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Io A u s DER CHIBURGISCHEN KLINIK (DIREI~TO B PnOF. DR. MADELUNs 0 UND DEM PATHO- LOGISCnENINST~T~T (DmEKWOnPROF. Dm CHfARI) ZU STRASSBURG L E. Beitrag zur Kenntnis der Luxatio genu congenita anterior. Yon Dr. Jung, Assistent der chirurg. Klinik. Mit 5 Abbildungen im Text. In einer 1900 erschienenen Arbeit stellte Drehmann 1) die bis dahin bekannt gewordenen F~lle angeborener Kniegelenksluxation zusammen. Er sichtete das vorhandene Material und beseitigte die Verwirrung, welche bezfiglich der Nomenklatur der angeborenen Kniedeformit~ten in der Literatur herrschte, indem er den Begriff der Luxation nach vorn gegeniiber dem Genu recurvatum feststellte. Das Genu recurvatum kSnne zwar in die Luxation fibergehen; im anatomischen Sinne als Genu recurvatum seien nur die F~lle anzusehen, in denen bei normaler Beugef~higkei~ eine abnorme Steigerung der Extension mSglich sei; ffir alle die Fs aber, bei denen die Beugef~thigkeit beschr~nkt und die Kondylen des Femur nach hinten abge- wichen seien, empfahl er die Bezeichnung kongenitale Knieluxation (nach vorn); die verschiedenen Erseheinungsformen dieser Deformit~t seien nur als verschiedene Stadien zu unterseheiden. Bei der Bespreehung der pathologischen Anatomie der kongenitalen Knieluxation stfitzte sich Drehmann auI 16 publizierte Autopsien, fiber eine weitere Autopsie berichtete seitdem noch Delanglade2). Alle diese beschriebenen Pr~parate stammen aber yon Neugeborenen oder FSten. Uber die anatomisehen Verh~ltnisse der Luxation bei ~lteren Kindern erhielt man Aufsehluss teilweise dureh RSntgenbilder (Drehmann) teilweise durch Beobaehtungen, die gelegentlieh operativer Eingriffe gemacht wurden. (Reiner3), B aeilieri~)). 1) Zeitschrift f. orthop~d. Chirurgie. Bd. 1900. ~) Revue d'orthop~die. 1903. Nr. 3. 3) ZeRschrift f. or~hopad. Chirurgie. Bd. XIII. 4) Archly f. Orthopadie, Mechanotherapieetc. Bd. IlI. Arch. f. Orthop., Mechanoth. u. Unf.-Chir. XI, 1.

Beitrag zur Kenntnis der Luxatio genu congenita anterior

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Io

Aus DER CHIBURGISCHEN KLINIK (DIREI~TO B PnOF. DR. MADELUNs 0 UND DEM PATHO-

LOGISCnEN INST~T~T (DmEKWOn PROF. Dm CHfARI) ZU STRASSBURG L E.

Beitrag zur Kenntnis der Luxatio genu congenita anterior.

Yon

Dr. Jung, Assistent der chirurg. Klinik.

Mit 5 Abbildungen im Text.

In einer 1900 erschienenen Arbeit stellte D r e h m a n n 1) die bis dahin bekannt gewordenen F~lle angeborener Kniegelenksluxation zusammen. Er sichtete das vorhandene Material und beseitigte die Verwirrung, welche bezfiglich der Nomenklatur der angeborenen Kniedeformit~ten in der Literatur herrschte, indem er den Begriff der L u x a t i o n n a c h v o r n gegeniiber dem G e n u r e c u r v a t u m feststellte. Das Genu recurvatum kSnne zwar in die Luxation fibergehen; im anatomischen Sinne als Genu recurvatum seien nur die F~lle anzusehen, in denen bei normaler Beugef~higkei~ eine abnorme Steigerung der Extension mSglich sei; ffir alle die Fs aber, bei denen die Beugef~thigkeit beschr~nkt und die Kondylen des Femur nach hinten abge- wichen seien, empfahl er die Bezeichnung kongenitale Knieluxation (nach vorn); die verschiedenen Erseheinungsformen dieser Deformit~t seien nur als verschiedene Stadien zu unterseheiden.

Bei der Bespreehung der pathologischen Anatomie der kongenitalen Knieluxation stfitzte sich D r e h m a n n auI 16 publizierte Autopsien, fiber eine weitere Autopsie berichtete seitdem noch D e l a n g l a d e 2 ) . Alle diese beschriebenen Pr~parate stammen aber yon Neugeborenen oder FSten. Uber die anatomisehen Verh~ltnisse der Luxation bei ~lteren Kindern erhielt man Aufsehluss teilweise dureh RSntgenbilder ( D r e h m a n n ) teilweise durch Beobaehtungen, die gelegentlieh operativer Eingriffe gemacht wurden. (Reiner3), B aei l ier i~)) .

