44

Bediüzzaman Said Nursi - LichtSTR.de · Bediüzzaman Said Nursi Dreiundzwanzigster Blitz Abhandlung über die Natur Obwohl dies eigentlich die Sechzehnte An-merkung zum Siebzehnten

  • Upload
    others

  • View
    19

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Bediüzzaman Said Nursi

Dreiundzwanzigster Blitz

Abhandlung über die Natur

Obwohl dies eigentlich die Sechzehnte An-merkung zum Siebzehnten Blitz wäre, wirdsie wegen ihrer Bedeutung als Dreiund-zwanzigster Blitz bezeichnet. Sie vernichtetdie aus dem Naturalismus herauswachsen-de atheistische Philosophie, ohne ihr nochdie Chance zu einer späteren Renaissancezu lassen. So zertrümmert sie den Grund-stein der Verleugnung Gottes vollständig.

Hinweis

Mit dieser Abhandlung wird anhand von neun Unmöglichkei-ten, die mindestens neunzig Unmöglichkeiten beinhalten, dar-gelegt, in welchem Maße die wahre Natur des Weges, den dieGottesleugner unter den Naturalisten beschritten haben, un-vernünftig und hässlich ist und in welchem Grade sie aufAberglauben beruht. Weil aber diese Unmöglichkeiten schonin anderen Abhandlungen teilweise dargelegt wurden, könnenwir hier einige Stufen überspringen, indem wir uns ganz kurzfassen. Es steigt daher plötzlich der Gedanke auf: Wie konn-ten nur so berühmte und vernünftige Philosophen einen sodeutlichen und offensichtlichen Aberglauben annehmen undauf einem solchen Wege fortschreiten? Ja, sie konnten diewahre Natur des von ihnen eingeschlagenen Weges nicht

3

wahrnehmen. Aber die Realität dieses Weges, die Prämisseund das Resultat dieses Weges ist dergestalt, dass ich bereitbin, den Zweiflern mit ganz klaren und unwiderlegbaren Zeug-nissen ausführlich darzulegen und zu beweisen, dass eineZusammenfassung ihrer Lehre*, deren Voraussetzungen undzwangsläufige Resultate hässlich und abscheulich und demVerstande unzugänglich sind und werde dies auch am Endejeder Unmöglichkeit, die ich niederschreiben werde, darlegen.

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Es sprachenihre Gesandten: Gibt es etwa einen Zweifel an dem Schöpfer derHimmel und der Erde?« (Sure 14, 10)

4

* Der Grund für die Verfassung dieser Abhandlung ist der,dass man in besonders verletzender und besonders häss-licher Weise seine Geringschätzung der Wahrheiten desGlaubens zum Ausdruck gebracht und einen Aberglaubengenannt hat, was dem unzulänglichen Verstande nichterreichbar ist, Atheismus und Naturalismus miteinander inVerbindung gebracht und so den Qur’an angegriffen hat.Dieser Angriff entfachte im Herzen einen heiligen Zorn, diesenAtheisten heftige und fürchterliche Ohrfeigen zu versetzenund auch denen, die ihr Antlitz von der Wahrheit ab und denDoktrinen des Aberglaubens zugewandt haben; wenn auchsonst die Lehre der Risale-i Nur eine vornehme, freundlicheund milde Rede ist.

Diese ehrwürdige Ayah zeigt, in der Form einer verneinendenFragestellung, indem sie aussagt, dass es »über Gott denGerechten keinen Zweifel gibt und geben darf«, dass die Exi-stenz und Einheit Gottes ganz offensichtlich ist.

Ein Hinweis vor der Erklärung dieses Geheimnisses:

1338 (= 1917 – A.d.Ü.) bin ich nach Ankara gegangen. Ichsah, dass sich in die Überzeugung von Leuten des Glaubens,die sich des Sieges der islamischen Armee über die Griechenerfreuten, sehr schlimme atheistische Gedankengänge einzu-schleichen begannen, die sie zerstören und vergiften könn-ten. »Oh weh!«, sagte ich, dieser Drache nagt ja an den Fun-damenten unseres Glaubens. Weil diese Ayah ganz offen-sichtlich die Existenz und Einheit Gottes verständlich macht,habe ich durch sie Hilfe erhalten, aus dem Weisen Qur’an einstarkes Zeugnis entnommen und eine arabische Abhandlunggeschrieben, die geeignet ist, das Haupt des Atheismus zuspalten. Ich ließ sie in der Druckerei »Yeni Gün« in Ankaradrucken. Weil es aber nur wenige gab, die arabisch konntenund daher diesem Werk auch kaum eine Bedeutung beima-ßen, zeigte dieses doch so kurz und treffend formulierte undstarke Zeugnis leider keine Wirkung. Dieses atheistische Ge-dankengut aber entwickelte sich leider und gewann an Macht.Ich muss also zwangsläufig dieses Zeugnis erklären, soweitwie dies in türkischer Sprache möglich ist. Da einzelne Teiledieses Zeugnisses bereits in einigen Abhandlungen vollstän-dig erläutert wurden, werde ich sie hier nur kurz niederschrei-ben. Viele Zeugnisse, die sich in anderen Abhandlungen ver-streut finden, sind teilweise in diesem Zeugnis zusammenge-fasst. Jedes einzelne von ihnen kann als eines seiner Kom-

ponenten betrachtet werden.

5

* türk. Redewendung: »Die Hauptgedanken des Atheismus zuspalten.«

Einführung

Oh Mensch! Wisse, dass es fürchterliche Worte gibt, die denMund der Menschen verlassen, ohne dass sie deren Gottlo-sigkeit bemerken. Leute des Glaubens gebrauchen sie, ohnees zu wissen. Wir erklären hier drei äußerst wichtige von ih-nen.

Erstens: »Es wurde verursacht«, d.h. die Ursachen habendiesen sichtbaren Dingen ihre Existenz verliehen.

Zweitens: »Es bildete sich selbst«, d.h. es bildete sich aussich selbst heraus, entstand, erwuchs.

Drittens: »Es erfordert die Natur«, d.h. es ist natürlich, dieNatur erfordert es, bringt es zu Stande.

Ja, es gibt nun einmal ein Dasein und das kann auch nichtgeleugnet werden. Zudem gleicht jedwedes Sein einemKunstwerk, das mit Sinn und Verstand ins Dasein gerufenwurde. Überdies besteht es nicht ewig und ohne Anfang, son-dern wurde neu geschaffen. Auf jeden Fall, oh du Atheist,wirst du sagen, dass das, was hier ist, z.B. dieses Tier dadurch Ursachen der unbelebten Natur hervorgebracht wurde,d.h. dieses Sein wurde durch die Verknüpfung von Ursachenins Dasein gebracht… oder aber: Es hat sich selbst eine Formgegeben… oder aber: Es kam unter der Einwirkung natür-licher Ursachen als natürliches Ergebnis zu Stande… oderaber: Es ist ein Geschöpf aus der Kraft des Glorreichen-All-mächtigen.

Da aber dem Verstande außer diesen vier Wegen kein an-derer Weg mehr offen bleibt, steht uns, wenn wir mit absolu-ter Sicherheit beweisen können, dass die oben genanntendrei Wege nicht gangbar sind, auf einem Aberglauben beru-hen, außerhalb des Möglichen liegen, zwangsläufig und of-fensichtlich nur noch der vierte Weg als die ohne allen Zwei-

6

fel einzig sichere Lehre von der (alles bewirkenden Einheitund) Gegenwart Gottes offen.

Erste Streitfrage: Ein Geschöpf hat durch eine Verknüp-fung der Ursachen aus der unbelebten Welt Gestalt ange-nommen und ist so ins Dasein getreten. Wir wollen hier untersehr vielen Unmöglichkeiten nur drei erwähnen.

Erste Unmöglichkeit: In einer Apotheke findet man Hun-derte von Gläsern, die mit den verschiedenartigsten Substan-zen angefüllt sind. Man wolle nun aus diesen Heilmitteln einewundersame Salbe gewinnen, die lebendig sein soll! Außer-dem ist es erforderlich, aus ihnen ein wundersames lebendesHeilmittel herzustellen. Wir sind gekommen und haben in die-ser Apotheke eine große Menge dieser lebendigen Salbe undvon diesem lebenden Heilmittel gesehen. Wir haben jede die-ser Salben untersucht.

Wir haben gesehen: Jedes dieser Gläser enthält eine be-stimmte Menge, ein, zwei Gramm von diesem, drei, vierGramm von jenem, sechs, sieben Gramm von etwas anderemusw. Es wurden verschiedene Mengen unterschiedlicher Arz-neimittel verwendet. Hätte man ein Gramm mehr oder weni-ger entnommen, wäre diese Salbe nicht mehr lebensfähig,könnte ihre Wirkung nicht mehr zeigen. Und auch dieses le-bende Heilmittel haben wir geprüft. Es wurde aus jedem Glaseine ganz bestimmte Menge entnommen. Wäre es auch nurum ein Geringes mehr oder weniger gewesen, hätte das Heil-mittel seine Besonderheit verloren. Es gibt nicht nur mehr alsfünfzig verschiedene Gläser, man hat auch noch unterschied-liche Mengen von jedem Mittel verwendet, da jedes von ihnensein eigenes Maß kennt.

Ja, wäre es denn auf irgendeine Weise möglich und wahr-scheinlich, dass die aus den verschiedenen Gläsern entnom-menen unterschiedlichen Mengen dadurch zueinander ge-

7

kommen sein und sich miteinander vermischt haben könnten,dass irgendein sonderbarer Zufall oder vielleicht ein Windstoßdie Gläser umgeworfen habe, wodurch die Arzneien ausge-laufen seien und jede von ihnen sich mit dem nur allein ihr ei-genen genauen Maß zu einer bestimmten Salbe vereinigt hät-ten… Gäbe es vielleicht etwas, das ein noch größerer Aber-glaube, noch unwahrscheinlicher und absurder wäre als die-ses? Könnte ein Esel selbst eine doppelte Eselei annehmenund dann ein Mensch werden, er würde sagen: »Eine solcheIdee kann ich nicht annehmen« und davonlaufen.

