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"Streitfragen! - Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog" - Das Magazin stellt in der aktuellen Ausgabe 4/2012 unterschiedliche Ansätze eines zukünftigen Strommarktdesigns zur Diskussion und berücksichtigt dabei u.a. die Sichtweise der Wissenschaft sowie die der Europäischen Kommission. Weitere Themen sind u.a.: die geplanten neuen gesetzlichen Befugnisse der Bundesregierung bzw. der Bundesnetzagentur zur Sicherung der Versorgung mit Gas und Strom sowie die Kosten der Energiewende, deren Verteilung und die Notwendigkeit einer effizienten Koordination der Maßnahmen. Interviews mit Jochen Homann von der Bundesnetzagentur, Gerd Billen vom Verbraucherzentrale Bundesverband sowie Jörg Bergmann, Mitglied der Geschäftsführung von Open Grid Europe, vertiefen die Schwerpunktthemen.
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binnenmarkt und energie-wende
Inge Bernaerts, Referatsleiterin bei der EU- Kommission, erklärt Chancen und Grenzen einer europaweiten Koordination der Energiepolitik
s.26 s.42s.12»icH seHe Luft im system, um aLLe zu entLasten.«
Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur, über Sparpotenziale und staatliche Interventionen
sind die Lasten fair verteiLt?
Dr. Utz Tillmann, VCI, und Verbrau-cherschützer Gerd Billen diskutieren über die Notwendigkeit, Unternehmen beim Strompreis zu entlasten
die energie- und wasserwirtschaft im dialog | das magazin 04|2012
Streitfragen!
gewissermaßen „im Endspurt“ hat die Bundesregierung noch kurz vor Jahresende einige sehr wesentliche Änderungen im wichtigsten Grundlagengesetz unserer Energieversorgung durchgezogen. Mein Respekt gilt den Parlamentariern im Deutschen Bundestag. Sie mussten, ebenso wie unsere Branche, den Druck letztlich auffangen, Nerven bewahren und auf den letzten Metern noch einigen technischen und wirtschaftlichen Realitäten, die in den Ministerien offenkundig nicht erkannt werden wollen, zur Geltung verhelfen. Dazu gehörte es, die vorgesehene Pflicht der Betreiber von Gaskraftwerken, nicht unterbrechbare Versorgungsverträge abzuschließen – anstelle der wirtschaftlich und im technischen Gesamtsystem sehr sinnvollen unterbrechbaren Verträge –, schlicht zu streichen. Stattdessen finden sich nun flexible, kluge und pragmatische individuelle Lösungen im Gesetz. Gelungen ist das „bessere Gesetz“ aber noch lange nicht.
Liebe Leserin,Lieber Leser,
Wir gehen keinem konstruktiven Streit um verschiedene Lösungen aus dem Weg – wie unser Magazin „Streitfragen!“ zeigt. Aber wir haben an die Lösungen bestimmte Ansprüche. Vor allem müssen sie technisch und kaufmännisch umsetzbar sein, und sie dürfen die Versorgungssicherheit keinesfalls gefährden. Was die Umsetzbarkeit betrifft, hätten wir mit Blick auf die OffshoreHaftungsumlage fast noch ein Desaster erlebt. Denn die war bei sehr vielen Unternehmen, gestützt auf vermeintlich klare Ansagen der Bundesnetzagentur, Anfang November bereits pflichtgemäß eingepreist. Wenn gerade dieser Teil der Novelle verschoben worden wäre – wonach es kurzzeitig aussah –, dann wären Hunderte von Vertrieben und Netzbetreibern, und mit ihnen Millionen von Kunden, in einen rechtsfreien Raum geglitten.
Die Energiewirtschaft sieht die aktuellen Haftungsregelungen verhalten positiv. Doch was zählt, ist das Urteil der Investoren. Die anstehenden Gespräche mit Entscheidern, die nicht aus unserer Branche stammen und die Energiewende in erster Linie unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen, werden jedenfalls spannend. Dass bei uns in Deutschland mittlerweile die regulierten Bereiche für Investoren interessanter zu sein scheinen als der Markt, ist bedenklich.
Wir widmen deshalb dieses Magazin der Frage, welche Rolle künftig dem Markt noch eingeräumt wird. Aus Kunden und Bürgersicht jedenfalls ist dies der Bereich, in dem sie selbst wählen und den Wettbewerb und das Angebot mitgestalten können. Regulierung und staatliche Intervention werden oft verwechselt mit Sicherheit. Das Gegenteil ist der Fall, wie man an den vollkommen aus dem Ruder laufenden Kosten des EEG und dem Investitionsstau im Netzbereich sieht. Mit mehr Regulierung und Dirigismus wird es nicht kuscheliger, sondern auf Dauer härter. Die Energiewirtschaft setzt sich sehr klar für den Vorrang marktwirtschaftlicher Lösungen ein. Staatliche Intervention als Normalfall, wie derzeit zunehmend vorgesehen, wird von uns klar abgelehnt. Dass Staatswirtschaft nicht der bessere Weg ist, dafür gibt es historische Beispiele – worauf unser Titelbild anspielt. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!
Ihre Hildegard Müller
P.S.: Der BDEW twittert jetzt auch! Folgen Sie uns unter @bdew_ev
01strEitfragEn 04|2012
rettet die wende
Regine Günther, WWF, und Hildegard Müller, BDEW, betrachten die Energiewende als nationale Gemeinschafts aufgabe
ProbLemfaLL reguLierer
Dr. Jörg Bergmann, Geschäftsführer von Open Grid Europe, findet die zu erwartenden Eingriffe ins Gas-Transportgeschäft bedenklich
energieHandeL und mifid: aLLes eine frage des werkzeugs?
Sind Strom- und Gashändler Teil der Finanzmärkte? Branchenkenner Folker Trepte und Europapolitiker Markus Ferber streiten über die MiFID-Richtlinie
Wie kann die Stromversorgung gesichert werden, ohne den Markt auszuhebeln? Ein Streitgespräch zwischen Dr. Christoph Maurer, Consentec, und Dr. Christian Growitsch vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln
s.20s.16 s.38
s.06 brücke zum neuen marktdesign
02 strEitfragEn 04|2012
imPressum
Herausgeber
BDEW Bundesverband derEnergie- und Wasserwirtschaft e. V.Reinhardtstraße 3210117 [email protected]
redaktion
Mathias Bucksteeg Sven Kulka
konzePt und reaLisierung
Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter redaktioneller Mitarbeit von Wolf Szameit. Meltem Walter, Jan Ulland, Ricarda Eberhardt und Agnes Winklarz, BDEW.
druck und verarbeitung
Druck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen
biLdnacHweis
Joachim Donath: S. 04–05. Roland Horn: Editorial, S. 06–29.Clemens Lechner: S. 32. Laif: Titelseite, S. 36–37. gettyimages: S. 38.
Redaktionsschluss:Dezember 2012
s.06
s.12
s.16
s.20
s.26
s.30
s.32
s.34
s.36
s.38
s.42
die zukunft des energiemarktes
brücke zum neuen marktdesignDr. Christoph Maurer und Dr. Christian Growitsch debat-tieren über den besten Weg zur Versorgungssicherheit
»icH seHe Luft im system, um aLLe zu entLasten.«Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur, über Spar potenziale und staatliche Interventionen
ProbLemfaLL reguLiererDr. Jörg Bergmann, Geschäftsführer von Open Grid Europe, findet die zu erwartenden Eingriffe ins Gas-Transport-geschäft bedenklich
fokus energiewende
rettet die wende Regine Günther, WWF, und Hildegard Müller, BDEW, betrachten die Energiewende als nationale Gemeinschafts-aufgabe
sind die Lasten fair verteiLt? Dr. Utz Tillmann, VCI, und Verbraucherschützer Gerd Billen diskutieren über die Notwendigkeit, Unternehmen beim Strompreis zu entlasten
»stadtwerke Profitieren von der energiewende.«Kommunale Versorger profitieren von selbst produzierter Energie, meint Susanne Treptow, Geschäftsführerin bei TOBI
»oHne strom stürzen wir zurück ins mitteLaLter«Deutschland ist auf einen großflächigen Stromausfall nicht optimal vorbereitet, warnt Marc Elsberg, Autor von „Blackout“
fokus erneuerbare
vier fragen an reinHard cHristiansen Der Bürgerwindpark Ellhöft hat 2011 mehr als 300 000 Euro erhalten für Strom, der nie im Netz ankam
»miLLionen strassenLaternen verscHwenden strom.«Kommunen könnten viel Energie sparen, etwa bei der Straßenbeleuchtung. Doch oft fehlt das Geld für Investi-tionen, beklagt Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB)
PersPektive euroPa
energieHandeL und mifid: aLLes eine frage des werkzeugs? Sind Strom- und Gashändler Teil der Finanzmärkte? Branchenkenner Folker Trepte und Europapolitiker Markus Ferber streiten über die MiFID-Richtlinie
»oHne den binnenmarkt wäre deutscH-Lands energiewende nicHt durcHsetzbar.«Inge Bernaerts, Referatsleiterin bei der EU-Kommission, erklärt Chancen und Grenzen einer europaweiten Koordination der Energiepolitik
03
20 miLLionsteL gramman Phosphorverbindungen enthält ein Liter Wasser, wenn er die OberflächenAufbereitungsanlage der Berliner Wasserbetriebe im Berliner Stadtteil Tegel verlässt. Den Gehalt an Schwebstoffen reduziert die Anlage auf 0,6 Milligramm pro Liter. Das gesäuberte Wasser landet im Tegeler See, der deshalb wieder tief blicken lässt: Von der Oberfläche aus reicht die Sicht bis zu drei Meter nach unten. Früher war nach wenigen Zentimetern Schluss. Die Berliner Anlage stellt faktisch eine vierte Reinigungsstufe dar, wie sie derzeit für Klärwerke bundesweit diskutiert wird. Für diese zusätzliche Aufbereitungsstufe kommen je nach örtlichen Gegebenheiten verschiedene Verfahren in Frage. Vergleichsweise hohe Kosten und beträchtlicher Energieverbrauch sind allen Varianten gemeinsam. Die Wasserwirtschaft sieht die flächendeckende Einführung kritisch. Sie fordert gemäß dem Verursacher und Vorsorgeprinzip, erst einmal mehr dafür zu tun, dass bedenkliche Stoffe gar nicht erst ins Abwasser gelangen.
dr. cHristoPH maurer(rechts) ist Geschäftsführer der Consentec – Consulting für Energiewirtschaft und -technik GmbH.
dr. cHristian growitscHist seit September 2010 Direktor für Anwen-dungsforschung und Mitglied der Geschäfts-leitung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln.
brücke zum neuen markt- design
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die zukunft des energiemarktes strEitfragEn 04|2012 07
Gehen in Deutschland demnächst die Lichter aus?
dr. cHristian growitscH Ich glaube, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Lage im Griff haben. Und mit der Kaltreserve ist jetzt Kraftwerkskapazität kontrahiert worden, die im Ernstfall für RedispatchMaßnahmen zur Verfügung stünde. Dennoch ist die Gefährdungslage grundsätzlich vorhanden.
dr. cHristoPH maurer Ich glaube auch nicht, dass die Lichter ausgehen. Es bleibt natürlich immer ein Restrisiko. Aber ich glaube, dass wir inzwischen die Maßnahmen ergriffen haben, die nach den Regeln der Technik notwendig sind, mit den zu erwartenden Belastungssituationen in den nächsten Monaten umzugehen.
Meinen Sie damit die Maßnahmen, die die Bun-desregierung mit der Novellierung des EnWG er-griffen hat – Stilllegungsverbot etc.?
maurer Die Kaltreserve war eine eher auf dem regulatorischen Weg ergriffene Maßnahme der Bundesnetzagentur, die im vergangenen Winter und auch vermutlich für diesen Winter einzig praktikabel war und ist. Wir hatten in der zur Verfügung stehenden Zeit einfach keine Möglichkeit, etwas anderes zu machen. Das ist aber etwas anderes als das, was die Bundesregierung jetzt plant.
Was ja wohl auch kaum noch etwas mit Markt zu tun hat.
growitscH Inbezug auf die Kaltreserve stimme ich dem Kollegen Maurer voll zu. Es gab wohl kurzfristig keine andere Möglichkeit. Was allerdings den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung angeht, bin ich der Ansicht, dass es auch andere, ökonomisch sinnvollere Maßnahmen gibt, um ausreichend Kraftwerkskapazitäten im Markt zu halten.