1) Zeitschrift f. orthop~d. Chirurgie. Bd. 1900. ~) Revue d'orthop~die. 1903. Nr. 3. 3) ZeRschrift f. or~hopad. Chirurgie. Bd. XIII. 4) Archly f. Orthopadie, Mechanotherapie etc. Bd. IlI.

Arch. f. Orthop., Mechanoth. u. Unf.-Chir. XI, 1.

2 Jung,

Da ich Gelegenheit hatte, bei einem 14 Monate alten M~dchen die Deformit~t zu studieren, sei es mir gestattet, tiber den a n a t o mi s c h e n B e f u n d dieses Falles zu berichten. Auf die klinischen Symptoms dieser Missbildung und ihre Behandlung will ich nicht n~her eingehen; ich verweise hierfiir auf die neueren Monographien yon D r e h m a n n, B a c i l l e r i und W e h s a r g l ) , sowie auf die Lehrbiicher yon J o a c h i m s t h a l und H o f f a und den Vortrag yon P e r t h e s auf dem Orthop~denkongress yon 1905.

K r a n k e n g e s c h i c h t e :

Das 13 1/~ Monate alte Mi~dchen stammt aus einer Familie, in welcher yon Missbildungen nichts bekannt ist, und wurde nach normal verlaufener Schwangerschaft normalerweise geboren. Gleich bei der Geburt fiel den Eltern eine ,,Verkriimmung der Fiisse" des Kindes auf; sie achteten jedoch nicht darauf. Erst da im Laufe des letzten Monats angestellte Gehversuche dem Kinde Schwierigkeiten machten, suchten sie am 22. I. 10. die chirurgische Klinik auf.

PastSs aussehendes, gut genKhrtes Kind. Gesichtsfarbe zyanotisch. Caput quadratum; starke Prominenz der Frontal- und ParietalhScker. Gr5sster Kopfumfang 45 cm, grosse Fontanelle etwa 3 qcm gross.

Keine wesentliche Auftreibung der RShrenknochen- und Rippenepiphysen. Beide Hgnde stehen in leichter Subluxationsstellung volar- und ulnar-

w~rts. E s besteht ausserordentliche Schlaffheit s~mtlicher Fingergelenke, haupts~chlich der Metakarpo-phalangealgelenke, so dass eine passive Uber- streckung his fast 270 ~ mSglich ist. Der linke Mittelfinger erscheint um 1/2 cm kiirzer als die benachbarten Finger; die Verkiirzung beruht auf einer Ver- kiirzung des HI. Metakarpus.

Beide Hiiftgelenke sind normal. Beide Fiisse stehen in ausgesprochener Kalkaneovalgusstellung. Die Ab-

duktion des Metatarsus ist links etwas starker als rechts. Die Halluzes stehen in fast rechtwinkliger Valgusstellung; auch hier besteht grosse Schlaff- heit s~tmtlicher Gelenke.

Rechter Unterschenkel etwas abduziert (Genu va]gum). Linker Oberschenkel erscheint etwas magerer als der rechte. Linker

Unterschenkel liegt in der Ruhe auf tier Unterlage in Valgusstellung yon etwa 150 ~ ist gegen den Oberschenkel um fast 90 0 ausw~irts rotiert, so dass seine Aussenfiiiche die Unterlage beriihrt. Beim Anheben des Fusses geht der Unterschenkel mit, wiihrend der Oberschenkel auf der Unterlage liegen bleibt. Es kann das Knie um 40 o iiberstreckt werden; dabei treten in der Haut oberhalb des Gelenkes mehrere quere Falten auf. Passive Flexion nur um 50 o mSglich.

Palpation liess annehmen, dass die linke Patella fehlt; die Tibia ist nach vorn und aussen gegen den Obersehenkel fast vSllig luxiert, so dass man yon der Kniekehle aus den Condylus fem-int, und einen grossen Tell des Cond. ext. abtasten kann.

~) Archly L Orthop., Meohanoth. etc. Bd. III.

Beitrag zur Kenntnis der Luxatio genu congenita anterior.

Schon bei der Aufnahme wurde bei dem Kinde eine diffuse akute Bronchitis festgestellt; es gesellte sich bald dazu eine Pneumonie des linken Unterlappens, dann des rechten Oberlappens; das schw~chliche Kind erlag.

