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Heinz Duchhardt: „Römer“ in Mainz. Ein Doppelporträt aus der Frühgeschichte der „neuen“ Mainzer Universität. Schriftenreihe Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Band 94 (2014) Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Rom Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publikationsplattform der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.

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  • Heinz Duchhardt:

    „Römer“ in Mainz. Ein Doppelporträt aus der Frühgeschichte der „neuen“ Mainzer Universität.

    Schriftenreihe Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Band 94 (2014)

    Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Rom

    Copyright

    Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publikationsplattform der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.

  • Heinz Duchhardt„Römer“ in MainzEin Doppelporträt aus der Frühgeschichte der „neuen“ Mainzer Universität*

    Riassunto: Il contributo si basa su una conferenza, tenuta in occasione del sessante-simo compleanno di Michael Matheus, l’ex direttore dell’Istituto Storico Germanico di Roma, presso l’Accademia delle scienze e della letteratura a Magonza. Vengono pre-sentate le carriere accademiche di due storici che lavoravano all’Istituto durante due periodi chiave, il primo tra la fi ne degli anni Venti e l’inizio degli anni Trenta, l’altro, un suo allievo, negli anni Cinquanta del XIX secolo. Tutt’e due provenivano dalla re-gione del Reno centrale e da famiglie che non vantavano alcuna tradizione accademi-ca, ma tutt’e due erano molto ambiziosi, anche se le vicende del tempo avrebbero im-pedito loro di fare una rapida e gloriosa carriera accademica: nel primo caso il regime nazionalsocialista, nel secondo caso la partecipazione alla seconda guerra mondiale, il ferimento e infi ne la prigionia di guerra. Mentre Leo Just avrebbe mantenuto per tutta la vita un legame e una vicinanza emozionale con Roma e l’Istituto, dedicando fi no alla sua morte importanti pubblicazioni, che attingevano ai fondi documentari presenti a Roma, alla curia e ai rapporti ecclesiastici tra Roma e l’Impero nell’età mo-derna, il suo allievo più eminente si sarebbe orientato diversamente. Heribert Raab si allontanò ben presto dal tema della Chiesa imperiale e i suoi rapporti confl ittuali con il papa, per aprirsi gradualmente altri campi di ricerca. Tutt’e due gli storici, il maestro e l’allievo, accomuna però il merito di aver valorizzato il materiale archivi-stico romano, in particolare quello dell’ex nunziatura di Colonia, come fondo indi-spensabile per la storia generale dell’Impero; sotto questo aspetto tutt’e due erano dei pionieri.

    Abstract: This article – originating as a talk on the occasion of the 60th birthday of the former director of the German Historical Institute in Rome, Michael Matheus – examines the academic careers of two historians who both spent years of their aca-demic life in Rome, one in the late 1920s and early 1930s, the other in the early 1950s.

    * Der nachfolgende Beitrag gibt den – um wenige Einleitungsbemerkungen und einen auf das Main-zer Historische Seminar nach Justs Tod bezogenen Absatz entlasteten  – Text einer Festansprache wieder, die im Rahmen einer Veranstaltung in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz am 20. September 2013 zum 60. Geburtstag des früheren Direktors des Deutschen Historischen Instituts Rom, Michael Matheus, gehalten wurde. Der spezifische Charakter des gesprochenen Worts wurde beibehalten.

    QFIAB 94 (2014)   DOI 10.1515/qfiab-2014-0011

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    Both from the Middle-Rhine region and with a non-academic family background, the two men proved rather ambitious although the circumstances – the National Social-ist regime and participation in World War II – prevented them from enjoying a rapid and brilliant academic career. Whilst Leo Just kept long lasting ties to Rome and the German Institute, and continued throughout his life to devote publications based on Roman archival materials to the Curia and the ecclesiastical relations between the Curia and early modern Germany, Heribert Raab, his most prominent pupil, soon emancipated himself from Curia-related topics and moved on to other research fi elds. However, both historians played an important role in signalling hitherto virtually un-known archival series, especially of the Cologne nuncios.

    Die Wissenschafts- und Universitätsgeschichte – nicht nur die des ausgehenden 15. Jahr-hunderts, sondern auch die des 20.  – zählt seit langem zu den von Michael Matheus besonders gepflegten Forschungsfeldern.¹ Dazu rechneten neben institutionellen und Verfassungs-Fragen immer auch die nach den Personen und Personengruppen, die hinter den Ämtern stehen, die sie besetzen, vielleicht auch an ihnen scheitern, zählt die Prägung durch den jeweiligen genius loci, zählt die Dynamik des akademischen Umfelds, das befruchtet und anspornt – um andere Szenarien gar nicht erst zu nennen. Das Dop-pelporträt, an dem ich mich versuche, lässt von alledem etwas erkennen, insbesondere aber von der Strahlkraft, die die Ewige Stadt auf Wissenschaftler, Historiker zumal, ausüben konnte und kann – und die ja auch Michael Matheus in ihren Bann gezogen hat. In seinem Mittelpunkt steht ein Historikerduo, Lehrer und Schüler, die maßgeblich durch ihre jeweiligen Rom-Aufenthalte geprägt worden sind, Leo Just und Heribert Raab, der eine von 1946 bis 1964 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Weltgeschichte, der andere von 1960 bis zu seiner Wegberufung Privatdozent bzw. Wissenschaftlicher Rat und Professor an der 1946 wiederbegründeten Mainzer Universität. Sie zählen von den Denominationen ihres Lehrstuhls bzw. ihrer venia legendi her zwar nicht zu den direkten Vorgängern von Michael Matheus, teilen mit ihm noch nicht einmal die Epoche, für die

    1 Aus der großen Zahl einschlägiger Veröffentlichungen von Michael Matheus greife ich nur ei-nige wenige heraus: M. Matheus (Hg.), Friedensnobelpreis und historische Grundlagenforschung. Ludwig Quidde und die Erschließung der kurialen Registerüberlieferung, Berlin/Boston 2012; ders. (Hg.), Deutsche Forschungs- und Kulturinstitute in der Nachkriegszeit, Tübingen 2007; ders., Alma Mater Trevirensis. Die „alte“ Trierer Universität von 1473 bis 1798 (Katalog), Trier 1980; ders., Fonti vaticane e storia dell’università, in: P. Guglielmotti [u.  a.] (Hg.), Europa e Italia. Studi in onore di Giorgio Chittolini, Firenze 2011, S.  275–293; ders., Roma docta. Rom als Studienort in der Renais-sance, in: QFIAB 90 (2010), S. 128–168; ders., Rom und die Frühgeschichte der Mainzer Universität, in: M. Dreyer/J. Rogge (Hg.), Mainz im Mittelalter, Mainz 2009, S. 214–232; ders., Rom und Mainz. Italienische und deutsche Universitäten im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert, in: RQ 102 (2007), S. 47–75; ders., Das Verhältnis der Stadt Trier zur Universität in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun-derts, in: Kurtrierisches Jahrbuch 20 (1980), S. 60–139.

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    sie zuständig waren, teilen mit ihm aber doch manches in Erfahrung und Habitus, was ich zu zeigen hoffe.

