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Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur Band 23 Brigitte Strohmeier Das Grubenunglück von Lassing Ein Beitrag zur Katastrophenforschung

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Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur

Band 23 Brigitte Strohmeier

Das Grubenunglück von Lassing Ein Beitrag zur Katastrophenforschung

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Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur

Schrift enreihe der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien

Herausgegeben von Bernd Rieken

Band 23

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Brigitte Strohmeier

Das Grubenunglück von Lassing Ein Beitrag zur Katastrophenforschung

Waxmann 2018Münster • New York

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Bibliografi sche Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi scheDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar.

Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur, Band 23

ISSN 2192–2233Print-ISBN 978-3-8309-3817-0E-Book-ISBN 978-8309-8817-5

© Waxmann Verlag GmbH, 2018Steinfurter Straße 555, 48159 Münster

[email protected]

Umschlaggestaltung: Anne Breitenbach, MünsterTitelbild: © Henrik Dønnestad – Unsplash.comSatz: Stoddart Satz- und Layoutservice, MünsterDruck: CPI books GmbH, Leck

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier,säurefrei gemäß ISO 9706

Printed in Germany

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.Kein Teil dieses Werkes darf ohne schrift liche Genehmigung desVerlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendungelektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.fsc.org

MIXPapier aus verantwor-tungsvollen Quellen

FSC® C083411

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Für die Lassingerinnen und Lassinger

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Ein Bergmann will ich werden,das ist ein Stand auf Erden,

geachtet weit und breit.So ist mein ganzes Strebenin meinem jungen Leben

für jetzt und alle Zeitein Echter auch zu sein,

ich meid’ den falschen Schein.Kameradschaft will ich zeigen

und abhold allem Feigengeb ich in Ehr als Unterpfand

mein junges Herz dem Vaterland.

Hermann Kätelhön*1

* Kätelhön, In: Kirnbauer 1977, S. 8.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I Ein historischer Rückblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Über die Bergbaukulturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.1 Brauchtum und Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.2 Die Bergbau-Volkskunde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.3 Sozialpolitische Auswirkungen des Bergbauwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Über den Ort des Unglücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Das Grubenunglück – ein kurzer chronologischer Ablauf . . . . . . . . . . . . . . 29

II Die wissenschaft liche Annäherung an den Topos Katastrophe . . . . . . . . 331 Über die Wurzeln unseres Katastrophenbegriff es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Das Katastrophenverständnis unterschiedlicher

wissenschaft licher Disziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.1 Die Th eologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.2 Die Geologie und Geografi e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392.3 Die Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422.4 Die Ethnologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442.5 Die Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452.6 Die Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472.7 Die Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562.8 Die Psychologie und Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Defi nition und Merkmale einer Katastrophe aus heutiger Sicht. . . . . . . . . . 59

III Die Ausgangslage meines Forschungsprojektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 Fragen, die mich bewegten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 Zusammensetzung der Interviewpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 Ängste, die mich begleiteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 Die Qualitative Forschung und ihre Prinzipien nach Lamnek . . . . . . . . . . . 654.1 Die Off enheit des Forschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674.2 Keine Forschung ohne Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754.3 Die Forschung als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764.4 Die Refl exivität in der Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774.5 Die angestrebte Explikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774.6 Die Flexibilität im Forschungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 Die unterschiedlichen Methoden der Datensammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 785.1 Die Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785.2 Die Analyse von Zeitungsartikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805.3 Die teilnehmende Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805.4 Eine Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

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IV Die Auswertung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821 Die Analyse der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821.1 Die psychologisch-psychotherapeutische Matrix der Auswertung . . . . . . . . 831.2 Das individuelle Erleben der traumatischen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891.3 Von der traumatischen Situation zur traumatischen Reaktion . . . . . . . . . . 1451.4 Das Leben danach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2002 Die Analyse der Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2542.1 Ereignisse im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2592.2 Die eigentliche Katastrophe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2612.3 Die Stunden, Tage und Wochen danach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2632.4 Die Funktion der Katastrophe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3072.5 Die Besonderheiten der psychosozialen Katastrophenhilfe . . . . . . . . . . . . . 3113 Die Gedenkfeier 14 Jahre danach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3154 Die Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

V Über die Bewältigung von Katastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3261 Das Wiederauffi nden der „causa fi nalis“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3262 Über die Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3313 Die Wirkkraft der Narration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3324 Zur Verurteilung des Betriebsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

VI Ergebnisdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

Zeitungen und Zeitschrift en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

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Vorwort

Das Grubenunglück von Lassing in der Steiermark ist eine der größten Ka-tastrophen Österreichs im 20. Jahrhundert – und ein brisantes Forschungs-feld, weil es nicht einfach ist, mit Beteiligten oder Betroff enen darüber ins Ge-spräch zu kommen. Dass das aber dennoch möglich ist, davon legt die vorlie-gende Studie ein beredtes Zeugnis ab, und das hat wohl auch damit zu tun, dass die Autorin als Psychotherapeutin dafür sensibilisiert ist, mit Personen, denen schweres Leid widerfahren ist, professionell zu sprechen.

Die Stärke der Arbeit besteht nämlich primär darin, eben dieses Leid der Betroff enen so anschaulich und lebendig dargestellt zu haben, dass man sich sehr gut in sie hineinversetzen kann und eine Vorstellung davon bekommt, was in ihnen vorgegangen ist. Genauso gelungen ist die Anwendung des psy-chotraumatologischen Modells von Riedesser und Fischer mit seinen je unter-schiedlichen Phasen, das durch eine passende Auswahl und Analyse entspre-chender Interviewauszüge gut illustriert und gewissermaßen lehrbuchhaft dar-gestellt worden ist. Positiv zu erwähnen ist darüber hinaus, dass die Autorin bestimmte Problembereiche grundlegend thematisiert und mit der wesent-lichen wissenschaft lichen Literatur untermauert hat, zum Beispiel die Kapitel über Trauer, Medien-Ethik, Kränkung oder Schuld, um nur einige herauszu-greifen. Zugute kommt ihr dabei ihre fundierte Psychotherapieausbildung nach Viktor E. Frankl mit ihrer philosophisch untermauerten Sichtweise. Positiv ist ferner die sehr refl ektierte und authentische Gegenübertragungsanalyse anzu-merken sowie der Umstand, dass mithilfe interdisziplinärer Zugänge individu-elle und kollektive Bewältigungsmuster berücksichtigt worden sind – gemäß den Zielsetzungen, die das Selbstverständnis des Instituts für psychoanaly-tisch-ethnologische Katastrophenforschung an der Sigmund-Freud-Universität charakterisieren.

Prof. DDr. Bernd Rieken

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Danksagung

Da ich durch meine berufl iche Tätigkeit schon seit vielen Jahren immer wieder mit Menschen in unterschiedlichen Krisen- und Ausnahmesituationen zu tun habe und auch schon zahlreiche Fort- und Weiterbildungen in diesem Bereich absolviert habe, war es mir eine echte Herzensangelegenheit, mich mit der Ka-tastrophe in Lassing näher auseinanderzusetzen. Dazu kommt, dass ich damals auch in tiefer Betroff enheit täglich die Entwicklung in Lassing über das Fernse-hen und die Zeitungen verfolgt habe – und, last but not least, es schlägt ja auch ein Steirerherz in mir!

Ich möchte nun das Vorwort nützen und mich bei den Lassingerinnen und Lassingern für das große Vertrauen, für ihre Off enheit, Ehrlichkeit und spür-bare Emotionalität bedanken und ich hoff e, dass ich mit dieser Arbeit einen Beitrag zur Integration des Erlebten für den Einzelnen wie auch für die Ge-meinschaft leisten kann.

Aber auch bei meinem Betreuer, Univ.-Prof. Mag. DDr. Bernd Rieken, möchte ich mich vor allem für die Freiheit in der Gestaltung meiner Arbeit, für den Glauben an deren Fertigstellung und für die hilfreichen Anregungen recht herzlich bedanken.

Ein großer Dank auch an all meine Freunde, die mich, obgleich sie mich in den letzten Jahren kaum gesehen haben, nicht aus dem Gedächtnis gestrichen haben!

Für das engagierte Lektorat in letzter Minute ein herzliches Dankeschön an Herrn Mag. Herbert Zach, dem lieben Freund der Familie, und an Frau Mag. Lieselotte Stranz!

Ein besonders großer Dank gilt meiner Tochter Katharina, die mit viel Eifer und Akribie nahezu die gesamten Transkriptionen durchgeführt hat. Bei der Länge der Interviews eine wirklich beeindruckende Leistung! Und nun noch meiner Tochter Charlotte und meinem Lebensgefährten ein großes Danke-schön für das nicht endenwollende Verständnis und die liebevolle Rücksicht-nahme!

