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Automatisiertes Fahren VDI-Statusreport Juli 2018 Bild: © metamorworks/shutterstock.com

Automatisiertes Fahren - TRIALOG PUBLISHERS VERLAG · 2018. 6. 28. · Statusreport – Automatisiertes Fahren 3 Inhalt Vorwort 1 1 Zusammenfassung 4 2 Auswirkungen des automatisierten

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  • Automatisiertes Fahren

    VDI-StatusreportJuli 2018

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    Vorwort

    Das automatisierte Fahren spielt derzeit in den Medi-en sowie in der politischen und gesellschaftlichenDiskussion eine große Rolle. Große Unternehmen,nicht nur aus der Automobilindustrie, sondern auchaus der Informationstechnologie (IT) investieren vieleMilliarden Euro. Fast täglich werden Start-ups gegrün-det, die oft innerhalb kürzester Zeit zwei- oder gar drei-stellige Millionenbeträge an Wagniskapital einwerben.Die großen Wirtschaftsräume rund um den Globusund einzelne Staaten werben förmlich um diese Un-ternehmen, Investitionen und letztlich Arbeitsplätze,indem sie versuchen, den jeweiligen rechtlichenRahmen besonders vorteilhaft zu gestalten.

    Doch gleichzeitig zeigen unterschiedlichste Debattenin der öffentlichen Diskussion, dass längst nicht jederdie Potenziale des automatisierten Fahrens gleicheinschätzt, mancher darin sogar Gefahren zu erkennenglaubt. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wennman sich die vielfältigen Ausprägungen und Anwen-dungen des automatisierten Fahrens vor Augen führt.Sie zielen darauf ab, unterschiedliche Herausforde-rungen unserer heutigen Mobilität zu lösen – vomIndividualverkehr über den öffentlichen Personennah-verkehr und die Verteilung von Lieferungen in Städ-ten bis hin zum Güterfernverkehr.

    Die Limitationen der straßengebundenen Mobilitäterlebt heute jeder von uns im Alltag: Staus und Ver-kehrsunfälle sind augenfällige Merkmale, doch inves-tieren wir alle auch viel Zeit und Geld in unsere per-sönliche Mobilität und diejenige unserer Familien.Für die Industrie ist der ressourceneffiziente und ter-mintreue Transport von Waren längst zu einem wich-tigen Erfolgsfaktor geworden, sodass neue Konzepte,Dienstleistungen und finanzstarke Mobilitätsanbieterentstanden sind.

    Automatisiertes Fahren führt jedoch nicht zwangsläu-fig zur Reduktion von Verkehrsstaus und Ressourcen-verbrauch. Ist die Attraktivität und Preiswürdigkeitvon autonomen Taxis (Robotaxis) so hoch, dass dieseFahrzeuge die Nachfrage von anderen umweltfreund-lichen Mobilitätsformen (zu Fuß gehen, Radfahren,ÖPNV) mindern, dann könnte die Verringerung vonStaus und Ressourcenverbrauch eher begrenzt sein.

    Diese potenziell gegenläufigen Effekte gilt es, durchgeeignete verkehrs- und wirtschaftspolitische Maß-nahmen zu moderieren.

    Das automatisierte Fahren wird einen wesentlichenBaustein unseres zukünftigen Lebens- und Wirtschafts-modells darstellen, wie ein Blick in verwandte Techno-logiebereiche zeigt: Der Bahn- und Flugverkehr wirdnicht nur weitgehend automatisch überwacht, sondernviele Strecken werden bereits automatisiert gefahrenoder geflogen. Auch Telekommunikation und Internetbasieren auf automatisierten Routinen, Software undAlgorithmen spielen schon heute in der Produktionwie auch im Banken- und Finanzwesen eine unver-zichtbare Rolle.

    Aufgrund der rasant wachsenden Bedeutung dieserTechnologie hat sich der VDI dazu entschlossen, diezunehmende und nicht immer faktenbasierte Debatteum das automatisierte Fahren konstruktiv mitzugestal-ten und dabei sowohl Chancen als auch Herausforde-rungen transparent zu machen.

    Mit diesem Statusreport möchte die VDI-GesellschaftFahrzeug- und Verkehrstechnik einen aktiven Beitragdazu leisten, die unterschiedlichen Ansätze und Kon-zepte der Automatisierung zu strukturieren, indem die-se aus der Perspektive des Nutzers anhand sogenannterUse Cases erläutert werden. Auf dieser Grundlagewerden die gesellschaftliche Bedeutung, Potenzialeund Grenzen hinsichtlich einer weiteren Steigerungder Verkehrssicherheit sowie die Chancen für unserenWirtschaftsstandort systematisch beleuchtet.

    In diesem Statusreport finden sich wie an kaum eineranderen öffentlich zugänglichen Stelle komprimiertsowohl der derzeitige Stand von Forschung undTechnik als auch wertvolle Hinweise für die erfolg-reiche Einführung des automatisierten Fahrens. Eswerden zentrale Empfehlungen formuliert, die mit derUnterstützung der Politik möglichst rasch und konse-quent umgesetzt werden sollten.

    Die Frage ist nicht, ob das automatisierte Fahrenkommt, sondern wie wir diese Technologie im Sinneunserer Gesellschaft einsetzen und gestalten wollen.

    Düsseldorf im Juli 2018

    Prof. Dr.-Ing. Lutz EcksteinVorsitzender der VDI-GesellschaftFahrzeug- und Verkehrstechnik

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    Autoren

    Prof. Dr.-Ing. Lutz Eckstein,Institut für Kraftfahrzeuge (ika),RWTH Aachen University, Aachen

    Prof. Dr.-Ing. Thomas Form,Konzernforschung Elektronik, Volkswagen,Braunschweig

    Prof. Dr.-Ing. Markus Maurer,Institut für Regelungstechnik,Technische Universität Braunschweig

    Prof. Dr.-Ing. Rodolfo Schöneburg,Development Safety, Durability, CorrosionProtection, Daimler AG, Sindelfingen

    Prof. Dr.-Ing. Gernot Spiegelberg,Research in Digitalization and Automation,Siemens AG, Erlangen

    Prof. Dr.-Ing. Christoph Stiller,Institut für Mess- und Regelungstechnik,Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 3

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    InhaltVorwort 1

    1 Zusammenfassung 4

    2 Auswirkungen des automatisierten Fahrens auf die Gesellschaft 6

    2.1 Stand 6

    2.2 Tendenzen 8

    2.3 Schlussfolgerungen 11

    3 Verkehr und Sicherheit in Zeiten des automatisierten Fahrens 13

    3.1 Stand 13

    3.2 Tendenzen 14

    3.3 Schlussfolgerungen 16

    4 Ökonomische Auswirkungen des automatisierten Fahrens 18

    4.1 Stand 18

    4.2 Tendenzen 18

    4.3 Schlussfolgerungen 20

    Literatur 22

  • 4 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    1 Zusammenfassung

    Automatisiertes Fahren wird für die Fahrzeugentwick-lung, den Infrastrukturausbau und das Nutzerverhalteneiner der Megatrends der nächsten Dekade und ver-mutlich sogar weit darüber hinaus sein. Die Potenzialesind vielfältig und enorm – für das Individuum ebensowie für die Gesellschaft insgesamt, für die Umweltwie auch für Prosperität und die Wettbewerbsfähig-keit von Volkswirtschaften. Aber es gibt auch eineganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen,für die dieser Statusreport einige Empfehlungen gibt.

    Längst ist die Automatisierung der Mobilität auf dembesten Weg, Realität zu werden: Fahrerassistenzsys-teme sind bereits integraler Bestandteil der Standard-ausstattung vieler Personenkraftwagen und auch vonNutzfahrzeugen. Wie bei nahezu jeder neuen Nutzenstiftenden Technologie erfolgt die Einführung zu-nächst in der Oberklasse. Mit zunehmender Verbrei-tung und sinkenden Kosten migriert sie sukzessiveauch in Volumenfahrzeuge. In nicht allzu ferner Zu-kunft wird manches hochautomatisierte System soselbstverständlich sein wie heute der Bremskraftver-stärker, das Antiblockiersystem oder der Airbag.Begünstigt wird diese Entwicklung durch den techni-schen Fortschritt insbesondere in den Bereichen Sen-sorik, Software und Rechnerleistung.

    Gleichwohl ist die Ausgangssituation sowohl techno-logisch als auch regulatorisch komplex. Um dieseKomplexität in den Griff zu bekommen, wurden unter-schiedliche Stufen des automatisierten Fahrens defi-niert. Diese reichen von Stufe 1 (assistiertes Fahren)bis Stufe 5. Diese beschreibt ein fahrerloses Fahrzeug,das nicht notwendigerweise überall wird fahren kön-nen. In Abhängigkeit von diesen Systemklassen ändertsich die Verteilung der Verantwortung zwischenMensch und Fahrzeug. Erst mit dem hoch automati-sierten Fahren (Stufe 3) kann der Fahrer die Fahrauf-gabe samt Verantwortung zumindest temporär an dasFahrzeug delegieren. Die Stufen 4 und 5 weisen dieVerantwortung eindeutig dem technischen System zu,das neben dem Fahrzeug auch weitere Elemente wieeine Cloud und eine Leitwarte umfassen kann.

    Je höher der Grad der Automatisierung und die Viel-falt der Ausprägungen sind, desto stärker werden dieImplikationen für die Gesellschaft, Sicherheit undÖkonomie. Für die Gesellschaft liegen die Chancenunter anderem in einer erhöhten Inklusion älterer undleistungseingeschränkter Menschen. Das Delegierender Fahraufgabe an einen virtuellen Chauffeur schenktdem Fahrer Zeit, die er anderweitig nutzen kann, underhöht den Komfort. Automatisiert fahrende Fahrzeu-ge sind mittelfristig kostengünstiger als ein Taxi undflexibler als ein Bus, sodass z.B. Wohnen auf dem

    Land (wieder) an Attraktivität gewinnen kann. Auchdie Verteilung von Gütern kann aufgrund der sichverändernden Kostenstruktur effizienter und für urba-ne Zentren schonender organisiert werden, sofern diedazu notwendigen Rahmenbedingungen geschaffenwerden.

