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Besser kein „Boom, Pow, Wow“:Zur Beschaffenheit und Rezeption
journalistischer Webcomics
Sebastian DriemerErfurter Straße 3249479 IbbenbürenMobil: 0177/2.14.86.01Mail: [email protected]
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, JournalistikSommersemester 2014Betreuende Dozentin: Prof. Dr. Friederike Herrmann
Inhaltsverzeichnis
1 Motivation und Zielsetzung 4
2 Historie 6
2.1 Der gelbe Junge – zum Ursprung des Comic …............................................................................ 6
2.2 Jeder für sich – die Entwicklungen in Amerika, Europa und Japan …............................... 6
2.3 „Infinite Canvas“ – der Comic im Web …........................................................................................ 8
2.3.1 Comic-Journalismus im Web ….......................................................................................................... 9
2.4 „Lesefutter für Analphabeten“? – der Comic in der Kritik …................................................. 10
3 Definitionen 11
3.1.1 Comic: Forschungsstand ….................................................................................................................. 11
3.1.2 Die Definition von Comic – über Bilder, Komik und Hybridität …...................................... 12
3.2.1 Comics und Journalismus: Forschungsstand …........................................................................... 13
3.2.2 Die Definition von Comics und Journalismus – bewusst subjektiv …................................ 13
3.3.1 Webcomic: Forschungsstand ….......................................................................................................... 15
3.3.2 Die Definition von Webcomic – Bilder ohne Grenzen? …........................................................ 16
3.4 Comic-Rezeption: Forschungsstand …............................................................................................ 17
3.5 Journalistische Funktionen …............................................................................................................. 17
3.5.1 „Die Klassiker“ …...................................................................................................................................... 18
3.5.2 Journalistische Funktionen im Zeitalter des Internets …....................................................... 19
3.5.2.1 Veranschaulichen …................................................................................................................................ 19
3.5.2.2 Erklären …................................................................................................................................................... 19
3.5.2.3 Erzählen …................................................................................................................................................... 20
3.5.2.4 Rezeptionsorientierte Funktionen …............................................................................................... 20
3.5.2.5 Zusammenhang ….................................................................................................................................... 20
3.6 Zwischenfazit …........................................................................................................................................ 21
4 Methode 22
4.1 Analysemethode Webcomic …............................................................................................................ 22
4.2 Analysemethode Rezipienten …......................................................................................................... 23
4.2.1 Fragebogen …............................................................................................................................................. 24
4.2.2 Gruppendiskussion …............................................................................................................................. 24
5 „50 Years On, Still Hungry“ – Inhaltsanalyse 25
5.1 Einordnung in den Kontext …............................................................................................................. 25
2
5.1.1 Autor …......................................................................................................................................................... 25
5.1.2 Thema …....................................................................................................................................................... 26
5.2 Analyse …..................................................................................................................................................... 26
5.2.1 Formale Kriterien …................................................................................................................................ 26
5.2.2 Inhaltliche Kriterien …........................................................................................................................... 27
5.2.3 Typische Comic-Merkmale ….............................................................................................................. 29
5.2.3.1 Comic als hybrides Medium …............................................................................................................ 29
5.2.3.2 Reduktion auf das Wesentliche …..................................................................................................... 29
5.2.3.3 Illustrieren, was sich nicht illustrieren lässt …........................................................................... 30
5.2.3.4 Panels statt Bleiwüste …....................................................................................................................... 30
5.2.3.5 Magie im Rinnstein …............................................................................................................................. 31
5.2.3.6 Recherche transparent machen ….................................................................................................... 31
5.2.3.7 Verknüpfung mit multimedialen Elementen …........................................................................... 32
5.2.4 „Klassische“ journalistische Funktionen …................................................................................... 32
5.2.5 Journalistische Funktionen im Zeitalter des Internets …....................................................... 34
5.3 Fazit …........................................................................................................................................................... 35
5.4 Hypothesenbildung …............................................................................................................................ 35
6 „50 Years On, Still Hungry“ – Fragebogen und Gruppendiskussion 37
6.1 Hypothese 1: Vorwissen über Webcomics und Comic-Journalismus …........................... 37
6.2 Hypothese 2: Trivialität von Comics und Untersuchungsgegenstand ….......................... 38
6.3 Hypothese 3: Wahrnehmung von Comic-Journalismus …...................................................... 40
6.4 Hypothese 4: Verwirrung durch Erwartungshaltung ….......................................................... 41
6.5 Hypothese 5: Urteil über die und Verständnis der Multimedia-Elemente …................. 43
6.6 Hypothese 6: Verbesserungsvorschläge ….................................................................................... 46
6.7 Zusammenfassung ….............................................................................................................................. 49
7 Fazit 50
8 Literaturverzeichnis 53
9 Abbildungsverzeichnis 57
10 Anhang 59
10.1 „50 Years On, Still Hungry“ ….............................................................................................................. 59
10.2 Datenträger …............................................................................................................................................ 65
3
„Kann ja nicht wahr sein!“Jonas in „Wormworld Saga“ (www.wormworldsaga.com)1 Motivation und Zielsetzung
Wer den Begriff „Comic“ hört, scheint meist zuerst an Produkte für Kinder und Jugendliche zu
denken. Periodisch erscheinende Produktionen, etwa mit Disney-Figuren (beispielsweise „Micky
Maus“, „Lustiges Taschenbuch“) oder in Tageszeitungen (etwa „Hägar“, „Garfield“) scheinen den
Comic in den Bereich der Unterhaltung zu rücken. Zwar gehört das Bedürfnis nach Unterhaltung
zu den journalistischen Funktionen, Journalisten geben aber an, in erster Linie informieren zu
wollen, und das möglichst objektiv (Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 102). Ein vermeintlich
naheliegender Schluss wäre demnach, dem Comic von vornherein die Kompetenz abzusprechen,
journalistisch sein zu können.
Dem gegenüber stehen Publikationen wie „Reportagen“ von Joe Sacco, der seine Reisen in
Kriegs- und Krisengebiete journalistisch in Comic-Form aufbereitet hat. Auch im Internet sind
Anbieter zu finden, die mit dem Ziel antreten, ihre Rechercheergebnisse journalistisch in
Comicform aufzuarbeiten, zum Beispiel www.comicmovement.com. Vereinzelt existieren
wissenschaftliche Untersuchungen jüngeren Datums, die journalistische Comics als solche
bestätigen. Ob Rezipienten das ebenfalls so sehen, liegt jedoch meines Wissens bislang im
Dunklen.
Gleichzeitig holt das Internet gegenüber den Leitmedien TV und Radio auf (vgl. Meier 2013:
111). Zudem erzählen sowohl der Comic als auch das Internet ihre Geschichten (in aller Regel) in
Bild und Text (vgl. Hammel 2013: 10).
Ziel dieser Arbeit ist es demnach, eine erste wissenschaftliche Kerze anzuzünden, um Licht in
dieses Dunkel zu bringen. Dementsprechend lautet die leitende Forschungsfrage:
Wie muss ein Webcomic beschaffen sein, um als journalistisches Produkt wahrgenommen zu werden?
Um diese Frage zu beantworten, wird ein Webcomic, der vorgibt journalistische Inhalte zu
transportieren, auf seine journalistischen Funktionen hin untersucht. Darauf aufbauend wird
eine Gruppendiskussion durchgeführt, aus der hervorgehen soll, ob der Comic von Lesern
überhaupt als journalistisch wahrgenommen wird. Weitere Meinungen der Teilnehmer werden
über einen Fragebogen erhoben.
Diese Arbeit beginnt mit einem kurzen historischen Abriss, der die Ursprünge des Comic
vorstellt und wichtige Entwicklungsschritte aufzeigt. Da sich der Comic bis in die Gegenwart
hinein Kritik grundsätzlicher Art ausgesetzt sieht und dies für die Rezeption als journalistischer
Darstellungsform wichtig erscheint, ist diesem Aspekt ein gesonderter Abschnitt gewidmet.
4
(Kapitel 2)
Anschließend wird der Diskurs der für diese Arbeit wichtigen Begriffe „Comic“, „Comic-
Journalismus“ und „Webcomic“ erläutert. Dies schließt den aktuellen Forschungsstand der drei
Felder ein. Es folgt ein Abschnitt über die journalistischen Funktionen und den Begriff der
Objektivität. (Kapitel 3)
Anschließend wird die Methodenwahl erläutert. Der Untersuchungsgegenstand und die
Gruppendiskussion richten sich nach dem Prinzip der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp
Mayring. Ein Fragebogen dient als zweites Element der empirischen Untersuchung. (Kapitel 4)
Untersuchungsgegenstand ist der Webcomic „50 Years on, Still Hungry“ von Victor Ndula. Dieser
wird auf Basis typischer Comicmerkmale und mehrerer traditioneller und internetbezogener
journalistischer Funktionen untersucht. Die Erkenntnisse aus Literatur und Analyse dienen zur
Entwicklung von Hypothesen, die als Grundlage dienen für einen Leitfaden. (Kapitel 5)
Dieser leitet die Gruppendiskussion und einen Fragebogen, mit denen die Rezeption des
Webcomic ergründet werden soll. (Kapitel 6)
Dann werden die Resultate von Inhaltsanalyse und Gruppendiskussion zusammengeführt,
ausgewertet und die Ergebnisse präsentiert. Ein Ausblick für mögliche weitere Forschungen und
ein persönliches Fazit beschließen die Arbeit. (Kapitel 7)
Die Arbeit stützt sich sowohl auf wissenschaftliche Literatur als auch auf Aufsätze aus
Sammelbänden, die sich mit dem Thema Comic befassen. Darüber hinaus liefern Beiträge aus
Fachzeitschriften Erkenntnisse zu den behandelten Forschungsfeldern. Mehrere
Abschlussarbeiten von Universitäten aus dem deutschsprachigen Raum stellen sicher, dass auch
neue und neueste Erkenntnisse Berücksichtigung finden. Vereinzelt werden zudem Zitate von
Comic-Autoren aus Wortlaut-Interviews herangezogen, die im Internet akustisch und optisch,
aber nicht schriftlich vorliegen.
Um einen besseren Lesefluss zu gewährleisten, wird auf die Nennung beider Geschlechter
verzichtet. Beide stehen jedoch gleichberechtigt nebeneinander. Die Rechtschreibung in Zitaten
ist der aktuellen Schreibweise angeglichen. Wird aus einem Comic zitiert, ist die Versalien-
Schreibweise dem üblichen Schreibstil angeglichen.
Ich verwende den Genitiv des Wortes „Comic“ ohne -s, richte mich in Zitaten aber nach dem
jeweiligen Autor.
Eine bearbeitete Variante des Webcomic befindet sich im Anhang: Die Seiten, die Comic-Bilder –
Panels genannt – sowie alle Multimedia-Elemente sind fortlaufend nummeriert.
5
„Jede Münze hat ihre eigene Geschichte, jede erzählt von einem erhabenen Moment des Triumphes über andere! Seufz!“Dagobert Duck (Rosa 2003: 257)2 Historie
Wie und wo der Comic seinen Anfang nahm, ist Teil dieses Kapitels. Es folgt ein kurzer Abriss
über die Entwicklung bis zum Beginn des Internetzeitalters. Diese wird zunächst generell im
Bezug auf Comics erläutert, anschließend ein Focus auf Comic-Journalismus im Web gelegt. Die
grundsätzliche Kritik am Comic beschließt das Kapitel.
2.1 Der gelbe Junge – Zum Ursprung des Comic
„(D)ie Geschichte des Comics ist die Geschichte einer oft unterdrückten Kunstform, die von der
Industrie gesteuert wurde und kaum künstlerische Freiheiten zuließ.“ (Schikowski 2014: 273).
Gemeinhin gelten der Wissenschaft die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts als Geburtsstunde des
Comic (vgl. Knigge 1996: 17). Der Ort ist ebenfalls aktenkundig: New York. Dort herrschte Ende
der 1890er Jahre ein Konkurrenzkampf zwischen den Tageszeitungen „Sunday World“ von
Verleger Joseph Pulitzer und „San Francisco Examiner“ von William Randolph Hearst (vgl. ebd.:
19). In der „World“ erschien am 5. Mai 1895 erstmals ein Comic mit einer Figur, die ein zunächst
farbloses, ab 5. Januar 1986 gelbes Nachthemd trug (ebd.: 17). Der Junge mit dem dicken Kopf
und den Segelohren erhielt bald den Namen Yellow Kid und wuchs zu einem Star der US-
Medienlandschaft heran. Anfangs standen die Texte noch in seinem gelben Nachthemd, ab dem
25. Oktober 1896 jedoch in Sprechblasen. Letzteres Datum ist für Knigge somit der sinnvolle
Geburtstag des Comic (ebd.).
Wenige Jahre nach Geburt des Yellow Kid waren die Grundsteine gelegt für das, was heute
landläufig Comic genannt wird.
2.2 Jeder für sich – die Entwicklungen in Amerika, Europa und Japan
Der Comicmarkt entwickelte sich in verschiedenen Erdteilen bis in die 1990er Jahre hinein
weitgehend nebeneinander.
In Amerika entstanden bis in die 1930er Jahre
zunächst kurze Strips unterschiedlicher Machart, die
fast ausschließlich der Unterhaltung verpflichtet
waren. Darunter waren Klassiker wie das noch heute
erscheinende „Gasoline Alley“ oder die surrealistische
Ménage-à-trois „Krazy Kat“. In den späten 1920ern
kamen Abenteuercomics auf wie „Tarzan“. Das „goldene
Zeitalter“ der Superhelden begann in den späten
6
Abb. 1: Zip, Pow, Kontact: Szene aus George Herrimans 20er Jahre-Klassiker „Krazy Kat“
1930ern (1938 erschien erstmals „Superman“). Nach einer kurzen Ära der „Educational Comics“
für Erwachsene in den 1940ern (vgl. Schikowski 2014: 70) bescherte das „silberne Zeitalter“ der
1950er und 60er den Superhelden einen zweiten Frühling (vgl. ebd.: 86). Langlebige tägliche
Comic-Strips wie Charles Monroe Schulz´ „Peanuts“ (1950-2000) gehörten für viele Leser in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Zeitungslektüre dazu.
In den 1960ern entwickelten sich die „Underground Comix“, eine kurzlebige, aber einflussreiche
Gegenbewegung (ebd.: 162) zu den mittlerweile häufig selbstzensierten Comics (siehe Kapitel
2.4).
Erste Berührpunkte von Comic und Journalismus liegen in der New-Journalism-Bewegung der
1960er und 1970er Jahre. Die Vertreter betonten den subjektiven und experimentellen
Charakter ihrer Arbeiten, statt in erster Linie auf Faktizität und Genauigkeit zu setzen (vgl.
Vanderbeke 2010: 73) – im scharfen Kontrast zur objektiven Newsroom-Arbeit der Gegenwart
(Williams in ebd.: 74). Beispiele sind Art Spiegelmans Holocaust-Parabel „Maus“ (erstmals 1972,
komplett 1986), der erste mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Comic überhaupt (1992) (vgl.
Schikowski 2014: 177), und Joe Saccos „Palestine“ (1993).
Der europäische Markt war lange geprägt von der frankobelgischen Szene. Ab 1929 erschien
Tintin (Tim und Struppi) aus der Feder des Belgiers Hergé, dessen Zeichenführung unter dem
Begriff „Ligne Claire“ stilprägend wurde (ebd.: 290). In späteren Jahrzehnten gelangten Figuren
wie die Schlümpfe (Peyo), Asterix (Albert Uderzo und René Goscinny) oder Lucky Luke (eben-
falls Goscinny) auch außerhalb des französischsprachigen Raumes zu Berühmtheit.
Deutschland galt demgegenüber in puncto Comics lange Zeit als Entwicklungsland, unter
anderem wegen einer „Schmutz- und Schund“-Kampagne in den 1950er Jahren (Grünewald
2000: 77) (siehe Kapitel 2.4). Die Erziehung – in und außerhalb der Schule – entdeckte den
Comic in den 1970er Jahren für sich (vgl. ebd.: 75). Erst in den 1980er Jahren begann der
weitgehend weiße Fleck auf der europäischen Landkarte zu verschwinden, allerdings zunächst
vorwiegend mit dem Witz verpflichteten Comics wie Rötger Feldmanns „Werner“ (ab 1981), Ralf
Königs „Der bewegte Mann“ (1987) und Walter Moers´ „Kleines Arschloch“ (ab 1990) (vgl.
Knigge 1996: 310).
Der für den japanischen Markt typische Manga gelangte in Fernost nach dem Zweiten Weltkrieg
zu enormer Popularität, erst ab den 1990er Jahren aber auch ins Bewusstsein eines größeren
Publikums in der westlichen Welt. Dort gilt das autobiografische „Barfuß durch Hiroshima“ von
Keiji Nakazawa als bekanntestes Werk.
Mit der Globalisierung wachsen auch Comic-Welten zusammen und loten neue Wege des
Erzählens aus (ebd.: 10f).
