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von caroline von eichhorn und christoph behrens B ig Bombie“, ruft der Dorfbe- wohner, lässt seine Hände wie Düsenflugzeuge kreisen. Die Hände fliegen auseinander. „Boom!“ Der Mann steht vor seiner Holzhütte und stellt den Indochina- krieg nach. Vor einem halben Jahrhundert krachte es hier gewaltig. US-Kampfpiloten bombardierten jahrelang den Flecken, auf dem heute sein Haus, sein Hühnerstall und eine Handpumpe steht, an der sich die Fa- milie wäscht. Jetzt streckt er das Überbleibsel des Luftkriegs, ein pechschwarzes Ding, stolz in die Luft. In seinen Händen hält der Bau- er eine kleine, fiese 120-mm-Wurfgranate. Sie sieht ein wenig wie eine Aubergine aus und enthält wohl genug Sprengstoff, um fünf Menschen zu töten. Er streckt sie sei- nen Besuchern aus Deutschland entgegen. Mal anfassen, boom? Nein, danke. Die Foto- grafin ist bereits in Deckung gegangen. Warum denn bloß? Der Dorfbewohner kann es nicht fassen. Achselzuckend legt er die Bombe beiseite und beginnt sum- mend, die Hühner zu füttern. So ist das hier im Norden von Laos mit den Bomben: Alltag. Überall liegen sie, in den Feldern, Flüs- sen, auf den Berggip- feln. Wenn der Mon- sun kommt, weicht der Regen den Boden auf und die Spreng- körper wandern an die Oberfläche wie vergiftete Pilze. Im Nachbarort schmel- zen sie das Altmetall ein und gießen Löffel daraus. Und die gro- ßen, mannsgroßen Torpedos, die einst über dem Himmel aufplatzten und die kleinen Granaten über dem Land ver- streuten, sind be- gehrtes Baumaterial. Wenn man mit dem Motorrad über die kurvigen Straßen voller Schlaglöcher holpert, sieht man die Bom- benteile gelegentlich in neuer Verwen- dung als Zaunlatten, Pfähle oder Futtertrö- ge für Kühe. Es ist ein gefährliches Wirt- schaftsmodell, denn viele der Kriegsreste sind noch scharf. Und es gibt eine Menge davon. Nirgendwo auf der Welt schlummern so viele Blindgänger wie auf der „Ebene der Tonkrüge“ in Nordlaos, zugleich eine der am wenigsten entwickelten Regionen der Welt. Wie viele es sind und wo sie liegen, weiß keiner genau. Sicher ist bloß: Von 1964 bis 1973 warfen US-Piloten etwa 270 Millionen Streubomben über Laos ab, die- se Zahl hat das US-Nationalarchiv doku- mentiert. Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit gingen 2,5 Millionen Tonnen Munition in dem bergigen Land nieder – mehr Bomben, als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen warfen. Große Bomben mit mehr als 100 Kilo- gramm Sprengstoff machten nur einen Teil davon aus, viel verheerender war der Abwurf von Clustermunition. Man kann sich das vorstellen wie einen Sack Konfetti, der aufplatzt. Die Bomber lassen einen gro- ßen Torpedo fallen, er enthält bis zu 900 Sprengkörper, jeder so groß wie eine Man- darine oder ein Apfel. Einige hundert Me- ter über dem Boden platzt die Schale auf und verstreut die Fracht in der Landschaft. Neun Jahre lang fiel im Schnitt fast jede Se- kunde eine Streubombe auf Laos. Und etwa jede dritte explodierte nicht. Diese Blindgänger sind gefrorene Ge- schichte, die darauf wartet zu tauen. Und wenn es passiert, dann trifft es unbedarfte Menschen wie Phongsavath Manithong. Es ist sein 16. Ge- burtstag, als der Schüler vom Unter- richt heimläuft und einer seiner Freunde etwas Rundes, Schwarzes auf dem Boden findet. Das glänzende Ding zieht sie an, nie- mand von ihnen hat so etwas je gesehen. Gib es mir, sagt Phongsavath. Sein Freund drückt ihm die Metallkugel in die Hand. Die Kugel explodiert, alles wird schwarz. Als er aufwacht, liegt er im Krankenhaus, er hat beide Hände verlo- ren und ist blind. Die Bombe hat seine Hände zerfetzt, die Ärzte haben sie ampu- tiert. „Überall in meinem Körper war Schmerz, meine Arme fühlten sich an, als würden sie brennen“, sagt Phongsavath. Der heute 22-Jährige umklammert mit den Unterarmen seinen Blindenstock. Er sitzt im gelben T-Shirt in einem Büro der Hilfsorganisation Handicap International in der Hauptstadt Vientiane und erzählt, wie sich seit dem Unfall alles verändert hat. Als er Wochen später in sein Dorf zu- rückkehrt, reagieren viele ablehnend. Er kann nicht mehr zur Schule gehen oder ar- beiten. Kinder rennen schreiend davon, wenn sie Phongsavath über die Straße humpeln sehen. Das Unwissen über die Ge- fahren ist groß. „Viele kleine Kinder wis- sen nicht, was sie da finden und spielen da- mit“, sagt Phongsavath. Als Behinderter hat er es schwer in der buddhistischen Ge- sellschaft. Wer einen Unfall erleidet, erhält damit die Quittung für Untaten in einem früheren Leben, glauben die Menschen. Aus Scham verstecken viele Angehörige Kinder und Jugendliche, die eine Explosi- on zu Invaliden gemacht hat. Wie viel Scha- den die Clusterbomben angerichtet haben, ist daher schwer zu ermitteln. Experten vermuten, dass die Bomben seit Ende des Krieges etwa 20 000 Laoten getötet haben, davon 8000 Kinder. Die Zahl der Schwer- verletzten liegt deutlich höher. „Laos ist exemplarisch, was Kriegshin- terlassenschaften verursachen können“, sagt der Freisinger Politikwissenschaftler Andreas Hofmann, der seit drei Jahren in Laos lebt und über Tourismus und Bom- ben promoviert. „Jedes Jahr, jeden Mo- nat“, passierten Unfälle, das Schlimmste sei die Ungewissheit. „Du weißt nicht wo sie liegen, wie tief sie liegen, ob sie noch funktionieren oder nicht.