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32 Leben mit Tieren 6/2007 Nur durch die erneute Futter- aufnahme wird reguliert, dass das Futter aus dem Magen wei- ter in den Darm transportiert wird, wo die eigentliche che- mische und bakterielle Auf- spaltung stattfindet, nämlich die Verdauung. Der Nahrungs- aufnahme entsprechend sieht auch die Ausscheidung der End- produkte aus: ein mehr oder weniger kontinuierlicher Ab- satz von Kotpellets als Restkot sowie ein überwiegend nächt- liches Absetzen des Blinddarm- kotes mit dessen unmittelbar darauf stattfindender erneu- ter Aufnahme durch das Tier selbst. Von diesem Nahrungs- aufnahme- und Kotabsatzver- halten kann es durch völlig unterschiedliche Ursachen Ab- weichungen geben, die im Fol- genden dargestellt werden. Was ist Anorexie? Die Anorexie ist nach Pschy- rembel „die Herabsetzung des Triebs zur Nahrungsaufnah- me“. Das trifft überein mit dem ersten Eindruck des Tier- besitzers, wenn er unerwartet feststellen muss, dass sein Tier Anorexie bei Kaninchen und Nagern K aninchen, Meerschweinchen und kleine Nage- tiere – Chinchilla, Degu, Ratte, Maus und Hams- ter – sind Pflanzenfresser, die ihre Nahrung über den ganzen Tag und die ganze Nacht verteilt in kleinen Mengen aufnehmen mit maximaler Aktivität in den Dämmerungsphasen, also am Morgen und am Abend, so dass der Magen immer einen guten Füllungszu- stand aufweist. Dabei wird die Nahrung mit den Schneidezähnen abgerissen oder abgebissen und mit den Backenzähnen vermahlen. Foto: aboutpixel

Anorexie bei Kaninchen und Nagern - kamillen-ohrreiniger.dekamillen-ohrreiniger.de/daten/Anorexie_LmT_0607.pdf · Foto: aboutpixel. Albrecht GmbH · Vet.-med. Erzeugnisse · 88323

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Nur durch die erneute Futter-aufnahme wird reguliert, dass das Futter aus dem Magen wei-ter in den Darm transportiert wird, wo die eigentliche che-mische und bakterielle Auf-spaltung stattfi ndet, nämlich die Verdauung. Der Nahrungs-aufnahme entsprechend sieht auch die Ausscheidung der End-produkte aus: ein mehr oder weniger kontinuierlicher Ab-satz von Kotpellets als Restkot sowie ein überwiegend nächt-liches Absetzen des Blinddarm-kotes mit dessen unmittelbar darauf stattfi ndender erneu-

ter Aufnahme durch das Tier selbst. Von diesem Nahrungs-aufnahme- und Kotabsatzver-halten kann es durch völlig unterschiedliche Ursachen Ab-weichungen geben, die im Fol-genden dargestellt werden.

Was ist Anorexie?

Die Anorexie ist nach Pschy-rembel „die Herabsetzung des Triebs zur Nahrungsaufnah-me“. Das trifft überein mit dem ersten Eindruck des Tier-besitzers, wenn er unerwartet feststellen muss, dass sein Tier

Anorexie bei Kaninchen und Nagern

Kaninchen, Meerschweinchen und kleine Nage-tiere – Chinchilla, Degu, Ratte, Maus und Hams-

ter – sind Pfl anzenfresser, die ihre Nahrung über den ganzen Tag und die ganze Nacht verteilt in kleinen Mengen aufnehmen mit maximaler Aktivität in den Dämmerungsphasen, also am Morgen und am Abend, so dass der Magen immer einen guten Füllungszu-stand aufweist. Dabei wird die Nahrung mit den Schneidezähnen abgerissen oder abgebissen und mit den Backenzähnen vermahlen.

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Albrecht GmbH · Vet.-med. Erzeugnisse · 88323 Aulendorf · www.albrecht-vet.de

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das vorgelegte Futter nicht wie üblich gefressen hat. Kompli-zierter wird die Angelegenheit, wenn mehrere Tiere zusam-men gehalten werden, so dass nicht so offensichtlich wird, dass ein einzelnes Tier nicht frißt. Häufi g entsteht dieser Eindruck erst beim Herausneh-men des Tieres durch die Er-kenntnis eines deutlichen Ge-wichtsverlustes, der jedoch nie-mals kurzfristig – „über Nacht“ – entsteht, sondern hinweisend darauf ist, dass das Tier schon über einen längeren Zeitraum unzureichend frisst.