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Einleitung

Am 17. Juli 1998, kurz vor 12 Uhr mittags, tätigte der Bergmann Manfred Zei-ser einen Notruf bei der Feuerwehr Liezen: „Ihr müsst schnell kommen. Die ganze Landschaft zerbricht!“1 Ab diesem Moment war in der idyllischen Ge-meinde Lassing mit ihren rund 1.600 Einwohnern nichts mehr so, wie es frü-her war. Das größte Grubenunglück der Zweiten Republik nahm da seinen An-fang. Es kam zu einer Verkettung von negativen Ereignissen, die so schnell kein Ende nehmen wollten. Ganz Österreich war zutiefst betroff en und auf-grund der zahlreichen Medienvertreter vor Ort praktisch live dabei. Es war aber nicht nur ein Medienrummel unglaublichen Ausmaßes – für Franz Nor-mann, einen ORF-Reporter, der in der Nacht des Unglücks die Live-Über-tragung der ZIB 2 moderierte, war es der erste „SAT-Schüssel-Wald“2 in Ös-terreich. Wirtschaft sminister Farnleitner, Kanzler Klima und Innenminis-ter Schlögl kamen mit dem Hubschrauber des Innenministeriums angefl ogen, es waren auch Rettungsteams und Freiwillige aus ganz Europa vor Ort sowie Wahrsagerinnen und Katastrophen-Zuseher. Und es war von Beginn an auch ein Machtspiel, die Berghauptmannschaft sah sich alleinig befugt und in der Lage, dieses Problem zu lösen. Die Stimmung war binnen kürzester Zeit unge-mein aufgeladen und die äußerst spärlich vorhandenen Informationen öff neten Spekulationen und Gerüchten aller Art Tür und Tor. Es waren, wie es ja auch ein Charakteristikum einer Katastrophe ist, alle maßlos überfordert, auf so ein Unglück war niemand vorbereitet, es gab auch nicht einmal Katastrophenplä-ne. Das Besondere an diesem Unglück war, dass es kein Ende fi nden wollte. Weder konnte sich die Erde beruhigen, noch kam die Bevölkerung zur Ruhe.

Meine Intention für diese Arbeit war anfänglich, die Erkenntnis darü-ber gewinnen zu wollen, welche Form der Hilfe Menschen in einer Katastro-phe wirklich unterstützt. Mein Fokus lag hierbei vor allem auf dem Danach. Was braucht der Mensch, um solch ein Ereignis ohne langfristige Auswirkun-gen auf seine physische und psychische Gesundheit bewältigen zu können? Da ich Psychotherapeutin bin, richtete sich mein besonderes Interesse naturge-mäß eher auf die psychischen bzw. psychosomatischen Veränderungen, da sie es auch sind, mit denen ich in meiner Arbeit konfrontiert werde. Je intensiver ich mich jedoch mit den Interviews auseinandersetzte, umso deutlicher wurde, dass nicht das, was der Verarbeitung des Erlebten dienlich war, die Materialfül-le ausmachen würde. Ich musste mein ursprüngliches Ziel also ein wenig adap-tieren. Was sich in den Interviews hauptsächlich zeigte, war eher das, was man eigentlich vermeiden sollte, waren also eher jene Verhaltensweisen, die einer

1 Josef Neumyer 1998, In: News: 52/53, S. 64.2 Franz Normann 17.05.2017, Telefongespräch.

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gelungenen Verarbeitung entgegenwirkten. Trotz dieser neuen Erkenntnis ver-suchte ich meinem Forschungsinteresse treu zu bleiben.

Die Fragen, die ich gerne beantwortet wüsste: Was brauchen wir Menschen, um auch nach so einem Erlebnis ein relativ unbelastetes, also ein geistig und emotional freies Erleben haben zu können? Welchen Einfl uss hat unser Um-gang mit dem Erlebten auf unser weiteres Leben? Und was sind potenzielle an-dere Einfl ussfaktoren?

Im Laufe meiner Feldforschungstätigkeit spürte ich aber ein zusätzliches Bedürfnis, ja fast eine ethisch-moralische Verpfl ichtung, einen Beitrag zur Auf-klärung des Ablaufes zu leisten: WARUM sich die Menschen WIE verhalten haben könnten, was ihre möglichen Intentionen gewesen sein könnten. Noch immer gibt es zu viele Unklarheiten, viel Unausgesprochenes und auch Enttäu-schung und Groll. Mein Bestreben ist es daher, etwas Licht ins Dunkel zu brin-gen. So wie das Grubenlicht dem Bergmann den Weg weist, möchte ich durch die Zusammenführung all meiner Informationen einen umfassenden Blick auf das Unglück und die individuellen Reaktionen ermöglichen und es irgendwie „begreifb ar“ machen.

Mir wurde bald klar, dass dieses Gesamtbild nicht ohne Anbindung an die kulturellen Gegebenheiten, also an die Bergbau-Kulturgeschichte und die tra-dierten Werte des Bergmannes, entstehen kann. Daher spanne ich in meiner Arbeit den Bogen von der Bergbaukunde und der Ethnologie über die Soziolo-gie, Philosophie und Psychologie hin zur Psychotherapiewissenschaft .

Um den Leser auf das Th ema einzustimmen, beginne ich in Kapitel I.1 mit einem historischen Rückblick im Bereich der Bergbaukunde, mit Hinwei-sen auf das Brauchtum, die Symbolik und das berufl iche Ethos des Bergman-nes, um dann auf die Geschichten um den Bergbau und seine sozialpolitischen Auswirkungen eingehen zu können. Danach (Kapitel I.2) werde ich versuchen, den Ort des Geschehens mit seinen Besonderheiten zu beschreiben, um dann das Ereignis in groben Zügen anhand einer chronologischen Abfolge darstellen zu können (Kapitel I.3).

Im Anschluss daran widme ich mich in Kapitel II dem Katastrophenver-ständnis unterschiedlicher wissenschaft licher Disziplinen einst und jetzt, um letztendlich ein Basiswissen über Zusammenhänge, Begriffl ichkeiten und Deu-tungsmuster zu schaff en und auf mein Forschungsprojekt näher eingehen zu können.

Nach der Darstellung meiner Vorgehensweise und Methodenwahl (Kapi-tel III) unterteile ich die Analyse der Daten (Kapitel IV) in vier Untergrup-pen. Der Beginn ist die Analyse der Interviews, auf denen mein Hauptaugen-merk liegt, da vor allem sie es sind, von denen ich mir Antworten auf mei-ne Forschungsfragen erwarte. (Kapitel IV.1) Die Matrix der Auswertung für die Interviews ist der prozesshaft e Verlauf einer psychischen Traumatisierung. Ich orientiere mich hierbei an dem Modell von Gottfried Fischer und Peter

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Riedesser. Am Anfang steht die traumatische Situation, sie geht über in eine traumatische Reaktion, um sich danach wieder zu regulieren oder sich in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zu chronifi zieren. In Kapitel IV.2 möchte ich den Einfl uss der externen Wirkfaktoren sowohl auf den Verarbei-tungsprozess meiner Interviewpartner als auch auf das Kollektiv, die Gemein-schaft der Einwohner, aufzeigen. In Kapitel IV.3 werden anhand der Eindrü-cke einer teilnehmenden Beobachtung sowohl die Auswirkungen der tradier-ten Werte auf unsere Meinungsbildung und auf unsere Erwartungen an andere dargestellt als auch versucht, die Stimmung 14 Jahre danach „einzufangen“. Ka-pitel IV.4 zeigt uns dann noch einmal anhand einer Kasuistik eines damaligen Kindes, welchen unterschiedlichen Einfl ussfaktoren solch ein traumatischer Verarbeitungsprozess unterliegt. Kapitel V widmet sich meinem ursprüngli-chen Kernthema – was ermöglicht die Integration des Erlebten?

Der erste Anhang zeigt, womit sich die Bergbaukunde inhaltlich ausein-andersetzt und welche Techniken und Verfahren zum Einsatz kommen. Der zweite Anhang gibt zwei Sageninhalte wieder, um den Leser vertiefend in die Botschaft der Sagen einführen zu können. Der dritte Anhang ist ein Auszug aus einem Abschiedsbrief, den eine Mutter für ihren Sohn geschrieben und bei der Trostfeier auch vorgelesen hatte. Er möge uns eine Vorstellung vom Leid der Betroff enen geben. Der vierte Anhang gibt die Rede des Betriebsrates an-lässlich der Trostfeier wieder.

