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Begehbare Achterbahn in Duisburg

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Page 1: Begehbare Achterbahn in Duisburg

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 3 193

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Michael Staffa, Carola Kemme

Begehbare Achterbahn in Duisburg

1 Projektidee

Die Großskulptur Tiger & Turtle – Magic Mountain ba-siert auf dem Entwurf der Hamburger Künstler HEIKE

MUTTER und ULRICH GENTH, die mit ihrer Idee einer be-gehbaren Achterbahn aus Stahl den 2009 von der StadtDuisburg im Rahmen der Kulturhauptstadt RUHR.2010ausgelobten internationalen Kunstwettbewerb für sichentscheiden konnten.

Seit 2011 bekrönt Tiger & Turtle das 66 Meter über NNliegende Gipfelplateau der Heinrich-Hildebrand-Höhe imDuisburger Angerpark. Der Hügel wird gebildet von Erd-und Abbruchmaterialien einer früheren Zinkhütte, ist miteiner Kunststoffbahn abgedeckt und mit einer Erdüber-schüttung versehen. (Bild 1)

Es war eine Stahlkonstruktion in Form einer Achterbahnzu entwickeln, deren Kurvenverlauf sich – in funktionalerund ästhetischer Hinsicht – mit einer begehbaren Trep-penabwicklung und Geländergeometrie zu einer filigra-nen Einheit ergänzt.

Die Dimensionen des Tragwerks waren so schlank wiemöglich zu gestalten und notwendige Tragstrukturen aufein Minimum zu reduzieren. Die Gesamtwirkung solltemöglichst elegant sein und die Dynamik des Bauwerksunterstreichen. Eine sinnvolle Stützenstellung war zu fin-den und das Tragwerk schwingungs- und verformungs-technisch zu untersuchen. Auch für die auf dieser Depo-nie schwierige Gründung musste ein Konzept gefundenwerden. Das Konstruktions-, Dichtungs- und Entwässe-rungssystem der Halde durfte mit der Errichtung derStahlkonstruktion nicht beschädigt oder in ihrer Wirkungbeeinträchtigt werden. Die zulässige Beanspruchung

durch die Auflast der Konstruktion in Höhe der Kunst-stoffdichtungsbahn von 120 kN/m2 musste eingehaltenwerden.

Da die Nutzung der Skulptur auch während der Nacht er-möglicht werden sollte, war ein energieeffizientes Be-leuchtungssystem zu finden, das sicherheitstechnischenund gestalterischen Ansprüchen genügen musste. Zu-gleich sollte mit der Lichtinstallation die Formgebung derSkulptur auch in der Fernwirkung betont werden.

2 Planungsmethode

Die Bauaufgabe sollte in ihrer komplexen Geometrie mit-tels moderner Hilfsmittel in den verschiedenen Planungs-phasen, vom ersten Entwurf bis hin zum Datenexport in

DOI: 10.1002 / bate.201300008

Eine begehbare Großskulptur wurde 2011 auf einem Abraum-hügel in Duisburg erbaut. Auf ein doppelt gekrümmtes Haupt-rohr wurde die Gehbahn als unregelmäßige Treppe mit einemBelag aus Gitterrosten aufgebracht. Die Konstruktion wurdemit Hilfe eines parametrischen Geometriemodells geplant. Die-ses Modell ermöglichte die Planung des geometrisch extremschwierigen Projekts. Auf Grund der schlechten Bodenverhält-nisse und der daher sehr geringen zulässigen Bodenpresssungmusste die Gründung ungewöhnlich stark dimensioniert wer-den. Wegen der Schwingungsanfälligkeit der Konstruktion wur-den an signifikanten Stellen Horizontal-Dämpfer eingebaut.

An accessible rollercoaster in DuisburgAn accessible oversize sculpture was built in 2011 on an exca-vation heap in Duisburg. On a double curved tube a footwaywas applied with unregular stairs of steel gratings. The struc-ture was planned with aid of a parametric model. This modelenabled the design of the geometrically extreme difficult proj-ect. Due to the bad soil conditions and for this reason the lowsoil strength, the foundations had to be dimensioned excep-tionally huge. Vibration absobers were assembled on signifi-cant places in order to insulate horizontal oscillation.

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Bild 1 LuftbildAerial view

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die Produktion der Konstruktion, für alle Planungsbetei-ligte handhabbar gemacht werden.