    Ein solcher Versuch ordnet sich ein in eine derzeit sehr aktuelle Forschungsrich-tung, die ich als wissenschaftliche Biographik bezeichne und die sich als Teil der modernen Geschichtsschreibung durchaus (wieder) etabliert hat. In einem eigens ins Leben gerufenen Arbeitskreis wird über die Möglichkeiten und Grenzen einer erneu-erten Biographieforschung nachgedacht, es liegt inzwischen ein eigenes „Handbuch Biographie“ vor, das – so der Untertitel – über Methoden, Traditionen und Theorien Rechenschaft ablegt,² und die Monographien, die in den zurückliegenden Jahren zu Historikern des 20. Jahrhunderts erschienen sind, sind an zwei Händen längst nicht mehr abzuzählen – ob man nun an Gerhard Ritter³, Hans Rothfels⁴ und Karl Dietrich Erdmann⁵, an Golo Mann⁶ und Franz Schnabel⁷ oder auch an Percy Ernst Schramm⁸ denkt. Es ist allerdings ebenfalls auffällig, dass die gegenwärtige Konjunktur der wis-senschaftlichen Biographik vor allem jenen Historikern „zugute gekommen“ ist, die in irgendeiner Form in den Kontext der vom NS-Regime initiierten sog. Ostforschung einzuordnen sind – hier mögen als Beispiele Hermann Aubin⁹, Werner Conze¹⁰ und zuletzt Gotthold Rhode¹¹ genannt sein, letzterer der einzige Mainzer Historiker, der bisher monographisch aufgearbeitet worden ist. Die Fokussierung auf jenen Typus des deutschen Historikers erklärt sich ohne Mühe auch von dem grundsätzlichen Ansatz, der die Geschichtswissenschaft seit dem Frankfurter Historikertag 1998 bewegt, nämlich wie sich diese Kohorte von Wissenschaftlern mit dem NS-System arrangierte und nach dessen Ende doch wieder den Weg ins akademische Establish-ment zurück fand.

    2 Handbuch Biographie, hg. von C. Klein, Stuttgart/Weimar 2009.3 C.  Cornelißen, Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20.  Jahrhundert, Düs-seldorf 2001.4 J. Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005.5 M.  Kröger/R.  Thimme, Die Geschichtsbilder des Historikers Karl Dietrich Erdmann. Vom Drit-ten Reich zur Bundesrepublik, München 1996.6 J.  Koch, Golo Mann und die deutsche Geschichte. Eine intellektuelle Biographie, Paderborn [usw.] 1998.7 Th. Hertfelder, Franz Schnabel und die deutsche Geschichtswissenschaft. Geschichtsschrei-bung zwischen Historismus und Kulturkritik (1910–1945), 2 Teilbde., Göttingen 1998.8 D.  Thimme, Percy Ernst Schramm und das Mittelalter. Wandlungen eines Geschichtsbildes, Göttingen 2006.9 E.  Mühle, Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Düsseldorf 2005.10 J.  E. Dunkhase, Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20.  Jahrhundert, Göttingen 2010; Th. Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001.11 E. Eckert , Zwischen Ostforschung und Osteuropahistorie. Zur Biographie des Historikers Gott-hold Rhode (1916–1990), Osnabrück 2012.

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    Im Umkehrschluss ist festzuhalten, dass über die regional anders ausgerichte-ten Historiker dieser elementare Reiz, den Weg aus dem einen System ins andere zu rekonstruieren und zu bewerten, nicht in ähnlicher Form ausgeprägt ist wie bei den Osteuropahistorikern oder den Allgemeinhistorikern mit einer ostmitteleuropäischen Schwerpunktsetzung. Das betrifft auch Leo Just (Abb. 1), über den zwar der eine oder andere kleinere Aufsatz erschienen ist,¹² der aber monographisch noch unbehan-delt ist, obwohl sein Nachlass im Mainzer Universitätsarchiv das durchaus erlauben würde,¹³ der freilich keine Korrespondenzen enthält. Immerhin liegt zu Just eine sehr hilfreiche Auswahledition seiner wissenschaftlichen Korrespondenz zwischen 1923 und 1944 vor.¹⁴ Dem Pendant bei unserem Doppelporträt fehlt dieser wissenschafts-politische Anreiz dann völlig, weil er einer anderen Generation angehört, die das NS-Regime nicht mehr im eigentlichen Sinn bewältigen musste. Ich spreche von Justs „Meisterschüler“ Heribert Raab (Abb. 2), bei dem folglich auch die Nachrichten- und Forschungslage viel bescheidener ist und bei dem man auf einige Nachrufe¹⁵ und die Laudatio eines befreundeten Kollegen in einer ihm gewidmeten Festschrift¹⁶ ange-wiesen ist.

    Die beiden Protagonisten trennt von ihren Geburtsdaten her eine Zeitspanne von gut 22  Jahren – derart frühe Heiraten waren im akademischen Bereich Anfang des 20.  Jahrhunderts zwar denkbar unüblich, aber Leo  – mit vollem Vornamen Franz Dionys Leo – Just (geboren im Oktober 1901) hätte durchaus Heribert Raabs (geboren im März 1923) Vater sein können. Generationell zählten die beiden Protagonisten also zu zwei Welten. Diese Altersdifferenz hat ein ganz enges kollegiales Verhältnis

    12 K.  Wojtynowski, Das Fach Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 1946–1961, Stuttgart 2006, S. 74–77; M. F. Feldkamp, Reichskirchengeschichtsschreibung und Grenzland-forschung. Zum wissenschaftlichen und publizistischen Werk des Bonner Historikers Leo Just (1901–1964), in: Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960), hg. von B. Dietz [u.  a.], Münster [usw.] 2003, S. 1017–1035. Ferner H. Mathy, Leo Just als erster Historiker und Dekan der „neuen“ Universität Mainz, in: P. C. Hartmann (Hg.), 50 Jahre Historisches Seminar und Lehrstuhl für Allgemeine und Neuere Geschich-te der Universität Mainz, Mainz 1996, S.  7–18; M.  F. Feldkamp, Leo Just und die Erforschung der Reichskirchengeschichte. Ein Gelehrtenleben in Rom und Bonn, ebd., S.  19–25; E.  Ewig, Leo Just 1901–1964, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn: Geschichtswis-senschaften, Bonn 1968, S. 393–397.13 Universitätsarchiv Mainz, Nachlass 4.14 L. Just , Briefe an Hermann Cardauns, Paul Fridolin Kehr, Aloys Schulte, Heinrich Finke, Albert Brackmann und Martin Spahn 1923–1944, hg. von M. F. Feldkamp, Frankfurt/Main [u.  a.] 2002.15 H.  Mathy, Der Erforscher der Reichskirche in der Neuzeit und „Stellvertreter Görres’ auf Erden“. Nachruf auf Heribert Raab (1923–1990), in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 43 (1991), S. 485–501. Der NDB-Artikel von M. Weit lauff ist eher dürr (21 [2003], S. 51).16 Kirche, Staat und katholische Wissenschaft in der Neuzeit. Festschrift für Heribert Raab zum 65. Geburtstag, hg. von A. Portmann-Tinguely, Paderborn [usw.] 1988.

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    sozusagen auf Augenhöhe sicher verhindert, auch die in den 1950er Jahren noch ganz intakte hierarchische Ordnung in der akademischen Welt stand dem entgegen. Aber es gab dann auch wieder Gemeinsamkeiten zwischen beiden Männern: die gemein-same landmannschaftliche Herkunft  – der eine (Just) direkt aus Bonn, der andere (Raab) aus dem Eifeldörfchen Bell bei Mayen –, die beiden gemeinsame Herkunft aus familiären Zusammenhängen, die nicht gerade als großbürgerlich bezeichnet werden können – Justs Vater war Zahntechniker, Raabs Vater Ofenbauer, beiden eignete also bei fehlendem akademischen Hintergrund eine Mentalität des sozialen Aufstiegs,¹⁷ die bekanntlich zu besonderem Ehrgeiz führen, wenn nicht verführen kann.

