entwickeln können. Entsprechend dazu habe er es nach außen

projiziert, als übersteigertes Geltungsbedürfnis. Er schildert, er habe einen sehr großen

Freundeskreis und sei immer sehr beliebt. Alle würden sich um ihn reißen und er könne

auch nicht nein sagen, da sie ja sehr großen Wert auf seine Gesellschaft legen würden.

Er wirkt hinundhergerissen zwischen Nähe und Distanz, sowohl in seinem äußeren Erleben

als auch in seinen Beziehungen zu Frauen:

Er wünscht sich die Frau als die Starke, ja fast schon als Kontrollinstanz seiner Gefühle.

Auch hat er große Angst sich zu verlieren, wenn er die Nähe, die durch eine Gleichheit

entstehen würde, zulassen würde.

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3.2.7 Patient G

Herr G ist 28 Jahre alt. Er arbeitet als Feinmechaniker in der Forschung. Der Patient lebt

allein und hat keine Kinder. Die Erkrankung war vor circa 2 Wochen erstmalig

aufgetreten.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Herr G hat zwei Brüder, einen eineinhalb Jahre Älteren und einen Jüngeren. Der Ältere ist

bereits verheiratet, mit ihm teilt er viele Interessen und den Freundeskreis. Der Patient

wohnt in einer Doppelhaushälfte, in der anderen wohnen seine Eltern.

Seinen Vater beschreibt er als zurückgezogen und still. Er rede nicht über das was ihn

bewegt, auch nicht mit seiner Frau, die das Gegenteil verkörpert: Sie glaubt, sich um alles

alleine kümmern zu müssen, reißt die Belange der Familie an sich und müsse alles

ausführlich diskutieren.

Der Vater habe schwer Diabetes und stelle eine sehr große Belastung für die Familie dar.

Sekundärfamilie:

Die letzte Beziehung, in der der Patient drei Jahre gelebt hat ist vor drei Monaten durch

seine Freundin beendet worden. Sie lebte in Jamaika und sah eine Beziehung in der sie mit

Herrn G in Deutschland leben müsste als zukunftslos an, da sie sich nicht vorstellen

könnte, ihr bisheriges Leben aufzugeben. Herr G wiederum wollte seinen Arbeitsplatz, an

dem er seit über zehn Jahren beschäftigt ist nicht aufgeben, da seine Freundin in Jamaika

keine geregelte Arbeit hatte.

Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr G sagt von sich, sein Selbstbewusstsein sei nicht sehr ausgeprägt. Er fühle sich oft in

Situationen sehr hilflos, besonders jetzt in Hinblick auf die gescheiterte Beziehung zu

seiner Freundin. Bei Problemen redet er ungern darüber sondern zieht sich eher zurück.

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Im Gespräch wirkt er zurückhaltend und kontrolliert. Der Patient befindet sich oft in

Abhängigkeitspositionen: In der Beziehung zu seiner Freundin wartet er ständig auf ein

Lebenszeichen von ihr, er möchte wissen wie es ihr jetzt geht. Die Freundin scheint eher

vor sich hinzuleben und sich wenig um den Erhalt der Beziehung zu kümmern.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

An seinem Arbeitsplatz habe der Patient keinerlei Probleme. Der Umgang mit den

Kollegen sei sehr gut und auch seine Position sei nicht in Gefahr. Als auslösende Situation

für die RCS sieht Herr G die gescheiterte Beziehung zu seiner Freundin. Sie habe im

Herbst letzen Jahres für drei Monate bei ihm in Deutschland gelebt und sei zu dem Schluss

gekommen nicht für immer hier leben zu wollen. Im Januar darauf habe sie sich dann von

ihm getrennt. Mit ihr habe er einen für ihn sehr wichtigen Menschen verloren. Sie sei

„etwas ganz Besonderes“ gewesen. Auch ein freundschaftlicher Kontakt sei nicht aufrecht

zu halten gewesen. Seine Briefe seien unbeantwortet geblieben und auch telefonisch habe

sie sich ganz von ihm distanziert. Herr G fühlt sich hilflos dieser Situation ausgeliefert.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patient G malt eine sehr symbolistisch gestaltete Szene. Er benutzt ausschließlich Kreiden

und gestaltet das Bild mit klaren Farben und Formen.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Bild stellt den Prozess der Beziehung zu seiner Freundin dar. Es beschreibt den

zeitlichen Verlauf innerhalb der 3 Jahre ihrer Dauer und den zeitlichen Druck dem sich

besonders der Patient ausgesetzt fühlt.

Bildbeschreibung:

Das Bild ist in Wiese und Himmel geteilt. Ein braun gezeichneter Weg führt von links

nach rechts. Er ist sowohl auf der linken Seite auch als der rechten gegabelt. Die rechte

Hälfte des Himmels beherrscht eine plastisch ausgearbeitete Wolke deren der rechten

Bildseite zugewandte Hälfte dunkelgrau und schwarz schraffiert ist.

Auf beiden Weggabelungen befindet sich jeweils eine als Strichmännchen dargestellte

Person.

Zu Anfang des geraden Wegstücks ist die Begegnung der beiden dargestellt. Sie fassen

sich an den Händen doch über ihnen ist ein dickes schwarzes Fragezeichen gezeichnet. Am

Ende der geraden Wegstrecke trennen sie sich wieder, ihre Hände sind nicht mehr gefasst

und die Arme zeigen nach oben. Auch über diesen beiden Personen befindet sich ein

Fragezeichen. Auf der linken Weggabelung gehen die beiden schließlich getrennte Wege,

der eine nach unten der eine nach oben.

In der rechten Bildhälfte zwischen den noch getrennten Figuren und dem ersten Paar steht

am Wegrand eine überdimensionale Sanduhr, deren Sand erst zu einem sehr geringen Teil

durchgelaufen ist. Auf der anderen Wegseite, zwischen dem zweiten Paar und den wieder

getrennten Figuren ist die gleiche Sanduhr dargestellt, jetzt allerdings bereits mit

durchgelaufenem Sand.

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Eigeninterpretation durch den Patienten:

Die Figuren, die auf dem Bild dargestellt sind, stehen für Herrn G und seine Freundin.

Beide sind zu Beginn ihres Weges, als sie aufeinandertreffen, allein und haben eine

ungewisse Zukunft. Sie treffen in Jamaika aufeinander, verlieben sich, fassen sich an den

Händen und beschließen einen gemeinsamen Weg zu gehen. An der Weggabelung vor dem

Punkt, an dem das Paar gemeinsam dargestellt ist, steht die erste Sanduhr. Beide haben nur

eine bestimmte Lebenszeit für ihre Beziehung vorgegeben. Diese läuft unaufhörlich weiter

unabhängig davon, was beide daraus machen. Nach einer kurzen Wegstrecke zusammen,

lösen sich ihre gefassten Hände wieder. Die drohend über ihnen hängende dunkle Wolke

deutet bereits das Ende ihrer Beziehung an. Eine Entscheidung für ein gemeinsames Leben

in der Zukunft war nicht möglich. Sie ist immer noch ungewiss, was der Patient durch das

persistierende schwarze Fragezeichen auszudrücken versucht. Der Weg gabelt sich wieder,

die Zeit, der Sand der zweiten Sanduhr ist fast abgelaufen, und die beiden Menschen gehen

wieder getrennte Wege.

Intervention durch den Therapeuten:

Als der Patient den Auftrag erhält sich als Spielfigur ins Bild zu stellen, platziert er eine

grüne Figur auf die Person auf der unteren Weggabel in der linken Bildhälfte, eine Blaue

auf die Person seiner Freundin auf der oberen Weggabel. Sie haben zu diesem Zeitpunkt

die Trennung bereits vollzogen und beschlossen wieder getrennte Wege zu gehen.

Die Person seiner Freundin hat Herr G größer gezeichnet als seine eigene. Zu Beginn sieht

sich Herr G in der größeren von den beiden gezeichneten Figuren. Er hat sich um den

Fortbestand der Beziehung gekümmert. Nun setzt seine Freundin durch ihre

Gleichgültigkeit ihrer gemeinsamen Zukunft ein Ende. Sie geht nach oben aus dem Bild

heraus.

Was könnte die grüne Figur zur blauen sagen? Sie könnte ihr alles Gute wünschen. Der

Patient betont, es sei natürlich umgekehrt auch so, es habe immer Einigkeit zwischen ihnen

geherrscht. Aber nach längerer Überlegung bedenkt er, dass sie sich eigentlich nie richtig

kennengelernt hatten, da sie sich nur immer im Urlaub treffen konnten.

Was könnten die Figuren am Ende zu denen am Anfang der Wegstrecke sagen?

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Denkt besser nach, bevor ihr euch auf diese Beziehung einlasst! In diesem Satz wird die

ganze Unsicherheit des Patienten, die auch schon zu Anfang das Paar überschattet,

deutlich.

Die Rolle der Sanduhren:

Das Bild symbolisiert für den Patienten besonders den zeitlichen Druck unter den er sich

und seine Beziehung zu seiner Freundin setzt, um die Ungewissheit ihrer Zukunft

aufzulösen und eine Entscheidung herbeizuführen. Durch die Dominanz der Sanduhren im

Geschehen erscheinen aber alle Bemühungen sinnlos. Die Zeit die ihnen zu Verfügung

steht wird ablaufen, unabhängig davon was einer oder beide tun.

Seine Mutter stellt der Patient als gelbe Figur unterhalb der geraden Wegstrecke. Sie erhält

eine kommentierende Rolle. Da sie der Beziehung von Anfang an keine Chance gibt und

sie nur schwer akzeptieren kann, drückt sie mit ihren Worten, die sie als Beobachterin des

Geschehens im Bild sprechen könnte, seine eigenen Zweifel aus. Zuerst platzierte Herr G

die Figur der Mutter auch auf den Weg, dann hält er eine kommentierende Position für

besser.

Den Vater stellt er als rote Figur neben die Mutter, auch er sieht in der Beziehung keine

Zukunft. Im Gespräch gibt Herr G vor, die Meinung seiner Familie sei ihm gleichgültig,

aber im weiteren Verlauf wird das Gegenteil deutlich. Die Figur des Bruders erhält ihren

Patz neben Vater und Mutter und reiht sich damit in die Kommentatoren ein,.

Die Meinung der anderen unterscheidet sich nicht von Herrn G´s Denkweise. Die

Sanduhren bringen dies deutlich zum Ausdruck..

Beobachtung und ausblickende Deutung durch den Therapeuten:

Das Bild hat eine sehr bedrohliche und düstere Grundstimmung. Beide Personen des

Geschehens befinden sich in einer Abhängigkeitsposition:

- von der Meinung der Eltern, der Freunde

- aber vor allem von der Zeit.

Die Sanduhr lässt sich nicht aufhalten. Ihre überdimensionale Größe bestimmt das Bild.

Der Patient fühlt sich auf mehreren Ebenen ausgeliefert und hilflos.

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Auffällig ist auch die Armhaltung der Figuren auf dem Bild. Nach der Trennung sind die

Arme beider Personen nach oben gestreckt. Herr G sagt dazu, beide seien nach der

Entscheidung, die Beziehung zu beenden, eher erleichtert gewesen, und befreit getrennte

Wege gegangen. Dies widerspricht den vorangegangenen Aussagen des Patienten und

seinem Gefühl der Hilflosigkeit, in dem er vergeblich auf Resonanz auf seine Briefe und

Telefonate wartet.

Nachbereitung des Gesprächs:

Die Bedeutung der Sanduhren wird erneut durchgesprochen:

Der Zeitfaktor bestimmte den gesamten Verlauf der Beziehung des Patienten zu seiner

Freundin und ließ einer dauerhaften positiven Entwicklung gar keinen Raum. Herrn G

selbst wird dieses gar nicht so sehr bewusst, nur indirekt durch das Bild kann er diese

Stimmung spüren.

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3.2.8 Patient H

Herr H ist 54 Jahre alt, seit 30 Jahren verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 19 und

24 Jahren.

Er arbeitet als Entwickler bei einer Firma. Vor ca. einem viertel Jahr begann seine

Erkrankung an RCS. Seitdem haben sich die Symptome nur leicht gebessert.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Herr H wuchs in einem sehr von Leistung geprägten Elternhaus auf. Sein Vater, ein

Elektronikermeister, wollte immer dass „sein Sohn etwas besseres“ werde als er. Jetzt

allerdings sei er neidig auf die berufliche Position des Sohnes. Die Mutter, Sekretärin von

Beruf, sei ebenfalls sehr ehrgeizig gewesen. Herr H selbst dagegen habe sich eine eher

lässige Haltung angewöhnt, wie er sagt, als Schutz gegen die Leistungsanforderungen

seiner Eltern.

Seine fünf Jahre jüngere Schwester sei genau das Gegenteil von dem geworden, was seine

Eltern von ihr erwartet hätten. Sie lebe jetzt von der Sozialhilfe nachdem sie zwei

Studiengänge nicht geschafft hatte. Zehn Jahre lang sei sie Bhagwan-Anhängerin gewesen.

Sie sei jemand, der jemanden brauche, der ihr sagt, „wo ´s lang geht“. Herr H habe seine

Schwester nie richtig kennengelernt. Auch jetzt habe er fast keinen Kontakt zu ihr.

Seine derzeitige Beziehung zu seinen Eltern sei auch auf ein Minimum reduziert. „Man

sehe sich und esse manchmal miteinander.“ Der Vater sei schon sehr „verkalkt“ und die

Mutter fast blind, beide seien mehr beim Arzt als zu Hause und das hauptsächlich, um

Ansprache zu haben.

Sekundärfamilie:

Mit seiner Frau ist Herr H bereits dreißig Jahre verheiratet, seine Ehe bezeichnet er als sehr

glücklich und ausgeglichen. Die Jüngere der beiden Töchter wohnt noch zu Hause die

Ältere habe eine eigene Wohnung.

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Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr H bezeichnet sich als „Macher“. Er sagt von sich er habe ein sehr stark entwickeltes

Selbstbewusstsein. In der Schule und im Studium habe er sich nie große Probleme

gemacht.

Die Noten seien ihm egal gewesen. Als Entwickler sei er ein Tüftler, dem die Arbeit über

den zu erwartenden Lohn gehe. Aufstiegschancen seien ihm unwichtig gewesen. Er sei

durch eine Umstrukturierung zu seinem Posten gekommen, der weit höher gestellt sei als

er es jemals erwartet hätte. Er sei kein Karrieretyp.