Welche Maßnahmen meinen Sie?
growitscH Es sollten mehr marktwirtschaftliche Elemente zum Zug kommen. Man sollte beispielsweise regionale Preissignale zulassen. Wenn Übertragungsnetzkapazitäten knapp sind, dann kommt es zu verschiedenen Preissignalen in Deutschland und der zentralwesteuropäischen Region und damit temporär zu zwei oder mehreren Preiszonen. Denkbar sind daneben Alternativen zum bisherigen RedispatchSystem, bei denen auch die Betriebs und Instandhaltungskosten der Kraftwerkseigner vergütet werden.
Herr Dr. Maurer, in Ihrem Gutachten schlagen Sie dagegen auch für die kurze Frist eine Strategische Reserve vor.
maurer Ich glaube nicht, dass solche Maßnahmen, wie sie Dr. Growitsch vorgeschlagen hat, in der kurzen Frist durchführbar sind. Die Teilung in zwei Preiszonen wirft andere Probleme auf. Wir haben keine Knappheitsprobleme, sondern eher regionale Netz
Eine Strategische Reserve könnte vorübergehend Engpasssituationen in der Stromversorgung vermeiden helfen. Alternativen, um einen Blackout zu vermeiden, werden in der Wissenschaft diskutiert. Die Entscheidung für eine Lösung muss möglichst bald fallen.
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strEitfragEn 04|2012 die zukunft des energiemarktes08
probleme. Wir haben keinen Mangel an Kraftwerksleistung, wir haben einen Mangel an bestimmten Systemdienstleistungen insbesondere in Süddeutschland. Wir sind uns einig, dass wir zur Lösung marktwirtschaftliche Ansätze brauchen. Das, was die Bundesregierung plant, ist jedoch ein Einstieg in eine Regulierung der Erzeugung. Das ist für mich kein adäquater Lösungsansatz. Ich sehe da auf lange Sicht sogar kontraproduktive Entwicklungen.
Bedeutet die Strategische Reserve aber nicht auch etwas weniger Marktwirtschaft?
maurer Unser Konzept der Strategischen Reserve ist der Versuch, mit einem marktwirtschaftlichen Instrument eine von der Physik her äquivalente Wirkung zu erreichen. Sie ist auch nicht als Dauereinrichtung gedacht, sondern als Brückenlösung, damit die Diskussion um eventuell notwendige Kapazitätsmechanismen mit der notwendigen Sorgfalt und Tiefe geführt werden kann.
Herr Dr. Growitsch, Sie haben vermutlich andere Vorstellungen, wie man den Übergang bewältigen sollte.
growitscH Ich hatte schon ein, zwei Möglichkeiten angedeutet. So sollte man die Möglichkeit der zwei Preiszonen wenigstens einmal durchrechnen, um die Anreizwirkung zu ermitteln. Einfach zu sagen, es
würde nicht funktionieren, halte ich für voreilig. Mein Problem mit der Strategischen Reserve ist, dass dort im Rahmen einer regionalen Ausschreibung unter Umständen nicht ausreichend Wettbewerb induziert werden kann. Die geringe Anzahl potenzieller Anbieter könnte die Ausübung von Marktmacht ermöglichen. Es geht offensichtlich bei dem Konzept ja nicht um neue Kraftwerksinvestitionen, sondern um den Erhalt vorhandener.
maurer Das ist ja auch das primäre Ziel, weil es kurzfristig erreichbar ist. Für den nächsten Winter können wir so schnell keine neuen Kraftwerke bauen. Aber da hilft auch die Einführung von Preiszonen nicht viel weiter, weil sie auch so schnell nicht durchführbar ist. Die Frage der Marktmacht ist aber in der Tat einer der ganz kritischen Punkte. Deshalb muss man sich auch davor hüten, die Regionalisierung zu übertreiben. Es hilft nicht, eine Strategische Reserve bundesländerweise auszuschreiben, weil man dann keinen richtigen Wettbewerb mehr bekommt. Mit einer vorsichtigen, am tatsächlichen Bedarf orientierten Dimensionierung der Strategischen Reserve und einer Ausweitung des potenziellen Anbieterkreises auf die südlichen Anrainerländer Süddeutschlands kann man meines Erachtens die Marktmachtproblematik so weit überwinden, dass sie nicht mehr die Rolle spielen wird, die andere da sehen. Dann kann die Strategische Reserve ein kurzfristig wirksames, den Markt nicht verzerrendes Instrument darstellen.
» Es solltEn mEhr marktWirtschaftlichE ElEmEntE zum zug kommEn. man solltE BEispiElsWEisE rEgio-nalE prEissignalE zulassEn.«
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growitscH Kurzfristig wirksam – dem würde ich nicht widersprechen. Ob aber der Markt nicht verzerrt wird, da bin ich nicht ganz der Meinung von Herrn Maurer. Es besteht die Möglichkeit, je nach Technologie, die dort zum Zuge kommt, dass zumindest in Spitzenlastsituationen der Dispatch verzerrt werden könnte.
Nun kommt aus der Industrie selbst der Vorschlag, dass Anbieter von EE-Strom sichere Kapazitäten erwerben sollen, die dann einspringen, wenn es mit den Erneuerbaren Probleme gibt.
growitscH Ich kann diese Lösung aus ökonomischer Perspektive nur schwer nachvollziehen. Mir scheint es da eher um eine Verteilungsdebatte zu gehen. Was wäre denn die Konsequenz? Wenn erneuerbare Energien sichere Leistung zur Verfügung stellen sollen, müssen sie sich entsprechende BackupKapazitäten beschaffen. Dann aber sollte man auf den in diesem Fall untertägigen Spotmarkt zurückgreifen. Ansonsten würde hier eine Aufgabe dezentral verteilt, die man zentral viel besser lösen kann.
maurer Das ist im Grunde die Verpflichtung zur dezentralen Leistungsvorhaltung, die in den USA ausgiebig ausprobiert worden ist, aber dort krachend gescheitert ist. Es ist ein Modell, das ökonomisch nicht tragfähig ist.
Schauen wir mal über 2020 hinaus. Wie könnte ein langfristig effizientes Marktdesign aussehen, wo-bei ich von Ihnen nicht erwarte, dass Sie es schon in allen Einzelheiten parat haben?
maurer Ich habe es auch nicht. Wir schlagen die Strategische Reserve ja gerade aus dem Grund vor, weil die Bausteine, die wir bis heute haben, unseres Erachtens noch nicht ausreichen, um daraus ein Konzept für ein langfristig gültiges, zukunftsfähiges Marktdesign zusammensetzen zu können. Es macht auch wenig Sinn, jetzt ein langfristiges Marktdesign zu beschließen und im nächsten Jahr die Grundsatzfrage zu klären, wie die Förderung der Erneuerbaren künftig aussehen soll. Wir müssen diese beiden Fragen gemeinsam lösen. Wir müssen darüber hinaus auch einige energiepolitische Grundsatzentscheidungen treffen. Die Diskussion, die wir hier auf unserer nationalen Insel führen, hat eine europäische Komponente, die auch diskutiert werden muss.
Vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Uni-versität zu Köln stammt ein Vorschlag, der über 2020 hinausreicht.
growitscH Wir haben einen Vorschlag gemacht, der sogar erst mit dem Jahr 2020 beginnt, nämlich Versorgungssicherheitsmärkte zu schaffen. Unser Vorschlag befasst sich gegenwärtig nur mit dem Strommarkt. Er beinhaltet noch nicht die künftige Ausgestaltung der EEFörderung, die Interrelation zwischen beiden Märkten sowie die Verknüpfung mit dem Zertifikatehandel. Und er muss, damit er zu einem umfassenden Konzept wird, auch um eine europäische Komponente erweitert werden.
kurz erkLärt
Die einheitliche Preiszone in Deutschland und Österreich ist eine große Errungenschaft für den Endverbraucher. Durch die große Aus-dehnung und den klaren Wettbewerb ist der Markt für die Unterneh-men sehr attraktiv. Seit der Liberalisierung hat sich die Liquidität kontinuierlich auf das heute höchste Niveau in Europa erhöht. Somit gilt für das Marktgebiet mit dem höchsten Stromverbrauch in Euro-pa ein einheitlicher Börsenpreis, der als Referenzpreis für ganz Kon-tinentaleuropa gilt. Eine Aufteilung der einheitlichen Preiszone in Deutschland und Österreich könnte zu unterschiedlichen regionalen Preissignalen füh-ren, die bestehenden Standorte von Erzeugung und Verbrauch wür-den sich aber kurz- und mittelfristig nicht verändern. Zubau aus er-neuerbaren Energien genießt einen preis- und ortsunabhängigen Einspeisevorrang. Redispatchmaßnahmen werden auch bei einer Auf-spaltung der Preiszone erforderlich bleiben. Eine Aufteilung des Marktgebietes senkt lediglich den Druck der Verpflichtung für ÜNB, das vorhandene Netz unter Anwendung effizienter Engpassmanage-mentverfahren zu betreiben. Entsprechend werden auch Anreize zum bedarfs- und zeitgerechten Netzausbau reduziert. Dann ist eine Ent-
wicklung mit einer immer weitergehenden Aufteilung von Preiszonen zu befürchten. Eine Aufteilung der Preiszone würde die erfolgreiche Integration der Strommärkte und das marktbasierte Design zurück-entwickeln und zu einer Vielzahl von verschiedenen Großhandels-preisen für die Ware Strom führen. Beispiele wie Skandinavien zeigen, dass die Attraktivität der Märkte massiv unter einer Zersplitterung leidet. Die volkswirtschaftlichen Vorteile einer liquiden, einheitlichen Preiszone sprechen daher klar für deren Erhalt.Die Strategische Reserve sind Kraftwerke, die für einen be-stimmten Zeitraum verpflichtet werden, sich betriebs- und anfahr-bereit zu halten. Bei einer kurzfristig absehbaren Knappheit wer - den sie als zusätzliche Kapazitäten eingesetzt. In der Regel handelt es sich um Bestandskraftwerke, die sonst wegen der Preissituation dau-erhaft abgeschaltet worden wären. Deshalb darf die Erzeugung aus Kraftwerken der Strategischen Reserve aus praktikablen Gründen in der Regel von einem Übertragungsnetzbetreiber und nur in Knapp-heitssituationen vermarktet werden, um den normalen Elektrizi-tätsmarkt nicht zu stören.
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Für die Entwicklung dieses Konzepts haben wir nicht mehr allzu viel Zeit. In einigen europäischen Nachbarländern werden schon Änderungen im Marktdesign angeschoben. Deshalb müssen wir bald zu klaren Vorstellungen über das künftige Marktdesign kommen, damit wir es rechtzeitig mit den Nachbarländern, insbesondere in Zentralwesteuropa, abstimmen können.
maurer Da stimme ich Ihnen voll zu. Es darf nicht sein, dass wir in Frankreich einen bestimmten Mechanismus haben, in Belgien einen anderen, in Großbritannien noch einen anderen. Dann haben wir in der Tat das Problem, dass wir selbst in dem relativ stark integrierten westeuropäischen Markt ein buntes Durcheinander der Mechanismen haben mit kaum absehbaren Wechselwirkungen.
Im Kern scheint die EU-Kommission die Meinung zu vertreten, nationale Kapazitätsmechanismen seien nicht notwendig, wenn es einen wirklichen europäischen Energiebinnenmarkt gäbe.
growitscH Ich bin nicht so optimistisch wie Kommissar Oettinger. In einem größeren Markt könnte man sicherlich den Bedarf an gesicherter Kraftwerksleistung im Verhältnis zur Spitzenlast reduzieren. Aber bei einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung wird man immer einen gewissen Umfang an Kapazitätsreserve benötigen.
maurer Ich bin da ein wenig optimistischer, ohne jetzt gleich zu sagen, ein europäischer Markt löst das Problem. Wenn man allerdings nur national über gesicherte Leistung nachdenkt, wird es ohne Kapazitätsmechanismen nicht gehen. Bei einer Behandlung von Versorgungssicherheitsfragen im Kontext des europäischen Binnenmarktes hängt die Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen unter anderem davon ab, inwieweit die Politik bereit ist, die Frage der notwendigen Erzeugungsleistung an die Märkte zu delegieren.
» die frage der markt-macHt ist einer der ganz kritiscHen Punkte. desHaLb muss man sicH da-vor Hüten, die re-gionaLisierung zu übertreiben.«
die zukunft des energiemarktes strEitfragEn 04|2012 11
strEitfragEn 04|2012 die zukunft des energiemarktes12
» icH seHe Luft im system, um aLLe zu entLasten.«
Die Energiebranche beklagt wachsende staatliche Eingriffe und plädiert für mehr Marktwirtschaft. Jochen Homann, als Chef der Bundesnetzagentur Deutschlands oberster Regulierer, stellt sich der Diskussion.
Herr Homann, die Politik hat sich einst vorgenommen, den Energiemarkt zu liberalisieren. Jetzt sieht es aus, als werde das Rad zurückgedreht. Ein Stein des Anstoßes ist die Novel-le des Energiewirtschaftsgesetzes. Das EnWG ermöglicht un-ter anderem ein Stilllegungsverbot für wichtige Kraftwerke. Sind wir auf dem Rückweg zur staatlich gesteuerten Energie-versorgung?
