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Proteste in Bosnien Jung und arbeitslos? Selbst schuld! Martin Schulz hat die Richtung vorgegeben: „Der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit Priorit ät, und das Parlament besteht darauf, dass die daf ü r notwendigen Gelder so schnell wie m ö glich bereitgestellt werden“, sagte der Pr äsident des Europ äischen Parlaments im vergangenen Jahr. In Interviews legt er seit Wochen nach. Das wichtigste Thema im Europawahlka Bek ämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, sagte Schulz unl ängst dem „Focus“. Damit steht er auf der sicheren Seite – wer hat schon etwas gegen Programme f ü r junge Arbeitslose? Kommt es irgendwo im S ü den oder Osten Europas zu sozialen Protesten, dauert es meist nicht lang, bis der hohen Jugendarbeitslosigkeit in dem betreffenden Land begr ü ndet werden. Bei der Protestwelle, die derzeit durch Teile von Bosnien-Hercegovina schwappt, ist das nicht anders. Bo seien einfach nicht in der Lage, die Jugendarbeitslosigkeit zu bek ämpfen, hieß es dieser Tage beispielsweise in der „Neuen Z ü rcher Zeitung“. Tats ächlich haben in dem ehemaligen B ü rgerkriegsland laut Angaben der Weltbank 58 Prozent der jungen Menschen zwischen Jahren keine feste Arbeit – das ist selbst f ü r die tristen Maßst äbe des Balkans eine ersch ü tternde Zahl. Ist Bosnien also ein Staat, in dem eine korrupte politische Kaste jungen, gut ausg Menschen keine Chance gibt? Katarina Cvikl gibt eine andere Antwort. Die junge Slo seit 2012 f ü r Populari, das beste soziologische Forschungsinstitut Bosniens. Aus den geerdeten Analysen und Studien von Populari l ässt sich viel lernen ü ber das Land – zum Beispiel dar ü ber, dass viele arbeitslose Bosnier mit Hochschulbildung an ihrer Misere selbst steht es zumindest in der j ü ngsten Populari-Studie, die sich mit der Lage von Hochschulabs in Bosnien befasst. Auf die Idee kamen die Leute bei Populari aus leidvoller Erfah Suche nach Nachwuchsmitarbeitern. „Von den Bewerbungen ü ber die Vorstellungsgespr äche bis zur Arbeitsethik war unsere Erfahrung ziemlich beunruhigend“, fasst Cvikl zusammen man bei Populari, dass viele potentielle Arbeitgeber in Bosnien ähnliche Eindr ü cke haben. „Wir fanden, dass es Zeit sei, eine Debatte anzustoßen.“ Eine anmaßende Weltsicht Das ist gelungen – mit äußerst provokanten Thesen. „Es heißt immer, der einzige Grund f ü r die missliche Lage junger Arbeitsloser in Bosnien sei die schlechte Wirtschaftslage un M ö glichkeiten. Die Einstellung der jungen Leute wird dabei ü bersehen“, stellt die slowenische Politikwissenschaftlerin fest. Um die ist es n ämlich, glaubt man der Studie von Populari, schlec bestellt. Das beginne bei den unrealistischen Erwartungen vieler Absolventen. Stud eingeredet, dass sie die Elite ihres Landes seien und vor der T ü r ihrer Fakult ät ein Job auf sie warte. Das f ü hre bei vielen jungen Akademikern zu der Ansicht, „dass sie ein Recht auf bes Behandlung haben“, heißt es in der Studie. Die anmaßende Weltsicht werde den Stude zuletzt von ihren Professoren eingefl ü stert, die meist noch Akademiker alter jugoslawischer sind, als ein Studium tats ächlich die Ausnahme war.

Arbeitslos - Selbst Schuld

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Proteste in Bosnien Jung und arbeitslos? Selbst schuld!

Martin Schulz hat die Richtung vorgegeben: Der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit hat oberste Prioritt, und das Parlament besteht darauf, dass die dafr notwendigen Gelder so schnell wie mglich bereitgestellt werden, sagte der Prsident des Europischen Parlaments im vergangenen Jahr. In Interviews legt er seit Wochen nach. Das wichtigste Thema im Europawahlkampf sei die Bekmpfung der Jugendarbeitslosigkeit, sagte Schulz unlngst dem Focus. Damit steht er auf der sicheren Seite wer hat schon etwas gegen Programme fr junge Arbeitslose? Kommt es irgendwo im Sden oder Osten Europas zu sozialen Protesten, dauert es meist nicht lang, bis die Unruhen mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit in dem betreffenden Land begrndet werden. Bei der Protestwelle, die derzeit durch Teile von Bosnien-Hercegovina schwappt, ist das nicht anders. Bosniens Politiker seien einfach nicht in der Lage, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekmpfen, hie es dieser Tage beispielsweise in der Neuen Zrcher Zeitung. Tatschlich haben in dem ehemaligen Brgerkriegsland laut Angaben der Weltbank 58 Prozent der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren keine feste Arbeit das ist selbst fr die tristen Mastbe des Balkans eine erschtternde Zahl.

Ist Bosnien also ein Staat, in dem eine korrupte politische Kaste jungen, gut ausgebildeten Menschen keine Chance gibt? Katarina Cvikl gibt eine andere Antwort. Die junge Slowenin arbeitet seit 2012 fr Populari, das beste soziologische Forschungsinstitut Bosniens. Aus den empirisch geerdeten Analysen und Studien von Populari lsst sich viel lernen ber das Land zum Beispiel darber, dass viele arbeitslose Bosnier mit Hochschulbildung an ihrer Misere selbst schuld seien. So steht es zumindest in der jngsten Populari-Studie, die sich mit der Lage von Hochschulabsolventen in Bosnien befasst. Auf die Idee kamen die Leute bei Populari aus leidvoller Erfahrung bei der Suche nach Nachwuchsmitarbeitern. Von den Bewerbungen ber die Vorstellungsgesprche bis zur Arbeitsethik war unsere Erfahrung ziemlich beunruhigend, fasst Cvikl zusammen. Bald begriff man bei Populari, dass viele potentielle Arbeitgeber in Bosnien hnliche Eindrcke haben. Wir fanden, dass es Zeit sei, eine Debatte anzustoen.

