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Historisches Lernen - Trainieren von Zivilcourage: Ein Angebot für alle Schulformen Führungen, Erinnerungsprojekte oder Seminare für Jugendliche und Erwachsene gibt es in jeder Gedenkstätte, keine Frage. Doch an keinem Ort außer in der Villa ten Hompel in Münster lässt ein Team aus engagierten Bürgerinnen, Bürgern und Studierenden für junge Gäste einen aufregenden Demokratiedschungel als einen Erlebnispfad quer durchs Haus „wachsen“. Ein Dschungel übrigens, der nirgends eklig ist oder Furcht einflößt bzw. der auch keinerlei harte Mutproben erfordert. Weder Werbeblocks noch seltsame Prominente, die für Geld alles tun, tauchen auf in der fast 90 Jahre alten Villa ten Hompel am Kaiser-Wilhelm- Ring im gepflegten Osten Münsters, die als „Geschichtsort“ und NS-Erinnerungsstätte in städtischer Trägerschaft fungiert (seit 1999). Bereits zu Beginn der Bildungspartnerschaft „Gedenkstätte – Schule“ und im Vorläuferprogramm mit den Museen kooperierte die Villa ten Hompel mit der Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest; der Demokratiedschungel steht zudem als Angebot allen Altersgruppen und Schulformen offen. Im Workshop berichtete die Lehrerin in der Sek I, Frau Annika Schneider, mit Stefan Querl vom Team der Villa ten Hompel, über die Resonanz im Jahrgang 10 des laufenden Schuljahrs und von Erfahrungen aus Vorjahren. Zwei mit Bundes- und Landesmitteln realisierte Dauerausstellungen beleuchten die Geschichte der grünen NS-Ordnungspolizei im braunen Staat (eröffnet in 2001) sowie die Nachkriegsgeschichte des Gebäudes als Sitz des Dezernats für Wiedergutmachung (seit 2005), das sich in der jungen Demokratie um die vormals Verfolgten kümmerte, Anträge auf Wiedergutmachung, Entschädigung oder Rückerstattung geraubten Eigentums entgegen nahm. Der Name ten Hompel deutet auf die Erbauerfamilie in der Weimarer Republik und den reichen westfälischen Zementfabrikanten Rudolf ten Hompel hin, der als schillernde Persönlichkeit, zudem als kantiger Katholik aus der Zentrums-Partei galt, ehe die Nationalsozialisten ihn mit Rufmord-Kampagnen überzogen seit den Jahren 1932/33. Der drohende Konkurs nach der Weltwirtschaftskrise wurde ihm zusätzlich zum Verhängnis. Nach dem Krieg war die Villa ten Hompel stets in behördlicher Nutzung. Im März 2015 eröffnet die Stadt Münster eine neue Dauerausstellung im Hause, diese ebenfalls zurzeit in der wissenschaftlichen Vorbereitung mit Bundes- sowie NRW-Landesmitteln. Ein Beirat aus Professorinnen und Professoren begleitet das Vorhaben. Der Arbeitskreis der NS- Gedenkstätten sowie Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen e.V. hat seinen Sitz im Hause. Das Angebot des Demokratiedschungels für junge Leute ist übrigens deutlich älter als das Fernsehformat eines deutschen Privatsenders, das vielleicht Mitglieder der Jury assoziieren, wenn sie ‚Dschungel’ hören oder lesen. Der Demokratiedschungel der Villa ten Hompel wurde in 2002 fest etabliert und ist seitdem so gefragt bei Gruppen und Gästen aus ganz Nordrhein-Westfalen und aus dem benachbarten Bundesland Niedersachsen, dass er anderthalb bis zwei Jahre im Voraus ausgebucht ist. Stand April 2014: Bis Anfang des Jahres 2016 sind keine freien Termine mehr verfügbar, weil das Team am Geschichtsort der Stadt Münster die Dschungel-Konzeption leider nicht häufiger anbieten kann. Insbesondere Gäste aus Schulen oder aber Schulformen, die als vermeintlich schwierig oder benachteiligt bei Bildungsangeboten gelten, beispielsweise nicht gut lesen oder schreiben können, loben den Demokratiedschungel, weil es sich um ein entdeckendes Lernformat handelt, ohne dass irgendein „hemdsärmeliger“ oder leichtfertiger historischer Umgang mit der NS-Diktatur oder der jüngeren Zeitgeschichte forciert wird. Im Gegenteil: Ein Demokratiedschungel ermöglicht es, Zivilcourage und Toleranz zu trainieren, konkret zum Beispiel die Gruppendynamik oder eine Klassengemeinschaft zu „testen“. So wird „Diskriminierung im geschützten Raum“ erfahrbar, um – ähnlich wie vielleicht beim Hyposensibilisieren von Allergikern in der Medizin – zentrale Abwehrkräfte gegen Gewalt, Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, gegen Islamo- und Homophobie zu stärken. In etlichen Fällen gelang das schon mit Erfolg – am 21. Mai im Workshop-Verlauf wurde auch über die Schwierigkeiten und „Stolperfallen“ berichtet. „Unterwegs im Demokratiedschungel“. Ein Erfahrungsbericht zur BiPa des Geschichtsorts Villa ten Hompel u. der Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest

„Unterwegs im Demokratiedschungel“. Ein Erfahrungsbericht ... · Ein Erfahrungsbericht zur BiPa des Geschichtsorts Villa ten Hompel u. der Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest . Die