JocHen Homann Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben schließlich in Süddeutschland ein spezifisches regionales Problem bei der Versorgungssicherheit. Ich halte es für richtig, dass wir im Extremfall die Anweisung geben können, dort ein systemrelevantes Kraftwerk weiterlaufen zu lassen. Das ist eine besondere Maßnahme in einer besonderen Situation, die Regelung gilt befristet und wird zwischendurch überprüft. Es gibt niemanden in der Bundesnetzagentur, der das Stilllegungsverbot anwenden möchte. Im Gegenteil: Wir hoffen, dass wir dieses Instrument nicht brauchen!
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Der BDEW hat einen Vorschlag formuliert, um die Versor-gungssicherheit durch ein mehr marktwirtschaftlich aus-gerichtetes Verfahren zu gewährleisten. Im Rahmen der so-genannten „Strategischen Reserve“ sollen Auktionen dafür sorgen, dass die notwendigen Kapazitäten marktorientiert angeboten werden. Welche Chancen geben Sie diesem Vor-schlag noch?
Homann Ich hoffe, dass die strategische Reserve nicht kommt, weil ich sie für falsch halte. Wir haben – wie gesagt – ein regional begrenztes Problem in Süddeutschland, das müssen wir regional lösen. Ursache sind die derzeit noch fehlenden Netzverbindungen. Hier muss vor allem angesetzt werden. Insbesondere die sogenannte Thüringer Strombrücke sollte fertig gestellt sein, wenn Ende 2015 das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld vom Netz genommen wird. Im gesamtdeutschen Zusammenhang haben wir noch für eine Reihe von Jahren ausreichende Kraftwerkskapazitäten. Wer eine strategische Reserve einführen will, schießt mit Kanonen auf Spatzen.
Immerhin kämen wir bei der Versteigerung von Kapazitäten ohne staatlichen Eingriff aus.
Homann Ich sehe gar nicht, was an der strategischen Reserve so marktwirtschaftlich sein soll. Zuallererst wäre doch eine staatliche Institution wie die Bundesnetzagentur gefordert, die zu versteigernden Kapazitäten zu ermitteln, festzulegen und einen entsprechenden Prozess aufzusetzen.
Auch an anderer Stelle ist eindeutig zu sehen, wie Marktme-chanismen ausgehebelt werden: Die erneuerbaren Energien liefern immer mehr Strom, für den es eine garantierte statt eine am Markt gebildete Vergütung gibt. Wie lange passt das noch zum grundsätzlichen Ziel, Energie über den Markt bereit-zustellen? Wann müssen wir substanziell etwas verändern?
Homann Wir stehen hier tatsächlich an einer Weggabelung. Die erneuerbaren Energien haben aktuell einen Anteil an der Stromerzeugung von 25 Prozent erreicht. Wir müssen uns jetzt ernsthaft Gedanken machen, wie wir den Markt in Zukunft organisieren. Wir haben meines Erachtens noch etwa drei Jahre Zeit, dann sollte ein Konzept für den Strommarkt der Zukunft stehen. Diese Zeit sollten wir uns allerdings nehmen, um ein wirklich durchdachtes Konzept zu entwickeln.
Was müsste ein neues Marktdesign aus Ihrer Sicht leisten?
Homann Die Bundesnetzagentur hat Kriterien formuliert, die erfüllt sein müssen: So müssen die regionalen Faktoren, zum Beispiel die Abschaltung der Kernkraftwerke in Süddeutschland, berücksichtigt werden. Das Konzept muss zum Beispiel die verschiedenen Speicheroptionen und das Nachfragemanagement einbinden sowie die erneuerbaren Energien integrieren. Ebenso muss es den vorhandenen und den neu zu bauenden Kraftwerken gerecht werden. Ein solches Gesamtpaket bekommt man nicht innerhalb von ein paar Wochen hin. Bis zum Sommer soll ja ein ordnungspolitischer Rahmen formuliert werden. Das hat die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder vereinbart. Dies verspricht eine spannende Diskussion.
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Rechnen Sie mit einem großen Wurf?
Homann Ich erwarte zumindest keinen Big Bang, schließlich wird die Erneuerung des Marktdesigns ein iterativer Prozess sein. Wir werden uns schrittweise bewegen, aber wir müssen eine Zielvorstellung haben und uns in einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen bewegen. Dies beginnt damit, zunächst die Probleme richtig zu beschreiben.
Sehen Sie die Chance, dass vor der Bundestagswahl wenigs-tens eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ge-lingt?
Homann Bei realistischer Betrachtung ist die notwendige gründliche Reform unwahrscheinlich. Trotzdem sind an der einen oder anderen Stelle rasche Veränderungen möglich. Die Deckelung des Ausbaus der Photovoltaik auf 52 Gigawatt ist eine solche Maßnahme, weitere sind denkbar.
Welche Maßnahmen könnten das sein?
Homann Zum Beispiel könnte man nochmals darüber nachdenken, ob nicht die Entschädigung für nicht abgenommenen Solar und Windstrom abgesenkt werden könnte, um auf diese Weise zugleich einen Anreiz zu setzen, Windräder und PVAnlagen dort zu installieren, wo es einen Netzanschluss gibt und wo der Strom gebraucht wird.
Aus der Sicht vieler Bürger führt die Energiewende in erster Linie zu höheren Strompreisen. Mehrere hundert Stromver-sorger wollen die Preise anheben, einige schlagen zweistelli-ge Prozentsätze auf. Jetzt tobt die Debatte über die Ursachen. Verstehen Sie die Diskussion?
Homann Die Energiewende ist sicherlich nicht der einzige Grund für steigende Strompreise. Aber es war immer klar, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht zum Nulltarif zu haben ist. Bedauerlich finde ich, dass sich jetzt eine Verteilungsdiskussion entwickelt. Es wird darüber gestritten, wer die Kosten tragen soll, statt sich darum zu kümmern, wie die Belastung insgesamt minimiert werden kann. Ich sehe noch genügend Luft im System, um alle zu entlasten.
Wo gibt es Spielräume für Entlastungen und Kostensenkung?
Homann Aktuell wird diskutiert, wie weit man den energieintensiven Industrien bei der EEGUmlage entgegenkommt. Die Bundesregierung hat angekündigt, da noch mal genau hinzuschauen. Das dürfte aber in Euro und Cent nicht viel bringen und hier muss auch aufgepasst werden, dass die richtige Grundidee – Entlastung der im internationalen Wettbewerb stehenden energieintensiven Industrien – nicht unter die Räder gerät. Darüber hinaus werden wir über die vermiedenen Netzentgelte reden müssen …
… die anfallen, wenn Strom dezentral und verbrauchsnah er-zeugt wird …
Homann … und wir können bei der Paragraf19Umlage die Kriterien schärfer fassen, nach denen Teilrabatte gewährt werden. Mit dieser Umlage finanziert der Letztverbraucher die teilweise oder völlige Befreiung energieintensiver Unternehmen von Netzentgelten. Sie sehen, es gibt eine Reihe von Stellschrauben.
Stichwort Netzengelte – die steigen unter anderem durch die Kosten für neue Leitungen. Nun sagen manche: „Die Energie-wende stärkt die dezentrale Erzeugung, daher muss auch der Netzausbau dezentral erfolgen. Also brauchen wir viele der geplanten neuen Fernleitungen gar nicht.“ Wie sehen Sie das?
Homann Das halte ich für einen Riesenirrtum. Auch wenn wir die Energie dezentral erzeugen und einsammeln, müssen wir sie trotzdem transportieren. Es ist ja nicht so, dass der Strom vor Ort direkt verbraucht wird und man nie Überschüsse abtransportieren oder einen lokalen Mangel ausgleichen muss. Im momentanen Design heißt Dezentralität ganz klar mehr Netzausbau, nicht etwa weniger.
Wenn wir mehr Leitungen brauchen, stellt sich die Frage der Akzeptanz. Was halten Sie von dem Vorschlag, Bürger finan-ziell an den Netzen zu beteiligen und damit auch an neuen Stromtrassen in ihrer Nachbarschaft?
Homann Die Grundidee dieser Bürgerbeteiligung finde ich prima. Auf der Erzeugungsseite gibt es die Möglichkeit schon, denken Sie an die Bürgerwindparks. Bei Netzen geht das bisher nicht so einfach. Ich bezweifle lediglich, dass der Staat den an die Bürger zu verkaufenden Anteil festsetzen muss. Es findet sich bestimmt ein Weg, das stärker wettbewerblich zu organisieren.
JocHen Homann ist seit März 2012 Präsident der Bundesnetz-agentur in Bonn. Davor arbeitete er vier Jahre lang als beamteter Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Zwischen 1991 und 2001 leitete Homann im Bundes-kanzleramt das Grundsatzreferat für Wirt-schafts- und Finanzpolitik.
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ProbLemfaLL reguLiererVon den Auflagen des Regulierers für die Ferngasnetzbetreiber spricht außerhalb der Branche – im Gegensatz zum Stromnetz – kaum jemand. Dabei müssen die Gastransporteure schon mit Beginn der nächsten Regulierungsperiode ab 2013 mit neuen, erheblich schärferen Eingriffen zurechtkommen.
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die zukunft des energiemarktes strEitfragEn 04|2012 17
Welche Erfahrungen haben Sie mit der ersten Regulierungsperiode gemacht?
dr. Jörg bergmann Die erste Regulierungsperiode hat den Markt weiter geöffnet. Wir sind mit über zehn Marktgebieten gestartet, heute haben wir nur noch zwei Marktgebiete. Das – wie auch das mit der Einführung des Regelenergiemarktes verbundene Bilanzierungsregime – hat eine sehr starke Vereinfachung des Netzzugangs für den Kunden gebracht. Für uns als Transportunternehmen hat dagegen die Komplexität stetig zugenommen, was tendenziell kostensteigernd wirkt. Was bedeutet die Reduzierung der Marktgebiete für diese Kunden?
bergmann Wenn Sie mehrere Marktgebiete zu einem Marktgebiet zusammenlegen, ist es für den Kunden einfacher, weil er nur noch an einer Stelle seinen Transport buchen muss und damit jede Abnahmestelle in dem Marktgebiet erreichen kann. Zugleich sinken aber tendenziell die Kapazitäten.
Das müssen Sie näher erläutern.
bergmann Stellen Sie sich ein Kino mit drei Kinosälen mit jeweils 50 Plätzen vor. Wenn Sie dieses Kino als eine Einheit sehen und Sie verkaufen eine Karte, ohne dass sich der Kunde zugleich auf einen der drei Säle festlegt, können Sie insgesamt eigentlich nur 50 Karten verkaufen. Denn Sie wissen ja nicht, welchen Film der Kunde sehen will. Wenn Sie dagegen jeder Karte zugleich einen bestimmten Film zuweisen, können Sie 150 Karten verkaufen. So ähnlich ist es auch im Gastransportgeschäft.
Und wie haben Sie nun das „Kinoproblem“ gelöst?
bergmann Zum einen über statistische Verfahren, zum anderen, indem Transportkunden Lastflusszusagen geben und damit gegen eine Vergütung auf einen Teil ihrer Flexibilität verzichten.
Wäre eine weitere Zusammenlegung zu einem Marktgebiet dennoch sinnvoll?
bergmann Wenn man die beiden jetzt noch existierenden Marktgebiete zusammenlegen wollte bei Aufrechterhaltung von frei zuordenbaren Kapazitäten, würde das zu einem erheblichen Investitionsbedarf führen. Eine KostenNutzenAnalyse hat ergeben, dass es derzeit keinen Sinn macht, die Gebiete zusammenzulegen. Hierüber gibt es gegenwärtig eine Konsultation der Bundesnetzagentur (BNetzA).
Mit der zweiten Regulierungsperiode, die in we-nigen Wochen beginnt, wird der Kostendruck auf Sie noch einmal steigen, die Erlösobergrenze wird noch einmal sinken.
bergmann Wie hoch die Erlösobergrenze sein wird, wissen wir noch nicht. Was wir bisher haben, ist das Ergebnis der Kostenprüfung. Wie Sie sich vorstellen können, kommt man aus einer solchen Prüfung nicht ungeschoren heraus. Es gibt immer Kürzungen, mit denen man zurechtkommen muss.
