„Wer sich in psychotherapeutische Behandlung Psychotherapie] · „Wer sich in psychotherapeutische Behandlung begeben will, sollte wissen, was er tut und was er zu erwarten hat“

Risiken und Nebenwirkungenvon PsychotherapieProf. Dr. Yvonne NestoriucInstitut für PsychologieUniversität [email protected]

8. Hessischer Psychotherapeutentag, Frankfurt, 18.04.2015

mailto:[email protected]

„Wer sich in psychotherapeutische Behandlung begeben will, sollte wissen, was er tut und was

er zu erwarten hat“ Karl Jaspers, 1913 [Wesen und Kritik der

Psychotherapie]

Prof. Dr. Nestoriuc: Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie, 8. Hessischer Psychotherapeutentag

Licht und Schatten in der Psychotherapie

• Wissenschaftlich belegt: Psychotherapeutische Verfahren sind nützlich und effektiv bei der Behandlung vieler psychischer und körperlicher Erkrankungen-> Psychotherapie wirkt!


0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4

Psychotherapie

Bypass-Operation

Pharmakotherapie bei Arthritis

Aspirin zur Pävention von Herzinfarkt

Effektstärken zum Vergleich der Wirksamkeit von Psychotherapie mit medizinischen VerfahrenNach Grawe et al., 1994; Margraf, 2008

Licht und Schatten in der Psychotherapie

• Heuristik: Psychotherapie ist ein „weiches“ Verfahren, welches Gutes bewirkt, ohne Risiken in sich zu bergen

Wie nebenwirkungsfrei sind Psychotherapien wirklich?

• Grundsätzlich: Mit steigender Differenziertheit und Wirksamkeit der Behandlung steigt auch die Gefahr unerwünschter Effekte

• Screenings zu unerwünschten Effekte, Nebenwirkungen und Behandlungsfehlern gehören zur Qualitätssicherung und „evidencebased practice“ in der Medizin - in der Psychotherapieforschung steckt das Thema Nebenwirkungen noch in den Kinderschuhen


1. Autonomie=> Entscheidungsfreiheit und Recht auf Förderung derselben

2. Nonmalefizienz=> Prinzip der Schadensvermeidung

3. Benefizienz=> Prinzip der Fürsorge

4. Gerechtigkeit=> faire Verteilung von Gesundheitsleistungen

Ethische Prinzipien im Gesundheitswesen

Beauchamp & Childress, 2009


120 Jahre Psychotherapieforschung

Ø Keine anerkannte Definition für Nebenwirkungen

Ø Kein systematischer Katalog: Welche Nebenwirkungen treten im Zusammenhang mit Psychotherapien auf?

Ø Gibt es bestimmt Risikoverfahren, Settings oder Patientengruppen bei denen häufiger Nebenwirkungen auftreten?

Bedenke: Merkmale einer Approbation = Wissen über Möglichkeiten, aber auch über Risiken und Grenzen eines Behandlungsverfahrens

Kleine Bilanz zur Psychotherapieforschung


Herausforderungen…

• Unklare Begriffsdefinition, fehlende Systematik, Abgrenzung verschiedener Phänomene

• Bestimmung der Kausalität

• Mangel an Instrumenten

• Einstellung der Therapeuten, selbstwertstützender Bias, Tabuisierung

• Stichprobenselektion


Herausforderungen und Hindernisse bei der Erforschung von Risiken und Nebenwirkungen der Psychotherapie


Herausforderungen und Hindernisse …



Verantwortung in der Psychotherapieforschung

Aufklärung und Schutz der Patienten

Aufklärung der Therapeuten

Therapeutische Arbeit reflektieren

Therapeuten in Ausbildung für negative Effekte sensibilisieren und Kompetenzen vermitteln


Unerwünschte Ereignisse in der Psychotherapie

• Abbruch• Ausbleibender Erfolg• Misserfolg • Signifikante Verschlechterung• Rückfall• Nebenwirkung• Risiko• Therapeutisches Fehlverhalten• Unethisches Verhalten• Kunstfehler