    Beiden war zudem die aktive Kriegsteilnahme gemeinsam, die sich allerdings ganz unterschiedlich gestaltete: Während Leo Just als Angehörigem des Jahrgangs 1901 die – an sich durchaus noch denkbare – Teilnahme am Ersten Weltkrieg erspart blieb und er erst im Zweiten Weltkrieg eingezogen wurde, dort aber keine Fronter-fahrung sammeln musste, sah das bei Raab ganz anders aus: Er musste, nachdem er sich nach dem Abitur noch gerade eben zum Sommersemester 1941 an der Marbur-ger Universität immatrikuliert hatte, des Reichsarbeitsdienstes wegen das Studium wieder zurückstellen, musste dann an der Ostfront mit kämpfen, wurde mehrfach verwundet, geriet zudem in Breslau, wohin er sich durchgeschlagen hatte, in russi-sche Kriegsgefangenschaft, die immerhin dreieinhalb Jahre währte, bis zum Jahres-ende 1947, ehe er dann – als einer jener jungen Frontsoldaten, die wissen wollten, wie es „dazu“ hatte kommen können – zum Sommersemester 1948 mit dem Studium an der noch in ihren Anlaufschwierigkeiten steckenden Alma Mater Moguntina beginnen konnte. Bei Just fehlte dagegen diese Erfahrung: Er fand zunächst als Dolmetscher in Berlin Verwendung, war dann im Reichspropagandaministerium tätig und wurde schließlich auf Vermittlung von Franz Petri Sprachmittler für Französisch beim Mili-tärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich und mit der Abhaltung von Kursen an der Universität Gent betraut.

    Auch die Studienorte beider Protagonisten waren nicht identisch: Bei Just seiner rheinischen Heimat entsprechend die beiden „klassischen“ rheinischen Universitä-ten Bonn und Köln, wo er neben Geschichte, Germanistik und Philosophie bemer-kenswerterweise auch (Zahn)Medizin studierte – hier ist der Einfluss des Vaters wohl mit den Händen zu greifen  –, bei Raab in der unmittelbaren Nachkriegszeit „nur“ die junge, noch glanzlose Universität Mainz, wo er sich, nachdem er in Marburg noch mit der Kombination Geschichte, Germanistik und Anglistik begonnen hatte, auf die „klassische“ Trias Geschichte, Philosophie und Pädagogik verlegte, offen-bar zunächst mit der Absicht, sich für den Schuldienst zu qualifizieren. Just war bei seiner Promotion, für die er als Betreuer der Dissertation Justus Hashagen und den

    17 Raab besuchte zunächst die Volksschule Mutterschied – wo er dann später wohnen sollte – und dann das Realgymnasium in Simmern. Dies und anderes nach der Personalakte der Universitätsver-waltung Mainz, der ich für die Möglichkeit, Einsicht zu nehmen, danke.

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    Abb. 1: Leo Just (1901–1964). L. Just , Briefe an Hermann Cardauns, Paul Fridolin Kehr, Aloys Schulte, Heinrich Finke, Albert Brackmann und Martin Spahn 1923–1944, hg. von M. F. Feldkamp, Frankfurt/M. 2002, Frontispiz.

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    Abb. 2: Heribert Raab (1923–1990) . Kirche, Staat und katholische Wissenschaft in der Neuzeit. Festschrift für Heribert Raab zum 65. Geburtstag, hg. von A. Por tmann-Tinguely, Paderborn [usw.] 1988, Frontispiz.

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    Germanisten Ernst Bertram gewonnen hatte, gut 24 Jahre alt – für die damalige Zeit etwas Normales –, Raab legte das Rigorosum erst im Alter von 30 Jahren im Mai 1953 ab, was als eher atypisch eingeschätzt werden kann, sich aber natürlich den „verlore-nen Jahren“ 1941 bis 1947 schuldete.

    Mit ihren Dissertationen zogen freilich beide das Interesse der Öffentlichkeit auf sich  – in dem einen Fall das einer breiteren, in dem anderen Fall einer interdiszi-plinären. Dem Vorwort seiner Dissertationsschrift¹⁸ zufolge hatte sich Just schon seit seinen Schülertagen mit der Gestalt des Koblenzer Juristen und Literaten Franz von Lassaulx (1781–1818) beschäftigt, also mit einem der frühvollendeten (und früh verstorbenen) rheinischen Intellektuellen, dem Schwager des berühmteren Joseph Görres  – der dann, antizipierend bemerkt, zu einer der großen wissenschaftlichen Herausforderungen des reifen Raab werden sollte. Ein ehemaliger Mainzer Fachkol-lege hat die Dissertation, die von den Gutachtern glänzend bewertet wurde und der sogar eine – völlig ungewöhnliche – Unterstützung durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft widerfuhr, als Justs „persönlichstes Werk“ gewürdigt,¹⁹ und in der Tat werden hier seine literatur- und geistesgeschichtlichen Wurzeln besonders klar sichtbar. Lassaulx war ein frankophiler Verleger, der entsprechende Periodika vertrieb und zugleich Professor an der von Napoleons Gnaden gegründeten kaiserli-chen Rechtsschule wurde und nach der Rückkehr von Koblenz an die deutsche – jetzt preußische – Verwaltung sich selbst treu blieb und nach Frankreich emigrierte.

    Es gehörte in einer nach Versailles und dem Übergang der Rheinlande unter fran-zösische Besatzung aufgeladenen Zeit einiger Mut dazu, mit einer solchen Arbeit über einen dezidierten Frankophilen seine wissenschaftliche Visitenkarte abzugeben, und dieser Mut wird auch nicht dadurch relativiert, dass Just es peinlich vermied, pro-französische oder pro-deutsche (oder gar pro-preußische) Positionen zu bezie-hen. Die Studie, die sich einordnet in die Bemühungen, die rheinische Grenzland-forschung – vor allem über das 1920 gegründete Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde  – zu organisieren und zu beleben, verstand sich vielmehr als einen Baustein und Nachweis, dass im Kampf zwischen Frankreich und Deutschland das Rheinland zu einem geschlossenen Ganzen zusammengewachsen sei. Damit ließ sich in einer aufgewühlten Region in einer aufgewühlten Zeit allemal starke öffentliche Beachtung finden.

    Dass die Doktorarbeit später für die Nationalsozialisten noch einmal zu einem gravierenden Stein des Anstoßes werden sollte und ihrem Verfasser den Vorwurf

    18 Der junge Franz von Lassaulx. Zwei Kapitel rheinischer Lebens- und Bildungsgeschichte im Zeitalter der großen Revolution. Mit einem Abriß der späteren Entwicklung. Die Arbeit erschien dann in erweiterter Form unter dem Titel: Franz von Lassaulx. Ein Stück rheinischer Lebens- und Bildungs-geschichte im Zeitalter der großen Revolution und Napoleons, Bonn 1926, als Bd. 12 der Studien zur rheinischen Geschichte.19 Ewig, Just (wie Anm. 12), S. 393.

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    zuzog, ein verkappter Separatist zu sein, der 1923 für eine Rheinische Republik von Frankreichs Gnaden eingetreten sei, war zur Zeit ihres Entstehens nicht abzu-sehen – der Vorgang zwang Just zu vielen Verrenkungen und Selbstverleugnungen dem Regime gegenüber, um sich nicht die akademische Karriere von seiner Erstlings-schrift verbauen zu lassen.²⁰

    So wie Just zu den Akkorden seiner Erstlingsschrift durch die Jahrzehnte immer wieder zurückkehren sollte, so blieb auch Heribert Raab der Thematik seiner Doktor-arbeit über einen längeren Zeitraum hinweg treu; sie sollte in seinem nachfolgenden wissenschaftlichen Oeuvre variierend immer wieder aufgegriffen werden. Und das Thema, das seinen Mentor Leo Just schon in den 1920er Jahren bewegt hatte und das er nun Raab anvertraute, war spannend genug: die Art und Weise und die Intensi-tät, wie die berühmten Concordata Nationis Germanicae, die im 15. Jahrhundert die Pfründenvergabe und die Bistumsbesetzungen bis in die „Sattelzeit“ hinein regelten, in der kanonistischen Literatur des 17./18. Jahrhunderts diskutiert und kommentiert wurden. Da im Römisch-Deutschen Reich das Verhältnis der Krone und der Fürsten zur Kurie immer sensibel und prekär blieb, kam diesen gelehrten Diskussionen in der Barock- und Aufklärungszeit eine erhebliche Bedeutung zu; sie waren sowohl von allgemeiner politischer, aber auch von kirchengeschichtlicher und kirchenrechtlicher Relevanz. Manche der von Raab herangezogenen Gewährsleute und Teilnehmer an dem gelehrten Diskurs über die kirchenrechtlichen und kirchenhistorischen Fun-damente einer möglichen Nationalkirche – etwa Georg Christian Neller und Johann Kaspar Barthel – sind, recht betrachtet, erst durch ihn in den Fokus der Forschung gerückt.

