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1 Frank-Michael Lange 70597 Stuttgart, den 29.12.2011 Dr. rer. nat. Dipl.-Geol. Obere Weinsteige 21 0175/1748199 Email: [email protected] Internet: www.terra-fusca.de Frank-Michael Lange, Dagmar Rötgers und Hellmuth Mohr 1 Bauen im Bestand und Gebäudeschadstoffe – ein vermeintliches Konfliktfeld "In der hübschen Wohnung lauert Gefahr im Boden“ berichtet die Frankfurter Rund- schau vom 26.01.1998 über gesundheitsschädliche, teer (PAK)-haltige Parkettkle- ber. Die Gefahren, die von Gebäudeschadstoffen ausgehen, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend als Problem erkannt. Trotzdem berichten zwölf Jahre später im Juni 2010 die Stuttgarter Nachrichten: Asbest legt Schulzentrum lahm. Nur einige Monate danach schlägt der Südkurier Konstanz im November 2010 Alarm: Asbest in der Konstanzer Uni-Bibliothek! Erst jüngst meldet die Stuttgarter Zeitung aus dem Landratsamt in Böblingen: „Schadstoff in Behörde entdeckt“ Immer wieder erscheinen solche und ähnliche Meldungen in den Medien. Die Städte und Gemein- den, deren zumeist öffentliche Gebäude im Fokus solcher Meldungen stehen, sind beliebig und austauschbar. Auch Wohn- und Gewerbeimmobilien sowie Bürohäuser bleiben von der Problematik Gebäudeschadstoffe betroffen. So stoppte das Böblin- ger Landratsamt im September 2011 Bauarbeiten im Böblinger Industriegebiet Hulb. Hier ist vermutlich Bauschutt (15.000 Tonnen!) mit Asbest kontaminiert. Die Polizei wurde eingeschaltet und die Ermittler prüfen, ob es sich hierbei um einen Verstoß gegen das Umweltgesetz handelt. Ein solcher kann mit einer Geld- oder in beson- ders schweren Fällen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Unterschätzte Gefahren in Gebäuden Schadstoffe in Gebäuden – welche Schadstoffe kommen überhaupt in Betracht und wie sollte damit umgegangen werden? Hier muss zunächst einmal unterschieden werden zwischen - Schadstoffen, die im Zusammenhang mit dem Bauen im Bestand, also Rück- und Umbaumaßnahmen, angetroffen und oder freigesetzt werden können und - Schadstoffen, die beispielsweise in Form von unangenehmen Gerüchen, Haut- oder Augenreizungen dem Anspruch einer gesunden Innenraumluft entgegen stehen. Für das Zweite der genannten Problemfelder hat sich in den letzten Jahren der Be- griff bzw. das Krankheitsbild des „sick building syndroms“ herausgebildet. Während die gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit Baumaßnahmen und Mindest- 1 Die Autorin Rötgers ist Dipl.-Geol. bei der Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Dr. Lange ist Mitin- haber der terrafusca Ingenieure PG in Stuttgart und Freier Mitarbeiter bei der Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, der Autor Mohr ist Rechtsanwalt, Kanzlei Wesch & Buchenroth, in Stuttgart. Alle Au- toren sind Mitglied im AK Gebäudeschadstoffe im altlastenforum Baden-Württemberg. Die Autoren sind mit Fachbeiträgen in dem Dezember 2011 beim Erich Schmidt Verlag erschienenen „Handbuch Gebäude-Schadstoffe - Gesunde Innenraumluft“ (Hrg. Gerd Zwiener und Frank-Michael Lange)“ ver- treten.

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Frank-Michael Lange 70597 Stuttgart, den 29.12.2011 Dr. rer. nat. Dipl.-Geol.

Obere Weinsteige 21 0175/1748199 Email: [email protected]

Internet: www.terra-fusca.de

Frank-Michael Lange, Dagmar Rötgers und Hellmuth Mohr1

Bauen im Bestand und Gebäudeschadstoffe – ein vermeintliches Konfliktfeld

"In der hübschen Wohnung lauert Gefahr im Boden“ berichtet die Frankfurter Rund-schau vom 26.01.1998 über gesundheitsschädliche, teer (PAK)-haltige Parkettkle-ber. Die Gefahren, die von Gebäudeschadstoffen ausgehen, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend als Problem erkannt. Trotzdem berichten zwölf Jahre später im Juni 2010 die Stuttgarter Nachrichten: Asbest legt Schulzentrum lahm. Nur einige Monate danach schlägt der Südkurier Konstanz im November 2010 Alarm: Asbest in der Konstanzer Uni-Bibliothek! Erst jüngst meldet die Stuttgarter Zeitung aus dem Landratsamt in Böblingen: „Schadstoff in Behörde entdeckt“ Immer wieder erscheinen solche und ähnliche Meldungen in den Medien. Die Städte und Gemein-den, deren zumeist öffentliche Gebäude im Fokus solcher Meldungen stehen, sind beliebig und austauschbar. Auch Wohn- und Gewerbeimmobilien sowie Bürohäuser bleiben von der Problematik Gebäudeschadstoffe betroffen. So stoppte das Böblin-ger Landratsamt im September 2011 Bauarbeiten im Böblinger Industriegebiet Hulb. Hier ist vermutlich Bauschutt (15.000 Tonnen!) mit Asbest kontaminiert. Die Polizei wurde eingeschaltet und die Ermittler prüfen, ob es sich hierbei um einen Verstoß gegen das Umweltgesetz handelt. Ein solcher kann mit einer Geld- oder in beson-ders schweren Fällen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Unterschätzte Gefahren in Gebäuden

Schadstoffe in Gebäuden – welche Schadstoffe kommen überhaupt in Betracht und wie sollte damit umgegangen werden? Hier muss zunächst einmal unterschieden werden zwischen

- Schadstoffen, die im Zusammenhang mit dem Bauen im Bestand, also Rück- und Umbaumaßnahmen, angetroffen und oder freigesetzt werden können und

- Schadstoffen, die beispielsweise in Form von unangenehmen Gerüchen, Haut- oder Augenreizungen dem Anspruch einer gesunden Innenraumluft entgegen stehen.