So ist es also wie in diesem Beispiel: Alles, was Leben insich enthält, ist sicherlich eine solche lebendige Salbe. Undjede Pflanze gleicht einem lebenden Heilmittel, das aus vielenunterschiedlichen Substanzen zusammengesetzt ist, für dasviele spezifische Maßeinheiten angewandt wurden. Dies denUrsachen und Elementen der Natur zuzuschreiben und zu sa-gen: »Die Ursachen haben dies bewirkt« ist hundertfach wei-ter von jeglicher Vernunft entfernt, unmöglicher und absurder,als die Entstehung einer Salbe in einer Apotheke durch dasUmstürzen der Gläser.

Kurzum: Alles Lebendige in dieser großen Apotheke derWelt kann nur aus der unendlichen Weisheit, dem grenzenlo-sen Wissen und einem alles umfassenden Willen Gestalt an-nehmen, durch Urteil und Bestimmung des Urewigen-Weisen,der die Waage hält. Ein Unglückseliger, welcher sagt: »Dieshaben die Ursachen der natürlichen Elemente zu Stande ge-bracht, die taub und blind, einem Sturzbach ohne Grenzengleich dahinströmen«, ein dummer Phantast, der sagt: »Dieswunderbare Heilmittel ist ganz von selbst entstanden, da-durch, dass die Gläser umgestürzt und ausgelaufen sind.« Erspricht noch törichter als ein törichter Trunkenbold. Ja, dieserIrrglaube, diese Torheit, diese närrische Trunkenheit ist reinePhantasterei.

8

Zweite Unmöglichkeit:Wäre nicht ein jedes Ding dem Glor-reichen-Allmächtigen zuzuschreiben, welcher Ein-Einziger ist,sondern auf Ursachen aus der unbelebten Natur zurückzu-führen, dann müsste notwendigerweise bei der Entstehung al-les dessen, was da lebt, eine Vielzahl von Ursachen und Ele-menten beteiligt sein. Es ist aber ganz offensichtlich eine Un-möglichkeit, dass in dem Körper eines so kleinen Geschöpfeswie einer Mücke eine derart große Anzahl von Vektoren, dievoneinander verschieden und einander entgegengesetzt sind,in so vollkommener Ordnung, mit einer so empfindlichenMaßgenauigkeit und in so vollständiger Übereinstimmungwirksam werden, dass jeder, der auch nur so viel Bewusstseinbesitzt, wie sich im Flügel einer Mücke befindet, sagen muss:»Das ist unmöglich. Das kann nicht sein.« Ja, der winzigeLeib einer Mücke steht mit den meisten Ursachen und Ele-menten des Alls in Verbindung, ist sogar dessen Zusammen-fassung. Wären sie nicht dem Urewigen-Allmächtigen zuzu-schreiben, dann müssten diese Ursachen der unbelebten Na-tur selbst neben ihrem Körper zu finden sein, oder aber in ih-ren winzigen Leib eintreten. Ja, es wäre sogar erforderlich,dass sie in jede einzelne Facette ihres Auges eintreten, dieein verkleinertes Abbild ihres Körpers ist. Denn, wenn die Ur-sache aus der unbelebten Natur kommt, muss sie auch nebenoder in dem verursachten Objekt wirksam werden. In diesemFalle müsste man davon ausgehen, dass sie wie ein Meisterim Inneren der biologischen, chemischen und physikalischenBausteine und Grundelemente dieser winzigen Zelle arbeiten,dort, wo nicht einmal die Spitzen der Fühler einer Mücke mehrPlatz finden.

Also würde sich einer solchen Hypothese selbst noch einungewöhnlich spitzfindiger unter den Sophisten schämen.

Dritte Unmöglichkeit: Eine unverrückbare Grundregelsagt:

9

»Einheit entsteht nur aus der Einheit.«

das heißt, wenn eine Existenz Einheit besitzt, kann sie nurvon einem Einzigen, von einer einzigen Hand geschaffensein. Besonders dann, wenn dieses Ding in der so vollende-ten Ordnung seiner Existenz und mit den ihm eigenen Maßenalle Aspekte des Lebens in sich gesammelt aufzeigt, kann sieoffensichtlich nicht durch viele verschiedene Hände geschaf-fen worden sein, weil das eine Ursache zu Streitigkeiten undVerwirrungen wäre, sondern muss vielmehr von der Hand ei-nes Allmächtigen und Allweisen geschaffen worden sein. Dadieses Durcheinander verschiedener Hände in einem Durch-einander unendlich vieler lebloser Naturelemente, die – taubund blind, ohne Verstand und Bewusstsein – nicht ihre Gren-ze kennen, diese Blindheit und Taubheit von Ursachen auf un-endlich vielen grenzenlos möglichen Wegen, Verbindungenund Vereinigungen nur noch vermehrt, ist es so weit davonentfernt, noch vernünftig zu sein, wie die gleichzeitige Annah-me von hundert Unmöglichkeiten, dass diese Existenz in ihrerWohlgeordnetheit und Proportionalität und Einheitlichkeit sichdarauf stützen sollte.

Aber selbst dann, wenn wir einmal von dieser Unmöglich-keit absehen wollen, müssen sicherlich dennoch die Einwir-kungen der Ursachen der unbelebten Natur eine Angriffs- undBerührungsfläche haben. Aber diese Berührungsfläche mitden Ursachen der unbelebten Natur kann bei lebenden We-sen nur deren Oberfläche sein. Trotzdem sehen wir, dass dasInnere der Lebewesen zehnmal mehr geordnet ist als derenÄußeres, feiner gestaltet und künstlerisch noch vollendeter,obwohl es die Hände der Ursachen der unbelebten Natur

10

nicht erreichen und nicht berühren können. Obwohl die win-zigsten Pflanzen und die winzigsten Tierchen künstlerischnoch weit staunenswerter gestaltet und noch einzigartiger ge-schaffen sind als die großen Geschöpfe, hieße es, hundert-fach blind und tausendfach taub zu sein, wollte man dies star-ren, einsichtslosen, grobkörnigen, weitmaschigen, grobkalibri-gen, einander entgegengesetzten, blinden Ursachen zu-schreiben, wo doch die Hände und die Werkzeuge der Ursa-chen der unbelebten Natur in ihnen gar keinen Platz finden, jasie noch nicht einmal auch nur von außen berühren kön-nen!…

Aber es gibt noch eine Zweite Streitfrage.Sie behauptet:»Es hat sich von selbst gebildet.« Das heißt: Es ist aus sichselbst heraus entstanden.

Nun, auch dieser Satz enthält viele Unmöglichkeiten. Er istin vielfacher Hinsicht unmöglich und irrig. Um ein Beispiel zugeben, wollen wir drei von diesen Unmöglichkeiten erklären.

Erste Unmöglichkeit: Oh du hartnäckiger Leugner! DeinEgoismus hat dich so dumm gemacht, dass er dich in deinenSchlussfolgerungen dahin führt, hundert Unmöglichkeiten zu-gleich anzunehmen. Denn du existierst; und du bist nicht ein-fach ein Stückchen tote, unveränderliche Materie. Vielmehrgleichst du einer wohldurchdachten und aufs Beste konstru-ierten Maschine, die sich ständig erneuert und einem wun-dervollen Palast, der beständig renoviert wird. Die Zellen dei-nes Körpers sind zu jeder Zeit an der Arbeit. Dein Körper lebtin ständiger Beziehung mit dem All, was besonders seine Er-haltung und Funktionstüchtigkeit und was seine Fortpflanzungbetrifft, und befindet sich in einem beständigen Austauschpro-zess. Die Zellen, die in deinem Körper arbeiten, achten dar-auf, dass diese Beziehungen nicht beeinträchtigt werden unddieser Austauschprozess nicht gestört wird. Dabei gehen siemit Umsicht vor und es ist, als seien sie auf den Kosmos hin

11

ausgerichtet. Sie fassen zuerst deine Ausrichtung auf denKosmos ins Auge und erfüllen danach ihre Aufgabe. In dei-nem äußerlichen und innerlichen Wohlbefinden ziehst du ent-sprechend dieser wunderbaren Erfüllung der Aufgabe deinerZellen deinen Nutzen.

Wenn du nicht annehmen willst, dass sich die Zellen deinesKörpers wie winzige Beamte oder wie ein Heer des Urewig-Allmächtigen verhalten oder der Bleistiftspitze des Bauplan-zeichners gleichen bzw. den Punkten, die er damit macht,dann ist für jede Zelle, die in deinem Auge arbeitet, ein sol-ches Auge notwendig, welches das Ganze deines Körpersvon allen Seiten zugleich sehen kann, ein Auge, welchesauch das ganze Weltall, mit dem du verbunden bist, zu sehenvermag; man müsste ihr einen solchen Verstand verleihen wievon hundert Genien, welche deine ganze Vergangenheit unddie Zukunft kennen und begreifen müssten, die Generationenvor dir und nach dir, den Brunnen, aus dem alle deine Ele-mente hervorgegangen sind und die Quelle ihrer Versorgung.Einer von deinen Zellen, die wie du in dieser Angelegenheitnicht einen Funken Verstand besitzt, so viel Wissen und Be-wusstsein zuzuschreiben, wie sie tausend Platons nicht besit-zen, ist ein tausendfach wahnwitziger Aberglaube!…

Zweite Unmöglichkeit: Dein Körper gleicht einem einzig-artigen Palast mit tausend Kuppeln. Die Steine in jeder dieserKuppeln verharren, sich einander gegenseitig stützend, frei-tragend und ohne Säulen. Ja, dein Körper ist sogar noch tau-sendmal wunderbarer. Denn der Palast deines Körpers er-neuert sich ständig in vollendetem Regelmaß. Von Geist, Ge-müt und den Feinheiten der Seele, die unsere Bewunderungerregen, einmal ganz abgesehen, kommt jedes Organ schonallein deines Körpers einem kuppelüberkrönten Saale gleich.Die Zellen wie die Steine in dieser Kuppel, die einandergegenseitig in so vollkommener Harmonie und Ordnung stüt-

12

zen, bilden ein wunderbares Gebäude, ein überragendesKunstwerk und bezeigen gleich Auge und Zunge ein einzigar-tiges Wunderwerk der Macht.