    Nach der Promotion konvergierten die beiden Lebensläufe aber dann stärker, und jetzt werden sie auch für unseren Ansatz spannender. Just erhielt zunächst Stipendien der Görres-Gesellschaft und dann auch der Notgemeinschaft der deutschen Wissen-schaft zur Herausgabe der Schriften von Joseph Görres, also eines anderen bedeuten-den Koblenzers der Sattelzeit, der freilich im Unterschied zu Lassaulx eine deutliche Wendung hin zu einem nationalen Denken vollzog. Das Stipendium der Notgemein-schaft sollte einer Studie über den Trierer Weihbischof Nikolaus Hontheim dienen, also jenen katholischen Aufklärer, der sich in einer berühmten Schrift unter einem Pseudonym (Febronius) für eine nachhaltige Stärkung der episkopalen Gewalt zu Lasten der päpstlichen Zentralgewalt stark gemacht hatte. Das Vorhaben Justs nahm dann aber rasch einen anderen Charakter an und mündete in eine Aufarbeitung der komplizierten kirchenrechtlichen Situation des Erzbistums Trier, dessen geistlicher Sprengel sowohl deutsche als auch französische Gebiete umfasste. Gemeinsam mit dem katholischen (und politisch sehr aktiven²¹) vormals Straßburger Historiker

    20 Vgl. Feldkamp, Reichskirchengeschichtsschreibung (wie Anm. 12), S. 1024  f.21 Nach seiner Wahl in den Reichstag 1924 ließ Spahn, inzwischen Professor in Köln, seine akade-mischen Pflichten im Wesentlichen ruhen.

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    Martin Spahn sowie mit dem protestantischen Berliner Ordinarius Albert Brackmann und dem katholischen Kirchenrechtler und Reichstagsabgeordneten Georg Schreiber entwickelte Just vor diesem Hintergrund das Konzept eines umfassenden Handbuchs der Reichskirchengeschichte zwischen dem Tridentinum und der Säkularisation, in dem der Trier-Band dann als Pilotband auch tatsächlich erscheinen sollte. 1929  – dieses Projekt war noch am Laufen – war Just mit einer Bewerbung um eine Assis-tentenstelle – formal war das eine „Hilfsassistenz“ – am Preußischen Historischen Institut in Rom erfolgreich, also jener damals bereits über 40 Jahre alten Forschungs-einrichtung, die aktuell unter der Leitung des protestantischen Wissenschaftsmag-naten Paul Fridolin Kehr stand, der neben seinen vielfältigen anderen Funktionen²² freilich nur sporadisch vor Ort weilte. Nach dem Bewerbungsgespräch in Berlin-Dah-lem beurteilte Kehr den Nachwuchshistoriker als einen „ungewöhnlich intelligen-ten, kenntnisreichen, arbeitsfreudigen und energischen Gelehrten“,²³ was bei Kehrs großer Erfahrung etwas heißen wollte (und es nachvollziehbar macht, dass er Just in späteren Jahren immer wieder mit Rat und Tat zur Seite stand). Just traf in Rom seit dem Herbst 1929 auf ein hoch ambitioniertes und anregendes Team von Nachwuchs-wissenschaftlern, von denen Friedrich Baethgen, Carl Erdmann, der Kirchenhistori-ker Karl August Fink, Hans-Walter Klewitz und Gerd Tellenbach hier genannt sein sollen. Von Nutzen im Sinn einer akademischen Karriere ist ihm diese Zusammenar-beit mit später zu hohen Ämtern aufgestiegenen Kollegen nicht unbedingt gewesen, um so weniger als einige von ihnen in der für Justs Weiterkommen kritischen Phase der mittleren und späteren 1930er Jahren nur über wenig, wenn überhaupt, Einfluss verfügten. Einem „Kartell“ ehemaliger „Römer“, die in den Nachkriegsjahren einan-der bei ihren wissenschaftlichen Karrieren gegenseitig behilflich waren, gehörte Just jedenfalls nicht an, mochte die Beziehung zu Tellenbach und Fink auch durchaus ihre Tiefe gehabt haben. Er hat deswegen, nachdem er denn endlich akademisch reussiert hatte, auch gar nicht erst den Versuch gemacht, andere ehemalige „Römer“ nach Mainz zu ziehen und mit ihnen einen inhaltlich-thematischen Schwerpunkt zu etablieren.

    Heribert Raab ging ziemlich rasch nach seiner Promotion und der Übernahme einer Assistenz am Lehrstuhl seines Doktorvaters,²⁴ 1955, auf Empfehlung seines Mentors auf Stipendienbasis nach Rom,²⁵ also nicht als etatisierter Mitarbeiter. Aber es kann trotzdem angenommen werden, dass auch er in der anregenden Umgebung, für die der neue Institutsdirektor Walther Holtzmann sorgte, in den Betrieb des DHI

    22 Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, Vorsitzender der Zentraldirektion der Monu-menta Germaniae Historica.23 Zit. von Feldkamp, Leo Just (wie Anm. 12), S. 21.24 Raab versah diese Assistenz, die wiederholt verlängert wurde, bis zu seiner Habilitation im Juli 1960, also – mit der römischen Unterbrechung – acht Jahre lang.25 Die Assistenz wurde während seiner zweijährigen Beurlaubung vertreten durch Winfried Tru-sen, der sich dann ganz der Rechtsgeschichte zuwandte und Professor in Würzburg wurde.

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    voll integriert war und er Dieter Albrecht, der dann Leo Just in Mainz nachfolgen sollte, und Horst Fuhrmann, Norbert Kamp und Heinrich Lutz, Erich Meuthen und August Nitschke, Konrad Repgen und Franz-Josef Schmale häufiger als nur gelegent-lich traf. Ob er mit einem von ihnen wirklich Freundschaft schloss, entzieht sich unserer Kenntnis, ist aber eher zu bezweifeln. Verifizieren ließe sich diese Annahme – beim offensichtlichen Fehlen eines Nachlasses Raab – freilich nur über die Durch-sicht von sehr vielen dritten Gelehrtennachlässen. Was aber auch im Fall Heribert Raab auf jeden Fall gesagt werden kann, ist, dass ihm diese römischen Bekanntschaf-ten auf seinem Karriereweg nicht offensichtlich förderlich waren. Mit dieser spannen-den Neuaufbruchsphase des römischen Instituts, das ja nach vielen diplomatischen Irrungen und Wirrungen erst 1953 an die Bundesrepublik Deutschland restituiert und am Corso Vittorio Emanuele wiedereröffnet wurde, hat sich der Jubilar im Übrigen auch selbst beschäftigt.²⁶