Was führt zur Anorexie?

In 90 % aller Fälle haben Kanin-chen, Meerschweinchen und kleine Nager Zahnschmerzen, die per se die Nahrungsauf-nahme hemmen. Das physi-ologische Abmahlen und so-mit Kürzen der permanent wachsenden Schneide- und Backenzähne geschieht nur unzureichend oder gar nicht mehr mit der Folge von schief abgenutzten Kaufl ächen mit Zahnspitzen, die in die Mund-schleimhaut oder in die Zunge einspießen und zu schmerz-

haften Verletzungen in der Mundhöhle führen. Es handelt sich also um Zahnprobleme, die in Ursache und Auswirkung(en) großen Variationen unterlie-gen können. Typisch ist, dass die Tiere im Vorfeld 1. selektiv weiches Futter vermehrt und hartes, intensiv zu vermah-lendes Heu vermindert aufneh-men, 2. weiterhin auch großen Hunger zeigen, in dem sie sich für das angebotene Futter in-teressieren, es dann aber nicht aufnehmen können, und sich 3. beim Päppeln gierig auf die Päppelspritze stürzen. Summa summarum bleibt der Appetit bestehen, also die Appetenz ist erhalten: Das Tier will fressen, kann aber nicht. Anders verhält es sich in den verbleibenden 10 % aller Fälle von Anorexie, wenn das Tier sich gar nicht für das Futter interessiert und selbst bei Lieb-lingsfuttermitteln keinerlei Interesse zeigt: hier liegt eine Inappetenz vor, die durch in-nere Erkrankungen verursacht wird, die mit Schmerzen, Übel-keit, Untertemperatur, Fieber oder auch Atemnot einherge-hen: Das Tier will nicht fressen und zieht sich zurück.

Anorexie durch Zahnprobleme

Bei Kaninchen, Meerschwein-chen, Chinchillas und Degus wachsen alle Zähne (Schneide- und Backenzähne) ein Leben lang, bei Ratten, Mäusen und Hamstern nur die Schneide-zähne. Folglich tritt bei den zuerst genannten Tieren häu-fi ger das Problem der infolge von Zahnschmerzen unzurei-chend abgemahlenen und so-mit überlangen Zähne auf. In der Regel liegt die Ursache in der Wurzelentzündung eines einzelnen Backenzahnes, ge-legentlich in einem überlan-gen, retrograd gewachsenen Backenzahn. Dabei wächst der Zahn in die falsche Richtung und tritt mit entzündlichen Begleiterscheinungen aus dem Kieferknochen aus, vergleich-bar mit einem Dorn im Finger, der bekanntermaßen auch ei-ne Entzündung des Umfeldes mit der Folge eines Abszesses provoziert. So lassen sich die weithin bekannten Kieferabs-zesse in der Entstehung erklä-ren, die sowohl am Unterkiefer auftreten und nach Lokalisati-on und Entfernung des verur-

sachenden Zahnes heilbar sind als auch am Oberkiefer mit tendenzieller Beteiligung des jeweiligen Auges, da die Zahn-wurzeln der letzten Backen-zähne unmittelbar unter der Augenhöhle lokalisiert sind.In schweren Fällen kann zu-dem eine Knochenkrankheit (Osteodystrophie) vorliegen, die mit dem Abbau des normalen Kieferknochens einhergeht, so dass das harte Zahnmaterial retrograd in den Kiefer hinein gedrückt wird.Nicht selten gibt es auch ei-ne eitrige Wurzelentzündung eines Backen- oder Schneide-zahnes, bei der der Eiter von der Wurzel aus mundhöhlenwärts am Zahn entlang wandert und den Zahn dabei im Zahnfach lockert. Ein loser Zahn verur-sacht immer Schmerzen, kann jedoch aufgrund der Eiter-spuren leicht erkannt und in der Regel gezogen werden.Besonders bei Meerschweinchen können pathologische Prozesse an den Zahnwurzeln zu über-großen Backenzähnen führen, die durch Druck in dem zu en -gen Zahnfach Schmerzen be-reiten und meistens auch län-gere Wurzelareale auf Röntgen-

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bildern erkennen lassen. Im Unterkiefer können solche Pro-blemzähne entfernt werden, im Oberkiefer gestaltet sich die Sache problematisch, da die Oberkieferbackenzähne rund gewachsen sind und deshalb aus mechanisch-technischen Gründen nur schwer bis gar nicht gezogen werden können.