Da die individuelle und kollektive Verarbeitung von Katastrophen eine hohe Determinante für die Lebensqualität und Lebenszufriedenheit des Einzel-nen wie auch für die Gemeinschaft ist und sich das Ergebnis der Verarbeitung letztlich auch auf die nächste Generation auswirkt (das Schweigen der Eltern), macht es durchaus Sinn, sich um eine Optimierung der Betreuung und Beglei-tung von Opfern zu bemühen.

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I Ein historischer Rückblick

1 Über die Bergbaukulturgeschichte

Der Begriff der Bergbaukulturgeschichte wurde erstmals 1920 von Dr. Franz Kirnbauer im Rahmen eines Vortrages in Leoben geprägt und erhebt den An-spruch, eine „Kunde vom Wissen um die Bergmannsarbeit“3 zu sein. Die-se Kunde basiert auf zahlreichen Überlieferungen, und sie beschreibt, wie es sich seit über einem halben Jahrtausend im Bergbauwesen zugetragen haben soll. Sie umfasst neben der Geschichte des Bergbaues auch das bergmännische Brauchtum und die Volkskunde des Bergmannes.

„‚Ich fürcht, mein Leben wird nicht ausreichen, um das Ganze erfassen zu können, geschweige denn es im Schrift tum festzuhalten. Wird doch jeder aus diesem Buch erkennen, wie weit verzweigt der Bergbau ist und wieviel Kenntnisse aus den ver-schiedenen Wissenschaft en die Bergleute nötig haben, um Bergbau zu betreiben.‘ Agricola in ‚De re metallica‘“4

Die Bergbaukunde als akademische Disziplin entstand im 18. Jahrhundert. Ma-ria Th eresia veranlasste 1763 die Einführung eines „ordentliches Studium theo-reticum gesamter Berg-Wercks-Wissenschaft en“ in Prag. In den darauf fol-genden Jahren entstanden weitere Bergakademien in Schemnitz, in Freiberg in Sachsen, in Berlin, Madrid, St. Petersburg und Paris. Die Grundlage dafür bildete das bereits 1556 erschienene Werk in lateinischer Sprache, „De re me-tallica“ oder „Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen“ von Georg Agrico-la.5 Agricola wurde am 24. März 1494 in Glauchau (Sachsen), als Sohn eines Handwerkers, geboren. Er studierte in Leipzig Th eologie, Philosophie und Phi-lologie und danach auch noch Medizin. Nach seinem Studium ließ er sich in Joachimsthal nieder, dort waren damals an die 900 Gruben, und er wurde un-ter anderem der Werksarzt. Agricola gilt als „Vater der Mineralogie“ und als „Begründer der Bergbaukunde“ wie auch als bedeutender Humanist. Er starb 1555 in Chemnitz.6

Die Gründung der Montanuniversität in Leoben erfolgte 1840 und deren Aus-bau 1849. Beides beruhte auf der Initiative von Erzherzog Johann, dem Enkel von Maria Th eresia. Er wollte dem Steirischen Erzberg und damit dem Eisenwesen ei-nen wissenschaft lich fundierten Partner zur Seite stellen.7

3 Kirnbauer 1958, S. 13. 4 Kirnbauer 1974, S. 6.5 Fettweis 2004, S. 33.6 Kirnbauer 1974, S. 6.7 Fettweis 2000, S. 132.

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Die Bergbauwissenschaft unterscheidet sich von anderen Wissenschaft en vor allem durch ihre enorme Abhängigkeit von geologisch individuellen Ge-gebenheiten der abzubauenden Lagerstätten, aber auch durch ihr spezifi sches Brauchtum sowie durch die ihr innewohnenden „gewissen Besonderheiten“.

Zu diesen „Besonderheiten“ zählt die Gewinnung von Rohstoff en aus der genannten unbelebten Natur – und das zum Zwecke des Wohlstandes eines Volkes. Bergwerke galten als Gottesgabe. • Des Weiteren ist die Arbeitswelt, die unter der Erde stattfi ndet, eine, die stets

neu erschaff en und erweitert werden muss. Sie ist für viele geheimnisvoll und rätselhaft , da sie eben nicht so einfach von jedermann beobachtet werden kann.

• Nicht zuletzt handelt es sich auch um eine Arbeit, die ein hohes Gefahrenpo-tenzial in sich birgt.

• Durch die Rohstoff gewinnung hat sie auch erheblichen Einfl uss auf das wirt-schaft liche, politische und wissenschaft liche Geschehen in unserem Dasein.

• Aufgrund der Tatsache, dass es sich hierbei um eine relativ kleine Berufsgrup-pe handelt, kommt es naturgemäß zur Ausbildung eines spezifi schen Stan-desbewusstseins und auch zu einem gewissen Stolz, Teil dieser Berufsgrup-pe zu sein.8

Ein typisches Beispiel für sogenannte Standesbruderschaft en war die von Rat-tenberg in Tirol, sie wurde bereits 1468 gegründet und hatte, neben der so-zialen Eingebundenheit, auch einen starken karitativen Charakter. So wur-den Bergmänner und ihre Familien, die aufgrund von Unfällen oder Krank-heit nicht mehr arbeiten konnten, aus der Bruderschaft skasse vorübergehend, bis zur Genesung, unterstützt. Danach sollten sie, wenn möglich, die erhaltene Zahlung wieder refundieren.9

All diese berufl ichen Gegebenheiten, die Gefahr, die Arbeit unter der Erd-kruste, das Wissen, dass ohne diesen Urrohstoff Produktion nicht möglich ist, führen meiner Meinung nach zu einer „integrativen Identität“. Damit mei-ne ich das „Einfügen“ des Selbst in ein größeres Ganzes, ohne dabei die ei-gene persönliche Identität zu verlieren. Anders formuliert, damit möchte ich jene Identität, die aufgrund der Tätigkeit und des Zusammengehörigkeitsge-fühls entsteht, benennen. Jene Identität, die stärker ist als die eigene, jene, die die Verbundenheit, Treue und Verantwortung dem Beruf und den Kollegen, aber auch dem Berg gegenüber verspürt. Jene Identität, der letztlich die Gru-be, wenn es drauf ankommt, näher steht als die Familie. Oder vielleicht nach Hilarion Petzold: „Persönlichkeit ist verleiblichte Kultur, sich im Selbst inkar-nierende Kultur“10, und Kultur ist „die Gesamtheit der geistigen und künstle-

8 Fettweis 2004, S. 95.9 Vgl. Schreiber 1962, S. 72f.10 Petzold 1975, S. 407.

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rischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft “11. Im modernen integrativen Identitätskonzept von Hilarion Petzold werden, auf Basis der Sinnhaft igkeit, sowohl Gerechtigkeit und Menschenwürde, Privates und Öff entliches als auch Individuelles und Kollektives verbunden.12

Welche Aufgabengebiete die Bergbaukunde umfasst, möchte ich für interes-sierte Leserinnen und Leser im Anhang I genauer aufl isten. Hier sei daher nur darauf verwiesen, dass Bergtechnik und Bergwirtschaft , aufgrund der indivi-duellen Bedingungen, sehr eng miteinander verfl ochten sind. Prof. Christoph Traugott Delius, einstmaliger Professor an der Bergbauakademie in Schemnitz (heutige Slowakei), beschrieb seine Disziplin 1773 folgendermaßen:

„Die Bergbaukunst ist eine Wissenschaft , die Lagerstätte der Metalle und Minerali-en in der Tiefe der Gebirge zu erforschen, solche vorteilhaft , sicher und wirtschaft -lich zu gewinnen und herauszubringen, und die dabei vorkommenden Hindernisse auf die Seite zu räumen. Es ist bekannt, dass diese Kunst eine von den ersten und ältesten Künsten ist, welche die menschliche Notdurft erfand.“13

Fettweis beschreibt den Bergbau, mehr als 250 Jahre später, mit folgenden Worten:

„… die Bereitstellung von mineralischen Rohstoff en durch Urproduktion und da-mit der Bergbau als Urproduzent, auf denen in materieller Hinsicht das Leben un-serer Gesellschaft und dessen weitere gedeihliche Entwicklung beruhen. Zwar entfal-len auf den Bergbau im Weltdurchschnitt nur einige Prozent des Weltsozialproduk-tes, aber ohne sie wären die übrigen rd. 95% nicht möglich.“14

1.1 Brauchtum und Symbolik

Da vernehme ich schon einigen Stolz und ein großes Selbstbewusstsein zwi-schen diesen Worten, und das dient mir auch als zusätzliche Erklärung für die hohe Wertigkeit des Arbeitsplatzes und insbesondere für die starke emotiona-le Verbundenheit mit dem Berg und dem Beruf, die sich wohl auch an diesem besagten 17. Juli 1998 in Lassing zeigte.