    Beide, Just und Raab, nutzten die Jahre in Rom, um in den Vatikanischen Archi-ven ausgedehnte Quellenstudien zu betreiben  – in beiden Fällen für die geplante Habilitationsschrift, deren Thema bei beiden am Beginn ihrer jeweiligen Rom-Auf-enthalte noch nicht präzise festlag, die also als Suchende in die Ewige Stadt kamen. Von dieser Unsicherheit über die endgültige Festlegung des Themas der zweiten Qua-lifikationsschrift her erklärt es sich, dass beide einen sehr breiten archivalischen Ein-stieg in die Geschichte der alten Reichskirche wählten. Just war dabei, recht betrach-tet, der erste Historiker, der die Überlieferung der Kölner Nuntiatur erschloss und wichtige Anstöße zu ihrer Erforschung gab. Von den dort erhobenen Akten sollten beide weit über die römische Zeit hinaus wissenschaftlich „leben“, auf sie griffen sie über längere Wegstrecken, ja, im Fall Just bis an das Lebensende für größere und klei-nere Studien immer wieder zurück. Raab hatte, möglicherweise auch durch die neuen technischen Möglichkeiten bedingt, einen wohl noch größeren Aktenfonds  – der ehemaligen Kölner Nuntiatur und anderer Provenienzen – erhoben, ohne dass es zu einer – denkbaren – Gesamtgeschichte der Kölner Nuntiatur im Verhältnis zum Reich und zur Germania sacra oder auch zu einer Geschichte der Reichskirche in ihren Aus-einandersetzungen mit der Moderne, mit Aufklärung und Säkularisation, gekommen wäre. Bei ihm waren die römischen Jahre zwar knapper bemessen als bei Just, der immerhin vier Jahre in Rom weilte, allerdings unterbrochen durch bemerkenswert

    26 M.  Matheus, Gestione autonoma. Zur Wiedereröffnung und Konsolidierung des Deutschen Historischen Instituts in Rom (1953 bis 1961), in: Deutsche Forschungs- und Kulturinstitute in Rom in der Nachkriegszeit, hg. von dems., Tübingen 2007, S. 99–126; ders., Die Wiedereröffnung des Deut-schen Historischen Instituts 1953 in Rom. Transalpine Akteure zwischen Unione und Nation, in: Die Rückkehr der deutschen Geschichtswissenschaft in die „Ökumene der Historiker“, hg. von U. Pfei l , München 2008, S. 91–113; Ders. , Deutsche Akteure im internationalen Kontext. Zu den Auseinan-dersetzungen um die deutschen Forschungsinstitute in Italien (1949–1953), in: 100 Jahre Bibliotheca Hertziana/Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte. Die Geschichte des Instituts 1913–2013, hg. von S. Ebert-Schifferer, München 2013, S. 124–143, 283–291.

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    zahlreiche Archivreisen nach Frankreich, Luxemburg und das rheinische Deutsch-land; nach nur zwei Jahren kehrte dagegen der Görres-Stipendiat Raab wieder nach Mainz zurück, um sich ganz seiner Habilitationsschrift zu widmen.

    Für Just waren die römischen Jahre damit ausgefüllt, nicht nur seine umfäng-liche Studie über das Erzbistum Trier und die Luxemburger Kirchenpolitik von Philipp II. bis Joseph II. zum Druck zu befördern, die in der genannten neuen, von ihm mit initiierten Reihe „Die Reichskirche vom Trienter Konzil bis zur Auflösung des Reiches“ erschien,²⁷ sondern vor allem, wie erwähnt, der Materialerhebung für seine Habilitationsschrift, deren Thema er kurzfristig noch einmal geändert hatte und in bemerkenswert kurzer Zeit abschloss. Sie behandelte jetzt – Just blieb der Region treu – den (letztlich erfolglosen) Kampf um das dem Behauptungswillen gegenüber französischen Ansprüchen entsprungene lothringische Staatskirchentum am Beginn des 18. Jahrhunderts aus kurialer Sicht,²⁸ konkret ein Gesetzbuch, das wegen staats-kirchlicher Passagen in Rom verurteilt und schließlich vom Herzog wieder zurück-gezogen wurde.²⁹ Die Schrift wurde der Bonner Fakultät im Frühjahr 1933 vorgelegt. Die Habilitation, die von Max Braubach und Wilhelm Levison mentoriert wurde, die in Gestalt des Protestanten Fritz Kern, des Gründungsdirektors des nachmaligen In-stituts für Europäische Geschichte, aber auch auf Gegenwind stieß und keineswegs ein „Selbstläufer“ war, verzögerte sich indes – umständebedingt –, weil die Verlei-hung der venia vom eigentlichen Habilitationsverfahren abgetrennt und von der vor-herigen Teilnahme an einem Wehrsportlager und der Kitzeberger Dozentenakademie abhängig gemacht wurde. 1934 wurde das Verfahren dann mit der Erteilung der venia legendi beendet.

    Bei Raab gab es vergleichbare politisch bedingte Verzögerungen nicht. Er wurde – mit einer umfangreichen Studie über den wettinischen Kirchenfürsten Clemens Wenzeslaus, der u.  a. Kurfürst-Erzbischof von Trier gewesen war – 1960 an „seiner“ Mainzer Universität habilitiert, natürlich mit Leo Just als Hauptgutachter, der damals freilich gesundheitlich schon stark belastet war und seinen Dienstpflichten nur noch bedingt nachkommen konnte. Die Clemens-Wenzeslaus-Studie, die auf römischen, aber selbstverständlich auch auf anderen Aktenfonds aus stattlichen 14 deutschen und außerdeutschen Archiven aufruhte, wurde dann 1962 publiziert,³⁰ gelangte aber – Schicksal so mancher Habilitationsschrift – über den 1. Band nie hinaus; die Ankündigung im Vorwort, der 2. Band werde „im nächsten Jahr“ erscheinen, wurde nie eingelöst. Raabs Nachfolger auf der Assistenz und Zimmergenosse Helmut Mathy

    27 Leipzig 1931.28 Clemens XI. und der Code Léopold (1701–1720). Die kuriale Politik im Kampf um das lothringi-sche Staatskirchentum zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1935.29 Erste Skizzierung: Just an Kehr, 1932 Jan. 18 (Briefe, Nr. 36, S. 56  f.)30 Clemens Wenzeslaus von Sachsen und seine Zeit (1739–1812). Bd. 1: Dynastie, Kirche und Reich im 18. Jahrhundert, Freiburg/Basel/Wien 1962.

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    mutmaßte, dass er, der oft genug seinen Hohn und Spott über Habilitationsschriften ausgeschüttet hatte, die Fragmente geblieben waren, ihn sich für die Zeit nach der Emeritierung aufgespart hatte.³¹