Wären nicht alle diese Zellen Beamten gleich dem Befehldes Meisters dieser Welt unterstellt, dann müsste jede einzel-ne Zelle sowohl absoluter Herr über alle Zellen in diesem Kör-per, als auch jede einzelne ein absoluter Sklave sein; esmüsste jede einzelne der anderen sowohl gleichgestellt alsauch bezüglich ihrer Souveränität der anderen entgegenge-setzt sein; sie müsste sowohl Ursprung und Quelle all der vie-len Eigenschaften sein, die einzig dem Notwendig-Seiendenzugehören, als auch von vielen Bedingungen abhängig undan sie gebunden und zugleich auch völlig frei und ungebun-den sein. Ein solches in sich einheitliches und wohlgestaltetesGeschöpf, welches nur das Werk des Ein-Einzigen und Ge-heimnis der Einheit sein kann, unzähligen Zellen zuzuschrei-ben ist für jeden, der auch nur über ein Fünkchen klaren Be-wusstseins verfügt, ganz klar und offensichtlich eine Unmög-lichkeit; ja, das sind hundert Unmöglichkeiten.

Dritte Unmöglichkeit:Wäre dein Körper nicht gleich einerHandschrift, geschrieben mit der Feder des Urewigen-All-mächtigen, welcher Ein-Einziger ist, sondern der Natur zuge-hörig, wie von den Ursachen gedruckt, dann müssten sich indeinem Körper entsprechend der Anzahl der Zellen und Or-gane deines Körpers tausende verschiedener natürlicheGussformen gleich ineinander verschachtelten Kreisen vorfin-den. Denn wenn dieses Buch, das sich hier in unseren Hän-den befindet, eine Handschrift ist, so hat ein einziger Stift alldies geschrieben und es beruht auf der Kenntnis seinesSchreibers.

Wenn es sich dabei aber um keine Handschrift handelt, diemit einer Feder geschrieben wurde, man vielmehr sagte, essei aus sich selbst entstanden, oder die Natur habe es zu-

13

stande gebracht, dann wäre gleich wie für den Druck einesBuches eine besondere Type für jeden einzelnen Buchstabennotwendig, um es drucken zu können. So wie sich in einerDruckerei ebenso viele Typen befinden, wie es Buchstabengibt, damit die Buchstaben nachher auch in Erscheinung tre-ten können, so müssen auch an Stelle eines einzigen Stiftes,ebenso viele Typen wie Buchstaben vorhanden sein.

Ja, es kommt manchmal vor, dass sich unter diesen Buch-staben einmal ein Riesenbuchstabe befindet, in dem eineganze Seite mit einem kleinen Stift und feinen, dünnen Linienhinein geschrieben wurde, sodass für die Beschriftung eineseinzigen Buchstabens Tausende von Drucktypen notwendigwerden. Wenn sie nun aber sogar in wohlgeordneterweisemiteinander verschachtelt sind und die Gestalt deines Kör-pers annehmen, dann müssen wir für jedes einzelne Organ,für jedes einzelne Gewebestückchen entsprechend der An-zahl der einzelnen Bestandteile ebenso viele verschiedeneGussformen verwenden.

Nun denn! Wolltest du auch jetzt noch alle diese hundertUnmöglichkeiten dennoch für möglich halten und die Herstel-lung aller dieser wohlgeordneten kunstvollen Drucktypen, die-ser vollendeten Gussformen und Schreibfedern nicht wiede-rum auf einen einzigen Prototyp zurückführen wollen, dannbenötigte man für die Verfertigung dieser Schreibfedern,Gussformen und Drucktypen wiederum eine gleichgroße An-zahl Modelle dieser Schreibfedern, Gussformen und Druckty-pen. Denn auch sie wurden einmal hergestellt und auch siesind vollendete Kunstwerke, usw… das setzt sich nacheinan-der so fort…

So verstehe denn auch du! Dies ist ein Gedankengang, derin sich eine so große Zahl Unmöglichkeiten und Irrtümer mitsich bringt, wie es Zellen gibt. Oh du dickköpfiger Nichtsnutz!Schäme auch du dich… Gib deinen Irrtum auf!

14

Dritte Streitfrage: »Es erfordert die Natur«, das heißt, dieNatur macht es notwendig. Die Natur bringt das zu Stande.Siehe, diese Behauptung enthält viele Unmöglichkeiten. Umein Beispiel zu geben, erwähnen wir drei von ihnen.

Erste Unmöglichkeit: Wenn man das augenfällige undweisheitsvolle künstlerisch-kreative Schaffen, das sich in al-lem Sein, besonders aber in der belebten Natur zeigt, nichtder Feder des Bauplanzeichners und der Macht der UrewigenSonne zuschreiben, sondern von der Natur und einer Kraftableiten will, die taub und blind und ohne Verstand ist, dannmüsste man auch die Natur mit zahllosen unsichtbaren Ma-schinen und Druckereien ausstatten, damit sie jedes Ding ver-fertigen kann, oder aber stattdessen jedes Ding mit einerMacht und Weisheit ausstatten, die das All zu erschaffen undzu regieren vermag.

Denn so wie die Sonne sich in jedem Glasstückchen und injedem Wassertropfen auf der Erde widerspiegelt, so mussman auch, wollte man nicht alle diese winzig-kleinen Sonnenauf die eine einzige Sonne am Himmel zurückführen, es an-nehmen, dass alle die besonderen Eigenschaften, welche dienatürliche, erschaffene Sonne besitzt, sich in einem winzig-kleinen Glasstäubchen, in dem noch nicht einmal ein Streich-holzköpfchen Platz finden kann, zwar sichtbar klein, aber inder ganzen Tiefe der Bedeutung der Sonne verkörpern. Ja,man muss sogar entsprechend der Anzahl der Glasstäubchenebenso viele natürliche Sonnen annehmen. Genauso wie indiesem Beispiel müsste man, wollte man die Existenzen undLebewesen nicht unmittelbar auf die Erscheinung der Namender Urewigen Sonne zurückführen, in allen Existenzen, be-sonders aber in allem, was da lebt, eine Natur und eine Machtvoraussetzen, die grenzenlose Macht, unendlichen Willen,unbegrenztes Wissen und ewige Weisheit besitzt, ja sogar einGott wäre.

15

Ein solcher Gedankengang aber ist der größte Aberglaubeund Irrtum einer Unmöglichkeit, den es im Weltall gibt. EinMensch, der das Kunstwerk des Schöpfers des Alls einer vor-geblichen, belanglosen, entscheidungsunfähigen Natur zu-schreibt, zeigt damit sicherlich, dass er hundertfach tierischerals das Tier ist und ohne jeden Verstand.

Zweite Unmöglichkeit: Wenn diese überaus geordnetenausgewogenen Existenzen voll Kunst und Weisheit nicht ei-ner einzigen Person zugeschrieben werden, die unendlicheMacht und Weisheit besitzt, sondern stattdessen von der Na-tur abgeleitet werden, dann muss man voraussetzen, dassdie Natur in jedem Stückchen Erde so viele Maschinen ent-hält, wie der Anzahl aller Druckereien und Fabriken Europasentspricht, und dass dieses Stückchen Erde das Wachsenund Gedeihen von zahllosen Blumen und Früchten veranlas-sen kann, deren Quelle und Werkbank es ist. Man kann in derTat sehen, dass z.B. eine Schüssel voll Erde, die den Blumenals Topf dient, die Fähigkeit hat, aus den Samen – wie sie derReihe nach hineingeworfen werden – Form und Gestalt allerBlumen in ihrer Mannigfaltigkeit und Verschiedenartigkeit zubilden.

Wollte man dies nicht auf den glorreichen Allmächtigen zu-rückführen, dann könnten sie, fände sich nicht in dieserSchüssel voll Erde für jede einzelne Blume eine besondereunsichtbare Maschinerie der Natur, nicht in diesen Daseins-zustand treten. Denn was die Samen betrifft, so sind sie wiedie Spermien und die Eier aus der gleichen Substanz. Dennwie ein Teig bestehen sie aus einer Mischung von Wasser-stoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff, ungefügt und un-gestaltet. Wind und Wasser, Wärme und Licht; jedes von ih-nen wirkt einem Gießbach gleich in seiner undifferenziertenArt und ohne jedes Unterscheidungsvermögen auf sie ein undbringt aus dieser Erde zahllose, ganz verschiedene, überaus

16

planmäßig und kunstvoll gestaltete Blumen hervor. Es müs-sen sich also offensichtlich und zwangsläufig in der Erde, diesich in dieser Schüssel befindet, ebenso viele unsichtbareDruckereien und Fabriken winzigen Ausmaßes befinden, wieman sie sich in Europa vorstellen kann, damit sie so viele le-bendige Stoffe und tausenderlei verschiedene Textilien her-stellen können.

Da kann man also nun vergleichen, in welchem Grade dieGedanken der irrgläubigen Materialisten von der Bahn desnoch Vernunftgemäßen abgewichen sind. Siehe, wie weit die-se Törichten, Berauschten in Menschengestalt, die glauben,dass die Natur ein Erfinder sei und von sich selbst behaupten,dass sie Wissenschaftler und Männer von Verstand seien,sich von Verstand und Wissenschaft entfernt haben und wasfür einen hochkomplizierten und auf gar keine Weise mög-lichen Aberglauben sie sich selbst als Weg ausgesucht ha-ben!

Sobald man sagt: Man kann alles Sein auf die Natur zu-rückführen, entstehen derart merkwürdige Unmöglichkeiten,Probleme im Grade einer Negation. Wenn man aber das Seinder Persönlichkeit des Einen zuschreibt, der nichts und nie-mandes bedarf und dessen alle und alles bedarf, wie wirddann wohl diese Problematik gelöst? Wie kann man eineSchwierigkeit, die einer Unmöglichkeit gleich kommt, in eineLeichtigkeit umwandeln, die an Zwangsläufigkeit grenzt?