Bereits Georg Schreiber verwies auf die Vielfalt des Bergmannbrauchtums, welches neben einem starken repräsentativen Charakter auch unterschiedliche emotionale Ausdrücke wie Lust, Freude, aber auch Schmerz und Leid vermit-telt und transportiert. Einige heute noch bekannte Brauchtümer wären z.B. die

11 Dudenredaktion 2007, S. 578.12 Petzold 2001, S. 10.13 Fettweis 2004, S. 34.14 Fettweis 2000, BHM Heft 4, S. 129.

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Barbara-Feier, der Hüttenberger Reift anz und der Ledersprung, um nur einige zu nennen.15

Ich möchte jetzt aber nur auf jene Bräuche und Symbole näher eingehen, die im Rahmen meiner Interviews erwähnt wurden und die mir auch vor Ort aufgefallen sind. Das wäre zum einen einmal die Dreiergruppe bergmännischer Symbolik, die aus der „Glückauf-Formel“ zwischen „Schlägel und Eisen“ einer-seits und der „Heiligen Barbara“, der Schutzpatronin, andererseits besteht. Und zum anderen wäre da auch noch das Grubenlicht.

Schlägel und Eisen Die Arbeit mit Schlägel und Eisen war über viele Jahrhunderte, neben dem Feuersetz-Verfahren, die einzige Möglichkeit, Erze zu gewinnen. Wurden sie anfänglich parallel dargestellt, so gilt ab dem Mittelalter die überkreuzte Dar-stellung als Symbol des Bergbaues, wobei der Stiel des Schlägels über dem Stiel des Eisens zu liegen kommt. Bekannt ist auch, dass Holzknechte ihre Hacken ebenso kreuzweise aufeinanderlegten, und auch das Papstwappen stellt zwei Petrusschlüssel über Kreuz dar. Die Symbolik dahinter ist die Abwehr des Bö-sen. Im Bergbau im Speziellen die Abwehr der bösen Berggeister in der Gru-be.16 Das Schlägel-und-Eisen-Symbol, sozusagen auf den Kopf gestellt, ist Aus-druck der Trauer und kommt bei Ehrendenkmälern oder allgemein auf Trauer-nachrichten für Bergleute zur Verwendung.17

Der Bergmannsgruß „Glückauf!“Das Wesen des Grußes ganz allgemein ist der Hinweis auf eine innere wie auch äußere Verbundenheit. Der Gruß an sich hat einen sozial-kulturellen Aus-druckswert und ist fester Bestandteil unserer zwischenmenschlichen Bezie-hungen und unseres Zusammenlebens.18 Im Bergbau der heutigen Zeit hat die Grußformel „Glückauf “ auch einen symbolischen Wert. Sie verweist auf die lange Tradition und die tiefen Verbundenheitsgefühle eines alten Berufstandes und vereint Arbeitsethos, Berufserfahrung und Daseinsform der Bergleute.19

Der Bergmannsgruß entstand im Zeitalter des Barock im Bereich des kur-sächsischen Bergwesens. Die Bedeutung des Wortes „Glück“ ist, nach Zeug-nissen früherer Jahrhunderte, in Verbindung mit Gott zu verstehen. Dieser möge reichen Ertrag spenden, aber auch dem Bergmann hold sein, indem er ihn wieder zu Tage bringt. Der Begriff „auf “ wiederum hat richtungsweisenden

15 Vgl. Schreiber 1962, S. 238–249.16 Vgl. Kirnbauer 1975, S. 7–17.17 Vgl. Kirnbauer 1975, S. 41.18 Vgl. Heilfurth 1958, S. 11.19 Vgl. Heilfurth 1958, S. 17.

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Charakter, bringt sowohl das „Hinaufb efördern des Gutes“ als auch das „Em-porsteigen“ bzw. die Rückkehr nach oben zum Ausdruck.

„Drum frisch in die Tiefe gefahren,Denn will uns der Himmel bewahren,

So fahren wir wieder hinauf.“ 20

Der Bergmannsgruß „Glückauf!“ wird nicht nur im deutschsprachigen Raum verwendet, sondern nahezu überall auf der Welt – er ist somit „ein Symbol verbindender Einigkeit aller Männer Untertage“.21

Die Heilige Barbara Da die Bergleute, aufgrund ihrer gefährlichen Tätigkeit, seit Jahrhunderten sehr fromme Leute waren, waren sie schon immer neben dem Gebet auch den verschiedenen Schutzpatronen sehr zugetan. Als ältester Bergbauheiliger von Belang galt der Prophet Daniel. Er wurde aufgrund seines Glaubens in eine Löwengrube geworfen, von den Tieren jedoch nicht attackiert. Der Bezug zur Grube wie auch sein Wissen über Erze dürft en wohl dazu beigetragen haben, dass er als Heiliger im Bergbau verehrt wurde. Einen besonderen Kultstatus seit gut 150 Jahren allerdings erlangte die Heilige Barbara. Historisch gesehen, ist die Existenz von Barbara nicht gesichert, jedoch wird sie spätestens seit dem 9. Jahrhundert, im Orient wie im Okzident, als Heilige verehrt. Einer Legen-de zufolge war Barbara eine sehr hübsche junge Frau und lebte wahrschein-lich in Antiochien oder in Heliopolis. Ihr Vater hieß Dioskur und war ein rei-cher Heide, der aus Eifersucht ob der Schönheit seiner Tochter diese keinem Mann überlassen wollte und sie in einen Turm sperrte. Ihr Vater ließ ein gro-ßes Bad in ihren Turm einbauen und ging auf Reisen. Barbara, die sich schon immer zum christlichen Glauben hingezogen fühlte, ließ sich während der Ab-wesenheit des Vaters taufen. Als Ausdruck ihres Glaubens an die Dreifaltigkeit ließ sie auch ein drittes Fenster in ihren Turm schlagen. Als der Vater uner-wartet zurückkehrte, erkannte er die Bedeutung des dritten Fensters sehr wohl und wollte aus Zorn darüber, dass seine Tochter die angestammten Götter ver-schmähte, sie eigenhändig umbringen. – Barbara fl oh in ihrer Verzweifl ung, ein harter Fels öff nete sich und bot ihr ein Versteck. – Ein Schafh irte gab in-dess ihr Versteck preis, zur Strafe verwandelten sich seine Schafe in Maikäfer. Ihr Vater jedoch zerrte Barbara vor den Richter und veranlasste, dass diese völ-lig entblößt den Blicken Schaulustiger auf Märkten ausgesetzt wurde. Gott er-hörte ihre Gebete und stellte ihr nicht nur eine Gefährtin zur Seite, sondern brachte auch Wolken und Nebel hervor, sodass Barbara vor den penetranten Blicken der Anwesenden geschützt war. Letztlich kam es durch den Richter zur

20 Imme Th eodor zit. n. Heilfurth 1958, S. 30.21 Kirnbauer 1958, S. 65.

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Verurteilung zum Tode mittels Enthauptung, und ihr eigener Vater vollzog das Urteil. Auf dem Heimweg wurde er dafür „bestraft “: Er wurde von einem Blitz getroff en, und sein Leib verbrannte völlig zu Asche.22

Barbara soll mit innerer Überzeugung und Begeisterung für ihren Glauben den Weg zur Enthauptung angetreten haben. Zuvor noch soll sie den Wunsch geäußert haben, Gott möge all jenen beistehen, die sich unvorbereitet einem jähen Tod gegenüber sehen.23 Barbara gilt daher in vielen Bergbaugebieten Eu-ropas als Schutzpatronin der Bergleute. Die Felsöff nung, in die sie sich fl üchten konnte, gilt als Symbol für die Aufgabe des Bergbaues – das Öff nen des Ber-ges, und der Blitz soll auf die Gefahren unter Tag hinweisen. Auf ihrem Weg ins Gefängnis blieb sie, so erzählt die Legende, mit ihrer Kleidung an einem Kirschbaum hängen, sie nahm den abgebrochenen Zweig mit und stellte ihn ins Wasser. Der Kirschzweig blühte just an jenem Tag, an dem sie hingerichtet wurde. Die Kirsche gilt als der Inbegriff der Fruchtbarkeit und kann wohl auch als Metapher für eine „fruchtbare, ertragreiche Grube“ gesehen werden.