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Historisches Lernen - Trainieren von Zivilcourage: Ein Angebot für alle Schulformen Führungen, Erinnerungsprojekte oder Seminare für Jugendliche und Erwachsene gibt es in jeder Gedenkstätte, keine Frage. Doch an keinem Ort außer in der Villa ten Hompel in Münster lässt ein Team aus engagierten Bürgerinnen, Bürgern und Studierenden für junge Gäste einen aufregenden Demokratiedschungel als einen Erlebnispfad quer durchs Haus „wachsen“. Ein Dschungel übrigens, der nirgends eklig ist oder Furcht einflößt bzw. der auch keinerlei harte Mutproben erfordert. Weder Werbeblocks noch seltsame Prominente, die für Geld alles tun, tauchen auf in der fast 90 Jahre alten Villa ten Hompel am Kaiser-Wilhelm-Ring im gepflegten Osten Münsters, die als „Geschichtsort“ und NS-Erinnerungsstätte in städtischer Trägerschaft fungiert (seit 1999). Bereits zu Beginn der Bildungspartnerschaft „Gedenkstätte – Schule“ und im Vorläuferprogramm mit den Museen kooperierte die Villa ten Hompel mit der Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest; der Demokratiedschungel steht zudem als Angebot allen Altersgruppen und Schulformen offen. Im Workshop berichtete die Lehrerin in der Sek I, Frau Annika Schneider, mit Stefan Querl vom Team der Villa ten Hompel, über die Resonanz im Jahrgang 10 des laufenden Schuljahrs und von Erfahrungen aus Vorjahren. Zwei mit Bundes- und Landesmitteln realisierte Dauerausstellungen beleuchten die Geschichte der grünen NS-Ordnungspolizei im braunen Staat (eröffnet in 2001) sowie die Nachkriegsgeschichte des Gebäudes als Sitz des Dezernats für Wiedergutmachung (seit 2005), das sich in der jungen Demokratie um die vormals Verfolgten kümmerte, Anträge auf Wiedergutmachung, Entschädigung oder Rückerstattung geraubten Eigentums entgegen nahm. Der Name ten Hompel deutet auf die Erbauerfamilie in der Weimarer Republik und den reichen westfälischen Zementfabrikanten Rudolf ten Hompel hin, der als schillernde Persönlichkeit, zudem als kantiger Katholik aus der Zentrums-Partei galt, ehe die Nationalsozialisten ihn mit Rufmord-Kampagnen überzogen seit den Jahren 1932/33. Der drohende Konkurs nach der Weltwirtschaftskrise wurde ihm zusätzlich zum Verhängnis. Nach dem Krieg war die Villa ten Hompel stets in behördlicher Nutzung. Im März 2015 eröffnet die Stadt Münster eine neue Dauerausstellung im Hause, diese ebenfalls zurzeit in der wissenschaftlichen Vorbereitung mit Bundes- sowie NRW-Landesmitteln. Ein Beirat aus Professorinnen und Professoren begleitet das Vorhaben. Der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten sowie Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen e.V. hat seinen Sitz im Hause. Das Angebot des Demokratiedschungels für junge Leute ist übrigens deutlich älter als das Fernsehformat eines deutschen Privatsenders, das vielleicht Mitglieder der Jury assoziieren, wenn sie ‚Dschungel’ hören oder lesen. Der Demokratiedschungel der Villa ten Hompel wurde in 2002 fest etabliert und ist seitdem so gefragt bei Gruppen und Gästen aus ganz Nordrhein-Westfalen und aus dem benachbarten Bundesland Niedersachsen, dass er anderthalb bis zwei Jahre im Voraus ausgebucht ist. Stand April 2014: Bis Anfang des Jahres 2016 sind keine freien Termine mehr verfügbar, weil das Team am Geschichtsort der Stadt Münster die Dschungel-Konzeption leider nicht häufiger anbieten kann. Insbesondere Gäste aus Schulen oder aber Schulformen, die als vermeintlich schwierig oder benachteiligt bei Bildungsangeboten gelten, beispielsweise nicht gut lesen oder schreiben können, loben den Demokratiedschungel, weil es sich um ein entdeckendes Lernformat handelt, ohne dass irgendein „hemdsärmeliger“ oder leichtfertiger historischer Umgang mit der NS-Diktatur oder der jüngeren Zeitgeschichte forciert wird. Im Gegenteil: Ein Demokratiedschungel ermöglicht es, Zivilcourage und Toleranz zu trainieren, konkret zum Beispiel die Gruppendynamik oder eine Klassengemeinschaft zu „testen“. So wird „Diskriminierung im geschützten Raum“ erfahrbar, um – ähnlich wie vielleicht beim Hyposensibilisieren von Allergikern in der Medizin – zentrale Abwehrkräfte gegen Gewalt, Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, gegen Islamo- und Homophobie zu stärken. In etlichen Fällen gelang das schon mit Erfolg – am 21. Mai im Workshop-Verlauf wurde auch über die Schwierigkeiten und „Stolperfallen“ berichtet.

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„Unterwegs im Demokratiedschungel“. Ein Erfahrungsbericht zur BiPa des

Geschichtsorts Villa ten Hompel u. der Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest

Die Klasse 10.4 von Annika Schneider und Annette Wermann aus Soest zu Gast in Münster (am 12. Dezember 2013). Der gesamte Jahrgang der Hannah-Arendt-Gesamtschule durchläuft in Kooperation mit dem Geschichtsort Villa ten Hompel den Demokratiedschungel. Verstetigung und Vertiefung der Thematik sichert die Bildungspartnerschaft. Text/Fotos: Querl Ein besonderer Dank geht an Annika Schneider für die Mitwirkung am Workshop, in dem die folgenden Medien eingesetzt wurden: Gedicht „Das Phänomen“ von Hanns Dieter Hüsch (†) sowie ein Beitrag des WDR-Fernsehens, Red. Lokalzeit Münsterland, vom 28. Februar 2012.