7
2.3 „Infinite Canvas“ – Der Comic im Web
„Die Geschichte des Webcomics ist eng verknüpft mit der Geschichte der Web-Technologien.“
(Hammel 2013: 30). Björn Hammel unterteilt die Entwicklung der Webcomics dementsprechend
in fünf Zeitabschnitte, (1) beginnend 1993 mit der Geburt des Browsers und des ersten
Webcomics namens „Doctor Fun“. (2) In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vereinfachte die
technologische Entwicklung den Transfer von Comics ins Web, beispielsweise durch freie Site-
Builder. Schwerpunkt waren Nerd-Comics (ebd.: 34).
(3) 2000 stellte der Comiczeichner und -theoretiker Scott McCloud seine Idee der unendlichen
Leinwand vor: das theoretische Potenzial, Comic-Strukturen wie beispielsweise die Panel-
Begrenzung aufzuheben oder zu neuen Ufern zu führen (vgl. McCloud 2001: 226-229). Neue
Vertriebswege und Technologien entwickelten sich, im Web dominierten aber weiterhin
Cartoons (Einbildwitze), Strips und One-Pager (vgl. Hammel 2013: 36f). (4) Neue Möglichkeiten
eröffneten ab etwa 2006 Blogs wie Wordpress und – als Aufsatz dafür – Comicpress (vgl.
Lachwitz 2012: 67), die Zeichner wie Randall Munroe („xkcd“, ab 2006) nutzten. Webcomic-
Macher vernetzten sich immer mehr (vgl. Hammel 2013: 37). Comics wie „Girl Genius“ von Phil
und Kaja Foglio wanderten vom Print ins Web (2005), „American Born Chinese“ von Gene Yang
ging den umgekehrten Weg (2006) (vgl. Garrity 2011). Derzeit beginnen Print-Verlage Interesse
an Webcomics zu zeigen und verhelfen Webcomic-Autoren zu größerer Bekanntheit (vgl. Dietz
2014: 75).
(5) Heute, im Zeitalter „of This Whole App Thing“ (Garrity 2011), sind die Webcomics am
erfolgreichsten „that can flee their original context and put a girdle round the earth, skipping
from format to format“ (ebd.). Dem stimmt Lee Atchison zu: „(W)ebcomics are becoming
powerful memes“. Webcomics orientieren sich derzeit dank der Tablets wieder am für Comics
einst üblichen Hochformat, was „episch angelegte(r) Webcomics“ zu begünstigen scheint
(Hammel 2013: 42). Responsives Webdesign – hier passen sich Größe und Auflösung der
Darstellung dem jeweiligen Bildschirm an – tut sein Übriges (ebd.: 43 und 66), was auch Comic-
Zeichner Victor Ndula meint: „hand held devices like mobile phones is (sic!) greater than
computers or print“ (Ndula 2010). Erfolgreiche Webcomics ähneln offenbar den klassischen
Comicstrips. Die (Online-)Comiczeichnerin und -verlegerin Ulli Lust vermutet deshalb, „dass die
Leser gar nicht interagieren, gar keinen Einfluss nehmen wollen. Sie wollen in eine Geschichte
geworfen werden.“ (Dietz 2014: 76)
Hammel geht mit seiner Einteilung einen anderen Weg als T Campbell 2006 im bislang einzigen
wissenschaftlichen Buch über Webcomics (vgl. Hammel 2013: 29).
8
Doch der Webcomic hat seine Grenzen: Wenn auf den Webseiten nicht mindestens einmal
wöchentlich etwas passiert, geraten sie beim Publikum leicht in Vergessenheit. Die Ladezeiten
sind noch immer problematisch. Zudem müssen die Comiczeichner auch noch Webdesigner sein,
um sowohl Comic als auch Internet voll auszuschöpfen.
Außerdem nehmen Leser Multimedia-Comics eher als
Experimente wahr denn als Lesestoff. Deshalb besteht der
Standard-Comic im Web meist aus mehrmals wöchentlich
aktualisierten Folgen einzelner Strips, Cartoons oder Seiten
(vgl. Vähling 2013).
Eine lukrative Einnahmequelle für Zeichner sind Webcomics
derzeit nicht (vgl. Banhold/Freis 2012: 165 sowie Ndula
2010).
Die Anzahl der Webcomics ist völlig unklar. Es könnten
18.000 sein (vgl. o.V. 2014) oder 36.000 (vgl. Manley 2008).
Inhaltlich ähneln die Webcomics manchmal kurzen
Tagebucheinträgen, manchmal sind es von McCloud
inspirierte Endlos-Leinwand-Comics wie „Wormworld Saga“
von Daniel Lieske, oft auch Fortsetzungsgeschichten (vgl. Lachwitz 2012: 65f) – oder eben
Arbeiten mit journalistischem Hintergrund.
2.3.1 Comic-Journalismus im Web
Wie viele comic-journalistische Arbeiten existieren, ist unklar. Eine Zusammenschau mit derzeit
(Juni 2014) etwa 150 Arbeiten verschiedener Machart in unterschiedlichen Sprachen bietet
zumindest einen Überblick (Plank 2013a). Seiten wie www.comicmovement.com,
www.cartoonpicayune.com oder www.symboliamag.com geben den Journalisten und/oder
Zeichnern für ihre teils rechercheintensiven Arbeiten ein Forum. In Japan soll es eine Seite
geben, die tagesaktuelle Nachrichten nahezu in Echtzeit publiziert (Archer: o. J.).
Vereinzelt nutzen auch deutsche Medien Comic-Elemente off- und online in ihrer
Berichterstattung. So schickte „Die Zeit“ Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende 2013 auf eine
Zeitreise zu Ökonomen und Politikern des 18. bis 20. Jahrhunderts (vgl. Migliazzi/Klein 2013).
Das „Süddeutsche Zeitung Magazin“ bettete im Frühjahr 2014 Comics in eine Titelgeschichte
über die Wirtschaftskrise ein (vgl. Roca 2014). „Der Spiegel“ übertrug seine Titelgeschichte über
die Nazi-Vergangenheit des Vaters eines der Autoren ins Internet (vgl. Menschik/Schnibben
2014).
Auch deutsche Lokalzeitungen machen sich den Comic zunutze, setzen dabei aber offenbar in
9
Abb. 2: Die endlose Leinwand: Szene aus Daniel Lieskes „Wormworld Saga“
erster Linie auf Unterhaltung, wie die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“ mit ihrem
Historie und aktuelle Themen vermengenden Harzhorn-Comic (Hessische/Niedersächsische
Allgemeine 2014) oder die „Schwäbische“, die die Arbeitsweise ihrer Online-Redaktion pointiert
(Augustin 2014).
2.4 „Lesefutter für Analphabeten“? – Der Comic in der Kritik
Die Kritik am Comic ist beinahe so alt wie das Format selbst. „Solange der Comic (…) als
Massenkultur galt, begleitete ihn (…) immer der Verdacht des Trivialen.“ (Schikowski 2014: 16).
Comics waren pauschal „aggressively ugly“ (Groensteen 2009a: 6). Schon der Yellow Kid sah sich
Kritik ausgesetzt. Er sei wegen der „sprachlichen Inhalte auf niedrigstem Niveau“ einer Zeitung
im Prinzip nicht würdig (Schikowski 2014: 38).
Thierry Groensteen stellt die These auf, dass der Comic unter vier Handicaps leidet: dem Hybrid-
Dasein von Text und Bild, dem vermeintlichen Fehlen erzählerischer Ambitionen, der Nähe zur
Karikatur und dem Nostalgie-Image (vgl. Groensteen 2009a: 7).
Die Kritik-Phänomene in vielen Teilen der Welt ähnelten sich: Stets führten die Gegner, unter
anderem Pädagogen, die vermeintlich negativen Auswirkungen auf Kinder an, stets ging die
Politik gegen Verlage oder Zeichner vor, stets war die Lösung Selbstzensur (vgl. Lent 2009: 73).
Innovationen wurden somit für viele Jahre ausgebremst (vgl. Schikowski 2014: 16).
Die „Sprechblasenliteratur“ sei „Lesefutter für Analphabeten“, hieß es etwa in Deutschland, wo
christliche Verbände keine zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges Comics verbrannten.
1954 entstand die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die zuerst zwei Comics
indizierte, weil sie ihn ihnen „entartete Phantasie“ erkannte. Amerikanische Comic-Kritiker
befürchteten, Jugendliche könnten durch den Konsum schneller kriminell werden (ebd.). Der
„Comics Code“ (ab 1955) verpflichtete die Verlage zur Selbstzensur.
Erst mit der Veröffentlichung von „Maus“ begannen die Diskutanten zu erkennen, dass Comics
künstlerisch von Wert sein können und nicht nur leichte Inhalte transportieren (vgl. Grünewald
2000: 80).
In Massenmedien haben Comics kaum die Chance, anspruchsvolle Inhalte zu transportieren,
denn die „Hausmannskost“ bleibt „dem Erfahrungs- und Rezeptionshorizont des
durchschnittlichen Rezipienten (des Massenpublikums) und seiner Erwartungshaltung
angepasst“. Allzu häufig werden erwartbare Klischees bedient (ebd.: 84).
Anspruchsvolle Comics, die das Massenpublikum wenig interessiert, findet der Leser eher im
Buchhandel. Zielgruppe dieser Comics sind Leser, die sich der Herausforderung abseits der
„Hausmannskost“ stellen, Leser, die auf Inhalte und Ästhetik aus sind. Die „längerfristige
Präsenz“ anspruchsvoller Comics „auf dem Markt sowie eine kritisch-reflektierende
10
Öffentlichkeit sind unabdingbare Voraussetzungen – was heißt, dass die Qualität des Comic-
Angebotes ebenso von seiner kulturellen Akzeptanz abhängt, wie umgekehrt sich kulturelle
Akzeptanz nur bildet, wenn das Produkt Qualität verspricht und öffentlicher Aufmerksamkeit
wert ist.“ (ebd.: 85).
Dan Archer vermutet, dass Kritik an Journalismus in Comic-Form auch damit zu tun hat, dass
Leser diesen schlicht nicht gewöhnt sind: „Text – we´re so much more familiar with it, so we get
away with it.“ (Archer et al 2011/12: 42.15min).
„Gerne hätte ich es den beiden Hauptverantwortlichen überlassen, die Wichtigkeit dieses Tribunals zu erklären, anstattdies selbst zu tun.“Joe Sacco (Sacco 2013: 14) über Probleme während seiner Arbeit am Comic „Den Haag“3 Definitionen
Comic, Comic-Journalismus, Webcomic: Alle drei Begriffe eint, dass ihre Definition Raum für
Diskussionen bietet. Für das weitere Verständnis ist es deswegen nötig, den aktuellen
Forschungsstand aufzuzeigen und das Definitionsfeld soweit wie möglich einzugrenzen. Daraus
ergibt sich am Ende jedes Unterkapitels der Kontext, in dem die drei Begriffe in dieser Arbeit
verwendet werden. Zudem sollen einige Begriffe, die im alltäglichen Sprachgebrauch in
Verbindung mit Comics auftauchen, zum besseren Verständnis abgegrenzt werden.
3.1.1 Comic: Forschungsstand
„Mit einiger Verspätung also, etwa 100 Jahre nach der Erfindung des Mediums, wird sich ein
interdisziplinärer humanwissenschaftlicher Diskurs der Möglichkeiten des Mediums bewußt“
(Ahrens 2012: 11).
Das Forschungsinteresse war bis Ende der 1990er Jahre gering und zuvor von einer negativen
Grundhaltung gegenüber dem Comic geprägt gewesen. Das begann sich zu ändern, als in den
1960er Jahren Bildende Künstler wie Andy Warhol oder Filmemacher wie Woody Allen Comic-
Elemente in ihren Werken verwendeten.
Der Comic ist bereits zu einem „inter- und transkulturellen Phänomen geworden“, aber die
Forschung hat noch mit nationalen Barrieren zu kämpfen. Zudem sei das wissenschaftliche
Material noch nicht sonderlich zahlreich. Die Interdisziplinarität sei ein zweischneidiges Schwert
– einerseits hat jeder akademische Ansatz die Chance, „die blinden Flecken anderer Disziplinen
auszugleichen“ (Eder/Klar/Reichert 2012: 10), andererseits hat das auch zur Folge, dass die
wissenschaftlichen Arbeiten dezentralisiert sind (ebd.: 11). Eine eigenständige Disziplin ist die
Comicforschung auch in Deutschland nicht und wird es vermutlich nicht werden, wenngleich sie
an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Bachmann/Sina/Banhold 2012: 9).
11
3.1.2 Die Definition von Comic – über Bilder, Komik und Hybridität
„Bislang hat noch niemand eine wirklich umfassende Definition erbringen können.“ (Schikowski
2014: 26). Wegen der Vielfalt dessen, was sich Comic nennt, spricht Groensteen gar von der
Unmöglichkeit, den Comic zu definieren (vgl. Groensteen 2009b: 126). Schikowski verwendet
den Begriff „Comic“ schlicht als Gattungsbezeichnung (vgl. Schikowski 2014: 288), Heike
Elisabeth Jüngst spricht statt von Medium oder Genre ganz bewusst von Format (vgl. Jüngst
2010: 12).
Auf die Wandlungsfähigkeit des Comic und damit auch seiner Definitionen weisen Bernd Dolle-
Weinkauff (vgl. Dolle-Weinkauff 1990: 326) und Eckart Sackmann (vgl. Sackmann 2007: 7) hin.
Sackmann betont schon im Titel: „Comics sind nicht nur komisch“ (ebd.). Der englische Begriff
sei aber nach wie vor ein Hindernis auf dem Weg zu einer „vorurteilsfreie(n) Ein- und
Zuordnung“ und „grundsätzlich ungeeignet“ (ebd.: 8).
Als Grundlage der Comic-Definition gilt der Begriff
„sequential art“, den Will Eisner 1986 prägte (vgl.
Schikowski 2014: 26 sowie Eisner 2008: 2). Darauf
aufbauend veröffentlichte Scott McCloud 1992 eine
vielbeachtete Erweiterung (in Comicform). Er
definierte Comics als „(z)u räumlichen Sequenzen
angeordnete, bildliche oder andere Zeichen, die
Informationen vermitteln und/oder eine
ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen
sollen.“ (McCloud 2001: 17).
Der Comic gilt als ein hybrides Medium (vgl. Denkmayr 2008: 148 sowie Eder/Klar/Reichert
2011: 12), „eine(r) Kombination aus Bild und Text.“ (Denkmayr 2008: 148 sowie Eisner 2008: 2).
Für Dietrich Grünewald sind Comics
„Bildgeschichten des 20. Jahrhunderts, vorwiegend der engen Bildfolge verpflichtet, dank moderner Drucktechnik über Massenprintmedien wie Zeitung, Heft, Album und Buch verbreitet, was allerdings Unikate oder elektronische Verbreitung (Comics im Internet) ausschließt. Die Übereinstimmung mit einer traditionellen Bildgeschichte, die Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten, die weitläufig als comicspezifisch gelten, aber schon früher entwickelt wurden, lassen es meiner Meinung nach sinnvoll erscheinen, von einem übergeordneten ,Prinzip Bildgeschichteʼ zu sprechen, das die Eigenständigkeit, die Autonomie dieser Erzählkunst (…), seine Abgrenzung vom illustrierten Text und von anderen Formen erzählender Kunst (…) herausstreicht. (…) Als moderne Form der Bildgeschichte (…) kann der Comic gelten.“ (Grünewald 2000: 15).
Was in Grünewalds Definition schon anklingt – der Ausschluss von Comics im Internet –,
beschäftigt Lukas Plank, der 2013 im Zusammenhang mit journalistischer Qualität und dem
12
Abb. 3: McClouds Comic-Definition von 1992.
Aufkommen digitaler Comics vorschlägt, zu einer „grundsätzlich neuen, umfassenden Definition
des Comic-Begriffs“ zu kommen (Plank 2013b: 166).
Diese Arbeit versteht den Comic in Anlehnung an Denkmayr und Grünewald als einen Hybrid,
der nach dem Prinzip der Bildergeschichte funktioniert.
3.2.1 Comics und Journalismus: Forschungsstand
Eine Forschung existiert nicht. (vgl. Hangartner/Keller/Oechslin 2013: 8 über Sachcomics). Seit
einigen Jahren bemüht sich die Gesellschaft für Comic-Forschung in Deutschland um eine
Ordnung der bisher vorliegenden Recherche. Erste Ansätze liefern Denkmayr (2008) und Plank
(2013). Denkmayr betrachtet den Comic-Journalismus „als Gegenentwurf zum objektiven und
oft inhumanen Informationsjournalismus“ (Denkmayr 2008: 233). Plank entwirft einen ersten
Leitfaden für „qualitativ hochwertige journalistische Comics“, betont aber, dass es mehrere
dieser Art geben sollte sowie eine wissenschaftliche Diskussion über „guten Comic-
Journalismus“ (Plank 2013b: 101).