Ein Barbara-Gebet, welches bis 1900 oder 1914 von den Bergleuten in Ös-terreich gemeinsam vor dem Einfahren gebetet wurde, war folgendes:

„Heilige Barbara, du edle Braut, mein Leib und Seel sei dir vertraut,sowohl im Leben als im Tod, komm mir zu Hilf in mein letzten Not,komm mir zu Hilf in mein letzten End, daß ich empfang’s heilige Sakrament;den bösen Feind weit von mir treib mit deiner Hilf stets bei mir bleib,bei Gott mir nur das eine wirb, daß ich in seiner Gnade stirb.Wenn sich mein Seel vom Leibe trennt, nimm sie auf in deine Händ,behüt sie vor der höllischen Pein und führ sie in das Himmelreich ’nein. Amen.“ 24

Heute noch gibt es alljährlich Barbara-Messen und Barbara-Feiern in Bergbau-betrieben. Auch in Lassing waren diese durchaus üblich. Sie hatten den Cha-rakter einer Betriebsfeier, mit Ansprachen, Ehrungen, Musik und Tanz. Der Kirschzweig stellt die Verbindung zu unserem Brauchtum her. Dieser Brauch kommt ursächlich auch aus der Bergmannstradition. So war es unter den Berg-männern üblich, dass diese am Barbara-Tag ihrer Frau einen Strauß Kirsch-zweige brachten. Diese wurden in warmes Wasser gestellt, und jedes Famili-enmitglied hatte drei Wünsche frei, die es für sich behalten musste. Blühten die Zweige am Abend des 25. Dezember, so sollten die Wünsche in Erfül-lung gehen.25 Auch in meiner Kindheit und heute noch war und ist das Einfri-schen der Barbara-Zweige am 8. Dezember, in Verbindung mit dem Hoff en auf Wunscherfüllung, in vielen Familien nahezu obligatorisch.

22 Vgl. Mans 1979, S.114ff .23 http://www.werkskapelle-zeltweg.at/html/wkz_heiligebarbara.htm, aufgerufen am 14.06.

2017.24 Kirnbauer 1977, S. 29.25 Kirnbauer 1958, S. 176.

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Das Grubenlicht – „Ein Bergmann ohne Licht kriegt keine Schicht“26

Die brennende Grubenleuchte ist seit jeher der ständige Begleiter des Berg-mannes, ob bei der Arbeit, beim Auffi nden von Material, ob in Gefahr oder in Not. Es macht die Arbeit unter Tage erst möglich, stellt eine Verbindung zum Tageslicht und damit zur Sonne und zum Leben über Tage dar. Das Gru-benlicht steht für ein kraft volles und tätiges Dasein. Der Tod eines Bergman-nes wird oft gleichgesetzt mit dem Verlöschen des Grubenlichtes. Auch im Brauchtum begegnet man immer wieder der Grubenlampe. Beim Begräbnis eines Bergmannes kommen die Bergkameraden mit Lampen und stellen sich um den Sarg, und bei der letzten Schicht vor dem Heiligen Abend wurden zu-mindest früher Weihnachtsbäume oder Weihnachtspyramiden mit Grubenlam-pen aufgebaut. Ob das heute noch so gemacht wird, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Aber auch der Schlag mit der Faust auf den Tisch soll das Abstellen der Grubenlampe darstellen und gilt als Bergmannsgruß.27

Die zahlreichen alten Traditionen im Bergbau, zu denen auch noch Lieder, Tänze und Paraden zählen, eine eigene Tracht und der Ledersprung, bis hin zu einer eigenen Berufssprache, sind aus den speziellen Bedingungen und Risiken der Arbeit entstanden. Sie dienen der Stärkung der Verbundenheit, des Aufei-nander-verlassen-Könnens und des Solidaritätsgefühls. Denn ohne ein vertrau-ensvolles Miteinander und eine Wertschätzung des Einzelnen, unabhängig von seinem Rang, kann so eine schwere Arbeit unter Tag nicht funktionieren.28

So kommt auch der Kameradschaft unter Tage eine besondere Stellung zu, diese besagt nämlich: „Bedingungslos sein eigenes Leben einzusetzen, wenn es gilt, dasjenige eines verunglückten Bergmannes zu retten.“29

„Vorm Berge niemals bang und scheu, mit Freunden einig, fest und treu, das macht uns Bergleut frisch und frei.“ 30

1.2 Die Bergbau-Volkskunde

Diese besonderen Gegebenheiten des Bergmannes in seiner Lebens- und Ar-beitswelt fi nden sich auch in zahlreichen Erzählformen, insbesondere in Sagen wieder. Sagen sind primär mündlich überlieferte Erzählungen, die in an sich alltäglichen Erlebnissen ihren Ursprung haben. Ihnen wohnt die Eigenschaft inne, dass sie meist in einem außergewöhnlichen Ereignis enden und dass sie oft mals geschichtlich nachweisbar sind. Indem sie uns auch mitteilen, was die in die Sage involvierten Menschen dachten und empfanden, geben sie uns ei-

26 Autor unbekannt, In: Kirnbauer 1973, S. 7.27 Vgl. Kirnbauer 1973, S. 8.28 Vgl. Fettweis 2004, S. 347.29 Kirnbauer 1958, S. 369.30 Kirnbauer 1977, S. 12.

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nen Einblick in die psychischen Befi ndlichkeiten der Menschen der damaligen Zeit. Oft mals thematisierten die Sagen auch unerwünschtes Verhalten, das sich dann in Verordnungen oder Erlässen niederschlug. Den Bergknappen sagte man Trunk- und Spielsucht nach. So war z.B. 1485 das Ausschenken von Wein an christlichen Feiertagen, einem fürstlichen Erlass gemäß, gestattet. Jedoch mit der Aufl age, dass es dabei zu keinem Kartenspiel oder Würfelspiel kom-men dürfe. 1487 und 1489 fi nden sich ähnliche Verordnungen, hierbei wur-de allerdings das nächtliche Zechen der Knappen nicht geduldet, da diese im Rausch zu blindwütigen Gewalttaten bis hin zum Totschlag neigten.31 Weiters weisen die Sagen auf ein menschliches Grundbedürfnis hin, alles Erleben in ei-nen Sinnzusammenhang zu setzen, es irgendwo einordnen zu können, denn erst dadurch verliert es den bedrohlichen und angstmachenden Charakter des Unheimlichen.32

Bei den Sagen um den Bergbau kristallisieren sich zwei thematische Kern-bereiche heraus. Der eine beschreibt fl eißige, unermüdliche und zielstrebige Bergknappen und deren glückseligen Fund, bis hin zur Bergwerksgründung und zum Abbau, wobei der Phase des Abbaus ein besonderer Stellenwert zu-zukommen scheint. Diese ist entweder gekennzeichnet durch „Ausbeute oder Mißerfolg unter Mühsal und Gefahren“33, und sie hat etwas Mythisches und Ungewisses. So kommt es wohl, dass hierbei positive wie auch negative Berg-geister, in Form von Kobolden oder Dämonen, keine unerhebliche Rolle spie-len. Sie dienen vor allem dazu, den nun neu entstandenen sozialen Gefügen und Lebensbedingungen, die durch Unterdrückung oder Belohnung entstehen, Einhalt zu gebieten. Erwähnt werden hierbei immer wieder der Übermut und die Ausschweifungen, aber auch Neid und Gier. Ihnen wird durch Strafe und Gottesgericht, oft mals auch als Bergwerkskatastrophe, ein jähes Ende bereitet – so zum Beispiel beschrieben in der steirischen Sage „Die silbernen Buben von Arzberg“.34 Hier waren es kleine silberne Kobolde, die einem armen Bergknap-pen zu Reichtum verhalfen und diesen auch vor einem gierigen und habsüchti-gen stellvertretenden Verwalter befreiten, indem sie dazu beitrugen, dass dieser sich in den Gängen des Bergwerkes für immer verirrte. In der Sage über den „Untergang des Silberbergwerks in Zeiring“ waren es vor allem der Übermut, das Übermaß an Alkohol und die Verschwendung, bis hin zu einer frevelhaft en Tat, die durch eine Bergwerkskatastrophe geahndet wurden. Die Katastrophe allerdings wurde im Vorfeld mittels eines Berggeistes prophezeit.35 Die Prophe-zeiung als Chance zur Umkehr – wird sie nicht wahrgenommen, kommt es tat-sächlich zur Katastrophe. (siehe Anhang 2).

31 Vgl. Schreiber 1962, S. 74–78.32 Vgl. Rieken 2016, S. 90f.33 Heilfurth 1979, S. 149.34 Recheis 1970, S. 238ff .35 Vgl. Recheis 1970, S. 240ff .