Für das Zweite der genannten Problemfelder hat sich in den letzten Jahren der Be-griff bzw. das Krankheitsbild des „sick building syndroms“ herausgebildet. Während die gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit Baumaßnahmen und Mindest-

1 Die Autorin Rötgers ist Dipl.-Geol. bei der Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Dr. Lange ist Mitin-haber der terrafusca Ingenieure PG in Stuttgart und Freier Mitarbeiter bei der Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, der Autor Mohr ist Rechtsanwalt, Kanzlei Wesch & Buchenroth, in Stuttgart. Alle Au-toren sind Mitglied im AK Gebäudeschadstoffe im altlastenforum Baden-Württemberg. Die Autoren sind mit Fachbeiträgen in dem Dezember 2011 beim Erich Schmidt Verlag erschienenen „Handbuch Gebäude-Schadstoffe - Gesunde Innenraumluft“ (Hrg. Gerd Zwiener und Frank-Michael Lange)“ ver-treten.

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standards einer gesunden Raumluft zumindest in Bezug auf bekannte Schadstoffe wie bspw. Asbest, PCB und PAK relativ eindeutig und klar geregelt sind, ist der ge-setzliche geregelte Anspruch an eine gesunde Innenraumluft im Zusammenhang mit potenziellen neuen Schadstoffen wie Weichmachern, Flammschutz- oder Lösemit-teln, ausgehend von „neuen Bauprodukten“, noch weitestgehend Neuland. Auf Prob-leme im Zusammenhang mit gesetzlich nicht eindeutig geregeltem Umgang mit „Neuen Schadstoffen“ wird hier nicht näher eingegangen. Der Gesetzgeber hat mit den Landesbauordnungen (in Baden-Württemberg LBO), dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG), dem Chemikaliengesetz (ChemG), der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), Gesetze, Verordnungen und Regeln geschaffen, die den si-cheren Umgang mit Gebäudeschadstoffen und daraus resultierenden Gefährdungen regeln. Trotzdem, das zeigt die Praxis, sind dem Bauherrn bzw. seinen Planern und Architekten die offensichtlichen Risiken im Zusammenhang mit Gebäudeschadstof-fen nicht immer hinreichend bekannt.

Der Gesetzgeber hat in § 6 GefStoffV zur Informationsermittlung und Gefährdungs-beurteilung Folgendes bestimmt: "(1) Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung als Bestandteil der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzge-setzes hat der Arbeitgeber festzustellen, ob die Beschäftigten Tätigkeiten mit Ge-fahrstoffen ausüben oder ob bei Tätigkeiten Gefahrstoffe entstehen oder freigesetzt werden können.“ Werden Gebäudeschadstoffe vor Umbau- oder Rückbauarbeiten nicht sicher er-kannt, können "böse Überraschungen" die Folge sein. Werden z. B. gefährliche Fa-serstoffe wie Asbest bei Umbau- und Abbrucharbeiten versehentlich freigesetzt, kommt es zu Gefährdungen beteiligter und unbeteiligter Personen sowie zur Verun-reinigung von Innenräumen.