Auch kümmere er sich sehr um die Wünsche seiner Kunden und könne sich da auch

schlecht abgrenzen und sie abweisen. Hier setze er sich auch voll ein, ohne Rücksicht auf

seine Kräfte.

Mit Termindruck habe er ebenfalls ein Problem.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

Beruflich neigt Herr H dazu über seine Kräfte zu gehen. Mit seinen Kollegen komme er

gut zurecht. Gegenüber seinen Kunden kann er sich schlecht abgrenzen und nimmt seine

Probleme oft mit nach Hause.

Im Gespräch wird weiterhin deutlich, dass der Patient im Umgang mit seinen

Aggressionen Schwierigkeiten hat. Im letzten Jahr hätten ihn verstärkt Kleinigkeiten, die

ihn früher kalt gelassen haben, aufgeregt und er sei allgemein gereizter. Manchmal habe er

das Gefühl, zerplatzen zu müssen, wenn er dem Ärger nicht Luft mache. Im Allgemeinen

tendiert Herr H aber eher dazu seinen Ärger herunterzuschlucken.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patient H zeichnet ausschließlich mit Buntstiften. Der Farbauftrag ist sehr zart und präzise.

Die Farbwahl beschränkt sich auf schwarz, gelb und grün.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

In der Mitte des weißen Blattes ist eine Szene aus der nahen Zukunft des Lebens des

Patienten dargestellt:

Herr H beabsichtigt mit seiner Frau und seiner jüngeren Tochter ein Haus auf dem Land zu

kaufen, in dessen Garten seine Frau Rosen und er selbst Kräuter pflanzen könnten.

Ihre gemeinsame Katze hätte dann auch endlich genügend Auslauf.

Bildbeschreibung:

In die obere Mitte zeichnet Herr H mit schwarzem Stift die Vorderfront eines

zweistöckigen Hauses. Vor dem Haus schließt sich perspektivisch gezeichnet ein Garten

an. Dieser wird an den beiden Seiten durch eine Art Mauer, deren bloßer Umriss

gezeichnet ist, begrenzt.

An der Hauswand ist ein Blumenkasten mit roten und gelben Blumen angebracht.

Die linke Seite des Gartens säumt ein Beet mit Kräutern und mit einer gelben und einer

roten Rose. Ebenfalls auf der linken Seite aber weiter vorne im Bild sitzt träge eine Katze.

Auf der rechten Seite stehen zwei Bäume deren Laub grün dargestellt ist.

In der hinteren Bildmitte steht eine Frau und ein Mann, die sich an den Händen halten und

lächeln. Den vorderen Abschluss des Gartens bildet ein geflochtener Zaun.

Eigeninterpretation durch den Patienten:

Herr H hat den Wunsch aus dem Haus, in dem er zur Zeit mit seiner Familie lebt,

auszuziehen.

Es ist ein altes Bauernhaus in dem er in Miete wohnt. Seine Mitmieter haben 150 Hühner,

durch deren Geruch er sich extrem belästigt fühlt. Auch hat sich die Vermieterin erst seit

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kurzem ebenfalls auf dem selben Grundstück ein Haus gebaut und er käme mit ihr schlecht

aus. Die Situation belaste ihn stark. Die Vermieterin ließe sich auf eine Konfrontation nicht

ein und Herr H ziehe es vor seinen Ärger herunterzuschlucken.

Die Zeichnung stellt den langgehegten Wunschtraum des Patienten dar, der in nicht zu

ferner Zukunft Wahrheit werden soll.

Herr H strebte eine perspektivische Darstellung des Hauses an. Die mauernartige

Begrenzung des Gartens sei keine Absicht gewesen. Der Blumenkasten und die

Blumenbepflanzung im Garten sei das Betätigungsfeld seiner Frau.

Das Paar im Garten stelle seine Frau Hand in Hand mit ihm dar, wie sie glücklich ihren

realisierten Wunschtraum genießen könnten.

Die Katze in der linken Ecke des Gartens stahlt ebenfalls Ruhe und Zufriedenheit aus.

Intervention durch den Therapeuten:

Auf den Vorschlag das gerade gemalte Bild durch ein zweites zu ergänzen, das die

Jetztsituation, die Problematik mit der Vermieterin darstellt reagiert Herr H schon

aggressiv.

Weshalb solle er das Negative darstellen wenn er es gar nicht wolle! Das Positive habe viel

mehr Bedeutung für ihn und das Negative mache ihn nur aggressiv.

Auch der Bitte seine Familie als Spielfiguren ins Traumbild zu stellen kommt Herr H nur

zögerlich nach. Letztendlich stellt er seine Frau als rote Figur direkt unter die gezeichnete

Figur seiner Frau und sich als grüne Spielfigur darüber, wobei er sichergeht dass kein

Größenunterschied zwischen den beiden Figuren besteht. Die Töchter, beide in gelb, stellt

er links und rechts daneben.

Bei dieser Aufstellung kommt ihm seine derzeitige Gereiztheit wieder in den Sinn, die sich

auch innerhalb der Familie niederschlägt. Er sei wegen Lappalien (z.B. seine Tochter

telefoniert schon um halb sieben Uhr morgens) immer öfter gereizt, wobei er das Thema

dann nicht offen in der Familie anspreche. Als er in seiner Vorstellung die Spielfiguren

miteinander sprechen lässt, weisen sie ihn alle darauf hin, mit seiner Empfindlichkeit

absolut zu übertreiben. Sein Ärger stünde in keiner Relation zum tatsächlichen Problem.

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Auf die Aufforderung die Vermieterin ins Bild zu bringen, wählt er gezielt eine blaue

Spielfigur aus, da für ihn Blau für Ärger und Wut stünde und stellt sie direkt in die

imaginäre Mauer außerhalb des Gartens.

Ihr Kommentar zu der dargestellten Szene sei ein gleichgültiges „Ja mei“, ihr

Standardspruch.

Sie habe sonst nichts zu sagen. Die Beschäftigung mit ihrer Person ist Herrn H sehr

unangenehm. Er wolle sich nicht mit dem Negativen beschäftigen, das sei außerdem nicht

notwendig, er könne es sehr gut aushalten sich zu beherrschen und die Aggression nicht

auszuleben.

Thema Aggression und Abwehr:

Während des Gesprächs sitzt Herr H mit verschränkten Armen und Beinen in eine Ecke

des Sessels gedrückt. Er wirkt verkrampft und sehr um äußere Ruhe bemüht. In seinen

Antworten gibt er sich betont lässig und auf die Aufforderung auch das Negative ins Bild

zu bringen entgegnet er ob es nicht auch mal möglich sein dürfte, dass nichts Negatives

existiere und dass er vor allem das Negative nicht brauche.

Beobachtung und ausblickende Deutung durch den Therapeuten:

Beim Malen habe sich Herr H sehr wohlgefühlt, zur negativen Seite seiner derzeitigen

Situation ist bereits ein Zugang geschaffen, der allerdings teilweise während des Gesprächs

und auch Malvorgangs verdrängt bzw. nur kurz akzeptiert wird.

Nachbereitung des Gesprächs:

Bei dem dritten Treffen mit dem Patienten stellt sich im Gespräch heraus, dass der

Konflikt mit der Vermieterin oder der Tochter nur stellvertretend für ein allgemeines

Problem des Herr H steht:

Immer wenn ihm bewusst wird, dass jemand anders denkt als er selber und er demjenigen

seine Gedanken nicht aufzwingen kann, entsteht bei ihm ein Ärger, den er schlecht

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bezwingen kann, da er ihn an niemanden ausleben kann, da er selbst ja der Grund für

seinen Ärger ist.

Er versucht also diesen Ärger, der in seinem „Bauch“ entsteht mit seinem Kopf zu

rationalisieren, um ihn zu verarbeiten.

Diese Grundproblematik liegt auch einem Ehekonflikt zu Grunde, der ihn letztendlich dazu

brachte, sich mit diesem Thema näher auseinanderzusetzen. Ein Buch das ihm seine Frau

von der Kur mitbrachte, zeigte ihm die Notwendigkeit des Zuhörens und Annehmens auf

und durch die Arbeit mit dem Bild hätte sich diese Einstellung des Umdenkens verstärkt

und gefestigt.

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3.2.9 Patient I

Herr I ist ein 51 jähriger Automechaniker, der derzeit aber im Büro einer Bußgeldstelle

arbeitet. Er ist verheiratet und hat 2 Töchter.

Der derzeitige Schub der RCS ist bereits sein 4. Rezidiv, die Krankheit begann ca. 1990.

Familienstruktur des Patienten:

Primärfamilie:

Herr I wuchs in einer strengen Familie auf. Der Vater sei sehr dominant gewesen und die

Kinder hätten oft Angst vor ihm gehabt. Er und seine 9 Jahre jüngere Schwester hätten

dann oft Zuflucht bei der Mutter gesucht, die vom Wesen eher weich und

anlehnungsbedürftig gewesen sei.

Mit seiner Schwester habe er auch noch heute guten Kontakt, obwohl sie weit weg wohne.

Mit ihr habe er sich noch nie gestritten.

Herr I wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern noch im Elternhaus, das die Eltern

bereits sehr früh begonnen hatten zu vergrößern, damit er mit seiner Familie bei ihnen

bleiben könnte.

Sekundärfamilie:

Herr I sagt von sich, er spiele in seiner Ehe den anlehnungsbedürftigeren Part. Seine Frau

dagegen sei wesentlich härter und „mache sich nicht so viele Gedanken“. Mit ihr könne er

all seine Probleme besprechen, bei ihr fühle er sich aufgehoben.

Patient I hat bereits zwei erwachsene Töchter, die ältere, 21 Jahre alt, arbeitet nicht in

ihrem Heimatort und ist daher nur am Wochenende zu Hause.

Persönlichkeitsstruktur des Patienten:

Herr I sagt von sich er habe kein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein. In Hinblick auf die

Problembewältigung sei er eher unschlüssig und mache sich zu viele Gedanken. Seine

Sorgen und Gedanken könne er jedoch gut mit seiner Frau besprechen und es falle ihm

nicht schwer sie zu äußern.

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Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese und

Krankengeschichte:

Den ersten Schub der RCS bekam Herr I, als er eine tiefgehende berufliche Umstellung

durchgemacht hatte. Zum ersten Mal arbeitete er nun in einem Büro und hatte Angst vor

der neuen Situation, besonders weil er die jetzt auf ihn zukommenden Probleme nicht

vollkommen einschätzen konnte und sich diese Situation seiner Kontrolle entzog.

Die weiteren Rezidive seien ebenfalls bei derartigen Veränderungen aufgetreten. Herr I

sagt von sich, er brauche einen geregelten Ablauf, „feste Bahnen“. Bei Veränderungen

verspürt er eine große Unruhe und habe das Gefühl ständig denken zu müssen. Dann denke

er sogar nachts weiter.

Den jetzigen RCS-Schub bringt er mit dem letzten Umbau seines Hauses in

Zusammenhang.

Beruflicher Werdegang:

Herr I lernte den Beruf eines Kfz-Mechanikers, arbeitete dann bald darauf beim

Bundesgrenzschutz, anschließend bei einer Optik-Firma in der Mechanik und zuletzt im

Büro einer Bußgeldstelle.

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Kunsttherapeutische Sitzung:

Patient I zeichnet ausschließlich mit Buntstiften. Der Farbauftrag ist überlegt und sehr zart.

Er füllt mit seiner Darstellung das gesamte Blatt Papier aus, die Farben beschränken sich

auf schwarz, grün und rot.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch den Patienten:

Das Bild zeigt eine Szene aus der Jugend des Patienten. Er war begeisterter Fußballspieler

und zeichnet eine Situation bei einem wichtigen Spiel, bei dem er als sehr junger Spieler

gerade zu einer schon etwas älteren Mannschaft zugeteilt wurde:

Bei einem Foul wird Herr I, damals zwanzig Jahre alt, schwer am rechten Bein verletzt.

Bildbeschreibung:

Dreiviertel der Bildfläche nimmt ein Rasenstück ein, in zwei verschiedenen Grüntönen

sehr zart dargestellt. Das letzte Viertel wird ebenfalls grün schraffiert, jedoch nur in einer

Farbe.

In diesem Bildteil befindet sich ein perspektivisch gezeichnetes Fußballtor in schwarz.

Davor ist mit einer dicken grünen Linie der Torraum markiert. Jeweils auf der linken und

rechten Seite läuft ein Spieler mit rot gekennzeichnetem Trikot.

In der unteren Mitte des Blattes liegt ein Mann im grünen Trikot, die Arme vor dem

Gesicht erhoben, sein Gesicht ist genauer gezeichnet als die der anderen, sein Kopf erhält

die Farben rot und schwarz, während die der anderen Figuren nur in schwarz gezeichnet

sind. Sein rechtes Bein ist kurz unterhalb des Knies nach hinten umgeknickt, diese Stelle

mit einer roten Markierung gekennzeichnet. Ein Spieler im roten Trikot befindet sich links

neben ihm, sein Fuß an der roten Markierung des Beines. Die Arme sind in Richtung des

liegenden Mannes gestreckt. Ganz unten in der Bildmitte liegt ein schwarzer Ball.

Die Spieler in den roten Trikots haben lachende Gesichter während das, des Liegenden

angsterfüllt und schmerzverzerrt, die Augen sind weit aufgerissen, dargestellt ist.

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Eigeninterpretation durch den Patienten:

Die Szene, die der Patient darstellt, ist für ihn Ausdruck des absoluten Ausgeliefertseins,

der Machtlosigkeit

Er war damals zwanzig Jahre alt und das erste Mal in der Rolle des Mittelstürmers, in einer

Mannschaft, in der er einer der jüngsten war. In der gezeichneten Situation befand er sich

als einziger Spieler seiner Mannschaft vor dem gegnerischen Tor umringt von den

gegnerischen Spielern. Deren Gesichter stellt Herr I lachend und glücklich dar, während

sein eigenes Angst ausdrückt, Angst vor Auslieferung.

Dieses Erlebnis sei für ihn sehr schlimm gewesen, es habe sich niemand, weder seine

eigene Mannschaft, noch Spieler der Gegnerischen um ihn gekümmert. Er habe nur

dagelegen und eine halbe Stunde auf den Notarzt gewartet. Der schuldige Gegner sei ein

bereits berüchtigter Torwart gewesen, bekannt für seine Fouls.