Antwort: Im Falle der ersten Unmöglichkeit zeigt z.B. dasPhänomen der Sonneneinstrahlung mit vollkommener Leich-tigkeit und ohne alle Schwierigkeiten vom kleinsten Stäub-chen bis zur Oberfläche des größten Meeres seine Fülle undseine segensreiche Wirkung ganz einfach in den kleinen Son-nen, die sich widerspiegeln. Wollte man aber von der Sonneabsehen, dann müsste man, trotz einer bis zum Grade derNegation reichenden Komplikation es für möglich halten, dass

17

die Sonne in den Dingen selbst reale Gestalt angenommenhabe. Führt man in dieser Weise alles Sein unmittelbar auf diePersönlichkeit des Einen, der nichts und niemandes bedarfund dessen alle und alles bedarf, zurück, dann kann auch al-les Sein alles das, was es benötigt mit der an Zwangsläufig-keit grenzenden Leichtigkeit und Automatik auf Grund diesesPhänomens und kraft dieser Verbindung von ihm erlangen.Wollte man aber von dieser Verbindung absehen und diesesDienstverhältnis in Führerlosigkeit verkehren und alles Seinder eigenen Führung und der Natur überlassen, dann müssteman trotz hunderttausender Probleme und Komplikationenbis zum Grade einer Negation, notwendigerweise annehmen,dass die blinde Natur eine solche Macht und Weisheit besitzt,das All zu erschaffen und zu regieren und im Körper eines Le-bewesens wie z.B. einer Mücke, die eine verkleinerte Inhalts-angabe des Alls darstellt, diesen Körper gleich einer wunder-baren Maschine erschaffen habe. Dies aber ist nicht nur eineUnmöglichkeit, dies sind vielmehr tausend Unmöglichkeiten.

Kurzum: So wie es unmöglich und ausgeschlossen ist,dass der Notwendig-Seiende in Seiner Person einen Teilha-ber oder Gegenpol habe, ebenso ist es unmöglich und aus-geschlossen, dass Er in Seiner Herrschaft und bei der Er-schaffung eines Dinges einen anderen als Teilhaber oder Mit-wirkenden habe.

Was aber die Schwierigkeit der zweiten Unmöglichkeit be-trifft, so wurde bereits in verschiedenen Abhandlungen bewie-sen, dass das, was für ein einziges Ding leicht ist, ebenso füralle Dinge einfach wird, wenn man alle Dinge dem Einzigenund Alleinigen zuschreibt. Führt man sie aber auf die Ursa-chen und auf die Natur zurück, so wird das nicht nur für einDing, sondern auch für alle Dinge zur Schwierigkeit, was wirbereits mit verschiedenen unwiderlegbaren Zeugnissen be-wiesen haben. Eine kurze Zusammenfassung eines solchen

18

Zeugnisses ist Folgendes:

Wenn ein Mann als ein Soldat oder als ein Beamter in sei-nes Königs Diensten steht, dann vermag dieser Beamte oderdieser Soldat auf Grund dieses Dienstverhältnisses hundert-tausendmal mehr zu leisten als auf Grund seiner persönlichenBefugnisse. Und im Namen seines Kaisers kann er zuweilensogar einen König gefangen nehmen. Denn für die Leistun-gen, die er erbringt und die Tätigkeiten, die er ausführt, ver-schafft er sich Vollmacht und Ausrüstung nicht selbst undbraucht sie sich auch nicht selbst zu verschaffen… Auf Grundseines Dienstverhältnisses übernehmen die königlicheSchatzkammer, das Lagerhaus und das Heer, das für seineVersorgung zuständig ist, Ausrüstung und Verantwortung.Das heißt, dass die Werke, die er vollbringt, voll Majestät seinkönnen wie die eines Königs und die Leistungen, die er zeigt,so wundervoll sein können wie die eines Heeres.

Auf diese Weise zerstört eine Ameise auf Grund ihresDienstverhältnisses den Palast des Pharao… richtet eine Mü-cke in diesem Auftrage Nimrod zu Grunde… und aus diesemVerhältnis erwachsen dem Samenkorn eines Tannenbaumes,klein wie ein Weizenkorn, alle Äste und Zweige einer riesigenTanne*.

19

* Ja, wenn diese Verbindung gegeben ist, bekommt dieserSame einen Befehl von der Bestimmung Gottes, bringt solchewundervollen Werke hervor. Wollte man aber von dieserVerbundenheit absehen, so erforderte die Erschaffung einessolchen Samens eine noch weit größere Kunstfertigkeit, nochweit mehr Anlagen und Fähigkeiten als die Erschaffung einerriesigen Tanne. Denn dann müssten sich ja alle dieEigenschaften und Fähigkeiten der Tanne, die ein Werk derMacht ist und sich auf dem Berge verkörpert in diesem Baum,der in dem Samenkorn verborgen ist, das ein Werk der

Wenn diese Verbindung aufgehoben und dieses Dienstver-hältnis gelöst wird, muss er zur Durchführung dieser Arbeitendie Verantwortung auf seinen Schultern tragen und sich dieAusrüstung auf den eigenen Rücken laden. Dann müsste erseine Arbeit nach Maßgabe seiner winzigen Fäuste und nachAnzahl der Munition auf seinen Rücken laden. Wollte mandann noch von ihm erwarten, dass er seine Pflichten und Auf-gaben mit der gleichen spielerischen Leichtigkeit ausführe wiezuvor, dann müsste er sicherlich die Kraft eines Heeres in sei-ner Hand halten und sich die königliche Rüstungsindustrie aufseinen Rücken laden. Selbst die Moritaten und Bänkelsänger,die Gaukler und Komödianten würden sich dergleichen Phan-tastereien schämen!…

Kurzum: Führt man alles Sein auf den Notwendig-Seiendenzurück, dann ist alles mit zwangsläufiger Folgerichtigkeit einLeichtes. Es aber vom Aspekt der Natur her zu betrachten, istbis zum Grade der Negation kompliziert und liegt außerhalbder Reichweite des vernünftigen Denkens.

Dritte Unmöglichkeit:Zwei Beispiele, die in einigen Abhand-lungen erläutert worden sind, zur Erklärung dieser Unmög-lichkeit.

Erstes Beispiel:In ein Schloss, das in einer menschenleerenWüste erbaut und errichtet und mit allem Komfort der Zivilisa-tion eingerichtet und ausgestattet wurde, tritt ein völlig unzivi-lisierter Mensch ein, sieht sich darin um… erblickt darin tau-sende überragender Kunstwerke… sagt in seinem Mangel anBildung und Zivilisation: »Von außen hat keiner daran mitge-

20

Bestimmung ist, wiederfinden. Denn die Fabrik, welche die-sen riesigen Baum hergestellt hat, ist dieses Samenkorn. Derdurch die Bestimmung in ihm enthaltene Baum wird durch dieMacht nach außen hin sichtbar und nimmt die Gestalt einerTanne an.

wirkt. Eines von den Dingen in diesem Schloss hat diesesSchloss erschaffen und alles, was sich darinnen befindet.«

Und er beginnt es zu durchforschen. Welches Ding er auchimmer betrachtet… auch sein primitiver Verstand vermag keinDing zu erblicken, das dies alles erschaffen haben könnte.Dann findet er ein Heft, in dem der Bauplan dieses Schlosses,ein Inhaltsverzeichnis seiner Einrichtung und die Gesetze sei-ner Verwaltung niedergelegt sind. Zwar hat auch dieses Heft,ohne Hände, ohne Augen, ohne einen Hammer so wenig wiedie übrigen Dinge in diesem Schloss irgendeine Fähigkeit, eseinzurichten und auszustatten. Er findet aber keinen anderenAusweg und weil er sieht, dass dieses Heft im Vergleich mitden anderen Dingen im Hinblick auf die Lehre von den Ge-setzen der Wissenschaft in Beziehung zu dem Gesamt desSchlosses steht, sieht er sich gezwungen zu sagen: »Da alsoist das Heft, das dieses Schloss erbaut, eingerichtet und aus-gestattet hat und das diese Dinge erschaffen, verteilt und be-festigt hat.«… So wandelt er seine Primitivität in die Phanta-stereien der Toren und Trunkenbolde um…

Nun tritt also wie in unserem Beispiel ein primitiver Mensch,getragen von dem Gedanken des die Gottheit leugnendenNaturalismus, in dieses Schloss der Welt, das noch in unend-lichem Maße besser geordnet und vollkommener ist als dasSchloss in unserem Beispiel und allseits voll wunderbarerWeisheit. Er denkt nicht, dass dies ein Kunstwerk des Not-wendig-Seienden ist, der in Seiner Person außerhalb des»Kreises der Möglichkeiten« (= die geschaffene Welt) ist undwendet sich von Ihm ab und wendet sich stattdessen dem Ko-dex der göttlichen Gesetze und dem Katalog der Kunstwerkedes Herrn zu, der Tafel innerhalb des »Kreises der Möglich-keiten«, welche vom göttlichen Geschick beschrieben undwieder abgewischt wird, dem Buch über die Ausführung derGesetze der göttlichen Macht, auf Grund dessen alles ver-

21

wandelt und neu gestaltet wird und das man so fälschlicherWeise »Natur« nennt. Und er sagt: »Da nun einmal diese Din-ge nach einer Ursache verlangen, gibt es außer diesem Heftkein Ding, das zu ihnen in Beziehung stünde. Zwar akzeptiertder Verstand in keiner Hinsicht, dass dieses Heft ohne Auge,ohne Verstand, ohne Macht die Werke der vollkommenenHerrschaft zu Stande bringen könnte, die eine grenzenloseMacht erfordern. Da ich aber nun einmal einen urewigenSchöpfer nicht akzeptiere, glaube ich, dass es das Beste wä-re, zu sagen, dass dieses Heft dies alles erschaffen hat underschaffen kann.« Wir aber sagen dagegen:

Oh du dummer Trunkenbold, der du noch dümmer bist alsein dumm gewordener Dümmling! Ziehe deinen Kopf aus demSumpf der Natur und sieh dich um! Blicke auf den glorreichenMeister, den alles, was da ist von den Atomen bis hin zu denPlaneten, mit so vielen verschiedenen Zungen bezeugt undauf den sie mit ihrem Finger hinweisen… Siehe, wie der Ur-ewige Architekt in diesem Schloss, das Er geschaffen und indiesem Heft, in das Er sein Programm hineingeschrieben hat,sichtbar wird… Lies Seinen Erlass! Höre Seinen Qur’an!..Rette dich vor deinen Phantastereien!