Eine anmaende Weltsicht

Das ist gelungen mit uerst provokanten Thesen. Es heit immer, der einzige Grund fr die missliche Lage junger Arbeitsloser in Bosnien sei die schlechte Wirtschaftslage und der Mangel an Mglichkeiten. Die Einstellung der jungen Leute wird dabei bersehen, stellt die slowenische Politikwissenschaftlerin fest. Um die ist es nmlich, glaubt man der Studie von Populari, schlecht bestellt. Das beginne bei den unrealistischen Erwartungen vieler Absolventen. Studenten werde eingeredet, dass sie die Elite ihres Landes seien und vor der Tr ihrer Fakultt ein Job auf sie warte. Das fhre bei vielen jungen Akademikern zu der Ansicht, dass sie ein Recht auf besondere Behandlung haben, heit es in der Studie. Die anmaende Weltsicht werde den Studenten nicht zuletzt von ihren Professoren eingeflstert, die meist noch Akademiker alter jugoslawischer Schule sind, als ein Studium tatschlich die Ausnahme war.

Heute aber ist es auch in Bosnien nichts Besonderes mehr, Hochschulabsolvent zu sein. Jahr fr Jahr gibt es in Bosnien mehr Studenten, obwohl die Bevlkerungszahl des Landes stark schrumpft. Hatte Bosnien 1991 noch 4,4 Millionen Einwohner, sind es zweieinhalb Jahrzehnte und einen Krieg spter kaum 3,8 Millionen. Die Zahl der an bosnischen Universitten eingeschriebenen Studenten hat sich in den vergangenen fnfzehn Jahren hingegen verdoppelt, von 58000 im Jahr 2000 auf zuletzt mehr als 115000. Dagegen ist nichts einzuwenden, doch bedeutet diese Akademikerblte eben auch, dass ein abgeschlossenes Studium nur der Standardbaustein eines Lebenslaufs ist. Heutzutage ist etwas mehr ntig als ein Hochschuldiplom die richtige Einstellung, sagt Katarina Cvikl.

Viele junge Leute suchen einen Posten, nicht Arbeit

Die fehlt vielen jungen Bosniern. Es herrscht eine von Professoren und Eltern genhrte Kultur akademischen Dnkels. Eltern bestrkten ihre Kinder in dem Irrglauben, sie seien zu wertvoll, um Arbeiten anzunehmen, die nicht prestigetrchtig sind oder nicht in ihr Bildungsprofil passen, heit es bei Populari. Von Praktika, Auslandssemestern oder anderen Fortbildungsmanahmen wollen viele nichts hren. Weniger als die Hlfte der Studenten hat in den Semesterferien oder nebenher im Studium gearbeitet. In Grobritannien, wo Katarina Cvikl studierte, ist es die Regel, dass sich Studenten zumindest einen Teil des exorbitant teuren Studiums ber Nebenjobs finanzieren.

Dass in Bosnien oft nur die Ansprche ehrgeizig sind, hat auch Davor Odobai erfahren, Direktor des privaten Arbeitsvermittlungsportals posao.ba, das fr Unternehmen nach Fhrungskrften sucht. Die Professoren redeten ihren Studenten ein, dass bestimmte Arbeiten fr Menschen mit Hochschulbildung eine Schande seien, sagt Odobai. Berufsanfnger mit einer solchen Einstellung sind schwer vermittelbar. Jasmin Bei, Direktor des Jugendzentrums Kult in Sarajevo, fragt frischgebackene Hochschulabsolventen regelmig danach, wie sie ihre berufliche Zukunft sehen. Viele wollen in einem Caf sitzen und per Telefon Angestellte dirigieren, sagt er. Begehrt sind zudem Anstellungen im Staatsdienst. Bei Umfragen werden stets Staatsunternehmen wie BH Telekom oder der Stromversorger Elektroprivreda zu den beliebtesten Arbeitgebern gezhlt. Viele junge Leute suchen einen Posten, nicht Arbeit, sagt Bei. Sie sehen, wie die ffentliche Verwaltung in Bosnien funktioniert, haben kein Interesse daran, viel zu arbeiten also wollen sie in den Staatsdienst. Er knne zwar nicht verstehen, wie jemand sich im zweiten oder dritten Jahrzehnt seines Lebens dafr entscheiden knne, fr den Rest seiner Tage fr 1000 bosnische Mark (etwa 500 Euro) denselben Job zu machen. Wo bleibt der Ehrgeiz?, wundert er sich. Aber eigentlich wundert er sich ber nichts mehr bei einer Generation, die erwarte, dass sich ihnen eine Anstellung ber Facebook erffne. Etwa 80 Prozent der jungen Bosnier sind laut Besic na fejsu, also auf Face, wie es auch im bosnischen Slang lngst heit. Fr viele ist Facebook die Hauptbeschftigung und die einzige Informationsquelle. Wenn etwas auf Facebook ist, erfahren sie davon, sonst nicht. Niemand googelt mehr, stimmt Bei einen recht modern anmutenden Abgesang auf die gute alte Zeit an.

Michael Bartens - Mrz 2014 - Quelle: faz.net