Herrn I´ s erster Gedanke habe trotz der schwerwiegenden Verletzung, sowohl Tibia als

auch Fibula waren gebrochen, der Bruch war offen und das Bein erheblich disloziert, nicht

seiner gesundheitlichen Situation gegolten. Vielmehr dachte er nur an sein berufliches

Weiterkommen, da er gerade eine Stelle beim Bundesgrenzschutz angenommen hatte und

es nun unsicher war ob er die Stelle behalten konnte, wie lange er nun ausfallen würde.

Auch die Schmerzen seien zweitrangig gewesen. Erst viel später machte er sich Gedanken,

ob und wann er wieder normal werde laufen können.

Intervention durch den Therapeuten:

Durch welche Personen hätte Herr I denn Hilfe erhalten können?

In der damaligen Situation habe es niemanden gegeben der ihm geholfen hätte, es sei

niemand dagewesen. Natürlich hätten ihn seine Eltern und Freunde in der Klinik besucht,

doch an dem Tag des Unfalls sei er alleine gewesen.

Auf die Aufforderung hin sich selbst als Spielfigur ins Bild zu stellen, wählt der Patient

eine grüne Figur, die er direkt neben den Kopf des liegenden Spielers stellt: „er denke

immerzu“.

Seinen Vater stellt er neben sich und seine Mutter dahinter.

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Was hätten beide Elternteile zu seinem Unfall gesagt, wenn sie dabei gewesen wären?

Wahrscheinlich hätten sie versucht ihn zu trösten. Seine Gefühle würde er eher seiner

Mutter offenbaren, weniger seinem Vater.

Wenn diese Situation sich heute ereignet hätte, würde er gerne seine Frau und seine Kinder

bei sich haben:

Er wählt für seine Frau eine grüne Spielfigur und stellt sie dicht neben die seine.

Seine Töchter platziert er in rot und blau neben sich und seine Frau.

Beide hätten sehr viel Angst um ihren Vater gehabt, wobei die ältere Tochter sicher

geweint hätte und die jüngere kälter reagiert hätte.

Thema Ausgeliefert sein, Hilflosigkeit:

Herr I hat sehr große Angst nicht mehr zu genügen, nicht mehr genügend leisten zu

können. Diese Angst zeichnet sich während des ganzen Gesprächs deutlich ab:

Bei Berufswechsel hat er ständig Angst die Arbeit wieder zu verlieren, besonders durch

widrige Umstände auf die er keinen Einfluss hat.

Die Gegner, die „Anderen“, die seine Welt in Gefahr bringen, stellt er als identische

Marionetten dar, als Figuren in seinem Bild, die rücksichtslos agieren und ihn, den

einzigen, dem er in seiner Zeichnung durch ein ausdrucksstarkes Gesicht Individualität

verleiht, bedrohen.

Beobachtung durch den Therapeuten:

Zu Beginn des zweiten Treffens wirkt Herr I eher unsicher, er möchte die Sitzung

abkürzen, beziehungsweise zur Nachbereitung nicht erscheinen, was bei seinem weiten

Anfahrtsweg, ca. eineinhalb Stunden, verständlich ist. Während der Bildbesprechung kann

sich der Patient zunehmend begeistern und möchte auf jeden Fall auch zum letzten Treffen

erscheinen.

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Nachbereitung des Gesprächs:

Herr I sagt, er hätte sehr viel nachdenken müssen, vor allem ob das Ereignis, das er für sein

Bild ausgewählt hatte, das richtige gewesen sei. Es hätte noch so viele Sachen gegeben, die

mindestens genau soviel Bedeutung gehabt hätten, wie zum Beispiel der Tod der

Großeltern, zu denen er ein sehr enges Verhältnis gehabt hatte. Auch sei ihm die

Problematik der Erkrankung, vor allem der Rezidive deutlich geworden. Der psychische

Zusammenhang hätte sich während des Malens und der Besprechung ergeben.

Sehr interessiert erkundigt er sich nach Möglichkeiten die Rezidivhäufigkeit zu senken,

wie zum Beispiel Autogenes Training.

Abschließend bemerkt er, die Treffen hätten ihm doch einiges gebracht und besonders die

Erfahrung des Malens und die Bildbesprechung seien für ihn sehr aufschlussreich gewesen.

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3.2.10 Patientin J

Frau J ist eine 50 jährige Krankenschwester. Sie studiert derzeit Psychologie, nachdem sie

das Begabten-Abitur gemacht hatte. Vor ca. zwei Monaten trat bei ihr erstmalig eine RCS

auf. Frau J ist geschieden und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen.

Familienstruktur der Patientin:

Primärfamilie:

Die Eltern der Patientin hätten sich sehr oft gestritten, die Mutter hätte ein Verhältnis mit

dem Bruder des Vater gehabt. Frau J hätte in ihrer Kindheit ein sehr gutes Verhältnis zu

ihrem Vater gehabt und ihre Mutter hätte immer versucht sie von ihm fernzuhalten. Die

Mutter sei außerdem sehr dominant gewesen. Die Großmutter lebte auch im Haushalt der

Eltern und sorgte dafür, die Familienstruktur oberflächlich stabil zu halten.

Frau J hat außerdem noch einen Bruder von dem sie glaubt, er sei kein Kind ihres Vaters.

In den späteren Jahren habe sich die Situation schließlich dahingehend geändert, dass sie

jetzt Vertraute der Mutter geworden sei.

Sekundärfamilie:

Frau J hat zwei Söhne, 22 und 20 Jahre alt, beide Legastheniker. Sie ist seit 9 Jahren von

ihrem Mann geschieden, und lebt mit ihren Söhnen zusammen. Ihr Mann habe bereits drei

Jahre vor der Scheidung schon eine Freundin gehabt und es ihr gegenüber auch offen

zugegeben. Trotzdem zog die Familie vor 10 Jahren nach Amerika. Ein halbes Jahr später

reichte der Mann die Scheidung ein und Frau J musste das Land verlassen.

Zur Person des Ehemannes:

Von Anfang an war die Beziehung problematisch. Herr J hatte ein großes Bedürfnis nach

Nähe und klammerte stark. Am liebsten wollte er seiner Frau die Verantwortung für sein

Leben abgeben. Frau J hatte immer die Starke zu sein, sollte ihm „den Rücken freihalten”

und die Kinder versorgen. Die Abhängigkeit seiner Frau sei ihm sehr wichtig gewesen.

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Später, als er mit einer Freundin zusammen war, sei ihm das alles zwar nicht mehr so

wichtig gewesen, er sei zu ihr gezogen, aber dennoch habe er versucht sie immer noch über

die Kinder zu kontrollieren

Zur Person der Schwiegereltern:

Die Eltern ihres Mannes hätten sie zur Hochzeit genötigt. Auch sie hätten sehr viel

Kontrolle ausgeübt.: Jedes Mal wenn sich Frau J einer von ihnen gestellten Aufgabe

wiedersetzte, bekamen sie „Herzanfälle“ und ähnlich bedrohliche körperliche Symptome.

Der älteste Sohn:

Er sei ein sehr sensibler junger Mann, der die Scheidung schlecht verarbeitet habe. Mit

vierzehn Jahren habe er für vier Jahre beim Vater gelebt und sei dann wieder zur Mutter

zurückgekehrt.

Persönlichkeitsstruktur der Patientin:

Frau J hat oft das Gefühl, Situationen hilflos ausgeliefert zu sein:

Sie habe zwar immer die Koffer gepackt gehabt und habe auch die ganzen Jahre vorgehabt,

ihren Mann zu verlassen, aber es dann doch nicht getan. Bei Drohungen der

Schwiegereltern neigte sie dazu sich in die Situation zu fügen. Besonders die Scheidung

hatte sie in ein tiefes Loch geworfen:

Sie hatte kein Geld, keine Arbeit und kein Heim mehr, da sie das Haus in Deutschland

verkauft hatten. Frau J war gezwungen, sich neu zu orientieren. Um ihren Mann von sich

fern zu halten, kaufte sie sich, da er Hunde nicht ausstehen konnte, einen Hund. Außerdem

habe ihr ihr Mann oft mit Mord gedroht. Es stellten sich bei ihr ebenfalls zahlreiche

körperliche Symptome ein, vor allem Kreislaufprobleme, auch unterzog sie sich einer

Therapie.

Berufliche und private Situation in Hinblick auf die Stressanamnese

und Krankengeschichte:

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Frau J ist gelernte Krankengymnastin. Für ihren Mann habe sie ihren Beruf aufgegeben.

Nach ihrer Scheidung orientierte sie sich neu:

Sie machte das Begabtenabitur und fing dann an Psychologie zu studieren.

Derzeit, bzw. auch zu Beginn ihrer Erkrankung an RCS hatte sie sehr viel Stress im

Studium, da sie am Wochenende als Kursleiterin Seminare zu betreuen hatte und nebenher

unter der Woche noch für den Lebensunterhalt der Familie sorgen musste: Sie ist

selbständig, macht Hausbesuche und hat außerdem noch einen Praxisraum.

Außerdem sei der Hund der Familie nach 10 Jahren einen Tag vor Beginn der Erkrankung

gestorben. Sie habe sich bei seinem Tod sehr ohnmächtig gefühlt, da sie ihm nicht helfen

konnte.

Ihr ältester Sohn wollte nach dem Tod des Hundes, an dem er sehr hing, seine Schule

abbrechen.

Auch habe der Tod die Problematik der Scheidung bzw. der Zeit danach wieder reaktiviert.

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Kunsttherapeutische Sitzung

Patientin J zeichnet mit Buntstiften und Kreiden. Der Farbauftrag ist schraffierend. Sie

stellt das Geschehen sehr präzise dar.

Bildinhalt und Eigeninterpretation durch die Patientin.

Frau J zeichnet den Ort, an dem sie sich in der Zeit, als sie in Amerika lebte, am liebsten

aufhielt, an dem sie sich wohl fühlte und in sich ruhen konnte:

Ein Platz auf einem Felsen am Meer, von dem man den Strand und den Sonnenaufgang

beobachten konnte.

Bildbeschreibung:

Das Bild ist in drei Ebenen geteilt, die perspektivisch aufgebaut sind:

Im Vordergrund befindet sich in Braun mit Grüntönen angedeutet ein Felsvorsprung, von

dem ein Weg in die zweite Ebene führt, den Sandstrand. In der rechten Ecke spielt eine

Gruppe Menschen Beach-Volleyball, links daneben liegt eine Figur, mit rot unterlegt, auf

beiden Seiten je eine weitere Figur. Die dritte Ebene bildet das Meer, auf dem ein

Fischkutter und ein Segelboot zu sehen sind. Nach rechts ziehend, durch einen kräftigen

gelben Streifen dargestellt, spiegelt sich die Sonne.

Im Vordergrund sitzt in der linken Ecke eine blonde, kräftige Frau im Bikini mit dem

Rücken zum Bildbetrachter. Ganz links bildet ein Baum, unter dessen Blättern die Frau

sitzt, den Bildrand.

Eigeninterpretation durch die Patientin:

Das Bild soll eine bewaldete Stelle an der Ostküste Floridas darstellen. Von dieser Klippe

führt ein Weg zum Strand, man hat direkten Blick aufs Meer. Frau J habe in der Zeit, die

sie mit ihrer Familie in Amerika war, oft dort gesessen und habe den Sonnenaufgang

betrachtet.

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Die Menschen am Strand seien sehr weit weg, man könne aber trotzdem alles genau

beobachten.

Die Atmosphäre sei eine sehr ruhige, beschauliche gewesen. Dort habe sie ein sehr starkes

Ich-Gefühl erleben können.

Die anderen Menschen, die ballspielende Gruppe, sind fremd. Links davon liegt ein Mann

auf einem roten Handtuch daneben sitzt eine Person mit der er sich unterhält, auch ein

Kind spielt dort mit Sand. Das Geschehen habe nichts mit der Patientin zu tun gehabt, sie

habe einfach nur beobachtet und die Distanz genossen. Der Baum habe ihr Stabilität und

Schutz gegeben, sie habe an seinen Wurzeln gesessen und sich an seinen Stamm gelehnt.

Trotz der negativen Erlebnisse, die sie mit Florida verbinden, habe sie diese Situation als

besonders bedeutungsvoll - im positiven Sinne – ausgewählt. Dort, unter diesem Baum

habe sie die „ Seele baumeln lassen“, Kontakt haben, alles überblicken und trotzdem die

Distanz genießen können.

Intervention durch den Therapeuten:

Die Patientin bekommt den Auftrag, sich vorzustellen, die Person, die sich mit dem auf

dem Badetuch liegenden Mann unterhält, würde sie fragen, wie sie sich dort oben auf der

Klippe fühle.

Daraufhin entgegnet sie, sie genieße das Alleinsein , jedoch würde sie sich auch freuen,

wenn sie zu ihr hinauf käme.

Es entspinnt sich ein reger Dialog zwischen Therapeut in der Rolle der Person am Strand

und Frau J über den Liegenden auf dem roten Handtuch:

Auf ihn, der die dritte Person am Strand irgendwie daran hindert zu Frau J auf die Klippe

zu kommen, um die Aussicht zu genießen, entlädt sich Frau J´ s Aggression. Jemand, der

sich so in der Sonne braten ließe sei ein „Brathering“, verdiene keine Aufmerksamkeit und

alle Ratschläge seien vergebens. Höchstens, wenn er sie, als Frau, attraktiv finden würde,

würde er vielleicht auf die Klippe kommen.

Was hätte der Ehemann der Patientin in dieser Situation gesagt?

Frau J ´s Mann sei nie mit ihr zu ihrem Lieblingsplatz auf der Klippe gekommen. Ihre

Sehnsucht danach, so die Seele baumeln zu lassen und einfach nur das Alleinsein zu

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genießen, habe er nie verstanden. Allerdings die Aggression auf den „Brathering“ hätte er

sehr wohl nachvollziehen können.

Auf die Aufforderung hin, ihre Söhne mit ins Bild zu bringen, wählt Frau J zwei gelbe

Spielfiguren und stellt sie nebeneinander über den Kopf der unter dem Baum sitzenden

Figur. Dazu sagt sie, dass beide allerdings nicht bei ihr auf der Klippe wären, sondern eher

unten am Strand, da es ihnen auf der Klippe zu langweilig würde. Sie hätten eher versucht,

ihre Mutter zu sich an den Strand zu locken und hätten damit wahrscheinlich letztendlich

auch Erfolg. Beide Söhne hätten die Farbe gelb erhalten, weil sie genauso farblos seien wie

die Mutter, der ältere sei allerdings eher orange, da er sich öfter wie der Vater verhält und

sich auch in dessen Richtung entwickle.

Passend dazu wählt die Patientin für ihren Mann eine rote Spielfigur.