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Auch können Abbruchmaterialien (z. B. Stahlbeton), die eigentlich für die Verwertung vorgesehen sind, mit Asbest verunreinigt und damit für den Recyclingprozess un-brauchbar werden. Die daraus resultierende Beseitigung in Form einer sehr teuren Deponierung ist die unabdingbare Folge. Wieso sollte der Bauherr bei einer Umbaumaßnahme davon ausgehen, dass gerade in seinem Gebäude Schadstoffe vorhanden sind? Einfach deshalb, weil in allen bis etwa 1996 erbauten Gebäuden schadstoffhaltige Baustoffe verwendet wurden! Dies bedeutet nicht, dass nach 1996 keine Schadstoffe mehr verbaut wurden. Der wis-senschaftliche Kenntnisstand im Themenfeld Gefahr- bzw. Schadstoffe war zu die-sem Zeitpunkt jedoch schon so weit entwickelt, dass der bautechnische Gebrauch der bis dahin bekannten Schadstoffe durch spezielle Richtlinien (bspw. RAL) und Verordnungen verboten wurde. Typische Gebäudeschadstoffe Welche Schadstoffe kommen eigentlich in Betracht? Aus der Vielzahl der möglichen Schadstoffe sind nachfolgend einige der häufigsten aufgeführt. Alle hier aufgeführten Schadstoffe sind zusätzlich als Gefahrstoffe einzustufen, da sie gefährliche Merkma-le aufweisen, wie z. B. krebserzeugend, erbgutverändernd, gesundheitsschädlich, giftig usw. Faserstäube Faserstäube sind Partikel mit faser- bzw. nadelförmiger Struktur. Sogenannte "kriti-sche" Fasern haben eine Länge von mehr als 5 µm und einen Durchmesser kleiner als 3 µm, sowie ein Verhältnis von Länge zu Durchmesser von 3:1. Somit können die Fasern beim Einatmen bis ins Lungengewebe eindringen. Es gibt natürliche Fasern (z. B. Asbest) und künstlich hergestellte Fasern (künstliche Mineralfasern). Asbest wurde in Deutschland bis zum Herstellungs- und Verwendungsverbot, im November 1993 eingebaut. Prinzipiell muss bei Asbestprodukten zwischen "schwach gebundenen" und "fest gebundenen" unterschieden werden. Dies geschieht anhand der Dichte: Während schwach gebundene Asbestprodukte in der Regel eine Dichte von < 1.000 kg/m3 aufweisen, liegt sie bei fest gebundenem Asbestzement über 1500 kg/ m3. Aus den schwach gebundenen Asbestprodukten können sich die Fa-sern leichter lösen und deshalb werden sie als gefährlicher eingestuft. Lediglich in den alten Bundesländern gab es bereits 1979 ein Verwendungsverbot für den Einbau von schwach gebundenem Asbest. Im Jahr 1981, der Hochphase des Asbesteinbaus in Deutschland, gab es mehr als 3.000 verschiedene asbesthalti-ge Bauprodukte. Neben den bekannteren, leicht erkennbaren Fundstellen für As-bestzementprodukte, wie Welleternit-Dachabdeckungen, Fassadenplatten oder -schindeln werden Abwasserrohrleitungen und Lüftungskanäle aus Asbestzement häufig übersehen. Weitere typische asbesthaltige Bauteile sind Fensterbänke, Fuß-bodenkleber, Bodenbeläge, Pappen, Schnüre, Leitungsdämmungen, Steinholzes-trich, Kitte, Anstrichmassen, Farben, Bitumenprodukte, Brandschutzklappen sowie die Inhalte von Feuerschutztüren und Nachtspeicheröfen. Die Annahme, dass in Ge-bäuden vor 1950 wenig Asbest verbaut wurde, ist falsch! Gemäß des Artikels Asbest - Verwendung vor 1950 - von Detlef Guyot, VDRI, vom 09.06.2006 wurden z. B. 1938 über 28.000 t Asbest eingeführt und in Deutschland gab es 60 Betriebe der Asbestwarenfabrikation.

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Foto 2 Foto 3 Planerische Grundlage für eine Gefahrenermittlung bzw. potenzielle Asbestsanie-rung ist die sogenannte Asbest-Richtlinie von 1996. Asbestsanierungen dürfen grundsätzlich nur von zertifizierten Fachfirmen ausgeführt werden, die insbesondere über einen Sachkundenachweis nach TRGS 519 verfügen. Asbesthaltige Abfälle sind als Gefährliche Abfälle einzustufen und als solche zu entsorgen bzw. zu beseiti-gen. Künstliche Mineralfasern (KMF) Seit den 80er Jahren wurden KMF verstärkt zur Wärmedämmung und als Schall-schutz eingebaut. Bereits früher wurden sogenannte Glaswolleprodukte verwendet. Mit der Wärmeschutzverordnung von 1995 und der Energiesparverordnung von 2002 nahm die Verwendung von KMF noch zu. KMF sind wie Asbestfasern nicht brennbar, sie bestehen im Wesentlichen aus Glas- und Steinwolle, welchen zum Teil Binde- und Schmelzmittel zugesetzt sind. In der Bundesrepublik werden pro Jahr etwa eine halbe Million Tonnen KMF hergestellt. Bewertungsgrundlage für die Ge-fahrenermittlung künstlicher Mineralfasern sind die TRGS 905 und TRGS 521 und die Gefahrstoffverordnung. Bis vor ein paar Jahren wurde bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des jeweiligen potentiell KMF-haltigen Bauproduktes der sogenannte Karzenogenitätsindex KI bestimmt. Inzwischen gilt bei Baustoffen mit künstlichen Mineralfasern, die vor 1996 hergestellt und eingebaut wurden, dass es sich um krebserregendes Material handelt. Nach dem Juni 2000 durften in Deutschland nur neue Mineralwolle-Dämmstoffe mit RAL-Gütekennzeichen verarbeitet werden. So-genannte alte Mineralwolle-Dämmstoffe finden sich in fast allen Gebäuden als Lei-tungsdämmung! Weit verbreitet sind auch KMF-haltige Akustikdeckenplatten und Dämmungen in Zwischenwänden und Dächern. Die Menge der Faserstäube, die in die Innenraumluft freigesetzt werden, ist dabei stark abhängig von der Einbausituati-on. Planerische Grundlage für eine Gefahrenermittlung bzw. potenzielle KMF-Sanierung sind die TRGS 521 sowie die TRGS 500, sie dienen in erster Linie dem Schutz der bei einer Sanierung Beschäftigter sowie Dritter. Ein der Asbest-Richtlinie entsprechendes Pendant gibt es für KMF (noch) nicht. Seit 2002 gelten KMF-Altprodukte generell als Gefährliche Abfälle und müssen als solche entsorgt bzw. beseitigt werden. Organische Schadstoffe Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind langlebige, schlecht abbaubare Schadstoffe. Sie gehören zu den Persistenten Organischen Schadstoffen (POP) und werden ge-mäß Stockholmer Übereinkommen über Persistente Organische Schadstoffe vom Mai 2001 (seit 17. Mai 2004 gültig) als solche gelistet. PCB werden seit 1929 indust-