Definition: Nebenwirkungen• Nach der gesetzlichen Definition sind Nebenwirkungen „die beim

bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Arzneimittels auftretenden schädlichen unbeabsichtigten Reaktionen“ § 4 d Arzneimittelgesetz; Richtlinie 2001/83/EG Artikel 1 (11)

Negative Therapieeffekte• ….therapiebedingte Veränderungen, die einen schädigenden

Einfluss auf den Zustand des Patienten ausüben. Diese schädigenden Einflüsse können unmittelbar bzw. direkt durch die Anwendung bestimmter therapeutischer Techniken, oder mittelbar wirken, wobei „mittelbare“ negative Einflüsse allein schon über eine etwaige soziale Stigmatisierung der Patienten als „Kranker“ durch eine in der Therapie gestellte Diagnose zustande kommen können (Schulz, 1984).


Generelle Risiken psychotherapeutischer Verfahren

• Frustration, Aggression (bei fehlender motivationaler Basis für Interventionen)

• Negative Phasen während der Therapie (Defizit- / Problemanalyse, u.a.)• Stigmatisierung, bzw. Angst davor (gesellschaftlicher Umgang und Umgang

am Arbeitsplatz mit dem Thema Psychotherapie)• Provokation unliebsamer Erinnerungen, Sensitivierung (suggestive

Verfahren, Entspannungsverfahren) • Rechtliche und juristische Nachteile

– Versicherungsfragen– Arbeitsfähigkeit, Gutachterwesen– Schweigepflicht


Spezifische Risiken verhaltenstherapeutischer Verfahren (Nestoriuc & Rief, 2012)

• Angstsensibilisierung (z.B. bei Expositionsverfahren, wiederholte Thematisierung von Hilflosigkeitserfahrungen)

• Problemaktualisierung (z.B. Ausweitung der Furchtstruktur durch Aktivierung weiterer situativ angstauslösender Stimuli im Rahmen der Exposition)

• Partnerkonflikte (z.B. Vermeidungsstrategien und Stabilisierungsdynamiken sind oft in der Partnerschaft verankert und werden bei erfolgreicher Behandlung erschüttert)

• Egoistischer Selbstbezug (z.B. „Übertrainieren“ im Sozialen Kompetenztraining)

• Verstärkung ungünstiger Persönlichkeitsakzentuierungen (z.B. ATP, GSK)• Verhärtung dysfunktionaler Grundannahmen; inadäquate

Selbstbeobachtung, Aggravation & Pathologisierung (z.B. kognitive Techniken, therapeutische Disputation von Grundannahmen)


Spezifische Risiken psychodynamischer Verfahren(Kächele & Hilgers, 2012)

• Egoistischer Selbstbezug (Jahrelange psychoanalytische Selbstreflexion)• Reduktion der Selbstwirksamkeit (Analytiker als einziger Mensch, der

Durchblick hat; liegende Position; direktive Therapien; Überforderung durch kognitive Interventionen)

• Chronifizierung bestehender Symptome (Bsp. Freuds Wolfsmensch: lebenslanger Analysepatient; Mechanismus: z.B. fehlende Ermutigung Übertragungskonflikte auszutragen)

• Abhängigkeit vom Therapeuten (Bsp. erotisierte Übertragung, suizidale „enactments“)

• Bleibende nachteilige Persönlichkeitsveränderungen („Psychotherapie-Defekt“, Bsp. Labilisierung durch fehlendes stützend-interaktionelles Setting)