3.2.2 Die Definition von Comic und Journalismus – bewusst subjektiv
In journalistischen Sammelbänden taucht der Comic meist in der Unterhaltungssparte auf (vgl.
etwa Böhn/Seidler 2008: 65 und Reumann 2009: 130).
„We research + investigate a story in the traditonal way(,) but our stories are filed as Comics,
not pure text, photos/video.“ (Archer 2011, Hervorhebungen im Original). Comic-Journalist
Dan Archer teilt die Comic-Journalisten ein in drei Gruppen: Einzelkämpfer, die Recherche,
Zeichnung und Text selbst in die Hand nehmen, Gruppenarbeit von Journalisten und
Comiczeichnern (Comic Artists im Original) und nichtfiktionale Comics, die sich mit historischen,
literarischen oder wissenschaftlichen Themen auseinandersetzen.
Auch Matt Bors betont das. Comic-Journalismus ist „(t)elling true stories with accuracy and
transparency.“ (Bors 2014).
Ähnlich hat es der Comic-Journalist Joe Sacco, der als Vater der Comic-Reportage gilt (vgl.
Schikowski 2014: 249), im Zusammenhang mit „Palestine“ betont: Ihm seien Ehrlichkeit und
Transparenz besonders wichtig gewesen (ebd.: 248). Ein Teil der Transparenz im
journalistischen Alltag ist nach Stephan Ruß-Mohl, die Bedingungen der Berichterstattungen
offenzulegen (vgl. Ruß-Mohl 2003: 335). Sacco setzt das im Sammelband „Reportagen“ in Form
von Anmerkungen um, die er den Comics nachstellt. Dort weist er unter anderem auf Probleme
hin, die seine Arbeit beeinträchtigten (vgl. Sacco 2013: exemplarisch 14). Wie Sacco zeichnet
sich auch Dan Archer in Comic-Panels hinein „bringing to light the transparency in my
journalistic creative process“ (Archer 2011: 1.53min).
13
In einer Befragung von Comic-Journalisten für
seine Masterarbeit bestätigt Lukas Plank den
Transparenz-Aspekt, den er unter anderem
auf Basis Philomen Schönhagens
herausarbeitet und als „transparente
Subjektivität“ bezeichnet (Plank 2013b: 17
und 164). Plank entwirft einen Leitfaden, in
dem er die Transparenz in den Mittelpunkt
stellt, und schlägt vor, in jedes Comic-Bild
Symbole einzufügen, welche die Quelle
transparent machen. Je nach Veröffentlichung
können Vor- oder Nachwort, Anhang,
Fußnoten, Links oder die Ich-Form
Alternativen zu den Symbolen sein (vgl. ebd.:
129 sowie Plank: o. J.).
Wie Plank ausarbeitet (Plank 2013b: 45), ist
Comic-Journalismus für Josh Neufeld eine
Mischform aus Journalismus, historischer
Recherche und Kunst (vgl. Williams 2012).
Benjamin Woo meint gar, dass der Begriff irreführend sei – weil Objektivität und Überprüfung
(bei Woo „verification“) in der Branche derart hochgehalten würden (vgl. Woo).
Hauptargument gegen Nachrichten im Comicformat ist, dass sie gezeichnet sind, also
vermeintlich subjektiv (Archer: o. J.). Plank meint, unter anderem basierend auf Vanderbeke,
dass der Comic lediglich den dem Journalismus inhärenten Subjektivismus offenbar macht (vgl.
Plank 2013b: 70).
Für Vanderbeke ist die Subjektivität eines der Bestandteile, weitere sind bewusste
Fiktionalisierung und künstlerische Verzerrung. Sie alle dienen dazu, sich einer „essential truth“
anzunähern, die klassischer Journalismus nicht immer erreichen könne. In diesem
Zusammenhang stelle Comic-Journalismus auch die vermeintliche Echtheit von Fotos infrage
und betone die Vorteile, auch Dinge darstellen zu können, die anderen Formen des Journalismus
vorenthalten bleiben (vgl. Vanderbeke 2010: 79f). Darunter kann beispielsweise die Totale einer
Szenerie fallen, von der möglicherweise kein Foto zur Verfügung stand (vgl. exemplarisch Sacco
2013: 22 sowie Abb. 4).
Jüngst spricht statt von Comic-Journalismus von „Information Comics“ (deutsch: Sachcomics,
Jüngst 2010: 19). Für Schikowski ist die (Comic-)Reportage eine Art Sachcomic, allerdings als
14
Abb. 4: Alternative zum Foto: gezeichnete Szene aus Joe Saccos „Palestine“
Teil einer neueren Form der Graphic Novel (vgl. Schikowski 2009: 205).
Die Begriffe „Graphic Novel“ und „Comic-Journalismus“
sind nicht synonym. Sie ist eine „(i)n sich
abgeschlossene Geschichte, zumeist in Buchform,
allerdings ohne Format-Vorgaben“ (Schikowski 2014:
290), die „die Eigenständigkeit des Comics als
erzählende Kunstform“ unterstreicht (Schikowski
2009: 204). 1978 verwendete Will Eisner den Begriff,
um seine Arbeit „Ein Vertrag mit Gott“ (A Contract with
God) besser vermarkten zu können (vgl. Schikowski
2014: 172f). Der „Graphic Novel“-Begriff läutete zwar
einen Paradigmenwechsel ein (vgl. Schikowski 2009:
139), aber verselbstständigte sich mit den Jahren und
wird beispielsweise in Deutschland von einigen
Verlagen als Marketing-Instrument gezielt genutzt, um
den Produkten ein vermeintlich höheres Image als
Comics zu verleihen (vgl. Schikowski 2014: 180).
Plank erweitert McClouds Definition und kommt zu dem Schluss:
„Comic-Journalismus bezeichnet zu räumlichen Sequenzen angeordnete, bildliche oder andere Zeichen, die Informationen vermitteln sollen und eine ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen können. Das Ziel der Informationsvermittlung steht über jenem der ästhetischen Wirkung. Die Zeichen müssen wissenschaftlich publizierte journalistische Qualitätskriterien jedenfalls teilweise und idealerweise bestmöglich erfüllen.“ (Plank 2013b: 164).
Die bisweilen zu lesende Formulierung „Comic-Reportage“ (vgl. etwa Denkmayr) meint meist die
deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „comics journalism“ (Plank 2013b: 3). Sie ist aber
eigentlich gar keine Reportage (vgl. Schikowski 2014: 249). Da es in dieser Arbeit zudem um ein
journalistisches Produkt im Allgemeinen und nicht um eine Form der Reportage im Besonderen
geht, wird im Folgenden der von Plank und anderen verwendete Begriff „Comic-Journalismus“
verwendet.
3.3.1 Webcomic: Forschungsstand
„Eine Webcomic-Forschung existiert bislang nicht“, (Hammel 2013: 78) „vielmehr beginnt sich
überhaupt erst langsam ein wissenschaftliches Interesse an dieser Form des Comics zu
entwickeln.“ (Banhold/Freis 2012: 159). Weil Multimedia ebenso wie der Comic Geschichten in
Wort und Bild erzählt, könnte sich die Wissenschaft zukünftig vermehrt mit diesem Aspekt des
15
Abb. 5: Marketing-Maßnahme: Szene aus Will Eisners „A Contract with God“
Webcomic befassen, mutmaßt Hammel (vgl. Hammel 2013: 75).
3.3.2 Die Definition von Webcomic – Bilder ohne Grenzen?
Laut Björn Hammel sind Webcomics „Comics, die online publiziert werden, und zu deren
Rezeption ein Endgerät mit Internetzugang benötigt wird.“ (Hammel 2013: 75).
Die Literatur erwähnt Begriffe wie „digitale Comics“ (vgl. etwa McCloud 2001: 230) und
„Webcomics“ (vgl. etwa Sackmann 2007: 15 oder Reichert 2011: 123) synonym. Hammel
differenziert: Alle Webcomics sind auch digitale Comics. Umgekehrt gilt das allerdings nicht (vgl.
Hammel 2013: 13f).
McCloud erkannte im Jahr 2000 die Potenziale, die das Internet für den Comic haben könnte, und
sprach in seinem Buch „Reinventing Comics“ von der „infinite canvas“ (McCloud 2000: 200).
McCloud beschrieb damit das theoretische Potenzial, Comic-Strukturen wie beispielsweise die
Panel-Begrenzung aufzuheben oder zu neuen Ufern zu führen (vgl. McCloud 2001: 226-229).
Für Reichert sind Webcomics nur vordergründig Printprodukte im Internet, was er durch
weitere Ausdifferenzierungen erläutert (vgl. Reichert 2011: 122). „Multimediale Comics
bestehen aus mehrdimensionalen digitalen Medien wie Text, Grafik, Fotografie, Audio, Video,
Animation oder auch Virtual Reality Modellen.“ (ebd.: 126). Demgegenüber sei Interaktivität in
den meisten Webcomics nicht mehr als „Zeigen-und-Klicken“, oft verbunden mit Videosequenzen
(ebd.: 131).
Hammel sieht das anders. Er unterteilt Webcomics im Gegensatz zu Reichert in sechs (noch nicht
validierte) Kategorien (vgl. Hammel 2013: 79). (1) Konventionelle Webcomics können
unverändert auch im Print erscheinen. (2) Für adaptive Webcomics gilt dies ebenfalls, aber diese
passen sich an die jeweilige Bildschirmdarstellung an. (3) In hypertextuellen Webcomics hat der
Leser die Wahl, in welcher Reihenfolge er den Comic konsumiert. (4) Interaktive Webcomics
verlangen einen Algorhythmus, mit dem der Leser aktiv in die Entwicklung des Comic eingreifen
kann. (5) Multimediale Webcomics sind solche, in denen Bild und/oder Ton enthalten ist. (6)
Experimentelle Webcomics schließlich sind solche, die Technologien einsetzen, die bislang für
Comics noch nicht verwendet worden sind (vgl. Hammel 2013: 51-60).
Demgegenüber gibt Plank zu bedenken, dass digitale Comics aber vielen Definitionen des Comic
gar nicht entsprächen (vgl. Plank 2013b: 165).
Den Umschreibungen Hammels und Reicherts zufolge handelt es sich beim zu untersuchenden
Comic um einen multimedialen, nicht um einen interaktiven Comic – auch wenn diese Begriffe
landläufig gerne in einen Topf geworfen werden.
16
3.4 Comic-Rezeption: Forschungsstand
„Untersuchungen zum konkreten Rezeptionsprozess von Comics, wie sie gelesen werden, gibt es
kaum.“ (Grünewald 2000: 74, Hervorhebung im Original).
Kinder und Jugendliche sind die einzigen Menschen, die Comics lesen – diese Vermutung drängt
sich auf bei der Sichtung von Rezeptionsstudien und Statistiken zum Konsum von Comics. Klaus
Peter Treumann et al fanden heraus, dass Comic- und Zeitungslektüre für Jugendliche
gleichermaßen Nischenbeschäftigungen sind. Sie lesen etwa 1,8 Stunden Comics pro Woche.
Comics werden häufiger von Haupt- und Gesamtschülern gelesen (Treumann et al 2007: 142f).
Unter dem Stichwort „Comics“ finden sich in der Daten-Plattform Statista Erhebungen zu
Themen wie „Maßnahmen um Kinder bei längeren Autofahrten bei Laune zu halten“, auch die
übrigen Statistiken zielen fast ausnahmslos auf Kinder und Jugendliche, zur Rezeption
Erwachsener ist nichts zu finden (vgl. Statista 2014).
Eine nichtrepräsentative Studie mit Jugendlichen hat herausgefunden, dass für die
Glaubwürdigkeit eines Comic Merkmale sprechen wie der Zeichenstil, die Erzählform, der
Kontext und die handelnden Personen (Oechslin 2013: 209).
Eine Auseinandersetzung mit dem ernsthaften Charakter von Comics scheint zu fehlen. Eine
Hürde sei das Image von Comics, das auch an Universitäten herrsche, bilanziert Joachim
Trinkwitz ernüchtert. „Mangelnde Kompetenz“ konstatiert er bei Dozenten und Studenten
gleichermaßen (Trinkwitz 2011: 67).
3.5 Journalistische Funktionen
Was bisher geschah: Die vorangehende Abgrenzung der Begriffe „Comic“, „Comic-Journalismus“
und „Webcomic“ diente dazu, den ersten Teil der Forschungsfrage („Wie muss ein Webcomic
beschaffen sein?“) besser einordnen zu können.
Um eine Annäherung an den zweiten Teil der Forschungsfrage („um als journalistisches Produkt
wahrgenommen zu werden?“) zu ermöglichen, muss zunächst einmal klar sein, was ein
„journalistisches Produkt“ ist. Unter sicherlich vielen möglichen Herangehensweisen erscheint
mir der Weg über die journalistischen Funktionen sinnvoll. So lässt sich beispielsweise prüfen,
ob die landläufige Annahme, Comics dienten in erster Linie der Unterhaltung, auch auf den
untersuchten Comic zutrifft. (Was, soviel vorab, nicht der Fall ist.) Ich orientiere mich an den von
Heinz Pürer zusammengefassten „klassischen“ journalistischen Funktionen (vgl. Pürer 2003:
425-428) sowie an den speziell auf das Internetzeitalter bezogenen journalistischen Funktionen
nach Peter Schumacher (vgl. Schumacher 2009: 35-43).
Da sich, wie in Kapitel 3.2.2. erläutert, der Comic oft des Vorwurfs ausgesetzt sieht, nicht objektiv
sein zu können, gehe ich auch auf den im Rahmen der journalistischen Funktionen oft erwähnten
17
Begriff der Objektivität ein. Diesen stelle ich dem von einigen Comic-Journalisten verwendeten
Prinzip der „transparenten Subjektivität“ gegenüber.
3.5.1 „Die Klassiker“
Die Informationsfunktion stellen viele Forscher an den Beginn ihrer Ausführungen über
journalistische Funktionen (vgl. etwa Burkart 2002: 382). Roland Burkart nennt im
Zusammenhang mit der Informationsfunktion unter anderem die Forderung nach Objektivität –
die nur theoretisch erreichbar ist (vgl. ebd.: 408). Ulrich Saxer spricht von einer Verpflichtung
oder dem Willen „zu einer möglichst unverzerrten und daher allgemein annehmbaren
publizistischen Beschreibung der Wirklichkeit“ (Saxer 1974: 211).
Christoph Neuberger schlägt dagegen vor, sich vom Dogma der Objektivität zu lösen (vgl. Burkart
2002: 411). Das haben, wie in Kapitel 3.2.2 erläutert, einige Comic-Journalisten bereits getan –
zugunsten der „transparenten Subjektivität“, der Offenlegung von Quellen vor, im oder am Ende
des Comic. In Anlehnung an Planks Leitfaden-Vorschlag, insbesondere dem Prinzip der
Verlinkung und der Verwendung von Symbolen, verstehe ich die multimedialen Elemente des
Untersuchungsgegenstandes als Elemente transparenter Subjektivität.
Ein Teilaspekt der sozialen Funktion der Massenmedien scheint im Zusammenhang mit Comics
bedeutsam zu sein: die Rekreationsfunktion, mit der Medien das Bedürfnis nach Zerstreuung
und Ablenkung befriedigen sollen. Diese Befriedigung soll zu Unterhaltung, Entspannung oder
Erholung führen, bisweilen (aber) auch Realitätsflucht ermöglichen, „geistig ,unter(zu)tauchenʼ“
(Burkart 2002: 387). Comics mit diesem Anspruch finden sich, wie in Kapitel 2.4 ausführlicher
beschrieben, eher in Massenmedien, während Comics abseits der „Hausmannskost“ eher ein Fall
für den Buchhandel sind (Grünewald 2000: 84). Zur sozialen Funktion der Massenmedien gehört
weiterhin unter anderem die Sozialisationsfunktion, die Normen, Werte, Denkformen und
Verhaltensweisen zum Thema hat (Pürer 2003: 426).
Bezogen auf die politische Funktion der Massenmedien ist im Zusammenhang mit dem
vorliegenden Comic die politische Bildungsfunktion hervorzuheben. Politische Bildung ist mit
den Worten Franz Ronnebergers die Möglichkeit, „Informationen aufzunehmen und
zusammenhängend zu verstehen“ und gipfelt im Idealfall darin, sich eine eigene Meinung bilden
zu können (Ronneberger 1974: 204, zit. n. Burkart 2002: 395).
Zu den politischen Funktionen gehört des weiteren die Kritik und Kontrolle (Pürer 2003: 426),
die unter anderem in weiten Teilen Afrikas noch nicht sonderlich ausgeprägt ist (Ruß-Mohl
2010: 18). Auch das politische System hat eine Reihe von Bedürfnissen, wozu unter anderem die
Mitteilung ihrer Ziele, Programme und Entscheidungen gehören sowie das Akzeptanzbedürfnis
des politischen Systems (Pürer 2003: 427).