“ Viele Männer stoßen beim Umgraben des Gartens auf Kriegsmaterial oder bei der Feldarbeit. Frauen trifft es, wenn sie auf offenem Feu- er kochen und die Wärme eine im Boden vergrabene Bombe aktiviert. Dass die Ge- schosse so ähnlich wie Früchte aussehen und Kinder zum Spielen und Werfen ani- mieren, macht es nicht einfacher. Das schwere Erbe wird die Laoten wohl noch lange begleiten – obwohl man ver- sucht, die Kriegsreste zu beseitigen. Circa 20 auf Bombenräumung spezialisierte Or- ganisationen sind in Laos aktiv. „Feuerwer- ker“ heißen diese Spezialisten, zu Fünft zie- hen sie los, wenn ein Bauer eine Sprengla- dung entdeckt und Alarm geschlagen hat. Das verdächtige Feld teilen die Suchtrupps in Abschnitte von 25 auf 25 Meter ein, jeder startet auf seinem Quadrat rechts unten, dann arbeiten sie sich synchron vor – da- mit der Abstand zum Nachbarn im Falle ei- nes Unfalls maximal groß ist. Zwischen ei- ner und fünf Stunden brauchen sie für ein solches Planquadrat, die Hitze von oft über 40 Grad zwingt sie zu vielen Pausen. Spezi- alisten wie Karl-Heinz Werther koordinie- ren die Suchtrupps. „Wenn die Helfer ein Si- gnal im Detektor bekommen, graben sie sich langsam heran und legen die Ladung frei“, sagt der Bombenspezialist. Werther hat 18 Jahre lang auf dem Balkan und in In- dochina Tausende Landminen und Cluster- bomben vernichtet. Je älter die Ladungen, umso gefährlicher wird es. „Die Zünder werden mit der Zeit immer empfindli- cher“, sagt Werther. Anders als Antiperso- nen-Landminen folgen Streubomben zu- dem keinem Verlegeschema, das man mit der Zeit erkenne. Am Ende des Tages plat- zieren die Feuerwerker dann kleine TNT- Ladungen neben die freigelegten Blindgän- ger. „Und dann wird gezündet“, sagt Wer- ther. Seit 1994 haben Helfer wie er auf die- se Weise wohl eine halbe Million Streubom- ben in Laos gesprengt. Eine halbe Million von insgesamt 80 Millionen. Ginge es in diesem Tempo weiter, man wäre im Jahr 5194 fertig. Bis heute ist die Bombardierung von La- os ein dunkler Fleck in der US-Geschichte. Es ist verrückt, dass ein Staat mit weniger als sieben Millionen Einwohnern der am stärksten bombardierte der Welt ist. Wo im kollektiven Gedächtnis doch vor allem der Vietnamkrieg haften geblieben ist, des- sen Ende sich diesen April zum 40. Mal jährt. Doch während die Welt nach Viet- nam blickte, tobte im Nachbarland Laos ein geheimer Krieg. Im Süden bombardier- ten US-Kampfpiloten den Ho-Chi-Minh- Pfad, versteckte Wege in bergigem Gebiet, über die nordvietnamesische Kämpfer Nachschub Richtung Saigon schleusten. Im Norden, auf der Ebene der Tonkrüge, bekämpften die Amerikaner die Führer der„Pathet Lao“, der kommunistischen Be- wegung von Laos. Der US-Kongress erfuhr jahrelang nichts davon. Dabei sind die Spu- ren dieses Luftkriegs schon beim Anflug auf den Provinzflughafen Xieng Khouang unübersehbar. Die Landschaft sieht aus, als hätten die Pocken sie heimgesucht und überall kleine Krater hinterlassen. Darunter gibt es kilometerlange Karst- höhlen, einige davon voller medizinischer Geräte, Schmerzmittel und Verbände. Jah- relang lebten die Kämpfer in den Höhlen, behandelten dort Verletzte, kochten Mahl- zeiten, unterrichteten ihre Kinder im Halb- dunkel. Auch die provisorische kommunis- tische Regierung tagte unterirdisch. Wenn die Piloten Pause machten, eilten die Be- wohner rasch nach draußen um ihre Toten zu begraben – die vielen improvisierten Friedhöfe schimmern hell auf den Hügeln gegen das satte Gelb der Hochebene. Was sollen die Überlebenden nun mit diesem Erbe anfangen? All die Bomben zu beseitigen, ist jedenfalls auf die Schnelle keine Option. „Es sind so viele da, dass sie Teil der Landschaft geworden sind“, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Hof- mann. „Es ist kein Fremdkörper mehr, sondern Teil des Öko- systems. Wie Was- ser, Steine, Bäume, Bomben.“ Viele Lao- ten sehen es ähnlich. Wenn man ein paar Kilometer aus der verschlafenen Pro- vinzhauptstadt Phon- savan rausfährt, be- gegnen einem am Straßenrand kleine Trupps Einheimi- sche, die Metalldetektoren bei sich tragen und damit in die Büsche schlüpfen. Für die- se mutigen Einheimischen sind die Bom- ben vor allem eine Erwerbsquelle. Das Wis- sen, wie die Blindgänger zu entschärfen sind, kursiert unter der Bevölkerung schon seit Jahrzehnten. „Die großen Bomben wer- den aufgesägt, der Sprengstoff herausge- meißelt“, sagt BombenexperteWerther. So eine große Fliegerbombe kann über 100 Ki- logramm Altmetall hergeben, das wird dann für umgerechnet 20 Cent pro Kilo wei- terverkauft. Ganze Dörfer leben davon, das Metall einzuschmelzen und neue Wa- ren daraus herzustellen. Michael Boddington hat den Aufstieg der Bomben zu einem veritablen Wirt- schaftsfaktor miterlebt. Der stämmige Bri- te kam 1994 als einer der ersten westlichen Entwicklungshelfer ins erzkommunisti- sche Laos, heiratete eine Einheimische und wohnt jetzt am Stadtrand von Vien- tiane. „Die großen Bomben sind aus Quali- tätsstahl gemacht“, sagt Boddington. „Das macht sie extrem wertvoll.