Literaturempfehlung


Unerwünschtes Ereignis

Definition von Nebenwirkungen im therapeutischen Kontext



Durch Therapie verursacht

Nicht durch Therapie verursacht






Gravierendes äußeres Ereignis

Eigengesetzlicher Verlauf








TherapiefehlerKein Therapiefehler

= Nebenwirkung









= Nebenwirkung

Falsche Indikation

Technikfehler

Unethisches Verhalten

Bereiche: Symptomatik, Familie,

Freunde, Arbeit, Stigmatisierung, finanzielle und

rechtliche Nachteile









= Nebenwirkung

Falsche Indikation

Technikfehler


Bereiche: Symptomatik, Familie,

Freunde, Arbeit, Stigmatisierung, finanzielle und



Negative Effekte von Psychotherapie








= Nebenwirkung

Falsche Indikation

Technikfehler


Bereiche: Symptomatik,

Familie, Freunde, Arbeit,

Stigmatisierung, finanzielle und



Negative Effekte von Psychotherapie

Misserfolge


25Prof. Dr. Nestoriuc: Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie, 8. Hessischer Psychotherapeutentag

Empirie: Daten zum Auftreten von Risiken und Nebenwirkungen


Inventar zur Erfassung Negativer Effekte von Psychotherapie (INEP)

Intrapersonelle Veränderungen

Finanzielle und rechtliche Nachteile

Arbeit

Partnerschaft

Freunde und Familie

Therapeutisches Fehlverhalten

Stigmatisierung

Nestoriuc & Rief (2012)Ladwig, Rief & Nestoriuc (2014)


Während meiner Therapie und/odernach deren Abschluss...

0= trifftgar nicht

zu

1 = Trifftein wenig

zu

2 = Trifftteilweise

zu

3 = Trifftvöllig

zu

Auf die Therapie

AndereLebens-

umstände

7. ... leide ich unter der Angst, meineMitschülern/Kommilitonen/Kollegenkönnten von der Therapie erfahren.

o o o o o o

10. ...fühle ich mich von meinemTherapeuten /meiner Therapeutinabhängig.

o o o o o o

15. …hatte ich zum ersten MalSelbstmordgedanken/Absichten. o o o o o o

Worauf führen Sie diese Veränderung zurück?

Inventar zur Erfassung Negativer Effekte von Psychotherapie



X

Evaluation des Inventar zur Erfassung Negativer Effekte von Psychotherapie (INEP)

Itempool-Erstellung mit Expertenratings

Auswahl von k=53 Items

ONLINE-STUDIEEvaluation und psychometrische

Prüfung mit ehemaligen Psychotherapiepatienten (n=200)

EVAL

UATI

ON

INEP Kurzversion(k=21 Items, Cronbachs α=.85 )

Nestoriuc & Rief, 2012, Ladwig, Rief & Nestoriuc (2014)

Ambulante Psychotherapie:-Hochschulambulanz A

(n=180)-Hochschulambulanz B

(laufend)

Stationäre Psychotherapie:-Klinik A (n=77)

-Klinik B (n=219)-Klinik C (laufend)

Qualitative Interviews(MAXQDA)

n=25


Kommentare und O-Töne beteiligter Forscher und Kliniker

• „Wenn ein Therapeut keine Nebenwirkungen seiner eigenen Behandlung sieht, dann ist das beunruhigend, weil er sie übersehen hat!“ (Prof. M. Linden)

• Kommentar zu dem Nebenwirkungspotential von Psychoanalysen : „Je länger, desto riskanter“ (Prof. H. Kächele)

• „Kann eine detaillierte Aufklärung, die zum Beispiel den Hinweis auf eine mögliche Trennung einer Partnerschaft enthält, den Patienten von einer wahrscheinlich hilfreichen Psychotherapie nicht abschrecken?“ (Prof. H. Stoffels)

• „Auf meiner Station führen wir eine solche Evaluation nicht durch – was wenn die Presse davon Wind bekommt?“ (Anonymer leitender Arzt)

• „Mit unüberlegten Aussagen können Sie Ihren Patienten viele schlaflose Nächte bescheren, Therapien blockieren und Angstzustände heraufbeschwören. Andererseits liegt in einer geschickten Gesprächsführung ein riesiges Potenzial für das Wohlergehen Ihres Pateinten. Eigentlich geht es nur darum die richtigen Worte zu finden.“ (Prof. W. Rief)