18
Jeder Einzelne schließlich hat ein Informationsbedürfnis. Damit ist unter anderem das Bestreben
gemeint, sein Unwissen zu verringern. Das Bedürfnis nach persönlicher Identität meint unter
anderem die Identifikation mit anderen und das Sich-Gestärkt-Fühlen in seinem Wertesystem
(ebd.: 428).
3.5.2 Journalistische Funktionen im Zeitalter des Internets
Peter Schumacher stellt fest, dass sich gemessen an journalistischen Funktionen für den Online-
Journalismus neue Chancen und Mehrwerte eröffnen. Das Zauberwort heißt IMD, interaktive
multimodale Darstellungsformen. Dies sind hybride Produkte, die im Online-Journalismus
gewissermaßen „the best of three worlds“ zusammenbringen, Elemente der drei klassischen
Medien Zeitung, Fernsehen und Radio (vgl. Schumacher 2009: 49). Den journalistischen
Funktionen der Veranschaulichung, der Erklärung und der Narration kommt dabei besondere
Bedeutung zu.
3.5.2.1 Veranschaulichen
Die Visualisierung ist für Schumacher die wichtigste Funktion (ebd.: 50). IMD können
zeitabhängige Prozesse veranschaulichen, indem Abläufe beweglich gestaltet werden, etwa in
Animationen, Slideshows oder Videos. „IMD können (…) auch Vorgänge im Zeitverlauf
rekonstruieren, von denen es keine Videobilder oder Fotos gibt.“ (ebd.: 36). Darauf setzen etwa
der Dokumentarfilm „Camp 14“ über ein Gefangenenlager in Nordkorea (vgl. Rosefeldt 2012)
oder die erwähnte „Spiegel“-Reportage „Mein Vater, ein Werwolf“. Der Nutzer hat – im Gegensatz
zu TV oder Radio – die Kontrolle über den Ablauf der zeitabhängigen Darstellungen (vgl.
Schumacher 2009: 36f).
Neben zeitlichen können auch räumliche Zusammenhänge veranschaulicht werden. Das können
etwa topographische Karten sein. Weitere Möglichkeiten sind die Darstellung von Prozessen auf
kleinstem Raum, also beispielsweise der Aufbau eines Atoms oder eines Uhrwerks. Darüber
hinaus ist es möglich, „komplexe Handlungen und Prozesse im Raum“ zu visualisieren (ebd.: 37).
Drittens und letztens kann die journalistische Grundfunktion des Veranschaulichens Abstraktes
klarer machen. Große Datenmengen können nicht nur sichtbar, sondern auch erlebbar gemacht
werden (ebd.: 38).
3.5.2.2 Erklären
Die explikative oder erklärende Funktion des Journalismus übernehmen IMD von der Zeitung:
„(d)as Prinzip der Zerlegung von komplexen Themen in einzelne, auch eigenständig sinnvolle
Einheiten“ (ebd.: 39).
19
Jeder Leser kann sich, und das gilt auch für IMD, den Informations-Cluster herauspicken, der ihn
interessiert. Der Nutzer kann mittels Hypertext die Sinneinheiten verknüpfen und so noch
individueller als in der Zeitung bestimmen, was er wissen will (ebd.: 40).
3.5.2.3 Erzählen
Narration hat die Chance auf mehr Perspektiven. Text, Audio und Video machen es möglich,
Gesprächspartner in Stories facettenreicher zu erleben, als das Zeitung kann, insbesondere wenn
es sich um eine IMD-Reportage handelt. Individuelle Erfahrungen und Recherchen des Reporters
können beispielsweise (additiv zum Text) durch Video- oder Audio-Material erfahrbar werden.
Gleiches gilt für die Ansichten Betroffener und Beteiligter. Der Autor hat zudem die Chance, mit
Mitteln der IMD seinen Bericht zu kommentieren oder ihn einzuordnen (ebd.: 41).
Der Nutzer kann zwischen den Perspektiven wählen oder auch hin- und herspringen. Er
bestimmt, welche Elemente er auswählt, in welcher Reihenfolge er sie konsumiert und wie
intensiv. Das hat zum Beispiel der TV-Sender Arte 2011 für sein Web-Projekt „Afrika: 50 Jahre
Unabhängigkeit“ genutzt (vgl. Arte 2011).
3.5.2.4 Rezeptionsorientierte Funktionen
Je nach Thema lassen sich Online-Angebote strukturieren und die Rezeption organisieren. Das
kann durch Hierarchisierung geschehen, die für die bestmögliche Rezeptionsabfolge sorgen soll.
Dazu können beispielsweise Zeitleisten eingesetzt werden oder visuelle und akustische Mittel
zur Steuerung der Aufmerksamkeit (vgl. Schumacher 2009: 41f).
Stimulierende und motivierende Elemente sind weitere Chancen, die IMD im Bereich der
Rezeption besitzen. Dazu gehören etwa spielerische Elemente, neue Darstellungsformen oder
bekannte in neuen Kombinationen (ebd.: 43).
3.5.2.5 Zusammenhang
Rezeptionsorientierte Funktionen sind IMD-Standard: „Jede IMD integriert und organisiert
Informationen in unterschiedlichen Modi. Für jede IMD kann aufgrund ihrer interaktiven
Möglichkeiten unterstellt werden, dass sie zumindest potenziell motivierend wirken.“
Je nach Thema und wie dieses präsentiert wird, zeigt sich, ob eher die journalistische Funktion
des Narrativen oder des Explikativen dominiert. Visualisierend sind IMD immer: „Die
multimodale Präsentation auf dem Bildschirm bedingt, dass visuelle Komponenten verwendet
werden.“ Die Intensität der Visualisierung kann aber variieren (ebd.: 43).
20
3.6 Zwischenfazit
Comic, Comic-Journalismus und Webcomics sind drei noch junge Forschungsfelder. Die
Comicforschung ist dominiert von einer interdisziplinären Herangehensweise, wodurch die
Comicforschung an Bedeutung gewonnen hat. Dass sie sich zu einer eigenständigen Disziplin
entwickelt, ist jedoch nicht zu erwarten.
Über Comic-Journalismus gibt es bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen. Sie sind
innerhalb der vergangenen acht Jahre entstanden. Grundsätzlich sieht sich Comic-Journalismus
dem Vorwurf ausgesetzt, nicht objektiv sein zu können. Manche Autoren und Zeichner begegnen
diesem Vorwurf dadurch, dass sie ihre Quellen in unterschiedlicher Art konsequent offenlegen
und durch diese transparente Subjektivität dem vermeintlichen Manko entgegen zu wirken
suchen.
Eine Webcomic-Forschung existiert bislang nicht. Die wenigen vorliegenden wissenschaftlichen
Arbeiten nähern sich einer Definition des Webcomic-Begriffes auf unterschiedliche Weise.
Diese Arbeit versteht Comics als hybride Produkte, in denen Text und Bild verschmelzen. Comics
erzählen unter Verwendung mehrerer Bilder eine Geschichte. Comic-Journalismus wird hier
verstanden als eine Weiterentwicklung dieser Definition, bei der die Informationsvermittlung
über der Ästhetik des Comic steht. Journalistische Qualitätskriterien müssen möglichst erfüllt
sein. Der vorliegende Untersuchungsgegenstand stellt einen multimedialen Webcomic dar.
Die Comic-Rezeptionsforschung setzt sich in erster Linie unter dem Aspekt der Unterhaltung mit
dem Medium auseinander. Im Focus der Untersuchungen stehen meist Kinder und Jugendliche.
Das Image, nach dem Comics in erster Linie Unterhaltungsliteratur für diese Zielgruppe sei,
existiert offenbar auch im universitären Bereich.
In dieser Arbeit sind eine Reihe „klassischer“ journalistischer Funktionen von Interesse. Im
Zeitalter des Internet gewinnen allerdings die journalistischen Funktionen der
Veranschaulichung, der Explikation und der Narration im Rahmen interaktiver multimedialer
Darstellungsformen (IMD) an Bedeutung. IMD ermöglichen dem Nutzer über die Möglichkeiten
des Internet potenziell mehr Teilhabe am einzelnen journalistischen Produkt, als das bei
anderen Medien möglich ist.
Eine wissenschaftliche Fusion der drei Forschungsfelder Comic, Comic-Journalismus und
Webcomic existiert bislang nicht, ebenso wenig wie Rezipientenforschung über Comic-
Journalismus und Webcomics. Diese Arbeit möchte einen ersten Impuls in diese Richtungen
geben.
21
„Himmel! Entsetzlich! Wenn ich mich nun doch irgendwo vertan hätte? … Es wäre grauenhaft! … Nein, unmöglich! Unddoch...“Professor Bienlein (Hergé 1993: 59)4 Methode
Da die Forschung sowohl bezüglich comic-journalistischer Arbeiten und Webcomics als auch
ihrer Rezeption noch am Anfang steht, erscheint es mir sinnvoll, mehrere Forschungsmethoden
miteinander zu kombinieren. Deshalb gehe ich wie folgt vor: Auf die Analyse des Webcomic folgt
eine Rezipienten-Untersuchung, bestehend aus einem Fragebogen und einer unmittelbar danach
stattfindenden Gruppendiskussion.
Beide Forschungsschritte richten sich nach dem von Philipp Mayring vorgestellten Prinzip der
qualitativen Inhaltsanalyse. Sie „zwingt den Gegenstand, sich in seiner Struktur zu offenbaren“
(Rust in Lamnek 2010: 460). Die Analyse ist vom Prinzip der Offenheit geprägt (vgl. ebd.: 461).
Der Fragebogen wird auf Basis der Überlegungen von Brosius, Haas und Koschel entwickelt und
in die qualitative Inhaltsanalyse der Rezipienten-Aussagen eingebettet.
Der Untersuchungsablauf wird demnach im folgenden zwei Mal dargestellt – einmal für die
Analyse des Webcomic, einmal für die Gruppendiskussion und den Fragebogen.
4.1 Analysemethode Webcomic
Geleitet hat die Entscheidung für den Untersuchungsgegenstand seine Machart: Es sollte ein
Comic überschaubarer Länge gewählt werden, der den Lesegewohnheiten (von links nach rechts
und von oben nach unten, Seite für Seite) entspricht (vgl. McCloud 2001: 224), um den Leser vor
seiner möglicherweise ersten Begegnung mit einem Webcomic nicht zu sehr zu überraschen.
Zugleich sollten multimediale Elemente vorhanden sein, die den Comic von einem Print-Produkt
unterscheiden, um genug Unterschiede zum Offline-Comic herausarbeiten zu können. Somit
schied die – ebenfalls auf cartoonmovement vorhandene – konventionelle Webcomic-Variante
von „50 Years On, Still Hungry“ zugunsten der multimedialen aus (zu den Begriffen siehe Kapitel
3.3.2).
Für die Analyse der Entstehungssituation und formale Charakteristika des
Untersuchungsgegenstandes (vgl. Mayring 2010: 53) verweise ich auf Kapitel 5.1.
Ziel soll es sein, den Webcomic auf die Frage hin zu analysieren, ob er journalistische Inhalte
enthält. Diese Antworten sollen als Grundlage für den zweiten Untersuchungsschritt dienen.
Die Analyse ist im Falle von „50 Years...“ jedoch komplex: Mayring beschreibt unter anderem die
Analyse unterschiedlicher Texttypen, gemeinhin solche mit einer Ebene, eben der des Textes. Der
Webcomic allerdings besteht aus mehreren Ebenen. Dem Comic allein sind bereits eine Text- und
eine Panel-Ebene inhärent (vgl. Denkmayr 2008: 148). Hinzu kommt für den vorliegenden
Webcomic stellenweise eine dritte, multimediale Ebene. Diese Tatsache erfordert eine sorgfältige
22
Dekonstruktion des Webcomic.
Sie erfolgt auf Basis deduktiver Kategorienanwendung: Bei diesem, der strukturierenden
Inhaltsanalyse zuzurechnendem Vorgehen, wird das Hauptkategoriensystem vorab festgelegt
(vgl. Mayring 2010: 66). Dieses besteht in diesem Fall aus den in Kapitel 3.5 erarbeiteten
journalistischen Funktionen. Das Material soll so reduziert werden, dass die wesentlichen
Inhalte erhalten bleiben, es aber überschaubar gemacht wird. Dieses Vorgehen wiederum ist
typisch für die zusammenfassende Inhaltsanalyse (vgl. ebd.: 66). Es wird somit eine Kombination
von zusammenfassender und strukturierender Inhaltsanalyse angewendet. Tabelle 1 „Analyse
Comic“ veranschaulicht den Prozess.
Zunächst erfolgt die Zerlegung des gesamten Webcomic in seine 39 Panels sowie in seine
multimedialen Elemente. Die Panels werden getrennt nach Motiv und Text betrachtet und auf
ihren optischen und textlichen Informationsgehalt hin ausgewertet. Daraus werden Schlüsse
gezogen in Bezug auf die mögliche Bedeutung für die Forschungsfrage, und die Resultate
journalistischen Funktionen zugeordnet. Parallel wird versucht, den Comic in einzelne Kapitel zu
unterteilen.
Während der Analyse des Webcomic stellt sich heraus, dass sich journalistische Funktionen in
Tabelle 1 „Analyse Comic“ nicht übersichtlich genug unterbringen lassen und eine Trennung von
sonstigen Interpretationen und journalistischen Funktionen nötig ist. Deswegen wird versucht –
wie Tabelle 2 „Journalistische Funktionen im Comic“ zu entnehmen ist – sich dem Comic
bezüglich der „klassischen“ und „neuen“ journalistischen Funktionen zu nähern. Es wird für die
herausgearbeiteten Funktionen auf Ankerbeispiele aus Tabelle 1 verwiesen. Durch dieses
Vorgehen lässt sich begründen, dass der Comic journalistische Funktionen erfüllt.
Parallel dazu wird unter Bezugnahme auf die für den theoretischen Teil dieser Arbeit relevante
Literatur herausgearbeitet, was den untersuchten Comic zu einem typischen Produkt seiner Art
macht. Diese Kategorien werden ebenfalls anhand von Panels und/oder multimedialen
Elementen geprüft und, so vorhanden, belegt. Daraus ergeben sich auf die Rezeption bezogene
Fragen, die sich als nützlich für die Gruppendiskussion erweisen können. Die Resultate dieser
Untersuchung sind Tabelle 3 „Typische Merkmale im Comic“ zu entnehmen.
4.2 Analysemethode Rezipienten
Auch im zweiten Forschungsabschnitt wird auf eine Kombination aus zusammenfassender und
strukturierender Inhaltsanalyse nach Mayring gesetzt (vgl. Mayring 2010: 65): Aus den
Kernresultaten des theoretischen Teils und der Webcomic-Analyse werden in Kapitel 5.4
zunächst Hypothesen erarbeitet. Sie werden für die folgende Rezipientenanalyse in Kategorien
überführt. Es entstehen ein Leitfaden mit der Möglichkeit offener Nachfragen für die
23
Gruppendiskussion sowie ein Fragebogen, der Ausprägungen der Rezipienten feststellen soll.
Demnach wird vom Prinzip her mit deduktiver Kategorienanwendung einer strukturierenden
Inhaltsanalyse gearbeitet, was bedeutet, dass das Hauptkategoriensystem bereits festgelegt ist
(vgl. ebd.: 66). Jedoch wird die Gruppendiskussion systematisch auf die Kernaussagen reduziert,
was typisch ist für zusammenfassende Inhaltsanalysen (vgl. ebd.).
4.2.1 Fragebogen
Der Fragebogen enthält geschlossene Fragen beziehungsweise Behauptungen. Aufgrund der
gewünschten Datenauswertung zu unterschiedlichen Themenfeldern variieren die
Skalenniveaus: Eine Nominalskala, bei der Ja-/Nein-Antworten möglich sind (vgl.
Brosius/Haas/Koschel 2012: 83), soll das Vorwissen der Rezipienten und das Leseverhalten
bezogen auf den Untersuchungsgegenstand ausloten. Über eine Intervallskala, die Zustimmung
und Ablehnung misst (vgl. ebd.), werden inhaltliche Aspekte des Webcomic und die Beurteilung
des allgemeinen Konzeptes erhoben. Abschließend wird einmalig eine Ordinalskala, die die
Vergabe einer Rangliste ermöglicht, verwendet (vgl. ebd.), um den Webcomic in den Kanon der
Medien einordnen zu können.
Der Fragebogen wird vor der Anwendung mehreren Pretests unterzogen, um Aufbau und
Verständlichkeit abzusichern sowie zu erheben, wie viel Zeit notwendig ist, um den Fragebogen
auszufüllen. Er wird aufgrund der geringen Anzahl manuell ausgewertet. Die Ergebnisse sind
Tabelle 10 „Analyse Fragebogen“ zu entnehmen.
4.2.2 Gruppendiskussion
Für die Gruppendiskussion wird ein Leitfaden entwickelt, der auf dem Literaturstudium und der
Webcomic-Analyse basiert. Näheres zur Entwicklung des Leitfadens ist Kapitel 5.4 zu
entnehmen.