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riell hergestellt. Weltweit sollen etwa anderthalb Tonnen2 hergestellt worden sein. Die Herstellung, der Handel und die Verwendung von polychlorierten Biphenylen (PCB) sind seit 1989 verboten. Besonders häufig finden sich PCB-haltige Baustoffe in Bauwerken aus den Jahren 1960 bis 1975. Am bekanntesten ist die Verwendung in dauerelastischen Fugenmassen, in Wärmeüberträgern, Transformatoren, in Hyd-raulikanlagen sowie als Weichmacher in Anstrichstoffen, Dichtungsmassen, Kunst-stoffen (z. B. Kabelummantelungen) und Kondensatoren (Deckenleuchten). PCB wurden aber auch in Kunststoffen, Lacken und Harzen eingesetzt. Eine besondere Problematik stellt das Ausgasen der PCB in der Innenraumluft dar. Zusätzliche Ei-genschaften wie Langlebigkeit und Fettlöslichkeit führen zur dauerhaften Anreiche-rung im Körper. Die Dioxin-ähnlichen PCB haben chronisch toxische Wirkungen (Chlorakne, Haarausfall und Hyperpigmentierungen) und gelten als potenziell krebs-erregend.

Foto 4 Planerische Grundlage für eine Gefahrenermittlung bzw. potenzielle PCB-Sanierung ist die in den meisten Bundesländern baurechtlich eingeführte PCB-Richtlinie. Bei Sanierungsarbeiten im Zusammenhang mit PCB sind die TRGS 905 und die Gefahr-stoffverordnung zu beachten. Abfallrechtlich sind PCB-haltige Abfälle je nach Kon-zentration als Gefährlicher Abfall einzustufen und als solcher zu beseitigen. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sind ebenfalls eine weit-verbreitete Schadstoffgruppe. Sie umfasst mehrere Hundert aromatische Verbindun-gen aus kondensierten Ringsystemen. Alle Teerprodukte enthalten PAK: Steinkohle-teer, Teer, Bitumen, Ruß und Asphalt. Bereits in den 80er Jahren hat die amerikani-sche Bundesumweltbehörde USEPA (US Environmental Protection Agency) aus den mehreren Hundert PAK-Einzelverbindungen 16 "Leit"Substanzen in die Liste der

2 Vgl. Zwiener, G. in: Gesamtverband Schadstoffsanierung (2010): Schadstoffe in Innenräumen und an Gebäuden; Rudolf Müller Verlag, Köln

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"Priority Pollutants" aufgenommen. Diese 16 "EPA-PAK" werden als EPA-Standard stellvertretend für die ganze Stoffgruppe analysiert. Leitsubstanz der gesamten Gruppe ist das Benzo[a]pyren (BaP), dem die größte krebserzeugende Wirkung zu-geschrieben wird. Die einfachste PAK-Verbindung ist das bizyklische Naphthalin, das unter anderem in Mottenkugeln Verwendung fand. In Bestandsgebäuden finden sich bis heute verschiedenste Produkte auf Teerbasis. Besonders in Gebäuden, die vor 1950 errichtet wurden, sind teerhaltige Materialien anzutreffen. Als Nebenprodukte fielen Teere auch bei chemischen Prozessen an. Als Beispiele sind hier die Destillation und die Verarbeitung von Kohle- und Erdöl-produkten zu nennen. So wurde bis in die 50er Jahre auch zum Verkleben von Par-kett in der Regel Teerklebstoff verwendet. Die "kalt streichbaren Parkettmassen" auf der Basis von Steinkohleteer sind bereits in der DIN 281, Ausgabe August 1942, er-wähnt. In Verbindung mit Steinmehl, Schlacke, Holz, Pappe, Kork und Sand fanden Teere auch im Holzschutz und Hochbau als Isolierungen, Dämmungen und Dachbe-deckungen vielseitige Verwendung. Mit dem Aufkommen von Produkten und Klebe-stoffen aus Bitumen wurden die teerhaltigen Materialien jedoch bis Mitte der 70er Jahre weitgehend abgelöst und größtenteils verboten. Bitumen ist ein Destillationsprodukt aus Erdöl. Es unterscheidet sich in seinen Ei-genschaften nur gering von denen des Teers. Jedoch ist der enthaltene PAK-Anteil bis um den Faktor 1000 geringer. Bis in die siebziger Jahre wurden Teer- und Bi-tumenprodukte noch miteinander verschnitten. Dies ist bei Erkundungsmaßnahmen bzw. Bewertungen zu berücksichtigen. Im November 2007 erschien die „PAK-Handlungsanleitung“ zum Umbau, der In-standhaltung und dem Rückbau von Gebäuden. Diese wird mit Unterstützung durch die INQA-BAUEN vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und techni-sche Sicherheit Berlin (LAGetSi Berlin) herausgegeben.

Foto 5 Eine baurechtlich anerkannte PAK-Richtlinie gibt es bis dato nicht.