    Auch unter Aspekten der Sicherheit birgt automati-siertes Fahren nennenswertes positives Potenzial. Soist davon auszugehen, dass Assistenz- und Automati-sierungssysteme viele physische und psychische Defi-zite der Fahrer kompensieren und damit die Unfallzah-len insgesamt weiter reduzieren können. MenschlichesVersagen ist immerhin für rund 90 % aller Unfälleursächlich. Die Zahl der Verkehrstoten in Deutsch-land ist während der vergangenen 20 Jahre trotz stei-gender Unfallzahlen kontinuierlich zurückgegangen.Nach Schätzungen des VDI-Fachbeirats Sicherheit,Methoden und Prozesse kann durch die zunehmendeEinführung von automatisierten Fahrfunktionen imStraßenverkehr allein in Deutschland die Zahl derVerkehrstoten bis 2020 um bis zu 20 % weiter redu-ziert werden. Wenngleich automatisiertes Fahren auchlangfristig nicht zu absoluter Unfallfreiheit führenwird, erwarten viele Experten dennoch eine deutlicheReduktion von Unfällen bis in die Größenordnung desheute wesentlich sichereren Eisenbahn- oder Flugver-kehrs. Gleichwohl setzt dies voraus, dass mit derEinführung von Systemen höherer Automatisierungs-stufen verbundene Risiken sowohl durch verantwor-tungsvoll handelnde Unternehmen als auch durchzulassungsrelevante Behörden mithilfe geeigneterMaßnahmen und Prozesse wirksam adressiert werden.

    Nicht zuletzt profitiert unser Wirtschaftsstandort mitseinen vielfältigen Unternehmen von den Technolo-gien und Potenzialen des automatisierten Fahrens. InDeutschland arbeiten über 800.000 Menschen beiAutobauern und deren Zulieferern. Allein aufgrundihrer Größe könnte die deutsche Automobilindustriebeim automatisierten Fahren eine zentrale Stellung imglobalen Vergleich einnehmen. Aktuell stammen 52 %aller weltweiten Patente zum automatisierten Fahrenaus Deutschland [1]. Die erste Herausforderung bestehtdarin, diesen Wissensvorsprung nachhaltig in Wert-schöpfung umzusetzen. Weiterhin sind die disruptivenVeränderungen der Wertschöpfungsketten aufgrundneuer Anbieter – nicht nur von Technologien, sondernauch von innovativen Dienstleistungen und neuartigenLogistikkonzepten – sowohl mit Chancen als auch mitRisiken verbunden. Im Rennen um die Technologie-und Marktführerschaft des automatisierten Fahrensstartet die hiesige Mobilitätsindustrie aus einer gutenAusgangsposition, die wir Ingenieure nur gemeinsammit Politik und Gesellschaft stärken können.

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 5

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    Diese gute Ausgangsposition sowie die Chancen fürmehr Sicherheit und gesellschaftlichen Fortschritt giltes, konsequent auszubauen und zu nutzen. Dazu müs-sen Rahmenbedingungen verändert und Anreize ge-setzt werden, die dem automatisierten Fahren zumDurchbruch verhelfen.

    Auf gesellschaftlicher Ebene gilt es, die Akzeptanzfür automatisierte Fahrzeuge weiter zu verbessern undauch die Grenzen dieser Technologie transparent zumachen. Dies sollte geschehen durch:

    Definition gesellschaftlich getragener Mindest-anforderungen an die Sicherheit automatisier-ter Fahrzeuge und Etablierung objektiver Ver-fahren zu deren Überprüfung

    transparente und nachvollziehbare Kommuni-kation der Chancen und Risiken

    Einrichtung einer Nationalen Plattform Zu-künftige Mobilität (NPZ), welche Handlungs-bedarfe identifiziert und Maßnahmen initiiertund koordiniert

    Auf Grundlage der Überzeugung, dass unsere Gesell-schaft von der Automatisierung und Vernetzung vonFahrzeugen profitieren wird, gilt es, auf rechtlicherEbene die folgenden Anpassungen des rechtlichenRahmens in Abhängigkeit von der Automatisierungs-stufe zu identifizieren und zu realisieren:

    Überprüfung und gegebenenfalls Anpassungdes Verkehrsgesetzes unter Berücksichtigungeiner klaren Differenzierung zwischen den re-levanten Automatisierungsstufen

    Prüfung des Regelungsbedarfs hinsichtlich desVerhaltens anderer Verkehrsteilnehmer gegen-über fahrerlosen Fahrzeugen

    Prüfung und gegebenenfalls Anpassung derDatenschutzbestimmungen, damit das Potenzi-al der Vernetzung von Fahrzeugen untereinan-der und mit der Infrastruktur zur Steigerungvon Verkehrssicherheit und Effizienz genutztwerden kann

    Auf ökonomischer Ebene sind international funktio-nierende Geschäftsmodelle Voraussetzung, aber auchhinreichende finanzielle Ressourcen zur Erforschungund Entwicklung der notwendigen Technologien.Dazu eignen sich folgende Maßnahmen:

    Definition und Implementierung internationalharmonisierter Rahmenbedingungen, koordi-niert durch die Nationale Plattform ZukünftigeMobilität

    Definition, Einrichtung und Koordinationinternational attraktiver Förderprogramme, umUnternehmen und Forschungseinrichtungenanzuziehen und zu halten

    Da der Mensch vom automatisierten Fahren profitie-ren soll, ist der Aspekt der Interaktion mit automati-sierten Fahrzeugen von besonderer Bedeutung. Dieswird erreicht durch:

    Definition und internationale Abstimmungeines Verhaltenskodex zwischen automatisier-ten Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilneh-mern

    Entwicklung von Gütemaßen und Gestaltungs-kriterien hinsichtlich der Übergabe der Fahr-aufgabe vom automatisierten System an denFahrer

    Auf technischer Ebene bestehen insbesondere für diehöheren Stufen der Automatisierung noch zahlreicheHerausforderungen, die es durch folgende Maßnah-men zu adressieren gilt:

    Förderung von Forschung und Entwicklungvon Technologien zum automatisierten Fahrensowie innovativer Fahrzeug- und Mobilitäts-konzepte

    Definition und Etablierung von Methoden zureffizienten Absicherung von automatisiertenFahrunktionen

  • 6 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    2 Auswirkungen des automatisierten Fahrensauf die Gesellschaft

    2.1 Stand

    Die Mobilität von heute ist geprägt durch zahlreiche,über Jahrzehnte gewachsene Randbedingungen undLimitationen, zu denen neue Herausforderungen hin-zukommen.

    Schon heute ist die bestehende Verkehrsinfrastruk-tur vielerorts und ganz besonders in Städten überlas-tet, was zu zeitlichen Verzögerungen, abnehmenderVerkehrs- und Energieeffizienz und volkswirtschaftli-chen Kosten führt. Der Parkplatzsuchverkehr summiertsich in Deutschland auf jährlich 560 Mio. Stunden [2].Staus verursachen nicht nur vermeidbare Emissionen,sondern auch einen geschätzten volkswirtschaftlichenSchaden von 25,2 Mrd. Euro pro Jahr (2013) [3]. Einenicht zu unterschätzende Herausforderung resultiertaus dem Internethandel, der zu einer weiterhin zu-nehmenden Transportleistung von Gütern beiträgt [4]und damit die existierende Verkehrsinfrastrukturzusätzlich belastet.

    Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) stelltvor allem in Städten einen unverzichtbaren Bausteinder Mobilität dar, ist aber trotz Subventionen nicht aufallen Strecken wirtschaftlich darstellbar, sodass dieFahrpläne insbesondere im ländlichen Raum weitereingegrenzt werden. Die in der Regel recht großenFahrzeuge sind in Zeiten geringer Nachfrage nurschwach mit Personen besetzt und beanspruchen einevergleichsweise große Verkehrsfläche, während gleich-zeitig die Kosten für Energie und Personal steigen.

    Auf diese Weise wird durch die Unzulänglichkeitender heutigen Mobilität der Trend zur Urbanisierungbegünstigt. Da die Fahrtzeit zwischen Wohnung undArbeitsplatz weder privat noch wertschöpfend genutztwerden kann, ziehen immer mehr Menschen in dieStädte oder deren unmittelbares Umfeld, sodass dortaufgrund der wachsenden Nachfrage die Lebenshal-tungskosten steigen, die Städte dichter bebaut werdenund die Lebensqualität für Familien tendenziell sinkt.

    Neben dem für weite Bevölkerungsteile aus Kosten-gründen selten nutzbaren Taxi, das gerade für ältereMenschen bislang jedoch alternativlos ist, etablierensich neue Mobilitätsdienste wie das sogenannte „Car-Sharing“, die wiederum den Besitz einer gültigenFahrerlaubnis voraussetzen. Angebote von neuenMobilitätsanbietern wie das sogenannte „Ride Shar-ing“ (Uber, Lyft) sind in Deutschland wegen rechtli-cher Fragen derzeit nur bei Vermittlung über eine

    Zentrale zulässig, stellen aber auch nur eine kosten-günstigere Alternative zum etablierten Taxi dar.

    Die individuelle motorisierte Mobilität ist deshalbnicht nur für Menschen, die außerhalb der Ballungs-zentren wohnen, bislang ohne echte Alternative. Auchim familiären Alltag gibt es viele Situationen, in de-nen die Eltern die Kinder von A nach B fahren müs-sen, beispielsweise zum Sport oder Musikunterricht.Ältere Menschen können ihre individuelle Mobilitätund Unabhängigkeit jedoch nur so lange aufrechterhalten, wie sie sich in der Lage fühlen, ein Kraft-fahrzeug sicher zu führen. Mit dem in der Regel selbsterkannten Verlust der Fahrtüchtigkeit geht auch derVerlust der Unabhängigkeit einher, was als schmerz-hafter Einschnitt empfunden wird.

    Technologien zum automatisierten Fahren könnendabei helfen, diese vielfältigen Herausforderungen zuadressieren und neue Mobilitätskonzepte darzustellen.Dabei wird zwischen unterschiedlichen Automatisie-rungsstufen unterschieden (Bild 1), die weitest-gehend auf der aktuellen SAE-Definition beruhen [5].

    Wird der Fahrer hinsichtlich der Ausführung derFahraufgabe durch einen Spurhalteassistenten und/oder eine Abstandsregeltempomaten unterstützt,spricht man vom assistierten Fahren (Stufe 1). Kannsowohl die Längsführung als auch die Querführung andas Fahrzeug delegiert werden, wird dies teil-auto-matisiertes Fahren (Stufe 2) genannt. Systeme dieserbeiden Stufen werden traditionell als Fahrerassistenz-systeme bezeichnet, da der Fahrer die Fahrt dauerhaftüberwachen muss. Bereits heute sind Systeme derAutomatisierungsstufen 1 und 2 in Personenkraftwa-gen und Nutzfahrzeugen unterschiedlicher Herstelleretabliert.