“ Der Entwick- lungshelfer kann unzählige Geschichten von verunglückten Schrottsammlern er- zählen – die Wirtschaft des Landes könne dennoch kaum auf sie verzichten. So nutzt etwa die lokale Baubranche das Altmetall, um daraus billige Stahlträger herzustellen. Der Rohstoff ist so gut wie unerschöpflich. „Wir haben eben nur die Blindgänger“, sagt Boddington achselzuckend. Unzählige Entminungstrupps hat Bod- dington selbst begleitet. Zwischen 100 und 250 Dollar koste es, eine einzige Streubom- be kontrolliert zu sprengen. Die Kosten tra- gen internationale Geldgeber, auch die USA beteiligen sich seit einigen Jahren mit etwa neun Millionen Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: Die Bombardierung selbst koste- te das Militär inflationsbereinigt 17 Millio- nen Dollar pro Tag. Doch Boddington hat ei- ne Idee, wie es günstiger und schneller gin- ge. Der Schlüssel liegt für ihn in der Zusam- menarbeit mit den Schrottsammlern. „Sie verwenden sehr billige, vietnamesische Metalldetektoren, Mickey-Maus-Zeug“, sagt Boddington. „Diese Leute sollten wir unterstützen, ihnen gutes Equipment ge- ben und eine ordent- liche Ausbildung.“ Das ließe sich mit ei- nem Bruchteil der jetzigen Kosten be- werkstelligen, ist der Entwicklungs- helfer überzeugt. Man müsste dann nur noch die Ausbil- dung organisieren – und der Wirtschafts- kreislauf bliebe er- halten. Dass die Bomben am Ende auch eine Chance sein könnten, zeigt sich auch im Tourismussektor. Weil die Natur von Bergbau und Industrie so gut wie unberührt und der Artenreichtum enorm ist, zieht das Land immer mehr Rei- sende an. Ein begehrtes Ziel ist ausgerech- net die Ebene der Tonkrüge, die so heißt, weil bis zu zwei Meter große Gefäße wild in der Landschaft verteilt sind, Überreste ei- ner unbekannten Hochzivilisation, die hier vor 2000 Jahren in Blüte stand. Erst 2004 fing man an, Bomben an den archäologi- schen Stätten zu suchen und zu entschär- fen, ein paar Jahre später konnten die ers- ten Touristen anreisen. Dann staunen die Reisenden über die Leistungen dieses un- bekannten Volkes, das die tonnenschwe- ren Steinklötze aus den Bergen bis zu 18 Ki- lometer hierhin bewegt hat. Und dürfen selbst keinen Meter vom vorgegebenen Pfad abweichen. Stück Streumunition sind seit 1965 abgefeuert worden, davon allein 383 Millionen in Vietnam, Kambodscha und Laos. Die Geschosse landen auf weiter Flur, manche Raketenwerfer verschießen mit einer einzigen Salve 8000 Kugeln auf einer Fläche von 50 Fußballfeldern. Weil viele Projektile nicht beim Aufprall detonieren, sind nach Angaben von Handicap International neun von zehn Streubombenopfern Zivilisten. 114 Staaten haben mittlerweile ein Übereinkommen zur Ächtung der Munition unterzeichnet. In 17 Staaten wird sie vermutlich noch produziert. Stadt, Land, Bombe Vor 40 Jahren endete der Vietnamkrieg. Doch im Nachbarland, in den Bergen und Tälern von Laos, tötet dessen Erbe noch heute. Bis zu 80 Millionen amerikanische Streubomben liegen in dem bettelarmen kommunistischen Staat vergraben. Die Blindgänger töten und verstümmeln die Einheimischen, sie lähmen die wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig sind sie selbst zur unverzichtbaren Ressource geworden. Das erfordert kreative Lösungen. Aus dem Altmetall der Bomben schmieden Handwerker Löffel, Messer oder Stahlträger für den Hausbau. 440 Millionen Mit billigen Detektoren ziehen die Sammler los, auf der Suche nach ein paar Kilo Altmetall. Für die Wirtschaft ist das ein Segen, für sie selbst oft tödlich Explosive Blindgänger in allen Formen lassen sich in Laos finden. Kinder halten sie häufig für Spielzeug. Bombenopfer Phongsavath Manit- hong (oben), Bauer mit explosivem Ackerfund (unten) Drei von vier Opfern von Landminen sind Zivilisten, schätzt die Hilfsorganisation Handicap International. FOTOS: HANDICAP INTERNATIONAL, CORBIS, BEHRENS(3) LAOS VIETNAM THAILAND 1 12 20 14 15 18 17 11 10 9 8 21 22 23 24 25 26 7 5 4 6 3 2 13 16 19 SZ-Grafik: Lisa Borgenheimer; Quelle: Landmine and Cluster Monition Monitor, United Nations Mine Action Team, Weltbank, Handicap International A T L A N T I K P A Z I F I K I N D I S C H E R O Z E A N Spuren des Krieges Explosive Überreste von Krieg und Gewalt sind ein weltweites Problem. Das US-Außenministerium vermutet, dass allein 70 Millionen Landminen in der Erde schlummern – dazu kommen Millionen von Blindgängern und alte Munitionsbestände. Die Angaben sind mit großen Unsicherheiten verbunden, ständig werden neue Blindgänger entdeckt – in Deutschland im Schnitt 15 Fliegerbomben pro Tag. Streubomben und Minen liegen vor allem in Asien vergraben, aber auch auf dem Balkan sind sie eine große Gefahr für die Bevölkerung. In der Türkei ist vor allem die Grenze zu Syrien stark vermint – einige Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland sind beim Überqueren der Felder schon ums Leben gekommen. Die Ächtung von Landminen