Methode: Stichprobenbeschreibung • N = 676 ehemalige Psychotherapiepatienten

– Online Stichprobe (n = 200)– Psychotherapieambulanz (n = 180)– Klinik A (n = 77)– Klinik B (n = 219)

• Soziodemografische Variablen– Alter: Online: 38,3 (11,8), Ambulanz: 44,6 (13,6), Klinik A: 52,22 (9,5), Klinik B: 47 (9,9)– Geschlecht: Online: 56% ♂; Ambulanz: 38% ♂; Klinik A: 51% ♂; Klinik B: 34% ♂– Bildungsabschluss: Online > Ambulanz > Klinik A > Klinik B

• Diagnose– Affektive Störungen (64-92%)– Angststörungen (1-53%)– Essstörungen (0-21%)– Komorbiditäten: Online > Ambulanz, Klinik A, Klinik B– Rezidivierende Diagnosen: Klinik A, Klinik B > Ambulanz


Methode: Darstellung der Therapien • Therapieschule

– Online: 38%VT, 31%PD, 20%TP, 11% n.b.– Psychotherapieambulanz: 100% VT– Klinik A: 100% VT– Klinik B: 70% VT, 30% PD

• Dauer der Behandlung– Online: 1-300h– Psychotherapieambulanz: 1-119h– Klinik A: 21-110 Tage– Klinik B: 20-77 Tage

• Psychotherapeutische Vorbehandlung– Therapieerfahrung: Klinik A (73%), Klinik B (75%) > Ambulanz (10%), Online (22%)


Wie viele Patienten berichten negative Effekte? • N = 676 ehemalige Psychotherapiepatienten

– Online Stichprobe (n = 200), Psychotherapieambulanz (n = 180), stationäre PT (n=289)

6,0%

80,0%69,0%

35,6%

94,0%

20,0%31,0%

64,4%

0%

25%

50%

75%

100%

Online Erhebung Ambulanz Klinik A Klinik B

keine negativen Effekte min. 1 negativer Effekt

N=77Range=0-3

N=219Range=0-11

N=180Range=0-7

N=200Range=0-18



Häufigste Nebenwirkungen

05

101520253035

negative Effekte (%, n=676)


Häufi

gkeit

nega

tiver

Effe

kte, a

ttribu

iert a

uf Th

erap

ie

Tipp für die Praxis:- Transparenz schaffen- Erwartungen optimieren



05

101520253035

negative Effekte (%, n=676)Misserfolg, Rückfall


Häufi

gkeit

nega

tiver

Effe

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ttribu

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ie


05

101520253035



Verletzung therapeutischer Basisvariablen, Machtmissbrauch

Teils notwendig? Vorübergehend?


Häufi

gkeit

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Effe

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Häufi

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ie

05

101520253035

negative Effekt (%, n=676)

Rechtliche Nachteile



05

101520253035


Nebenwirkung:Copingprozesse anregen


Häufi

gkeit

nega

tiver

Effe

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ttribu

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erap

ie


Gravierende Nebenwirkungen und Schäden durch unethisches Therapeutenverhalten

0

5

10

15

20

25

erstmalig Suizidalität Bruch derSchweigepflicht

sexuelle Übergriffe körperliche Übergriffe

gravierende negative Effekte (%, n=676)

Nestoriuc & Rief, 2012Ladwig, Rief & Nestoriuc (2014)

Häufi

gkeit

uneth

ische

s The

rape

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lten

Tipp für die Praxis:- Anlaufstellen nennen- Vertrauen in eigene Wahrnehmung stärken- Autonomie fördern


Ist eine Vorhersage negativer Effekte möglich?