Zweites Beispiel:Ein völlig unzivilisierter Mensch betritt ei-nen ausgedehnten Kasernenhof. Er sieht, wie ein ganzes,großes, wohlgeordnetes Heer gemeinsam exerziert und alleBewegungen diszipliniert durchführt. Er beobachtet, wie aufdie Bewegung eines Soldaten hin ein ganzes Bataillon, eineKompanie, ein Zug aufsteht, sich setzt, auf einen Feuerbefehlhin Feuer gibt. Weil er in seinem primitiven, unkultiviertenDenken nicht begreift, dass hier ein Kommandeur auf Anwei-sung der Regierung und nach königlichem Gesetz komman-diert und weil er das leugnet, stellt er sich vor, diese Soldatenseien durch ein Seil miteinander verbunden. Er denkt sich,was für ein wundersames Seil doch dieses vorgebliche Seil

22

sein müsse, ist erstaunlich. Danach geht er wieder…

Er geht an einem Freitag in eine riesengroße Moschee,ähnlich der Hagia Sophia. Er wird Zeuge, wie die Gemeindeder Muslime auf das Wort eines Mannes hin aufsteht, sichverneigt, sich zu Boden wirft und sich setzt. Weil er die Scha-riah, die aus einer Sammlung geistiger, himmlischer Gesetzebesteht und die inneren Prinzipien, die den Weisungen desHerrn der Schariah zugrunde liegen, nicht begreift, stellt ersich vor, dass handfeste Seile diese Gemeinschaft gebundenhätten und diese seltsamen Seile sie gefangen hielten undtanzen ließen. Er verlässt die Moschee mit solchen Gedankeneines Gauklers, wie sie selbst wilde Tiere in der Gestalt wil-dester Menschen zum Lachen gebracht hätten und geht da-von…

Genauso also wie in diesem Beispiel betritt ein Irrgläubiger,der das gottleugnende Gedankengut der Naturalisten vertritt,welches eine reine Grausamkeit ist, diese Welt, welche für un-zählige Soldaten ein ausgedehnter Kasernenhof des Sultansvon Ewigkeit zu Ewigkeit und den Kosmos, der eine wohlge-ordnete Moschee des Ewig-Angebeteten ist. Er stellt sich dieunsichtbaren, kosmischen Gesetze, welche Anordnungen desewigen Sultans sind und Seiner Weisheit entstammen nur alseinzelne, rein äußerliche Gesetze der Materie vor. Er ver-meint, dass die theoretischen Gesetze der Herrschaft des Kö-nigs, die Naturgesetze des Ewig-Angebeteten, die unsichtba-ren, nur den Wissenschaftlern bekannten Sitten- und Moral-gesetze und alle Prinzipien nur eine äußerliche praktische Be-deutung hätten. Er setzt an Stelle der göttlichen Macht undden aus Seinem Wissen und Wort kommenden und nur denWissenschaftlern vertrauten Gesetzen nur die natürlichen undmenschlichen Gesetze ein, legt in ihre Hände die Erschaffungder Welt und bezeichnet sie sodann als »Natur«. Er nimmt an,dass die Kraft, welche nur eine Erscheinung der Macht des

23

Herrn ist, selbst eine Macht besäße und aus sich selbst zu al-lem im Stande sei*. Das alles aber bezeugt eine Primitivitätdes Denkens noch tausendmal simpler als die Primitivität inunserem Beispiel.

Kurzum: Das Ding, das die Naturalisten »Natur« nennenund das nur in ihrer Vorstellung, aber nicht in der Realität exi-stiert, kann bestenfalls und wenn es eine äußerliche Realitätbesitzt, nur ein Kunstwerk aber kein Künstler sein. Es ist eineDekoration, aber nicht der Dekorateur. Es ist ein Rechts-spruch aber kein Richter. Es ist ein Naturgesetz, aber nichtder Gesetzgeber. Es ist ein erschaffenes Ehrenkleid, abernicht der Schöpfer*. Es ist ein reagierendes Objekt und keinagierendes Subjekt. Es ist ein Kodex von Gesetzen, nicht sei-ne durchführende Instanz. Es verfügt selbst über keine Macht.Es ist eine Lineatur und nicht das Lineal…

24

* Bediüzzaman gibt hier eine so kurz gefasste Zusammen-schau der Gesetze, dass ihre Übersetzung mit einem einzi-gen deutschen Wort unmöglich wird. Wir bringen deshalb hiereinen kurzen Kommentar.

1. Kavanin-i itibariye: Unsichtbare, nicht unmittelbar wirk-same Naturgesetze, welche den Wissenschaftlern eine Be-schreibung des Kosmos ermöglichen. Hierher gehören z.B.die Vermessung der Erde und ihre Längen- und Breitengrade.

2. Scheriat-i fitriye-i kübra: Die sichtbaren, unmittelbarwirksamen Gesetze. Sie werden in der Natur als Naturgeset-ze wirksam und erweisen sich unter den Menschen z.B. alsGottes Hilfe in Not.

3. Ahkam: Gebote, die Gott den Menschen befohlen hat,z.B. beten, fasten, Almosen geben sowie menschlicheGesetze, z.B. das Strafrecht und das Zivilrecht.

4. Düstur:Unsichtbare, aber sehr wohl wirksame Gesetze.Es sind dies in der Natur die Formeln zur Berechnung in der

Kurzum: Da es nun einmal eine Schöpfung gibt und da diesauch schon einmal am Anfang der Sechzehnten Anmerkunggesagt wurde, kann man sich logischerweise über die vierWege hinaus keinen weiteren Weg mehr vorstellen, wie alldas, was da ist, ins Dasein gelangt sein könne. Von diesenvier Aspekten haben sich drei – jeder von ihnen auf Grunddreier Unmöglichkeiten – mit absoluter Sicherheit als Aber-glaube erwiesen. Dadurch ist mit absoluter Sicherheit derWeg der Einheit als der vierte Weg sicherlich zwangsläufigund offensichtlich bewiesen. Was aber den vierten Weg be-trifft, so zeigt die Ayah

»Gibt es etwa einen Zweifel an Allah dem Schöpfer der Himmel undder Erde?« (Sure 14, 10)

25

Mathematik, Physik, Chemie usw., z.B. Formeln zur Berech-nung von Zeit, Raum, Materie, Energie usw. Im menschlichenZusammenleben sind es Grundsätze, Prinzipien und Leitmo-tive, z.B. alle Menschen sehnen sich nach dem Licht.

5. a) Ilim: Das Wissen Gottes über alle Dinge.

b) Kelam:Das Wort, das Gott an den Menschen richtet,z.B. im Qur’an.

c) Vücud-u ilmi = Der Lehrkörper: Das Wissen, überdas die Gelehrten unsichtbar verfügen, weil es für dieAußenstehenden nicht sichtbar ist, z.B. die Gesetze desRechtsgelehrten, die gültig und wirksam, aber nicht offen-sichtlich sind. (A.d.Ü.)

* Gott verhüllt sich hinter Seiner Schöpfung wie hinter einemSchleier. Die Menschen, welche Gott hinter diesem Schleiernicht zu erblicken vermögen und Seine Ehre nicht zu würdi-gen wissen, werden von Seiner Natur wie von einemEhrenschild zurückgewiesen.

ohne Zweifel und Verdacht, dass die Persönlichkeit der not-wendigen Existenz Gott ist und dass alle Dinge unmittelbaraus Seiner Macht hervorgehen und die Himmel und die ErdeIhm zur Verfügung stehen.

Oh du armseliger Mensch, der du deine Zuflucht zu den Ur-sachen nimmst und die Natur anbetest! Es ist nun einmal je-den Dinges Wesen genauso erschaffen wie das Ding selbst.Es ist ein Werk, das der Künstler erst neu gestaltet hat… Auchsein Ergebnis wurde gebildet gleich wie seine Ursache. Undes bedarf nun einmal zur Schaffung jeden Dinges sehr vielerGeräte und Werkzeuge. Es gibt also einen absoluten All-mächtigen, der diese Natur gemacht und diese Ursache er-schaffen hat. Und warum sollte der vollkommene Allmächtigedas Bedürfnis haben, solche ohnmächtigen Elemente bei derErschaffung zu Partnern Seiner Herrschaft zu machen?! Gottbehüte! Er hat das Ergebnis unmittelbar zusammen mit derUrsache erschaffen. Er hat diese Anordnung und Reihenfolgein diesem offensichtlichen Kausalitätsverhältnis verfügt, umdas Aufscheinen Seiner Namen und Seine Weisheit zu erwei-sen. Er hat Ursachen und Natur zu einem Schleier vor SeinerMacht gestaltet, damit man sich an diese wenden und bei ih-nen nachsuchen könne, wenn in den Dingen offensichtlich un-heilvolle Fehler und Mängel auftreten. Auf diese Weise bleibtSeine Würde unangetastet.

Ist es für einen Uhrmacher etwa leichter, für eine Uhr Zahn-räder zu verfertigen, um sie danach in die Uhr in Reih’ undOrdnung einzufügen… oder ist es etwa leichter, in dieseZahnräder eine wundersame Maschine einzubauen und da-nach die Herstellung dieser Uhr den Händen einer solchenautomatischen Maschine zu übergeben, damit sie eine Uhrherstellen solle? Wäre dies etwa nicht außerhalb der Mög-lichkeiten? Also auf, du, wenn du noch recht und billig zu den-ken vermagst… sei du der Richter!

26

Oder es habe ein Schreiber Tinte, Feder und Papier gebracht.Wäre es leichter, wenn er nun selbst dieses Buch schriebe…oder sollte er innerhalb des Papiers, der Tinte, der Feder ein-zig für dieses eine Buch noch mühsamer eine eigene Schreib-maschine erfinden, noch kunstvoller als dieses Buch, und da-nach zu dieser Maschine, die kein Bewusstsein hat, sagen:»Los! Nun schreib ‘mal!« und sich selbst nicht weiter darumkümmern? Wäre das etwa nicht hundertmal schwieriger alsdas Schreiben selbst?

Wollte man sagen:Ja, eine Maschine zu erfinden, die einBuch schreiben kann, ist hundertmal schwieriger als diesesBuch. Aber wäre es nicht vielleicht doch eine Erleichterungunter dem Aspekt einer Maschine, die von dem gleichen Buchviele Exemplare schreiben kann?