ist international gut vorangekommen – nur noch Indien, Myanmar, Pakistan und Südkorea stellen nach Kenntnis von Beobachtern Anti-Personen-Minen her. Bei der jüngeren Streubomben-Konvention hingegen fehlt die Unterschrift wichtiger Produktionsländer, darunter die USA. Irak Lybien Libanon MITTLERER OSTEN UND NORDAFRIKA 21 22 23 Syrien 24 Jemen 25 Westsahara 26 EUROPA UND ZENRALASIEN Aserbaidschan 12 Bosnien Herz. 13 Kroatien 14 Deutschland 15 Montenegro 16 Serbien 17 Ukraine 18 Kosovo 19 Bergkarabach 20 AMERIKA Chile 7 ASIEN AFRIKA Chad 1 ? Somalia 4 ? Südsudan 5 ? Sudan 6 ? mit Streubomben kontaminierte Fläche Der Bürgerkrieg in Syrien wird auch mit Streumunition geführt, berichtet die Organisation Human Rights Watch. Verlässliche Zahlen gibt es derzeit kaum, syrische Menschenrechtler sprechen vom Einsatz der Clusterbomben in zehn von 14 Regierungsbezirken. Zudem haben sowohl Regierungstruppen wie Rebellen im Konflikt bereits Landminen gelegt. Selbst wenn die Gewalt abebben sollte, könnte die Zivilbevölkerung noch jahre- lang weiter unter den Hinterlassenschaf- ten leiden. SYRIEN Frische Minen, die in Europa verlegt werden – diese Szene war erst kurz vor Weihnach- ten im ukrainischen Fernsehen zu sehen. Da zogen ukrainische Truppen gerade die Verteidigung am Strand nahe Mariupol hoch und ließen Anti-Fahrzeugminen vom Typ PDM-1M ins seichte Wasser fallen. Der auf 18-26 Kilogramm eingestellte Zünder könne „leicht von Bewegungen eines Er- wachsenen“ ausgelöst werden, schätzt der Human Rights Watch-Experte Mark Hiznay. Auf der Krim warf die Ukraine ihrerseits der russischen Armee vor, Minenfelder anzu- legen. Ob das zum Plan des russischen Kulturministeriums passt, die Krim zum „Fünf-Sterne-Kurort“ für Strandurlauber zu machen? In Kramatorsk und Slavyansk gibt es zudem Belege für den Einsatz von Streumunition im aktuellen Konflikt. UKRAINE Afghanistan ist massiv mit explosiven Kriegshinterlassenschaften übersät, Blindgänger und Landminen töten und verletzen Hunderte Einwohner jährlich. Doch es gibt Grund für Optimismus: Das Land ist Vorreiter in der Minenräumung. 2013 befreiten Kampfmittelräumer eine Fläche von 60 km2 - das ist ein Zehntel der noch kontaminierten Fläche. Die ver- bliebenen Minenfelder könnten bis 2020 frei sein, schätzt das Auswärtige Amt. Gleichzeitig werden Anti-Personenminen weiterhin eingesetzt, hauptsächlich von den Taliban. AFGHANISTAN Seit über 50 Jahren ringt der kolumbiani- sche Staat mit bewaffneten Gruppierun- gen in Teilen des Landes. Dabei haben sowohl die nationale Befreiungsarmee (ELN) als auch die revolutionären Streit- kräfte (FARC) Landminen eingesetzt. Laut Caritas sind nahezu alle 32 Distrikte vermint. Am härtesten trifft es die Region Antioquia im Norden Kolumbiens. Die traurige Folge sind Rekordzahlen an Toten und Verletzten - nur Afghanistan ver- zeichnet höhere Zahlen. Im Jahr 2013 gab es laut The Monitor 368 Tote und Verletzte, hauptsächlich Zivilisten, darunter ein Drittel Kinder. Viele Überlebende erhalten keine Hilfe. Die Opferzahlen gehen zwar seit 2006 zurück und Gebiete werden geräumt. Dennoch verlegen die gegner- ischen Parteien weiterhin neue Minen, um ihre Waffenlager oder Anbaufelder illegaler Drogen zu schützen. KOLUMBIEN Landminen gehören für die Bosnier seit 20 Jahren zum Alltag. Eine Fläche einein- halb Mal so groß wie Berlin ist in dem EU- Nachbarland mit Tellerminen übersät – so viel gibt es nirgends sonst in Europa. Als wäre das nicht schon schlimm genug, traten im Frühling 2014 die Flüsse nach wochenlangen Regenfällen über die Ufer und überfluteten große Teile des Landes. Viele Sprengladungen auf bereits be- kannten Minenfeldern schwemmte das Wasser dabei mit unbekanntem Ziel fort. Sie stellen nun nach Ansicht von Exper- ten eine neue Bedrohung für die Be- völkerung dar. BOSNIEN DEUTSCHLAND Deutsche Unternehmen produzierten lange Zeit Streumunition, erst 2008 schwor die Bundesrepublik bei Verhand- lungen in Oslo diesem Waffentyp ab. Restliche „Submunitions“-Bestände von bis zu zehn Millionen Stück sollen bis Ende 2015 vernichtet werden. Auf ehemaligen sowjetischen Übungsflächen in Branden- burg vermuten die Behörden zudem selbst noch Clusterbomben. Ein Sonder- problem Deutschlands sind die vielen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch auf US-Stützpunkten in Deutschland könnten noch Clusterbomben-Bestände lagern, die USA haben das Osloer Über- einkommen nicht unterzeichnet. Vermutete Kontamination mit Antipersonen-Landminen Belastung durch Streubomben leicht bis mittelschwer schwer sehr schwer unbekannt leicht bis mittelschwer schwer ? ? ? ? ? ? Vietnam 11 ? Afghanistan 8 Dem. Rep. Kongo 2 Mosambik 3 sehr schwer Kambodscha 9 Laos 10 Zäune aus Bombenschrott: Auf der Hochebene der Tonkrüge in Laos verwandeln die Bewohner die Kriegsreste in nützliche Dinge. FOTO: JERRY REDFERN/GETTY IMAGES Süddeutsche Zeitung WISSEN Samstag, 14. Februar 2015 München Seite 36-37, Bayern Seite 36-37 DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München A59351840 Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de BehrensC