    Kann sich der Fahrer hingegen von der Fahraufgabezeitweise abwenden und damit die Verantwortung andas Fahrzeug delegieren, handelt es sich um die Stufe 3.Dieses sogenannte hoch-automatisierte Fahren er-laubt es dem Fahrer, während der Fahrt andere Auf-gaben zu erledigen, wobei er aber wach und damitfähig bleiben muss, die Fahraufgabe innerhalb voneinigen Sekunden wieder zu übernehmen. Reagiertder Fahrer trotz mehrfacher Aufforderung nicht, hältdas System das Fahrzeug an.

    Voll-automatisierte Systeme (Stufe 4) sind auf denFahrer gar nicht mehr angewiesen, können aber nichtüberall automatisiert fahren. Umgekehrt hat der Fah-rer die Option, die Automatisierung abzuschalten und

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 7

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    Bild 1. Stufen der Automatisierung, Stufe 1 bis 4 basierend auf der SAE-Definition [5]

    selbst zu fahren, weshalb solche Fahrzeuge weiterhinüber Stellteile zur Längs- und Querführung verfügen.

    Mit der Stufe 5 wird schließlich ein Fahrzeug gekenn-zeichnet, welches fahrerlos automatisiert fahren kann.Es wird deshalb auch von autonomen Fahrzeugengesprochen. Deren Nutzung muss aus Sicht des VDI-Fachbeirats Automatisierung, Vernetzung, Elektrik/Elektronik in Abweichung zur aktuellen SAE-Defini-tion nicht notwendigerweise überall möglich sein,sondern kann auf ein definiertes Gebiet wie einenStadtteil, bestimmte Routen oder einen Universitäts-Campus beschränkt sein.

    Systeme zur Regelung der Fahrstabilität wie dasAntiblockiersystem (ABS) und das ElektronischeStabilitätsregelsystem (ESP) kommen in dieser Dar-stellung nicht vor, da sie lediglich dazu beitragen, denFahrerwunsch möglichst gut umzusetzen. Sie bildenkeine eigenen Sollwerte für die Geschwindigkeit oderden Kurs des Kraftfahrzeugs und verfügen über kei-nerlei Sensoren zur Erkennung anderer Verkehrsteil-nehmer.

    Ebenfalls nicht im Schema von Bild 1 enthalten sindSysteme zur Kollisionsmilderung oder -vermeidung,da diese nur temporär eingreifen. Im Unterschied zuden Systemen zum automatisierten Fahren delegiertder Fahrer weder die Längs- noch die Querführungdes Fahrzeugs, sondern führt das Fahrzeug selbst.Vielmehr sind sowohl die Systeme zur Regelung derFahrstabilität als auch solche zur Kollisionsmilderungin allen Automatisierungsstufen weiterhin aktiv.

    Mit zunehmender Automatisierungsstufe benötigt dasFahrzeug umfassendere Fähigkeiten zur Wahrneh-mung und Interpretation des Fahrzeugumfelds. Diesekönnen mit denjenigen eines menschlichen Fahrersvergleichen werden, wobei die Klassifikation vonRasmussen [6] als Grundlage herangezogen wird.

    Bild 2 gibt einen schematischen Überblick über dieInformationsverarbeitung und ordnet die genanntenSystemklassen zu.

    Die Sensoren liefern Daten, auf deren Grundlage so-wohl der Fahrzustand als auch die Verkehrssituationbeschrieben werden können. Auf der untersten Ebeneder Informationsverarbeitung werden Fahrstabilitäts-regelsysteme genau dann aktiv, wenn der beobachteteFahrzustand nicht zu den Vorgaben des Fahrers passt.Das Fahrzeug agiert reflexartig und ähnelt damit demhochtrainierten fertigkeitsbasierten Verhalten desMenschen [6].

    Auf der nächst höheren Ebene der Informationsverar-beitung agiert das Fahrzeug auf Grundlage der erkann-ten aktuellen Verkehrssituation durch Anwendungvon Regeln. Sinkt beispielsweise der Abstand zumvorausfahrenden Fahrzeug, wird gemäß einer Sicher-heitsstrategie nach einer Warnung des Fahrers dasBremssystem aktiviert und die passiven Sicherheitssys-teme auf einen möglichen Crash vorbereitet. Dies istvergleichbar mit dem regelbasierten Verhalten desMenschen, der beispielsweise die Regel verinnerlichthat, das Fahrzeug an einer roten Ampel anzuhalten.

    Funktionen des automatisierten Fahrens müssen dem-nach nicht nur das Umfeld wahrnehmen, sondern auchdie Verkehrssituation verstehen und deren weitereEntwicklung antizipieren. Nur so können sie voraus-schauend agieren und damit komfortabel fahren. AufGrundlage eines komplexen Regelwerks entscheidetdas System, wie es sich in einer Situation verhaltenwird. Wurde beispielsweise die Entscheidung getrof-fen, an einer Kreuzung rechts abzubiegen, wird einepräzise Bahnkurve, die sogenannte Trajektorie, ein-schließlich des Geschwindigkeitsverlaufs geplant.Diese wird dann unter Einhaltung aller sicherheitsre-levanten Abstände durch Koordination von Lenkung,Antrieb und Bremsen umgesetzt.

  • 8 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    Bild 2. Informationsverarbeitung von automatisierten Fahrfunktionen im Vergleich zum Menschen, ba-sierend auf [7]

    Unbekannte Situationen erfordern geeignet repräsen-tiertes Wissen, welches im Fahrzeug gespeichert undanalog zum Lernen des Fahrers von Zeit zu Zeit aktu-alisiert werden muss. Beim Mensch spricht man vomwissensbasierten Verhalten, welches das bewussteLösen von Problemen beschreibt. Dies ist im Verkehrbeispielsweise dann erforderlich, wenn ein Fahrzeugin zweiter Reihe parkt und eine durchgezogene Liniedie Vorbeifahrt eigentlich verbietet. Der menschlicheFahrer kann im Wissen um die rechtlichen Konsequen-zen die Entscheidung treffen, dennoch vorbeizufahren.Ein automatisiertes Fahrzeug könnte hierzu die Frei-gabe einer höheren Instanz wie beispielsweise einerLeitwarte abwarten, falls es nicht über das Wissen füreine sichere Entscheidung verfügt. Wie in Bild 2angedeutet, ist die Zuordnung zwischen den Stufender Informationsverarbeitung des Menschen und desKraftfahrzeugs nicht eindeutig, sondern hängt starkvom Trainingszustand sowohl des Fahrers als auchder Automatisierungsstufe ab.

    Aktuell forschen nicht nur Universitäten, Fahrzeug-hersteller und -zulieferer an solchen Systemen, son-dern auch in der Datenverarbeitung starke IT-Unter-nehmen und zahlreiche Start-ups. Die Anwendungs-felder des automatisierten Fahrens reichen vonabgegrenzten Strecken und Geländen, etwa in derLandwirtschaft, über den automatisierten Abbau von

    Rohstoffen in unstrukturierten Verkehrsumgebungenbis hin zum öffentlichen Straßenverkehr, auf dennachfolgend etwas konkreter eingegangen wird.

    2.2 Tendenzen

    Das automatisierte Fahren bietet die Chance, die indi-viduelle Mobilität aller Bevölkerungsgruppen zu ver-bessern, aber auch die Verteilung von Gütern mittelfris-tig effizienter und umweltschonender zu gestalten. Dieslässt sich anhand von konkreten Nutzungsszenarien(Use Cases) erläutern, die der VDI-Fachbeirat Automa-tisierung, Vernetzung, Elektrik/Elektronik anschaulichin Form von realistischen Beispielen formuliert.

    Der öffentliche Personennahverkehr, der heute durchgroße Fahrzeuge wie Busse und Bahnen geprägt ist,wird bereits in wenigen Jahren durch sogenannteautomatisierte Shuttles ergänzt werden (Bild 3).Diese nehmen am gemischten Straßenverkehr teil,fahren aber zunächst nur auf ausgewählten und ge-kennzeichneten Strecken und Fahrbahnen und haltenim ersten Schritt auch nur an definierten Haltestellenan. Diese Shuttles sind zwar fahrerlos (Stufe 5), wer-den aber ähnlich der Luftfahrt von einer Leitwarte ausdurch Lotsen überwacht und gegebenenfalls manö-vriert. Aufgrund der mittelfristig niedrigeren Betriebs-

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 9

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    kosten können diese Fahrzeuge in größerer Anzahlund geringerer Größe flexibler eingesetzt werden –auch außerhalb fester Fahrpläne. Erste Angebotewerden auf Universitäts- und Firmengeländen erwar-tet, weil dort die rechtlichen und baulichen Rahmen-bedingungen einfacher zu gestalten sind.

    Bild 3. Automatisiertes fahrerloses Shuttle aneiner Haltestelle (Quelle: Lutz Eckstein)

    Automatisierte fahrerlose Taxis, die jedes beliebigeZiel in einem definierten Gebiet wie einer Stadt an-steuern können, sind nochmals flexibler, aber auchrechtlich und technisch anspruchsvoller. Deshalb wirderst ungefähr im Jahr 2025 mit einer Serienreife sol-cher Fahrzeuge gerechnet.

    Ruft der Nutzer das autonome Taxi per Smartphone,kann dieses damit öffnen und nutzt auch im Fahrzeugeine dafür programmierte App. Es ist anzustreben,dass der Fahrgast in einem Notfall mit der LeitwarteKontakt aufnehmen kann und die Fahrt über dasSmartphone abschließend oder automatisch bezahlt(Bild 4).

    Bild 4. Fahrerloses Taxi mit Smartphone-App(Quelle: Lutz Eckstein)

    Auch in privaten Fahrzeugen wird die Automatisie-rung neue Anwendungsfälle eröffnen. Beim automa-tisierten Valet-Parken hält der Fahrer dort an, wo ereigentlich hin möchte, zum Beispiel vor einem Ge-schäft oder einem Restaurant (Bild 5). Dort ange-kommen, steigt er aus und gibt dem Fahrzeug den

    Auftrag, automatisiert einen Parkplatz zu suchen,anzusteuern und dort zu parken. Hier spielt die Ver-bindung mit einem Cloud-basierten Dienst eine wich-tige Rolle, da so der Parkplatzsuchverkehr signifikantreduziert und die temporär fahrerlosen Fahrzeugegeeignet überwacht werden können.

    Bild 5. Fahrerloses Valet-Parken (Quelle: LutzEckstein)

    Bereits für die kommenden Jahre sind Funktionenangekündigt worden, die das hoch-automatisierteFahren auf Autobahnen ermöglichen sollen. DerFahrer könnte sich dann auf Autobahnen von derFahraufgabe abwenden, muss aber für den Fall ver-fügbar sein, dass beispielsweise die Abfahrt von derAutobahn erforderlich ist. Übernimmt der Fahrer dieFahraufgabe nicht wie geplant, soll das Fahrzeugautomatisiert in einen sicheren Zustand überführtwerden.