    Raab, der ganz rasch nach seiner Habilitation von seiner Fakultät für die Ernen-nung zum Wissenschaftlichen Rat vorgeschlagen wurde und 1966 dann auch zum Wissenschaftlichen Rat und Professor, hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt bereits als der deutsche Fachmann der Nach-Just-Ära schlechthin für die Aktivitäten der Kölner Nuntiatur profiliert und insbesondere in der „Römischen Quartalschrift“,³² aber auch in landesgeschichtlichen Zeitschriften eifrig Einzelstudien zu den Finalrelationen der Nuntien des 18.  Jahrhunderts  – es war damals ja klar, dass die Editionen der vom Deutschen Historischen Institut Rom betreuten „Nuntiaturberichte aus Deutschland“ nie das 18.  Jahrhundert erreichen würden – und zu den Informativprozessen deut-scher Bischöfe bzw. Erzbischöfe publiziert. Da sich diese rege Publikationstätigkeit nach der Habilitation fortsetzte und Raab sich nun auch weitere Persönlichkeiten der Reichskirche des ausgehenden 18.  Jahrhunderts und Phänomene wie den Epi-skopalismus und die Säkularisation sowie die kirchlichen Reunionsbemühungen erschloss,³³ erschienen viele Voraussetzungen für eine rasche akademische Karri-ere gegeben zu sein. Wenn es dann doch nicht dazu kam, Raab vielmehr bis 1967 in Mainz – unterbrochen durch eine immerhin viersemestrige Lehrstuhlvertretung in München (1963–1965), übrigens keineswegs sine spe – lehrte und erst in jenem Jahr auf eine außerordentliche, einige Jahre später in eine ordentliche umgewandelte Pro-fessur im eidgenössischen Fribourg berufen wurde, dann hing das möglicherweise auch mit seinem schwierigen Charakter zusammen. Raab wirkte – jedenfalls auf die Studenten – unnahbar, wenn nicht abweisend, einem Über-Ehrgeiz verpflichtet, war, wie es Weggenossen erschien, ein Arbeitstier, das an sich und an andere allerhöchste Ansprüche stellte.³⁴ Er hat, soweit zu ermitteln, in Mainz auch keine Doktoranden betreut. Auch das sicher nicht zufällig, ist er beispielsweise nie in die Mitherausge-berschaft der von seinem eigenen Lehrer Leo Just begründeten einschlägigen Veröf-fentlichungsreihe „Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit“ kooptiert

    31 Mathy (wie Anm. 15), S. 487.32 In der Römischen Quartalschrift hat Raab, soweit die Bibliographie in der ihm gewidmeten Festschrift erkennen lässt, bis 1988 acht Aufsätze publiziert, freilich seit den späten 1960er Jahren mit abnehmender Frequenz.33 Sie spiegeln sich in der zu seinem 65.  Geburtstag erschienenen, wohl von ihm selbst weitge-hend konzipierten Aufsatzsammlung: Reich und Kirche in der Frühen Neuzeit. Jansenismus – Kirch-liche Reunionsversuche – Reichskirche im 18. Jahrhundert – Säkularisation – Kirchengeschichte im Schlagwort, Freiburg/Schweiz 1989.34 Vgl. auch die Einschätzung des Weggefährten Helmut Mathy in dem oben Anm.  15 zitierten Nachruf: „So mochte er bisweilen in seiner Apodiktik manchem Seminarteilnehmer, den er mit sei-nem stupenden Wissen immer wieder imponierte, als fordernd, ja bisweilen in der Beurteilung der Arbeiten auch als rigoros erscheinen“ (S. 489).

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    worden, für die er an sich ein „geborener“ Partner gewesen wäre und die ja auch mit seiner eigenen Dissertation eröffnet worden war.³⁵ Offenbar stand er sich  – so etwa auch bei der Schnabel-Nachfolge in München – gelegentlich wohl selbst im Weg. Auch seine späteren Versuche, von Fribourg aus einen deutschen Lehrstuhl zu über-nehmen, blieben allesamt erfolglos.³⁶

    In Mainz hat Raab, wenn meine Erinnerung mich nicht im Stich lässt, wenig zur Geschichte des Papsttums und der Kurie angeboten, wohl weil er glaubte, bei den Studierenden ohnehin nicht die erforderlichen Sprachkenntnisse voraussetzen zu können. Er las in den Kollegs  – wie einst sein Lehrer Leo Just  – über Europäische Geschichte, hier dann zwar oft die Kirchengeschichte und namentlich die Reichskir-chengeschichte thematisierend, aber seine „römische“ Vergangenheit konnte man nur noch erahnen, wenn man sich seine Veröffentlichungen vergegenwärtigte. Rom war für ihn eine – ihm von seinem Lehrer nahegelegte und sehr intensiv und pro-duktiv genutzte – kurze Etappe in seinem wissenschaftlichen Leben, aber nichts, von dem er bis ans Lebensende zehrte. Wenn mein Kenntnisstand richtig ist, war er bei-spielsweise auch nie im Gespräch, Mitglied des Beirats des römischen Instituts zu werden. Vielleicht wirkten seine vielen kleinen Studien über Informativprozesse und Aktenfunde aus dem Archiv der Kölner Nuntiatur für ihn selbst irgendwann einmal ermüdend – und offensichtlich nur bedingt karrierefördernd. Die Verlagerung seiner Interessen in seiner Zeit in Fribourg auf Joseph Görres, einen Rheinländer, dem sich der aus dem linksrheinischen Bonner Hinterland stammende Mann wohl auch emoti-onal stark verbunden fühlte, über den er nicht nur eine profunde Biographie³⁷ schrieb, sondern auch zwei Bände seiner „Gesammelten Schriften“ herausgab³⁸ und als Her-ausgeber einer traditionsreichen Gesamtausgabe tätig war, spricht für sich  – auch wenn sich hier der Kreis zwischen Lehrer und Schüler auf ganz eigenartige und fast etwas melancholisch anmutende Weise schließt. Andreas Kraus, Raab wohl als einer nur weniger Kollegen in ganz besonderer Weise verbunden, stellte seine Ansprache aus Anlass der Überreichung der Festschrift zu Raabs 65. Geburtstag bezeichnender-weise schon unter das Thema „Dem Biographen des großen Görres“.³⁹

    Für Leo Just war seine römische Erfahrung demgegenüber dauerhafter, prägen-der. Er hat sich – unter dem ständigen Rekurs auf die Geschichtslandschaft der Rhein-lande zwischen Deutschland und Frankreich – in den Jahren um 1940, nachdem die ersten Bewerbungen des praktizierenden Katholiken wegen seiner ungünstigen Beur-

    35 Er hat allerdings wohl während Justs Erkrankung die Geschäfte dieser Reihe geführt.36 Raab hat sich später durchaus bemüht, an eine deutsche Universität zurückzukehren  – so be-warb er sich zum Beispiel 1972 auf den Hassinger-Lehrstuhl in Freiburg/Br.  –, scheiterte aber mit diesen Bewerbungen.37 Joseph Görres. Ein Leben für Freiheit und Recht, Paderborn [usw.] 1978.38 Leben und Werk im Urteil seiner Zeit 1776–1876, Paderborn [usw.] 1985; Schriften der Straßbur-ger Exilzeit 1824–1827, Paderborn 1987.39 Festschrift (wie oben Anm. 16), S. IX–XVIII.

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    teilung durch die Dozentenakademie und des ihm anhängenden Rufs, eine „Kreatur“ Braubachs zu sein, um Professuren erfolglos geblieben waren⁴⁰ und er dann, sicher mehr nolens als volens, 1938 Parteimitglied geworden war, mit publizierten Vor-trägen, die den NS-Sprachgebrauch durchaus adaptierten, um das spannungsvolle Verhältnis zwischen Frankreich und dem Reich im Wandel der Geschichte bemüht. So hat er beispielsweise eine aus einem Bonner „Kriegsvortrag“ erwachsene kleine Schrift „Der geistige Kampf um den Rhein“ publiziert, die nicht zufällig schon nach einem Jahr eine zweite Auflage erlebte.⁴¹ Zuvor hatte er schon in seiner Bonner Antrittsvorlesung vom November 1934 dem „Zeitgeist“ Tribut gezollt und, ganz im Einklang mit Franz Steinbachs Parolen von der „völkischen Rückeroberung“ dazu aufgerufen, das Saarland als das „letzte Stück eines Landes“ zu verteidigen, „dessen Volkstum auch außerhalb der Grenzen ewig zu uns gehört“; die Saarabstimmung werde mit Sicherheit der „Verwelschung“ Einhalt gebieten und die Wende im Kampf des deutschen Grenzvolkes im Sinn seiner „Heimkehr ins Reich“ einläuten.⁴² Aber ungeachtet dieser auch vom Dienstort Bonn „diktierten“ Hinwendung zur politisch aufgeladenen Rheinfrage und der westlichen Volkstumspolitik: Italien und die Kurie blieben in seinem Fokus – „die Geschichte Italiens liegt mir sehr am Herzen“, ließ er den Direktor des römischen Instituts im März 1935 wissen.⁴³ In einem Brief an Paul Fridolin Kehr vom Herbst 1933 beklagte er, dass ihm seine Absichten, sich jetzt dem Risorgimento und dem italienischen Faschismus zuzuwenden, bei seiner Karrierepla-nung unter den gegenwärtigen schwierigsten Verhältnissen in keiner Weise förderlich wären.⁴⁴