Mit dem Ergebnis der Kostenprüfung müsste doch aber auch die Erlösobergrenze relativ konkret festliegen.
bergmann Es findet auf der Basis der Kostenprüfung aller Fernleitungsnetzbetreiber zusätzlich ein Effizienzvergleich statt. Dieses Verfahren befindet sich derzeit in der Konsultation. Aber schon die vorläufigen Ergebnisse dieses Benchmarks finden wir bedenklich. In der ersten Regulierungsperiode gab es eine durchschnittliche Effizienz aller Fernleitungsnetzbetreiber von 99 Prozent. Heute wird eine Effizienz von etwa 90 Prozent diskutiert. Das ist aus mehreren Gründen kritisch: Kann ein Vergleich von 14 sehr unterschiedlichen Netzbetreibern überhaupt zu vernünftigen Ergebnissen führen? Das ist keine statistisch relevante Masse. Die Unternehmen haben zudem unbestreitbar in der ersten Regulierungsperiode Kosten abgebaut. Wie kann dann die Effizienz deutlich sinken?
dr. Jörg bergmannist Geschäftsführer der Open Grid Europe GmbH, dem größten Ferngasnetzbetreiber in Deutschland.
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Gehen wir mal davon aus, dass die BNetzA an den Vorgaben festhält. Was bedeutet das für Sie?
bergmann 90 Prozent Effizienz hieße, dass man zusätzlich zum allgemeinen Produktivitätssteigerungsfaktor von 1,5 Prozent p.a. zehn Prozent seiner Gesamtkosten innerhalb von fünf Jahren abbauen müsste. Dies würde 20 bis 25 Prozent der kurz und mittelfristig beeinflussbaren Kosten, also Personal und Sachkosten, entsprechen. Das würde sicherlich die Qualität und Versorgungssicherheit gefährden.
Wird das Auswirkungen auf Ihre Investitions-fähigkeit haben?
bergmann Damit wäre ein Eingriff in das Bestandsgeschäft verbunden, was die Investitionsfähigkeit der Fernleitungsnetzbetreiber beschränken würde, weil die finanziellen Rückflüsse aus dem Bestandsgeschäft fehlen würden. Insbesondere mit Blick auf die Energiewende sehe ich das sehr kritisch. Früher hatten wir als Netzbetreiber die Verantwortung für die Investitionen, heute nimmt der Staat über die Bundesnetzagentur Einfluss darauf.
Und der ist, siehe Energiewende, manchmal sehr sprunghaft, oder?
bergmann Die grundsätzlichen Voraussetzungen für Investitionen sind ein verlässlicher, transparenter und langfristig prognostizierbarer Regulie
rungsrahmen. Verzinsung und Risiko müssen bei Investitionen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Die Kapitalverzinsung ist im regulierten System limitiert. Dann müsste auch das Risiko limitiert sein. Das größte Risiko für einen Netzbetreiber ist aber gegenwärtig der Regulierer.
Denkt der Regulierer für Sie in zu kurzen Fristen?
bergmann Jeder, der im Rahmen des Netzentwicklungsplans investieren soll mit den langen Amortisationszeiten von bis zu 55 Jahren bei Leitungen, wird das nur tun, wenn er sicher sein kann, sich in einem stabilen, verlässlichen Rahmen zu bewegen.
Dann sind aber Regulierungsperioden von fünf Jahren doch zu kurz. Was passiert nach 2017, wenn die zweite Periode ausläuft?
bergmann Wir wissen heute nicht, in welchem Rahmen die nächste Regulierungsperiode stattfinden wird. Das Konzept ist noch nicht festgelegt. Das heutige Instrument: Kostenprüfung und Effizienzvergleich ist als Instrument irgendwann erschöpft.
Bis 2018 ist aber noch lange hin.
bergmann Die Diskussionen müssen bald beginnen, damit man bis 2015 ein Konzept hat, das nur noch in Details konkretisiert werden muss. Zwei Jahre Vorlauf bis zur Umsetzung benötigt man auf jeden Fall.
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die zukunft des energiemarktes strEitfragEn 04|2012 19
rettet die wende
regine güntHerleitet den Bereich Klima und Energie-politik beim WWF.
HiLdegard müLLerist Hauptgeschäftsführerin des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.
strEitfragEn 04|2012 fokus energiewende20
fokus energiewende strEitfragEn 04|2012 21
Die Energiewende ist für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine immense Herausforderung und großartige Chance zugleich. Sie bedeutet weit mehr als nur den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Energiewende ist die Nagelprobe für die Zukunfts und Wandlungsfähigkeit einer westlichen Industrienation. Sie
ist der Testfall, ob in einem relativ kurzen Zeithorizont die materiellen Grundlagen des Wirtschaftens und des Wohlstandes vollkommen verändert werden können, wenn das „alte“ Entwicklungsmodell erkennbar zu scharfen Friktionen führen wird.
die aufbrucHstimmung ist in gefaHr
Die Energiewende ist auch mehr als nur ein gigantisches technisches EnergieInfrastrukturprojekt. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die in den kommenden Dekaden immer wieder neue soziale, ökologische und ökonomische Fragen aufwerfen wird. Die Gesellschaft muss darauf kontinuierlich Antworten finden. Schon heute ist die Debatte deutlich weiter vorangeschritten als noch vor einem Jahr, die Probleme, aber auch die Handlungsoptionen sind viel detaillierter beschrieben. Erste Ansätze, die vielfältigen Diskussionen zu strukturieren, sind gemacht. In Ministerien und Verbänden wurden Plattformen und Foren etabliert,
01frau güntHer, frau müLLer: mit iHrer initiative, ein „nationaLes forum energiewende“ einzu-ricHten, geHen sie eine vöLLig neue aLLianz ein. energiewirtscHaft und umweLtverbände Haben bisHer eHer unterscHiedLicHe Positionen beim tHema energieversorgung eingenommen. weLcHe gemeinsamen interessen verfoLgen sie mit iHrer initiative?
HiLdegard müLLer Wir haben das gleiche Ziel: das Gelingen der Energiewende. Wir sind uns einig, dass dieses Ausnahmeprojekt nur im Schulterschluss erfolgreich zu bewältigen ist. Dazu haben wir bereits viele Gespräche geführt; zum Teil sehr kontroverse, aber auch viele verbindende. Aber genau darum geht es. Nur wenn wir aus verschiedenen Blickwinkeln Probleme gemeinsam diskutieren, werden wir praktikable Lösungen für eine intelligente und nachhaltige Energieversorgung finden, von denen am Ende Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft profitieren.
regine güntHer Mit der Energiewende ergibt sich eine neue Qualität von Herausforderungen und Chancen. Der Großkonflikt Atomausstieg ist dauerhaft abgeräumt, der nun notwendige Einstieg in ein Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien erfordert neue Ideen, konstruktives Handeln und vor allem konkrete Ergebnisse. Gerade weil es darum geht, die Energiewende zu einem dauerhaften gesellschaftlichen Projekt zu machen und die Gestaltung der Energiewende mit allen relevanten Akteuren voranzutreiben, können wir uns ein Verharren in den alten Gräben nicht leisten. Auch wenn wir natürlich in einer Reihe von Punkten auch zukünftig unterschiedliche Interessen und Positionen vertreten werden, können und müssen gerade bisher ungewöhnliche Formen der Zusammenarbeit das gesellschaftliche und politische Moment für den Erfolg der Energiewende verstärken.
Wie die neue Politik zu einem Erfolg werden kann: Ein Aufruf von WWF und Energiewirtschaft
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in denen vor allem technische Themen auf der Tagesordnung stehen. Doch letztlich bleiben diese Debatten fragmentiert. Die Energiewende läuft so Gefahr, zu einem technokratischen Projekt zu werden, dem die positive Resonanz in der Gesellschaft verloren geht. Es fehlt ein verbindendes Element.
Die Aufbruchstimmung, mit der vor einem Jahr alte Gräben überbrückt werden konnten, droht deshalb zu schwinden. Lagerdenken macht sich wieder breit: Bund und Länder streiten über einen gemeinsamen Weg. Wirtschaft und Zivilgesellschaft reiben sich in Konflikten auf. Singuläre Probleme werden von der Öffentlichkeit als Existenzbedrohung für die gesamte Energiewende wahrgenommen. Und nicht zuletzt wird im Ausland die Frage gestellt, ob die „German Energiewende“ ein industriepolitisches Zukunftsprojekt ist oder eher ein waghalsiges Pokerspiel.
Diese Sorge muss die Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ gehabt haben, als sie im Mai 2011 die umgehende Einrichtung eines Nationalen Fo
im ausLand wird die frage gesteLLt, ob die energiewende ein industriePoLitiscHes zukunftsProJekt ist oder ein wagHaLsiges PokersPieL.
rums Energiewende vorgeschlagen hat. Aus der Energiewende sollte ein nationales Gemeinschaftswerk werden. Es ist höchste Zeit, daran anzuknüpfen und die Fäden wieder zusammenzuführen.
gemeinscHaftswerk braucHt starkes mandat
Um solch ein Forum kraftvoll aufzustellen, braucht es ein starkes nationales Mandat mit einer echten Verankerung in Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Ein Nationales Forum Energiewende sollte deshalb durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages auf den Weg gebracht werden. Sechs Felder sollten im Fokus stehen.
Der Kompass: Dem Monitoring der Bundesregierung kommt eine wichtige Aufgabe zu. Wir wollen ihn durch offene Diskussionen transparent begleiten. So kann die Energiewende auf Kurs bleiben, auch wenn es schwierig wird.
fokus energiewende strEitfragEn 04|2012 23
02das gePLante „nationaLe forum energiewende“ kLingt äHnLicH komPLex und Herausfordernd wie die energiewende seLbst. aLLe wicHtigen akteure, interessierte und betroffene soLLen im forum zusammengebracHt werden. wie woLLen sie insbesondere der bevöLkerung die idee des forums näHerbringen und die bürger für die mitarbeit gewinnen?
HiLdegard müLLer Wir sollten die Bevölkerung nicht unterschätzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Bürger großes Interesse und Bereitschaft zeigen, sich mit der Energiewende auseinanderzusetzen. Über das Forum wollen wir ihnen dazu die Möglichkeit geben. Wir wollen die Bürger umfassend und verständlich über die Energiewende informieren. Und wir wollen den intensiven Dialog mit ihnen fortsetzen und sie an der Umsetzung der Energiewende aktiv teilhaben lassen.
regine güntHer Eine breite Verankerung der Energiewende in unserer komplexen Gesellschaft ist nun einmal eine komplexe Aufgabe. Gerade weil es um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmen für riesige Investitionen geht, um Innovationstempo in bisher ungekannter Größenordnung und vielfältige Formen der Teilhabe. Als Umweltverband erleben wir hautnah, wie groß das Bedürfnis nach umfassender Beteiligung ist. Es geht um die Bündelung von Themen und die konzertierte Suche nach fairen Lösungen.
03iHr konzePt Liegt auf dem tiscH. weLcHe konkreten scHritte foLgen Jetzt? wann kann und muss das forum – reaListiscH geseHen – an den start geHen und seine arbeit aufneHmen?
HiLdegard müLLer Unser Vorschlag liegt nun auf dem Tisch. Wir haben darin klargemacht, dass es eines starken, nationalen Mandats bedarf. Am besten ein Beschluss des Deutschen Bundestages. Ob und wie es weitergeht, liegt nun also in der Hand der Politik. Wir stehen auf jeden Fall für Gespräche zur Verfügung. Wenn der Wille da ist, kann es ganz schnell gehen.
regine güntHer Wir wünschen uns, dass das Forum spätestens direkt nach der nächsten Bundestagswahl ins Leben gerufen wird – gerne aber auch früher. Wir müssen jetzt die Zeit für breite Diskussionen über die genaue Strukturierung und die verschiedenen Beteiligungsformen nutzen.
Die Plattform: Viele Akteure arbeiten an den Herausforderungen der Energiewende. Die Resultate müssen zusammengeführt und einem breiten Publikum zur Diskussion gestellt werden.
Das gemeinsame Werk: In Hunderten Städten wird an energiepolitischen Konzepten gearbeitet. Bund und Länder streiten, noch fehlt die Einbindung in die EU. Die Energiewende aber muss in einem gemeinsamen Haus gelingen und die Arbeiten daran müssen koordiniert werden. Oft fehlt es über die konkrete Tagespolitik hinaus an Raum für Diskussionen und Austausch. Im Forum kann er gefunden werden.
Der Wegweiser: Ohne breite Akzeptanz wird die Energiewende nicht gelingen. Umweltverbände, Sachverständige und Bürgerinitiativen haben vielfach Lösungswege und optionen entwickelt. Nicht immer muss das Rad neu erfunden werden. Das Forum soll zusammenführen, um besser und schneller auch konkrete Probleme vor Ort angehen zu können.
Die Kommunikation: Das Informationsbedürfnis zur Energiewende ist immens. Fortschritte und entstandene Probleme müssen verständlich dargelegt werden. Das Nationale Forum Energiewende soll zum kompetenten Ansprechpartner werden.