Der Leitfaden ist ein für eine Gruppendiskussion typisches Instrument (vgl.
Brosius/Haas/Koschel 2012: 102). Durch ihn besteht während dieser die Chance, auch
Gedanken zur Sprache zu bringen, die weder die Forschung noch der Forscher mit dem Thema
„journalistische Webcomics“ assoziiert haben (vgl. Lamnek 2010: 428). Zudem dient der
Leitfaden als ordnende Instanz und Checkliste (vgl. Lamnek 2010: 337).
Die Teilnehmer werden über Aushänge in der Universität Eichstätt-Ingolstadt, kurze Artikel in
der örtlichen Tageszeitung und telefonische Anfragen an Schulen auf das Thema aufmerksam
gemacht. Letzten Endes erfolgt die Akquise der neun Teilnehmer jedoch über Mund-zu-Mund-
Propaganda. Das ursprünglich angestrebte Ziel, eine heterogene Gruppe zu befragen, lässt sich
nicht realisieren, was unter anderem auf die Sprache des Comic zurückzuführen ist. Somit
24
handelt es sich bei den Teilnehmern der Gruppendiskussion um neun Studenten mehrerer
Studienrichtungen im Alter von 19 bis 23 Jahren. Die Anzahl befindet sich im Rahmen einer
wissenschaftlichen, aber gleichwohl umstrittenen Richtschnur (vgl. Lamnek 2010: 396). Die
Teilnehmer werden vor der Gruppendiskussion gebeten, den Webcomic zu lesen. Dazu erhalten
Sie etwa eine Woche vor der Diskussion eine Mail mit dem entsprechenden Link.
Das Gespräch findet in einem zuvor vorbereiteten Unterrichtsraum statt und wird mit einer
Kamera aufgezeichnet. Im Anschluss an die Gruppendiskussion werden die aufgezeichneten
Daten digitalisiert und transkribiert. Dabei werden alle Teilnehmer anonymisiert.
Auswertungseinheit ist das gesamte Transkript, Kodiereinheiten sind einzelne Aussagen, die für
sich stehen. Unter Kontexteinheiten verstehe ich diejenigen Aussagen, die im Zusammenhang
mit davor oder im Anschluss Gesagtem stehen. Für die Analyse wird das Programm „MaxQDA“
verwendet. Die Ergebnisse sind den Tabellen 4 bis 9 „Hypothese1“ bis „Hypothese6“ zu
entnehmen. Es wird mit mehreren Reduktionsstufen gearbeitet, deren Anzahl vom Inhalt der
Segmente abhängt. Zur besseren optischen Ordnung wird in der jeweils letzten Reduktionsstufe
in einigen Tabellen nach dem Muster „Stichwort“+„...“ gearbeitet.
Durch dieses Mehrmethodendesign soll ein möglichst umfassendes Bild des journalistischen
Webcomic in seiner Beschaffenheit und seiner Rezeption entstehen.
„... this project has changed my life!“Farmer Peter Kirese Kimwele (Ndula 2013a: 7) 5 „50 Years On, Still Hungry“ – Inhaltsanalyse
Der Comic ist Teil des Anhangs. Panels und Icons, die auf Multimedia-Elemente verweisen, sind
durchnummeriert. Die Links zu den Multimedia-Elementen sind ebenfalls Teil des Anhangs.
Zunächst wird der Webcomic „50 Years On, Still Hungry“ in den Kontext eingeordnet. Die
eigentliche Analyse gliedert sich in fünf Teile. Neben formalen und inhaltlichen Kriterien wird
der Webcomic auch auf typische Comic-Merkmale untersucht sowie auf „klassische“ und „neue“
journalistische Funktionen (vgl. hierzu Kapitel 3.5). Die Analyse belegt, dass es sich um einen
multimedialen journalistischen Webcomic handelt. Das Fazit ordnet den
Untersuchungsgegenstand in die von McCloud formulierte und von Plank erweiterte Comic-
Definition ein. Auf Basis der Analyse sowie des Theorieteils werden sechs Hypothesen über das
Rezipientenverhalten gebildet, die als Grundlage für Fragebogen und Gruppendiskussion dienen.
5.1 Einordnung in den Kontext
5.1.1 Autor
Der Kenianer Victor Ndula wurde 1976 geboren und ist in Nairobi für die Tageszeitung „Star“
25
tätig (vgl. van Bommel 2010). Er zeichnet Cartoons (Ein-Bild-Witze) für die Zeitung, mit denen
er sich in erster Linie dem Humor verpflichtet fühlt, sich aber als neutraler Beobachter sieht (vgl.
Cartoon Movement o. J.). Gleichzeitig arbeitet Ndula in Teilzeit für
Nichtregierungsorganisationen, berichtet er in einem Interview (Ndula 2010). Auftraggeber hat
Ndula sowohl in Afrika als auch „im Westen“. Ndula zeichnet seine Comics ausschließlich am
digitalen Zeichenbrett. Webcomics sind für Ndula (nur) ein Weg, die Entwicklung des Comic
voranzutreiben. Sein Anspruch ist es, die Geschichten mit Sorgfalt und Fairness abzubilden (vgl.
ebd.). Ndula hat mehrere Preise gewonnen (Ndula 2013a: 11), zuletzt 2013 eine Auszeichnung
des deutschen Dritte Welt Journalisten Netzes (vgl. Ujerumani 2013).
5.1.2 Thema
Der Comic „50 Years On, Still Hungry“ ist ein multimedialer Webcomic auf der Seite
www.cartoonmovement.com, die sich als „(t)he Internet´s #1 publishing platform for high
quality political cartoons and comics journalism“ versteht (Cartoon Movement o. J.).
Der Comic erschien im Oktober 2013 aus Anlass des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit Kenias.
Der Autor geht der Frage nach, ob der Trend, dass nach wie vor Teile Kenias mit
Lebensmittelknappheit zu kämpfen haben, umkehrbar ist. In diesem Rahmen werden
Informationen über das Land und daran anschließend eine landwirtschaftliche Maßnahme im
Osten Kenias vorgestellt, die unterschiedliche Gesprächspartner erläutern.
5.2 Analyse
Zunächst behandle ich die inhaltlichen und formalen Aspekte des Untersuchungsgegenstandes.
Danach weise ich einige typische Comicmerkmale im untersuchten Comic nach.
Im Anschluss arbeite ich für diesen Comic journalistische Funktionen heraus, die die
Wissenschaft vor oder zu Beginn des Internetzeitalters entwickelt hat (siehe Kapitel 3.5.1).
Anschließend gehe ich auf journalistische Funktionen im Internetzeitalter nach Schumacher ein
(siehe Kapitel 3.5.2). Die Analyse ordnet den Webcomic abschließend in die von McCloud
aufgestellte und von Plank erweiterte Definition ein.
5.2.1 Formale Kriterien
Im Unterschied zu den meisten Comic-Heften und -Büchern liegt der Comic im Querformat vor,
was der gängigen Verwendung des PC- und Laptop-Bildschirms entgegen kommt. „50 Years...“
hat elf Seiten, zehn davon bestehend aus Panels und englischem Text in Versalien und
comicartiger Schriftart, die letzte Seite nutzt statt Panels eine Fotografie. Auf jeder Seite sind
zwei Panel-Reihen zu sehen. Der Comic ist durchgängig koloriert.
26
Zusätzlich enthält der Webcomic 16 multimediale Elemente, in den zugehörigen Panels kenntlich
gemacht durch Symbole auf grauem Hintergrund. Durch Klicken öffnen sich neue Fenster oder
Tabs, in denen der User die multimedialen Elemente konsumieren kann. Die visuellen Elemente
– neun Fotos und eine Karte – sind den Bezeichnungen der Hyperlinks zufolge Teil der
cartoonmovement-Plattform. Die drei Audio-Elemente werden auf www.soundcloud.com
abgespielt, die drei Videos auf www.youtube.com.
Unter jeder der elf Seiten steht die identische Beschreibung des Comic, welche Anlass, Inhalt und
Form erläutert. Verlinkt sind die konventionelle Fassung des Comic sowie die Africa Media
Initiative (AMI), eine nach eigenen Angaben regierungsferne Gruppierung zur Förderung der
Entwicklung pluralistischer Medien (vgl. Africa Media Initiative: o. J.). Es besteht zudem die
Möglichkeit, über Links mit dem Autor Kontakt aufzunehmen, den Comic zu kommentieren
sowie ihn über die Social-Media-Plattformen Twitter, Google+ oder Facebook zu teilen.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Cartoon Movement den Begriff „interactive comic“ verwendet.
Dem schließe ich mich, wie in Kapitel 3.3.2 begründet, nicht an, und nutze stattdessen den
Begriff „multimedialer Comic“.
5.2.2 Inhaltliche Kriterien
Über weite Strecken lässt sich eine Struktur feststellen, die an den elf Seiten des Webcomic
orientiert ist. In den meisten Fällen endet ein gedanklicher Abschnitt mit dem Panel unten rechts
auf einer Seite. Es gibt jedoch einige Ausnahmen.
Die erste Seite (Panels 1f) zeigt die vier bisherigen Präsidenten Kenias vor schwarzem
Hintergrund in Mikrofone sprechend und ordnet den Personen ein identisches Zitat zu („We will
fight hunger and poverty...“). Unter diesem Panel sind der Titel des Webcomic zu lesen sowie vier
einführende Sätze. Links neben diesen Sätzen sind ein Lkw abgebildet sowie ein Verweis auf das
erste multimediale Element. Diese erste Seite wirkt wie der Aufmacher eines Zeitungsartikels
mit einem tragenden Bild, der Überschrift und dem Vorspann.
Die zweite Seite (Panels 3-8) informiert in Text und Panels über geografische und soziale
Umstände Kenias. Der User erfährt Informationen über die Region Mwingi im Osten Kenias und
die aufgrund von Trockenheit und schlechter Ernte mangelhaften Lebensumstände, die Teile der
Bevölkerung zur Umsiedlung zwingen. Zwei Fotos illustrieren die Topographie. Große Teile der
Bevölkerung sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen, die dort „Mwolyo“ heißt, was etwa
„Schlange stehen, um etwas zu essen zu bekommen“ bedeutet. „Mwolyo“ wird offenbar immer
wieder von der Politik missbraucht. Die „Mwolyo“-Thematik wird mit zwei Lkw des
Kenianischen Roten Kreuzes illustriert (Panel 8).
Die dritte und Teile der vierten Seite (Panels 9-12) stellen die politische Strategie vor, mit der die
27
Regierung versucht dem Hunger entgegenzutreten. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind
für die Politik eine wichtige Hilfe. Laut eines nicht gezeigten oder genannten Rot-Kreuz-
Vertreters erfolgte eine Änderung der Strategie – weg von Lebensmittelspenden hin zu
Investitionen in landwirtschaftliche Praktiken unter Verwendung von Bewässerung und
hochwertigem Saatgut. Die Panels zeigen mehrere Szenen aus der Gegend um Mwingi-Stadt, dem
ersten Rechercheort. Ein Kontrollpunkt ist zu sehen, ein Mofafahrer sowie die Außenansicht des
Roten Kreuzes in Mwingi. Hier endet die Einleitung und beginnt die Vorstellung der Thematik
aus Sicht der Beteiligten.
Die zweite Hälfte der dritten Seite (Panels13f) zeigt teils in Schattenriss-Form die Fahrt zum
nächsten Rechercheort Tseikuru. Zwei Videos illustrieren die Fahrt und das Treiben auf dem
Markt in Tseikuru. Dies kann als Überleitung verstanden werden.
Auf Seite 4 (Panels 15-19) spricht ein landwirtschaftlicher Beamter von zwei Bewässerungs-
Projekten, die gut gestartet seien. Ein Bevollmächtigter zeigt sich überzeugt, dass „Mwolyo“ bald
der Vergangenheit angehören werde. Die Regierung habe den Projekten zugestimmt. Audio-
Sequenzen beider Interview-Partner ergänzen die Panels. Comic-Autor Ndula fragt sich im
Anschluss, weshalb es 50 Jahre gedauert hat, dem Problem auf die Spur zu kommen.
Auf der sechsten Seite (Panels 20-22) wird das Bewässerungs-Projekt vorgestellt, die Wikithuki
Co-Operative. Mehrere Piktogramme und Textblöcke (Panel 20) beschreiben die Idee, nach der
sich Landwirte zusammenschließen, registrieren und dann gemeinsam Äcker bewirtschaften.
Den Farmern werden landwirtschaftliche Methoden beigebracht. Sie erhalten zudem
hochwertiges Saatgut. Die Regierung stellt Elektrizität für ein Pumpwerk und einen Traktor zur
Verfügung. Sie baut zudem die Kanäle. In einem Video sind eine Schleuse und ein benachbarter
Acker zu sehen. Zwei Fotos zeigen Landwirte bei der Arbeit respektive am Rand eines Feldes.
Panel 23 weicht vom Seite-/Abschnitt-Schema ab. Es weist im Text auf den folgenden Abschnitt
hin.
Auf den Seiten 7 und 8 (Panels 24-29) stellt Ndula vier Landwirte – auf Seite 7 zwei Männer, auf
Seite 8 zwei Frauen – vor, die von ihrer Arbeit berichten. Jedem räumt Ndula zwei Panels ein. Bis
auf den ersten Interviewpartner sind alle im jeweils zweiten Panel durch ein Foto illustriert. Ein
weiteres Multimedia-Element ist eine Interview-Sequenz, in der eine der Farmerinnen in ihrer
Sprache spricht.
Auf Seite 9 und im ersten Teil von Seite 10 (Panels 32-36) erläutert Ndula die Rolle des Flusses
Tana. Über Rohre fließt Wasser in ein Reservoir neben dem Pumpwerk. Ein Techniker nennt als
eine der Startschwierigkeiten zu Beginn des Projektes Versandung. Diese Startschwierigkeiten
habe die Gemeinschaft jedoch überwunden.
Auf der zweiten Hälfte von Seite 10 berichtet Ndula von seiner folgenden Internetrecherche,
28
während der er auf weitere „Erfolgsgeschichten“ entlang des Flusses stößt (Panel 37).
Abschließend teilt er dem User mit, dass er den Optimismus der Farmer teilt (Panel 38).
Seite 11 zeigt das einzige in den Comic integrierte Foto. Auf diesem ist Victor Ndula an einem
Computer sitzend zu sehen. Er arbeitet mutmaßlich an einem digitalen Zeichenbrett an einem
Comic. Der Text ordnet Ndula beruflich als politische Cartoons zeichnenden „Editorial Cartoonist
and Illustrator“ ein. Ein Hinweis auf den Sponsor, die Africa Media Initiative, beschließt „50 Years
On, Still Hungry“. Diese letzte Seite wirkt, übertragen auf ein Print-Medium, ähnlich wie eine
Info-Box oder eine andere Informationseinheit.
5.2.3 Typische Comic-Merkmale
5.2.3.1 Comic als hybrides Medium
Comics, so sie denn Text aufweisen, sind hybride
Gebilde (vgl. Denkmayr 2008: 148), denn sie
verknüpfen Text- und Bildebene. Dies wird in
praktisch allen Panels des
Untersuchungsgegenstandes offenbar, und
durchaus unterschiedlich angewandt. Der Text
kann ins Panel integriert sein, wie in Panel 9, wo er in der Windschutzscheibe steht. Meist jedoch
setzt Ndula den Text „klassisch“ in Boxen oder Sprechblasen. Panel 12 illustriert dies.
Besagtes Panel gewinnt durch die Verwendung von insgesamt sechs Textelementen an Dynamik.
Denn das Motiv eines mehrstöckigen Gebäudes, das hinter einer Backsteinmauer verborgen ist,
bietet ansonsten keine optischen Reize. Ein Schild vor der Mauer verrät, dass es sich um einen
Bau des kenianischen Roten Kreuzes in Mwingi handelt. Der Fluchtpunkt weit oberhalb des
Panels suggeriert einen Blick aus der Froschperspektive.
5.2.3.2 Reduktion auf das Wesentliche
Die Größe von Panels, Sprechblasen und Textboxen
zwingen den Comic-Autor in ein enges Korsett. Er
muss seinen Text auf begrenztem Raum unterbringen,
was zu einer Reduktion auf die wesentlichen
Informationen führt. Der Webcomic-Autor hat
gleichzeitig aber die theoretisch unbegrenzte Freiheit
das, was er nicht zeichnerisch umsetzen kann oder
will, in digitaler Form umfassender zur Verfügung zu stellen.
Besonders deutlich wird dies in den mit einem Audio-Element angereicherten Panels. Die Panels
29
Abb. 6: Einheit von Text und Bild in „50 Years...“
Abb. 7: Reduktion in „50 Years...“
15f und 18 reduzieren die sieben- beziehungsweise dreiminütigen Interviewsequenzen auf
jeweils eine Aussage.