Die yon Prof. C h i a r i am 22. II. 10. vorgenommene Sektion ergab als Todesursache: Eitrige Pneumonie des linken Unterlappens, Abszess im rechten Oberlappen. Zeichen yon Rachitis wurden nieht gefunden.

Wghrend aus gusseren Griinden die Ftisse nicht seziert wurden, konnten beide Knie mit den zugehSrigen Muskeln unter der Haut ausgeschKlt und konserviert werden.

B e s c h r e i b u n g des P r ~ p a r a t s .

Das rechte Knie bot ausser geringer Valgusstellung nichts Besonderes, konnte daher bei der Untersuchung des linken Knies als normal zum Vergleich herangezogen werden.

N. isehiadi( mbranosus

Bize mitendinosus

eilis

Condyl. ] lus Fern. int.

Fig. 1.

Schon bei Besichtigung des rohen Pr~parats kann eine geringere Ent- wicklung der ganzen linken unteren ExtremitS~t im Vergleich zur rechten festgestellt werden. Die Knochen sind um ein Drittel weniger dick als rechts.

Bei der Preparation der Muskeln (cf. Fig. I.) finder sich, dass der Quadrizeps in toto auffallend schwach und blass ist; kr~ftiger sind dio

1"

4 J u n g ,

Beuger entwickelt. Die Sehne des Bizeps femoris verl~uff vor dem Cond. Fern. ext. nach tier Aussenseite der Tibia. Die Mm. semitendinosus, semi- membranosus und gracilis verlaufen hinter dem Cond. fern. int. nach ihrem Ansatz an der Innenseite der Tibia. Der mediale Kopf des Gastro- knemius ist naeh aussen verschoben und l~sst den Cond. rib. med. frei. WKhrend die Gef~sse in der Tiefe der Kniekehle liegen, ist der N. tibialis fiber die Kuppe des Cond. ext. nach aussen verlagert.

Nach Entfernung der Muskeln lKsst sich die Stellung des Femur zu den Unterschenkelknochen genauer iiberseherr (cf. Fig. II.--IV.). Zun~ehst ist zu

Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4.

erw~,hnen, dass die Patella, die am Lebenden wie gesagt, nieht gefiihltwerden konnte, dennoch vorhanden ist; sie ist kaum 1/3 so gross als die rechte und liegt nicht dem Femur an, sondern ist mit der Quadrizepssehne in ein reich- liches, zwischen Femur und Haut liegendes Fettpolster, eingebettet.

Der Unterschenkel bildet mit dem Oberschenkel einen nach aussen offenen Winkel yon 145 ~ Yon den Femurcondylen sind die hintere und untere Fl~che, yore /iusseren sogar ein kleiner Tell der Vorderfl~iche ausser jedem Kontakt mit der Tibia; diese artikuliert nur mit der Vorderfl~che der Femurkondylen. Das obere Drittel der Tibia ist bogenfSrmig nach hinten verkrfimmt.

Beitrag zur Kenntnis der Luxatio genu congenita anterior. 5

Die Gelenkkapsel ist infolge der Konservierung in Alkohol stark geschrumpft; man kann trotzdem noch erkennen, dass wi~hrend sie auf der Hinterseite des Gelenks gespannt war, sie in den vorderen und seitlichen Partien schlaffer gewesen sein muss. Ihr Ansatz ist hinten am Femur etwas tiefer als normal, so dass ein kleiner Tell der Fossa intercondylica noch ausserhalb des Gelenks steht. Der Reeessus sup. ist nur als sehlaffe Falte angedeutet. Von den Verst~rkungsb~ndern sind entsprechend der geringen Entwickelung der Patella die Ligg. alaria nicht darzustellen ; das Lig. collaterale tibiale ist gut entwickelt; das Lig. coll. fib. schw~cher, verli~uft entsprechend der u des Unterschenkels an die Vorderfli~che des Femur nahezu horizontal.

Nach ErSffnung der Gelenkkapsel zeigt sich um so deutlicher, dass die Tibia nur mit der Vorderfl~che der Femurkondylen artikuliert. Die Menisci sind als ldeine flache Scheiben vorhanden, das Lig. mucosum sehr stark ent- wickelt; die Ligg. cruciata sind richtig inseriert, gut entwickelt (kr~ftiger als am rechten Knie), etwas ausgezogen, in der NiChe ihres Ansatzes an der Eminentia intercondylica tibiae yon zahlreichen, feinen roten Punl~ten durch- setzt; diese Punkte sind wohl als kleine H~morrhagien zu deuten, entstanden infolge des starken Zuges, dem die Ligg. cruciata ausgesetzt waren.