Und nicht zuletzt, das Ausland: In vielen Ländern ist das Interesse an der Energiewende groß. Es gibt Zweifler und Neugierige. Es gibt jene, die ähnliche Wege suchen, und andere, die negative Auswirkungen auf ihre Energiepolitik befürchten. Die Energiewende braucht auch auf der und für die internationale Ebene einen Ansprechpartner und eine Plattform.
gemeinsamer vorscHLag von wwf und bdew
Wirklicher Dialog und wirkliche Teilhabe sind die Mittel der Wahl. Dafür werden Ressourcen gebraucht, nötig ist aber auch das Engagement vieler. Das Forum muss getragen werden von einem Mandat des Deutschen Bundestages und von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Initiativen. Als Bindeglied zur Forschung ist obendrein ein wissenschaftliches Kuratorium notwendig. Das Forum braucht Personal und Sachmittel. Es bedarf der Unterstützung durch staatliche Stellen, aber auch durch Dritte, zum Beispiel durch Stiftungen.
Mithilfe eines solchen Forums kann es gelingen, die Energiewende in der Gesellschaft zu verankern. Es wird helfen, aus interessengeleiteten Standpunkten gemeinschaftliche Impulse für eines der gegenwärtig herausragenden industriepolitischen Projekte Deutschlands zu machen. Das Forum als gemeinsamer Vorschlag von WWF und BDEW findet seine Begründung nicht nur in den Überlegungen der Ethikkommission Sichere Energieversorgung. Unser Vorschlag baut auf vielen Gesprächen auf, die wir geführt haben. Soll das Forum realisiert werden, braucht es die Unterstützung aus der Politik. Je eher, desto besser.
Erschienen in „DIE ZEIT“ am 06.12.2012
das nationaLe forum ener-giewende soLL zu einem komPetenten ansPrecHPart-ner werden.
fokus energiewende strEitfragEn 04|2012 25
gerd biLLenist Vorstand des Verbraucherzent-rale Bundesverbandes. Der Verband engagiert sich für Chancengleichheit zwischen Unternehmen und Verbrau-chern – auch bei der Energiewende.
dr. utz tiLLmanist Hauptgeschäftsführer des Ver-bands der Chemischen Industrie e.V. (VCI). Die Organisation vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von rund 1 650 Chemieunternehmen in Deutschland.
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Ist es fair, dass der Verbraucher immer mehr für Strom bezahlt, während einige Unternehmen mit hohem Energieverbrauch finanziell entlastet werden? Die steigenden Energiepreise haben eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit ausgelöst. Ein Verbraucherschützer und ein Industrievertreter begründen ihre Positionen.
Herr Billen, Herr Dr. Tillmann, wie beurteilen Sie die aktuelle Verteilung der Kosten der Energiewende zwischen Verbrau-chern und Unternehmen? Bitten wir die richtigen Leute zur Kasse?
gerd biLLen Mit der Energiewende werden Nutzen und Kosten in Wirtschaft und Gesellschaft neu verteilt. Private Haushalte stehen insbesondere bei der Verteilung der Kosten unter Druck. Da es sich jedoch um ein gesellschaftliches Projekt handelt, müssen auch die Kosten über die Gesellschaft fair verteilt werden – das ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit, um die Akzeptanz für die Energiewende nicht zu gefährden. Zurzeit können wir nicht erkennen, dass die Politik ernsthaft versucht, mehr Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen. Im Gegenteil zeigen Diskussionen um die OffshoreUmlage und das Festhalten an allen Ausnahmetatbeständen, dass private Verbraucher für die Industrie einspringen sollen.
dr. utz tiLLmann Was wir momentan erleben, ist das Resultat einer Energiepolitik, die falsche finanzielle Anreize für die Förderung erneuerbarer Energien gesetzt hat und dadurch inzwischen alle Stromverbraucher – Privathaushalte wie Unternehmen – viel zu viel Geld kostet. Dieser Systemfehler heizt die Verteilungsdebatte an. Wir sind für den Ausbau erneuerbarer Energien,
aber die Energiewende muss kosteneffizient gemanagt werden. Ohne grundlegende Reform der EEGFörderung werden wir keine Lösung finden. Die energieintensiven Unternehmen mit ihren innovativen Produkten und Lösungen sind für das gesamte Industrienetzwerk unerlässlich und müssen daher entlastet werden. Davon hängen hunderttausende Arbeitsplätze und enorme Steuereinnahmen für den Staat ab.
Herr Billen, die weitgehende Befreiung mancher Unterneh-men von der EEG-Umlage soll die internationale Wettbe-werbsfähigkeit der energieintensiven Industrie in Deutsch-land erhalten. Es geht also um Arbeitsplätze in Deutschland. Ist es nicht legitim, dass bestimmte Unternehmen von der EEG-Umlage befreit werden?
biLLen Von der EEGUmlage oder den Netzentgelten sind eine Vielzahl von Unternehmen in unterschiedlicher Höhe befreit. Mit steigenden Kosten hat es einen regelrechten Wildwuchs an Befreiungen und Ausnahmen gegeben, immer mit dem Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Wir fordern in diesem Zusammenhang eine Beweislast bei den Unternehmen: Über die Handelsintensität sollte nachgewiesen werden, wie sehr der
» energieintensive unterneHmen braucHen entLastung.«
» inDustriEpolitik ist sachE DEs staats, nicht DEr stromvEr-BrauchEr.«
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fokus energiewende strEitfragEn 04|2012 27
Betrieb von steigenden Strompreisen betroffen ist. Grundsätzlich ist Industrieförderung aber keine Angelegenheit der Stromverbraucher, sondern des Staates. Die Tatsache, dass ein Unternehmen viel Strom verbraucht oder dafür mehr zahlen muss als in anderen Ländern, ist kein Grund, dass per EEGUmlage oder durch andere Befreiungen Industriepolitik durch die Verbraucher gefördert wird. Wenn es sich um wichtige Branchen handelt, sollten diese Ausgaben aus dem Steueraufkommen bezahlt werden.
Herr Dr. Tillmann, wie viele Chemieunternehmen sind ei-gentlich von der EEG-Umlage befreit? Sind es genug? Sind es die richtigen?
tiLLmann Von der EEGHärtefallregelung profitiert nur ein kleiner Anteil der Unternehmen in der chemischen Industrie, etwa 60 Firmen an 90 Standorten – von über 2 000 Firmen. Man muss ganz klar sagen: Für diese Unternehmen sind die EEGEntlastungen notwendig. Ihr Wegfall würde das Aus für energieintensive Produktion in Deutschland bedeuten. Wertschöpfungsketten würden auseinanderbrechen mit unabsehbaren Konsequenzen auch für nicht entlastete Unternehmen sowie für den Forschungsstandort Deutschland. In der chemischen Industrie zahlt der weitaus größte Teil der Unternehmen EEGUmlage – und zwar in erheblicher Höhe. Unsere Branche hat 2012 alleine durch das EEG Zusatzkosten von 550 Millionen Euro zu schultern, 2013 werden es sogar 800 Millionen sein. Ein großer Teil davon trifft den Mittelstand.
Herr Dr. Tillmann, langfristig sollen die Erneuerbaren die Preise an der Strombörse senken – davon wird die energie-intensive Industrie profitieren. Wie lange sind Ausnahmere-gelungen für Energie-Großverbraucher noch sinnvoll?
tiLLmann Die erneuerbaren Energien wirken zunächst einmal in der Tat mindernd auf den Börsenpreis. Das erhöht aber gleichzeitig, systembedingt, die EEGUmlage, da diese immer die Differenz zwischen der Einspeisevergütung und dem Marktpreis für Strom darstellt. Gegenwärtig profitieren unsere Unternehmen vom stark schwankenden Spotmarkt nur in geringem Umfang, da sie den größten Teil ihres Strombedarfs aus Gründen der Versorgungssicherheit über langfristige Verträge decken müssen. Die sinkenden Börsenpreise haben nur einen geringen Einfluss auf solche Verträge und gleichen die heute bereits aufgelaufene EEGUmlage von 53 Euro je Megawattstunde bei weitem nicht aus. Die
EEGUmlage ist heute schon höher als die Strompreise in den meisten anderen Ländern dieser Welt. Deshalb werden energieintensive Unternehmen auch auf lange Sicht nicht ohne Umlagebefreiung auskommen.
Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutieren über ein neues Marktdesign. Sind Sie Teil dieser Diskussion? Was er-warten Sie von der Politik?
biLLen Verbraucherverbände versuchen sich, wo es geht, in die Diskussion um ein neues Marktdesign und Energiesystem einzubringen. Wir sind Teil der Arbeitsgruppen in den Ministerien und versuchen, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Dabei liegt der Fokus unserer Arbeit darauf, eine kosteneffiziente Umgestaltung des Energiesystems voranzutreiben und die Interessen der Betreiber von Kleinstanlagen in die Diskussion mit einzubringen. Im Gegensatz zu anderen Interessenvertretern sind unsere Ressourcen allerdings sehr begrenzt. Aus unserer Sicht müssen Belastungen für Verbraucher gedeckelt werden, zum Beispiel indem mehr auf die Effizienz der Energiewende Wert gelegt wird, die Ausnahmetatbestände beendet und Bund und Länder an der Finanzierung der Kosten beteiligt werden. Die Reform sollte jedoch nicht übers Knie gebrochen werden. Ein Quotenmodell beispielsweise halten wir für wenig zielführend, da es zu viele Mitnahmeeffekte kreiert und im Endeffekt sogar mehr Kosten als Nutzen bringt.
tiLLmann Keines der derzeit diskutierten Modelle löst die Gesamtheit unserer Probleme, die aus den Systemfehlern und der heute schon aufgelaufenen EEGUmlage resultieren. Daher müssen wir über die Kombination von Modellen nachdenken. Marktdesign ist dabei ein wichtiges Stichwort. Denn es muss uns darum gehen, die erneuerbaren Energien so schnell wie möglich an den Markt heranzuführen. Wenn Solar und Co. sich im Wettbewerb beweisen müssten, wäre das auch eine gute Basis dafür, dass sie in Zukunft effizienter werden. An den dafür notwendigen Innovationen arbeiten wir als Chemie intensiv mit. Was eine Gesamtlösung angeht, ist aber der Gesetzgeber gefragt. Wir können hier nur an alle Parteien appellieren, die Energiewende nicht als Wahlkampfthema zu nutzen. Dazu steht für das Industrieland Deutschland zu viel auf dem Spiel.
strEitfragEn 04|2012 fokus energiewende28
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„Dezentral oder zentral“ – was in der öffentlichen Diskussion oftmals auch gleichbedeutend war mit „Stadtwerke oder große Energieversorger“ – wie sehen Sie diese Debatte? Ist sie noch zeitgemäß?
susanne trePtow In der Vergangenheit wurde diese Diskussion geführt. Heute müssen wir feststellen, dass der Ausbau dezentraler Erzeugung, das Abschalten der Atomkraftwerke sowie die Rückführung der Strom und Gasnetze in kommunale Hände die Stadtwerke stärken.
Die Debatte ist deshalb nicht mehr zeitgemäß, denn die künftigen Herausforderungen sind enorm und fordern die Kraft aller Akteure im Energiemarkt. Gemeinsam müssen Stadtwerke, Energiekonzerne und Politik an einem Strang ziehen, um die Menschen für die HerkulesAufgabe „Energiewende“ zu begeistern. Gegenseitige Schuldzuweisungen, so wie derzeit Bundesumweltminister Peter Altmaier agiert, um auch von den eigentlichen Problemen abzulenken, sind nicht zielführend. Ich würde mir wünschen, dass wir sachlicher diskutieren, überlegter agieren und die Auswirkungen bewerten, bevor Maßnahmen umgesetzt werden. Für Deutschland steht zu viel auf dem Spiel.
Nach den Ergebnissen der diesjährigen Stadtwer-ke-Studie des BDEW wollen sich viele Stadtwerke auch künftig im Bereich Erzeugung engagieren – der Schwerpunkt liegt aber hier eindeutig auf der dezentralen Erzeugung. Ihr Unternehmen hat sich jedoch über die TOBI auch an einem großen Kraft-werksprojekt in Bremen beteiligt, was 2013 in Betrieb gehen soll – was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
trePtow TOBI ist ein StadtwerkeZusammenschluss mit dem strategischen Ziel, in die Wertschöpfungskette Erzeugung einzusteigen, um Strom und Wärme selbst zu produzieren und die Unabhängigkeit von BörsenSpekulanten und den Großkonzernen zu erhöhen. Dazu wurde im Kreis der TOBIGesellschafter eine differenzierte ErzeugungsPortfolioStrategie je nach Größe des Unternehmens oder seiner Absatzstrategie festgelegt.