Artikel Stadt Land Bombe Sueddeutsche Zeitung 14022015

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Page 1: Artikel Stadt Land Bombe Sueddeutsche Zeitung 14022015

von caroline von eichhornund christoph behrens

B ig Bombie“, ruft der Dorfbe-wohner, lässt seine Hände wieDüsenflugzeuge kreisen. DieHände fliegen auseinander.„Boom!“ Der Mann steht vor

seiner Holzhütte und stellt den Indochina-krieg nach. Vor einem halben Jahrhundertkrachte es hier gewaltig. US-Kampfpilotenbombardierten jahrelang den Flecken, aufdem heute sein Haus, sein Hühnerstall undeine Handpumpe steht, an der sich die Fa-milie wäscht.

Jetzt streckt er das Überbleibsel desLuftkriegs, ein pechschwarzes Ding, stolzin die Luft. In seinen Händen hält der Bau-er eine kleine, fiese 120-mm-Wurfgranate.Sie sieht ein wenig wie eine Aubergine ausund enthält wohl genug Sprengstoff, umfünf Menschen zu töten. Er streckt sie sei-nen Besuchern aus Deutschland entgegen.Mal anfassen, boom? Nein, danke. Die Foto-grafin ist bereits in Deckung gegangen.Warum denn bloß? Der Dorfbewohnerkann es nicht fassen. Achselzuckend legter die Bombe beiseite und beginnt sum-mend, die Hühner zu füttern.

So ist das hier imNorden von Laos mitden Bomben: Alltag.Überall liegen sie, inden Feldern, Flüs-sen, auf den Berggip-feln. Wenn der Mon-sun kommt, weichtder Regen den Bodenauf und die Spreng-körper wandern andie Oberfläche wievergiftete Pilze. ImNachbarort schmel-zen sie das Altmetallein und gießen Löffeldaraus. Und die gro-ßen, mannsgroßenTorpedos, die einstüber dem Himmelaufplatzten und diekleinen Granatenüber dem Land ver-streuten, sind be-gehrtes Baumaterial. Wenn man mit demMotorrad über die kurvigen Straßen vollerSchlaglöcher holpert, sieht man die Bom-benteile gelegentlich in neuer Verwen-dung als Zaunlatten, Pfähle oder Futtertrö-ge für Kühe. Es ist ein gefährliches Wirt-schaftsmodell, denn viele der Kriegsrestesind noch scharf. Und es gibt eine Mengedavon.

Nirgendwo auf der Welt schlummern soviele Blindgänger wie auf der „Ebene derTonkrüge“ in Nordlaos, zugleich eine deram wenigsten entwickelten Regionen der

Welt. Wie viele es sind und wo sie liegen,weiß keiner genau. Sicher ist bloß: Von1964 bis 1973 warfen US-Piloten etwa 270Millionen Streubomben über Laos ab, die-se Zahl hat das US-Nationalarchiv doku-mentiert. Weitgehend unbemerkt von derWeltöffentlichkeit gingen 2,5 MillionenTonnen Munition in dem bergigen Landnieder – mehr Bomben, als die Alliiertenim Zweiten Weltkrieg auf Deutschland undJapan zusammen warfen.

Große Bomben mit mehr als 100 Kilo-gramm Sprengstoff machten nur einenTeil davon aus, viel verheerender war derAbwurf von Clustermunition. Man kannsich das vorstellen wie einen Sack Konfetti,der aufplatzt. Die Bomber lassen einen gro-ßen Torpedo fallen, er enthält bis zu 900Sprengkörper, jeder so groß wie eine Man-darine oder ein Apfel. Einige hundert Me-ter über dem Boden platzt die Schale aufund verstreut die Fracht in der Landschaft.Neun Jahre lang fiel im Schnitt fast jede Se-kunde eine Streubombe auf Laos.

Und etwa jede dritte explodierte nicht.Diese Blindgänger sind gefrorene Ge-

schichte, die darauf wartet zu tauen. Undwenn es passiert, dann trifft es unbedarfteMenschen wie Phongsavath Manithong.

Es ist sein 16. Ge-burtstag, als derSchüler vom Unter-richt heimläuft undeiner seiner Freundeetwas Rundes,Schwarzes auf demBoden findet. Dasglänzende Dingzieht sie an, nie-mand von ihnen hatso etwas je gesehen.Gib es mir, sagtPhongsavath. SeinFreund drückt ihmdie Metallkugel indie Hand. Die Kugelexplodiert, alleswird schwarz. Als eraufwacht, liegt er imKrankenhaus, er hatbeide Hände verlo-ren und ist blind. DieBombe hat seine

Hände zerfetzt, die Ärzte haben sie ampu-tiert.

„Überall in meinem Körper warSchmerz, meine Arme fühlten sich an, alswürden sie brennen“, sagt Phongsavath.Der heute 22-Jährige umklammert mitden Unterarmen seinen Blindenstock. Ersitzt im gelben T-Shirt in einem Büro derHilfsorganisation Handicap Internationalin der Hauptstadt Vientiane und erzählt,wie sich seit dem Unfall alles veränderthat. Als er Wochen später in sein Dorf zu-rückkehrt, reagieren viele ablehnend. Er

kann nicht mehr zur Schule gehen oder ar-beiten. Kinder rennen schreiend davon,wenn sie Phongsavath über die Straßehumpeln sehen. Das Unwissen über die Ge-fahren ist groß. „Viele kleine Kinder wis-sen nicht, was sie da finden und spielen da-mit“, sagt Phongsavath. Als Behinderterhat er es schwer in der buddhistischen Ge-sellschaft. Wer einen Unfall erleidet, erhältdamit die Quittung für Untaten in einemfrüheren Leben, glauben die Menschen.Aus Scham verstecken viele AngehörigeKinder und Jugendliche, die eine Explosi-on zu Invaliden gemacht hat. Wie viel Scha-den die Clusterbomben angerichtet haben,ist daher schwer zu ermitteln. Expertenvermuten, dass die Bomben seit Ende desKrieges etwa 20 000 Laoten getötet haben,davon 8000 Kinder. Die Zahl der Schwer-verletzten liegt deutlich höher.