Rot sei eine Signalfarbe, die Farbe der Gewinner. Ihr Mann habe immer Gewinner sein

wollen und meistens auch gewonnen.

Die rote Spielfigur stellt Frau J auf die Yacht, wie sie sagt - ganz weit weg - und dennoch

auch alles überblickend.

In dieser Zeit habe sie auch sehr viel Angst vor ihrem Mann gehabt. Er sei immer eine

Bedrohung gewesen und habe ihr sogar mit Mord gedroht, wenn sie sich nicht nach seinen

Wünschen verhalte. Der einzige sichere Ort sei der Strand gewesen, da er dort nie

hingegangen wäre, den Strand habe er gehasst. Wie könnte ein Gespräch zwischen ihm

und Frau J ausgesehen haben? In der Simulation eines derartigen Gesprächs wirkt Frau J

teils sehr aggressiv, teils betont stark und unbeteiligt.

Das Gespräch verläuft sehr kurz, sehr sparsam und besteht fast nur aus Wortfetzen. Der

Mann hätte mit aller Kraft versucht, sie von ihrem Platz zu vertreiben, hätte sich über sie

lustig gemacht und hätte wahrscheinlich am Ende sogar gewonnen, da Frau J den Strand

verlassen hätte.

Nach diesem Gespräch gibt die Patientin allerdings zu bedenken, dass Herr J sie dort auf

ihrer Klippe gar nicht hätte sehen können, wenn er sich auf der Yacht befunden hätte. Er

sei viel zu weit weg gewesen. Sie selbst hätte ihn sehen können, er sie aber nicht.

Bezogen auf ihre Söhne sagt sie, hätte auch da ihr Mann versucht , wie er es auch immer

gemacht hatte, die beiden von der Mutter wegzulocken und zu sich aufs Boot zu holen.

Der ältere Sohn habe ja auch mit 14 einige Jahre beim Vater gelebt, sei dann aber wieder

zur Mutter zurück gekommen.

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Wo wäre der Hund, wenn Frau J auch ihn mit ins Bild bringen würde?

Der Hund, den sich die Patientin als Bewacher gegen ihren Mann angeschafft habe, habe

am Strand keine Funktion, er würde dort nicht gebraucht, da ihr Mann nicht zum Strand

kommen würde.

Wenn der Hund doch da wäre, dann wohl mit den Kindern im Wasser.

Für ihren Mann seinen Hunde „Kackmaschinen“. Eigentümlicherweise hat er sich jetzt mit

der Frau, mit der er jetzt zusammenlebt, auch einen Hund angeschafft, da diese eine sehr

große Beziehung zu Hunden habe und nicht darauf verzichten wollte.

Dieser neuen Frau ihres Mannes würde die Patientin ebenfalls eine rote Farbe geben. Sie

würde mit dem Mann im Boot sitzen und ihn und sich selbst von Frau J abschotten.

Die Bedeutung der Farbe Rot:

Rot ist eine Signalfarbe. Auf die Frage was sie zuerst auf die Strandfläche gemalt hätte,

den liegenden Menschen oder das rote Badetuch antwortet Frau J, das rote Tuch. Zuletzt

habe sie sich selbst ins Bild gebracht.

Ihrem Mann und seiner neuen Frau gibt sie ebenfalls die Farbe rot, beide Personen, wie der

Mann auf dem Tuch, bewirken bei Frau J Aggression, Auflehnung. Wohl eher ist die Farbe

rot ein Symbol für die tiefe Bedrohung, die von diesen Personen ausgeht.

Um sich von der Bedrohung fern zu halten zeichnet sie ihre Figur an einen geschützten

Platz, unter den Baum, dessen Stamm sie noch nachträglich mit brauner Kreide verstärkt

und der ihr Schutz und Halt geben soll:

Vor Sonne, vor Blicken und letztlich auch vor ihrem Mann. Sie sitzt in seinen Wurzeln, er

trägt sie mit.

Beobachtung und ausblickende Deutung durch den Therapeuten:

Das Malen habe Frau J sehr viel Spaß gemacht und sie habe auch bewusst ein positives

Bild gemalt. Allerdings konnte sie letztendlich die Figur ihres Mannes nicht herauslassen.

Durch die Farbe Rot, die sie ja bereits in Form des roten Badetuchs ins Bild bringt,

wird er wieder in die Gegenwart geholt.

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Durch den Tod des Hundes, der die Verbindung zu der damaligen für die Patientin sehr

belastenden Zeit darstellt, setzt sie sich wieder mit der Problematik auseinander, von der

sie lange Zeit gebraucht hat sich zu distanzieren, wie sie sich am Strand distanziert hat.

Diese Perspektive des Distanzierens, die sie als Perspektive für ihr Bild gewählt hat

könne sie auch in die Realität übertragen:

Frau J, der es immer wieder passiert, dass sie in Situationen gerät, in denen sie sich

ausgeliefert und abhängig fühlt, ist auch fähig, sich zu distanzieren und so den Überblick,

- wie in ihrem Bild- zu behalten.

Nachbereitung des Gesprächs:

Bei der Nachbereitung der letzten Stunde, berichtet die Patientin, sie habe diese Zeit in

guter Erinnerung behalten. Besonders habe ihr aber die Position ihres Ex-Mannes im Bild

gefallen:

Er ist weit weg auf dem Schiff im Meer, er kann ihr nichts anhaben.

Nach längerem Nachdenken greift sie aber die Farbe rot wieder auf. Diese Farbe löse in ihr

Aggressionen aus, ähnlich den Gefühlen die sie damals ihrem Mann entgegenbrachte.

Die Person auf der roten Decke habe sehr viel Ähnlichkeit mit ihrem Mann: Mit der

gleichen Arroganz und Gleichgültigkeit seiner Gesundheit gegenüber, verharrt er auf der

Decke und ist nicht bereit, von seinem Standpunkt abzuweichen. Mit der Person dieses

„Bratherings“ befindet er sich also doch wieder in ihrer Nähe.

Sie fühlte sich damals sehr ausgeliefert, hilflos ihrem Mann ausgesetzt, der bestrebt war,

ihr jeglichen Boden unter den Füßen zu nehmen:

Sie hatte ihr bisheriges Leben, ihr Haus ihre Kontakte für ihn aufgegeben und er konnte sie

so leicht entwurzeln, als er eine neue Freundin hatte und sie verstieß. Auch seine Söhne,

besonders den Älteren, versuchte er auf seine Seite zu ziehen, was ihm ja teilweise auch

gelang. Die beiden Personen neben dem Mann auf der Decke könnten die Söhne

verkörpern.

Jedes Mal wenn sie mit dem Vater am Strand waren, hatten sie einen starken Sonnenbrand,

und als die Patientin darauf zu sprechen kommt steigt Aggression in ihr hoch. Sie hatte

damals keinen Einfluss auf das Beschäftigungsfeld der beiden Jungen. Auch hier fühlte sie

sich hilflos der Situation ausgeliefert.

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Frau J fällt auch im Zusammenhang mit ihrer Ehe auf, dass das Verhaltensmuster: geben

und nichts dafür bekommen, also sich zu opfern, eine zentrale Rolle in ihrem Leben

einnimmt.

Auch in letzter Zeit passieren ihr immer noch Dinge die nach diesem Muster ablaufen. So

hat sie zum Beispiel freiwillig auf ihre Rechte in ihrer Praktikumstelle verzichtet und ihrer

Mitpraktikantin den Vortritt gelassen. Letztlich fühlt sie sich jedoch zu kurzgekommen und

enttäuscht.

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4 Diskussion

Die in der Einleitung beschriebene Psychodynamik, die für die RCS als Psychosomatose

gelten könnte, stellt die Störung im Selbstwertgefühl in den Vordergrund. Psychodynamik

bedeutet Zeitgestalt. Die Ursachen für diese Selbstwertproblematik hat demnach

biographische Ursachen.

Die Regulationsmechanismen des Selbstwertgefühles nach Deneke, wie sie in der

Einleitung ausführlich dargestellt werden können, kann hierbei eine nützliche Hilfe

darstellen, die in den Bildern zu Tage tretende Psychodynamik zu beurteilen. Gerade weil

bei psychosomatischen Patienten der unmittelbare bewusste Zugang zu dieser

Psychodynamik verstellt ist, die Patienten sich in den Selbstwertfragebögen eher als

besonders „normal“ einschätzen, ist gerade der kunsttherapeutische Ansatz eine nützliche

Erweiterung.

Im folgenden sollen daher die Aussagen der Patienten im Interview und in der Bilder-

Arbeit mit Hilfe dieses Modells diskutiert werden.

4.1 Falldiskussion:

4.1.1 Patient A

Der Patient erkrankt an RCS, nachdem er in seiner Arbeitsstelle nicht den Anforderungen

nachkommen kann, die er an sich stellt. Er bekommt eine Arbeit „aufs Auge gedrückt“, mit

der er glaubt, sein, sich selbst gestecktes Ziel, nicht verwirklichen zu können.

In seiner Anamnese werden vor allem narzisstische und idealistische Merkmale deutlich:

In seinem ganzen Streben zeigt sich ein ausgeprägter Hang zur Perfektion und ein

Hinterfragen nach einem tieferen Sinn. Teilweise ist dieser allerdings auch durch Druck

der Familie entstanden. Herr A sei als Kind sehr wenig gelobt worden. Mit immer größerer

Anstrengung versucht er die Anerkennung zu erlangen, die wohl nur seinem Bruder zuteil

geworden war. So wird die Idealisierung des älteren Bruders schon in seiner Kindheit und

Jugend zum Ausdruck seines hohen Leistungsanspruchs an sich selbst. Seine ständige

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Unzufriedenheit mit seinen Leistungen und sein Verlangen nach Bestätigung zeigt

Merkmale des klassisch narzisstischen Regulationsmodus: Im Arbeitsleben setzt er sich

immer sehr hohe Anforderungen und wundert sich auch dass nicht noch mehr von ihm

verlangt würde.

Aber auch Züge des bedrohten Selbst finden sich in seiner Anamnese:

Nachdem er sein Studium beendet hatte, erlebt Herr A diese Veränderung in seinem

Lebensablauf als so bedrohlich, dass er einen Suizidversuch begeht.

Betrachtet man nun das Bild des Patienten, lassen sich hier seine Persönlichkeitsstruktur

und deren Regulationsweisen deutlicher erkennen:

Herr A sagt über sein erstes Bild, es stelle symbolisch eine Situation dar, die sich in seinem

Leben schon öfter wiederholt hätte. Immer wenn er voll Überzeugung und in Begeisterung

etwas gemacht habe, habe er eine Niederlage erfahren, bzw. sei er auf ein Hindernis

gestoßen. Beruflich habe er seine Ziele schon fast erreichbar gesehen, da ihm ein neues

Arbeitsfeld versprochen wurde, bis ihm sein Chef den neuen, ungeliebten Job „aufs Auge

gedrückt“ hatte.

Die Bildmitte des ersten Bildes bestimmt der braune „Sandsteinfelsen“. Dieser

„Sandsteinfelsen“ ist mit Kreisbewegungen in den Farben grün, gelb und rot eingegrenzt

und könnte auch an ein Auge erinnern. Der rote Fußabdruck in der Mitte könnte die Pupille

darstellen, die anderen blutige Tränen, was die Symbolik des bedrohten Selbst andeutet.

Dieses weinende Auge rückt sogar die anderen Bildelemente in den Hintergrund. Es

versinnbildlicht ja auch die Leistungs- und Kontrollproblematik des Patienten. Um endlich

einmal die Kontrolle aufgeben zu dürfen, muss sich Herr A erst einmal verletzen. In seiner

Verletztheit kann er sich erst tragen lassen. Der Tragende, der Mann in der rechten

Bildhälfte, könnte für den Patienten die Idealfigur darstellen, an die er sich im Sinne der

narzisstischen Regulationsmodus angleichen will. Auch könnte man diese Situation im

Sinne eines symbiotischen Selbstschutzes im Rahmen des idealistischen Selbst sehen. Herr

A sucht nach einer Person, die ihn schützen und trösten soll, wenn Enttäuschungen

erwartet werden.

Im ersten Bild des Patienten kommen aber noch weitere Züge des bedrohten Selbst zum

Ausdruck.

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Der Patient schildert, er sei aus dem Zustand absoluter Lebensfreude in tiefe Verzweiflung

und Ohnmacht gefallen. Der schwarz schraffierte Hintergrund in der rechten Bildhälfte

spiegelt dieses wieder.

Im zweiten Bild beherrscht die violette Wolke, vom Patienten die Kontrollinstanz genannt,

das Geschehen. Hier werden die Negativaspekte des ersten Bildes noch einmal

verdeutlicht. Sie blockiert den Gefühlsüberschwang, das Ausbrechen, des Patienten.

Herr A möchte sich gern in der hellorangenen, energiegeladenen Farbfläche verlieren. Man

könnte hier sogar eine gewisse Sehnsucht nach Verschmelzung mit dem archaischen

Element des Feuers sehen. In sofern würde auch das zweite Bild Merkmale des bedrohten

Selbst widerspiegeln.

Im dritten Bild erinnern die zwei grünen Farbflächen an zwei Personen. Genauer betrachtet

kann man eine gewisse Ähnlichkeit mit der Szene des „Getragenwerdens“ erkennen. Es

könnte so ein Symbol der Sehnsucht nach symbiotischem Selbstschutz darstellen

In der Anamnese gibt Herr A an, in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung

wegen seiner Kopfschmerzen zu sein. Es ist denkbar, dass deshalb vermehrt

Regulationselemente des bedrohten Selbst in seiner Anamnese und seinen

Verhaltensweisen während der Sitzungen zu finden sind. Möglicherweise ist in dieser

Therapie schon die erste Mauer, die der Patient im Laufe seiner psychosomatischen

Krankheitsgeschichte um sich herum errichtet hat, brüchig geworden und der Patient

allmählich in der Lage, den Mechanismus seiner Krankheitsentstehung zu durchdringen. In

seinen Bildern verdeutlicht sich diese Problematik dann sehr eindrucksvoll.

4.1.2 Patient B

Bei Herrn B finden sich in der Anamnese ausgeprägte Züge des klassisch narzisstischen

Selbst. Die Erkrankung brach in einer Zeit aus, in der der Patient in seiner Arbeitsstelle

sehr viele Überstunden machen musste, um den bevorstehenden Urlaub auszugleichen.