    Diese Automatisierungsstufe könnte in naher Zukunftnicht nur den Fahrer eines Personenkraftwagens ent-lasten, sondern auch den Berufskraftfahrer einesNutzfahrzeugs (Bild 6).

    Bild 6. Hoch- oder voll-automatisiertes Fahrenvon Nutzfahrzeugen (Quelle: Lutz Eckstein)

    Damit besteht die Chance, insbesondere diejenigenschweren Unfälle zu vermeiden, die durch menschli-ches Versagen wie das Einschlafen am Steuer odergesundheitliche Probleme verursacht werden. Nebendem hoch-automatisierten Fahren eines einzelnenNutzfahrzeugs wird seit vielen Jahren an der elektro-nischen Kopplung von mehreren automatisiertenNutzfahrzeugen geforscht. In diesem Fall werdensowohl der erforderliche Verkehrsraum pro Fahrzeug

  • 10 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    als auch der Kraftstoffverbrauch reduziert. Fernerkönnte der Fahrer während der hoch- oder voll-auto-matisierten Fahrt andere Aufgaben wahrnehmen.

    Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Techno-logien zum automatisierten Fahren auch zu nutzen,um das Selbstfahren besser und sicherer zu gestalten.Ein Konzept, das zahlreiche Fahrerassistenzsystemeintegriert, ist in Bild 7 dargestellt [8]. Während derFahrer das Fahrzeug steuert, wird das Verkehrsumfeldpermanent in allen Richtungen überwacht. Einer dro-henden Kollision beispielsweise mit einer Leitplankewird durch eine gezielte Ansteuerung der Fahrwerks-systeme vorgebeugt, die wie ein magnetisches Absto-ßen wirken. Der Fahrer kann einstellen, wie starkdieses virtuelle Magnetfeld sein soll, und damit siche-rer selbst fahren.

    Bild 7. Kollisionsvermeidung durch ein virtuel-les Magnetfeld [8] (Quelle: Lutz Eckstein)

    Das automatisierte Fahren liefert nicht nur neueImpulse zur Gestaltung der Fahrzeuge, sondern auchder Infrastruktur. Ein Parkhaus, in welchem nur auto-matisiert gefahren wird, kann beispielsweise geome-trisch viel platzsparender ausgelegt werden als einkonventionelles Parkhaus. Doch auch das hoch-auto-matisierte Fahren auf der Autobahn ermöglicht bereitsstarke Veränderungen des Fahrzeuginnenraums. Umdas Potenzial und die Zeit während der automatisier-ten Fahrt besser nutzen zu können, bedarf es einerdeutlich flexibleren Gestaltung des Interieurs.

    Die parallel zur Fahrzeugautomatisierung einsetzendeVernetzung von Fahrzeugen mit drahtloser Kommu-nikation eröffnet die Möglichkeit der automatischenKooperation zwischen Fahrzeugen. Durch Abstimmungihres Wahrnehmungshorizonts werden vernetzte auto-matisierte Fahrzeuge auf kritische Bereiche im Stra-ßenverkehr frühzeitig aufmerksam und können ent-sprechend vorausschauend planen. Durch Abstim-mung ihres Fahrverhaltens sind dichtere Trajektorienbei gleichbleibender Fahrsicherheit möglich, sodassder Verkehrsfluss harmonisiert und gesteigert wird.

    Wie die dargestellten Beispiele zeigen, eröffnet dasautomatisierte Fahren die Chance, das Fahrerlebnis,

    aber auch die Fahrzeuge neu zu gestalten. HeutigeFahrzeugkonzepte sind stark durch den Fahrerarbeits-platz und das Lenkrad geprägt. In einem fahrerlosenShuttle könnten die Fahrgäste hintereinander odereinander gegenüber sitzen. In Analogie zum Zugkönnten Front- und Heckscheibe verzichtbar sein. Einautomatisiertes Taxi könnte genauso vorwärts wierückwärts fahren und sich durch ein hohes Maß anWendigkeit auszeichnen. Durch den Wegfall desFahrerarbeitsplatzes erhöht sich im fahrerlosen Fahr-zeug außerdem die Raumökonomie.

    Folglich bietet das automatisierte Fahren die Chance,die Mobilität der Zukunft mittelfristig günstiger zugestalten und die Fahrtzeit für andere Tätigkeitennutzbar zu machen. Damit ist auch die langfristigeMöglichkeit verbunden, der Urbanisierung mittelfris-tig entgegen zu wirken und wieder verstärkt auf demLand zu wohnen.

    Trotz der zahlreichen beispielhaft beschriebenen Po-tenziale dürfen die Herausforderungen des automa-tisierten Fahrens nicht außer Acht gelassen werden.

    Eine ganz grundsätzliche Herausforderung bestehtdarin, dass die Gesellschaft bereit sein muss, dierechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen, da dieMehrzahl der beschriebenen Beispiele des automati-sierten Fahrens derzeit auf öffentlichen Straßen nichtzulässig ist. Die Bereitschaft einer Gesellschaft, eineneue Technologie zu akzeptieren und damit die recht-lichen Rahmenbedingungen anzupassen, erforderteine belastbare Abschätzung des Mehrwerts ihresPotenzials. Dieses kann gleichermaßen in einer Ver-besserung der Verkehrssicherheit, der Schaffungneuer Arbeitsplätze und auch einer nachhaltigen Stei-gerung der Lebensqualität liegen.

    Die rechtlichen Rahmenbedingungen betreffen da-bei nicht nur das Kraftfahrzeug als solches, sondernauch das Fahrerverhaltensrecht, die Verkehrsinfra-struktur sowie gegebenenfalls Fragen der Datennut-zung und Datensicherheit. Dabei ist zwischen deneinzelnen Automatisierungsstufen klar zu differenzie-ren.

    Die ökonomische Bewertung des Potenzials des au-tomatisierten Fahrens ist uneinheitlich, doch überwie-gend positiv, was an den signifikanten Investitionensowohl etablierter Unternehmen als auch seitensWagniskapitalgebern und der IT-Industrie abzulesenist. Innovative Geschäftsmodelle und Mobilitätsange-bote werden wahrscheinlich Rückwirkung auf denzukünftigen Straßenverkehr haben.

    Auch beim automatisierten Fahren spielt der Menschsowohl als Nutzer, aber auch als Verkehrsteilnehmereine wesentliche Rolle, die in Abhängigkeit des Auto-matisierungsgrads variiert. Während die Interaktiondes Nutzers mit dem automatisierten Fahrzeug Gegen-

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 11

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    stand intensiver Forschung ist, stellen sich zahlreicheoffene Fragen hinsichtlich der Interaktion andererVerkehrsteilnehmer mit automatisierten Fahrzeugen.

    Auf der technischen Ebene gilt es letztlich, alle ausden gesellschaftlichen, rechtlichen, ökonomischenund ergonomischen Rahmenbedingungen resultieren-den Anforderungen hinreichend zu adressieren – nichtnur diejenigen, welche die eigentliche Funktion be-treffen. Beispielsweise sind auch Fragen hinsichtlichder Datensicherheit und möglicher Angriffe von au-ßen (Security) zu adressieren sowie die Möglichkeitzu schaffen, im Fall eines Unfalls zu klären, welcheRolle das automatisierte System, der Nutzer, aber auchweitere Verkehrsteilnehmer gespielt haben. Auch derNachweis der funktionalen Sicherheit automatisierterFahrfunktionen stellt sich als sehr herausfordernd dar,da der menschliche Fahrer statistisch betrachtet ins-besondere auf Autobahnen sehr sicher fährt. Auf Bun-desebene spielt das Forschungsprojekt PEGASUS [9]eine besondere Rolle, da es die Anforderungen anautomatisiertes Fahren auf der Autobahn sowie einengeeigneten Prozess zum Nachweis deren Erfüllungdefinieren soll.

    2.3 Schlussfolgerungen

    Das automatisierte Fahren bietet in seinen zahlreichenFacetten vielfältige Potenziale. Ältere Menschenkönnen sowohl automatisierte Fahrzeuge nutzen alsauch assistiert (Stufen 1 und 2) sicher selbst fahren.Junge Fahrer profitieren von der Leistungsfähigkeitautomatisierter Fahrfunktionen. Menschen ohne Füh-rerschein können individuelle Strecken fahren (Inklu-sion), Vielfahrer sind weniger durch Übermüdunggefährdet. Assistiertes Fahren reduziert die Belastungaller Fahrer, führt zu einer geringeren kognitivenBeanspruchung und wirkt sich deshalb positiv auf dieSicherheit und Effizienz des Fahrens aus.

    Das Fahrerlebnis wird um das „individuell gefahrenwerden“ bereichert, bei welchem der Passagier dieZeit für andere Tätigkeiten nutzen kann. Die Delega-tion der Fahraufgabe im eigenen Fahrzeug an einenvirtuellen Chauffeur (ab Stufe 3) schenkt dem FahrerFreiraum und erhöht den Komfort.

    Die Gestaltung von voll-automatisierten (Stufe 4)und fahrerlosen Fahrzeugen (Stufe 5) kann sich vonheutigen Konventionen lösen, sodass extrem raum-effiziente Fahrzeuge hergestellt werden können, diebeispielsweise auch seitwärts fahren könnten. DieNutzung automatisiert fahrender Fahrzeuge ist poten-ziell kostengünstiger als ein Taxi und gleichzeitigflexibler als ein Bus und dessen Fahrplan, sodassWohnen auf dem Land wieder attraktiver werdenkönnte. Zudem fahren automatisierte Fahrzeuge höf-lich und zuvorkommend (sozial).

    Um die beschriebenen Herausforderungen zu adres-sieren, ergeben sich aus Sicht des VDI folgendeHandlungsempfehlungen.