„Laos ist exemplarisch, was Kriegshin-terlassenschaften verursachen können“,sagt der Freisinger Politikwissenschaftler

Andreas Hofmann, der seit drei Jahren inLaos lebt und über Tourismus und Bom-ben promoviert. „Jedes Jahr, jeden Mo-nat“, passierten Unfälle, das Schlimmstesei die Ungewissheit. „Du weißt nicht wosie liegen, wie tief sie liegen, ob sie nochfunktionieren oder nicht.“ Viele Männerstoßen beim Umgraben des Gartens aufKriegsmaterial oder bei der Feldarbeit.Frauen trifft es, wenn sie auf offenem Feu-er kochen und die Wärme eine im Bodenvergrabene Bombe aktiviert. Dass die Ge-schosse so ähnlich wie Früchte aussehenund Kinder zum Spielen und Werfen ani-mieren, macht es nicht einfacher.

Das schwere Erbe wird die Laoten wohlnoch lange begleiten – obwohl man ver-sucht, die Kriegsreste zu beseitigen. Circa20 auf Bombenräumung spezialisierte Or-ganisationen sind in Laos aktiv. „Feuerwer-ker“ heißen diese Spezialisten, zu Fünft zie-hen sie los, wenn ein Bauer eine Sprengla-dung entdeckt und Alarm geschlagen hat.

Das verdächtige Feld teilen die Suchtruppsin Abschnitte von 25 auf 25 Meter ein, jederstartet auf seinem Quadrat rechts unten,dann arbeiten sie sich synchron vor – da-mit der Abstand zum Nachbarn im Falle ei-nes Unfalls maximal groß ist. Zwischen ei-ner und fünf Stunden brauchen sie für einsolches Planquadrat, die Hitze von oft über40 Grad zwingt sie zu vielen Pausen. Spezi-alisten wie Karl-Heinz Werther koordinie-ren die Suchtrupps. „Wenn die Helfer ein Si-gnal im Detektor bekommen, graben siesich langsam heran und legen die Ladungfrei“, sagt der Bombenspezialist. Wertherhat 18 Jahre lang auf dem Balkan und in In-dochina Tausende Landminen und Cluster-bomben vernichtet. Je älter die Ladungen,umso gefährlicher wird es. „Die Zünderwerden mit der Zeit immer empfindli-cher“, sagt Werther. Anders als Antiperso-nen-Landminen folgen Streubomben zu-dem keinem Verlegeschema, das man mitder Zeit erkenne. Am Ende des Tages plat-

zieren die Feuerwerker dann kleine TNT-Ladungen neben die freigelegten Blindgän-ger. „Und dann wird gezündet“, sagt Wer-ther. Seit 1994 haben Helfer wie er auf die-se Weise wohl eine halbe Million Streubom-ben in Laos gesprengt. Eine halbe Millionvon insgesamt 80 Millionen. Ginge es indiesem Tempo weiter, man wäre im Jahr5194 fertig.

Bis heute ist die Bombardierung von La-os ein dunkler Fleck in der US-Geschichte.Es ist verrückt, dass ein Staat mit wenigerals sieben Millionen Einwohnern der amstärksten bombardierte der Welt ist. Woim kollektiven Gedächtnis doch vor allemder Vietnamkrieg haften geblieben ist, des-sen Ende sich diesen April zum 40. Maljährt. Doch während die Welt nach Viet-nam blickte, tobte im Nachbarland Laosein geheimer Krieg. Im Süden bombardier-ten US-Kampfpiloten den Ho-Chi-Minh-Pfad, versteckte Wege in bergigem Gebiet,über die nordvietnamesische Kämpfer

Nachschub Richtung Saigon schleusten.Im Norden, auf der Ebene der Tonkrüge,bekämpften die Amerikaner die Führerder „Pathet Lao“, der kommunistischen Be-wegung von Laos. Der US-Kongress erfuhrjahrelang nichts davon. Dabei sind die Spu-ren dieses Luftkriegs schon beim Anflugauf den Provinzflughafen Xieng Khouangunübersehbar. Die Landschaft sieht aus,als hätten die Pocken sie heimgesucht undüberall kleine Krater hinterlassen.

Darunter gibt es kilometerlange Karst-höhlen, einige davon voller medizinischerGeräte, Schmerzmittel und Verbände. Jah-relang lebten die Kämpfer in den Höhlen,behandelten dort Verletzte, kochten Mahl-zeiten, unterrichteten ihre Kinder im Halb-dunkel. Auch die provisorische kommunis-tische Regierung tagte unterirdisch. Wenndie Piloten Pause machten, eilten die Be-wohner rasch nach draußen um ihre Totenzu begraben – die vielen improvisiertenFriedhöfe schimmern hell auf den Hügelngegen das satte Gelb der Hochebene.

Was sollen die Überlebenden nun mitdiesem Erbe anfangen? All die Bomben zubeseitigen, ist jedenfalls auf die Schnellekeine Option. „Es sind so viele da, dass sieTeil der Landschaft geworden sind“, sagtder Politikwissenschaftler Andreas Hof-mann. „Es ist keinFremdkörper mehr,sondern Teil des Öko-systems. Wie Was-ser, Steine, Bäume,Bomben.“ Viele Lao-ten sehen es ähnlich.Wenn man ein paarKilometer aus derverschlafenen Pro-vinzhauptstadt Phon-savan rausfährt, be-gegnen einem amStraßenrand kleineTrupps Einheimi-sche, die Metalldetektoren bei sich tragenund damit in die Büsche schlüpfen. Für die-se mutigen Einheimischen sind die Bom-ben vor allem eine Erwerbsquelle. Das Wis-sen, wie die Blindgänger zu entschärfensind, kursiert unter der Bevölkerung schonseit Jahrzehnten. „Die großen Bomben wer-den aufgesägt, der Sprengstoff herausge-meißelt“, sagt Bombenexperte Werther. Soeine große Fliegerbombe kann über 100 Ki-logramm Altmetall hergeben, das wirddann für umgerechnet 20 Cent pro Kilo wei-terverkauft. Ganze Dörfer leben davon,das Metall einzuschmelzen und neue Wa-ren daraus herzustellen.