Ndula orientiert sich hier im Prinzip an der Arbeitsweise schreibender Journalisten. Eine ihrer
Hauptaufgaben besteht in der Verarbeitung der Themen, um sie für ihr Medium aufzubereiten
(vgl. etwa Meier 2013: 199f).
5.2.3.3 Illustrieren, was sich nicht illustrieren lässt
Comic-Autoren scheinen nicht auf Symbolbilder
angewiesen zu sein. Stattdessen haben sie andere
Möglichkeiten, ihre Geschichte voranzutreiben (vgl.
Vanderbeke 2010: 79f). Es herrscht aber
Uneinigkeit darüber, ob beispielsweise eine
Illustration journalistisch ist, in diesem Fall: die
Realität abbildet (vgl. Plank 2013b: 90). Eine solche
Illustration könnte Panel 17 sein: Ob das Motiv
(Früchte) tatsächlich auf den Fotos in den Panels 15 und 16 zu sehen ist, bleibt unklar. Es zeigt
unter anderem Melonen, Maiskolben, Zwiebeln, Tomaten und Salate. Das Panel ist im Gegensatz
zu den übrigen auf dieser Seite auffallend farbenfroh gestaltet. Dass Illustrationen sich in den
Fortgang einer Geschichte einbetten lassen, war bereits in Kapitel 3.2.2 mit Verweis auf eine
Szene in Joe Saccos „Reportagen“ erläutert worden.
5.2.3.4 Panels statt Bleiwüste
Grünewalds Definition des
Comic als „Bildgeschichte“ legt
bereits einen Vorteil des
Mediums gegenüber
beispielsweise Print-Produkten
nahe, die sich manchmal den
Vorwurf gefallen lassen müssen,
„Bleiwüsten“ aufzuweisen. Eine Dominanz von Text gegenüber Bild ist im Comic nahezu
ausgeschlossen. In praktisch allen Panels von „50 Years...“ dominiert das Motiv gegenüber dem
Text. Panel 11 illustriert dies. Die zwei Texteinheiten informieren in jeweils einem Satz über die
Region Mwingi und das Regierungsprogramm. Das Panel zeigt links einen mit einer Pistole
bewaffneten Polizisten, der den Arm hebt, offenbar um mehrere beladene Lkw zu stoppen, die
die obere Hälfte des Panels dominieren. Am rechten Panelrand sind Straßensperren in
30
Abb. 8: Mögliche Illustrierung eines Interviews in „50 Years...“
Abb. 9: Motiv aus „50 Years...“ erzählt mehr, als der Text kann
verschiedenen Formen zu sehen sowie ein Hinweisschild „Stop Police“.
5.2.3.5 Magie im Rinnstein
Im Panel-Zwischenraum, von Scott McCloud als „Rinnstein“ bezeichnet, „greift sich die
menschliche Phantasie zwei separate Bilder und verwandelt sie zu einem einzigen Gedanken“
(McCloud 2001: 74, Hervorhebungen im Original). Dieses Prinzip, Bilder im Kopf entstehen zu
lassen, ist dem einer Reportage nicht unähnlich (vgl. etwa Noske 2012: 63). Da Phantasie jedoch
individuell ist, sei hier nur ein
theoretisches Beispiel genannt, das in
meinem Kopf entstand: Die Rinnsteine
zwischen den Panels 32 bis 35 ergaben
unter anderem einen Techniker, der
zunächst einige Schwierigkeiten hat, sich
über den Lärm des Baggers
hinwegzusetzen, schließlich aber zu
einer etwas abseits gelegenen Stelle des
leise plätschernden Flusses Tana läuft
und mit tiefer Stimme die
Herausforderungen des Projektes
erläutert.
5.2.3.6 Recherche transparent machen
Dieses Comic-Merkmal bezieht sich speziell auf Comic-Journalismus (vgl. Plank 2013b: 17).
Victor Ndula dokumentiert sein Vorgehen auf verschiedene Arten. Mehrfach hat er ein
Aufnahmegerät in Panel gezeichnet, um zu verdeutlichen, auf welche Weise er seine
Informationen gewonnen hat.
Den Multimedia-Elementen kommt hier im Sinne der transparenten Subjektivität eine wichtige
Rolle zu. Der Interview-Mitschnitt zu Panel 30 beispielsweise macht den Dolmetsch-Prozess
offenbar. So wird dem User klar, dass die Interview-Partnerin sich nicht direkt mit Ndula
verständigen konnte.
Noch deutlicher jedoch wird die transparente Subjektivität meines Erachtens in Panel 27. Ob die
Falten des Farmers tatsächlich so tief und seine Zähne tatsächlich derart in Mitleidenschaft
gezogen sind, kann der User eigentlich nur glauben, indem er diesem Panel ebenso vertraut wie
allen vorherigen und noch folgenden. In diesem Fall kann das Foto jedoch gewissermaßen zur
Kontrolle herangezogen und somit „Wirklichkeit“ vermittelt werden (vgl. Macias 1990: 62f).
31
Abb. 10: Bilder im Kopf können zwischen den Panels entstehen: Szene aus „50 Years...“
5.2.3.7 Verknüpfung mit multimedialen Elementen
Dieses Merkmal geht aus den von Schumacher erarbeiteten journalistischen Funktionen hervor
(vgl. Kapitel 3.5.2). Praktisch jedes Multimedia-Element ist in der Lage, dem Hybrid Comic eine
weitere, dritte Ebene hinzuzufügen. In „50 Years...“ geschieht dies auf drei Weisen: Erstens hat
Multimedia eine Beweisfunktion, wenn es etwa um das Aussehen einer Person geht (Panel 27)
oder die Existenz eines Gegenstandes (Panel 33).
Zweitens hat Multimedia eine Ergänzungsfunktion, indem es Panel-Inhalte in den größeren
Zusammenhang einordnet. Beispielhaft sei hier das Panel 21 ergänzende Video genannt. Es zeigt
neben den auch im Panel zu sehenden Elementen Schleuse, Wasser und Felder zudem die im
Moment der Aufnahme herrschende Wetterlage und einen weiteren lokalen Aspekt, nämlich den
Fahrradunterstand.
Drittens hat Multimedia im
Webcomic eine
Einordnungsfunktion und kann
helfen, ein journalistisch
möglicherweise anders
wirkendes Panel in einem
anderen Licht erscheinen zu
lassen. Panel 14 ist so ein Fall. Es wird in Kapitel 5.2.3 als die unterhaltende journalistische
Funktion erfüllend erfasst. Doch das erste der zwei zugehörigen Videos, das einen Ausschnitt der
beschwerlichen Fahrt zeigt, würde ohne Comic-Zusammenhang mutmaßlich nicht zum
Schmunzeln anregen.
5.2.4 „Klassische“ journalistische Funktionen
Die Informationsfunktion bildet, wie in Kapitel 3.5
beschrieben, das Dach und die Grundlage für alle
anderen Leistungen des Journalismus. Mit wenigen
Ausnahmen haben alle Panels in „50 Years...“
informierenden Charakter (siehe Tabelle 1). So
begründet Panel 2 die Relevanz des Themas, indem es
in den historischen Zusammenhang einordnet und in
das Thema einführt. Optisch und inhaltlich weckt die
erste Seite Assoziationen an einen Zeitungsaufmacher
mit ihrer großen Überschrift, dem Vorspann und einem tragenden Bildmotiv (Panel 1). Seite 2
informiert detaillierter über die Topografie Ost-Kenias und die damit zusammenhängende
32
Abb. 11: Wirkt unterhaltend, aber nur auf den ersten Blick: Szene aus „50 Years...“
Abb. 12: Ähnlichkeiten mit Zeitungs-aufmacher: Eröffnungspanels aus „50 Years...“
Hunger-Problematik.
Das Informationsbedürfnis jedes Einzelnen wird erfüllt. Durch den Comic ist es möglich, sich
über ein Bewässerungsprojekt in Kenia zu informieren, wenn der Leser der englischen Sprache
mächtig ist. Theoretisch ist das allerdings auch ohne Sprache möglich über einzelne Panels und
multimediale Elemente. So sprechen die Motive Trockenheit (Panel 6) und das Zusammenspiel
der Schleuse und des künstlichen Wasserlaufes für die Felder (Panels 21f) für sich. Die
dazugehörige Videosequenz sowie die Interviews, insbesondere das in Panel 30, funktionieren
ebenfalls ohne geschriebenes Wort.
Allerdings verwirren andere Panels und Multimedia-Elemente ohne Schrift. So wird
beispielsweise der Nutzen des Baggers neben dem Pumpenhaus (Panel 34f) nicht klar, und das
Foto in Panel 25 zeigt offenbar eine andere Person als im Panel.
Die Unterhaltungs- beziehungsweise Rekreationsfunktion ist die
vermeintliche Ur-Eigenart des Comic. Daraus ging sie hervor
(siehe Kapitel 2.1), auf diese wird der Comic bis in die
Gegenwart hinein reduziert (siehe Kapitel 2.4). Diese Funktion
ist in „50 Years...“ jedoch eine Randerscheinung. Deutlich
unterhaltende Elemente liefern nur die Panels 10 und 14: Hier
finden sich die einzige Wortlautmalerei („Beep“), Ironie
(„bustling economic activity“, zu sehen ist jedoch lediglich ein
einzelner Mofafahrer) und eine Anspielung auf kindliches
Verhalten („How far to Tseikuru?“ - „Are we any close yet?“ - „How far to go?“).
Eine der politischen Funktionen ist die der Kritik und Kontrolle. Victor Ndulas Einschätzungen
erfüllen diese Funktion auf unterschiedliche Weise, oftmals zwischen den Zeilen und ohne
direkte Anklage. So nutzt Ndula Formulierungen wie „there appears to be“ (Panel 12) und „I ask
myself why“ (Panel 19). Auch optisch funktioniert die Kritik- und Kontrollfunktion. Panel 1 zeigt
die vier bisherigen Präsidenten Kenias in ähnlicher Pose vor gleichem Hintergrund mit
identischem Zitat. Direkt darunter ist in großen Lettern der Titel des Comic zu lesen, welcher die
Versprechungen der Präsidenten als leere entlarvt.
Die politische Bildungsfunktion erfüllt „50 Years...“ beispielsweise in Panel 11: „Government
launched a policy to mitigate drought and improve livelihoods in asal areas. NGO´s are an
integral part of this programme.“ Zudem wird das Bewässerungsprojekt mittels eines großen
Panels erläutert (Panel 20).
Eine der sozialen Funktionen von Journalismus ist, das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu
stärken (vgl. Burkart 2002: 386). Ndula setzt dies um, indem er den Farmern einen Teil seiner
Story widmet und an dieser Stelle auch mit multimedialen Elementen nicht geizt (Panel 24-31).
33
Abb. 13: „Beep“: einzige Lautmalerei in „50 Years...“
Zitate wie „This project has changed my life!“ (Panel 27) eines Farmers könnten das
Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Arbeiter stärken. Das könnte zudem das Bedürfnis des
einzelnen Farmers nach persönlicher Identität erfüllen – vorausgesetzt, sie haben die
Möglichkeit, auf den Comic zuzugreifen.
Durch die Vorstellung des Bewässerungsprojektes erfüllt Ndula zudem die Bedürfnisse des
politischen Systems (Panels 15-19) (siehe Kapitel 3.5.1)
5.2.5 Journalistische Funktionen im Zeitalter des Internets
Schumacher erarbeitet vier neue Funktionen, die im Internetzeitalter die Möglichkeiten des
Journalismus erweitern können (siehe Kapitel 3.5.2). Einige finden als multimediale Elemente in
„50 Years...“ Verwendung.
Ndula gestaltet Abläufe beweglich, indem er Videos verwendet, wie die Fahrt nach Tseikuru
(Panel 14) oder die Veranschaulichung der Schleuse (Panel 21). Mit der Beschreibung der
Bewässerungs-Kooperative (Panel 20) rekonstruiert er Vorgänge, von denen es mutmaßlich
weder Bilder noch Videos gibt. Dies kann zudem als von Schumacher als „räumlicher
Zusammenhang“ bezeichnet verstanden werden. Dazu gehört auch die Afrikakarte mit der
Verortung Kenias (Panel 2).
Für die narrative Funktion finden sich zahlreiche Beispiele. Text, Audio und Video sorgen für
mehr Facetten als im ebenfalls auf cartoonmovement.com zu findenden multimedia-freien Comic
(vgl. Ndula 2013b). Insbesondere ergänzen diejenigen Multimedia-Elemente den Comic, in
denen Elemente auftauchen, die die Panels nicht zeigen. Beispielsweise ist in einem der Videos
in Panel 14 das Markttreiben in Tseikuru zu sehen. Das Video in Panel 21 ergänzt die Schleusen-
Umgebung unter anderem um einen Fahrradunterstand und macht die Witterung zum Zeitpunkt
der Aufnahme offenbar. Die Interview-Sequenz in Panel 30 dokumentiert einen Teil der
Arbeitspraxis Ndulas – für das Gespräch mit Elizabeth Mbuthyi war offenbar ein Dolmetscher
nötig.
Der explikative Charakter ist kein Teil von „50 Years...“. Zwar wird ein komplexes Thema in
einzelne Einheiten zerlegt, doch diese sind nicht individuell anwählbar. So ist es beispielsweise
nicht möglich, von der Kapitel-Chronologie abzuweichen oder gezielt nur auf bestimmte
multimediale Elemente zuzugreifen. Das geht in Ansätzen auf soundcloud.com, wo die Interview-
Sequenzen verlinkt und aufeinander bezogen sind, nicht aber auf cartoonmovement.com selbst.
Die rezeptionsorientierte Funktion ist in leicht abgewandelter Form in „50 Years...“ zu finden.
Zwar finden sich keine spielerischen Elemente im Comic. Es darf aber gemutmaßt werden, dass
mancher Konsument auf mehreren Ebenen eine neue Leseerfahrung macht: Nicht nur, dass „50
Years...“ journalistischen Inhalt in Form eines Comic vermittelt. Der Comic verknüpft dies zudem
34
mit multimedialen Elementen. Neuartige Stimulanzen haben grundsätzlich die Chance, den
Konsumenten zu motivieren, sich mit einem journalistischen Produkt zu beschäftigen (vgl.
Schumacher 2009: 43).
5.3 Fazit
Vieles spricht dafür, „50 Years On, Still Hungry“ als journalistisches Produkt einzustufen. Eine der
Anforderungen an den Comic-Journalismus, die Plank in McClouds Erweiterung des Comic-
Begriffs aufgestellt hat, kann bestätigt werden: „Die Zeichen müssen wissenschaftlich publizierte
journalistische Qualitätskriterien jedenfalls teilweise und idealerweise bestmöglich erfüllen.“
(Plank 2013b: 164). Das gilt auch für den ersten, von McCloud übernommenen Teil, „zu
räumlichen Sequenzen angeordnete, bildliche oder andere Zeichen, die Informationen
vermitteln sollen“ (ebd.). Zu diesen Zeichen zählen nach meinem Verständnis auch multimediale
Elemente.
Der Aspekt der ästhetischen Wirkung, der laut Plank weniger wichtig ist als die
Informationsvermittlung, soll im Rahmen der Gruppendiskussion erfragt werden. Ebenso sollen
die journalistischen Funktionen geprüft werden.
5.4 Hypothesenbildung
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse aus der Webcomic-Analyse und der Forschungslage
lassen sich mehrere Hypothesen generieren. Aus diesen werden für die Rezipienten-Analyse
Kategorien abgeleitet, die dem Fragebogen und dem Leitfadeninterview Struktur verleihen. Nach
der Gruppendiskussion erfolgen einige Ergänzungen aufgrund unvorhergesehener Themen, die
sich durch die Generierung von Unterkategorien zuordnen lassen.
Wissenschaftliche Forschung zu den Themen „Comic“, „Comic-Journalismus“ und „Webcomic“
sowie Rezipienten-Forschung darüber besteht nur ungeordnet respektive so gut wie nicht (vgl.
Grünewald 2000: 67-70 und 74; Hangartner/Keller/Oechslin 2013: 8; Hammel 2013: 78).
Deswegen lautet Hypothese 1:
Rezipienten wissen wenig über Comic-Journalismus und Webcomics.
Daraus werden die Kategorien „Vorwissen über Comic-Journalismus“ und „Vorwissen über
Webcomics“ abgeleitet. Nach der Gruppendiskussion werden die Kategorie „Konsequenzen“
sowie die Unterkategorien „Eindrücke vor, während und nach dem Lesen“ ergänzt.
Die Hypothesen zwei und drei ähneln sich in den Begründungen.
Der Comic genießt noch immer keinen besonders guten Ruf (vgl. Grünewald 2000: 84) und wird
in der wissenschaftlichen Journalismus-Literatur meist in der Unterhaltungssparte geführt (vgl.