    Immerhin hat er, inzwischen durch den Kriegseinsatz mehrerer Professoren des Bonner Historischen Seminars akademisch etwas aufgewertet, in derselben Schrif-tenreihe der Bonner Universität 1940 einen Kriegsvortrag über „Das Haus Savoyen und Italiens Aufstieg. Ein geschichtlicher Rückblick“⁴⁵ publiziert, der sich freilich dem Drängen der Universitätsleitung im Zusammenhang mit der geplanten, aber nie realisierten Errichtung eines Lehrstuhls für italienische Geschichte verdank-te.⁴⁶ Neben seinem großen Handbuch-Artikel in dem von ihm mit herausgegebenen

    40 Viel Material dazu in der oben Anm. 14 genannten Briefe-Edition von Feldkamp. Er hatte sich wenigstens um Lehrstühle in Braunsberg, Freiburg, Würzburg, Innsbruck und Tübingen beworben. Vgl. auch Wojtynowski (wie Anm. 12), S. 76.41 Bonn 1940, 2.  Aufl. 1941. Das Büchlein erschien in der Reihe „Kriegsvorträge der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn am Rhein“, Heft 36.42 L. Just , Lothringen und die Saar, in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 14 (1935), S. 143–159. – Ich danke meinem Mainzer Kollegen Franz-Josef Felten für diesen Hinweis.43 Just an Kehr, 1935 März 31 (Briefe, Nr. 57, S. 87).44 Vgl. Feldkamp, Reichskirchengeschichtsschreibung (wie Anm.  12), S.  1023, unter Bezugnah-me auf einen Brief Justs vom 6. November 1933.45 Bonn 1940 (Kriegsvorträge …, Heft 19).46 Feldkamp, Reichskirchengeschichtsschreibung (wie Anm. 12), S. 1026.

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    „Handbuch der deutschen Geschichte“,⁴⁷ neben seinen Görres-Studien und -Heraus-geberschaften und später seinen Arbeiten zur Mainzer Universität hat immer auch die Kurie und die Reichskirchenpolitik des ausgehenden 18. Jahrhunderts ihren Platz behalten. Das letzte Buch, dessen Erscheinen Just, seit Jahren unter Knochenkrebs leidend, vor seinem Tod 1964 noch erlebte, betraf ein Thema, das ihn, den mit Trier ebenso eng wie mit Rom vertrauten Mann immer wieder, seit den ausgehenden 1920er Jahren und seinem Plan, seine Habilitationsschrift Nikolaus Hontheim zu widmen, elektrisiert hatte: den Widerruf des Febronius im Spiegel der Korrespondenz eines deutschen Prälaten mit dem Wiener Nuntius Garampi.⁴⁸ Bezeichnenderweise stand nun aber nicht mehr Hontheims die Kurie herausfordernde These im Mittelpunkt seines Interesses, also die Forderung nach einer deutschen Nationalkirche, sondern Hontheims Widerruf in den ausgehenden 1770er Jahren, also seine faktische Rück-kehr unter die kuriale Obedienz. Das Vorwort der genannten Edition erhellt, dass Just seit 1932 – tatsächlich aber wohl schon 1931 – im Besitz des ihm von einem kurialen Archivbeamten zugänglich gemachten Materials aus dem Fondo Garampi war,⁴⁹ das wohl von zentraler Bedeutung für die kurialen Entscheidungsprozesse war. Wie sehr ihn Rom und die Kurie dauerhaft geprägt hatten und wie sehr er von den damaligen Archivarbeiten zehrte, spiegelt sich in dieser Episode überdeutlich. Seine fast emoti-onale Beziehung zu seinen römischen Jahren und seinem Dienstort manifestiert sich auch darin, dass er seit 1930 mehr oder minder regelmäßig in den am römischen Insti-tut herausgegebenen „Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bib-liotheken“ publizierte, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn auch dann eher im Rezensionsteil. Und: Auch in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Sorgen kehrte er immer wieder einmal zu Archivarbeiten nach Rom zurück, etwa in den Osterferien 1937.⁵⁰

    Sein Nachlass spiegelt eindrücklich wider, wie sehr ihn das Erlebnis „Italien“ seit den späten 1920er Jahren „gepackt“ hatte. Es findet sich in ihm ein dickes Konvolut mit handschriftlichen Exzerpten und Zeitungsausschnitten, die wohl als Grundlage einer zu schreibenden Monographie über das deutsche Italienerlebnis seit der Frühen Neuzeit gedacht waren, zu der es nie kommen sollte, und hier finden sich auch Tagebuchnotizen seiner Kunstreisen, die er – soweit sie Rom betrafen – 1929/30 mit anderen Mitarbeitern des römischen Instituts unternahm, namentlich mit Tellenbach und Finke. In einem Entwurf hat er kurz vor Kriegsende, im März 1945, skizziert, wie er sich eine solche persönlich gefärbte Würdigung Italiens hätte vorstellen können: ein stichwortartiger Aufriss mit den Stationen seiner Aufenthalte in den 1930er Jahren

    47 Der aufgeklärte Absolutismus, Handbuch Bd. 2, Abschnitt 4, Konstanz 1952.48 Der Widerruf des Febronius in der Korrespondenz des Abbé Franz Heinrich Beck mit dem Wie-ner Nuntius Giuseppe Garampi, Wiesbaden 1960.49 S. VII. Auch: Just an Kehr, 1931 Mai 8 (Just , Briefe [wie Anm. 14], Nr. 26, S. 40  ff.), sowie Just an Kehr, 1931 Juni 7 (ebd., Nr. 27, S. 45).50 Just an Kehr, 1937 März 28 (Briefe, Nr. 59, S. 88  f.).

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    und mit den wichtigsten Begebenheiten, etwa einer durch den Trierer Bischof Franz Rudolf Bornewasser vermittelten Papstaudienz, einer Rede Goebbels’ und seiner Teil-nahme am 50. Geburtstag des römischen Instituts. Das sollte wohl in den Mußestun-den nach dem Krieg – auf die er sich innerlich wohl eingestellt hatte – ausgearbeitet werden, aber zu diesen Mußestunden sollte es dann doch nicht kommen.