Michael Boddington hat den Aufstiegder Bomben zu einem veritablen Wirt-schaftsfaktor miterlebt. Der stämmige Bri-te kam 1994 als einer der ersten westlichenEntwicklungshelfer ins erzkommunisti-sche Laos, heiratete eine Einheimische

und wohnt jetzt am Stadtrand von Vien-tiane. „Die großen Bomben sind aus Quali-tätsstahl gemacht“, sagt Boddington. „Dasmacht sie extrem wertvoll.“ Der Entwick-lungshelfer kann unzählige Geschichtenvon verunglückten Schrottsammlern er-zählen – die Wirtschaft des Landes könnedennoch kaum auf sie verzichten. So nutztetwa die lokale Baubranche das Altmetall,um daraus billige Stahlträger herzustellen.Der Rohstoff ist so gut wie unerschöpflich.„Wir haben eben nur die Blindgänger“,sagt Boddington achselzuckend.

Unzählige Entminungstrupps hat Bod-dington selbst begleitet. Zwischen 100 und250 Dollar koste es, eine einzige Streubom-be kontrolliert zu sprengen. Die Kosten tra-gen internationale Geldgeber, auch dieUSA beteiligen sich seit einigen Jahren mitetwa neun Millionen Dollar pro Jahr. ZumVergleich: Die Bombardierung selbst koste-te das Militär inflationsbereinigt 17 Millio-nen Dollar pro Tag. Doch Boddington hat ei-ne Idee, wie es günstiger und schneller gin-ge. Der Schlüssel liegt für ihn in der Zusam-menarbeit mit den Schrottsammlern. „Sieverwenden sehr billige, vietnamesischeMetalldetektoren, Mickey-Maus-Zeug“,sagt Boddington. „Diese Leute sollten wirunterstützen, ihnen gutes Equipment ge-

ben und eine ordent-liche Ausbildung.“Das ließe sich mit ei-nem Bruchteil derjetzigen Kosten be-werkstelligen, istder Entwicklungs-helfer überzeugt.Man müsste dannnur noch die Ausbil-dung organisieren –und der Wirtschafts-kreislauf bliebe er-halten.

Dass die Bombenam Ende auch eine Chance sein könnten,zeigt sich auch im Tourismussektor. Weildie Natur von Bergbau und Industrie so gutwie unberührt und der Artenreichtumenorm ist, zieht das Land immer mehr Rei-sende an. Ein begehrtes Ziel ist ausgerech-net die Ebene der Tonkrüge, die so heißt,weil bis zu zwei Meter große Gefäße wild inder Landschaft verteilt sind, Überreste ei-ner unbekannten Hochzivilisation, die hiervor 2000 Jahren in Blüte stand. Erst 2004fing man an, Bomben an den archäologi-schen Stätten zu suchen und zu entschär-fen, ein paar Jahre später konnten die ers-ten Touristen anreisen. Dann staunen dieReisenden über die Leistungen dieses un-bekannten Volkes, das die tonnenschwe-ren Steinklötze aus den Bergen bis zu 18 Ki-lometer hierhin bewegt hat. Und dürfenselbst keinen Meter vom vorgegebenenPfad abweichen.

Stück Streumunition sindseit 1965 abgefeuert worden,davon allein 383 Millionen in

Vietnam, Kambodschaund Laos. Die Geschosse

landen auf weiter Flur, mancheRaketenwerfer verschießen

mit einer einzigen Salve8000 Kugeln auf einer

Fläche von 50 Fußballfeldern.Weil viele Projektile nicht beim

Aufprall detonieren,sind nach Angaben von

Handicap International neunvon zehn Streubombenopfern

Zivilisten. 114 Staatenhaben mittlerweile ein

Übereinkommen zur Ächtungder Munition unterzeichnet.

In 17 Staaten wird sie vermutlichnoch produziert.

Stadt, Land,Bombe

Vor 40 Jahren endete der Vietnamkrieg. Doch im Nachbarland,in den Bergen und Tälern von Laos, tötet dessen Erbe noch heute.

Bis zu 80 Millionen amerikanische Streubomben liegen in dembettelarmen kommunistischen Staat vergraben. Die Blindgänger

töten und verstümmeln die Einheimischen, sie lähmen die wirtschaftlicheEntwicklung. Gleichzeitig sind sie selbst zur unverzichtbaren

Ressource geworden. Das erfordert kreative Lösungen.

Aus dem Altmetallder Bomben schmieden

Handwerker Löffel,Messer oder Stahlträger für

den Hausbau.

440Millionen

Mit billigenDetektoren ziehen die

Sammler los,auf der Suche nach

ein paar Kilo Altmetall.Für die Wirtschaft istdas ein Segen, für sie

selbst oft tödlich

ExplosiveBlindgänger inallen Formen

lassen sich in Laosfinden. Kinder

halten sie häufigfür Spielzeug.

BombenopferPhongsavath Manit-hong (oben), Bauer

mit explosivemAckerfund (unten)

Drei von vier Opfern von Landminen sind Zivilisten, schätzt die Hilfsorganisation Handicap International. FOTOS: HANDICAP INTERNATIONAL, CORBIS, BEHRENS(3)

L AOS

VIETNAM

THAIL AND1

12

20

14

15

18

17

11

10

9

82122

23

24

25

26

7

54

6

3

2

13 16 19

SZ-Grafik: Lisa Borgenheimer; Quelle: Landmine and Cluster Monition Monitor, United Nations Mine Action Team, Weltbank,Handicap International

AT

LA N T I K

P A Z I FI K

I ND

I S

C H E R O Z E A N

Spuren des KriegesExplosive Überreste von Krieg und Gewalt sind ein weltweites Problem. Das US-Außenministerium vermutet, dass allein 70 Millionen Landminen in der Erde schlummern – dazu kommen Millionen von Blindgängern und alte Munitionsbestände. Die Angaben sind mit großen Unsicherheiten verbunden, ständig werden neue Blindgänger entdeckt – in Deutschland im Schnitt 15 Fliegerbomben pro Tag. Streubomben und Minen liegen vor allem in Asien vergraben, aber auch auf dem Balkan sind sie eine große Gefahr für die Bevölkerung. In der Türkei ist vor allem die Grenze zu Syrien stark vermint – einige Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland sind beim Überqueren der Felder schon ums Leben gekommen. Die Ächtung von Landminen ist international gut vorangekommen – nur noch Indien, Myanmar, Pakistan und Südkorea stellen nach Kenntnis von Beobachtern Anti-Personen-Minen her. Bei der jüngeren Streubomben-Konvention hingegen fehlt die Unterschrift wichtiger Produktionsländer, darunter die USA.