Der Einstieg der TOBI war 2009 der Kauf von 20 MW OnshoreWindenergieleistung. Mittlerweile haben wir 30 MW überschritten und planen bis 2016, das WindkraftPortfolio auf 70 MW zu erhöhen.
Kommunale Versorgungsunternehmen setzen zunehmend auf eigene Erzeugung von Strom und Wärme. Mit selbst produzierter Energie aus umweltfreundlichen Anlagen gewinnen sie nicht nur Unabhängigkeit, meint Susanne Treptow, Geschäftsführerin des StadtwerkeZusammenschlusses TOBI.
» stadtwerke Profi- tieren von der energiewende.«
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susanne trePtowist Geschäftsführerin der TOBI Windenergie, der TOBI Gaskraftwerksbeteiligungs und der GWS Stadtwerke Hameln GmbH. Bei TOBI steht sie einer Kooperation von mehreren Stadt-werken im Erzeugungsbereich vor.
Die Kompensation zur Windenergie sind hocheffiziente flexible Gaskraftwerke, die bei Windflauten schnell die sichere Stromversorgung gewährleisten. Vor diesem Hintergrund erfolgte der Einstieg der TOBI in das Gaskraftwerksprojekt in Bremen. Zusätzlich waren die Einsparung von klimaschädlichem Kohlendioxid und Vermeidung von radioaktivem Atommüll aus Kernkraftwerken weitere Argumente für diese Investition.
Darüber hinaus hat jedes TOBIStadtwerk eigene Projekte wie beispielsweise KraftWärmeKopplungProjekte vor Ort, um immer mehr Energie dezentral vor Ort zu erzeugen. Die StadtwerkeMitarbeiter kennen sich aus und können über kurze Wege zu bekannten Gesichtern Maßnahmen einleiten und umsetzen. Das schafft Vertrauen, fördert die Wertschöpfung vor Ort und wirkt sich positiv auf regional agierende Stadtwerke aus.
In der öffentlichen Diskussion häufen sich aber die Klagen von Kraftwerksbetreibern, dass neue Gaskraftwerke nicht rentabel zu realisieren sind. Welche kaufmännische Logik steht hinter dem Neubau in Bremen, wie rentabel kann das Kraft-werk voraussichtlich arbeiten?
trePtow Nicht nur neue Gaskraftwerke, sondern auch ältere Gaskraftwerke sind zurzeit nicht rentabel. Der deutsche Kraftwerkspark ist veraltet, die Atomkraftwerke gehen vom Netz und flexible Gaskraftwerke sind die ideale Ergänzung zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Eine kaufmännische Logik steckt nicht dahinter, sondern die Zielsetzung, dass wir für eine nachhaltige, zuverlässige Energieversorgung einstehen. In der Vergangenheit rechneten sich Gaskraftwerke bei teuren Leistungsspitzen. Diese Leistungsspitzen werden seit einiger Zeit durch den enormen Ausbau der Photovoltaik kompensiert, so dass Gaskraftwerke zu PeakZeiten nicht mehr in dem Maße benötigt werden. Das Gaskraftwerk in Bremen hat eine andere Ausgangs lage, denn mit diesem Kraftwerk wird auch Bahnstrom mit 16 2/3 Hz erzeugt.
Welche Korrekturen wünschen Sie sich im Rah-men der Energiewende seitens der Politik?
trePtow Wir steuern derzeit auf eine fatale Entwicklung zu. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die damit verbundenen Netzerweiterungen erfordern MilliardenInvestitionen. Die Akzeptanz der Energiewende durch die Verbraucher droht zu kippen, wenn die Belastungen derart steigen, dass zukünftig die Energiepreise nicht mehr bezahlt werden können.
Insbesondere die vielen Ausnahmeregelungen sind hierbei zu kritisieren. Je weniger Kunden die Gesamtbelastungen, wie die Umlagen nach dem ErneuerbareEnergienGesetz, dem KraftWärmeKopplungsGesetz, der Umlage nach § 19 Abs. 2 StromNEV, tragen, desto höher sind die Belastungen für die verbleibenden Kunden. Des Weiteren wird der Mittelstand verstärkt die Energieeigenproduktion forcieren, um circa zwölf Cent pro Kilowattstunde für Stromsteuer, Netzentgelte, EEG, KWK und OffshoreHaftungsumlagen einzusparen.
Die fehlende Rentabilität konventioneller Kraftwerke wird die Versorgungssicherheit gefährden. Mit weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen wird marktwirtschaftliches Geschehen ausgebremst, so dass wir auf Staatsenergiepreise zusteuern. Im Endkundenbereich sind schon heute circa 50 Prozent staatliche Abgaben und Umlagen, circa 22 Prozent entfallen auf regulierte Netzentgelte und die restlichen 28 Prozent verbleiben für den Energieeinkauf und Vertriebskosten. Die künftigen Belastungen für den Ausbau der OffshoreWindenergieleistung und die damit verbundenen Netzinvestitionen sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Unseres Erachtens sind folgende Korrekturen dringend nötig: Schaffung von Rahmenbedingungen für rentable emissionsarme Kraftwerke, Reduzierung der bürokratischen Anforderungen und Auflagen, Abschaffung der Stromsteuer aufgrund der gut gefüllten Rentenkasse, Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent, eine SmartMeterGrenze von 25 000 kWh anstatt von 6 000 kWh sowie ein Verbot von dezentralen Anlagen an Standorten, an denen die Energie nicht verbraucht wird.
Es wäre wünschenswert, wenn wir schon heute mit einer ZielVision bis 2040 die Höhe der Energiekosten berechnen. Anschließend wäre zu diskutieren, wer die Belastungen tragen könnte, um auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und Gewerbebetriebe nicht zu gefährden. Nur mit einer glaubwürdigen Kommunikation kann es gelingen, die Menschen auf dem Weg in ein neues Energiezeitalter mitzunehmen.
fokus energiewende strEitfragEn 04|2012 31
Ohne Elektrizität funktioniert kein Kühlschrank, keine Supermarktkasse, kein Röntgengerät im Krankenhaus – ein längerer, länderübergreifender „Blackout“ hätte ernste Folgen. Der Autor Marc Elsberg bezweifelt, dass Deutschland auf den Ernstfall richtig vorbereitet ist.
» oHne strom stürzen wir zurück ins mitteLaLter.«
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strEitfragEn 04|2012 fokus energiewende32
Herr Elsberg, in Ihrem Roman „Blackout“ beschreiben Sie, wie Europa und die USA nach einem Hackerangriff auf die Strom-netze im Chaos versinken. Was macht uns so verwundbar?
marc eLsberg Unsere moderne Gesellschaft ist längst komplett abhängig davon, dass Systeme wie Energieversorgung und Kommunikation im Hintergrund automatisiert und reibungslos funktionieren. Tun sie das nicht, stürzen wir binnen kürzester Zeit zurück ins Mittelalter. Das finde ich eine beängstigende Vorstellung.
Sie haben für Ihr Buch intensiv recherchiert und mit vielen Experten gesprochen. Was war die wichtigste Erkenntnis?
eLsberg Unsere völlige Abhängigkeit von Strom in praktisch allen Lebenslagen war mir in diesem Umfang nicht bewusst. Bei einem größeren Stromausfall brechen ja alle Lebenssysteme unserer Gesellschaft viel schneller und umfänglicher zusammen, als wir das glauben – von der Kommunikation über Lebensmittelproduktion und versorgung bis zur Gesundheitsversorgung. Während in unserer Gesellschaft immer lauter nach Energiesparen, Energieeffizienz und Energiewende gerufen wird, elektrifizieren wir gleichzeitig unser Leben weiter. Wir kaufen einen noch größe
ren Fernseher, einen elektrischen Milchaufschäumer, Wasserkocher, Klimageräte, Luftbefeuchter, digitale Wetterstationen, müssen Computer, Laptop, iPod, iPad, Mobiltelefone aufladen, brauchen zur Waschmaschine noch einen Wäschetrockner. Ich bin nicht dagegen. Man sollte sich dessen aber bewusst sein, die Konsequenzen bedenken und an Lösungen mitarbeiten.
Die Stromnetze sind ohne Zweifel ein Teil der Infrastruktur, dessen Ausfall schwer zu verkraften wäre. Wird genügend getan, um die Energieversorgung gegen kriminelle Attacken zu sichern?
eLsberg Ich glaube: noch nicht. Bestürzt hat mich bei meinen Recherchen etwa die Tatsache, dass technische Systeme wie der intelligente Stromzähler eingebaut werden müssen, obwohl sie relativ unsicher sind. Da fragt man sich, wie es dazu kommen konnte. Erschreckend fand ich auch eine weitverbreitete Ahnungs und Gedankenlosigkeit bei vielen Verantwortlichen in führenden Positionen von Unternehmen, Behörden und Politik. Kaum jemand sieht das ganze Bild. Das beginnt sich mittlerweile zu ändern.
Hat die Arbeit am Roman Ihre Lebensweise geändert? Sind Sie besser auf einen Stromausfall vorbereitet?
eLsberg Ich habe ein paar Vorräte mehr im Haus und mir überlegt, wohin ich mich im Ernstfall wende. Nach wenigen Tagen würde ich die Großstadt verlassen. Der Autotank ist im Allgemeinen voll. Aber das ist selbstverständlich alles sehr theoretisch. Wer schon einmal in einer akuten Notsituation war, weiß, dass er dann oft anders handelt, als er es sich vorher vorgestellt hat. Und mit Energie gehe ich jetzt noch bewusster um.
marc eLsbergwurde 1967 in Wien geboren. Er war Kolumnist der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ sowie Strategieberater und Kreativdirektor in der Werbung. 2012 veröffentlichte er „Blackout“, seinen ersten Wissenschaftsthriller.
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SUPERTANK
Drive-Inn
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2 for 1
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www.lekkerland.de
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BURGER
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Ausweitung und Vermarktung von
On-the-go Food-service-Lösungen
Entwicklung von Lösungen zur
Stärkung der Kunden-treue und des
Geschäftserfolgs, z. B. durch Regalkonzepte
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01der bürgerwindPark eLLHöft Hat 2011 325 000 euro entscHädigung bekommen für strom, den der netzbetreiber nicHt abneHmen konnte. was kLaPPte nicHt?
Der Grund war die zeitweise Überlastung des Netzes. Im Dezember 2011 wurde dann eine neue Freileitung fertig gestellt, seither gibt es eine erhebliche Entlastung in der gesamten nördlichen Region. Im Jahr 2012 musste unser Windpark nur noch ganz geringfügig abgeschaltet werden. Man sieht: Netzausbau zahlt sich aus! Doch der Netzausbau muss deutlich schneller werden.
03wie Lange wird es nocH dauern, bis iHr windPark den erzeugten strom kom-PLett einsPeisen kann?
Der Windpark Ellhöft und die gesamte Region werden ihren Strom vollständig einspeisen können, sobald die neue 380KilovoltWestküstenFreileitung fertig gestellt ist. Leider dauert das Planverfahren sehr lange. Daher rechnen wir nicht vor 2019 mit einer durchgehenden Leitung bis zu den Verbrauchern im südlichen Teil der Republik. Bis dahin können örtliche Maßnahmen auf der 110KilovoltEbene hier und da für Entlastung sorgen. Durch den starken Zubau in den Jahren 2014 und 2015 wird es aber voraussichtlich wieder öfter zu Abschaltungen kommen.
02recHnet sicH die entscHädigungsrege-Lung? oder Hätten sie mit iHren wind-rädern im vergangenen JaHr meHr ver-dienen können?
Die Entschädigungsleistung ist so bemessen, dass der Schaden voll ersetzt wird. Nicht ersetzt wird der sehr hohe Aufwand, den wir betreiben müssen, um überhaupt eine Entschädigung zu erhalten. Jede Abschaltung erfordert eine Datensicherung und den Nachweis des Ausfalls. Mit dieser Aufgabe mussten wir einen Betriebsführer beauftragen, der uns über 10 000 Euro im Jahr berechnet. Außerdem mussten wir erst einmal die technischen Voraussetzungen schaffen, um die nötigen Daten zu erfassen.
04windParkbetreiber werden iHren strom nicHt Los, der netzbetreiber bezaHLt für energie, die er gar nicHt nutzt, und der verbraucHer bekommt die recHnung. was soLLte Passieren?
Zunächst einmal hoffen wir sehr darauf, dass die Politik die Entschädigungszahlungen nicht verringert. Das würde uns schwer treffen. Darüber hinaus würden wir es begrüßen, wenn Anlagenbetreiber wie wir einen zusätzlichen Bonus erhielten für den Bau von Speichersystemen. Das würde mehrere Probleme gleichzeitig entschärfen und die Energiewende merklich beschleunigen. Wir wollen hier im windreichen SchleswigHolstein saubere Energie erzeugen, exportieren und dadurch in ganz Deutschland zur Energiewende beitragen. Wir sind auch nicht zu teuer, denn wir erhalten nur etwa neun Cent pro Kilowattstunde. Der Verbraucher zahlt erheblich mehr. Wir hier im Norden können und wir wollen die Energiewende!
vier fragen an reinHard cHristiansen
reinHard cHristiansen arbeitet als Geschäftsführer mehrerer Bürgerwindparkge-sellschaften in Norddeutschland und als Versicherungs-kaufmann. Bevor er in die Energiewirtschaft einstieg, war er selbstständiger Landwirt.