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Bei Sanierungsarbeiten im Zusammenhang mit PAK sind die TRGS 551, die TRGS 905 und die Gefahrstoffverordnung zu beachten. Abfallrechtlich sind PAK-haltige Abfälle (je nach Konzentration, in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ge-regelt) als Gefährlicher Abfall einzustufen und als solcher zu beseitigen. Chemische Holzschutzmittel (HSM) werden als Fungizide gegen holzzerstörende und holzverfärbende Pilze und als Insektizide gegen holzzerstörende Insekten ein-gesetzt. Seit den 70er Jahren taucht immer wieder die Frage auf, ob Holzschutzmit-tel in Innenräumen eine Gesundheitsgefahr darstellen. 1978 hat das Bundesge-sundheitsministerium erstmals nach einer Reihe von Forschungsaktivitäten vor groß-flächigen Anwendungen von PCP-haltigen Holzschutzmitteln in Innenräumen ge-warnt. 1989 wurde Pentachlorphenol (PCP) als Wirkstoff in Holzschutzmitteln verbo-ten. Weitere biozide Wirkstoffe in Holzschutzmitteln sind z. B. Lindan, Carbolineum, DDT Organo-Metallverbindungen aus Arsen, Chrom, Kupfer, Zink und Teeröle. Pla-nerische Grundlage für eine Gefahrenermittlung bzw. potenzielle PCP-Sanierung ist die in den meisten Bundesländern baurechtlich eingeführte PCP-Richtlinie. Bei Sa-nierungsarbeiten im Zusammenhang mit PCP sind insbesondere die TRGS 905 und die Gefahrstoffverordnung zu beachten. Die Entsorgung von potenziell belasteten Hölzern ist über die Altholzverordnung von 2002 geregelt. Weitere wichtige betrachtungswerte organische Schadstoffe sind Dioxine, Furane, und Formaldehyd. In den letzten Jahren sind ferner Organische Lösemittel (VOC) organische Flammschutzmittel und Phthalate in den Fokus Schadstoffe gekommen. Anorganische Schadstoffe Schwermetalle Schwermetalle spielen im Zusammenhang mit der Thematik Gebäudeschadstoffe nur eine untergeordnete Rolle. Das Vorkommen in Gebäuden steht hauptsächlich im Zusammenhang mit früher verwendeten Mineralfarben und untergeordnet als In-haltsstoff von Baumaterialien und damit Fokus bei selektiven Rück- und Umbau-maßnahmen. Lediglich bei einigen älteren Produktionsstandorten kommt ihnen eine größere nutzungsrelevante Bedeutung zu. Wichtige Schwermetalle, vor allem im Zu-sammenhang mit Farben, sind Verbindungen der Elemente Antimon, Arsen, Blei, Cadmium. Chrom Kobalt, Kupfer, Nickel, Quecksilber, Thallium, Zink und Zinn. Eine Sonderstellung im Zusammenhang mit Gebäudeschadstoffen nehmen die radi-oativen Nuklide des Uran, Thorium, Kalium sowie das radioaktive Edelgas Radon ein. Letzteres kann verstärkt bspw. in ehemaligen Bergbaugebieten wie dem Erzge-birge oder Schwarzwald, aber auch im Alpenvorland und in anderen, bergbaulich nicht vorbelasteten Gebieten in Gebäuden vorkommen. Details zur Gefährdungsbe-urteilung und zur Sanierung sind dem Radon-Handbuch Deutschland3 zu entneh-men. Notwendige Vorsorgemaßnahmen vor dem Gebäudeabbruch "Böse Überraschungen" müssen nicht sein! Nachfolgend sollen einige wichtige pla-nerische Schritte genannt werden, die den Bauherrn, Architekten und Projektsteue-rer davor schützen können. Voraussetzung dafür ist aber, dass beim Bauen im Be-stand vor Baubeginn eine fachgerechte Planung in Hinsicht auf Schadstoffe stattfin-det. Bei dieser Planung sollten alle Bauteile bekannt sein, die vom Umbau betroffen sind. Ferner muss aufgezeigt werden, in welcher Form diese Bauteile rückgebaut und ent-

3 Lehmann, R., Landfermann, H., Junkert, A., Schöppler U. (2001): Radon-Handbuch Deutschland; Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven

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sorgt werden sollen. Zur Planung des Rückbaus und der Entsorgung muss dann un-ter anderem die Frage beantwortet werden: Haben wir es möglicherweise mit schad-stoffhaltigen Bauteilen oder sogar mit Gefahrstoffen zu tun? In der Regel folgt jetzt die Phase der orientierenden Schadstoffuntersuchung, d. h. ein versierter, erfahrener Sachverständiger entnimmt Proben aus der Gebäudesub-stanz und lässt diese im Labor zielgerichtet auf spezielle Schadstoffe untersuchen. Die zusätzliche Erfassung des Geländes, der Gebäude und Anlagen liefert die not-wendigen Angaben über entsorgungsrelevante Inhaltsstoffe und Materialien und nennt Kubaturen, Mengen und Kosten. Die Erstellung eines Schadstoffkatasters ist dabei unerlässlich. Dabei darf das Wort Planung ruhig wörtlich genommen werden und Pläne aus den Gebäudegrundrissen erstellt werden, die die verunreinigten Ge-bäudeteile darstellen und ihre Einbausituation verdeutlichen. Erst mit Hilfe von De-tailwissen können z. B. technische Abhängigkeiten, Sanierungsmethodik und –Varianten im Rahmen der Entwurfsplanung berücksichtigt werden.