    Auf der gesellschaftlichen Ebene gilt es, einerseitsdie Akzeptanz für automatisierte Fahrzeuge weiter zuverbessern und dabei auch die Grenzen dieser Tech-nologie transparent zu machen. Dies sollte geschehendurch

    eine transparente und nachvollziehbare Kommu-nikation der Chancen und Risiken, einschließ-lich einer möglichst objektiven Information überaktuelle Ereignisse wie Unfälle, die sich nichtvollständig werden ausschließen lassen,

    die Definition gesellschaftlich getragener Min-destanforderungen an die Sicherheit automati-sierter Fahrzeuge und die Etablierung objektiverVerfahren zu deren Überprüfung,

    die regelmäßige Bewertung des volkswirt-schaftlichen Potenzials im Hinblick auf Ver-kehrssicherheit, Verkehrsfluss und -leistung, Ar-beitsplätze und die Entwicklung von Wirtschafts-zweigen,

    die Einrichtung einer „Nationalen PlattformZukünftige Mobilität“, welche Handlungsbedar-fe identifiziert und Maßnahmen initiiert undkoordiniert,

    die verstärkte Investition in Forschung undLehre, z. B. zur Einrichtung neuer und zur Er-gänzung existierender Studiengänge an Universi-täten und Hochschulen, sowie

    die Begleitung des mit der Automatisierungeinhergehenden strukturellen Wandels im ge-werblichen Güter- und Personenverkehr, dersowohl Berufsbilder verändern als auch neu defi-nieren wird.

    Auf der rechtlichen Ebene gilt es, die notwendigenAnpassungen des juristischen Rahmens in Abhängig-keit von der Automatisierungsstufe zu identifizierenund zu realisieren. Dazu gehören:

    die Anpassung des Fahrerverhaltensrechts,damit die Entlastung von der Fahraufgabe fürfahrfremde Tätigkeiten genutzt werden kann

    eine Ergänzung der Regelungen bezüglichLenk- und Ruhezeiten für unterschiedliche Ein-satzfälle und Automatisierungsstufen unter Ein-beziehung der Anforderungen an die technischenSysteme

  • 12 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    die Prüfung der Übertragbarkeit von Typge-nehmigungsvorschriften für fahrerlose Fahrzeu-ge sowie des Regelungsbedarfs des Betriebs vonLeitwarten

    die Analyse, ob das Verhalten anderer Ver-kehrsteilnehmer gegenüber fahrerlosen Fahr-zeugen geregelt werden muss

    die Überprüfung der Datenschutzbestimmun-gen, damit das Potenzial der Vernetzung vonFahrzeugen untereinander und mit der Infrastruk-tur zur Steigerung von Verkehrssicherheit undEffizienz genutzt werden kann

    Überlegungen, ob die Einrichtung einer hoheit-lichen Instanz zur gegebenenfalls situativen Ge-nehmigung des automatischen Fahrens auf be-stimmten Straßen sinnvoll ist

    Auf der ökonomischen Ebene sind für Unternehmeninternational funktionierende Geschäftsmodelle Vo-raussetzung, aber auch hinreichende finanzielle Res-sourcen zur Erforschung und Entwicklung der not-wendigen Technologien. Dies wird möglich durch:

    die Definition und Implementierung internationalharmonisierter Rahmenbedingungen

    die Definition und Einrichtung internationalattraktiver Förderprogramme

    Da der Mensch vom automatisierten Fahren profitie-ren soll, ist der Aspekt derMensch-Maschine-Inter-aktion von besonderer Bedeutung. Hierbei sind zuberücksichtigen:

    die Entwicklung von Gütemaßen und Gestal-tungskriterien hinsichtlich der Übergabe derFahraufgabe vom automatisierten System an denFahrer

    die Definition und internationale Abstimmungeines Verhaltenskodex zwischen automatisiertenFahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern

    die Definition von Interaktionsprinzipien undGestaltungskriterien für Leitwarten

    Auf der technischen Ebene bestehen insbesonderefür die höheren Stufen der Automatisierung nochzahlreiche Herausforderungen, die einerseits wettbe-werbsdifferenzierend wirken, andererseits aber ge-meinsam getragener Standards bedürfen. Dies sindvor allem:

    die Forschung und Entwicklung von Technolo-gien zur Umfelderfassung und -interpretation, zurtaktischen Verhaltensplanung und Trajektorien-berechnung

    die Definition und Etablierung von Methodenzur effizienten Absicherung von automatisiertenFahrfunktionen, einschließlich einer technischnutzbaren Definition von Referenzen für die Qua-lität des automatisierten Fahrens (z. B. geeigneteFahrermodelle)

    neue flexible und agile Organisationsstrukturen,die eine interdisziplinäre Kooperation von Uni-versitäten und Unternehmen unterstützen

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 13

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    3 Verkehr und Sicherheit in Zeiten desautomatisierten Fahrens

    3.1 Stand

    Die aktuell angebotenen Fahrzeuge der etabliertenAutomobilhersteller befinden sich auf einem hohenSicherheitsniveau. Mit jeder nachfolgenden Fahr-zeuggeneration steigt die Fahrzeugsicherheit weiter,wenngleich die verbleibenden Möglichkeiten zurSteigerung der Sicherheit mit herkömmlichen Ansät-zen zunehmend schwinden. Verbraucherschutzinstitu-te und Gesetzgeber stellen weiter zunehmende Anfor-derungen an die Fahrzeuge und deren Sicherheit. Vordiesem Hintergrund rücken die ungeschützten Ver-kehrsteilnehmer – wie Fußgänger und Radfahrer –stärker in den Fokus. Nach aktuellem Stand zeichnetsich eine gewisse Stagnation der Zahl der Verkehrs-toten in Deutschland auf einem Niveau von ca. 3.200Verkehrstoten ab (Bild 8).

    Unter Beibehaltung der derzeit gegebenen Infrastruk-tur erscheinen die technischen Möglichkeiten für eineweitere Reduktion begrenzt, eine Annäherung an einGrund- oder Basisrisiko scheint gegeben.

    Neben der Technik spielen aber auch das Umfeld undder Fahrer eine entscheidende Rolle. Statistisch lässtsich beispielsweise ein Einfluss des Wetters auf dieVerkehrsopferzahlen nachweisen. AusgedehnteSchönwetterphasen führen zu einer Zunahme desVerkehrs, was durch zunehmenden Freizeitverkehrvon Motorrädern und Pedelecs erklärbar ist. Damitverbunden erhöhen sich leider die Unfall- und Opfer-zahlen (Bild 9).

    Unabhängig von den äußeren Einflussfaktoren werdenfür den überwiegenden Teil aller Unfälle im Straßen-verkehr menschliche Defizite als ursächlich ange-nommen [11]. Die Ursachen scheinen vielfältig unddecken eine große Bandbreite von Fehlern ab, die inder Regel als „menschliches Versagen“ umschriebenwerden. Als aussichtsreicher Ansatz zur Erhöhung derFahrzeugsicherheit bietet es sich deshalb an, die Aus-wirkungen menschlicher Fehler auf die Sicherheitsoweit wie möglich zu begrenzen. Das automatisier-te Fahren und vielfältige Fahrerassistenzsystemebieten hier eine sehr gute Ergänzung der menschli-chen Fähigkeiten.

    Bild 8. Entwicklung der Verkehrstoten in Deutschland 1990–2017 (Statist. Bundesamt/Destatis [10])

  • 14 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    Bild 9. Verkehrsopfer in 2016 nach Monaten (Statist. Bundesamt/Destatis [10])

    Bereits heute existiert eine große Zahl an Fahrerassis-tenzsystemen und Überwachungsfunktionen, die den menschlichen Fahrern auf den Automatisierungsstu-fen 1 und 2 zur Seite stehen (Bild 1). Viele dieser Funktionen haben einen nachweisbaren Effekt auf typische Gefahrensituationen. Untersuchungen von Behörden, Versicherern und Fahrzeugherstellern haben ergeben, dass die Unfallhäufigkeit durch den Einsatz von aktiven Fahrzeugsicherheitssystemen wie der automatischen Notbremsfunktion in unterschiedli-chen Fahrzeugklassen (Mittelklasse und Oberklasse) im Mittel um über 29 % gesenkt werden konnte [12].

    Das automatisierte Fahren der Stufen 3 bis 5 stellt eine konsequente Fortschreibung der etablierten As-sistenzsysteme dar. Diese werden in ihrem Funktions-umfang zunehmend erweitert, um schließlich die Füh-rung des Fahrzeugs automatisiert zu übernehmen. Mit steigender Automatisierung entsteht das Potenzial, den Faktor „menschliches Versagen“ – zumindest was das eigene Fahrzeug angeht – in den Hintergrund rücken zu lassen.

    Aggressives Fahrverhalten spielt Expertenschätzun-gen zufolge in ca. 30 % aller Unfälle eine Rolle [13]. Automatisierte Fahrzeuge dagegen werden sich auf Basis ihrer Programmierung tendenziell defensiv verhalten und damit verlässlich einschätzbare Ver-kehrsteilnehmer sein.

    Der Straßenverkehr wird durch den Individualverkehr dominiert. Schon die Bezeichnung beschreibt, dass die Verkehrsteilnehmer üblicherweise nicht unterei-nander vernetzt sind. Während die direkte Kommuni-kation zwischen Fahrzeugen hierzulande noch wenig etabliert ist, existieren beispielsweise in Japan schon Fahrzeugsysteme, die mit der Verkehrsinfrastruktur kommunizieren. Bereits etabliert sind die Ermittlung und Anzeige der Verkehrsdichte sowie die Berech-nung und das Angebot von alternativen Routen durch moderne Navigationssysteme. Lokale Störungen des Verkehrsflusses stellen eine wesentliche Risikoquelle im Straßenverkehr dar. Eine noch bessere Koordinie-

    rung könnte zu einer deutlichen Steigerung der Effizi-enz des Straßenverkehrs beitragen.

    Mit automatisierten und vernetzten Fahrzeugen be-steht damit das große Potenzial, das Verkehrsgesche-hen kooperativ, vorausschauend und effizient zu be-einflussen.

    3.2 Tendenzen

    Eine weitere Steigerung des Sicherheitsniveaus mit konventionellen Methoden scheint nur noch in klei-nen Schritten möglich. Die Automatisierung bietet ganz neue Potenziale und Möglichkeiten, die aktive Sicherheit und damit die Vermeidung von durch menschliches Versagen verursachten Unfällen zu verbessern.

    Als gesichert gilt, dass Unfälle aufgrund eigener Fahr-fehler mit automatisiertem Fahren weitgehend ver-meidbar sein könnten. Ausnahmen bilden unkalku-lierbare äußere Faktoren wie extreme Wetter- oder Umwelteinflüsse, die auch durch automatische Sys-teme nicht in jeder Situation zuverlässig beherrscht werden können. Mit Fehlern anderer, nicht automati-siert fahrender Verkehrsteilnehmer muss ebenfalls weiterhin gerechnet werden. Zwar gibt es derzeit noch gewisse technische Herausforderungen insbesondere in komplexen Verkehrssituationen. Diese werden sich jedoch sukzessive reduzieren lassen.