Hierzu wurde, um die Schnittstellen zwischen dem künst-lerischen Konzept und der Planung in allen Planungspha-sen überprüfbar zu gestalten, ein digitales Modell mittelsparametrischer 3D-Planung aufgesetzt.

Mithilfe dieser Planungsmethode können komplexeStrukturen kosteneffizient errechnet, geplant und umge-setzt werden. Detaillierungen werden in einem so ge-nannten Script als Parameter festgelegt und hierarchischmiteinander verknüpft. Vorteil dieser Methode: Die Para-meter und Verknüpfungen lassen sich mit einer Kontroll-funktion programmieren, sodass Modifikationen unmit-telbar auf ihre Anwendbarkeit für die gesamte Strukturüberprüft werden können. In einem iterativen Prozesswerden Variationen der Geometrie gebildet und schließ-lich die finale Geometrie im Austausch mit den Planungs-beteiligten (Künstler, Architekt, Tragwerksplaner) festge-

legt. Von Anfang an wird die Planung auf die Möglichkei-ten der Produktion ausgerichtet. So wird z.B. der minimalmögliche zu fertigende Biegeradius im Script hinterlegt.Auch die Daten für die Produktion werden digital extra-hiert und aufbereitet. (Bild 2)

3 Tragwerk

Die Konstruktion besteht aus einer ca. 1 m breiten Geh-bahn, die von einem räumlich gekrümmten Haupttrag-rohr getragen wird. Die insgesamt 215 m lange Gehbahnwird in den Steigungsbereichen als unregelmäßige Trep-pe ausgeführt. Hierzu sind am Tragrohr beidseits auskra-gende Blechquerträger befestigt, auf denen der Gehbelagaus Gitterrosten aufgebracht ist. Die Querblechträgerwerden an allen Setzstufenachsen, d.h. in unregelmäßi-gen Abständen, angebracht, in einem maximalen Ab-stand von 0,90 m. Zu beiden Seiten werden Geländeraus Stahl mit einem oberen Handlauf aus Edelstahl vor-

Bild 2 IsometrieIsometric drawing

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gesehen. Die Geländerpfosten werden je nach Lage derSetzstufen möglichst im Abstand von ca. 1,30 m angeord-net. (Bild 3)

Das Haupttragrohr besitzt unterschiedliche Stützweitenvon ca. 7–15 m und wird durch 17 Stützen getragen. DasHauptrohr und die Stützen haben jeweils einen Rohr-durchmesser von 323,9 mm, in unterschiedlichen Wand-dicken von 20, 25 und 30 mm. Die Stahlstützen steifendie Konstruktion durch Einspannung der Stützenfüße imFundament aus. Zur verstärkten Aussteifung im Bereichdes Loopings werden zwei Stützenpaare jeweils durcheinen Verband gekoppelt. Der „Track“ hat im Bereich desLoopings eine maximale Höhe von ca. 20 m.

Die unregelmäßige Stützenanordnung und die Reduktionauf eine Mindestanzahl an Verbänden ist das Ergebniseiner Studie der Tragwerksplaner, in der sowohl die Ver-formungen als auch die Schwingungsanfälligkeit opti-miert wurde.

Zur Reduktion der Horizontalschwingungen durch Van-dalismus wurden in Zusammenarbeit mit einem Schwin-gungsgutachter an drei signifikanten FeldbereichenSchwingungsdämpfer eingebaut.

Die Gründung der Stützen erfolgte als Flachgründung aufEinzelfundamenten bzw. im Bereich der Verbände durchgrößere Bodenplatten. Um ein nachträgliches Ausrichtenzu ermöglichen, erfolgte der Anschluss der Stützen an dieGründungsbauteile durch Köcherfundamente. Im Be-reich der Verbände wurden zur Zugsicherung entspre-chende Rückverankerungen innerhalb der Köcher vorge-sehen.