Irak

Lybien

Libanon

MITTLERER OSTEN UND NORDAFRIK A

21

22

23

Syrien24

Jemen25

Westsahara26

EUROPA UND ZENRALASIEN

Aserbaidschan12

Bosnien Herz.13

Kroatien14

Deutschland15

Montenegro16

Serbien17

Ukraine18

Kosovo19

Bergkarabach20

AMERIK A

Chile7

ASIEN

AFRIK A

Chad1 ?

Somalia4 ?Südsudan5 ?Sudan6 ?

mit Streubombenkontaminierte Fläche

Der Bürgerkrieg in Syrien wird auch mit Streumunition geführt, berichtet die Organisation Human Rights Watch. Verlässliche Zahlen gibt es derzeit kaum, syrische Menschenrechtler sprechen vom Einsatz der Clusterbomben in zehn von 14 Regierungsbezirken. Zudem haben sowohl Regierungstruppen wie Rebellen im Konflikt bereits Landminen gelegt. Selbst wenn die Gewalt abebben sollte, könnte die Zivilbevölkerung noch jahre-lang weiter unter den Hinterlassenschaf-ten leiden.

SYRIEN

Frische Minen, die in Europa verlegt werden – diese Szene war erst kurz vor Weihnach-ten im ukrainischen Fernsehen zu sehen. Da zogen ukrainische Truppen gerade die Verteidigung am Strand nahe Mariupol hoch und ließen Anti-Fahrzeugminen vom Typ PDM-1M ins seichte Wasser fallen. Der auf 18-26 Kilogramm eingestellte Zünder könne „leicht von Bewegungen eines Er-wachsenen“ ausgelöst werden, schätzt der Human Rights Watch-Experte Mark Hiznay. Auf der Krim warf die Ukraine ihrerseits der russischen Armee vor, Minenfelder anzu-legen. Ob das zum Plan des russischen Kulturministeriums passt, die Krim zum „Fünf-Sterne-Kurort“ für Strandurlauber zu machen? In Kramatorsk und Slavyansk gibt es zudem Belege für den Einsatz von Streumunition im aktuellen Konflikt.

UKRAINE

Afghanistan ist massiv mit explosiven Kriegshinterlassenschaften übersät, Blindgänger und Landminen töten und verletzen Hunderte Einwohner jährlich. Doch es gibt Grund für Optimismus: Das Land ist Vorreiter in der Minenräumung. 2013 befreiten Kampfmittelräumer eine Fläche von 60 km2 - das ist ein Zehntel der noch kontaminierten Fläche. Die ver-bliebenen Minenfelder könnten bis 2020 frei sein, schätzt das Auswärtige Amt. Gleichzeitig werden Anti-Personenminen weiterhin eingesetzt, hauptsächlich von den Taliban.

AFGHANISTAN

Seit über 50 Jahren ringt der kolumbiani-sche Staat mit bewaffneten Gruppierun-gen in Teilen des Landes. Dabei haben sowohl die nationale Befreiungsarmee (ELN) als auch die revolutionären Streit-kräfte (FARC) Landminen eingesetzt. Laut Caritas sind nahezu alle 32 Distrikte vermint. Am härtesten trifft es die Region Antioquia im Norden Kolumbiens. Die traurige Folge sind Rekordzahlen an Toten und Verletzten - nur Afghanistan ver-zeichnet höhere Zahlen. Im Jahr 2013 gab es laut The Monitor 368 Tote und Verletzte, hauptsächlich Zivilisten, darunter ein Drittel Kinder. Viele Überlebende erhalten keine Hilfe. Die Opferzahlen gehen zwar seit 2006 zurück und Gebiete werden geräumt. Dennoch verlegen die gegner-ischen Parteien weiterhin neue Minen, um ihre Waffenlager oder Anbaufelder illegaler Drogen zu schützen.

KOLUMBIEN

Landminen gehören für die Bosnier seit 20 Jahren zum Alltag. Eine Fläche einein-halb Mal so groß wie Berlin ist in dem EU-Nachbarland mit Tellerminen übersät – so viel gibt es nirgends sonst in Europa. Als wäre das nicht schon schlimm genug, traten im Frühling 2014 die Flüsse nach wochenlangen Regenfällen über die Ufer und überfluteten große Teile des Landes. Viele Sprengladungen auf bereits be-kannten Minenfeldern schwemmte das Wasser dabei mit unbekanntem Ziel fort. Sie stellen nun nach Ansicht von Exper-ten eine neue Bedrohung für die Be-völkerung dar.

BOSNIENDEUTSCHLAND

Deutsche Unternehmen produzierten lange Zeit Streumunition, erst 2008 schwor die Bundesrepublik bei Verhand-lungen in Oslo diesem Waffentyp ab. Restliche „Submunitions“-Bestände von bis zu zehn Millionen Stück sollen bis Ende 2015 vernichtet werden. Auf ehemaligen sowjetischen Übungsflächen in Branden-burg vermuten die Behörden zudem selbst noch Clusterbomben. Ein Sonder-problem Deutschlands sind die vielen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch auf US-Stützpunkten in Deutschland könnten noch Clusterbomben-Bestände lagern, die USA haben das Osloer Über-einkommen nicht unterzeichnet.

Vermutete Kontamination mit Antipersonen-Landminen

Belastung durch Streubomben

leicht bis mittelschwer

schwer

sehr schwer

unbekannt

leicht bis mittelschwer

schwer

??

?

??

?Vietnam11 ?

Afghanistan8

Dem. Rep. Kongo2

Mosambik3

sehr schwer

Kambodscha9

Laos10

Zäune aus Bombenschrott: Auf der Hochebene der Tonkrüge in Laos verwandeln die Bewohner die Kriegsreste in nützliche Dinge. FOTO: JERRY REDFERN/GETTY IMAGES

Süddeutsche Zeitung WISSEN Samstag, 14. Februar 2015

München Seite 36-37, Bayern Seite 36-37

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