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Herr Düsterdiek, wie viel Energie könnte in den Kommunen gespart werden, wenn die Gebäude konsequent saniert wür-den?
bernd düsterdiek Um genaue Aussagen zu treffen, muss man sich natürlich den Einzelfall ansehen. Es gibt aber Erfahrungswerte für Rathäuser, Schulen, Sporthallen, Kindergärten und andere kommunale Gebäude. Je nach Bausubstanz können dort die Heizkosten durch eine Sanierung um 50 bis 60 Prozent gesenkt werden – das ist ein Mittelwert.
Sehen Sie weitere Sparpotenziale?
düsterdiek Gleiches gilt für die Beleuchtung, das ist ein ganz wichtiger Bereich für eine Kommune. Die Beleuchtung von Straßen und auch Innenräumen ist zum Teil sehr veraltet. Viele Straßenlaternen stammen noch aus den Sechzigerjahren. Etwa 35 Prozent des kommunalen Energieverbrauchs entfallen auf den Bereich der Straßenbeleuchtung, so dass es sich hierbei um einen
der größten Kostentreiber in den kommunalen Haushalten handelt. Experten schätzen, dass eine Umstellung auf energieeffiziente Technik, etwa auf LEDBeleuchtung, Stromeinsparungen von bis zu 60 Prozent erzielen kann. Dazu muss man wissen, dass es in Deutschland allein neun Millionen Straßenlaternen gibt. Hochgerechnet könnten damit allein bei der Straßenbeleuchtung jährlich bis zu 300 Millionen Euro gespart werden.
Werden diese Sparpotenziale konsequent genug genutzt?
düsterdiek Das große Problem liegt darin, dass die Kommunen erst einmal eine Menge Geld in die Hand nehmen müssen, um Gebäude zu sanieren und in sparsame Technik zu investieren. Es gibt zwar Förderprogramme, etwa die Nationale Klimaschutzinitiative oder das CO2Gebäudesanierungsprogramm des Bundes. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau stellt zinsgünstige Darlehen für Sanierungsmaßnahmen bereit. Aber wir sagen: Die Fördermittel müssten deutlich aufgestockt werden. Außerdem brauchen die Kommunen größere Spielräume, um solche sinnvollen Maßnahmen über Kredite zu finanzieren.
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Bund, Länder und Gemeinden verursachen jährlich mehr als 40 Millionen Tonnen CO2Emissionen. Fast drei Viertel dieser Menge entstehen in den Kommunen. Dort könnte der Ausstoß kräftig reduziert werden, meint Bernd Düsterdiek.
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Wo hakt es denn?
düsterdiek Viele Kommunen befinden sich in der Haushaltssicherung. So gibt es beispielsweise in NordrheinWestfalen derzeit über 140 Nothaushaltskommunen, das sind annähernd 50 Prozent aller NRWGemeinden. Eine Kreditaufnahme zur energetischen Sanierung, selbst bei günstigen Konditionen, ist in derartigen Fällen schwierig. Hier wünschen wir uns – in Abstimmung mit den Kommunalaufsichtsbehörden der Länder – die erforderliche Flexibilität, rentierliche Investitionen zur energetischen Sanierung der kommunalen Infrastruktur auch tatsächlich tätigen zu können.
Es sind aber nicht alle Kommunen pleite. Wie ist die Lage dort, wo der Haushalt die nötigen Investitionen hergibt?
düsterdiek Finanziell stabile Kommunen können natürlich noch investieren und selbstständig sanieren. Die haben das vielfach auch schon getan. Aber viele der Kommunen, die finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen, können das schon lange nicht mehr. Dort wären allerdings Investitionen jetzt am dringendsten. Deshalb fordert der Deutsche Städte und Gemeindebund: Man muss auch diese Kommunen in die Lage versetzen, solche zukunftsweisenden Investitionen, die sich schnell amortisieren, vorzunehmen.
Was passiert, wenn sich am rechtlichen Rahmen und an den bisher bereitgestellten Beträgen nichts ändert?
düsterdiek Nehmen wir mal das CO2Gebäudesanierungsprogramm des Bundes mit seinen 1,5 Milliarden Euro Fördervolumen. Die Fachleute sind sich einig: Wenn wir die politisch gewoll
te Gebäudesanierungsquote von jährlich zwei Prozent erreichen wollen, dann benötigen wir ein Fördervolumen von mindestens fünf Milliarden Euro. Und dieses Geld wäre gut angelegt. Wir wissen aus den Erfahrungen mit dem Konjunkturpaket II, dass jeder geförderte Euro bis zu acht Euro an weiteren privaten und öffentlichen Investitionen auslöst. Das stützt die Konjunktur, bringt langfristig eine finanzielle Entlastung für die Kommunalhaushalte und trägt dazu bei, die Klimaschutzziele zu erreichen.
Wo liegt der Schlüssel zur Lösung?
düsterdiek Die Steigerung der Energieeffizienz ist eine der maßgeblichen Stellschrauben für das Gelingen der Energiewende. Hierbei muss aber beachtet werden, dass die Finanzierung der Sanierung keine genuin kommunale, sondern eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Bund und Länder müssen daher die Kommunen finanziell in die Lage versetzen, ihre Vorreiterrolle in diesem Bereich auch tatsächlich wahrzunehmen. Die Ausstattung der bestehenden Förderprogramme, die sicherlich in die richtige Richtung weist, gehört daher nochmals auf den Prüfstand.
bernd düsterdiekleitet das Referat Energie und Umwelt beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Der Verband repräsentiert über 11 000 kreisange-hörige Kommunen mit mehr als 50 Millionen Einwohnern.
fokus erneuerbare strEitfragEn 04|2012 37
energieHandeL und mifid: aLLes eine frage des werkzeugs?
Die EU will die Finanzmärkte zähmen und plant deshalb eine Novelle der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, kurz MiFID. Nach diesem Regelwerk würden Energieversorger und ihr Handel mit Strom und Gas wie Finanzinstitute und Finanzmarktprodukte behandelt. Was bringt das? Ein Europapolitiker und ein Branchenexperte diskutieren.
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PersPektive euroPa strEitfragEn 04|2012 39
» für strom- und gasHändLer steLLt sicH die frage, ob die HandeLstätigkeit nocH kostendeckend durcHfüHrbar ist.«
» DiE untErnEhmEn sinD BErEits tEil DEr finanzmärktE, siE sinD nur noch nicht Ent-sprEchEnD rEguliErt.«
Herr Ferber, worum geht es Ihnen bei der MiFID-Novelle? Was wollen Sie erreichen?
markus ferber Die Finanzkrise hat uns vor Augen geführt, wo wir Schwächen bei der Regulierung der Finanzmärkte haben – und diese müssen wir in den Griff bekommen. In diesem Prozess ist MiFID das Herzstück. Sie ist das Grundgesetz des organisierten Handels und mit ihr werden wir nicht nur die Vorschriften für den Verbraucherschutz verschärfen. Es geht auch um die Regulierung des Hochfrequenzhandels und Vorschriften für Drittstaaten. Außerdem stehen wir vor der Frage, welche Ausnahmen es geben darf. Meine Ansicht ist klar: Es sollte keine Generalausnahme für einen bestimmten Sektor geben.
Warum wollen Sie ein Stadtwerk, das mit Strom und Gas handelt, wie eine Bank behandeln?
ferber Wenn ein Unternehmen wie eine Bank agiert und am Handel teilnimmt, muss es auch den gleichen Spielregeln unterliegen. Ich kann aber gleichzeitig Entwarnung geben, denn Tätigkeiten, die zur Absicherung von Geschäftsrisiken dienen, sollen natürlich nicht verboten werden. Wir haben hier ausschließlich die Form von Spekulation im Blick, von der kein Mehrwert ausgeht und die zur reinen Gewinnmaximierung dient. Akteure aus der Realwirtschaft sind nicht von den MiFIDVorgaben betroffen, solange sie klar darlegen können, dass es sich bei der Handelsaktivität nur um eine Nebentätigkeit und nicht um das Hauptgeschäft handelt.
Herr Trepte, sehen Sie spekulative Aktivitäten als Geschäftsmodell im Gas- und Stromhandel?
foLker trePte Die wesentlichen betroffenen Aktivitäten im Geschäftsmodell eines Energieversorgungsunternehmens sind die Sicherung von Warenpreisrisiken und deren Optimierung innerhalb vorgegebener Grenzen. Hierbei liegt der Aktivität ein physisches Grundgeschäft zugrunde, wie zum Beispiel Kraftwerke, Bezugs und Absatzverträge. Diese Aktivitäten werden in der Branche nicht als Spekulation klassifiziert, sondern als Sicherung. Der als Spekulation anzusehende sogenannte Eigenhandel beinhaltet Aktivitäten ohne Bezug zu einem Grundgeschäft mit der Absicht, aus Marktpreisschwankungen kurzfristig eine Marge zu erzielen. Dieser Eigenhandel wird in der Praxis der meisten Energieversorger gar nicht oder in nur sehr geringem Umfang durchgeführt.
Der deutsche Energiegroßhandel ist die Erfolgsge-schichte der Liberalisierung. Wenn Unternehmen zukünftig eine Bankenlizenz für die Teilnahme am Energiegroßhandel benötigen, befürchten ei-nige Akteure den Rückzug gerade vieler kleinerer Teilnehmer. Wäre das nicht eine gravierende Be-einträchtigung des Wettbewerbs?
ferber Wir möchten mit den neuen Regeln keinesfalls Wettbewerb beeinträchtigen. Vielmehr geht es darum, faire Verhältnisse zu schaffen, indem wir ein einheitliches Spielfeld herstellen. Deshalb erarbeiten wir transparente und gleiche Vorgaben für alle Akteure auf den Finanzmärkten und gleichzeitig Ausnahmemöglichkeiten für Unternehmen, die wirklich eine reale Ware an den Mann bringen wollten. Um es noch mal zu betonen: Für die normale Geschäftstätigkeit eines Unternehmens wird keine Banklizenz erforderlich sein.
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markus ferberist Vorsitzender der CSU-Europagruppe und Mit-glied des Ausschusses für Wirtschaft und Wäh-rung im Europäischen Parlament. Er ist federfüh-rend an der Überarbeitung des Regelwerks der Finanzmarktrichtlinie MiFID II beteiligt.
foLker trePteist Partner bei der PricewaterhouseCoopers AG. Er leitet die Facharbeit des Unternehmens für die Energie-Industrie in Deutschland sowie das internationale Netzwerk „Commodity Trading & Risk Management“.
Herr Trepte, nehmen wir an, die MiFID erfordert eine Bankenlizenz, wenn Energieversorgungs-unternehmen direkt am Großhandel teilnehmen möchten. Welche Anforderungen muss das Unter-nehmen dann erfüllen?
trePte Bei der Mehrzahl der Energieversorgungsunternehmen ist der Energiehandel eine Abteilung innerhalb des Unternehmens. Da die Lizenz bezogen auf eine rechtliche Einheit erteilt wird, sollte zunächst der Energiehandel in ein Tochterunternehmen ausgegliedert werden, damit nicht das gesamte Unternehmen die Anforderungen aus einer Banklizenz erfüllen muss. Das auf Handel und Portfoliomanagement spezialisierte Tochterunternehmen muss dann ein einmaliges Antragsverfahren durchlaufen, in dem eine Vielzahl von Finanzinformationen zur Verfügung gestellt werden muss, wie zum Beispiel Finanzplanungen, Abschlüsse des Gesellschafters und konzerninterne Dienstleistungsverträge. Die fortlaufenden Anforderungen sind im Gesetz über das Kreditwesen, dem KWG, geregelt.
Was kostet das?
trePte Die einmaligen sowie die späteren laufenden Kosten sind unter Umständen erheblich. Für den erstmaligen Antrag und eine entsprechende Vorbereitung des Unternehmens muss nach unseren Erfahrungen von mindestens 500 000 Euro ausgegangen werden. Die laufenden Kosten können 100 000 Euro pro Jahr und mehr betragen.