Antwort: Der urewige Künstler hat in Seiner grenzenlosenMacht in den Dingen ihr eigenes Wesen und Antlitz erschaf-fen und erneuert jederzeit das Aufscheinen Seiner Namen,um wieder eine andere Form zu zeigen, sodass kein Brief desUnwandelbaren und kein Buch des Herrn irgendeinem ande-ren Buche gleich wäre. In jedem Falle wird Er, um wieder an-dere Bedeutungen zum Ausdruck zu bringen auch wieder einanderes Antlitz wählen. Wenn du Augen hast, betrachte dasmenschliche Antlitz und siehe: Von Adams Zeiten bis heute, javielleicht in Ewigkeit steht absolut sicher fest, dass jedes Ant-litz in Anbetracht der Antlitze aller jedem Einzelnen gegenüberein Unterscheidungsmerkmal aufweist und dabei in diesemkleinen Antlitz die Grundelemente übereinstimmen. Deshalbist jedes einzelne Antlitz ein anderes Buch. Schon die künst-lerische Gestaltung erfordert einen unterschiedlichen Schrift-satz, eine andere Gestaltung des Buches, eine andere Abfas-sung des Textes. Auch um das Material zusammenzubekom-men und alles an den rechten Ort zu bringen, als auch um al-les für den Körper notwendige richtig einzusetzen, benötigt

27

man ein ganz und gar anderes Atelier.

Nun ja, wir haben einmal den unmöglichen Fall angenom-men, die Natur unter dem Aspekt einer Druckerei zu betrach-ten. Eine solche Druckerei hätte aber außer der Aufgabe, dieTexte zu setzen und zu drucken, d.h. in eine gefertigte Guss-form zu bringen, auch noch die Aufgabe, die dazu benötigtenBestandteile in dem ihnen eigenen Maße von den Enden derWelt zusammenzubringen, nach einem besonderen Systemzu verarbeiten und dann dem Druckvorgang anzuvertrauen,wobei die Herstellung des Drucksatzes noch hundertmalschwieriger wäre als die Verarbeitung der Materie für den Kör-per eines Lebewesens. Für all das aber ist wiederum dieMacht und der Wille eines vollkommen Allmächtigen erforder-lich, der diese Druckerei erschaffen hat. Das aber heißt, dassdie Annahme einer solchen Druckerei und ihrer Vorausset-zungen ein ganz und gar unsinniger Aberglaube ist.

So also hat, wie in diesem Beispiel mit der Uhr und demBuch, der glorreiche Meister, der aller Dinge Mächtige, der dieUrsachen erschaffen hat, auch das Verursachte erschaffen.Er verbindet in Seiner Weisheit das Verursachte mit den Ur-sachen. Er bestimmt mit Seinem Willen die Natur der Dinge,deren Erscheinung nur ein Spiegelbild und eine Reflexion derGesetze in den Dingen ist, ein Spiegelbild der großen Natur-gesetze Gottes, die ein Ausdruck der Werke Gottes im Alltagsind und mit den Geschehnissen im Kosmos im Zusammen-hang stehen. Er hat in Seiner Macht den Bauplan für die Na-tur erfunden, dementsprechend sie ihre äußere Gestalt zeigtund die Dinge dieser Naturanlage entsprechend erschaffen…So hat Er beides (Bauplan und Ausführung) miteinander ver-bunden… Ja, gibt es denn etwas noch Einfacheres als dieseAnnahme einer solchen Tatsache, die doch in einem solchenGrade verstandesgemäß und das Ergebnis zahlloser Be-weise ist… Ja, ist das denn nicht im Grade einer Notwendig-

28

keit sogar erforderlich?

Wäre es leichter, diese primitiven äußeren Gegebenheiten,ohne Einsicht und Bewusstsein, geschaffen und geprägt wiesie sind, die du als Ursachen und Natur bezeichnest, mit allenfür das Zustandekommen eines Dinges notwendigen Gerätenund Werkzeugen zu versehen, damit sie selbst ganz alleinemit Umsicht und Weisheit die Dinge verfertigen? Wäre diesnicht bis zum Grade einer Negation außerhalb des Mög-lichen? Wir überlassen dies deinen unklaren Vorstellungenzur Klärung!

Der Gottesleugner und Naturanbeter sagt: Da du michnun schon einmal zu Klarheit und Einsicht einlädst, sage auchich: ich habe eingesehen, dass ich bis jetzt einen falschenWeg eingeschlagen hatte, der sowohl hundertfach unmöglichwar, als auch sehr gefährlich und im äußersten Grade häss-lich. Aus Ihren obigen kritischen Betrachtungen wird ver-ständlich für jeden, der auch nur einen Funken Verstand be-sitzt, dass es unmöglich und unvorstellbar ist, die Schöpfungden Ursachen und der Natur zuzuschreiben. Und jedes Dingunmittelbar dem Notwendig-Seienden zuzuschreiben, ist not-wendig, ja zwangsläufig. »Lobpreis und Dank sei Allah für denGlauben!«, sage ich und nehme den Glauben an.

Aber ich habe noch einen Zweifel. Ich akzeptiere es, dassGott der Gerechte der Schöpfer ist. Aber was schadete esSeiner Königsherrschaft, wenn ein paar winzige Ursachen beider Erschaffung unbedeutender Dinge beteiligt wären und da-bei ein wenig Lob und Preis gewönnen? Würde dies SeinemKönigtum Abbruch tun?

Antwort: Wie wir in einigen Abhandlungen ganz klar be-wiesen haben, besteht das besondere der Herrschaft darin,eine Beteiligung an ihr zurückzuweisen. Ja, noch nicht einmalein unbedeutender Herrscher, ein Beamter, wird eine Beteili-

29

gung seines Sohnes an den Herrschaftsaufgaben dulden. Ei-nige fromme Herrscher haben sogar ihre eigenen Kinder um-gebracht in dem Verdacht, dass diese sich an ihrer Herrschaftbeteiligen wollten; und das obwohl sie sogar Kalifen waren.Dies beweist, wie grundsätzlich das »Gesetz von der Ableh-nung einer Teilhaberschaft« an der Herrschaft gilt. Angefan-gen bei dem Erscheinen zweier Direktoren in einer Provinzbis hin zu dem Auftreten zweier Könige in einem Reich, zeigtes sich, dass »das Gesetz von der Ablehnung einer Teilha-be«, welches das Erfordernis der Unabhängigkeit in der Herr-schaft ist, seine Macht in der Geschichte der Menschheitdurch sehr seltsame Wirren erwiesen hat.

Siehe in welchem Grade diese, wenn auch nur schatten-haften Weisungs- und Herrschaftsbefugnisse unter schwa-chen und hilfsbedürftigen Menschen jegliche Teilhaberschaftzurückweisen, die Beteiligung anderer ablehnen und einePartnerschaft in der Herrschaft nicht anerkennen und danachstreben, mit einem schrankenlosen Fanatismus ihre Unab-hängigkeit im Amt zu bewahren; und wenn du dann verglei-chen kannst, in welchem Grade bei einer vollendeten Herr-schaftsbefugnis, bei der Herrschaft Gottes, in welchem Gradebei einer vollendeten Weisungsbefugnis, der der ErhabenheitGottes, in welchem Grade bei einer vollendeten Unabhängig-keit, bei der Einheit Gottes, in welchem Grade bei einer voll-endeten Autarkie, bei der Allmacht Gottes, Ihm, dem Glorrei-chen, diese Ablehnung einer Beteiligung, diese Zurückwei-sung einer Partnerschaft, diese Abwehr einer Teilhaberschaft,in welchem Grade dies bei einer solchen Herrschaft notwen-dig, zwangsläufig und unentbehrlich ist, dann vergleiche dies!

Aber es ist noch ein Zweiter Punkt, über den ich im Zwei-fel bin:

Wollte man den Ursachen, einigen Winzigkeiten etwas gött-liche Verehrung zuwenden, welchen Mangel erführe dadurch

30

die Anbetung des Vollkommenen-Angebeteten, welcher derNotwendig-Seiende ist und dem die Geschöpfe vom Atom bishin zu den Planeten dienen?

Antwort: Der allweise Schöpfer des Weltalls hat den Kos-mos wie einen Baum erschaffen, dessen vollendetste Fruchtdie mit Bewusstsein begabten Lebewesen sind. Unter allemaber, was Leben und Bewusstsein trägt, hat Er den Menschengemacht, als die Frucht, welche alles in sich vereinigt. Undwas für den Menschen am wichtigsten, ja sogar der Erschaf-fung des Menschen Folge, Ziel seiner Natur und Frucht sei-nes Lebens, ist Gott zu danken, Ihn anzubeten und Ihm zudienen. Wird der absolute Herrscher, der unabhängige Be-fehlshaber und der Eine-Einzige, der – um selbst geliebt zuwerden und um sich zu erkennen zu geben – das All erschuf,den Menschen, der die Frucht des ganzen Universums ist,und die Dankbarkeit und die Anbetung, welche die größteFrucht des Menschen ist, dies in die Hände eines anderen ge-ben? Wird Er wohl ganz im Gegensatz zu aller Weisheit dasErgebnis der Erschaffung und die Frucht des Alls zunichtemachen? Nein und abermals nein!.. Wird Er damit einver-standen sein und es gestatten, dass der Dienst und die An-betung Seiner Geschöpfe anderen dargebracht wird, in einerWeise, die es dahin bringt, Seine Weisheit und Seine Herr-schaft zu verleugnen? Und würde Er, der in Seinen Taten inunendlichem Grade selbst geliebt werden möchte und sich zuerkennen geben möchte, sich selbst in Vergessenheit geratenlassen und all Seine vollkommensten Geschöpfe anderen ih-ren Dank abstatten und sich den Ursachen gegenüber er-kenntlich zeigen und ihnen ihre Liebe und ihre Anbetung dar-bringen lassen? Oh du mein Freund, der du es nun aufgege-ben hast, die Natur anzubeten! Auf nun und sprich!

Und er sagt: »Elhamdulillah!« (= Aller Dank gebührt Gottallein!) Diese meine beiden Zweifel sind nun beseitigt. Du

31

hast zwei so glänzende und starke Beweise für die göttlicheEinheit vorgelegt und dafür, dass Er in Wahrheit der Angebe-tete ist und keiner außer Ihm der Anbetung würdig ist; das ab-zustreiten käme einer Verleugnung der Sonne am lichten Ta-ge gleich.

32

Nachwort

Der Mann, der die atheistische Naturphilosophie aufgegebenhat und zum Glauben gelangt ist, sagt: Elhamdulillah! Ich ha-be keine Zweifel mehr. Aber es gibt da noch einiges, was ichgerne wissen möchte.