In der Schilderung seiner Familienstruktur wird deutlich, dass die Primärfamilie des Herrn

B durch sehr dominante Frauen bestimmt wurde, die Mutter und die Großmutter

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väterlicherseits. Vater und Großvater, die als eigentliche Bezugspersonen genannt wurden

traten in den Hintergrund und starben früh.

Nach dem Tod seiner Frau begab sich der Patient in enge Beziehung zu seinen ebenfalls

dominanten Schwiegereltern, indem er bei ihnen einzog.

Durch seinen Auszug und die Übersiedelung nach Deutschland wird der Beginn einer

Entwicklung hin zum idealistischen Selbst deutlich. Er begann größten Wert auf

Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu legen. In seiner Schilderung seiner

Arbeitssituation und der Verneinung des beruflichen Stresses („es ist nicht anders, als in

anderen Familien auch“) wird sein Autarkieideal besonders deutlich. Auch betont er, er

könne Arbeit schlecht delegieren und habe einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst,

was wiederum noch Züge des narzisstischen Regulationsmodus erkennen lässt.. Andere

Personen, wie seine Lebensgefährtin, beschreibt er als ihm unterlegen, was ihn dagegen zu

einer Art Größenselbst im Sinne des narzisstischen Selbst emporhebt. Sie nimmt keine

besondere Rolle in seinem Leben ein und im Sinne der Objektabwertung des idealistischen

Regulationsmodus ist eine potentielle Enttäuschung durch das eigentliche Liebesobjekt

vorausgenommen: Durch ihre räumliche Trennung, die der Patient eigentlich auch nicht

aufheben will, versucht er diese drohende Enttäuschung zu verhindern. Während des

Gesprächs in der ersten Sitzung versucht Herr B einen möglichst guten und

selbstbewussten Eindruck zu hinterlassen. Er wirkt souverän und über jede Schwierigkeit

erhaben. Ständig sucht er Bestätigung durch sein Gegenüber und kokettiert mit seiner

Männlichkeit.

Bei der Betrachtung des Bildes das Herr B malt, die letzte Stunde im Leben seiner Frau,

beziehungsweise sein Versagen, indem er sie in dieser Stunde allein gelassen hat, fällt vor

allem die Kargheit in der Darstellung auf. Das Lager des Patienten in der Mitte des

Raumes wirkt wie ein Sarg, die darin liegende Person, Herr B selbst, wie ein Skelett. Nicht

seine Frau, sondern er, scheint vor langer Zeit gestorben zu sein. Der Patient versucht in

seinem Autarkieideal den Tod seiner Frau und vor allem die Schuld daran auf sich zu laden

und sie auch mit niemanden zu teilen. Die Aufforderung seine Familie und seine Eltern in

Beziehung zu dem Bild zu bringen verneint er mit den Worten, sie und die Kinder hätten

keinen Kontakt mehr zu seiner kranken Frau gehabt. Die Kargheit mit der er den Raum

darstellt erinnert an eine Gefängniszelle. Das und die ausgemergelte Person mit der er sich

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selbst ins Bild bringt unterstreichen die Schuldproblematik, die den Patienten bis heute

nicht losgelassen hat. Ganz alleine versucht er in seiner Gefängniszelle die Schuld zu

tragen, von der er glaubt, sie durch seine Kontrollaufgabe, das Einschlafen zur

Todesstunde, auf sich geladen zu haben. In der kargen Darstellung und im Bild des „Sargs“

in der Mitte zeigen sich Elemente des bedrohten Selbst: Herr B ist mutlos, sein Selbst ist

schon durch die Schuld gestorben, farblos und leer.

Der Blumenstrauß in der hinteren Bildmitte, der vor der dunkelbraunen Farbsäule steht,

könnte als Ressource für den Patienten gesehen werden. Ebenso deuten die Vögel, die sich

als einziges bewegtes Element in dem sonst starren Bild mit der Farbe Blau aus dem

Rot/Braun abheben, einen Weg aus dem „Schuldgefängnis“ an.

Sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, die Krankheit seiner Frau und deren Tod allein

tragen zu wollen, hilft Herrn B in seinem Leben mit seinen depressiven Elementen fertig

zu werden. Er reguliert sein Selbst mit den Regulationsmodi des idealistischen Selbst und

auch des narzisstischen Selbst. Auch kommen in den Bildern Elemente vor (Sarg), die

einen Hinweis darauf geben, dass eine Bedrohung des Selbst verspürt wird.(s.o.) Durch

Konzentration auf seine eigene Person versucht er Liebesverlust (in Hinblick auf die

Beziehung zu seiner jetzigen Lebensgefährtin), soziale Zensur und Ablehnung zu

vermeiden (19).

Durch seine überwiegend idealistische Regulationsweise könnte eine Therapie sich bei ihm

sehr schwierig gestalten. Bei einem erneuten Treffen zwei Jahre später hatte sich an seiner

psychischen Lebenssituation nichts wesentlich verändert. Der Visus ist nur geringfügig

angestiegen und er habe wohl bereits mehrere Rezidive der RCS durchgemacht.

4.1.3 Patient C

Die Erkrankung an RCS tritt bei Herrn C in Zusammenhang mit einer Krise in der

Beziehung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin auf. Begleitend dazu gesellt sich erhöhte

berufliche Anforderung durch Mitarbeiterkürzungen.

In der Anamnese des Patienten C findet man wiederum viele Charakteristika des

narzisstischen und idealistischen Selbst: Er wächst in einer Familie mit hohem

Leistungsanspruch auf. Besonders der Vater wird als streng und sehr korrekt beschrieben.

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Herr C hat ebenfalls einen sehr hohen Anspruch an sich selbst was seine Leistungen im

beruflichen Bereich betrifft. Alles muss perfekt sein sonst sei er nicht mit sich zufrieden.

Wenn er nicht alle Arbeit in der zu Verfügung stehenden Zeit erledigen könne, belaste dies

ihn sehr.

Auch versucht er seinem Autarkieideal gerecht zu werden, indem alles mit sich allein

auszumachen suche. Er behauptet von sich auch, sich schlecht öffnen zu können und

besonders keinen Ärger nach außen gelangen zu lassen.

Nach außen hin wirkt Herr C sehr selbstsicher und mitteilsam.

Im Bild des Patienten C ist es schwierig, Parallelen zu seinem idealistischen Selbst zu

finden, das er für sich nach außen aufrechterhalten will. Das Bild selbst wirkt recht leblos

und karg.

Es ist in zwei Hälften geteilt, wie momentan auch die Pläne des Herrn C keine einheitliche

Lösung finden. Der Patient ist in seiner derzeitigen Problematik, der Entscheidung

zwischen einem Leben als Bistrobesitzer in Griechenland, seinem Jugendtraum und seinem

geregelten Leben in Deutschland mit seiner Lebensgefährtin hin- und hergerissen. Er weiß

nicht ob er alles aufgeben, denn derzeit möchte ihn ja seine Freundin nicht begleiten, oder

sich in Deutschland mit einer für ihn nicht ganz erfüllenden Situation arrangieren soll.

Diese Spaltung spiegelt sich so auch in den durch den gelben Streifen getrennten

Bildhälften wieder.

Es fällt auch auf, dass beide Bildhälften völlig vereinsamt sind, ohne die mit ihnen

verwobenen Menschen. Hier zeigen sich in der Leere des Bildes Aspekte des bedrohten

Selbst.

Es gibt auch keine festen Strukturen im Bild. Das Wasser auf der rechten Seite fließt durch

den Schiffsrumpf hindurch und auch der Steg scheint in der Luft zu hängen. Diese

Phantasien der Durchlässigkeit könnten als Symbol für die Vereinigung mit den Elementen

einen Hinweis auf bedrohtes Selbst darstellen. Das Haus auf der linken Seite wirkt, als

könne der Wind durch es hindurch wehen. Die Einteilung in Innen- und Außenraum ist

nicht einheitlich gelöst. Der obere Hausteil ist von außen gezeichnet und unten bietet sich

dem Betrachter ein leerer Raum. Das Ich des Patienten scheint in keiner der beiden Hälften

momentan einen Platz zu finden.

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Im Dialog mit den ins Bild gebrachten Spielfiguren ergibt sich ein Bezug zur derzeitigen

persönlichen Problematik des Patienten. Am Ende bleibt jedoch Herr C mit seinen Plänen

alleine. Die Freundin möchte sich nicht für seinen Traum entscheiden. Und mit seiner

Freundin würde er auch deren Bruder und dessen Frau verlieren, die ihn bisher unterstützt

hätten. Er wird allein, seinem Autarkieideal folgend seinen Traum verwirklich müssen.

Bei einem erneuten Treffen nach zwei Jahren zeigt sich eine deutliche Änderung im Leben

des Patienten C. Mittlerweile hatte er sich von seiner damaligen Lebensgefährtin getrennt

und arbeitet nun allein an der Verwirklichung seines Bistros in Griechenland. Es gelang

ihm letztendlich doch seine Ziele zu verfolgen.

4.1.4 Patient D

Der Patient leidet an verschiedensten psychosomatischen Störungen, wie

Schweißausbrüche oder Schlafstörungen . Die RCS brach im Laufe einer beruflichen

Veränderung aus. Nachdem einem Kollegen gekündigt worden sei würde er in letzter Zeit

immer wieder Mobbingopfer, als einziger Mann im Kollegium. Er hat das Gefühl ständig

unter Druck zu stehen und dieser Druck „bringe auch seine Netzhautgefäße zum platzen“.

In der Anamnese erhält man den Eindruck Herr D sei vor allem durch Charakteristika des

idealistischen und narzisstischen Selbst geprägt:

Schon die Primärfamilie des Herrn D wird durch stark ausgeprägtes Leistungsdenken

bestimmt.

Der Vater sei aber mit sich, in den verschiedenen Berufen die er immer wieder gewechselt

hatte da er unzufrieden war, nie richtig zufrieden gewesen. Er wollte immer Höheres

erreichen.

Auch in den Schilderungen des Patienten lässt sich eine starke Unzufriedenheit mit dem

Leben erkennen, die allerdings in gewissem Sinne anders geartet ist. Bei der Geburt seines

ersten Sohnes fühlte er sich nicht fähig eine Bindung mit der Mutter einzugehen und

trennte sich von ihr. Bei der Geburt seines zweiten ungewollten Kindes muss er sich

zwischen zwei Frauen entscheiden. Nach der Entscheidung für die Mutter des Kindes ist er

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aber auch in dieser Situation unzufrieden. Hier zeigen sich erstmals Merkmale des

bedrohten Selbst.

Herr D fühlt sich überfordert und fällt in eine tiefe Depression. Er fühlt sich nicht fähig

eine Bindung einzugehen. Man könnte hierin Zeichen eines Kleinheitsselbst erkennen.

Herr D fühlt sich unwert und der Situation nicht gewachsen. Auch in seiner beruflichen

Karriere hat Herr D immer das Gefühl, das gerade zu machen, was er nicht gut könne.

Diese Äußerungen sprechen andererseits auch für eine stark ausgeprägte Sehnsucht nach

Perfektion. Nie kann ihm die gerade bestehende Situation entsprechen. Beziehungen mit

anderen Menschen möchte Herr D wohl eher nicht eingehen, möglicherweise aus Angst,

die hohen Erwartungen nicht erfüllt zu sehen. Auch die Beziehung, die er zum jetzigen

Zeitpunkt hat, ist nicht „seine große Liebe“. Im gleichen Satz erwähnt er aber auch dass

ihn die Beziehungen, die er vorher hatte, und die er als rauschhaft schildert ,auch nicht

erfüllt hätten. Hier erkennt man die Objektabwertung als Ausdruck der Enttäuschung vom

Objekt, bezeichnend für das idealistische Selbst.

Betrachtet man das Bild als Außenstehender fällt einem der zentrale Strudel auf in den sich

der Patient im Rahmen der Intervention hineinstellt. Hier zeigen sich zuerst noch einmal

Charakteristika des bedrohten Selbst: Es ist ein Strudel aus negativen Energien. Der Patient

gibt ihm den Namen Trauer und Angst. Sein durch seine momentane Lebenssituation,

sowohl privat in der Beziehung zu seiner Freundin, als auch beruflich gekränktes Selbst

mobilisiert Wut und Racheimpulse, um sich wieder aus diesem Strudel befreien zu können.

Damit geht ein Gefühl der Vitalisierung einher und das Selbst fühlt sich weniger

ohnmächtig und bedroht. Als Kontrolle seines Affekts malt der Patient einen braunen und

schwarzen Farbblock um den Strudel. Die Mitte des Strudels bleibt leer. In dieser

Einsamkeit und Ohnmacht sieht sich Herr D selbst, der Wunsch nach Befreiung scheint

unerfüllbar. Die Bekannte, die er zu sich in den Strudel holt, kann die Situation aushalten

ihm aber nicht helfen. Sie steht ebenfalls mitten in der Einsamkeit des Käfigs. Helfen kann

Herr D sich nur selbst und als idealen Teil seines Selbst oder auch als Größenselbst malt er

das Bild eines Elefanten in die linke obere Ecke des Bildes. Der Elefant, allenfalls noch

sein dreijähriger Sohn, wäre er älter, könnten ihm die Kraft geben die er bräuchte. (6)

Gleichzeitig zweifelt er aber auch an der Hilfe die durch den Elefanten möglich wäre: Der

Elefant ist zum Gehen gewendet, er scheint bereits davonzuschweben bevor Herr D bei

ihm Schutz suchen kann, sich seinem Größenideal nähern kann. Seine Freundin wertet

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Herr D eher ab. Er könne sie nicht so lieben wie sie es erwartet. Damit bedeutet sie im

Sinne des idealistischen Selbst eine Art Bedrohung für ihn und er möchte sie lieber nicht in

sein Bild bringen.

Im Zusammenhang mit der Erkrankung an RCS könnte man den Strudel auch als Auge

sehen. Das Auge des Patienten ist durch Wut und Trauer bedroht. Es ist ihm unmöglich

damit richtig zu sehen.

4.1.5 Patientin E

Die Patientin hat bereits mehrere Schübe der RCS erlitten. Alle seien im Rahmen von

depressiven Phasen aufgetreten. Der jetzige trat im Zusammenhang mit einer Krise, die sie

in der Beziehung zu ihrem kranken Mann durchlebt, auf.

In der Anamnese der Patientin findet man vor allem Hinweise auf narzisstische Selbstwert-

Regulationsmodi.