Negative Effekte (INEP)

Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status

Dauer der Therapie

Negative Effekte aus vorheriger Therapie (INEPprä)

Rezidivierende Störung

Qualität der therapeutischen Beziehung (HAQ)

Therapie Vorerfahrung

R2= .27**

F=7,27, df=103* p < .01; ** p < .001

-.23**

.25**

.24**

Fazit für die Praxis:- Vorerfahrungen erfragen- Patienten mit negativen Vorerfahrungen sind eine besondere Risikogruppe


Zusammenfassung der Ergebnisse

1. Art und Auftreten negativer Effekte• Negative Effekte von Psychotherapie treten in allen Lebensbereichen auf• Prävalenzen liegen mit 3-28% im Bereich der Nebenwirkungen von

Pharmakotherapie • Häufigste Nebenwirkungen:

• Affektive Destabilisierung nach Therapieende• Verletzende Aussagen des Therapeuten, Zwang zu Interventionen, Abhängigkeit• Schwierigkeiten mit Versicherungen• Erschwerter Umgang mit Vergangenem

2. Prävalenzen von Schädigung durch unethische Verhaltensweisen• Teilweise gravierende Nebenwirkungen (Suizidalität: 5%)• unethisches Verhalten (Bruch der Schweigepflicht: 2-3%; sexuelle und körperliche

Übergriffe: 0,8%)


Zusammenfassung der Ergebnisse (forts.)

3. Unterschiede therapeutischer Settings• Stationäre Therapien bergen ein höheres Risiko für negative Effekte als

ambulante• ACHTUNG: Effekt wird teils moderiert durch (negative) therapeutische

Vorerfahrung und Schwere der Störung

4. Einflussfaktoren negativer Effekte• Negative Erfahrungen aus vorangegangenem Therapien• Patienten mit rezidivierenden Störungen• Schlechte Qualität der therapeutischen Beziehung• No pain no gain? (Moritz et al. & Nestoriuc, 2015)


Diskussion der Befunde

Limitationen:• Stichproben Selektionseffekte• Motiv für Studienteilnahme• Anonymität vs. persönlicher Kontakt

Offene Fragen:• Unterscheidung vermeidbare und unvermeidbare unerwünschte Effekte• Spezifische Risikoprofile (Therapieschulen, Interventionen, Diagnosen)• Therapeutenperspektive• Ethische und rechtlich Implikationen des Auftretens von serious adverse

events (z.B. Erstauftreten von Suizidalität durch die PT)


Nebenwirkungen beim Therapeuten

• Burn-Out• Sekundäre Traumatisierung• Stalking• Belastung der Privatlebens• Reputationsverlust (Stigmatisierung, öffentliches Bild von

Psychotherapeuten)Nach Schneider, 2013


Vermeidung von Nebenwirkungen: der Therapeut als Ansatzpunkt

• Selbstüberforderung• Therapeuten die eigene Grenzen verkennen

– Arbeiten mit den falschen Störungen– Arbeiten in den falschen Settings– Arbeiten mit für sie ungünstigen Therapiemethoden– Sind zu wenig in der Lage ihre aktuelle Patientenverträglichkeit zu

reflektieren– Beherrschen nicht die „Kunst der Überweisung“

Nach Märtens, 2013


Praktische Implikationen

• Negative Effekte als Teil psychotherapeutischer Basisdokumentation

• Patientenaufklärung (-> Patientenrechtegesetz, 2013; Behandlungsvertrag, Aufklärungspflicht)

• Auseinandersetzung mit beteiligten Behandlern, Öffentlichkeitsarbeit


Praktische Implikationen

Praxistipp: Aufklärung über Nebenwirkungen von Psychotherapie

• Information über Risiken und Nebenwirkungen einbetten in Wirksamkeitsinformation

• Analogien nutzen für ein Erwartungsmanagement:– „Gut Ding will Weile haben“– „Muskelkater“– Veränderung = Reise (Unerwartetes bewerten)– Explosive Kräfte– Neues lernen (Radfahren, balancieren)

• „individualized informed consent“ anstatt „one size fits all“• Mögliche unerwünschte Ereignisse direkt gemeinsam mit

Coping-Strategien verankern


Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie: Fragen ans Plenum

• Wer hat Nebenwirkungen bei eigenen Patienten erlebt /bemerkt?