Anorexie durch innere Erkrankungen

Durch Erkrankungen der inne-ren Organe kann es zu Schmer-zen, Übelkeit, Untertempera-tur, Fieber oder Atemnot kom-men, was in zunehmendem Maße auch zu Inappetenz und letztendlich zu einer Anore-xie führt. Der erste Eindruck dürfte für den Tierhalter eine abnehmende Aktivität und Be-wegungslust bei zunehmender Zurückgezogenheit bis hin zur Apathie sein. Bei genauer Betrachtung lassen eine ver-spannte und/oder für das Tier ungewöhnliche Körperhaltung, Zähneknirschen oder Schmerz-laute bei Harn- und/oder Kotab-satz auf Schmerzen schließen. Mit erheblichen Schmerzen kön nen Erkrankungen des

Harntraktes einhergehen, wo-bei Entzündungen oder Steine in Nieren, Harnleitern, Blase und Harnröhre zu heftigsten Koliken führen können. Eben-falls können akute oder chro-nisch immer wiederkehrende Unterleibsschmerzen durch entzündliche oder tumoröse Prozesse an der Gebärmutter und/oder an den Eierstöcken zu unterschwelligen, dauerhaften Schmerzzuständen oder auch akuten Koliken führen.

Wenn auch Kaninchen und Na-getiere generell nicht erbrechen können, eine Übelkeit können sie dennoch empfi nden. Diese tritt bei Erkrankungen der Le-ber im fortgeschrittenen Sta-dium auf und ist in der Regel therapieresistent. Im Zuge von Verschlüssen des Magens oder Darms durch Haaransamm-lungen (Bezoare), feststeckende Fremdkörper oder den Darm komprimierende Tumore ent-steht das Bild des Darmver-schlusses (Ileus) mit Übelkeit, vermehrter Wasser- und einge-stellter Futteraufnahme.Durch akute Herz-Kreislauf-schwächen sowie bei Vergif-tungen kommt es zur Unter-

temperatur durch einen Abfall der Körpertemperatur unter 36 °C. In diesem Zustand wird die Nahrungsaufnahme ebenso eingestellt wie auch bei Fieber über 40 °C, verursacht durch hohe Umgebungstemperaturen im Sommer (Hitzschlag), aku-tes Nierenversagen oder akute Wurmfortsatzentzündung (Ap-pendizitis) des Kaninchens bei Pseudotuberkulose (Rodentio-se, Nagerpest).

Durch Einengung der Lungen und damit einhergehender Re - duzierung des Atmungsraumes, bedingt durch Infektionen des Atmungstraktes oder durch tu -moröse Prozesse, kann es zur Atemnot des Tieres kom-men, was sich in deutlich an-gestrengter Atmung zeigt. In gesteigertem Zustand wird der Kopf in den Nacken gelegt und im Finalstadium durch den Mund geatmet. Eine Nahrungs-aufnahme ist dem Tier in die-sem Stadium auf keinen Fall mehr möglich.Kaninchen und Nagetiere zei -gen immer erst in fortgeschrit-tenen Krankheitsstadien Symp-tome, um nicht als krank er-kannt und aus der Tiergruppe

ausgestoßen zu werden. Folg-lich ist jedes veränderte Futter-aufnahmeverhalten eines Tie -res immer ein Anlass für ei-ne gründliche Untersuchung und Hinterfragung der vielfäl-tig möglichen Ursachen. Eine länger als zwei bis drei Tage andauernde Anorexie führt bei diesen Tierarten bereits zu einer inneren Vergiftung (Keto-se) mit der Folge von Untertem-peratur. Daher muss jedes Tier mit Anorexie baldmöglichst dem Tierarzt vorgestellt wer-den, um die Ursache abzuklä-ren und das Tier entsprechend behandeln zu lassen.

Priv. Doz. Dr. med. vet. Birgit DrescherStuttgartwww.birgit-drescher.de

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