Ein besonderes Augenmerk lag auf der Ausbildung derStützenköpfe, also den Anschlüssen vom Tragrohr an dieStützen, um die fließende Wirkung des Gesamtbauwerksnicht zu stören und trotzdem eine einfache Montage zuermöglichen. So wurden die Stützenköpfe mit verjüngtenRohrstücken mit einem optisch fließenden Übergangohne auffällige Schraubverbindungen und Aussteifungs-

bleche geplant. Der Montagestoß liegt als Schweißstoßunter der Kopfplatte der Stützen. Aufgrund der Dick -wandigkeit und der hohen Beanspruchung der Rohrewurden Knotendetaillierung und Schweißabfolge inenger Zusammenarbeit mit Schweißfachingenieuren ge-plant. (Bild 4)

4 Korrosionsschutz

Zur Anwendung kommt ein kombiniertes System ausFeuer- und Spritzverzinkung. Diese Kombination ist spe-ziell auf die segmentierte Bauweise mit anschließenderVerschweißung der Montagestöße ausgerichtet. Eine fürden Stahlbau sonst übliche Verschraubung von stückver-zinkten Segmenten war gestalterisch nicht gewünscht.

Da die Stützenköpfe in dieser Sonderanfertigung ein bau-aufsichtlich nicht geregeltes Detail darstellen, musste an-hand eines Musterstützenkopfes im Rahmen einer Ver-fahrensprüfung nach der DASt-Richtlinie 022 eine mögli-che Rissanfälligkeit beim Feuerverzinken vorabausgeschlossen werden.

Die Verzinkung von bis zu 14 m langen, dreidimensionalgekrümmten Tragrohren mit je einem eingeschweißtenStützenkopf und angeschweißten Querblechträgernwurde durch eine Geometrieüberprüfung zur Ermittlungder Schwerpunktlagen im Zinkbecken anhand des para-metrischen 3D-Modells optimiert.

5 Produktion

Die Produktion der Landmarke stellte eine große Heraus-forderung dar. Sämtliche Teilelemente des Projekts sindräumlich gekrümmt. Entsprechend schwierig ist die Ge-ländergeometrie. Ohne ein voll parametrisches Planungs-modell wäre eine sinnvolle Produktionsvorbereitungnicht möglich gewesen. (Bild 5)

Bild 3 GehbahnFootway

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Bild 4 StützenkopfColumn head

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Das Montagekonzept sah vor, vom niedrigsten Punkt derKonstruktion, dem Einstiegsbereich, zu beiden Seiten mitder Aufstellung der Stützen und dem Einhängen der kom-plett vormontierten Tragrohrsegmente zu beginnen. MitKranwagen und Hubwagen erfolgte sukzessive das Ein-hängen und Verschweißen der Tragrohrsegmente. DerLooping kam in drei Teilen auf die Baustelle, wurde vorOrt am Boden verschweißt und dann in einem Stückmontiert. Aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades konn-te die Montage nach acht Wochen abgeschlossen werden.(Bild 6)

6 Fertigstellung

Inzwischen ist die begehbare Skulptur in Duisburg einPublikumsmagnet geworden, der zudem schon häufigveröffentlicht wurde. Kontinuierliche Richtungs-, Höhen-

und Krümmungsänderungen lassen die Begehung der„Achterbahn“ zu einem – auch für die Planungsbeteilig-ten – erstaunlichen Erlebnis werden. (Bild 7)

Planung, Produktion und Bau einer solchen Konstrukti-on sind in dieser Form ohne die Unterstützung durch einparametrisches Geometriemodell nahezu unmöglich.

Jedoch sind die Modebegriffe „Parametrisches Entwer-fen“, Parametrisches Konstruieren“ oder sogar „Parame-trisches Bauen“ irreführend. „Parametrische Geometrie“entwirft nicht, konstruiert nicht und baut schon gar nicht.Sie ist ein sehr gutes Hilfsmittel, mit dem schwierige Auf-gaben gelöst werden können. Das Denken, Entwerfen,Gestalten und Konstruieren nimmt uns kein Computerab.

ProjektbeteiligteKünstler Heike Mutter und Ulrich Genth, HamburgBauherr Stadt Duisburg, KulturhauptstadtbüroParametrische Geometrie designtoproduction, StuttgartArchitekt bk2a, KölnTragwerksplaner ifb frohloff staffa kühl ecker, Berlin

AutorenMichael Staffaifb frohloff staffa kühl ecker, BerlinRheinstraße 4512161 Berlin

Carola Kemme Stadt DuisburgAmt für Stadtentwicklung und Projektmanagement Friedrich-Albert-Lange-Platz 7 47049 Duisburg

Bild 5 FertigungProduction

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Bild 6 MontageCompleted steel sculpture

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Bild 7 Fertige StahlskulpturAssembly

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