    Zusätzliches Potenzial zur Vermeidung von schwe-ren Unfällen besonders mit ungeschützten Verkehrs-teilnehmern ergibt sich aus der Kombination von der Automatisierung mit zusätzlichen Kommunikations-mitteln (z. B. ITS G5, nächste Generation Mobilfunk 5G). Hier könnte beispielsweise ein Fahrradfahrer den motorisierten und insbesondere den automatisierten Verkehr auf seine Anwesenheit aufmerksam machen, um seine eigene Gefährdung zu reduzieren. Die Tech-nologien zum automatisierten und vernetzten Fahren erlauben auch eine kooperative und vorausschauende Fahrweise. Das verspricht großes Potenzial sowohl für die Effizienz des Verkehrsflusses als auch für die Sicherheit aller, insbesondere aber der schwächeren Verkehrsteilnehmer.

    In den folgenden Situationen ist künftig mit einer möglichen Verbesserung der Verkehrssicherheit auf-grund der Automatisierung zu rechnen:

    Abkommen von der Fahrbahn durch Unaufmerk-samkeit

    Auffahrunfälle durch Unaufmerksamkeit

    Unfälle infolge von Unerfahrenheit, Ungeübtheit oder negativer emotionaler Verfassung des Fahrers

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 15

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    Kreuzungsunfälle

    Einbiege- und Einmündungsunfälle

    Unfälle durch nicht angepasste Geschwindigkeit

    Spurwechselunfälle

    Unfälle infolge von Übermüdung

    Nach Schätzungen des VDI-Fachbeirats Sicherheit, Methoden und Prozesse lässt sich die Zahl der Ver-kehrstoten in Deutschland bis 2020 um bis zu 20 % durch die zunehmende Verbreitung automatisierter Fahrfunktionen aller Stufen reduzieren.

    Die Einführung automatisierter Fahrzeuge wird nur unter der Grundvoraussetzung eines bestmöglich erprobten und alltagstauglichen Systems möglich sein, das so sicher wie ein menschlicher Fahrer fährt. An-gesichts von 200 Millionen menschlich gefahrener Kilometer je fatalem Unfall in Deutschland stellt dies entwicklungs- und absicherungsseitig eine große technische Herausforderung dar. Während ein System des niedrigen Automatisierungsgrads auch im Falle einer nicht mehr beherrschbaren Situation eine Kon-trolle durch den Fahrer voraussetzt, muss ein höher automatisiertes System die Fahraufgabe selbst beherr-schen – oder in einen risikominimalen Notfallmodus übergehen. Nur auf Grundlage einer sehr umfassen-den Absicherung und Erprobung kann gewährleis-tet werden, dass das automatisierte Fahren möglichst reibungslos funktioniert.

    Insbesondere hinsichtlich des hoch-automatisierten Fahrens (Stufe 3), das den Fahrer als Rückfallebene betrachtet, sind bei der praktischen Umsetzung noch einige Herausforderungen zu lösen. Es ist zu klären, wie sichergestellt werden kann, dass ein Fahrer auch nach längerer automatischer Fahrt innerhalb kurzer Zeit die volle Kontrolle über eine komplexe Situation übernehmen kann. Vielmehr wird je nach Grad der Abwendung vom aktuellen Geschehen ein Fahrer einige Zeit brauchen, um eine Situation zu analysieren und die richtigen Reaktionen zu zeigen [14]. Aus heutiger Sicht scheint es sinnvoll, den Fahrer auch während der hoch-automatisierten Fahrt hinreichend über die Fahrsituation zu informieren. Zudem muss der Fahrer mit ausreichender Zeitreserve zur Über-nahme der Fahrzeugsteuerung aufgefordert werden. Nur für den Fall eines voll-automatisierten Fahrzeugs (Stufe 4) ohne die Notwendigkeit eines menschlichen Eingriffs wäre das verzichtbar.

    Aus Sicht des VDI ist auf öffentlichen Straßen lang-fristig eine Koexistenz von automatisiertem und

    konventionellem Fahren zu erwarten. Eine konse-quente Trennung der beiden Verkehrsarten würde umfangreiche bauliche Maßnahmen erfordern, die nur auf großen Überlandstrecken denkbar sind, wo noch am ehesten mit vertretbarem Aufwand eine bauliche Abgrenzung erreicht werden könnte.

    Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das auto-matisierte Fahren zwar zu einer Steigerung der Ver-kehrssicherheit beitragen kann. Aufgrund der noch nicht vollständigen Marktdurchdringung und dem daraus auf lange Sicht vorhandenen Mischverkehr mit nicht automatisierten Fahrzeugen, der begrenzten Einsatzfähigkeit der Systeme und der physikalischen Randbedingungen, bleibt das komplett unfallfreie Fahren allerdings weiterhin eine Vision. Selbst unter der Voraussetzung von jederzeit perfekt fehlerfrei arbeitenden automatisierten Systemen werden in der Realität auch Situationen auftreten, in denen ein Un-fall nicht mehr verhindert werden kann. Zahlreiche Unfallszenarien können nach einer Fehlentscheidung eines Verkehrsteilnehmers auch durch eine perfekte Reaktion des anderen nicht mehr ausgeglichen werden – der Unfall ist dann nicht mehr zu verhindern, höchs-tens noch in seiner Schwere zu mindern. Eine Option zu einer sicheren Verhinderung solcher Situationen läge – wie bereits beschrieben – in der vollständigen baulichen Abgrenzung der Verkehrsströme. Die er-scheint aber zumindest in Deutschland nicht realis-tisch.

    Für die Fahrzeugsicherheit resultiert daraus, dass passive Sicherheit auch in automatisierten Fahr-zeugen unverzichtbar sein wird. Die Steigerung des Sicherheitsniveaus von automatisierten Fahrzeugen wird damit auf dem bereits existenten hohen Niveau in konventionellen Fahrzeugen aufsetzen. Die konse-quente Umsetzung des automatisierten Fahrens könnte dann zusätzliche Sicherheit vor allem durch die Vermeidung von eigenen Fahrfehlern generieren.

    Mit der Einführung des automatisierten Fahrens erge-ben sich auch neue Herausforderungen für die Insas-senschutzsysteme in den Fahrzeugen, da die Insassen während der automatisierten Fahrt erwartungsgemäß einen größeren Freiheitsgrad im Innenraum für sich beanspruchen werden (Bild 10). Die Schutzsysteme für Insassen werden sich daran orientieren müssen und den veränderten Gegebenheiten Rechnung tragen (sie-he auch [15]). Als einfaches Beispiel scheint einleuch-tend, dass bei einem versenkbaren Lenkrad der Airbag nicht mehr auf konventionellem Wege im Lenkradtopf integriert werden kann. Auch für Entwicklungen wie aus der Fahrtrichtung drehbare Sitze, wie sie bereits in Konzeptfahrzeugen gezeigt wurden, liegen noch keine fertigen Lösungen vor.

  • 16 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    Bild 10. Innenraumszenario im voll-automatisierten Fahrzeug (Quelle: Chesky/shutterstock.com)

    3.3 Schlussfolgerungen

    Das automatisierte Fahren erlaubt neue Freiheits-grade für die Mobilität. Damit sind nicht nur einzel-ne Aspekte wie mehr Bewegungsfreiheit im Fahrzeuggemeint, sondern auf einer allgemeineren Ebene auchdie Auswirkungen auf ökonomische und gesellschaft-liche Randbedingungen, wie sie in den vorhergehen-den Abschnitten beschrieben wurden.

    Automatisiertes Fahren und Assistenz ergänzendie menschlichen Fähigkeiten – das bietet die Chan-ce, die Sicherheit im Verkehr zu erhöhen.

    Automatisierte Systeme müssen technisch sooptimiert werden, dass sie so gut sind wie derhumane Fahrer.

    Aus Sicht der Fahrzeug- und Verkehrssicherheit darfaber nicht vergessen werden, dass die Physik auch beiautomatisiertem Fahren Grenzen setzt, deren Über-schreitung gravierende Auswirkungen haben kann.Eine Aufgabe von Ingenieuren ist es deshalb, aufneue Herausforderungen wie sich verändernde Sitz-positionen und Aktivitäten im Fahrzeug mit neuenInnenraum- und Sicherheitskonzepten zu antworten,um durch das automatisierte Fahrzeug induzierteRisiken für den Insassenschutz abwenden zu können.

    Automatisierte Fahrzeuge fahren verkehrsgerechtund einschätzbar. Das macht sie zu verlässlichenund berechenbaren Partnern im Straßenverkehr:

    Aggressives Fahrverhalten ist heute Ursache fürbis zu 30 % aller Unfälle. Diese könnten vermie-den werden.

    Automatisierte Fahrzeuge fahren verkehrsgerecht.

    Im Mischverkehr (automatisiert/konventionell) istweiterhin mit Fehlern anderer Verkehrsteilneh-mer zu rechnen.

    Ein großer Schritt hin zur Vision des unfallfreienFahrens würde eine konsequente bauliche Verkehrs-trennung erfordern. Zurzeit erscheint diese Trennungnur räumlich begrenzt auf Fernstraßen als „Autoline“möglich. Hinsichtlich der juristischen Ebene wärehierbei zu klären, welcher Regelungsbedarf im Fallvon baulich getrennten Verkehrswegen entsteht.Außerhalb dieser räumlich begrenzten Zonen ist dieVision des unfallfreien Fahrens im Mischverkehr aufabsehbare Zeit unrealistisch [16]. Auch ein perfektarbeitendes, vollständig automatisches System wirdniemals alle denkbaren Fehler anderer Verkehrsteil-nehmer ausgleichen können. Deshalb werden leiderauch in der Zukunft Unfälle weiter zur Realität imStraßenverkehr gehören.

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 17

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    Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis ist eine nochdeutlich erhöhte Komplexität für die Sicherheitssys-teme der Fahrzeuge notwendig. Auch die Frage desÜbergangs der Fahrzeugkotrolle zwischen Ma-schine und Mensch ist noch nicht geklärt. Besondersdie Rückübertragung der Fahrzeugkontrolle vomFahrzeug auf den menschlichen Fahrer bei einer be-vorstehenden Überschreitung der funktionalen Gren-zen des automatisierten Systems birgt noch zahlreichetechnische Herausforderungen. Hierfür sind geeigneteGestaltungskriterien zu entwickeln, welche dieRückholfähigkeit des Fahrers eines hoch-automati-sierten Fahrzeugs begünstigen.

    Automatisierte Fahrzeuge fahren kooperativ, vor-ausschauend und effizient. Das ermöglicht die He-bung von Potenzialen, um die Effizienz im Straßen-verkehr durch Koordination und Kommunikationdeutlich zu erhöhen:

    Sensoren und Vernetzung erlauben vorausschau-endes Fahren.