35
etwa Reumann 2009: 130). In der Medienwelt herrscht der Glaube, ein Comic könne nicht
objektiv sein, weil er gezeichnet ist (vgl. Archer o. J.). Verantwortliche Redakteure sind offenbar
skeptisch, Nachrichten in Comic-Form zu veröffentlichen (vgl. Archer et al 2011/12: 36.44min).
Comic-Journalismus wird immer wieder als Karikatur missverstanden (vgl. ebd.: 4.09min).
Rezipienten sind offenbar eher an journalistische Erzeugnisse in Textform als in Comicform
gewöhnt (vgl. Archer et al 2011/12: 42.15min). Deswegen lautet Hypothese 2:
Rezipienten stufen den Untersuchungsgegenstand ebenso wie generell Comics als trivial ein.
Hypothese 3 lautet:
Rezipienten nehmen Comic-Journalismus nicht als solchen wahr.
Daraus werden die Kategorien „Beurteilung des Untersuchungsgegenstandes“, „Beurteilung von
Comics“ und „Wahrnehmung von Comic-Journalismus“ abgeleitet.
Der untersuchte Webcomic weist in praktisch jedem Panel „klassische“ journalistische
Funktionen auf, wobei die informierende dominiert (vgl. Kapitel 5.2.4). Der Begriff „Comic“ und
das vermeintlich negative Image suggerieren jedoch, den Leser würde etwas Komisches, mithin
Unterhaltendes erwarten (vgl. Sackmann 2007: 7). Zudem könnten die von Comic-Journalisten
gestellten Anforderungen an ein comic-journalistisches Produkt Rezipienten verwirren (vgl.
Plank 2013b: 165). Deswegen lautet Hypothese 4:
Die Rezipienten sind in der Lage, manche journalistische Funktionen als solche zu erkennen.Dieses jedoch verwirrt die Rezipienten, weil sie journalistische Funktionen nicht in einem als unterhaltend eingestuften Phänomen vermuten.
Daraus wird die Kategorie „Zusammenspiel von Information und Unterhaltung“ abgeleitet. Nach
der Gruppendiskussion werden die Unterkategorien „Objektivität“ und „Glaubwürdigkeit“
hinzugefügt.
Das Internet bietet dem Journalismus neue Chancen, Beiträge durch Multimedia-Elemente
individueller auf den User zuzuschneiden (vgl. Schumacher 2009: 40). Weil das Phänomen
Webcomic ein junges ist, nutzen Rezipienten sowohl den Webcomic als auch seine Multimedia-
Elemente auch aus Neugier (vgl. ebd: 43). Manche Comic-Journalisten verstehen diese Elemente
jedoch unter anderem als Möglichkeit, ihre Quellen offenzulegen (vgl. Plank 2013b: 17 und 164).
Deswegen lautet Hypothese 5:
Rezipienten beurteilen die Multimedia-Elemente im untersuchten Webcomic differenziert, aber insgesamt eher positiv. Die Rezipienten verstehen die Multimedia-Elemente aber anders, als Comic-Journalisten dies tun.
Daraus werden die Kategorien „Beurteilung der Multimedia-Elemente“ und „Multimedia-
36
Elemente als Quellenbeleg“ abgeleitet. Nach der Gruppendiskussion werden weitere
Differenzierungen in die vier Multimedia-Elemente Karte, Bild, Audio und Video vorgenommen.
Die Rezipienten sind „digital Natives“ und haben deswegen mutmaßlich bereits Erfahrungen mit
Multimedia-Elementen im Internet gemacht. Zudem haben sie in der Vergangenheit zumindest
vereinzelt Comic-Leseerfahrung gesammelt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die
Rezipienten Erfahrung haben mit journalistischen Elementen in den Medien Internet, Radio,
Fernsehen und Zeitung. All dies verschafft ihnen einen Eindruck von der optischen und
akustischen Qualität des Untersuchungsgegenstandes. Deswegen lautet Hypothese 6:
Die Rezipienten sind auf Basis ihres bisherigen und neu erworbenen Wissens in der Lage, Vorschläge für Verbesserungen des Webcomic zu machen.
Daraus werden die Kategorien „Ästhetik des Untersuchungsgegenstandes“, „Vergleich von
Webcomics mit anderen Medien“ und „Verbesserungsvorschläge“ abgeleitet. Nach der
Gruppendiskussion wird die Unterkategorie „Tageszeitung“ mit dem Unterpunkt „Ressorts“
ergänzt.
„Es gibt ernste Texte, lustige Texte, und es gibt ernste Bilder und lustige Bilder. Warum sollte das denn in derKombination zwanghaft lustig sein? Muss ja nicht.“Teilnehmer während der Gruppendiskussion (Transkript: 173)6 „50 Years On, Still Hungry“ – Fragebogen und Gruppendiskussion
Nun lässt sich gewissermaßen die nächste Seite aufblättern mit der Frage, ob der Webcomic
auch von Rezipienten als journalistisches Produkt wahrgenommen wird. Im Folgenden werden
die Ergebnisse orientiert an den in Kapitel 5.4 formulierten Hypothesen vorgestellt und
diskutiert. Es sei darauf hingewiesen, dass aufgrund der geringen Fallzahl keine
Repräsentativität geleistet werden kann. Allerdings lassen sich Tendenzen aus den Aussagen
ableiten, die durch weitere Forschungen bestätigt oder widerlegt werden können.
Wird aus dem Transkript der Gruppendiskussion zitiert, beschreibt die Ziffer den Wortbeitrag.
Die Wortbeiträge sind im Transkript fortlaufend nummeriert. Wird aus dem Fragebogen zitiert,
bezieht sich die Ziffer auf die entsprechende Frage. Beide Dokumente befinden sich auf dem
beigelegten Datenträger. Wird auf Panel oder Multimedia-Element (MM) verwiesen, bezieht sich
die Ziffer auf den Comic im Anhang, in den die Ziffern nachträglich eingefügt wurden.
6.1 Hypothese 1: Vorwissen über Webcomics und Comic-Journalismus
Diese Hypothese beleuchtet das Vorwissen und die ersten Leseeindrücke.
Das Vorwissen sowohl über Webcomics als auch über Comic-Journalismus war gering. Dies legen
die Antworten 3 bis 6 des Fragebogens nahe. Lediglich eine von neun Personen gab an, etwas
37
über Comic-Journalismus zu wissen (vgl. Fragebogen: 5). Dass der Begriff „Webcomic“ unklar ist,
offenbarte nicht nur der Fragebogen (vgl. ebd.: 3, 24), sondern auch die Gruppendiskussion. Es
kam beispielsweise die Frage auf, ob Multimedia-Elemente wie Bilder und Videos grundsätzlich
Bestandteil von Webcomics sind (vgl. Transkript: 186) – was nicht der Fall ist, wie beispielsweise
„Meet the Somalis“ veranschaulicht (vgl. Dix/Pollock 2014).
Die Rezipienten gaben an, etwas Unterhaltsames erwartet zu haben. Sie waren auf witzige,
lustige Inhalte gefasst (vgl. etwa Transkript: 2) – obwohl ihnen zuvor bekannt war, dass das
Thema der Bachelorarbeit Comic-Journalismus lautete (vgl. ebd.: 17). Mit einem ernsten Thema
wie Hunger in Afrika hatten sie nicht gerechnet (vgl. ebd.: 3). Somit zeigte sich ein Großteil der
Rezipienten überrascht sowohl vom Inhalt als auch von der Form (vgl. ebd.: 18, 130).
Nicht allen Rezipienten fielen die Multimedia-Elemente sofort auf
(vgl. ebd.: 24), andere hielten die quadratischen Icons zunächst für
Werbung (vgl. ebd.: 34). Ihre Position über Text und Panel irritierte
(vgl. ebd.: 35). Die Reaktionen auf die einzelnen Multimedia-
Elemente im Detail sind Kapitel 6.5 zu entnehmen.
Den Zeichenstil beurteilten die Rezipienten als realitätsnah (vgl. ebd.:
128). Dies war ihnen möglich, weil sie die Zeichnungen mit Bildern
vergleichen konnten. Das half beispielsweise die Existenz der Farmer
zu verdeutlichen: Ein Rezipient hatte zuvor vermutet, sie hätten
stellvertretend gestanden für Personen, mit denen der Autor im Laufe
seiner Recherche gesprochen habe (vgl. ebd.: 144).
Die Grundstimmung des Webcomic bewertete ein Leser als „nicht emotional“, sondern
„informativ, wie er (der Autor, Anmerkung des Verfassers) dieses Projekt erlebt und sich eine
Meinung bildet und mit den Leuten redet“ (ebd.: 109). Was die Analyse der journalistischen
Funktionen nahelegte, bestätigt sich somit: Die Unterhaltungsfunktion spielt gegenüber der
Informationsfunktion eine untergeordnete Rolle.
Webcomics sind offenbar keine Anlaufstelle als erste Quelle für eine Neuigkeit: „Breaking News,
gleich nach dem neuesten Comic gucken, das ist es sicher nicht“ (ebd.: 298). Aber als Ergänzung
für bereits konsumierte Nachrichten in anderen Medien kann ein Webcomic anscheinend
durchaus dienen (vgl. ebd.).
6.2 Hypothese 2: Trivialität von Comics und Untersuchungsgegenstand
Hier kommen das Comic-Image allgemein, das Urteil über „50 Years...“ und Unklarheiten zur
Sprache.
Die allgemeine Erwartungshaltung gegenüber Comics beruht auf den Erfahrungen, die die
38
Abb. 14: Als störend empfunden: Icon überlappt Text und Motiv
Rezipienten bis zum Zeitpunkt des Erstkontakts mit „50 Years...“ gemacht hatten: Ein Comic hat
demnach „nichts mit Realität zu tun, die Figuren, die Handlungen (sind) eigentlich alle erfunden“
(Transkript: 136). Zudem sind die Rezipienten gewohnt, dass der Unterhaltungscharakter
dominiert (vgl. ebd.: 2). Es wird vermutet, dass sich dieser Eindruck verallgemeinern lässt (vgl.
ebd.: 177). Wie Sackmann, der dem Begriff „Comic“ eine Mitschuld am Image gibt (vgl. Sackmann
2007: 7), sieht das auch ein Teilnehmer der Gruppendiskussion (vgl. Transkript: 171). Ein
Rezipient meint, dass der Comic „einfach kein Medium ist, das ernsthafte journalistische Inhalte
transportiert“ (vgl. ebd.: 148), räumt dem Webcomic aber an anderen Stellen durchaus
ernsthaftes Potenzial ein.
Ob Comics das Verständnis erleichtern, darüber herrscht Uneinigkeit. Ein Teilnehmer kann sich
nicht vorstellen, wie Comics das erreichen sollen (vgl. ebd.: 225), ein anderer ist dagegen der
Meinung, dass „es Comics ja schon mit sich bringen, dass sie anschaulicher sind“ (ebd.: 228).
Im Gegensatz zum allgemeinen Comic-Verständnis beurteilen die Rezipienten den
Untersuchungsgegenstand differenziert. Form und Inhalt werden weitgehend positiv beurteilt
(vgl. ebd.: 17, 275). Das gilt auch dafür, dass ein Thema anders dargeboten wird als „aus den
Mainstream-Medien gewohnt“ (ebd.: 17). Eine besonders wichtige Rolle spielen die
multimedialen Elemente, die die Glaubwürdigkeit erhöhen (vgl. ebd.: 146 sowie Kapitel 6.4 und
6.5). Diesen Effekt haben auch das Umfeld, in dem der Comic erscheint (vgl. ebd.: 160) und die
Präsenz des Autors im Comic (vgl. etwa Panel 9, Transkript: 264, Fragebogen: 21). Ein Rezipient
hebt im Zusammenhang mit mehr Glaubwürdigkeit lobend hervor, dass typische Comic-
Elemente wie Gedankenblasen und Onomatopöien (Lautmalereien) fehlen (vgl. ebd.: 279, 277):
„Ein ,Boom, Pow, Wow wäre hier komplett fehl am Platz.“ Offenbar fiel die einzige Lautmalerei im
Webcomic (vgl. Panel 10) nicht auf oder ins Gewicht.
Unklarheiten wurden zwar als solche benannt. Ob diese jedoch die Glaubwürdigkeit schmälern,
ließ sich aus den Aussagen nicht schließen. So wird die Rolle des Autors als mögliches Mitglied
einer Nichtregierungsorganisation erwähnt (vgl. Transkript: 267) oder die Rolle des Comic als
Propagandawerkzeug (vgl. ebd.: 246). Das begründete der Rezipient mit vermeintlicher
Unterstützung des Webcomic-Projektes durch die kenianische Regierung. Offenbar bezog er sich
auf die Africa Media Initiative (AMI), die aber eigenen Angaben zufolge regierungsunabhängig
agiert (vgl. Africa Media Initiative o. J.).
Gleichwohl wird dem Comic vereinzelt die Chance eingeräumt, zukünftig ernster genommen zu
werden – zum einen, weil mehr Menschen ernste Comics zeichnen, zum anderen, weil bewusster
wird, dass Inhalte sich auf diesem Weg auch durchaus ernsthaft transportieren lassen. Der für
die meisten Comics typische Hybrid-Charakter müsse nicht zwangsläufig unterhalten: „Text und
Bilder, das heißt ja nicht, dass es zwanghaft lustig sein muss. (…) Es gibt ernste Texte, lustige
39
Texte, und es gibt ernste Bilder und lustige Bilder. Warum sollte das denn in der Kombination
zwanghaft lustig sein?“ (vgl. ebd.: 173)
6.3 Hypothese 3: Wahrnehmung von Comic-Journalismus
Dieses Kapitel soll die Frage beantworten, inwiefern die Rezipienten Comic-Journalismus als
solchen wahrnehmen.
Ausnahmslos alle Rezipienten stimmen der Aussage, ein Webcomic mit journalistischen Inhalten
sei eine gute Idee, eher zu. Ein nahezu identisches Bild ergibt sich bei der Aussage über einen
Offline-Comic mit journalistischen Inhalten (vgl. Fragebogen: 22f). Möglicherweise jedoch sind
diese Antworten beeinflusst durch das Vorwissen der Teilnehmer über den Hintergrund der
Studie, einer Bachelorarbeit im Fach Journalistik.
Gleichwohl scheinen einige Hinweise aus der
Gruppendiskussion die Hypothese zu stützen.
Diese beziehen sich auf die Plattform
www.comicmovement.com und die letzte Seite
des Webcomic. Hier spielt das Foto – nicht: ein
Panel – Victor Ndulas eine wichtige Rolle.
„Dadurch (…) wurde dem Ganzen nochmal ein
journalistischer Charakter verliehen.“ Ohne
dieses Bild hätte der Rezipient dem Comic
„vielleicht nicht so viel Wahrheit geschenkt oder
soviel Ernsthaftigkeit“ (Transkript: 151, 153). Gleichzeitig merkt der Rezipient an, dass dieses
Bild den bis zu diesem Punkt stringenten Comic-Charakter durchbricht.
Die Plattform, auf der „50 Years...“ zu lesen ist, erwähnt ein weiterer Rezipient. Wenn man sich
durch die Internetseite klickt, „wird die Intention klar, dass die eben nicht lustige Bildchen
zeigen wollen, sondern auf ihre neue Weise auch journalistisch arbeiten wollen“ (ebd.: 160).
Die Multimedia-Elemente werden zwar von den Rezipienten an keiner Stelle explizit als comic-
journalistische Mittel bezeichnet, aus Kapitel 6.5 wird allerdings hervorgehen, dass Rezipienten
die Elemente als Quellenbeweis wahrnehmen – im Sinne der transparenten Subjektivität als
Gegenstück zur Objektivität, die wiederum ein wichtiges Element der journalistischen
Informationsfunktion ist (siehe Kapitel 3.5). Darüber hinaus ordne ich die Multimedia-Elemente,
wie in Tabelle 1 beschrieben, grundsätzlich der rezeptionsorientierten journalistischen Funktion
zu.
40
Abb. 15: Verleiht journalistischen Charakter: Foto Ndulas am Ende von „50 Years...“
6.4 Hypothese 4: Verwirrung durch Erwartungshaltung
Zunächst folgen die Resultate bezüglich des Zusammenhangs von Information und Unterhaltung.
Anschließend stelle ich Aussagen der Rezipienten zu den Themen „Objektivität“ und
„Glaubwürdigkeit“ vor, die ich, wie in Kapitel 6.3 begründet, der journalistischen
Informationsfunktion zurechne.
Die Erwartungshaltung ist bereits in Kapitel 6.1 erläutert worden. Im Zusammenhang mit den
Hypothesen 1 und 2 sind Unklarheiten erhoben worden. Diese werden hier als Verwirrung
verstanden und vorgestellt. Sie sind den entsprechenden Tabellen auf dem beigelegten
Datenträger zu entnehmen.