Frau E, die von sich sagt, sie habe ein schlecht entwickeltes Selbstbewusstsein wirkt in

ihrem Handeln und ihrer Haltung ihrer Familie gegenüber wohlüberlegt und stark. Auf die

Frage nach der Erfüllung ihrer eigenen Wünsche wehrt sie anfänglich ab und sagt von sich,

sie sei ein Opfertier. Für ihren Mann möchte sie stark sein und zum Wohl der Familie die

Harmonie aufrechterhalten. Aus der Anerkennung, die sie sich so durch ihre Umwelt

erhofft schöpft sie ihre Kraft. Sie sagt von sich sie möchte allen gefallen und habe große

Angst vor Missachtung.

Frau E ist abhängig von Lob und Bestätigung im privaten Bereich, sie giert geradezu nach

Anerkennung. Diese narzisstische Stabilisierung durch Anerkennung wird hier besonders

deutlich.

Erhält sie diese Anerkennung nicht, sie schildert ihren Mann als undankbar und ewig

nörglerisch, fällt sie in Depression und ist der Situation hilflos ausgeliefert.

Als Thema für ihr Bild wählt die Patientin den Tag vor der Nierentransplantation ihres

Mannes. Er liegt in freudiger Erwartung im Krankenhausbett und streckt die Hände nach

der neuen Niere aus.

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Frau E´ s Mann braucht Hilfe. Er ist in einer Abhängigkeitssituation, so wird er auch

dargestellt. Die Patientin hat den Wunsch andere Menschen zu versorgen. Sie scheint sich

so besser definieren zu können. Ihr Leben erhält durch die Sorge für andere einen Sinn.

Ihr Ehemann wird in der Phase des Bedürftigseins farbig dargestellt. Er strahlt, er lebt und

empfängt die Niere wie ein Baby das Fläschchen.

Nach der Transplantation ändert sich die Situation. Die versorgende Beziehung zwischen

Patientin E und ihrem Ehemann bricht ab. Er wird wieder selbständiger, lehnt nun Hilfe ab

und wird als „nörglerisch“ beschrieben. Die Patientin kann sich nun nicht mehr so gut

durch ihren Mann definieren und die Möglichkeit ihrer narzisstischen Stabilisierung wird

geringer.

Für die Patientin ist diese Situation unbefriedigend. Sie kann eine Beziehung nur auf der

Ebene des Helfens und Umsorgens leben. In der Rolle der Mutter mit ihrem Kind

(Ehemann) fühlt sie sich wohl.

Im zweiten Bild wird der Mann schwarz, karg und ablehnend dargestellt. Er strahlt nicht

mehr. Er ist nun nicht mehr abhängig und kann nicht mehr so gut umsorgt werden.

Frau E hat sich in ihrer jetzigen Situation in das Bild ihres Mannes projiziert. Ihr Mann

lebt durch seine neue Niere wieder, er ist nicht mehr leblos und bedürftig sondern

selbständig, denn es wurde ihm mit der Niere neues Leben geschenkt. So entspricht das

zweite Bild nicht der Realität, sondern der Phantasie der Patientin und so in gewissem

Sinne einem Bild von sich selbst. Sie selbst fühlt sich ausgetrocknet, da ihr die

Bestätigung, die sie vor der Transplantation erhalten hatte zum leben fehlt. Hier könnte

man auch Zeichen eines ohnmächtigen Selbst im Sinne des Regulationsmodus des

bedrohten Selbst sehen.

Betrachtet man sie vor der Transplantation durch das Bild ihres Mannes ist sie farbig und

ausgefüllt.

In ihrer Beziehung zu ihrem Ehemann gibt es momentan aus der Sicht der Patientin keine

Reifemöglichkeit, da ihre Beziehung mit dem Ende der Abhängigkeit auch zum Ende

kommt. Sie hat jetzt große Trennungsangst. Da der Ehemann sie nicht mehr braucht,

könnte er sich ja auch von ihr trennen.

Um dieser Möglichkeit zu entgehen wünscht sie sich den Zustand vor der Transplantation

zurück.

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Die Person der Schwester der Patientin, die sie in der Arbeit mit dem Bild als Spielfigur

neben die missmutige, karg dargestellte Person ihres Ehemannes stellt, lässt in der

Interventionsphase wiederum narzisstische Regulationsmodi deutlich werden.

Sie wird zum idealen Selbstobjekt für Frau E. Auf einen spielerischen Rollentausch geht

Frau E sofort freudig ein. Ihre Schwester sei das Gegenteil von ihr, sie könne sich

behaupten, sei selbständig und würde dem Mann Kontra geben können.

Doch für ihre Mutter, schwer an Rheuma erkrankt, müsse sie in ihrer Helferrolle bleiben,

da sich diese nie an der Seite ihrer Schwester wohlgefühlt hätte.

4.1.6 Patient F:

Die Erkrankung an RCS sei bei Herrn F im Rahmen einer destabilisierenden Situation an

seiner Arbeitsstelle aufgetreten. Er fühlt sich hilflos den Schuldzuweisungen seines Chefs

ausgeliefert.

Diese Hilflosigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch seine Anamnese.

In seiner Familie, die in großem Maße durch Leistungsdenken geprägt wurde, fühlte er

sich nie richtig angenommen. Herr F hatte immer das Gefühl ihren Anforderungen nie

genügen zu können.

In seinen Beziehungen zu Frauen suche er sich nur starke Persönlichkeiten aus. Bei Ihnen

könne er besser in der Rolle des Hilflosen bleiben, in die er sich immer wieder gerne

einfindet.

Herr F zeichnet zwei Bilder, beide mit schwarzem Buntstift, wie Postkarten im schwarzen

Rahmen. Das erste Bild spiegelt wieder deutlich seine Rolle des Hilflosen, Ausgelieferten.

Er ist Kind. Aus dieser Rolle möchte er sich nie herausbegeben. Verzweifelt sucht er nach

einer Person der er vertrauen kann, der er sich in symbiotischem Selbstschutz anvertrauen

kann.

Seine Großmutter sollte die Rolle der Beschützerin und Trösterin annehmen. Doch dieses

Bild war ihm durch die Erzählung, seine Großmutter habe seine Mutter mit dem Messer

bedroht, zerstört worden. Die erste Zeichnung des Patienten bietet ein Bild dieser

Zerstörung.

Mutter und Kind liegen wie tot vor den Scherben des Spiegels in den die Mutter angeblich

gefallen war. Durch die Erzählungen der Familie war dem Kind der einzige Halt in seinem

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Leben, die Vertrauensperson, seine Großmutter, genommen worden. Es fühlt sich bedroht

durch seine Umwelt, es ist in seinem Innersten zutiefst erschüttert worden. Die

Mutlosigkeit, Leere und Gelähmtheit, die zurückbleiben, sind Charakteristika des

ohnmächtigen Selbst.

Der Patient, damals fünf Jahre alt, fühlt sich ausgeliefert. Die Regulationsmodi des

bedrohten Selbst werden hier in seinem ersten Bild sehr deutlich. Die starke Labilität

seines Ich-Systems spiegelt sich auch im Erstgespräch und in der Arbeit mit den Bildern

wieder.

Er hat den Sprung aus der Abhängigkeit und der Opferrolle nie gewagt und wirkt immer

noch wie ein Kind. Das traumatisierende Erlebnis von 1948/49 hat er noch nicht

verarbeitet. Die Mutter, heute achtzig Jahre alt kann ihm keine Antwort mehr auf seine

Fragen geben. So ist die Rollenverteilung von damals immer noch nicht geklärt.

Der Patient ist immer noch auf der Suche nach der Person seiner Großmutter, seinem

symbiotischen Idealbild, mit dem er verschmelzen will.

In seiner ersten Freundin glaubt er sie für kurze Zeit gefunden zu haben. Freunde hätten die

beiden wie siamesische Zwillinge beschrieben. Im Gespräch zeichnet er von ihr ein

absolutes Idealbild. Nur zu ihr habe er bisher genügend Vertrauen gehabt, sich zu öffnen.

Nachdem ihr Tod dieses Verschmelzungsideal für ihm zerstört hatte, war er wieder in

seiner Rolle des suchenden Kindes gefangen. Das Tor zu dem Weg aus der Bedrohung in

seiner Kindheit war erneut zugefallen.

Die zweite Zeichnung, die Herr F malt, ist ebenfalls in schwarz gehalten. In Kontrast zu

der Szene der Hilflosigkeit und Beklemmung im ersten Bild, stellt sie ein durchweg

positives Ereignis dar. Herr F sieht sich mit seiner ersten Freundin vor einer großen

Menschenmenge. Sie machten Musik und wurden bejubelt. Hier finden sich wieder klare

Elemente des narzisstischen Selbst: Im Beifallssturm fühlt sich der nach Anerkennung und

Lob verlangende Patient wohl. Er kann hier seine Schwächen überdecken. Bei Herrn F

findet man auch in dem Bild, das er von seiner Freundin, die die Rolle seiner Großmutter

eingenommen haben könnte, sehr starke narzisstische Züge. Sie ist in ihrer Stärke

idealisiert, Herr F kann in seiner Hilflosigkeit an ihrem Glanz teilhaben und seine

Schwäche kommt für ihn nicht mehr zum Tragen. (Sehnsucht nach idealem Selbstobjekt).

Zusätzlich erhält er durch sein redupliziertes Ich in Gestalt der Freundin Stärke und Schutz,

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was die Sehnsucht nach symbiotischem Selbstschutz im Sinne des idealistischen Selbst

verkörpert.

Beide Zeichnungen sind von schwarzen Rahmen umgeben und befinden sich wie Fotos auf

dem weißen Zeichenpapier. Diese Begrenzungen, so hart und schwarz, könnten die

Aufgabe haben, den Affektkontrollverlust, den er durch seine Aggression während des

Malens befürchtet, so vielleicht unbewusst zu verhindern.

Gleichzeitig engen sie den Patienten auch ein und könnten ein Sinnbild für sein

Gefangensein in der Rolle seiner Kindheit wiederspiegeln. Das bedrohte Selbst ist trotz des

positiven Inhalts des zweiten Bildes bestimmend für die zeichnerische Ausdruckweise des

Patienten.

4.1.7 Patient G

Die, die RCS-Erkrankung auslösende Situation, ist die Beendigung seiner dreijährigen

Beziehung durch seine Freundin.

Er fühlt sich in dieser Situation hilflos und ausgeliefert. Auch bei Herrn G zieht sich diese

immer erlebte Hilflosigkeit durch seine Anamnese. Er habe sich oft in seinem Leben in

Abhängigkeitspositionen befunden. Zum Beispiel warte er auch jetzt noch auf ein

Lebenszeichen von seiner Freundin, obwohl es ihm aussichtslos erscheint.

Im Allgemeinen wirkt der Patient im Gespräch sehr zurückhaltend und kontrolliert.

Letztendlich sagt er von sich, möchte er nach der Trennung lieber für sich allein bleiben.

Die Trennung sei für beide am besten gewesen, da die Beziehung ohnehin keine Chance

gehabt hätte. Bei dieser Aussage werden Regulationsmodi nach dem Autarkieideal

angestrebt: Ihm ist die Abhängigkeit von seiner Freundin aber noch bewusst.

Um nicht verletzt zu werden, werden Abhängigkeitsgefühle abgewehrt. Obwohl der starke

Wunsch besteht weiter Kontakt zu seiner Exfreundin zu haben oder sogar wieder eine

Beziehung zu beginnen, wird diesem nicht nachgegangen aus Angst, wieder durch das

unzuverlässige Objekt destabilisiert zu werden. Herr G gibt auch sein sicheres Leben in

Deutschland nicht für sie auf.

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In dem Bild das Herr G sehr ausdrucksvoll mit Kreiden gestaltet, kommt dieses Thema

erneut zum Tragen.

Das Bild schildert symbolisch die Haltung des Patienten, die er während der kurzen

gemeinsamen Wegstrecke, die er mit seiner Freundin geht, einnimmt.

In der Art, in der Herr G von der Beziehung zu seiner Freundin spricht, spürt man ihre

scheinbar vorbestimmte Endlichkeit. Die Chance, die die beiden auf ihrem gemeinsamen

Stück Weg gehabt hätten, konnte gar nicht genutzt werden. In der Arbeit mit den

Spielfiguren benutzt Herr G seine Eltern als Sprachrohr seiner eigenen Zweifel, seiner

Angst sich sonst auf etwas unsicheres, das ihn vielleicht auch enttäuschen könnte,

einzulassen. Das Objekt „Beziehung“ wird als schlecht und unwert hingestellt. Dies ist

Ausdruck einer Enttäuschung durch das Objekt. Eigentlich wird es als Liebesobjekt erlebt,

die potentielle Enttäuschung wird aber vorweggenommen und es unwert

gemacht.(Idealistisches Selbst)

Beim intensiveren Betrachten der Bilder wird klar, dass die Grundproblematik das

Patienten sich nicht auf die Trennung von seiner Freundin beschränkt. Die alles

überwachenden Sanduhren und die schwarze Wolke legen nahe, dass sich der Patient aus

seiner Sicht in einer machtlosen Situation befindet. Hier wird zum ersten Mal der Modus

des bedrohten Selbst sehr deutlich und durch das Symbol der Sanduhren auch

bildbeherrschend. Die Sanduhren steuern das ganze Bild, sie lassen ihm keine Möglichkeit

sich zu entfalten. Patient G stellt seine Lebensziele, die er versucht aufrechtzuerhalten, in

Frage:

Die schwarzen Fragezeichen scheinen nicht nur die Beziehung zu seiner damaligen

Freundin zu betreffen, sondern auch sein Selbstverständnis. Die Wolke, die den letzten

Abschnitt des gemeinsamen Lebenswegs überschatte, wirkt sehr bedrohlich. Der Patient ist

letztendlich froh ihr entronnen zu sein, als er sich allein auf den oberen Teil des Weges

begibt.

Man könnte diese Situation auch von einem sehr viel allgemeineren Blickwinkel

betrachten.

Diese Beziehung, vielmehr Beziehungen allgemein, stoßen Herrn G auf Probleme, die er

nicht anschauen, vor denen er davonlaufen möchte. Vielleicht hatte er sich auch deshalb

eine solche Beziehung auf Abstand gesucht? Man könnte auch in der Wolke einen Kopf

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erkennen, der versucht den Patienten einzusaugen. Die Wolke scheint schneller als der

Patient zu sein. Es ist schwierig und vielleicht letztendlich auch unmöglich vor ihr

davonzulaufen. Dieser Patient ist nicht leicht in Bezug auf die Regulationsmodi

einzuordnen, da ihm diese Kompromissbildungen noch nicht gänzlich gelungen sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Bild vor allem Merkmale des bedrohten Selbst

deutlich werden: Die Fragezeichen, die Sanduhren und die schwarze Wolke überschatten

seinen Lebensweg und stellen jede Entscheidung in Frage. Es entsteht ein Gefühl der

Mutlosigkeit und der Leere. Egal was der Patient auch unternimmt, für ihn scheint das

Unheil vorherbestimmt. (15) Sein wahres Selbst arbeitet also eher nach dem Muster des

bedrohten Selbst.