– Art, Intensität, Zeitpunkt, Ursache, notwendig vs. vermeidbar?

• Sollten Patienten über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt werden?

– Zeitpunkt, Vorbereitung vs. Abschreckung?

• Wer hat bereits über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt?

– Nutzen Sie bestimmte Formulierungen?


Dank an Mitarbeiter und Kooperationspartner

• Dipl.-Psych. Inga Ladwig• Prof. Dr. Winfried Rief (Marburg)• Prof. Dr. Steffen Moritz (UKE, Hamburg)• Studierende: Katharina Brook, Felix Brehm, Nathalie Mong, Viviane

Centner, Katharina Grünich, Marie Könemund, Liesa Zwetschke, Saskia Stöckigt

• Psychotherapie Ambulanz Marburg (PAM), Prof. Dr. Winfried Rief• St. Franziska Stift Bad Kreuznach, Prof. Dr. Heinz Rüddel• Schön Klinik Roseneck, Prof. Dr. Ulrich Voderholzer• Schlossparkklinik Berlin, PD Dr. Tom Bschor, Dr. med. Dirk Schmoll• Christoph-Dornier-Stiftung Bremen, Dr. Thomas Lang• Universität Hamburg, Dr. Sylvia Helbig-Lang


VIELEN DANK FÜR DIE AUFMERKSAMKEIT!

Nicht vergessen: die allermeisten Therapien verlaufen [email protected]

mailto:[email protected]

Literatur Barlow, D. (2010). Negative effects from psychological treatment: A perspektive. American Psychologist, Vol

65(1), 13-20Cinkaja, F., Schindler, A. & Hiller, W. (2011). Wenn Therapien vorzeitig scheitern. Merkmale und Risikofaktoren

von Abbrüchenin der ambulanten PsychotherapieZeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 40 (4), 224–234.

Castonguay, L. G., Boswell, J. F., Constantino, M. J., Goldfried,M. R. & Hill, C. E. (2010). Trianing implications of harmful effects of psychological treatrments. American Psychologist, 65 , 34–49.

Fischer-Klepsch, M., Münchau, N., & Hand, I. (2009). Misserfolge in der Verhaltenstherapie. In J. Margraf & S.Schneider (Eds.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie (pp. 261-275-275), Berlin Heidelberg: Springer.

Foa, E. B., & Emmelkamp, P. M. G. (1983). Failures in behavior therapy New York WileyHoffmann, S. O., Rudolf, G., & Strauß, B. (2008). Unerwünschte und schädliche Wirkungen von Psychotherapie.

Eine Übersicht mit dem Entwurf eines eigenen Modells. Psychotherapeut, 53(1), 4-16.Jacobi, F., Uhmann, S. & Hoyer, J. (2011). Wie häufig ist therapeutischer Misserfolg in der ambulanten

Psychotherapie? Ergebnisse aus einer verhaltenstherapeutischen Hochschulambulanz. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 40 (4), 246–256.

Ladwig, I., Rief, W. & Nestoriuc, Y. (2014). Welche Risiken und Nebenwirkungen hat Psychotherapie? -Entwicklung des Inventars zur Erfassung Negativer Effekte von Psychotherapie (INEP). Verhaltenstherapie, 24, 252-263.


Literatur, forts.Linden, M. (2011) Nebenwirkungen und Nebenwirkungserfassung in der Verhaltenstherapie. In M. Linden, M.

Hautzinger (Hrsg.), Verhaltenstherapiemanual, Springer-Verlag Berlin Heidelberg.Märtens, M. M., & Petzold, H. G. (2002). Einführung: Die schwierige Entdeckung von Nebenwirkungen. In M. M.

Märtens & H. G. Petzold (Eds.), Therapieschäden: Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie (pp. 16-39). Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag.