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Ich habe bewusst diese beiden Sagen ausgewählt, da sie jene Punkte thema-tisieren, die ich auch in den Interviews wieder gefunden habe. Auch in Lassing ging man davon aus, dass die Profi tgier der Betriebsleitung Schuld am Ein-bruch der Grube sei. Der besonders wertvolle und fast reine Talk befand sich nämlich nahe der Erdoberfl äche, in tieferen Lagen sank die Qualität und mit ihr der Preis der Ware. Aber auch der Lebenswandel der Bergmänner, ihre gute Bezahlung (natürlich aufgrund der gefahrvollen Tätigkeit), ihre „außergewöhn-lichen“ Betriebsausfl üge (z.B. Flugreisen) und die gemeinsamen Feste wurden mit dem Unglück in Verbindung gebracht. Nämlich in den Zusammenhang zwischen Frevel in Form von Gier, Übermut und Überfl uss sowie den der Stra-fe in Form des Grubenunglücks. Welche Bedeutung die alten Sagen, für die Er-klärung einer Katastrophe, heute noch unbewusst für uns haben, war für mich wirklich überraschend. Aber auf das verweist auch Riekens Schlussfolgerung, dass Volkssagen wichtige Quellen im Bereich der Katastrophenforschung dar-stellen, die bis dato kaum Beachtung fanden.36

Der thematische Schwerpunkt der Bergwerkssagen in Österreich ist vor al-lem der Bergwerksuntergang, wobei dies selten durch den Hochmut des Berg-herren geschah als viel häufi ger durch „Zuchtlosigkeit und Verschwendungs-sucht der Bergleute“37. Als weitere Ursachen für den Bergwerksuntergang fi n-den sich ein frevelhaft er Umgang der Bergknappen mit Nahrung sowie ein pi-etätloser Lebenswandel in Form von Missachtung kirchlicher Gebote bis hin zur Schändung und Verwahrlosung von Kirchen. Auslöser dafür war immer der rasch entstandene Reichtum der Bergknappen, der sie übermütig werden ließ. Interessant dabei fi nde ich, dass es fast immer „Vorwarnungen“ gab, oft in Form einer Prophezeiung, meist durch ein Bergmännlein oder einen Berg-geist, der unter oder über Tage erschien. Er gab den Bergmännern zu verste-hen, dass sie ihre liederliche Lebensweise ändern sollten, ansonsten würde et-was Schreckliches passieren! Der Übermut und die Selbstsicherheit der Berg-knappen in den Sagen ließ die potenzielle Gefahr nicht gelten. W.E. Peuckert konstatierte im Handwörterbuch der Sage die „engräumige“ Denkweise dersel-ben.38 Der durchaus nicht ungewöhnliche Wassereinbruch in Bergwerken be-kommt den Stellenwert eines Motivs, es dient der Erklärung für den Untergang eines Bergwerkes aufgrund verschiedenster Freveltaten. Aber auch der Traum hat einen besonderen Stellenwert in der Bergbausage, er hat oft mals zu Erzfun-den geführt.

In deutlich geringerem Umfang gibt es jedoch auch Sagen über den glück-lichen Fund, also über die Bergwerksentstehung. Auch hier sind es entweder Bergmännlein oder sonstige mythische Wesen (Wasserwesen oder Wildleute), die dabei unterstützen, jedoch auch nur, wenn man sich redlich verhält. Be-

36 Vgl. Rieken 2016, S. 94ff .37 Haiding 1984, S. 43.38 Vgl. Haiding 1984, S. 72.

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lohnt wurde Dankbarkeit, Bescheidenheit, Zufriedenheit und wenn man ande-re am persönlichen Glück teilhaben ließ.

Der andere thematische Kernbereich umfasst eher bergbauliche Vor- und Frühformen sowie die private Welt des Bergmannes, unabhängig von seiner konkreten Arbeitswelt.39

Das Lied zählt zur frühesten Gattung der Volkspoesie. Die Sagen entstan-den zeitlich nach dem Volkslied. Einer der wohl bekanntesten Th eoretiker war Johann Gottfried Herder (1744–1803). Er veröff entlichte 1778/79 seine Lieder-sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“. Sein Anliegen war es, den soge-nannten „Volksgeist“ späteren Epochen zugänglich zu machen.40 In den „Leob-ner grünen Heft en“ von Franz Kirnbauer fi nden sich auch zahlreiche „Berg-werkslieder“.

Wichtige Sagenforscher, neben den Brüdern Grimm, die 1818 als erste die „Deutschen Sagen“ veröff entlichten, waren Joseph Freiherr von Hormayr, er gilt als erster Sagenforscher Österreichs, und sein Anliegen war es, den „Natio-nalgeist“ im Volke zu wecken. Die Liebe zum Vaterland sollte durch die Kunde über das eigene Land gefördert werden.41 Weiters Ludwig Bechstein mit seinen „Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich“42 – er sah in der Sage ebenfalls die Vermittlerin für die Liebe zur Heimat und zum Va-terland sowie auch einen hohen sittlichen Wert.43 Ich möchte hier noch Franz Kießling (1859–1940) erwähnen, der auch sehr stark die erzieherische und sitt-liche Aufgabe der Sage hervorhob. Die modernen Sagenforscher hingegen wid-men sich zunehmend der Frage nach der sozialen und kulturanthropologi-schen Relevanz der Inhalte.

Der Zweifel am Wahrheitsgehalt von Sagen ist seit Jahren Forschungsbe-reich der Volkskunde.44 Die Sage ermöglicht uns einen Einblick in die Kultur-geschichte der Vergangenheit, ihre Quellen sind mündliche Überlieferung wie auch gedruckte Quellen, insbesondere Chroniken.45 Ich möchte hier festhal-ten, was Bernd Rieken schon konstatierte, dass sie unabhängig von ihrem Rea-litätsbezug doch ein Ausdruck der Mentalität gewisser Bevölkerungsschichten sind/waren. Die Sagen zeigen auf, was die Menschen bewegte, woran sie glaub-ten, was sie dachten und fühlten, da sie eine enge Verbundenheit mit der kon-kreten Lebenswelt der Menschen aufwiesen. Durch ihren Alltagsbezug erzäh-len sie, wie oben aufgezeigt, von sozialen Verhältnissen, Arbeitsbedingungen, Reichtum, Arroganz und Not. Die Sage beschäft igte sich mit dem „Merkwür-

39 Vgl. Heilfurth 1979, S. 148–151.40 Vgl. Haböck 2006, S. 5.41 Vgl. Haböck 2006, S. 35.42 Vgl. Haböck 2006, S. 35.43 Vgl. Haböck 2006, S. 26.44 Vgl. Köhler-Zülch, In: Schmitt 1999, S. 26.45 Vgl. Köhler-Zülch, In: Schmitt 1999, S. 35.

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digen, Außergewöhnlichen und Übernatürlichen“ und verwies damit auch auf die jähe Veränderbarkeit des Daseins.46

1.3 Sozialpolitische Auswirkungen des Bergbauwesens

Durch die Polarisierung von Gut und Böse thematisieren die Bergwerkssagen meiner Meinung nach die Eigen- und Mitverantwortung des Einzelnen für sein Leben und damit gleichzeitig auch die Schuldfrage. Welche Bedeutung diese kulturellen Traditionen des Bergbaues und ihre poetische Darstellung durch Sagen heute noch, trotz historischem Wandel und Entwicklung, auf unser Erle-ben und Denken bei der Verarbeitung des Unglückes haben, möchte ich versu-chen, mit Hilfe meiner Interviews zu beantworten.

Im Schwazer Bergbuch wurde bereits festgehalten:

„Die Bergleute sind besondere Personen, weil sie die verborgenen Schätze und Got-tesgaben aufsuchen und erbauen. Sie müssen daher auch besondere Gnaden, Rech-te, Freiheiten und Gerichte haben.“47

Daraus ergaben sich natürlich zahlreiche Privilegien wie etwa die Befreiung vom Kriegsdienst, das Fischereirecht, Sonderfeiertage, Zoll- und Steuerfreiheit, das Recht, Waff en zu tragen und Wild zu schießen, usw. So kam es, dass auch nur ausgewählte Personen zum Bergbau zugelassen wurden, sie mussten unbe-scholten und zu echter Kameradschaft und Verbundenheit bereit sein.48

Nicht unerwähnt lassen möchte ich den großen Einfl uss des Bergbaus auf die sozialen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft . In den Bergbauorten entstanden im Zeitalter der Renaissance auf der Grundlage von Bergordnun-gen erstmals geregelte Arbeitssituationen wie die Fünf-Tage-Woche, das Ver-bot von Frauen- und Kinderarbeit unter Tag, die Arbeitszeiten, gesicherte Sozi-alverhältnisse und vieles mehr. So wurde z.B. 1510 in Schwaz in Tirol das ers-te Berufskrankenhaus gegründet, das Bruderhaus der Tiroler Bergleute. Es gab aber nicht nur eine Versorgung von Kranken, sondern auch eine Versorgung von Invaliden und Hinterbliebenen.49

Aber auch in der Gegenwart können wir die Bedeutsamkeit des Bergbaus erkennen. So gilt auch der Abschluss des Vertrages über die Europäische Ge-meinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1952 als Vorläufer für die Gründung der Europäischen Wirtschaft sgemeinschaft (EWG) 195850, und diese entwickel-te sich ja wie hinlänglich bekannt, 1993 zur Europäischen Union (EU).