Sein versuchtes Autarkieideal scheint bisher eher von den Eltern vorgegeben. Er ist sehr

labil, viele Mechanismen sind ihm allerdings bewusst bzw. teilbewusst. Von daher ist er ist

kein klassischer psychosomatischer Patient. Er dürfte wohl eher in die Gruppe der

Neurotiker einzuordnen sein. (3) Auf Grund der großen Bewusstheit seiner Impulse des

bedrohten Selbst könnte sich eine Psychotherapie bei ihm als sehr sinnvoll erweisen.

4.1.8 Patient H

Bei Herrn H war die auslösende Situation für die Erkrankung an RCS wohl sein sich

zuspitzender, sehr aggressiv getönter Konflikt mit seiner Vermieterin.

Das Elternhaus des Herrn H ist, wie bei einigen bereits beschriebenen Patienten,

leistungsorientiert. Patient H sagt allerdings von sich er habe sich eine lockerere Haltung,

zum Schutz gegen die Leistungsanforderungen seiner Eltern angewöhnt.

Bald darauf widerspricht er sich allerdings und bezeichnet sich als „Macher“, der schlecht

delegieren könne und am liebsten alles selbst erledige

Die Wünsche seiner Kunden stelle er über seine eigene Leistungsfähigkeit, so kann er sich

oft schlecht abgrenzen und arbeitet mehr als er eigentlich leisten kann. Diese

Regulationsmodi lassen sich dem klassisch narzisstischen Selbst zuordnen.

Im Gespräch gibt sich Herr H betont lässig und legt großen Wert darauf, gut und

kontrolliert zu wirken. Er versucht seine Destabilisierung, die hohen Anforderungen und

besonders die momentane für ihn sehr problematische Nachbarschaftsbeziehung mit seiner

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Vermieterin, narzisstisch zu regulieren, indem er versucht ein Idealbild von sich zu

zeichnen.

Die Aggressionen, die bereits in der ersten Sitzung recht deutlich werden, möchte der

Patient keinesfalls zulassen. Hier zeigen sich auch Zeichen des Autarkie-Ideals: Herr H

betont seine Unabhängigkeit, er könne alles selbst meistern.

Als Herr G in der nächsten Sitzung aufgefordert wird, ein Bild zu malen, ist es

bezeichnenderweise genau dieses glanzvolle Idealbild, das im Erstgespräch bereits

mündlich anklang. Er stellt seinen Lebenstraum, ein eigenes Haus dar, durch das er glaubt

seiner Problematik entfliehen zu können. Das Bild ist friedlich und ruhig, in

wohlüberlegter Weise konstruiert und „brav“.

Die Lebensfreude, die der Patient in seinem Bild darstellen möchte, ist wohl dosiert. Das

Ehepaar im Garten wirkt wie zwei kleine Kinder, die sich fest an den Händen halten.

Die Figur, die den Patienten H darstellen soll, könnte eher ein kleiner Junge in Spielhosen

sein. Er ist klein und kann nichts bewirken. Sein Hals dagegen ist dick und schwarz. Der

Ärger, die Aggression steht ihm bis zum Hals, er ist kurz vor der Explosion.

Als Herrn H angeboten wird, ein weiteres Blatt Papier anzulegen und darauf den Konflikt

in seinem Inneren darzustellen, weist er dies energisch von sich. Es müsse keine negative

Seite geben. Herr H negiert die Aggression in sich selbst. Dennoch scheint er vor Wut zu

platzen. Vielleicht ist es diese Wut, die ihn seine eigentliche Angst, enttäuscht von sich zu

werden und zu versagen, vergessen lässt. Er erlebt sich so im narzisstischen Sinne durch

seine Wut weniger ohnmächtig und versucht so, sein destabilisiertes Selbst zu regulieren.

Die Katze in seiner Zeichnung dagegen ist groß, ruhig und wachsam, so wie er auch gerne

sein möchte. Sie soll sich in dem neuen Haus wohler fühlen. Man könnte sich vielleicht

auch als ideales Selbstobjekt sehen. Herr H möchte an ihrer Stärke und Ruhe teilhaben, um

seine eigenen Defizite auszugleichen. Es scheint, er möchte so wirken, wie er seine Katze

im Bild darstellt.

Er selbst ist in seiner Wut klein geblieben, er ist hilflos. Er kann sich nicht zur Wehr

setzen. Seine innere Halt- und Hilflosigkeit steht in starkem Gegensatz zu seinem Äußeren.

Nach außen hin versucht er stark zu wirken und Überlegenheit auszustrahlen. Seine Wut

darf auf keinen Fall nach außen dringen. In der Arbeit mit dem Bild stellt er auch die

Vermieterin, für ihn Verkörperung des Negativen, außerhalb des Privatraumes dar. Er stellt

ihre Figur hinter die fragilen Mauern des Grundstücks. Mit äußerster Anstrengung hält er

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diese Mauern aufrecht. Um die Ursache seiner Missstände zu erkennen oder auf den

Urgrund seiner Wut zu kommen hat er nur noch wenig Kraft übrig.

Hier lässt sich der Regulationsmodus des bedrohten Selbst nur vermuten. Er lässt sich im

Bild nicht finden. Herr H hat es nach seinem Ideal gestaltet. Der Zugang zu seiner

bedrohten Seite ist offensichtlich noch so angstbesetzt, dass er es auch ablehnt im Bild zu

beschreiben.

4.1.9 Patient I

Bei Herrn I tritt der jetzige, vierte Schub der RCS im Rahmen einer Umstrukturierung am

Arbeitsplatz auf. Durch die neue Situation, die er noch nicht einschätzen kann, fühlt er sich

ausgeliefert.

Auch bei ihm, wie bei einigen Patienten vorher, zieht sich das Gefühl des Ausgeliefertseins

als Ausdruck eines bedrohten Selbst durch seine ganze Lebensgeschichte. Herr I sei in

einer strengen Familie aufgewachsen, der Vater sei sehr dominant gewesen und er und

seine Geschwister hätten viel Angst vor ihm gehabt.

An seine Ehefrau könne er sich gut anlehnen und es scheint er möchte sich durch ihre

Person die Sicherheit schaffen, die er glaubt in seinem eigenen Leben nicht zu haben. Hier

könnte man eine gewisse Sehnsucht nach einem idealen Selbstobjekt erkennen. Herr I

versucht so sein eigenes narzisstisches Defizit auszugleichen. Er sagt von sich auch, er

habe kein gut ausgeprägtes Selbstbewusstsein und er mache sich über alles zu viele

Gedanken. Das Gegenteil findet er bei seiner Frau, die nach seinen eigenen Angaben

wesentlich lebenstüchtiger sei als er.

Auch im Bild, das Herr I malt, zeigt sich die zuvor beschriebene Hilflosigkeit. Er zeichnet

eine Szene, bei der er als Fußballspieler durch ein Foul sehr schwer verletzt wurde. Patient

I liegt hilflos am Boden. Bei der Betrachtung des Bildes fällt die, von dem Patienten als

zentrale Problematik geschilderte, Situation des Ausgeliefertseins besonders ins Blickfeld.

Herr I, im Bildvordergrund mit verletztem Bein dargestellt, ist größer und kräftiger

gezeichnet, als seine Gegner. Er konnte sich trotzdem nicht zur Wehr setzen, zumal auch

seine Gegner mit eigenartig gezeichneten Armen eher bewegungsunfähig als bedrohlich

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wirken. Diese Handlungsunfähigkeit, die sich durch seine ganze Geschichte zieht, lässt ihn

wie ein kleines Kind wirken, das sich selbst immer zurücknimmt um allen zu genügen.

Hier findet sich so, auch wie bei einigen im vorangegangenen beschriebenen Patienten, die

narzisstische Stabilisierung durch soziale Bestätigung.

In der Arbeit mit dem Bild zeigt sich ebenfalls das Thema der Hilflosigkeit und das Thema

des idealen Selbstobjekts.

Sich selbst stellt er als Spielfigur direkt neben den Kopf des verletzten Spielers. Dies solle

das ständige Nachgrübeln verdeutlichen.

Seine Kinder und vor allem seine Frau stellt er ganz dicht neben sich. Er möchte sich

beschützt fühlen und sich anlehnen.

Bei diesem Patienten ist durchaus auch das bedrohte Selbst spürbar, welches er nicht gut

durch narzisstische Regulationsmodi ausgleichen kann. Das Thema der Hilflosigkeit, des

Ausgeliefertseins ist, wie schon bei einigen schon beschriebenen Patienten, für das

bedrohte Selbst sehr charakteristisch. Der Patient fühlt sich ohnmächtig und das stellt er

auch in der Figur des am Boden liegenden Spielers dar.

4.1.10 Patientin J

Die RCS-Erkrankung bricht bei Frau J aus, als ihr zehnjähriger Hund stirbt.

Der Hund stellt für sie ein Bindeglied mit der Zeit der Scheidung von ihrem Mann dar. Sie

fühlt sich durch seinen Tod wieder an die damalige Situation erinnert und ihre zentrale

Problematik, wird deutlich: Der Hund bot Schutz vor dem als starke Bedrohung

empfundenen Mann. Ihre in ihrer Anamnese immer wiederkehrende Betonung des

Ausgeliefertseins legt schon hier Aspekte des bedrohten Selbst nahe.

Patientin J hat in ihrem Leben oft das Gefühl durch Kontrollverlust destabilisiert zu

werden, sie fühlt sich dann hilflos und ausgeliefert.

Deshalb ist Frau J in ihrem jetzigen Leben sehr bestrebt, sich ein Umfeld zu schaffen in

dem sie Halt findet. In ihrer Familienanamnese zeichnet sich eine sehr instabile

Familiensituation ab.

Die Mutter sei sehr dominant gewesen, die Eltern hätten sich nie gut verstanden und die

Mutter habe ein außereheliches Verhältnis gehabt.

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In ihrer Sekundärfamilie wiederholt sich dies nun. Ihr Ehemann und vor allem dessen

Eltern sind sehr dominant und versuchen sie auf Schritt und Tritt zu kontrollieren.

Nachdem er eine Freundin neben ihr hatte destabilisiert sich die Situation noch mehr. Da

Frau J ihr eigenes Leben für ihren Mann aufgegeben und mit ihm in Amerika eine neue

Existenz aufgebaut hatte, konnte sie durch die Scheidung vollends entwurzelt werden.

Sie war gezwungen sich in Deutschland mit ihren beiden Söhnen ein völlig neues Leben

aufzubauen.

Von nun an versucht sie ihr destabilisiertes Selbst durch Leistungsorientiertheit wieder zu

stabilisieren. Ihr Begabtenabitur und die jetzige Dreifachbelastung durch

Psychologiestudium, Beruf als selbständige Krankengymnastin mit Hausbesuchen und

eigener Praxis und ihre Familie sprechen für sich.

In harter Arbeit baut sie sich ein neues Leben im Sinne des Autarkieideals auf.

Abhängigkeitsgefühle werden abgewehrt, und konsequent eigene Ziele verfolgt. Dennoch

fällt sie manchmal in ihr altes Muster, das für andere Aufopfern, zurück. Hier kommen

dann wieder narzisstische Kompensationselemente zu Ausdruck. Auch durch soziale

Bestätigung sucht sie Anerkennung, so wie sie es immer in ihrem alten Leben in Amerika,

in der Beziehung zu ihrem Ehemann und vor allem dessen Eltern, getan hatte.

In ihrem Bild, das die Patientin sehr präzise und mit Begeisterung, malt, kommt vor allem

ihr idealistisches Selbst zum Tragen.

Frau J setzt sich auf ihrem Bild sehr in den Vordergrund. Sie zeichnet sich mit großer

Liebe zum Detail. Die anderen Personen sind dagegen als schwarze Strichmännchen

dargestellt.

Sie symbolisiert so die gewünschte Distanz, die sie zu anderen, zum Leben in Amerika

haben möchte. Sie wirkt sehr stark in ihrer Position unter dem Baum, der sie mit seinen

Ästen und dem dicken Stamm beschützt. Der Baum könnte vielleicht als Symbol für einen

symbiotischen Selbstschutz stehen, wie er im Rahmen des idealistischen

Kompensationsmodus auftritt. Frau J hat dort auf ihrem Aussichtsplatz den Wunsch mit

dem Baum eins zu werden, er soll sie vor den erwarteten Demütigungen und den

Bedrohungen durch ihren Mann schützen.

Auf ihrem Lieblingsplatz sitzend, soll für sie nur ihre Person alleine wichtig sein. Bezogen

auf ihr jetziges Leben könnte man hier Parallelen zu ihrem Psychologiestudium sehen. Sie

möchte das Wesen des Menschen, besonders sich selbst noch näher erkunden.

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Die Schiffe sind wie die Strichmännchen schwarz gezeichnet und wirken wie seelenlos.

Die Figur der Patientin, die stark mit der Farbigkeit des Bildes in Verbindung steht,

besonders mit dem gelben Lichtreflex auf dem Meer, dominiert die schwarzen

ameisengleichen Figuren, die so gar nicht in die Farbigkeit des Bildes passen. Sie genügt

sich selbst. Sie lebt ihr Autarkieideal, ihr Partner ist nur der Sonnenreflex. Um sich noch

mehr abzugrenzen schafft sich Frau J den Hund an. Er soll ihr ihren Mann vom Leibe

halten, aber er stellt auch das Symbol für die Abwehr der Impulse des bedrohten Selbst

dar. Zu dem Hund entwickelt sie eine starke Beziehung. Er wird sich ihr nicht widersetzen,

er ist ihr ewig treu, sie kann ihn dominieren und wird nicht von ihm enttäuscht. Beim

Auflösen dieser Beziehung durch den Tod des Hundes bricht bei ihr die RCS-Erkrankung

aus.

Die Kombination der Farben schwarz und rot drückt große Bedrohung aus, die bei Frau J

Aggression auslöst: In dem Frau J in ihrem Bild den negativen Elementen, den Elementen

die sie bedrohen die Farben schwarz und rot gibt, kann sie ihre narzisstische Wut ausleben.