    Die Kommunikation der Fahrzeuge untereinanderermöglicht ein kooperatives Verhalten.

    Voraussetzung hierfür ist die Vernetzung der in denautomatisierten Fahrzeugen vorhandenen Sensoriksowie die Vernetzung der Fahrzeuge mit einer Cloud.In Verbindung mit der einprogrammierten verkehrs-gerechten Fahrweise können sie zu verlässlichen, guteinschätzbaren Verkehrsteilnehmern werden. Das setztallerdings voraus, dass entsprechend sichere techni-sche Systeme zum Einsatz kommen und datenschutz-rechtliche Fragen geklärt werden.

    Unbestrittener Konsens ist, dass das automatisierteFahren das Sicherheitsniveau im Vergleich zum heu-tigen Niveau weiter erhöhen sollte. Dies ist Grund-voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz underfordert eine leistungsfähige und abgesicherte Tech-nik, die auch im harten Alltagseinsatz zuverlässigfunktioniert. Durch die Umsetzung von automatisier-tem Fahren mit diesen Prämissen entstehen vieleChancen für eine Steigerung der Sicherheit und Effi-zienz. Es liegt auf der Hand, dass automatisiertesFahren als einer der dominanten Trends sowohl dieFahrzeuge selbst als auch die Infrastruktur und dasNutzerverhalten nachhaltig verändern wird.

  • 18 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    4 Ökonomische Auswirkungen desautomatisierten Fahrens

    4.1 Stand

    Die Automobilindustrie ist einer der Eckpfeiler unse-res Wirtschaftsstandorts. Ihre besondere Bedeutungrührt vor allem aus dem im internationalen Vergleichsehr hohen Beitrag zu Wertschöpfung, Beschäftigungund Exporten. Im vergangenen Jahr erwirtschaftetedie Automobilindustrie in Deutschland einen Umsatzvon gut 400 Milliarden Euro. Damit wurde im produ-zierenden Gewerbe jeder vierte Euro mit einem auto-mobilen Produkt umgesetzt. Drei Viertel aller inDeutschland produzierten Fahrzeuge werden expor-tiert. Rund 7,7 % der gesamten WirtschaftsleistungDeutschlands gehen direkt oder indirekt auf die Auto-produktion zurück [17].

    Die Automobilindustrie hat damit eine Relevanz, diesich auch am Arbeitsmarkt niederschlägt: Über800.000 Menschen arbeiten in Deutschland bei Auto-mobilherstellern und deren Zulieferern. Die Zahl derindirekt Beschäftigten liegt um ein Vielfaches höher.

    Deshalb ist es nur folgerichtig, dass sich die inDeutschland ansässige Automobilindustrie intensivmit dem automatisierten Fahren befasst. Aktuellstammen 52 % aller weltweiten Patente zum automati-sierten Fahren aus Deutschland. Das automatisierteFahren bietet ganz neue Potenziale für die Wertschöp-fungskette in Deutschland. Eine aktuelle Studie [18]des Bundeswirtschaftsministeriums geht davon aus,dass die Wertschöpfung, die auf die Bereiche Fahrer-assistenzsysteme und hochautomatisiertes Fahrenanfallen, im Jahr 2025 bei rund 8,8 Milliarden Euroliegen werden. Direkt in der Autoindustrie trügenrund 67.000 Beschäftigte dazu bei, hinzu kämen wei-tere knapp 65.000 Mitarbeiter in der Vorleistungsket-te, wobei circa die Hälfte von Wertschöpfung undBeschäftigung auf den Bereich Software entfallenwürden.

    Die Automobilindustrie nimmt als eine Branche mitbesonders umfangreichen, übergreifenden Einflüssenauch eine Schlüsselposition für andere Sektoren ein,die weit über die angestoßenen Wertschöpfungs- undBeschäftigungseffekte hinausreichen: Die Anforderun-gen der Automobilindustrie an neue Produkte und derenspätere Auswirkung durch Skaleneffekte geben wichti-ge Impulse für andere Branchen wie den Industriesektorund stärken so auch deren technologische Leistungs-fähigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit.Gleichzeitig zeichnet sich die deutsche Automobil-industrie durch enorm hohe Aufwendungen für For-schung und Entwicklung (F&E) aus. Dies hängt auch

    mit der Fokussierung der deutschen Automobilindust-rie auf das Premiumsegment innerhalb des Pkw-Sek-tors zusammen, das als wichtiger Technologietreibergilt. Bei Nutzfahrzeugen nehmen die deutsche Unter-nehmen nicht nur technologisch, sondern auch hin-sichtlich der Stückzahlen führende Positionen in derWelt ein.

    Technologieführerschaft ist somit ein wesentlichesStandbein der Wettbewerbsfähigkeit und hat nicht nurEinfluss auf den Wertschöpfungsbeitrag der Automo-bilindustrie und der davon abhängigen vorgeschalte-ten Zuliefer- und Automatisierungsindustrie. Derverstärkte Einsatz von Fahrerassistenz und Vernet-zung im Bereich der Nutzfahrzeuge stellt für die Flot-tenbetreiber einen nicht unwesentlichen betriebswirt-schaftlichen Vorteil dar. Eine Studie von PWC hatergeben, dass bis 2030 die Betriebskosten eines Lkwum bis zu 28 % reduziert werden können [19].

    Auch das volkswirtschaftliche Gefüge wird, wie inAbschnitt 2 bereits angedeutet, durch den Anspruchder Technologieführerschaft geprägt und durch derenwirtschaftliche Ergebnisse zu einem großen Anteilfinanziert. Dies beginnt mit der Notwendigkeit eineshervorragend ausdifferenzierten Bildungssystems undsetzt sich über ein breites Spektrum an attraktivenArbeitsplätzen bis zum Wertesystem und Lebensstan-dard der Gesellschaft fort.

    Das automatisierte Fahren wird die Wertschöpfungs-kette in Deutschland in den nächsten Jahren grund-legend verändern und neben wirtschaftlichen Chancenauch Herausforderungen mit sich bringen.

    4.2 Tendenzen

    Die Automobilindustrie wird von vielen Veränderun-gen durch gesellschaftliche und technologische, aberauch umweltpolitische und/oder gesetzgeberischeVeränderungen beeinflusst.

    Während heute der hauptsächliche Wertschöpfungs-prozess in der personifizierten Zuordnung des Fahr-zeugs an einen Endkunden noch durch Leasing oderKauf erfolgt, zeichnet sich eine gesellschaftlicheTendenz in Richtung einer „shared Economy“ bis hinzum dienstleistungsorientierten Ansatz für Mobilitätab.

    Die Technologie des automatisierten Fahrens hatsich bereits als großer Veränderungstreiber im Auto-

  • Statusreport – Automatisiertes Fahren 19

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    mobilbereich etabliert und ist momentan neben denalternativen Antrieben der größte Faktor für die Tech-nologieführerschaft eines Automobilunternehmens.Dies ist auch im Wertschöpfungspotenzial der Kom-ponenten und Systeme für das automatisierte Fahrenbegründet. Die Fahrzeuge benötigen hochwertige,fehlertolerante Sensorsysteme, eine leistungsfähigeUmgebungsinterpretation und Handlungsplanungsowie sichere Aktuatoren für Lenkung, Antrieb undBremsen. Zusätzlich besteht die Notwendigkeit, auchdie Infrastrukturen durch entsprechende Maßnahmenfür das automatisierte und vernetzte Fahren anzupas-sen und zu ertüchtigen.

    Fahrerlose Fahrzeuge der Stufe 5 werden bei anzu-nehmenden Verkaufspreisen im deutlichen sechsstel-ligen Eurobereich als Kaufobjekte für den Einzelkun-den kurzfristig keine marktdurchdringende Wirkungentfalten. Der Ansatz der „shared Economy“ bzw. des„Ride on Demand“ in einem 24/7-Betrieb wird hinge-gen für ein wirtschaftlich gut darstellbares Szenariofunktionieren. Fahrerlose Fahrzeuge werden somiteinen wirtschaftlichen Transport von Personen undGütern im Sinne von „Mobility as a Service“ ermögli-chen (Bild 11).

    Bild 11. Ride on Demand als Zukunftsszenario(Quelle: Siemens)

    Ebenfalls werden sich ganz neue Mobilitätsdienstleis-tungen entwickeln, die unsere heutigen Fahrzeugkon-zepte so noch nicht zulassen. Gleichzeitig kann auchdie Elektromobilität positiv von dieser Entwicklungbeeinflusst werden und damit in einem monetär ge-steuerten Markt zu einem schnellen Wandel der Wert-schöpfungsketten führen.

    Eine weitere Chance ist darin zu sehen, einen automa-tisierten Service „Ride on Demand“ anforderungsge-recht und komfortabel in einem intermodalen Verkehreingebunden darstellen zu können. Die Ausgestaltungdes Fahrzeuginterieurs im Sinne eines Erlebnisraumsdefiniert das Mobilitätserlebnis durch „Freude amgefahren werden“ neu und kann deutlich erweiterteFunktionalitäten bei einem gleichen Transportpreisverglichen mit heutigen Fahrzeugbesitz anbieten.

    Das Wertschöpfungspotenzial erstreckt sich auch aufdie Bereiche der Datenhaltung und -verarbeitungsowie die Interaktion außerhalb des Fahrzeugs. DasErlebnis muss nicht auf die Phase des Transports oder

    der Fahrt beschränkt bleiben, was die Kundenbindungerhöhen kann.

    Die Einbettung in eine durchgängige Erlebniswelt mithohem Komfort über die gesamte Transportkette vonA nach B verknüpft das Wertschöpfungspotenzialautomatisierter Fahrzeuge mit demjenigen andererVerkehrsmodalitäten sowie einer übergeordnetenMobilitäts-Servicekette und ermöglicht damit neueGeschäftsmodelle (Bild 12).

    Bild 12. Verknüpfung von virtueller und realerTransportkette (Quelle: Siemens)

    Derartige Szenarien wie das zuvor beschriebene „Rideon Demand“ werden durch Stadtplaner unterstützt,erreichen sie doch dadurch die Rückgewinnung vonParkplatzflächen und deren Umwandlung in Richtung„Green City“. Denn die Fahrzeuge unterliegen imMobility as a Service (MaaS) nicht mehr der Notwen-digkeit zum mehrstündigen Parken – sie können mithoher Auslastung einen Kunden nach dem anderengemäß personifizierter Anforderungen transportieren,statt ungenutzt abgestellt werden zu müssen. Zu Zei-ten niedriger Nachfrage können die Fahrzeuge auchaußerhalb der Innenstadt flächensparend geparkt wer-den (Bild 13).