Große Energiehändler müssten infolge der Neu-erungen ebenfalls ihr Handelsvolumen reduzie-ren, um die steigenden Kosten für das Vorhalten von Eigenkapital zu finanzieren. Welche Chancen sehen Sie für die Unternehmen in diesem neuen Umfeld?
ferber Da die Vorgaben für alle gleich sind, sind auch die Chancen für alle gleich. Aber es wird so sein, dass sich Unternehmen, und dazu zählen auch die großen Energieunternehmen, auf ihre Kernaufgaben konzentrieren sollen. Wir möchten mit unseren Vorschlägen der Realwirtschaft nicht schaden. Aber als eine
Konsequenz der Finanzkrise möchten wir eine ganzheitliche Regulierung erarbeiten, die Spielregeln für alle, die sich auf den Finanzmärkten bewegen, vorgibt.
Herr Trepte, heute gibt es schätzungsweise etwa 140 Strom- und rund 60 Gashändler in Deutsch-land. Wie viele werden dies Ende 2015 sein?
trePte Die Anzahl der Strom und Gashändler hängt neben dem wirtschaftlichen Umfeld auch von den Kosten für diese Handelstätigkeit ab. Durch die Regulierungen – nicht nur durch die MiFID, sondern vor allem durch EMIR und REMIT – werden die Kosten der Handelstätigkeit erhöht. Für kleine und mittlere Strom und Gashändler stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit noch kostendeckend durchführbar ist. Strategisch sollten dann Strukturen wie die Zusammenlegung der Einkaufs und Handelsaktivitäten mit anderen Unternehmen geprüft werden. Hierdurch kann sich die Zahl der aktiven Strom und Gashändler in Deutschland erheblich reduzieren.
Die Energiewirtschaft hatte sich bei der MiFID auf Lizenzen eingelassen. Viele Unternehmen ha-ben diese wieder zurückgegeben. Welche Vorteile sehen Sie für die Unternehmen darin, Teil des Fi-nanzmarkts zu werden?
ferber Die Unternehmen sind bereits Teil der Finanzmärkte, sie sind nur noch nicht entsprechend reguliert. Es geht hier auch weniger um die Frage, welche Vorteile ich konkret für einzelne Unternehmen sehe oder welche Vorteile sich für die Unternehmen ergeben. Denn das ist nicht das vorrangige Ziel unseres Regulierungsvorhabens. Die Frage, die allem übergeordnet ist, ist vielmehr: Wie können wir die Finanzmärkte sicher und krisenfest machen? Die Antwort Nummer eins muss hier Transparenz sein. Mit klaren Vorgaben ist es erst möglich zu erkennen, was auf den Finanzmärkten stattfindet. Das ist nötig, wenn wir künftig in der Lage sein wollen, schneller zu reagieren. Organisierter Handel, unabhängig von der Kategorie des Akteurs, soll auch an organisierten Handelsplätzen stattfinden.
PersPektive euroPa strEitfragEn 04|2012 41
Welchen Beitrag leistet der Energiebinnenmarkt zur Versor-gungssicherheit in Deutschland? Welchen Beitrag könnte er maximal leisten? Haben wir genügend Netzkapazitäten, Grenzkuppelstellen, passende Handelssysteme etc.?
inge bernaerts Marktintegration und (neue) Verbindungskapazitäten ermöglichen es, lokale Nachfragespitzen und Produktionsspitzen variabler Wind oder Solaranlagen in einem viel größeren Gebiet auszugleichen. Ohne den Binnenmarkt wäre Deutschlands Energiewende nicht durchsetzbar!
Darüber hinaus geben gut funktionierende und grenzüberschreitende Großhandelsmärkte (insbesondere DayAheadMarkt, IntradayMarkt, Markt für Ausgleichsdienste und Markt für Hilfsdienste) den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert von Strom in jedem Gebiet zu jedem Zeitpunkt an und lenken damit neue Investitionen dorthin, wo sie am wirksamsten sind. Bis 2014 werden neue Netzkodizes wesentliche Regeln für Netzbetreiber, Erzeuger, Versorger und Verbraucher europaweit harmonisieren, damit Anbieter und Nachfrager auf einem europäischen Binnenmarkt effektiver agieren können.
Dazu müssen allerdings die Netzausbaupläne der Übertragungsnetzbetreiber (TSOs) verwirklicht werden. Zurzeit führt fehlende Infrastruktur in Deutschland zu einer Überlastung von Stromleitungen auch in Nachbarländern (sogenannte „Loop Flows“) – ein kritisches Thema, bei dem Kommissar Oettinger sich selbst stark engagiert. Langfristig sind solche Probleme nur durch neue Infrastruktur zu vermeiden. Dennoch kann diese Infrastruktur letztlich nur überregional geplant werden. Hier wird die Verabschiedung und Durchsetzung der neuen Energieinfrastrukturverordnung von großer Bedeutung sein.
Die Energiepolitik in den Mitgliedstaaten wird momentan nicht wirksam koordiniert: Deutschland schaltet Kernkraft-werke ab, Frankreich nutzt sie weiter und Großbritannien plant neue Meiler. Dänemark setzt auf Wind, Polen weiter auf Kohle. Wie viel nationale Autonomie ist sinnvoll, wo ist die Grenze? Welche Risiken entstehen durch ein weiter unko-ordiniertes Vorgehen?
bernaerts Ob wir es für effizient halten mögen oder nicht: Die Entscheidung über den nationalen Energiemix ist nach EURecht Sache der Mitgliedstaaten. Allerdings ist ebenfalls klar, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Auswirkungen ihrer Energiepolitik mit den Nachbarn abzustimmen und unnötige Beeinträchtigungen des Energiebinnenmarktes zu vermeiden. Der unterschiedliche Energiemix der Mitgliedstaaten bietet auch Vorteile: Kernkraftwerke in Frankreich könnten komplementär zu den flexiblen Gaskraftwerken in Spanien sein, welche die erhebliche Wind und Solarstromerzeugung unterstützen. Eine tiefergehende Integration dieser nationalen Strommärkte und der Ausbau der grenzüberschreitenden Netzkapazität sind deshalb im Interesse beider Nachbarländer.
Klar ist aber, dass das europäische Energiesystem am Anfang eines großen Wandels steht. Mit einem tragfähigen Marktdesign kann dieser Wandel – bei niedrigeren Kosten – sehr viel wirksamer gefördert werden, als dies mit zentraler Planung oder rein auf Subventionen basierenden Reformen möglich wäre. Dieser Prozess sollte gefördert und nicht durch unabgestimmte einseitige Interventionen untergraben werden. Deshalb ist eine intensive Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und mehr Koordination und Zusammenarbeit über die Grenzen erforderlich. Um ganz klar zu sein – eine vernünftige Koordinierung stellt das Recht jedes Mitgliedstaates, über seinen eigenen Energiemix zu entscheiden, nicht in Frage. Allerdings werden aber ohne eine
» oHne den binnenmarkt wäre deutscHLands energiewende nicHt durcHsetzbar.«
Eine europaweit koordinierte Energiepolitik ist momentan Zukunftsmusik. Was heißt das für den EUBinnenmarkt für Strom und Gas? Inge Bernaerts, Referatsleiterin bei der EUKommission, erklärt Chancen und Grenzen der Integration.
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strEitfragEn 04|2012 PersPektive euroPa42
solche Koordinierung erhebliche unnötige Kosten entstehen, und gegenseitige Missverständnisse und Misstrauen durch unkoordiniertes Vorgehen können letztlich das gesamte Energiebinnenmarktprojekt gefährden.
Die Koordinierungsgruppe „Strom“, die jetzt förmlich eingerichtet wurde, bietet die Gelegenheit, gemeinsam koordinierte Lösungen für eine sichere Stromversorgung im ganzen Binnenmarkt zu finden. Mitgliedstaaten werden auch regional kooperieren müssen, so etwa in der NordseeRegion.
Die Europäische Kommission hat die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien auch nach 2020 als „no regret“-Maß-nahme identifiziert. Sonne und Wind liefern aber eine stark schwankende Einspeisung, flexible Ausgleichs- und Backup-kapazitäten werden benötigt. Kann das auf EU-Ebene gelöst werden oder sollte jedes Land solche Kapazitäten, das heißt konventionelle Kraftwerke und Speicher, vorhalten?
bernaerts Die fortschreitende Verwirklichung des Energiebinnenmarktes, sinkende Produktionskosten, die Weiterentwicklung des CO2Marktes und die wachsende Bedeutung von Erneuerbaren in der Stromerzeugung – all dies sind Gründe, Fördermechanismen ständig zu überprüfen und erneuerbare Energiequellen zunehmend in den Binnenmarkt (völlig) zu integrieren.
Nächstes Jahr wird die Kommission Leitlinien zu empfehlenswerten Verfahren und Erfahrungen mit Förderregelungen für erneuerbare Energien sowie zu deren Reform veröffentlichen. Parallel überarbeiten die Kollegen der Generaldirektion Wettbewerb die Leitlinien für staatliche Beihilfen im Bereich des Umweltschutzes dahingehend, dass sie der geänderten technologischen Landschaft und den politischen Zielen der EU im Energiesektor Rechnung tragen und gleichzeitig Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt minimieren.
Die Kommission wird sich insbesondere für kosteneffiziente Lösungen einsetzen, die die grenzüberschreitende Marktintegration fördern. Mittelfristig rechnen wir damit, dass in der Zukunft immer mehr erneuerbare Technologien ohne Subven tionen rentabel sein werden. Weil aber die Produktion von Solar und Windstrom vom Wetter abhängig ist, brauchen sie ausreichende Ausgleichs bzw. BackupKapazitäten. Die gemeinsame Nutzung von erneuerbaren Energiequellen und die Möglichkeit des gemeinsamen Zugriffs auf Ausgleichs und BackupKapazitäten ist ein klares Beispiel von den Vorteilen des grenzüberschreitenden Handels. Der Versuch, Schwankungen allein in einem Land zu bewältigen, führt selbst in einem so großen Land wie Deutschland zu unnötig hohen Kosten.
Am 15. November haben wir ein Konsultationspapier über die Angemessenheit der Erzeugung, Kapazitätsmechanismen und den Binnenmarkt für Strom veröffentlicht, das genau diese Frage betrifft. Wir stellen darin die Frage, ob und wie wir besser zusammenarbeiten können, um eine koordinierte Vorgehensweise bei der Einschätzung der erforderlichen und vorhandenen Kapazitäten im Binnenmarkt zu gewährleisten. Ich glaube, es ist sehr wichtig, zunächst einmal rationell und objektiv zu analysieren, ob und wo es eine Kapazitätslücke gibt, und – falls eine solche Lücke besteht – die Ursachen und alternative Lösungen (insbesondere grenzüberschreitende Lösungen) genau zu untersuchen.
In Deutschland werden verschiedene Modelle diskutiert, um unrentabel gewordene konventionelle Kraftwerke zur Ge-währleistung der Versorgungssicherheit in Betrieb zu halten. Die Palette der Vorschläge reicht von der staatlichen Inter-vention per Stilllegungsverbot bis zu marktwirtschaftlichen Ansätzen wie einer Strategischen Reserve oder Kapazitäts-märkten. Welches Modell favorisieren Sie? Welches würde in einem Energiebinnenmarkt am besten funktionieren?
bernaerts Kapazitätsmärkte können das Marktverhalten und Investitionsentscheidungen im ganzen Binnenmarkt erheblich verzerren. Falls sie schlecht konzipiert oder angewendet werden, können sie auch Energieeffizienzmaßnahmen oder die Anreize für eine Marktbeteiligung der Nachfrageseite untergraben.
Unsere gegenseitigen Abhängigkeiten zeigen, dass solche nationalen Eingriffe nur dann akzeptabel sind, wenn sie als notwendige und angemessene Übergangsregelungen gerechtfertigt werden können – Prinzipien, die fest im europäischen Recht verankert sind. Wie schon angedeutet, haben wir, neben einer Mitteilung über den Energiebinnenmarkt, auch eine Konsultation über die Angemessenheit der Erzeugung, Kapazitätsmechanismen und den Binnenmarkt für Strom veröffentlicht. In diesem Konsultationspapier bitten wir um Ansichten zu verschiedenen Arten von Kapazitätsmechanismen und detaillierte Kriterien, die Kapazitätsmechanismen oder ähnliche Interventionen erfüllen sollen. Die Ergebnisse dieser Konsultation werden wir zu Beginn des nächsten Jahres analysieren. Auf dieser Basis planen wir, im Sommer 2013 Leitlinien über Kapazitätsmechanismen zu veröffentlichen.
inge bernaertsleitet in der Generaldirektion Energie bei der EU-Kommission das Referat Binnenmarkt II, das sich mit den Großhandelsmärkten für Strom und Gas befasst.
» zurzeit füHrt feHLende infrastruktur in deutscH-Land zu einer überLas-tung von stromLeitungen aucH in nacHbarLändern.«
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Herausgeber BDEW BunDEsvErBanD DEr EnErgiE- unD WassErWirtschaft E. v.