So wirkt sie dem Gefühl der Ohnmacht entgegen, das durch den Tod des Hundes ausgelöst

wird. Generell steht so die rote Farbe eher für die Bedrohung als für die Aggression. Erst

nach mehrmaligen Gesprächen ist die Patientin in der Lage dies auch damit bewusst zu

verbinden. Sie hatte sich unbewusst für ein rotes Handtuch entschieden. Hier zeigt sich

besonders stark, wie in den Bildelementen schon früh Unbewusstes oder Vorbewusstes

zum Tragen kommt.

Im Gegensatz zu fast allen anderen Patienten bringt sie ihr Thema des Ausgeliefertseins,

das bedrohte Selbst, aber nicht erst im Bild oder in der Arbeit mit dem Bild zur Sprache.

Ihre Beschäftigung mit der eigenen Psyche, die sie durch ihr Psychologiestudium

angestrebt hat, könnte ihr diesen Zugang bereits erleichtert haben.

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5 Zusammenfassung

Zusammenfassend soll nun die in der Einleitung formulierte Hypothese noch einmal erhellt

werden:

Die Retinopathia centralis serosa, als psychosomatische Erkrankung (7, 9, 13, 17, 30,

31, 33) tritt in Zusammenhang mit Lebenssituationen auf, in denen für den jeweiligen

Patienten schwerwiegende Veränderungen eintreten. (27) Dieses entstandene

Ungleichgewicht in ihrem Leben, die Bedrohung ihres Selbst, versucht der klassische

psychosomatische Patient durch ein Verhalten nach dem narzisstischen bzw.

idealistischen Regulationsmodus wieder auszugleichen. (4) Das Gefüge kann aber nur

scheinbar gekittet werden. Der Patient hat eine Scheinnormalität bzw.

Übernormalität um sein, die Krankheit auslösendes, Ungleichgewicht errichtet. Das

eigentliche Problem tritt in den Hintergrund und besteht, als die Krankheit

unterhaltender Stressor, weiter. Der eigentliche Urgrund für die anfängliche

Erkrankung wird im Laufe der Zeit immer weniger greifbar. Der Patient hat ihn

abgespalten, verdrängt und konzentriert sich nur noch auf die somatische

Erkrankung. (3) Es ist die Aufgabe des Therapeuten diesen verschütteten

Zusammenhang gemeinsam mit dem Patienten wieder aufzudecken. Die eigentliche

Bedrohung des Selbst soll wieder in den Mittelpunkt gestellt werden um den

Kreislauf der Psychosomatose zu durchbrechen. Das Medium der Kunsttherapie

kann diesen Zugang erleichtern, da in Bildelementen schon viel früher als im

Gespräch Unbewusstes oder Vorbewusstes zum Tragen kommt. (22, 23)

Neun Patienten meiner Arbeit, die alle zum Zeitpunkt der Untersuchung an RCS litten und

teilweise bereits mehrere Rezidive hinter sich hatten, sind meinen Ergebnissen zufolge

klassische psychosomatische Patienten. Sie bedienen sich der narzisstischen und

idealistischen Regulationsmodi in ihrer Anamnese und ihrem Verhalten im Sinne der

übernormalen Selbsteinschätzung der Psychosomatiker.(3) Nur Herr G dagegen lässt sich

eher der Gruppe der Neurotiker zuordnen.

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Die Erkrankung trat bei ihnen im Rahmen einer Umstrukturierung auf beruflicher, bzw.

privater Ebene auf. Dieses „lebensverändernde Ereignis“ war patientenübergreifend nicht

näher zu klassifizieren.

Jedoch gaben alle Patienten an, in dieser auslösenden Konstellation das Gefühl gehabt zu

haben, die Kontrolle über ihren gewohnten Lebensablauf zu verlieren. Diese Störung ihres

Lebensgefüges stellte für sie eine Bedrohung dar mit der sie momentan nicht umgehen

konnten.

Sie sind es gewohnt zu funktionieren und ihre Leistung zu erbringen. Dies ist momentan

unmöglich geworden, denn ihr Selbst ist nicht mehr im Gleichgewicht.

Das Verhalten, alles durch Leistung zu kompensieren, was die RCS, als stressgetriggerte

Erkrankung auch noch weiter unterhält, ist allen männlichen und einem weiblichen

Patienten gemeinsam. Hier besteht auch der Zusammenhang zum Typ-A-Verhalten der

Herzpatienten. (2, 31) Dieses Leistungsstreben ist ein zentraler sowohl narzisstischer als

auch idealistischer Regulationsmodus. (4)

Die beiden erkrankten Frauen haben als Hauptthema in ihrer Anamnese und Bild-Arbeit

vor allem eine stark ausgeprägte Sehnsucht nach Anerkennung. Als narzisstischer

Regulationsmodus ist die Gier nach Lob und Bestätigung für sie eine Möglichkeit der

drohenden Depression, die durch das lebensverändernde Ereignis entstehen könnte, zu

begegnen. (19) Außerdem sehen sich beide Frauen in der Opferrolle.

Besonders Frau E definiert sich durch ihr Leben für ihren kranken Mann, was ihr natürlich

hilft, ihren Blick nicht nach innen richten zu müssen.

Bei fünf der Patienten zeigt sich außerdem ein starkes Verlangen, sich ein Idealbild zu

schaffen. Sie versuchen sich (Anamnese) einem Menschen in ihrer Umgebung

anzugleichen um so ihre eigenen Defizite auszugleichen. Hier ist es meist der Partner oder

ein enges Familienmitglied. Zwei der Patienten gehen noch einen Schritt weiter: sie setzen

sich als symbolische Tierfigur in ihr gemaltes Bild und geben ihr die Eigenschaften ihres

Idealselbsts. Dies ist eine Regulationsweise, die für das narzisstische Selbst steht. Wird der

Wunsch nach Schutz durch das idealisierte Ich gehegt, mischen sich narzisstische mit

idealistischen Modi. Bei oben erwähnten Patienten ließen sich diese beiden Modi nicht

trennen.

Ein anderes Thema das sich während des Patientengesprächs herauskristallisiert, ist das

Bestreben, alles auf sich allein gestellt lösen zu wollen.

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Dies entspricht dem Autarkieideal des idealistischen Regulationsmodus. Fünf der zehn

Patienten weisen diese Verhaltensweise auf. Sie können Arbeiten schlecht delegieren und

können sich, was ihre Problemlösung anbelangt, nur sehr bedingt mit anderen austauschen.

In der Partnerschaft leben sie eher Distanz. Das Autarkieideal ist ebenfalls mit

Leistungsdenken eng vergesellschaftet.

Zwei Patienten befinden sich zur Zeit der Erstuntersuchung bereits in

psychotherapeutischer Behandlung. Patientin J studiert Psychologie. Bei diesen drei

Patienten fällt auf, dass sie schon einen anderen Zugang zu ihrem Selbst gefunden haben.

Nicht mehr das Verbergen und Überspielen steht bei ihnen im Vordergrund. Bereits im

Erstgespräch ist das zentrale Thema das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins.

Patient A berichtet von einem Suizidversuch nachdem er sein Studium zu Ende gebracht

hatte und ihm diese Leere in seinem gewohnten Tagesablauf ein Gefühl des Verlorenseins

vermittelte. Patient D beschreibt die Geburt seiner beiden ungewollten Kinder als große

Überforderung, er fühlt sich hilflos, nicht fähig eine Bindung einzugehen und fällt in eine

tiefe Depression. Patientin J schildert die Zeit vor ihrer Scheidung als Leben in Bedrohung

durch ihren Noch-Ehemann und Ausgeliefertseins durch seine Familie. Alles das könnte

man als Zeichen deuten, dass diese Patienten bereits fähig sind die Bedrohung ihres Selbst

bewusst wahrzunehmen.

Bei fast allen anderen Patienten kann dieser Kontakt mit ihrem abgespaltenen Selbst erst

im Bild, oder in der Arbeit mit dem Bild hergestellt werden.

Die Elemente des bedrohten Selbst werden durch Symbole zur Darstellung gebracht:

Die Farben Schwarz und Rot nehmen einen starken Stellenwert ein. Der Hintergrund des

ersten Bildes von Herrn A ist schwarz schraffiert. Herr B zeichnet sich schwarz in einem

sargähnlichen Bett. Frau E stellt sich personifiziert in die Figur ihres Mannes mit

schwarzen Linien als Strichmännchen dar. Herr F hält beide Zeichnungen ausschließlich in

schwarzer Farbe. Im Bild 1 vor allem unterstützt dies sehr den bedrohlichen Charakter der

Darstellung. Herr G wählt für die seine Beziehung und im weitesten Sinne seinen

Lebensweg bedrohenden Elemente das Symbol der schwarzen Wolke. Bei Frau J

versinnbildlichen die Farben Rot und Schwarz ihre Beziehung zu ihrem geschiedenen

Mann und die Bedrohung die von diesem ausgeht.

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Als weiteres Kennzeichen für das bedrohte Selbst könnte man den Wunsch, mit den

archaischen Elementen verschmelzen zu wollen, in einigen Bildern symbolisch dargestellt

sehen.

Patient A sieht sich in seinem zweiten Bild, das die negativen Elemente der ersten Bildes

herausgreifen soll, in einer aufsteigenden roten Säule. Er könnte den Wunsch haben, mit

ihr eins zu werden, um seine Energie in dem Element des Feuers auszuleben.

Herr C zeichnet die beiden Szenen in seinem Bild ohne Grenzen, als ob das Wasser sich

mit der Luft und der Erde vereinigen könnten. Man könnte sie als Symbol für die

Durchlässigkeit deuten, die dem Patienten keinen Halt geben kann.

Zwei Patienten wählen eine sehr kindliche Ausdruckweise um ihre Ohnmacht darzustellen.

Das Selbstbild des Herrn H , wie er sich zusammen mit seiner Frau in seinem neuen Garten

zeichnet, wirkt kleinjungenhaft. Er hält seine kleine Freundin an der Hand und bis auf den

dicken schwarzen Hals gibt es keine Hinweise auf die Aggression die in ihm brodelt.

Herr I symbolisiert seine Hilflosigkeit durch die kindliche Darstellung seiner Figur, wie sie

auf dem Fußballfeld verletzt liegt.

Es kann so davon ausgegangen werden, dass diese kunsttherapeutische Ausdruckweise ein

gutes Hilfsmittel für den psychosomatischen Patienten darstellt, seine eigentliche

Grundproblematik zu erkennen.

Der Patient, der von sich aus nur sehr schwer auf den Gedanken kommen kann, dass sich

hinter seiner übernormalen Fassade der Urgrund für seine Erkrankung verbirgt, bekommt

eine andere Möglichkeit sich auszudrücken. Vielmehr wird es ihm erleichtert, sein

abgespaltenes Ich zum Sprechen zu bringen, das oft lange durch Bewusstsein und Verstand

zum Schweigen verurteilt war.

Allen an RCS erkrankten Patienten fehlte im Erstgespräch der direkte Zugang zum

ursächlichen Zusammenhang des Auftretens der Sehstörung. Obwohl der Zusammenhang

zwischen RCS und Stress mittlerweile durch Studien belegt ist, verneinten dies die meisten

der Patienten zuerst einmal bei der Frage nach möglichen Stressoren.

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Anders als bei anderen psychosomatischen Erkrankungen, wie Kopfschmerzen, Ulcus

duodeni, Colitis ulcerosa u.a. könnte man bei RCS im Wesen der Erkrankung bereits den

Schlüssel zur Ursache sehen.

Der Patient hat eine Sehstörung. Er sieht einen Schleier, einen dunklen Fleck oft genau an

der Stelle des schärfsten Sehens. Dorthin wo er eigentlich sehen sollte, kann er nicht

schauen. Sein Blick ist versperrt.

Diesen dunklen Fleck kann das Bild, in dem der Patient unbewusst darstellt, was er nicht

sehen kann und will, erhellen.

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6 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Amslergitter................................................................................................... 22

Abbildung 2: Fundusfoto..................................................................................................... 23

Abbildung 3: Fluoreszenzangiographie............................................................................... 24

Abbildung 4: Patient A / 1................................................................................................. 120

Abbildung 5: Patient A / 2................................................................................................. 120

Abbildung 6: Patient A / 3................................................................................................. 121

Abbildung 7: Patient B ...................................................................................................... 121

Abbildung 8: Patient C ...................................................................................................... 122

Abbildung 9: Patient D...................................................................................................... 122

Abbildung 10: Patientin E / 1 ............................................................................................ 123

Abbildung 11: Patientin E / 2 ............................................................................................ 123

Abbildung 12: Patient F / 1 ............................................................................................... 124

Abbildung 13: Patient F / 2 ............................................................................................... 124

Abbildung 14: Patient G.................................................................................................... 125

Abbildung 15: Patient H.................................................................................................... 125

Abbildung 16: Patient I ..................................................................................................... 126

Abbildung 17: Patientin J .................................................................................................. 126

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33. Zeligs M. A. Central angiospastic retinopathy. A psychosomatic study of its occurence

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8 Anhang

Abbildung 4: Patient A / 1

Abbildung 5: Patient A / 2

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Abbildung 6: Patient A / 3

Abbildung 7: Patient B

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Abbildung 8: Patient C

Abbildung 9: Patient D

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123

Abbildung 10: Patientin E / 1

Abbildung 11: Patientin E / 2

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124

Abbildung 12: Patient F / 1

Abbildung 13: Patient F / 2

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Abbildung 14: Patient G

Abbildung 15: Patient H

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Abbildung 16: Patient I

Abbildung 17: Patientin J

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Lebenslauf

Angaben zur Person:

Name: Annette Hampl

Wohnort: Paosostr. 53a

81243 München

Geburtstag und–ort: 08.05.1971; München

Familienstand: ledig

Nationalität: deutsch

Eltern: Franz Hampl

Aloisia Hampl

Schulbildung:

1977-1981 Grundschule an der Peslmüllerstr. 6

1981-1990 Bertolt-Brecht-Gymnasium

Juni 1990 Abitur

Berufsausbildung:

1990-1992 Vorklinisches Studium der Medizin LMU München

1992-1997 Klinisches Studium der Medizin TU München

November 1997 3.Staatsexamen

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Weiterbildung:

01.12. 1998-31.5.2000 Ärztin im Praktikum an der Augenklinik und

Poliklinik der Technischen Universität München

Klinikum rechts der Isar

seit 01.06.2000 Assistenzärztin an der Augenklinik und

Poliklinik der Technischen Universität München

Klinikum rechts der Isar