    Mit dem Hinweis auf Justs letztes, aus den römischen Archivbeständen geschöpf-tes Buch sind wir den Dingen vorausgeeilt. Eher unerwartet, erhielt der in Bonn eini-germaßen überraschend als unbelastet und nur formaler Parteigenosse eingestufte,⁵¹ freilich in der Nachkriegszeit oft Bedauern, Scham, Reue ob seines nicht geradlinigen Verhaltens in der NS-Zeit zum Ausdruck bringende Gelehrte im Frühjahr 1946 den Ruf auf den Lehrstuhl für Weltgeschichte und Neuzeitliche Geschichte an der gerade begründeten Mainzer Universität, verbunden mit der Funktion des Gründungsde-kans der Philosophischen Fakultät. Für den eher als ängstlich, scheu, manchmal, vor allem gegenüber den französischen Funktionsträgern als devot charakterisierten, jedenfalls nie hemdsärmelig auftretenden und seine Ellenbogen einsetzenden Mann war das sicher eine ganz besondere Herausforderung, die er aber als gelegentlicher „Ein-Personen-Vermittlungsausschuss“ erstaunlich souverän bewältigte.⁵² Es spricht manches dafür, dass die Mainzer und französischen Verantwortlichen sich seiner Frankreichnähe wegen für ihn entschieden, sprach er doch nicht nur ein glänzen-des Französisch, sondern hatte Frankreich und Paris auch immer wieder bereist, und dass seine Forschungen in ganz ungewöhnlicher Dichte dem deutsch-französischen Grenzraum gewidmet gewesen waren, wurde bereits gezeigt. Es war in seinem Fall eine klare Personalentscheidung zu seinen Gunsten  – unter (freilich ob ihrer viel intensiveren Verstrickung mit dem NS-Regime leicht nachvollziehbaren) Hintanstel-lung von Historikern wie Wilhelm Mommsen, Georg Smolka und Willy Andreas.⁵³ Dass sich auch kirchliche Kreise in Mainz – bis hin zu Bischof Stohr – für ihn ver-wendet hatten, scheint erwiesen zu sein.⁵⁴ Den Kreis von Kollegen, der zeitgleich mit ihm an die taufrische Alma mater Moguntina berufen wurde  – in aller Regel ohne sein Zutun und seine Einflussnahme –, verband nicht eine römische Vergangenheit, sondern eher eine rheinische Herkunft, ob man etwa an Heinrich Büttner,⁵⁵ Eugen Ewig⁵⁶ oder Theodor Schieffer⁵⁷ denkt, die alle drei seit 1946 in Mainz lehrten – inso-fern blieb das Historische Seminar dann doch generationell und landsmannschaft-lich irgendwie kompakt, freilich nicht italienlastig. Es war zugleich die Phase von Justs akademischer Karriere, die – der Umstände geschuldet – nicht glänzend und

    51 Wojtynowski, S. 77.52 So eine Formulierung von H. Mathy, Leo Just (wie Anm. 12), S. 14.53 Wojtynowski (wie Anm. 12), S. 21.54 Ebd., S. 15.55 Ebd., S. 80–82.56 Ebd., S. 82–84.57 Ebd., S. 77–79.

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    geradlinig verlaufen war, in der er zum ersten Mal auch wissenschaftlichen Erfolg in bezug auf Schüler und Schülerinnen hatte, die von ihm zur Promotion geführt wurden.⁵⁸ Nicht alle von ihnen hatten römische Schwerpunkte, was der Quellenerhe-bung wegen auch noch längst nicht so einfach war wie heute, aber immerhin einige von ihnen hatten einen Schwerpunkt in der Staat-Kirche-Problematik und der Reichs-kirchengeschichte. Heribert Raab, um auf unser Thema zurückzukommen, war nicht der erste von ihnen, aber der, der akademisch am meisten reussierte.

    Neben der Reichskirchengeschichte behielt Italien in allgemeinerer Form in Justs Oeuvre seine Bedeutung. In der Nachkriegszeit veröffentlichte er beispielsweise noch gewichtige Essays in den „Questioni di Storia Contemporanea“,⁵⁹ in den „Atti del Con-gresso internazionale di scienze storiche“⁶⁰ und in der „Rassegna storica toscana“⁶¹ und rezensierte wiederholt italienische Neuerscheinungen. Auch in seinen Mainzer Lehrveranstaltungen⁶² kam Italien eine hervorragende Rolle zu; Seminare und Vorle-sungen zur Renaissance in Italien, zu Machiavelli, zum Prozess der Einigung Italiens, zu Cavour, zum Vaticanum I mögen das illustrieren, das letzte von ihm angekündigte Oberseminar sollte das Thema „Pius IX. und die Entstehung der römischen Frage“ behandeln. Rom, Italien blieben auf Dauer mehr als heimliche Lieben Leo Justs, auch wenn er dieser Liebe wegen der Zwänge eines breit aufgestellten Lehrstuhls nicht immer nachkommen konnte und vor allem glaubte, den Erwartungen der französi-schen Behörden gemäß sich auch intensiv in der französischen Geschichte tummeln zu sollen. Die Einrichtung des Wissenschaftlichen Beirats des römischen Instituts 1961⁶³ erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Just von seiner schweren Krankheit bereits gezeichnet war – er kam deswegen für die Übernahme eines Beiratssitzes nicht mehr in Betracht, aber er wäre ohne dieses Ausschlusskriterium wohl ein ganz heißer, gewissermaßen ein natürlicher Kandidat gewesen.

    Jedes Doppelporträt muss mit geradezu zwingender Notwendigkeit auf das Aufzei-gen von Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen, mithin von Parallelen und deut-lichen Unterschieden, hinauslaufen. Leo Just und Heribert Raab, der akademische Lehrer und der Schüler, haben das Römische, die römische Erfahrung sicher ganz unterschiedlich auf ihr Leben einwirken lassen – Just sehr viel emotionaler und tiefer wirkend, Raab rationaler  –, aber beide haben auf ihre Weise der Erforschung der alten Reichskirche eine feste Heimat in Mainz gegeben. Just – eine wunderbare Wort-schöpfung! – „verrömerte“ (bzw. ließ sich „verrömern“), für Raab blieb Rom eine gern

    58 Einige von ihnen (Schuhmann, Kramer, Hagmann) aufgeführt bei Wojtynowski (wie Anm. 12), S. 106.59 3 (1953), S. 653–691.60 Roma 1957, S. 171–175.61 6 (1960), S. 289–298.62 Zusammengestellt von M. F. Feldkamp in der oben Anm. 14 genannten Edition.63 Vgl. Matheus, Gestione autonoma (wie Anm. 26), S. 114.

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    genutzte, aber nicht mit sonderlicher Empathie bedachte Materialbasis. Just war der Pionier, Raab der gelehrige Schüler, der sich nach seiner Berufung ins Ausland dann aber von der Forschungstradition seines Mentors – und auch von seiner Heimatuni-versität⁶⁴ – mehr und mehr emanzipierte – bezeichnenderweise sind in der weithin von eidgenössischen und österreichischen Historikern geprägten Festschrift zu seinem 65. Geburtstag nur noch ganze drei Beiträge der Reichskirche der Vormoderne gewidmet.⁶⁵ Immerhin: In den 1950er Jahren konnte die junge Mainzer Universität als eine Hochburg der Reichskirchengeschichtsschreibung und der wissenschaftlichen Aufarbeitung des römischen Archivmaterials gelten. Der Genius der Germania Sacra und der Sancta Sedis Moguntina wehte noch einmal kräftig und verband sich auf ganz eigene Weise mit der Roma aeterna.

    64 Vgl. die Einschätzung von H.  Mathy: In der Schweiz habe Raab zunächst noch eine Verbin-dung zu seinen reichskirchengeschichtlichen Wurzeln aufrecht erhalten, „obgleich er dort kaum noch Kontakte zu seinem ehemaligen Mainzer Umfeld pflegte“ (Erforscher [wie Anm. 15], S. 498). In der Tabula gratulatoria seiner Festschrift finden sich nur noch ganz wenige Mainzer Einträge, noch nicht einmal die seines langjährigen Assistentenkollegen Helmut Mathy oder die seines Ko-Autors des „Wörterbuchs der Geschichte“, Konrad Fuchs.65 Die Aufsätze von Nikolaus Grass, Manfred Weitlauff und Pierre Louis Surchat. – Leider enthält weder die Festschrift noch die oben Anm.  32 genannte Aufsatzsammlung ein Verzeichnis der von Raab betreuten Dissertationen, so dass Angaben zu seinen Doktoranden in Fribourg und deren The-men schwierig sind.