Mays, D. T., & Franks, C. M. (1985). Negative outcome and what to do about it. New York: SpringerMoritz, S., Fieker, M., Hottenrot, B., Seralan, T., Kohlbeck, K., Gallinat, J. & Nestoriuc, Y. (in press). No pain, no

gain? Adverse effects of psychotherapy in obsessive-compulsive disorder and its relationship to treatmentgains. Journal of Obsessive-Compulsive and Related Disorders.

Nestoriuc, Y. & Rief, W. (2012). Risiken und Nebenwirkungen von Verhaltenstherapie. In M. Linden & B. Strauss:Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie. S. 59-74, Berlin: MWV - Medizinisch wissenschaftlicheVerlagsgesellschaft.

Schulz, W. (1984 ). Analyse negativer Therapieeffekte und Probleme der Kontraindikation. In G. Jüttemann(Ed.), Neue Aspekte klinisch-psychologischer Diagnostik (pp. 149-168). Göttingen: Hogrefe.


Negative Effekte, auf Therapien attribuiert (1)

Mögliche negative EffekteOnline N=200

(%)

AmbulanzN=180

(%)

Klinik AN=77 (%)

Klinik BN=219

(%)

1. Schlechteres Befinden seit Abschluss der Therapie 15,5 0,5 0 6,8

2. Vertrauen zu anderen Mitmenschen fällt schwerer 15,0 0,5 0 4,1

3. Umgang mit vergangenen Ereignissen schwieriger 28,0 0,5 2,6 5,9

4. Längere Phasen der Niedergeschlagenheit nach Behandlungsende 42,5 3,2 23,4 45,2

5. Durch Therapie als Mensch zum Negativen verändert 18,5 2,2 0 5,5

Bereiche: Intrapersonelle Veränderungen



Mögliche negative EffekteOnline N=200

(%)

AmbulanzN=180

(%)

Klinik AN=77 (%)

Klinik BN=219

(%)

6. Mehr Konflikte in der Partnerschaft 17,9 3,2 0 3,2

7. Schlechteres Verhältnis zur Familie 14,5 1,1 0 4,1

8. Schlechteres Verhältnis zu Freunden 8,5 0,5 0 3,29. Partner ist/war eifersüchtig auf Beziehung zum Therapeuten 9,4 2,2 1,3 2,7

Bereiche: Familie, Freunde, Partner


Mögliche negative Effekte Online N=200

(%)

AmbulanzN=180

(%)

Klinik AN=77 (%)

Klinik BN=219

(%)

10. Angst vor Stigmatisierung 8,3 3,8 1,3 14,2

11. Schwierigkeiten mit der Versicherung 18,5 8,1 2,6 12,3

12. Mehr finanzielle Sorgen 15,5 1,6 2,6 17,4

13. Abhängigkeit vom Therapeuten - 2,2 3,9 17,8

14. Schwierigkeiten wichtige Entscheidungen allein zu treffen 7,5 0,5 0 17,4


Bereiche: Stigmatisierung, Finanzielle und rechtliche Nachteile


Mögliche negative Effekte Online N=200

(%)

AmbulanzN=180

(%)

Klinik AN=77 (%)

Klinik BN=219

(%)

15. Erstmalig Selbstmordgedanken/-Absichten 15,0 1,1 0 5,0

16. Durch Aussagen des Therapeuten verletzt gefühlt 55,5 3,8 1,3 12,3

17. Gefühl, Therapeut mache sich lustig über Patienten 23,0 1,1 0 4,1

20. Therapeut zwang zu Interventionen 32,0 3,8 1,3 7,3

18. Gefühl von sexueller Belästigung 2,5 0 0 0,5

19. Körperliche Angriffe durch den Therapeuten 1,0 0 0 1,8

21. Bruch der Schweigepflicht 8,0 0 0 2,3

Negative Effekte, auf Therapien attribuiert (4)Bereiche: Schwerwiegende Nebenwirkungen, unethisches Verhalten


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