Foto 6 Nur wenn zum Zeitpunkt der Ausschreibung die zu berücksichtigen schadstoffhalti-gen Bausubstanzen bekannt sind, können unter Wettbewerbsbedingungen marktge-rechte Preise erzielt, die Eignungsnachweise der zu beteiligenden Fach- und Sanie-rungsfirmen vorher geprüft und zuverlässige und leistungsfähige Fachfirmen ausge-wählt werden. Schadstoffe, die überraschend während der Rückbauarbeiten festgestellt werden, verzögern den Bauablauf und verursachen vermeidbare Mehrkosten. Auch wenn die Entsorgung der anfallenden Abbruchabfälle an Dritte weitergegeben wird, ist der Bauherr als Auftraggeber für die ordnungsgemäße Entsorgung (mit)verantwortlich. Er muss sich vergewissern, dass der Beauftragte tatsächlich im-

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stande und rechtlich befugt ist, die Abfälle ordnungsgemäß zu entsorgen. Andern-falls verletzt er seine Sorgfaltspflicht und handelt fahrlässig. Die fachgutachterliche Begleitung im Rahmen der Bauüberwachung sichert die plan-gemäße Ausführung der Sanierungsmaßnahmen mit Prüfung der Entsorgungswege und –papiere. Alle Sanierungs- und Entsorgungsvorgänge sollten schlussendlich in einem Abschlussbericht dokumentiert werden. Der Abfallbesitzer/Bauherr ist gemäß § 40 KrW-/AbfG gegenüber der Behörde zur Auskunft verpflichtet. Dazu kann u.a. auch die Verpflichtung zur Vorlage eines Ent-sorgungskonzeptes und einer Abschlussbilanz gehören. Die zuständige Abfallbehör-de entscheidet im Einzelfall (§ 40 Abs. 2 KrW-/AbfG), ob aufgrund der Schadstoffge-halte und Menge der Bauabfälle ein Abschlussbericht anzufertigen und vorzulegen ist. Die Rechtsbeziehungen zwischen den am Gebäudeabbruch Beteiligten Wenn bei Baumaßnahmen an einem Gebäude Schadstoffe festgestellt werden, stellt sich auch die Frage nach der vertraglichen Verantwortung hierfür. Neben der bereits dargelegten Notwendigkeit der Ermittlung von möglichen Schadstoffen muss auch klar geregelt werden, wie dieses Risiko unter den Vertragsparteien verteilt wird. Dies betrifft zunächst nur die Vertragsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und dem Unternehmer. Der Bauherr hat aber im Regelfall bezüglich möglicher Schadstoffe beim Neubau und Gebäudeabbruch keine Fachkenntnisse. Deshalb ist er auf die Beratung durch den Architekten angewiesen. Nachfolgend werden hierzu die Grundsätze anhand von praktischen Beispielen aufgezeigt. Die Vertragsbeziehungen zwischen dem Bauherrn, dem Architekten und dem Bauunternehmer Die Leistung des Bauunternehmers und des Architekten wird durch den Vertrag be-stimmt. Ist nichts geregelt, muss die Leistung nach § 633 Abs. 2 BGB für die „ge-wöhnliche Verwendung“ geeignet sein oder sonst die „übliche Beschaffenheit“ auf-weisen. Der Bauherr ist für die Beschaffenheit des Baugrundes und des bestehen-den Gebäudes beim Abbruch verantwortlich. Risiken, die hieraus entstehen, hat er zu tragen, wenn vertraglich nichts anderes vereinbart ist. Demgegenüber steht die Verantwortung der Sonderfachleute für Spezialfragen, hier für Schadstoffe beim Neubau wie beim Gebäudeabbruch. Eine solche Verantwortung zur Beratung des Bauherrn hat auch der Architekt. Außerdem delegiert der Bauherr Pflichten aus dem Vertragsverhältnis zum Bauunternehmer an den Architekten. Die notwendigen Hin-weise des Bauherrn an den Unternehmer muss der Architekt im Leistungsverzeich-nis geben, auch zu den maßgeblichen Umweltrisiken. Im Einzelfall sind Aufklärungs- und Mitteilungspflichten gegeneinander abzuwägen: Nach einer in der Rechtsprechung üblichen Formel besteht eine vorvertragliche Auf-klärungspflicht für solche Umstände, die nur der einen Vertragspartei bekannt sind und von denen sie weiß oder wissen muss, dass die Willensbildung der anderen Partei durch die Kenntnis dieser Umstände beeinflusst werden kann. Daher gehört es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Pflichtenkreis des sach-kundigen Auftragnehmers, den nicht sachkundigen Auftraggeber darüber aufzuklä-ren, ob das bestellte Werk für den vorgesehenen Zweck tauglich ist und den Bedürf-nissen des Auftraggebers entsprechen kann. Deshalb ist im Streitfall zu klären, ob der Auftraggeber, Bauunternehmer oder Berater (Architekt, Gutachter, Ingenieur) den Umfang einer Schadstoffbelastung wissen oder erkennen muss. Speziell vom Architekten wird zwar nicht erwartet, dass er die Einzelheiten des rechtlichen und praktischen Vollzugs beim Gebäudeabbruch beherrscht. Er muss aber den Auftrag-geber auf die damit verbundenen Risiken hinweisen und ihm bei fehlenden eigenen Kenntnissen die Beauftragung eines Fachmanns hierfür empfehlen. Für die Notwen-digkeit eines Bodengutachtens entweder aus Gründen der Bodenstatik oder wegen