46 Vgl. Rieken 2005, S. 37.47 Vgl. Kirnbauer 1958, S. 23.48 Vgl. Fettweis 2004, S. 75.49 Vgl. Schreiber 1962, S. 256; vgl. Fettweis 2004, S. 115.50 Vgl. Fettweis 2004, S. 126.

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Der seit jeher politische Kampf um Rohstoff e, die deswegen geführten Krie-ge, die Entstehung der Kolonialherrschaft en und die bis in die jüngsten Tage geführten Machtkämpfe um die Inhalte der Erdkruste führten und führen zu viel menschlichem Leid. Unterdrückung, Ausbeutung, Korruption und Zerstö-rung von Lebensräumen verursachten neben körperlichen auch seelische Wun-den und soziale Irritation. Daraus resultieren globale Probleme, die auch für die Psychotherapieforschung zunehmend relevant werden.

2 Über den Ort des Unglücks

Die „Geburtsstunde“ von Lassing war am 9.5.1036. An diesem Tag schenk-te Kaiser Konrad II. dem Salzburger Erzbischof Dietmar den Edelhof „Lazni-choue“ (den Lassinghof) – somit war Lassing erstmals urkundlich erwähnt. „Laznichoue“ leitet sich einerseits von „laz“ und andererseits von „(v)lasica“ ab. „Laz“ steht für gerodetes Land, da erst durch die Rodung der Wälder Land für die Bauern geschaff en werden konnte, und „(v)lasica“ bedeutet so viel wie die „Gegend der Walchen“.51

Die heutige Gemeinde Lassing ist ein Hochtal auf 782 m Höhe und umfasst eine Fläche von 37 km2. Dieses Hochtal befi ndet sich im nördlichen Teil der Rottenmanner Tauern und umschließt im Osten die Burg Strechau und reicht im Westen bis nach Liezen. Die Gemeinde gliedert sich in 18 Ortschaft en:

Altlassing Fuchslucken Kirchdorf Niedermoos Spiegelsberg TrojachBurgfried Gatschling Moos Schattenberg Stein UnterbergDöllach Heuberg Neusiedl Sonnenberg Treschmitz Wieden

Abb. 1: https://www.viamichelin.at, aufgerufen am 14.06.2017.

51 Vgl. Schneider 1986, S. 9.

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Diese 18 Ortschaft en bewohnen rund 1.600 Einwohner. Das Unglück ereignete sich im Lassinger Ortsteil Moos mit 90 Einwohnern (Stand 2001).52

Ursprünglich war die heutige Gemeinde in die Gemeinde Lassing Sonnen-seite und die Gemeinde Lassing Schattenseite geteilt. Dies geht auch aus dem Gemeindewappen hervor, es ist schräg geteilt in eine goldene und eine grüne Seite. Die goldene Seite steht für Lassing Sonnenseite und zeigt symbolisch die Burg Strechau, und die grüne Seite beinhaltet die Pilgermuschel, als Zeichen des Heiligen Jakob, und stellt sinnbildlich die Kirche von Lassing dar, die sich auf der Schattenseite befi ndet. Erst 1872 wurden die beiden Gemeinden (s.o.) zusammengeführt.

Abb. 2: https://de.wikipedia.org/wiki/Lassing_(Steiermark), aufgerufen am 14.06.2017.

Lassing hat Erfahrung mit Ereignissen katastrophalen Charakters: 1862 ver-wüstete ein Hochwasser mehrere Ortsteile. Kaiser Franz Joseph I. stellte damals 500 Gulden zum Wiederaufb au bereit. Später, 1929, erfasste ein sich rasch aus-breitender Brand fast alle Häuser in Lassing-Kirchdorf. Das nächste tragische Ereignis war dann allerdings schon das Grubenunglück von 1998.

Zum Zeitpunkt des Unglücks lebte ein Drittel der Lassinger von der Land-wirtschaft , im Speziellen von der Rinderhaltung, und 34 Personen arbeiteten im Talkumwerk, sodass in etwa 100 Personen, inklusive Angehörige, vom Tal-kumbergwerk lebten, so die Schätzung des damaligen Bürgermeisters Bernhard Zeiser. In Lassing gab es 24 Vereine, die sich einer großen Mitgliederschaft er-freuten und die die Freizeit der Einwohner prägten.53 Daraus ergab sich, dass jeder jeden in Lassing kannte und auch die Bergmänner, die verschüttet wor-den waren, jedem bekannt waren.

Geologisch zählt das Gebiet zur östlichen Grauwackenzone. Diese Bezeich-nung kommt vom Begriff „Grauwackenformation“, der letztlich auf den Berg-bau in diesem Gebiet hinweist. Die Zone umfasst einen 23 km breiten Streifen, der vom Rätikon im Westen bis nach Ternitz im Osten reicht und aus paläo-zoischem Gestein wie Phylliten, Grünschiefern, Ton und Kieselschiefern, Por-phyroiden, aber auch aus Zügen von Kalken und Dolomiten aufgebaut ist. Die

52 www.statistik.at/blickgem/vz2/g61222.pdf, aufgerufen am 14.06.2017.53 Doris Piringer 2. August 1998, S. 4f.

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Grauwackenzone zeichnet sich also durch einen vielseitigen Gesteinsbestand aus, der wiederum führt in der Folge zu unterschiedlichen hydrogeologischen Verhältnissen. So kommt es, je nach Gestein, entweder zu einer vermehrten Grundwasserbildung oder zu einem vermehrten Oberfl ächenabfl uss. Die Schie-fergesteine gelten als „Wasserstauer“ und werden dann Gleithorizonte für Mas-senbewegungen. Aber nicht nur die Gesteine an sich nehmen Einfl uss auf die Wasserwegsamkeiten, auch deren Anordnung, wie Mulden oder Schrägstaff eln. Der unterschiedliche Gesteinsbestand des östlichen Teils der Grauwackenzone kam durch Überlappungen zustande. Es gibt eine höher liegende Schuppende-cke, die mit den nördlichen Kalkalpen in Verbindung steht, und sie steht einer tektonischen tieferen Decke sozusagen gegenüber.54 Im Ennstal, zwischen Ai-gen und Liezen, befi ndet sich auch eine sogenannte Energiezone, die schwache, aber doch zahlreiche Beben mit einem kleinen Herd verursacht. Diese führen jedoch zu keinen erkennbaren Schäden.55

Der Beginn des Talkum-Abbaus in LassingWie in der zweiten Hälft e des 19. Jahrhunderts üblich, erhofft e man sich von der Rohstoff gewinnung im Bergbau Reichtum und Wohlstand. Zahlreiche Menschen begaben sich auf die Suche nach Bodenschätzen und schürft en in ihrer Heimat und in der Fremde. Sie wurden in der Tat auch immer wieder fündig. So wurde in Lassing bereits im Jahre 1928 kurzzeitig Graphit abgebaut. 1936 begann die Feinstahl-AG Zürich mit der Suche nach Magnesit in Lassing und 1937 startete die Lassing-Mineral AG mit dem Magnesit-Abbau. Damals waren in etwa zwölf Mann im Tagabbau des Barbara-Lagers tätig. Im Jahre 1940 waren es bereits rund 50 Mann, die im Bergbau tätig waren. Abbau-Me-thode war der sogenannte Schräg-Bruchbau: Durch den Abbau von Rohmag-nesit entstanden Hohlräume, diese wurden mit dem darüberliegenden soge-nannten tauben Material, welches sehr leicht zerbrach, aufgefüllt. Bereits da-mals breitete sich das Bruchgebiet bis auf die Oberfl äche aus und erforderte die Schließung des Barbara-Stollens. Das war die Geburtsstunde des Hugo-Stollens mit etwa 75 Mann als Belegschaft . 1963 kam es letztlich, aufgrund mangelnder Nachfrage von Magnesit, zur Schließung des Werkes.56 Der kleine Ausfl ug in die Vergangenheit verdeutlicht uns die für dieses Gebiet lang gewachsene tradi-tionelle Bergmannskultur.