    Hierdurch sind weitere Wertschöpfungsbereicheerschließbar, die im Umfeld der ergänzenden Tech-nologien zur Kommunikation der Fahrzeuge unterei-nander (Vehicle2Vehicle) und mit der Umgebung(Vehicle2Infrastructure) angesiedelt sind und dieEffizienz und den Komfort automatisierter Fahrfunk-tion signifikant verbessern. Speziell für fahrerloseFahrzeuge (Stufe 5) kann die Finanzierung und Im-plementierung einer geeigneten Sensor- und Kommu-nikationsinfrastruktur innovative Konzepte und Ge-schäftsmodelle erfordern und hervorbringen, die bei-spielsweise neue Services eines Mobilitätsprovidersermöglichen.

    Bild 13. Rückgewinnung von Parkplatzflächendurch neue Mobilitätszenarien (Quelle: Siemens)

  • 20 Statusreport – Automatisiertes Fahren

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    Wesentliche Grundlage dieses Szenarios bildet somit die servicezentrierte Kundenorientierung, deren Fokus mehr auf dem Mobilitätssystem und weniger auf dem Fahrzeug liegt. Daher läge der inhaltlich Schwer-punkt des ertsch pfungsprozesses in der Service-leistung, während die Bereitstellung der Transport-fahrzeuge eine unterlagerte Zulieferfunktion und einen Kostenfaktor darstellen würde.

    Derartige Fahrzeugkonzepte könnten deshalb neuen Anforderungen unterliegen, was deren Ausgestaltung stark beeinflussen würde. Mobilitätsprovider werden die Anschaffungs- und Unterhaltskosten wie Energie und Wartung, aber auch die städtischen Rahmenbe-dingungen unter Berücksichtigung der Total ost of Ownership (T O) betrachten und aufgrund diesbe-züglich erreichbarer Kostenreduktion zunehmend elektromotorisch angetriebene Systeme wählen [20].

    Im Wettbewerb mit anderen Mobilitätsangeboten und Modalitäten wird das „Mobilitätserlebnis“ aus Nutzer-perspektive entscheidend sein, sodass die Gestaltung der Fahrzeuge und ihres Verhaltens ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein wird.

    Weiteres Wertschöpfungspotenzial entsteht auf einer übergeordneten Wertschöpfungsebene im Bereich „Big Data 2 Smart Data“. Beispielsweise könnte ein Serviceprovider mit Einwilligung der Nutzer ein zu-nehmend konkreteres Mobilitäts- und Verkehrsprofil kombiniert mit weiteren Daten aus anderen Servicebe-reichen jedes einzelnen Kunden erstellen. Die Weiter-verarbeitung dieser Daten zu einer Gesamtsicht aller Mobilitätsdaten einer Population könnte ein Anforde-rungsprofil zur Gestaltung weiterer optimaler Services erzeugen – von individuellen Angeboten wie „Life-style as a Service“ bis hin zu kooperativen Angeboten zur Steigerung von Sicherheit und Komfort (Bild 14).

    Bild 14. Entwicklung zum Liftstyle as a Service (Quelle: Siemens)

    Mit diesen Daten würden die Anforderungen an Men-ge und Ausgestaltung zukünftiger Produkte und Ser-vices bestens prädizierbar und logistische Prozesse optimierbar. Dies könnte den höchsten Wert der Wert-schöpfungskette in diesem Szenario darstellen. Diese Servicewelt würde dann „Mobility as a Service“ als Unterkategorie mit einschließen und das Fahrzeug neben dem Smartphone mit Einwilligung des Nutzers eine weitere Datenquelle zur Gewinnung der Big Data darstellen.

    4.3 Schlussfolgerungen

    Die Technologie des „automatisierten Fahrens“ hat das Potenzial, die ertsch pfungskette in der Auto-mobilindustrie entscheidend zu verändern

    Sie bietet einerseits die Möglichkeit, das persönlich besessene Fahrzeug mit zusätzlicher Funktionalität in Richtung Komfort und Sicherheit als hoch innovatives Fahrzeugkonzept gemäß unserem heutigen Fahrzeug- und Mobilitätsverhalten zu positionieren. In der Her-stellung der dazu notwendigen innovativen Kompo-nenten und Systeme wird hauptsächlich für die Zulie-ferindustrie, aber auch für die Fahrzeughersteller ein Zuwachs an Wertschöpfung erreichbar. Zusätzlich können dem Besitzer und Insassen des Fahrzeugs neue Möglichkeiten in der Interaktion mit „seinem“ Fahr-zeug während der Fahrt angeboten werden. Eine Tech-nologieführerschaft für ein Fahrzeugprodukt in persön-lichem Endkundenbesitz oder eingebunden in einen der Fahrzeugmarke angegliederten Mobilitätsservice wäre möglich und könnte somit eine erweiterte Kun-denbindung zwischen Fahrzeughersteller und Nutzer des Fahrzeugs bewirken.

    Eine ergänzende Möglichkeit besteht in der Verwen-dung der Technologie als Voraussetzung für einen neuen Mobilitätsansatz, in dem zunächst die Logis-tikleistung für die Koordination einer ransport-aufgabe egal ob Transport von Menschen oder von Gütern, von A nach B im Vordergrund steht.

    Logistikleistungen für Gütertransport sind heute weit-reichend vertreten. Der Unterschied des Transports von Personen im Vergleich zu Gütern liegt für derar-tige Unternehmen in der zusätzlichen Berücksichti-gung des personifizierten Anforderungsprofils des Passagiers und der damit verbundenen Möglichkeit zur Bindung dieses Kunden an das Angebot des Mo-bilitätsservices.

    Kooperationen auf verschiedenen Ebenen der Wirk-kette sind hier sicherlich entscheidende Erfolgsfakto-ren. So ist die Bereitstellung einer optimalen Logis-tikkette mit deren Steuerung ebenso notwendige Be-dingung wie die Bereitstellung von situationsgerecht eingesetzten Transportgeräten. Allerdings wird in diesem Szenario nicht die Marke des Fahrzeugs, son-dern die Güte der Serviceleistung – und damit am Ende die Marke des Mobilitätsproviders im Vorder-grund stehen, wie es schon heute in der Luftfahrt der Fall ist

    Es kann somit eine Wertschöpfungsanordnung in drei Ebenen betrachtet werden, in der die „Datenverede-lung“ zum übergeordneten Lifestyle die obere Ebene bildet, abgestützt auf den Einzelgruppen der Service-sparten wie „Mobility as a Service“, die wiederum die

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    Produktebene Fahrzeuge als unterste Ebene der Wert-schöpfungskette nutzen.

    Um Wertschöpfung in der Automobilindustrie weiter-hin nachhaltig wachsen zu lassen, ergeben sich Hand-lungsbedarfe auf unterschiedlichen Ebenen. Auf der gesellschaftlichen Ebene gilt es

    Transparenz und Verständnis für die Wertschöp-fungspotenziale des automatisierten Fahrens als Voraussetzung für die Akzeptanz zu schaffen sowie

    Veränderungen in der eschäftigungsstruktur zu antizipieren und durch geeignete Maßnahmen hinsichtlich Aus- und eiterbildung sowie akademischer ualifizierung positiv zu beglei-ten.

    Auf der uristischen Ebene ist zu prüfen

    welche innovationsfreundlichen ahmenbe-dingungen bezüglich neuer Mobilitätsangebote im Vergleich zum internationalen Wettbewerb zu schaffen sind,

    wie die mplementierung von Modellpro ek-ten, die nicht im Einklang mit der aktuellen Ge-

    setzgebung stehen, geeignet juristisch begleitet werden kann, und

    wie die Pers nlichkeitsrechte der utzer zu-künftiger Mobilitätskonzepte geschützt und Da-tenmissbrauch vermieden werden kann.

    Auf konomischer Ebene fällt der hohe Investitions-bedarf für den Aufbau von Knowhow und die Erfor-schung und Entwicklung von innovativen Technolo-gien auf. Deshalb sollten

    existierende F rderinstrumente auf deren Eig-nung hinsichtlich Agilität und Volumen überprüft werden sowie

    gegebenenfalls ergänzende Kooperationsforma-te zur beschleunigten Entwicklung und Validie-rung automatisierter Fahrfunktionen konzi-piert und etabliert werden.

    Auf der technischen Ebene gilt es, durch die Ent-wicklung und Absicherung wegweisender echno-logien dazu beizutragen, dass die Wertschöpfung im Bereich der Komponenten, Systeme und Fahrzeuge sowie auch diejenige im Bereich der Services am Wirtschaftsstandort Deutschland verankert werden kann.

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    Die VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik

    Die VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik (FVT) bietet mit ihren acht Fachbereichen die Heimat fürIngenieurinnen und Ingenieure der unterschiedlichsten Fachrichtungen rund um die Verkehrsträger Straße, Schiene,Luft und Wasser. In einem aktiven Zusammenspiel mit den Arbeitskreisen der VDI-Bezirksvereine, den Studentenund Jungingenieuren sowie den weiteren VDI-Fachgesellschaften ist die VDI-FVT national und international mitweiteren Kooperationspartnern vernetzt. Die VDI-FVT hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wahrnehmung desIngenieurberufs zu stärken und den VDI als technisch-wissenschaftlichen Meinungsführer in Fachwelt, Politik undGesellschaft verstärkt zu etablieren. Dabei gilt es, das Zusammenwirken der unterschiedlichen Mobilitätsbereiche zuforcieren und fachliche Impulse zu geben sowie Perspektiven für Querschnittsthemen rund um die Bereiche „Menschund Mobilität“ sowie „Transportmittel und Infrastruktur“ zu entwickeln.

    Der VDI

    Sprecher, Gestalter, Netzwerker

    Die Faszination für Technik treibt uns voran: Seit 160 Jahren gibt der VDI Verein Deutscher Ingenieure wichtigeImpulse für neue Technologien und technische Lösungen für mehr Lebensqualität, eine bessere Umwelt und mehrWohlstand. Mit rund 150.000 persönlichen Mitgliedern ist der VDI der größte technisch-wissenschaftliche VereinDeutschlands. Als Sprecher der Ingenieure und der Technik gestalten wir die Zukunft aktiv mit. Mehr als 12.000ehrenamtliche Experten bearbeiten jedes Jahr neueste Erkenntnisse zur Förderung unseres Technikstandorts. Alsdrittgrößter technischer Regelsetzer ist der VDI Partner für die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft.

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