Erste Frage:Wir hören von vielen, die in ihrer Trägheit dasGebet aufgegeben haben und sagen: Hat Gott der Gerechteunseren Dienst und unsere Anbetung nötig, dass Er diejeni-gen, welche das Gebet aufgegeben haben, im Qur’an mit gro-ßer Macht und mit allem Nachdruck bedrängt und sie mit ei-ner entsetzlichen Strafe wie der Hölle bedroht? Wie passt daszum Qur’an, der doch sonst so maßvoll, geradlinig und ge-recht ist, wenn er auf einen winzigen Fehler im privaten Be-reich mit solch äußerster Heftigkeit reagiert?

Antwort: Gewiss, Gott der Gerechte hat deinen Dienst unddeine Anbetung nicht nötig. Er braucht gar nichts von dir. Aberes ist für dich selbst vonnöten, zu dienen und anzubeten. Dubist innerlich krank. Denn wir haben bereits in vielen Abhand-lungen bewiesen, dass es dieser Dienst ist und die Anbetung,die das Gegengift gegen die Wunden deiner Seele darstellen.Wird etwa ein Kranker, den ein gütiger Arzt dazu drängt,wegen seiner Krankheit eine heilsame Arznei zu trinken, zudem Arzt sagen: »Hast du es nötig, mich dermaßen zu be-drängen?« Du verstehst, was für ein Unsinn das wäre.

Der Qur’an, der diejenigen, welche ihren Dienst aufgekün-digt haben und von der Anbetung abgekommen sind, sofürchterlich bedroht und eine so schreckliche Strafe über sieverhängt, ist einem Könige vergleichbar, der darüber wacht,dass seine Untertanen ihre Pflicht erfüllen und einem aufsäs-sigen Manne eine seiner Verfehlung entsprechende fürchter-liche Strafe erteilt, wenn er seine Untertanenpflicht verletzthat.

33

In gleicher Weise verletzt ein Mann, der Gott nicht mehr dientund Ihn nicht mehr anbetet, die Rechte alles dessen, was daist, bedeutend und tut den Untertanen des Königs von Ewig-keit zu Ewigkeit im übertragenen Sinne ein schweres Unrechtan. Denn die Vollkommenheit allen Seins wird auf dem Antlitzderer sichtbar, die sich ihrem Meister zugewandt haben undIhn rühmen und verehren. Diejenigen, welche Ihn nicht ver-ehren und Ihn nicht anbeten, sehen diese Anbetung allenSeins nicht und können sie auch nicht sehen, ja leugnen sievielleicht sogar. Zu gleicher Zeit verachten sie alles Sein, dasGott rühmt und Ihn preist und so einen hohen Rang einnimmtund deren jedes Einzelne ein Brief des Unwandelbaren undein Spiegel der Namen des Herrn ist, indem sie es von seinemhohen Rang herabziehen und es als ohne Bedeutung, ohneAufgabe, ohne Leben und ohne Ordnung begreifen, es in sei-ner Vollkommenheit leugnen und verletzen.

In der Tat sieht ein jeder das All gleich einem Spiegel seinerselbst. Gott der Gerechte hat den Menschen als einen Maß-stab, als eine Waagschale des Alls geschaffen. Aus dieserWelt heraus hat Er jedem Menschen seine eigene Welt gege-ben. Er zeigt ihm die Farbe dieser Welt entsprechend der in-neren Einstellung dieses Menschen. Zum Beispiel sieht einganz hoffnungslos und traurig weinender Mensch alle Welt ineinem Bilde hoffnungslosen Weinens. Ein Mensch aber, derfreudig und vergnügt ob der frohen Kunde vollkommen fröh-lich lächelt, sieht auch alle Welt fröhlich lachen. Ein Mensch,der in ernstem und tiefem Nachsinnen Gott rühmt und Ihnpreist, entdeckt auch und sieht gewissermaßen, wie alles,was da ist, Gott eine solche Anbetung und einen solchen Lob-preis darbringt, wie es diesen auch in der Tat und in der Wahr-heit gibt…

Ein Mensch aber, der Gott nicht achtet oder Ihn verleugnetund Ihn nicht mehr anbetet, macht sich von allem, was da ist,

34

konträr und völlig im Gegensatz zu ihrer wahren Natur ein feh-lerhaftes Bild und verletzt sie geistiger Weise in ihren Rech-ten. Zudem begeht ein solcher, der das Gebet aufgegebenhat, da er nicht Herr seiner Seele ist, ein Unrecht gegenüberseiner eigenen Seele, die ein Diener seines Herrn ist. Dieserihr Herr droht dem Menschen, der seiner eigenwilligen Seelenachgibt, streng, damit dieser sie in ihre Pflicht nimmt. Zudemgilt die Aufkündigung seines Dienstes und die Unterlassungseiner Anbetung, als des Sinnes der Schöpfung und des Zie-les der Natur, auch als eine Auflehnung gegen die göttlicheWeisheit und den Willen des Herrn. Und dafür wird er seineStrafe empfangen.

Zusammenfassung: Wer das Gebet unterlässt, tut damitseiner eigenen Seele unrecht – der Seele, die ein Diener undVerehrer und Eigentum Gottes des Gerechten ist – und ver-stößt dabei gleichzeitig gegen die berechtigten Ansprüchedes Kosmos. Ja gerade so wie der Irrglaube eine Beleidigunggegenüber der Schöpfung ist, so ist auch die Unterlassungdes Gebetes eine Leugnung der Vollkommenheit der Schöp-fung. Weil sie ein Verstoß gegen die göttliche Weisheit ist, istsie auch mit einer so fürchterlichen Drohung verknüpft undzieht sie auch eine so strenge Bestrafung nach sich.

Um also diesem Rechtsanspruch und dem oben erwähntenSachverhalt Ausdruck zu verleihen, wählt der Qur’an, der inseiner Verkündigung ein Wunder ist, auf wunderbare Weisediesen strengen Ausdruck und stimmt so in seiner Aussagevoll und ganz mit der Erfordernis der Situation überein, wasman als die Wahrhaftigkeit in der Aussageweise bezeichnet.

Zweite Frage: Der Mann, der den Naturalismus aufgege-ben hat und zum Glauben gelangt ist, sagt:

Es ist eine Tatsache von überwältigender Größe, dass einjedes Sein in jeglicher Hinsicht, in jeglicher Beziehung, unter

35

allen Umständen und Verhältnissen vom göttlichen Willen undder Macht ihres Herren abhängig ist. In Anbetracht ihrer ge-waltigen Größe will uns dies nur schwer in den Kopf. Wo hin-gegen diese maß- und grenzenlose Überfülle, die sich vor un-seren Augen ausbreitet und diese unbeschränkte Leichtigkeit,mit der sie erschaffen und gestaltet wurde, diese maß- undgrenzenlose Leichtigkeit und Simplizität, mit der die Dingeaus der Einheit heraus gestaltet wurden, die sich auf Grundder oben angeführten Beweise bewahrheitet hat, diese maß-und grenzenlose Leichtigkeit, welche mit den Worten desQur’an:

»Eure Erschaffung und eure Auferstehung ist gleich der einer einzi-gen Seele.« (Sure 31, 28) »Es ist aber weder eure Erschaffung nochEure Auferstehung (schwieriger) als die einer einzigen Seele, und dieAngelegenheit der Stunde nicht mehr als ein Augenzwinkern odernoch näher.« (Sure 16, 77)

dargelegt oder ähnlichen Ayat ganz offensichtlich gezeigtwird, diese überwältigende Tatsache zeigt sich in einer durch-aus akzeptablen und völlig verständlichen Weise. Was ist dasGeheimnis dieser Leichtigkeit und die Weisheit, die dahintersteht?

Antwort: In der Erklärung zu:

»Und Er ist aller Dinge mächtig.« (Sure 5, 120)

wie sie sich im Zehnten Wort des Zwanzigsten Briefes findet,wird dieses Geheimnis auf eine absolut klare und deutliche

36

und offensichtliche Weise erklärt… Besonders im Anhang zudiesem Brief wird noch weit klarer bewiesen, dass die Er-schaffung allen Seins genauso leicht wird, wie die eines ein-zelnen Dinges, wenn man sie auf den Einzigen Meister zu-rückführt. Führt man sie aber nicht auf den Einen-Einzigen,den Gegenwärtigen zurück, dann wird die Gestaltung eineseinzigen Dinges genauso schwierig wie die allen Seins unddie eines Samenkorns ebenso kompliziert wie die eines Bau-mes. Führt man sie aber auf den wahren Meister zurück, dannwird das All so einfach wie ein Baum, ein Baum wie ein Sa-menkorn, das Paradies wie ein Frühling und der Frühling wieeine Blume.

Wir verweisen hier nur auf ein, zwei unter Hunderten vonBeweisen, die die Quelle der Geheimnisse aufzeigen und dieWeisheit, die hinter ihnen steht. In ihnen wird ganz klar und of-fensichtlich, mit welcher Leichtigkeit alles Sein so ganz undschnell, wohlgeordnet, wertvoll und kunstvoll gestaltet ins Da-sein tritt, dessen grenzenlose Überfülle für jedermann offen-sichtlich ist. In ihnen findet sich für ein Geringes mit Leichtig-keit von jeder Gattung eine Fülle von Arten. Dies haben wirbereits in anderen Abhandlungen dargelegt. Zum Beispiel:

So wie es hundertmal leichter ist, hundert Soldaten demKommando eines einzigen Offiziers zu unterstellen, als einenSoldaten dem Kommando von hundert Offizieren, die Ausrü-stung eines Heeres von einem Hauptquartier aus durch eineinheitliches Gesetz zu regeln, von einer einzigen Fabrik ausdurch den Befehl eines einzigen Königs ebenso leicht ist, alshandelte es sich dabei um einen einzelnen Soldaten… eben-so ist es genauso schwierig, einzelne Soldaten durch ver-schiedene Hauptquartiere ausstatten zu lassen, ihre Ausstat-tung verschiedenen Fabriken und verschiedenen Komman-deuren zu überlassen, als handelte es sich dabei um ein gan-zes Heer. Denn für die Ausrüstung eines einzelnen Soldaten

37

müssen ebenso viele Fabriken vorhanden sein, wie für einganzes Heer notwendig sind.