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Altlasten/schädlichen Bodenveränderungen ist dies von den Gerichten schon mehr-fach entschieden worden. Beim Neubau eines Gebäudes ist der Architekt verpflichtet, die Verwendung von zu-gelassenen und schadstofffreien Materialien sicherzustellen. Der Heranziehung ei-nes Fachmanns ist insbesondere erforderlich bei speziellen Wünschen des Bauherrn zur Frage, welche schädlichen Auswirkungen eventuell auch von zugelassenen Baumaterialien ausgehen können. Dagegen hat der Architekt nicht die Pflicht, die Verwendung nicht zugelassener gesundheitsschädlicher Baumaterialien beim Ein-bau durch die Handwerker zu überprüfen. Bei der unterlassenen oder unvollständigen Erfassung von Schadstoffen in Gebäu-den kann sich der Architekt zwar im Einzelfall möglicherweise dadurch entlasten, dass die entsprechenden Beseitigungskosten auch bei einer vertragsgemäßen Aus-führung seines Vertrags angefallen wären (sog. Sowiesokosten). Der Bauherr hat insoweit keinen Anspruch auf Schadensersatz. Dagegen kann sein Schaden in den zusätzlichen Kosten bestehen, die erst durch die nachträgliche Erfassung der Schadstoffe entstanden sind, z. B. Kosten zur Beschleunigung der Baumaßnahme zum Ausgleich der Verzögerung infolge der verspäteten Schadstofferfassung, zu-sätzliche Unterbringungskosten für die Zeit der Verzögerung der Gebäudesanierung. Die nachfolgenden Beispiele aus der Rechtsprechung beziehen sich zwar nicht auf Streitfragen im Zusammenhang mit dem Gebäudeabbruch, da diese sich in den ver-öffentlichten Gerichtsentscheidungen - noch nicht? - finden. Entsprechende Er-kenntnisse über die Verteilung der Verantwortung unter den Vertragspartnern lassen sich aber auch aus dem nachfolgenden Entscheidungen zu Rechtsfragen der Bo-denbeschaffenheit gewinnen, da entsprechende Pflichten auch beim Gebäudeab-bruch gelten. Anhand des Aktenzeichens und des Datums der Entscheidungen las-sen sich diese im Internet auffinden4. Die nachfolgenden Entscheidungen mögen bei der ersten Lektüre widerspruchsvoll sein und sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen lassen. Dies ist in der Tat richtig, da in jedem Falle die Einzel-heiten der vertraglichen Regelung und des Kenntnisstandes der Vertragsparteien eine entscheidende Rolle spielen. • Kein Schadensersatz des Unternehmers bei für ihn erkennbaren Fehlern des

vom Auftraggeber vorgelegten Bodengutachtens (OLG Celle, Urteil vom 20.2.2007, 16 U 133/03, BGH Beschluss vom 20.12.2007, VII ZR 49/07: Nichtzu-lassungsbeschwerde zurückgewiesen): Eigene Prüfungspflicht des Unternehmers, keine Verantwortung des Architekten für das Gutachten, wenn es nicht aus-nahmsweise vom Architekten im eigenen Namen in Auftrag gegeben wurde oder der Fehler dem Architekten bei der Prüfung des Gutachtens im Rahmen der Bau-planung und Koordinierung nicht erkennbar war, was bei Spezialgutachten ange-sichts des eingeschränkten Wissens des Architekten regelmäßig der Fall ist. Dem Bauherrn gegenüber schuldet der Architekt bei entsprechender Beauftragung auch eine fehlerfreie Objektüberwachung. Deshalb kann hierbei ihm gegenüber ein Schadensersatzanspruch des Bauherrn entstehen, wenn das Missverständnis des Unternehmers über den Inhalt des Gutachtens für den Architekten bei der Ausführung der Arbeiten erkennbar wird. Eine fehlerhafte Objektüberwachung durch den Architekten führt jedoch nicht zu einem Mitverschulden des Bauherrn im Vertragsverhältnis zum Bauunternehmer, weil der Bauherr dem Unternehmer eine solche Überwachung nicht schuldet und der Architekt deshalb nicht Erfül-

4 www.bundesgerichtshof.de seit 2000 und die Entscheidungen der Gerichte der Länder (OLG, LG) teilweise auf den Homepage der Gerichte oder der Landesjustizministerien. Kostenpflichtig: www.juris.de.

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lungsgehilfe des Bauherrn ist, dessen Verschulden sich der Bauherr gegenüber dem Unternehmer anrechnen lassen müsste.

• Eine Fachfirma, die für eine Bauleistung besondere Spezialkenntnisse hat, muss ein vom Auftraggeber vorgelegtes Bodengutachten besonders genau prüfen (OLG Köln, Urteil vom 19.7.2006, 11 U 139/05): gleiche Bewertung wie beim vorausgehenden Urteil. Ausnahme zu dem Grundsatz der Verantwortung des Auftraggebers für den Boden.

• Ein Bauunternehmer muss Angaben in der Ausschreibung zum Baugrund nur auf die Plausibilität, nicht aber auf ihre sachliche Richtigkeit prüfen (OLG Brandenburg, Urteil vom 13.9.2007, 12 U 214/06).

Der Werkvertrag zwischen dem Gutachter und dem Auftraggeber Ausgangspunkt ist hier die Verantwortung des Sonderfachmanns gegenüber dem Bauherrn. Bedeutsam sind auch hier die Aufklärungs- und Beratungspflichten (Ne-benpflichten: Beratung, Information: Hinweis auf erkennbare Gefahren für das Werk, Prüfung: Prüfung der vom Besteller angelieferten Sachen, Überwachung). Die ein-schlägige Formel des BGH lautet: Alles zu tun, was den Leistungserfolg herbeiführt, und alles zu unterlassen, was diesen beeinträchtigen oder gefährden könnte. • Grundsätzliche Pflicht des Gutachters, immer und vollständig auf Risiken

hinzuweisen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 9.2.2006, 9 U 61/05): Mitwirkendes Ver-schulden aufseiten des Bauherrn durch den mit der Planung und Bauleitung be-auftragten Architekten, weil der Architekt nicht von sich aus nochmals den Gut-achter zu dem schadensauslösenden Sachverhalt befragt hatte. Dadurch mangel-hafte Ausführungsplanung (werkvertragliche Pflicht des Architekten). Mitverschul-den des Bauherrn deshalb 1/3, was einen Rückgriffsanspruch des Bauherrn ge-gen den Architekten begründet.