Der Knorpeliiberzug der Femurepiphyse ist nicht glatt, sondern an zahlreichen Stellen atrophisch. W~hrend die Vorderfli~che des Gelenkteiles eines normalen Femur glatt ist oder zwischen den Kondylen nur eine ganz seichte Einsenkung aufweist, befindet sich hier au der Vorderfl~che eine deutliche Fovea intercondylica; im Grunde dieser Grube ist der Knorpel aufgefasert.

Einige Punkte des anatomischen Befundes verdienen eine besondere Besprechung.

Zun~chst das Verhalten der P a t e l l a . Trotz mehrfacher sorgf~ltiger Untersuchung am Lebenden wurde die Patella nicht gefiihlt. Sie land sich dana aber doch bei der Autopsie, allerdings sehr klein und ausser Kontakt mit dem Femur.

Viele Beobachter haben darauf aufmerksam gemacht, dass bei der uns beschi~ftigenden Kniedeformit~t h~ufig die Patella urspriinglich vermisst, bei einer sp~teren Untersuehung oder bei der Sektion doch aber gefunden wurde. Autoptisch wurde der vollstiindige Defekt der Patella bei der angeborenen Luxation des Kniees nach vorn noch nicht festgestellt. Von R o s e n f e l d 1) wird ein lj~hriges Mi~dchen erw~thnt, das wegen Genu recurvatum behandelt wurde; hier wurde der vollstiindige Mangel der Patella nach dem RSntgeno- gramm angenommen. Dazu m5chte ich bemerken, dass durch das bei meinem Fall am Lebenden angefertigte RSntgenbild die Patella auch nicht dargestellt wurde, jedenfalls deshalb, well das in der Entwickelung zuriiekgebliebene Gebilde noeh nicht verknSchert war, und das kleine Knorpelstiick sich yon den Weichteilen im RSntgenbilde nicht differenzieren liess.

i) Zeitschrift~ f. orthop~d. Chirursie. 1902. Bd. X.

6 Jung,

Die geringe Entwickelung der Patella bei den meisten Fgllen yon an- geborener pr~femoraler Knieluxation erkl~rt sich aus dem mangelnden Kontakt mit dem Femur und der herabgesetzten, oft g/i, nzlich fehlenden Funktion des Quadrizeps. Denn nach B r u n n e r 1) verdankt die Patella, die genetisch in keinem Zusammenhang mit den Unterschenkelknochen stehend, sich spiiter differenziert als diese, als Sesambein ihre Entwiekelung der Reizung der gut funktionierenden Quadrizepssehne auf der priiformierten Knorpelunterlage der Femurepiphyse.

Was das Verhalten der Muskulatur in meinem Falle betrifft, so ist die erw~hnte Verkiirzung des Quadrizeps, die Verlagerung des Bizeps nach vorn, der somit statt als Beuger als tJberstrecker wirkte, sowie die Verlagerung der Semimuskeln nach hinten eine bei der kongenitalen Knieluxation nach vorn regelmRssig beobachtete Erscheinung. Seltener scheint die bei meinem Priiparat bemerkte (auf Fig. I sichtbare) Verlagerung des Gestroknemius- ursprunges nach aussen zu sein; wenigstens ist sie bis jetzt nur einmal, yon B a c i l i e r i, beschrieben worden. B a c il i e r i fasst diese Abnormitiit im Verlaufe des Gastroknemius als Anpassung an die durch die Valgusstellung bedingte Achsenanomalie des Unterschenkels, als Abweichung im Sinne der Abduktion auf und setzt sie damit auf die gleiche Stufe wie die Verkiirzung der Semimuske]n.

Besonderes Interesse verdient die erw~hnte Verkriimmung der T i b i a nach hinten. u D e l a n g l a d e wurde bei einem neugeborenen Mi~dchen mit Knieluxation eine Verschiebung in der Dia-Epiphysenachse des unteren F e m u r e n d e s mit Epiphysiolyse "beobachtet ; die untere Femurepiphyse bildete mit dem Femurschaft einen nach vorn offenen, stumpfen Winkel. Einen iihnlichen Befund machte B ar th2) ; auch bei seinem Falle stand die Linie des Epiphysenansatzes zu der Achse des Oberschenkels nicht in einem rechten, sondern in einem ungef~hr 2/a rechten, nach vorn offenen Winkel. K i r m i s s o n 8) der D e l a n g l a d e ' s Fall bespricht, sieht in der Verschiebung der Epi- zur Diaphyse des Femur die Folge eines lange einwirkenden abnormen Druckes infolge der anhaltenden~ fehlerhaften intrauterinen Lage des FStus und stiitzt diese Annahme einer 1 a n g e a n h a 1 t e n d e n Ursache ffir die Verkriimmung dutch den histologischen Befund yon StSrungen in der Ossifikation, den D e l a n g l a d e erhob.