Der Auslöser für den Talkum-Fund in Lassing war tragisch. Ein Bauern-hof brannte komplett ab, und der damalige Besitzer, Adam Weichbold, ent-schied sich zum Wiederaufb au am Hang gegenüber und stieß dabei, 1891, auf eine Specksteinschicht. Weichbold erwarb zwar die Schurfb ewilligung hierfür,

54 Vgl. Drimmel 1980, S. 523; vgl. Gattinger 1980, S. 593.55 Vgl. Schönlaub 1980, S. 265–279.56 Vgl. Schneider 1986, S. 97.

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konnte sich jedoch keine weiteren Nachgrabungen leisten. Ab 1901 kam dann mehr Schwung in das Vorhaben, der Besitzer verpachtete sein Schurfrecht an eine Firma, und zwei Jahre später waren bereits um die 50 Arbeiter beschäf-tigt, sodass monatlich ein Waggon voll Federweiß ausgeliefert werden konn-te. Die Bergleute sollen übrigens bereits 1901 ihre erste Barbara-Feier gehabt haben. Das Talkumwerk war dann einem wirtschaft lichen Auf und Ab sowie zahlreichen Besitzerwechseln unterworfen und musste von 1925–1936 stillge-legt werden. Anschließend jedoch kam es, 1939, in den Besitz der Talkumwer-ke Naintsch. Die ehemals tätigen Bergleute wurden wieder eingestellt, und im Krieg wurden auch englische Kriegsgefangene beschäft igt. Die Betriebsordnung aus dem Jahre 1942 zeigt auf, welch großen Einfl uss das Unternehmen auf die sozialen Bedingungen in dieser Region hatte. Im Vordergrund standen nicht nur die wirtschaft lichen Interessen des Betriebes, sondern auch die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter, und diese Gegebenheiten legten den Grundstein für eine „wahrhaft e Betriebsgemeinschaft “57.

1943 kam es in der Grube zu einer Gasexplosion, dabei wurden 15 Men-schen verschüttet, 14 von ihnen konnten allerdings gerettet werden. Am 3.12.1947 kam es zu einem weiteren Grubenunglück, bei dem unglücklicher-weise drei Menschen ihr Leben lassen mussten, einer davon war der Hau-er Raimund Hainzl (der Großvater von Georg Hainzl, also jenem Bergmann, der bei dem hier thematisierten Grubenunglück der erste Verschüttete und der einzige Gerettete war).58

In Österreich gab es rund 70 Talkvorkommen, und im Jahre 1975 gab es sechs Bergbaubetriebe, die alle in der Steiermark ansässig waren.59 Der größte davon war in Rabenwald.

In Lassing wurde Dipl.-Ing. Hermann Schmidt 1974 zum Betriebsleiter er-nannt, und das war er dann auch bis zum Grubenunglück 1998. Mit dem Ver-kauf von 80% des Unternehmens an die Firma Talc de Luzenac, 1976, lässt auch die Neugestaltung des Werkes nicht lange auf sich warten. Im Jahre 1986 arbeiteten 24 Arbeiter und sieben Angestellte im Talkumwerk Lassing. Der bri-tische Konzern Rio Tinto übernahm dann, 1989, die Gruppe Talc de Luzenac und tätigte weitere Investitionen. Im Jahre 1993 kam es sogar zur ISO-Zertifi -zierung des Werkes, dies galt als Garant für die Qualität der Produkte und die Sicherheit der Mitarbeiter.60 Im Jahre 1997 war man allseits noch der Ansicht: „Heute ist der Untertagbau in Lassing ein moderner Grubenbetrieb mit bester technischer Ausstattung.“61

57 Ebner 1997, S. 145.58 Schneider 1986, S. 100.59 Vgl. Holzer 1980, S. 539.60 Vgl. Ebner 1997, S. 147.61 Ebner 1997, S. 145.

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3 Das Grubenunglück – ein kurzer chronologischer Ablauf

Freitag: 17. Juli 1998:12:15 Uhr: Familie Mayer vernimmt ein „komisches Knistern“, sie (die Leute)

gehen aus ihrem Haus und sehen, dass ein Teil des Gebäudes bereits meter-weit zur Seite geneigt ist und dahinter ein riesiger Krater klafft .

Kurz darauf wird bekannt, was sich ereignet hat: Die Stollen des Talkum-bergwerkes wurden vermurt und verschlammt und Georg Hainzl, in 60 Metern Tiefe, hinter Schlammmassen eingeschlossen.

14 Uhr: Bezirksalarm wird ausgerufen, da immer mehr Wasser in die Stollen eindringt.

Bis ca. 14:30 Uhr gibt es Telefonkontakt zu Hainzl.

Abb. 3: APA, 18.07.1998

17 Uhr: Der Transport des Spezialbohrers aus Anger, mit dem ein Luft schacht zu Hainzl geplant ist, wird aufgenommen. Jene Bewohner, deren Haus am Kraterrand steht, versuchen so viel Besitz wie möglich zu retten.

19 Uhr: Das Haus rutscht weiter ab, es ist klar, es wird im Krater verschwin-den.

21:30 Uhr: Der Schwertransporter trifft in Lassing ein. Die Vermesser schlagen Alarm, „die Häuser in der Umgebung des Kraterrandes neigen sich plötz-lich bis zu zwei Zentimeter pro Minute.“62

„Gegen 22 Uhr stürzt tosend der Teil eines weiteren Hauses in den Krater.“63 Kurz darauf die erschütternde Nachricht, „zehn Helfer sind im Stollen ver-

62 Gross, Gaisch, Schlegel 19. Juli 1998, S. 2.63 Gross, Gaisch, Schlegel 19. Juli 1998, S. 2.

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schüttet“, „Hektik bricht aus.“64 Das ganze Gelände ist stark einsturzgefähr-det, alle werden evakuiert. Die Bohrarbeiten müssen vor 23 Uhr eingestellt werden – es besteht die Gefahr, dass auch der Bohrer im Krater versinken könnte, wie es zuvor ein Kleinbagger tat. Strommasten beginnen zu wa-ckeln und fallen um, es kommt zum Stromausfall. Die eigentliche Katastro-phe ist eingetreten.

23:45 Uhr: Evakuierung der Rotkreuzstation – das vom Einsturz gefährdete Gebiet wird größer.

Gegen 24 Uhr werden weitere Häuser evakuiert.Samstag, 1 Uhr morgens trifft Frau Landeshauptmann65 Waltraud Klasnic am

Unglücksort ein. Sie spricht mit den Angehörigen und sagt diesen Unter-stützung zu.

Samstag, 2 Uhr morgens: Das Matratzenlager in der Volksschule ist fertig. Es bleibt jedoch leer, die Evakuierten sind bei Freunden und Verwandten un-tergekommen.

Ab 6 Uhr morgens wird wieder gebohrt. Noch vor 9 Uhr meint man, auf den Aufenthaltsraum von Hainzl gestoßen zu

sein – es gibt jedoch kein Lebenszeichen. Mittels Minikamera stellt man fest, dass der Stollen voll mit Wasser ist.

10 Uhr: Krisensitzung.12 Uhr: Pressekonferenz mit Klasnic. Erstmals wird offi ziell gesagt, dass kaum

noch Hoff nung besteht. Klasnic dazu: „ Ein Land weint.“66 Um 13 Uhr trifft der Spezialbohrer aus Deutschland ein, mit ihm könnte ein

breiterer Schacht zu Hainzl hergestellt werden.Kurz vor 14 Uhr treff en auch Kanzler Viktor Klima und Innenminister Karl

Schlögl ein. Der Katastrophenschutz Steiermark richtet für die Angehörigen eine psycholo-

gische Betreuungsstelle ein.16 Uhr: neuerliche Pressekonferenz, es wird verkündet, dass 30 Häuser mit 100

Personen evakuiert wurden. Die Vermutung, dass alle betroff enen Häuser in den Krater fallen könnten, wird ausgesprochen.

Samstagabend: Die Bergungsarbeiten gehen immer langsamer voran, die Staatsanwaltschaft Leoben ist mittlerweile vor Ort und ermittelt wegen Fahrlässigkeit.67

19. Juli 1998: In der Nacht müssen die Bohrarbeiten aufgrund von Sicherheits-maßnahmen wieder für zwei Stunden unterbrochen werden.68

64 Gross, Gaisch, Schlegel 19. Juli 1998, S. 2.65 Frau Klasnic wollte explixit als Frau Landeshauptmann angesprochen werden.66 Gross, Gaisch, Schlegel 19. Juli 1998, S. 2.67 Vgl. Gross, Gaisch, Schlegel 19. Juli 1998, S. 2f.68 Vgl. Melichar u. Breitegger 28. Juli 1998, S. 10f.