Desgleichen wird es unter dem Geheimnis der Einheit of-fensichtlich, dass die Lebenssubstanz, die einen Baum auseiner einzigen Wurzel, von einem einzigen Zentrum aus unddurch ein einziges Gesetz ernährt, so wie dieser Baum Tau-sende von Früchten bringt, auch eine einzelne Frucht mitgleicher Leichtigkeit hervorbringt. Geht man aber von einerVielheit aus, statt von der Einheit und käme die Lebenssubs-tanz, die für jede Frucht notwendig ist, von verschiedenenStellen, dann wäre die Schwierigkeit für jede einzelne Fruchtdieselbe wie für einen ganzen Baum. Ja, für ein einziges Sa-menkorn, welches das Urbild eines Baumes in sich enthält,und für sein Programm bestünde die gleiche Problematik wiefür einen ganzen Baum. Denn all das, was für das Leben ei-nes einzigen Baumes an Lebensnotwendigem erforderlich ist,ist auch für ein einziges Samenkorn notwendig.

So gibt es also gleich diesem Beispiel noch Hunderte vonBeispielen, um zu zeigen, in welch grenzenlosem Maße dasSein tausendfach mit Leichtigkeit aus der Einheit heraus insDasein tritt, um wie vieles leichter noch als auch nur ein ein-ziges Ding aus einer Vielheit und Mannigfaltigkeit heraus.Weil aber diese Tatsache schon in anderen Abhandlungenebenso klar bewiesen wurde, wie zwei mal zwei vier ist, über-lassen wir das diesen und wollen hier nur ein besonders wich-tiges Geheimnis von dem, was so einfach und leicht ist, unterdem Gesichtspunkt der göttlichen Bestimmung, des Wissensund der Macht des Herrn darlegen. Es ist dies Folgendes:

Du bist und hast ein Sein. Wenn du dieses auf die urewigeMacht (Gottes) zurückführst, hat Er dich in einem einzigen Au-genblick durch einen Befehl, durch Seine unendliche Allmachtaus dem Nichts heraus erschaffen, so wie man ein Streichholzentzündet. Führst du dich aber nicht auf Ihn zurück, schreibst

38

du vielmehr dein Sein den Ursachen der Materie und der Na-tur zu, dann wird es für dich, der du eine wohlgeordnete Zu-sammenfassung des Alls und seine Frucht bist, dessen ver-kleinertes Inhaltsverzeichnis und Liste, notwendig, die mate-riellen Bestandteile deiner Existenz aus dem All und seinenElementen herauszusieben, sie mit feinen Instrumenten zumessen und zu wiegen und sie so von den Ecken der Welt herzusammenzubringen, um dich zu gestalten. Denn die mate-riellen Ursachen können nur sammeln und gestalten. Sie kön-nen nicht selber schaffen, was sie nicht vorfinden, was nichtvorhanden ist, nicht aus dem Nichts bilden. Alle Leute vonVerstand werden dies bestätigen. Also müssen sie die Be-standteile für den Körper eines kleinen Lebewesens von denEnden der Welt her zusammenbringen.

So verstehe also nun, wie leicht dies alles für die EinheitGottes ist und wie schwer für eine Vielheit und was für ein ir-riges Denken!

Zweitens: Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus be-trachtet ist alles unendlich leicht. Zum Beispiel: »Qader«* isteine Art der Wissenschaft, die für jedes Ding sein Maß undseine ihm eigene unsichtbare Gussform bestimmt. Und die-ses durch »Qader« bestimmte Maß gilt für den Körper einesDinges als sein Plan und sein Typ. Wenn die Macht es er-schafft, dann erschafft sie es ganz leicht entsprechend die-sem durch »Qader« bestimmten Maß. Wird dieses Ding nichtauf den Glorreichen, Allmächtigen zurückgeführt, der der Herreiner allumfassenden, grenzenlosen und urewigen Wissen-schaft ist, dann tauchen – wie wir dies bereits oben erklärt ha-ben – nicht nur tausend Schwierigkeiten, nein, hundert Un-möglichkeiten auf. Denn dann wird es notwendig, von außenher tausende materieller Gussformen im Inneren eines klei-

39

* göttliche Vorherbestimmung; siehe 26. Wort – A.d.Ü.

nen Tierchens zur Anwendung zu bringen, wenn es ein sol-ches durch (Gottes) »Qader« und Wissen bestimmtes Maßnicht gäbe.

So verstehe also nun das Geheimnis der unendlichenLeichtigkeit in der Einheit und die grenzenlosen Schwierigkei-ten im irrigen Denken und in der Vielheit und wisse, wie wahr-heitsgemäß und hoch und recht die Wahrheit ist, welche inder Ayah:

»Es ist aber weder eure Erschaffung noch Eure Auferstehung(schwieriger) als die einer einzigen Seele, und die Angelegenheit derStunde nicht mehr als ein Augenzwinkern oder noch näher.« (Sure16, 77)

zum Ausdruck kommt!

Dritte Frage: Der, welcher früher ein Feind war, jetzt abersich bekehrt hat und ein Freund geworden ist, spricht: Die be-sonders fortschrittlichen unter den Philosophen unserer Tagesagen: »Aus dem Nichts kann nichts entstehen; und nichtskann verloren gehen. Was den Betrieb im Weltall aufrechter-hält, ist nichts anderes als nur Synthese und Analyse.«

Antwort: Die modernsten unter den Philosophen, welchedas Sein nicht im Lichte des Qur’an betrachten, sind in ihrerBetrachtungsweise dahin gelangt, einzusehen, dass die Ent-stehung und Gestaltung des Seins aus der Natur und aus denUrsachen heraus – so wie wir das bereits oben nachgewiesenhaben – bis zur Unmöglichkeit schwierig ist und haben sichnun in zwei Gruppen gespalten.

Die erste Gruppe bilden die Nihilisten, welche von der Ver-nunft abgerückt sind, die eine Besonderheit des Menschendarstellt. Sie sind damit noch tiefer gesunken als die unver-

40

nünftigen Tiere. Sie leugnen die Existenz des Alls. Ja, sieleugnen sogar ihre eigene Existenz… Im Wege ihres Irrtumshalten sie es für erheblich leichter, sowohl sich selbst als auchdas All zu leugnen, als Ursachen und Natur zum Herrn derSchöpfung anzunehmen. Sie sind der absoluten Unwissen-heit verfallen.

Die zweite wird von der Gesellschaft derer gebildet, welcheeingesehen haben, welch grenzenlose Schwierigkeiten es mitsich bringt, wenn man irriger Weise von dem Standpunkt aus-geht, dass Ursachen und Natur als Schöpfer eine Mücke oderein Samenkorn hervorgebracht hätten. Denn das setzte eineFähigkeit voraus, die außerhalb der Bandbreite menschlichenVerstandes liegt. Deshalb leugnen sie zwangsläufig dieSchöpfung und sagen: »Es kann nichts aus dem Nichts ent-stehen« und halten auch den Untergang für unmöglich, indemsie urteilen: »Was einmal da ist, kann nicht wieder verschwin-den.«

Sie setzen eine Situation voraus und stellen sich vor, eshandele sich in allem nur um eine Bewegung von Atomen, die– vom Winde des Zufalls umhergetrieben – Analyse und Syn-these, Auflösung und Wiedervereinigung zu Stande bräch-ten… So komm also nun und betrachte dir diese Leute auf deruntersten Stufe der Unwissenheit und der Dummheit, die sichselbst doch für äußerst intelligent halten! Wisse, wie sehr einsolcher Irrealismus den Menschen zum Narren, zum Lumpenund zum Agnostiker werden lässt und ziehe daraus deineLehre!

Es ist doch wohl eine noch größere Unwissenheit undDummheit, die urewige Macht, die jedes Jahr gleichzeitig vier-hunderttausend Arten auf der Erdoberfläche hervorbringt,welche die Himmel und die Erde in sechs Tagen geschaffenhat und in jedem Frühling in sechs Wochen eine neue Weltvoll Leben hervorbringt, noch kunstvoller gestaltet als das All

41

und mit noch größerer Weisheit erfüllt und im Rahmen einesurewigen Wissens nach einem vorgegebenen Maß und Planallem, was da erst noch im Projektionsstadium vorhanden istund noch nicht Gestalt angenommen hat, ganz leicht einenach außen sichtbare Gestalt verleiht, so wie man z.B. eineChemikalie auf ein Schriftstück aufträgt, das mit einem für dasAuge unsichtbaren Mittel niedergeschrieben wurde, um essichtbar zu machen; diese urewige Macht für ferne zu haltenund ihr Wirken zu leugnen ist doch wohl noch dümmer als derNihilismus der zuvor erwähnten Gesellschaft.

Diese Unglückseligen, die in ihrer absoluten Machtlosigkeitnichts anderes in Händen halten als ihr kleines StückchenSelbstbestimmung, vermögen auch in ihrem Pharaonenstolzkein Ding null und nichtig werden zu lassen und kein Stäub-chen Materie aus dem Nicht-da- und Nicht-vorhanden-seinhervorzubringen und weil es nicht in der Hand der Natur undder Ursachen liegt, in die sie ihr Vertrauen setzen, etwas ausdem Nichts zu erschaffen, sagen sie in ihrem Unverstand:»Was nicht ist, kann auch nicht werden; und was schon vor-handen ist, kann unmöglich wieder zunichte werden.« Diesenirrigen fehlerhaften Grundsatz wollen sie auch auf den Voll-kommenen-Allmächtigen anwenden. Ja, der Glorreiche, All-mächtige erschafft die Dinge in zweifacher Weise:

Erstens, durch Hervorbringung, Neuerschaffung. Das heißt,Er gibt das Sein aus dem Nichts, dem Nichtvorhandenseinund stellt ihm auch alles notwendige zur Verfügung, indem Eres aus dem Nichts erschafft. Zum anderen bildet und gestal-tet Er neu. Das heißt, um die Vollkommenheit Seiner Weisheitund die Erscheinung vieler Seiner Namen aufzuzeigen undum der Tiefe Seiner Weisheit willen, erbaut Er einen Teil vonallem Sein aus den Elementen des Kosmos. Er schickt ihnendurch das Gesetz der Fürsorge die Atome und die Zellen, dieSeinem Befehle gehorchen und lässt diese in ihnen wirken.

42