• Keine Haftung des Sachverständigen über seinen Auftrag hinaus (BGH, Urteil vom 14.3.2000, X ZR 199/97): Beliebtes Spiel des Auftraggebers, den Untersu-chungsauftrag zu beschränken, aber unbeschränkte Information zu erwarten. Haf-tungsrisiko des Architekten nur, wenn er dem Bauherrn zu einer solchen Be-schränkung des Auftrags an den Sachverständigen rät oder - ausnahmsweise! - das Risiko der eingeschränkten Beauftragung des Sachverständigen erkennt und seinen Auftraggeber nicht darauf hinweist.

Das Vergaberecht Auch vergaberechtlich gilt der Grundsatz, dass der Auftragnehmer nur eindeutig er-kennbare Risiken zu tragen hat, diese aber vom Auftraggeber sehr weitgehend auf ihn übertragen werden können. Auch hier kann die Verantwortung des Architekten begründet werden, da er die Ausschreibungen für den Bauherrn durchzuführen hat. • Erschwernisse, die trotz Vorliegens eines Bodengutachtens auch bei sorg-

fältiger Kalkulation nicht vorhersehbar sind, lösen auch bei einem Pauschal-preisvertrag einen Mehrvergütungsanspruch aus (KG, Urteil vom 13.12.2004, 24 U 354/02): Die Verantwortung für ein Schadstoffgutachten liegt im Verhältnis zum Unternehmer beim Bauherrn und im Verhältnis des Bauherrn zum Gutachter bei diesem. Die Verantwortung für die von ihm vorgenommene Ausschreibung trägt der Architekt. Gegenüber dem Schadensersatzanspruch des Auftraggebers wegen der Mehrforderung des Unternehmers kann der Architekt aber darauf hin-weisen, dass diese Kosten zumindest überwiegend auch bei einer korrekten Aus-schreibung angefallen wären (sog. Sowiesokosten).

• Bei Abbrucharbeiten trägt der Auftraggeber das Risiko von Altlasten, wenn im LV kein entsprechender Hinweis gegeben wird (LG Stralsund, Urteil vom

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12. 4. 2005, 3 O 73/03, OLG Rostock, gerichtlicher Hinweis vom 28.6.2005, 5 U 23/05, Berufung zurückgenommen): Haftung des Architekten gegenüber dem Bauherrn, wenn er bezüglich der Schadstoffe nicht die Beauftragung eines Gut-achters ausdrücklich den Bauherrn empfohlen hat. Denn beim Gebäudeabbruch ist das Auftreten von Schadstoffen nach den vorausgegangenen Ausführungen die Regel!

• Das Risiko einer Asbestbelastung trägt der Auftraggeber (OLG Hamm, Urteil vom 11.9.2002, 25 U 66/01): Grundsatz des Baurechts, §§ 645 BGB, 4 Abs. 3, 13 Abs. 3 VOB/B.

• Der Auftraggeber hat die Möglichkeit, ein grundsätzlich ihm obliegendes Ri-siko dem Auftragnehmer zu übertragen (KG, Urteil vom 14.2.2006, 21 U 5/03: Olympiastadion in Berlin, so schon zuvor LG Berlin 12.11.2002, 13 O 264/02): Möglich ist es, das Risiko des Gebäudeabbruchs mit allen möglichen Schadstof-fen auf den Unternehmer zu übertragen, wenn die Ausschreibungsunterlagen hierzu eindeutig sind. Kein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A („ungewöhnli-ches Wagnis“).

Abschließend deshalb die Empfehlung an den Auftraggeber und den Architekten: Bei der Gestaltung von umfangreichen Verträgen lohnt es sich immer, diese zur Kon-trolle auch von einem fachfremden Dritten, z. B. von einem Rechtsanwalt, lesen zu lassen, um Zweifelsfragen zu vermeiden, die dann im Streitfall wieder von Juristen bei Gericht entschieden werden. Die präzise Vertragsformulierung entscheidet den Prozess und nicht wortgewaltige Streitereien vor Gericht! Abbildungsverzeichnis: Abbildung 1: Beispiel für selektiven Rückbau eines typischen Bürogebäudes aus den Siebziger Jahren in Stuttgart (Foto: S. Krieg) Abbildung 2: Schwach gebundenes Asbestprodukt: Leitungsdämmung (Foto: D. Rötgers) Abbildung 3: Fest gebundenes Asbestprodukt: Welleternit aus dem Dachbereich (Foto: F.-M. Lange) Abbildung 4: Polychlorierte Biphenyle (PCB) in Fugenmassen von Stahlbetonbauten (Foto: D. Rötgers) Abbildung 5: Schwarzer teerhaltiger Parkettkleber (Foto: F.-M. Lange) Abbildung 6: Untersuchung der Gebäudesubstanz bei laufendem Geschäftsbetrieb (Foto: F.-M. Lange)