Das bei meinem Prs angefertigte RSntgenbild (cf. Fig. 5.) zeigt, dass yon einer EpiphysenlSsung am unteren Femurende oder speziell am oberen T ib iaende keine Rede sein kann. Die Epiphysenlinie der Tibia steht senkrecht auf der Achse des Knoehens; der Knoehenkern der Epiphyse steht genau in der Fortsetzung der verknScherten Diaphyse. Die Verkriimmung, die schon im oberen Drittel des Tibiaschaftes angedeutet ist, betrifft haupt- s~ehlich den knorpeligen Tell der Epiphyse. Aus der richtigen Lage des Knochenker~s geht wohl hervor, dass die starke Verkriimmung des Tibia-

1) Virchows Archiv. Bd. 122. ~) Archiv f. klin. Chimrgie. Bd. 31. a) Revue d'orthop4die. 1903. Nr. 5.

Beitrag zur Kenntnis der Luxation geuu congenita anterior.

kopfes nicht die Folge einer EpiphysenlSsung gewesen und jedenfalls zu einer Zeit, wo tier Epiphysenkern bereits angelegt war, also nach der Geburt, ent- standen ist. Ich nehme an, dass die ,Retroversion" des knorpeligen Tells der Tibiaepiphyse eine Folge tier Belastung ist bei den Gehversuchen, die das Kind ausfiihrte. Eine weitere Verschiebung der Tibia aufw~rts an der Vorderfl~iche des Femur, wie sie sich als Folge der Belastung h~tte einstellen kSnnen und wie sie als Endstadium der kongenitalen Knieluxation beschrieben wird, wurde durch die Ligg-cruciata verhindert, die bei meinem Pr@arat im Gegensatz zu den meisten anderen Beobachtungen relativ derb und nur wenig veriangert waren.

Fig. 5.

Knochenkern der Tibia~ epiphyso

Von praktischer Bedeutung ist eine derartige Verkriimmung der Tibia insofern, als sie besonders wenn die Behandlung erst sp~t, nach Vollendung der Ossifikation einsetzt, den orthop~.dischen Erfolg einer operativen Reposition des.luxierten Gelenkes beeintr~chtigen kann.

Die Frage der _~ t i o 1 o g i e tier angeborenen Knieluxation ist noch in Dunkel gehiillt. Ich will auf die verschiedenen Hypothesen nicht n~.her ein- gehen. Der Umstand, dass ausser der einseitigen Knieluxation bei meinem Falle noch Valgusstellung der H~nde, Kalkaneovalgusstetlung der Fiisse beobachtet wurden, wird die Annahme einer abnormen intrauterinen Belastung rechtfertigen, sei es dass, wie Mi i l l e r 1) annimmt, durch Mangel an Frucht- wasser ein abnormer Druck der Uteruswand auf die Extremit~ten einwirkte, oder class nach D r e t l m a n n aus irgend einer Ursache wh, hrend des in~ra-

~) Arbeiten aus der Leipziger Polikiinik. I.--H. 1888--1892.

J u n g , Beitrag zur Kenntnis der Luxatio genu congenita anterior.

uterinen Lebens die Extremit/~ten in eine Zwangslage gebracht und festgehalten wurden. Anamnestisch liess sich in unserem Fall weder yon tier Mutter noch yon der Hebamme irgend eine bei der Geburt beobachtete Abnormit~t (in der Menge des Fruchtwassers oder in der Haltung des Kindes) feststellen.

MR der Annahme einer abnormen intrauterinen Belastung ist abet noch nieht die erw~hnte Schlaffheit s~mtlicher Finger- und Zehengelenke erkl~rt. Dieser Befund legt den auch yon B a c i l i e r i bei einem ~hnlichen Falle aus- gesproehenen Gedanken nahe~ dass vielleicht durch eine prim~re fStale Er- krankung multipler Gelenke Ern~hrungsstSrungen, dann abnorme Schlaffheit ihrer Kapseln bedingt wurden. Da wir jedoch fiber fStale Erkrankungen iiberhaupt noch sehr wenig wissen, kommen wir hier tiber eine Vermutung nicht hinaus.