Dass die Informations- gegenüber der Unterhaltungsfunktion dominiert, war bereits im Rahmen
der Comic-Analyse aus Tabelle 1 hervorgegangen. Dies wird von den Rezipienten bestätigt. „Es
war eher informativ (…) wie er (der Autor, Anmerkung des Verfassers) dieses Projekt erlebt und
wie er sich eine Meinung bildet“ (Transkript: 109). Mehrfach kam zur Sprache, dass
unterhaltende Elemente möglicherweise unbeabsichtigt Teil des Webcomic seien (vgl. etwa ebd.:
108). Dies hing mit dem Vergleich von Panel und interaktivem Element zusammen. So bemerkte
ein Teilnehmer den abwesenden Gesichtsausdruck einer Interviewten auf beiden Ebenen, was
ihn zum Schmunzeln gebracht habe (vgl. Panel 29 und MM13 sowie vgl. Transkript: 113).
Panel 14, so war im Rahmen der Analyse bereits vermutet worden, hat eine unterhaltende
Wirkung auf die Rezipienten. Das bestätigt sich, aber anders als in Kapitel 5.2.4 vermutet:
Während in der Analyse Bezug auf die Inhalte der Sprechblasen genommen worden war,
amüsierte sich ein Leser über die „Holperpiste, weil die (…) übertrieben als Achterbahnstrecke
dargestellt“ gewesen sei (Transkript: 84). Das dazugehörige Video wiederum habe einen
Vergleich ermöglicht. Dieses wäre aber ohne den Webcomic-Zusammenhang nicht witzig
gewesen (vgl. ebd.: 91-95). „Es ist Zeit Youtube zu schließen, wenn man da landet. Dann sollte
man ins Bett“, kommentierte ein Rezipient.
Prinzipiell ist ein Comic in der Lage zu informieren. Dies erläuterte ein Teilnehmer anhand
bereits vorhandener eigener Leseerfahrung (vgl. ebd.: 170), ein anderer mutmaßte, dass sich mit
Panels „noch andere Informationen transportieren lassen, als es nur der reine Text kann“ (ebd.:
229). Das scheint auch folgende Aussage nahe zu legen: „obwohl es so wenig Text war, auf den
ich mich normal verlasse, fühle ich mich jetzt trotzdem gut informiert (…) über das Thema. Im
Kern habe ich verstanden, was passiert und warum es (das Bewässerungsprojekt, Anmerkung
des Verfassers) funktioniert“ (vgl. ebd.: 232).
Drei Merkmale ermöglichen und erhöhen die Glaubwürdigkeit des Webcomic: Diese Merkmale
sind neben den noch zu beschreibenden Multimedia-Elementen (siehe Kapitel 6.5) der
realistische Zeichenstil und das redaktionelle Umfeld, in dem der Webcomic erscheint. Zudem
41
machen die Rezipienten Vorschläge, wie sich die Glaubwürdigkeit technisch verbessern ließe
(siehe Kapitel 6.6.).
Die Fotos sind eine Hilfe, um die Zeichnungen gewissermaßen zu „prüfen“: „Ich habe die Fotos
als Quellen angesehen, dass das nicht erlogen ist“ (Transkript: 137). Ein Teilnehmer jedoch hätte
auch ohne einen solchen Beweis geglaubt, dass der Zeichenstil realistisch ist.
Ob ein Webcomic ernst genommen wird, hängt für die Rezipienten auch vom redaktionellen
Umfeld ab. Damit ist zum einen die Publikation gemeint. Es mache einen Unterschied, ob ein
Comic in der „Bild“ oder der „Zeit“ erscheine, meinte ein User (vgl. ebd.: 201). Zum anderen
komme es auch auf die Positionierung innerhalb der Publikation an. Einen journalistischen
Comic an einer Stelle zu platzieren, an der für gewöhnlich ein unterhaltender Comic zu lesen ist,
helfe der Glaubwürdigkeit nicht. Der journalistische Comic-Beitrag sollte dann an prominenter
Stelle stehen: „Dann müssen sie halt mal die Seite 3 freiräumen (…), wenn sie das wirklich ernst
meinen“ (ebd.: 212).
Ein Unterhaltungseffekt setzt nicht ein (vgl. ebd.: 108). Eher wird punktuell eine „Art zynischer
Galgenhumor“ (ebd.: 112) wahrgenommen, der im Zusammenhang mit dem großen Zeitraum
steht, den es laut Ndula benötigte, um eine Idee zur Hungerbekämpfung zu entwickeln.
Prinzipiell erkennt die Untersuchungsgruppe das Potenzial eines Webcomic, Themen nicht
unterhaltend, sondern ernsthaft vermitteln zu wollen. Das ist abhängig vom Thema (vgl. ebd.:
110) sowie von der Intention und auch vom Zeichentalent des Autors (vgl. ebd.: 165).
Denkblasen und Lautmalereien schmälern Ernsthaftigkeit offenbar (vgl. ebd.: 277).
Dem Vorwurf fehlender Objektivität sieht sich auch „50 Years...“ ausgesetzt. Die Multimedia-
Elemente sind in der Lage, dem entgegen zu wirken (siehe Kapitel 6.5). Inhaltlich bemängeln
aber einige Rezipienten, dass die NGO zu positiv und die Regierung untätig dargestellt sei. Die
Ausgewogenheit fehle (vgl. ebd.: 244, 266, 259-262).
Allerdings stört das andere Rezipienten nicht. So zeige bereits Panel 1 in Verbindung mit dem
Titel, dass der Autor eine kritische Meinung habe (vgl. ebd.: 263). Ein weiterer Leser hatte keine
Schwierigkeiten, Meinung und Fakten voneinander zu trennen (vgl. ebd.: 245).
Dass eine vermeintliche Information missverstanden werden kann und sich das auf die
Rezeption des gesamten Webcomic auswirkt, belegt die Aussage eines Teilnehmers, der sich
nicht sicher war, ob es sich bei dem Comic um ein „Propagandawerkzeug“ der Regierung handle
(siehe Kapitel 6.2).
Nach dem Lesen bleiben eine Reihe von Unklarheiten. So bemerkte ein Teilnehmer: „Ich musste
(…) prinzipiell zweifeln“, weil er sich nicht klar war, ob der Autor als „Künstler“ oder als
Journalist den Comic erstellt habe. Zudem blieb offen, welche Zielgruppe mit dem Webcomic
angesprochen werden sollte. Ein Rezipient fragte, ob die Panels dazu da seien, „den
42
Zusammenhang leichter klar zu machen, auch wenn ich vielleicht den Text gar nicht (…)
vollkommen durchdringen kann“, oder auch Personen ansprechen sollen, die längere Artikel in
einem Qualitätsmedium wie der „Süddeutschen“ gewohnt sind und diese verstehen können
(ebd.: 150).
6.5 Hypothese 5: Urteil über die und Verständnis der Multimedia-Elemente
Im Folgenden bestätige ich zunächst den ersten Teil der Hypothese bezüglich des Urteils über
multimediale Elemente. Die Ergebnisse sind in Abb. 16 gebündelt. Dann wird der zweite Teil der
Hypothese zum Verständnis multimedialer Elemente widerlegt. Anschließend erläutere ich die
einzelnen Multimedia-Formen im Detail.
Die Multimedia-Elemente dominierten die Gruppendiskussion und reichten in alle anderen
Hypothesenbereiche hinein. Insgesamt wird das Vorhandensein multimedialer Elemente
begrüßt. Die Rezipienten, die fast ausnahmslos erstmals mit einem multimedialen Webcomic
konfrontiert waren, reagierten positiv überrascht auf die technischen Möglichkeiten im Rahmen
eines Online-Comic (vgl. etwa Transkript: 18-21). Zudem wird gelobt, dass ein multimedialer
Webcomic im Gegensatz zum Beispiel zum Film ein individuelles Lese-Erlebnis bietet: „Man
kann ja jederzeit aufhören und verpasst trotzdem nicht den Kern. (…) Dann splittet sich das (…)
auf. Dann hat jeder ein bisschen ein anderes Erlebnis.“ (ebd.: 64). Die Multimedia-Elemente
wirken zudem nicht gestellt, auch wenn dies der Fall gewesen sein sollte (vgl. ebd.: 141).
Als eine der Kernaussagen ist die
Wahrnehmung der multimedialen
Elemente als Quellenangabe zu sehen.
„Das ist eine gute Absicherung. Man
nimmt es ernster“ (ebd.: 190). Dies gilt
für Fotos, Videos und Audios
gleichermaßen. Auch wenn die Karte in
diesem Zusammenhang während der
Diskussion nicht erwähnt wird, darf es
für sie ebenfalls gemutmaßt werden.
Ohne die 16 Elemente wäre die
Beurteilung des Webcomic mutmaßlich
anders ausgefallen, wie folgende
Aussage nahelegt: „Ich hätte ihn nicht so
gut gefunden. (…) Dann wäre dieser Nachgeschmack geblieben: Schön zu sehen, gut zu lesen,
aber irgendwie nicht echt“ (ebd.: 146).
43
Abb. 16: Vorteile und Risiken multimedialer Elemente in Webcomics (eigene Darstellung)
Die Rezipienten vergleichen das, was sie in den Panels sehen, mit der Wirklichkeit. Sie klicken
das jeweilige Icon an, konsumieren das sich öffnende multimediale Element und gleichen dies
mit dem Panel ab. Die Elemente widerlegen die Annahme, dass der Comic Fiktion ist (ebd.: 139-
141). Die Rezipienten sind zudem der Ansicht, dass der Einsatz multimedialer Elemente die
Glaubwürdigkeit des Autors erhöht. Die Quellenangabe ist für den Autor von Vorteil, „weil er
beweisen kann im Comic direkt: Ich war da. Von daher finde ich das schon sehr wichtig. Geht
sicher auch ohne, aber das macht´s (…) viel glaubhafter“ (ebd.: 190). Dahinter verbirgt sich
meiner Ansicht nach die Bestätigung dessen, was Comic-Journalisten ohnehin häufig tun: ihre
Quellen konsequent offenlegen, um dem Vorwurf fehlender Objektivität durch transparente
Subjektivität zu begegnen (siehe Kapitel 3.2.2).
Somit erhöhen multimediale Elemente Glaubwürdigkeit in einem journalistischen Webcomic
nicht nur, sie ermöglichen sie erst. Die Hypothese hatte dies nicht nahegelegt, sondern den
Rezipienten lediglich zugetraut, ein Urteil über die multimedialen Elemente zu fällen. Diese
werden nachfolgend im Detail diskutiert.
Die Icons, welche auf die multimedialen Elemente hinweisen, können für Erstleser verwirrend
sein: „Ich habe mich beim allerersten Mal gefragt, ob das Werbung ist (…) und (…) ob mein
Werbeblocker nicht funktioniert“ (ebd.: 34). Diese Verwunderung basierte auf der Tatsache, dass
die Icons teilweise Text und Panels überdecken. Rezipienten merkten dies kritisch an und fügten
hinzu, dass die Icons sich weder verschieben lassen noch durchsichtig werden (vgl. ebd.: 35-37).
Ein Rezipient verstand eines der ersten Icons im Webcomic-Verlauf zudem als Illustration der
Geschichte, nicht als Hinweis auf Multimedia: „Bei den Video-Icons habe ich zuerst gedacht, das
gehört zum Comic dazu, dass das heißt, dass Videoteams ins Nachbardorf fahren.“ Gleichwohl
diente dieses Missverständnis als Klick-Anreiz (ebd.: 38).
Die Länge der Videos – keines überdauerte 40 Sekunden – wurde von allen Rezipienten als
„passend“ empfunden (Fragebogen: 15). Fast alle gaben an, auf den Videos „alles gut erkannt“ zu
haben (ebd.: 12). Die Videos regen die Fantasie der Rezipienten an (vgl. etwa ebd.: 77) und
verleihen dem Comic mehr Lebendigkeit (vgl. ebd.: 90). Sie werden als Beleg für den Realismus
des Zeichenstils gesehen (vgl. ebd.: 86). Panel 14 und das dazugehörige Video MM4 ergänzen
sich zu einem unterhaltenden Element (vgl. ebd.: 90). Ob die Unterhaltung aber intendiert war,
dessen ist sich der Rezipient nicht sicher (vgl. ebd.: 91-94). Dies hätte sich durch einen Vergleich
von Panel 21 (Bewässerungskanal) und dem dazugehörigen Video MM8 erfragen lassen. Die
Nachfrage des Forschers blieb jedoch aus.
Über die Qualität der Videos gehen die Meinungen auseinander. Während ein Rezipient
mutmaßte, Videos und Fotos seien gewissermaßen nebenbei entstanden, ordnete ein anderer
User die verwackelten Bewegtbilder als Zeichen der Authentizität ein (vgl. ebd.: 287-289).
44
Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Qualität von Videos situationsbedingt variieren
darf.
Kritisch wurde bemerkt, dass nicht alle Videos unmittelbar an den Panel-Inhalt andockten. So
bewertete ein User das Video über das Bewässerungssystem (zu Panel 21) als „gute Ergänzung“
(ebd.: 82), ein anderer sah den Clip mit dem wendenden Bus (zu Panel 14) nicht genügend in
den Zusammenhang eingeordnet (vgl. ebd.: 287).
Wie die Videos dienen auch die Fotos als Beleg für den Realismus des Zeichenstils. Dass die Fotos
wie abgepaust wirken (vgl. ebd.: 123), hat überrascht und wird positiv beurteilt (vgl. ebd.: 129).
Mehr noch: Die Bilder ermöglichen erst Glaubwürdigkeit. Ohne sie hätte ein Rezipient „gedacht,
es wären einfach erfundene Menschen gewesen“ (ebd.: 131f). Die große Nähe zum Original kann
aber auch unfreiwillig komisch wirken, wie ein Rezipient im Zusammenhang mit der Farmerin
im Foto zu Panel 29 bemerkte: „die hatte im Comic auch bekiffte Augen“ (ebd.: 131). Hier scheint
wiederum das Prinzip transparenter Subjektivität durch, nichts zu beschönigen, sondern real
darzustellen. Während der Comic-Analyse war der Farmer aus Panel 27 als Ankerbeispiel
herangezogen worden (siehe Kapitel 5.2.3.6).
Auch die Audio-Clips stimmen ein in den Glaubwürdigkeits-Kanon eines multimedialen
Webcomic. Allerdings wurden hier auch eine Reihe von Hindernissen deutlich. Alle Rezipienten
brachen die Interview-Sequenzen vor dem Ende ab (vgl. Fragebogen: 7). Dies hat eine Reihe von
Ursachen, wie während der Gruppendiskussion insbesondere des Ton-Dokuments zu Panel 15
offenbar wurde: mangelnde Tonqualität, der Akzent des Interviewten, die Länge des Interviews
und die unterschiedliche Qualität der Audio-Clips (vgl. Transkript: 40-45, 47, 46). Die Länge
wurde zwar mehrheitlich als unpassend beurteilt (vgl. Fragebo-
gen: 14), in der Gruppendiskussion aber differenzierter diskutiert.
Sie sei durchaus angemessen für diejenigen User, denen die
Informationen der Sprechblase nicht genügen und die diese in der
Tiefe interessiert (vgl. ebd.: 49).
Möglicherweise beeinflussen die Audio-Clips einander,
mutmaßte ein Teilnehmer: Er bemerkte die stark voneinander
abweichenden Klick-Zahlen der ersten beiden Audio-Clips (MM6
und MM7, vgl. Transkript: 49). Die These wird erhärtet durch die
Anzahl der Klicks des dritten Audio-Elementes (MM14): Das
Interview ist mit 45 Sekunden wesentlich kürzer als die
erwähnten Sequenzen, hat aber mit 48 Klicks kaum mehr
generiert als MM7 (44 Klicks). (Stand: 27. Juni 2014, vgl. Abb. 17).
Für Verwirrung sorgte die technische Beschaffenheit der Plattform www.soundcloud.com: Ein
45
Abb. 17: Abweichende Klickzahlen bei Soundcloud: unterschiedliche Rezeption der Audios aus „50 Years...“
Rezipient war nicht damit vertraut, dass Soundcloud zueinander gehörende Audio-Elemente
automatisch hintereinander abspielt. Der User war verwirrt darüber, plötzlich eine weibliche
Stimme zu hören, da er sich noch im Büro des Regierungsbeamten wähnte (Panel 18). Die
Verwirrung löste sich erst auf, als der Rezipient Panel 29 erreicht hatte, zu dem die Audio-
Sequenz gehört (vgl. Transkript: 66-75).
Die Karte des afrikanischen Kontinents
schließlich kam nur kurz zur Sprache. Mehrere
Rezipienten hatten das Icon links neben dem
einführenden Text in Panel 2 übersehen (vgl.
Fragebogen: 7 sowie Transkript: 24-30). Ich
führe dies auf die Gesamtkomposition der
ersten Webcomic-Seite und den damit
verbundenen ersten Eindrücken zurück: Die
vier Präsidenten und der Titel dominieren die Seite, das Icon ist von einem Lkw, dem
einführenden Text und einem Wort der Überschrift eingeschlossen. Zudem war vielen Erstlesern
zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass der Webcomic überhaupt multimediale Elemente
enthält (vgl. ebd.: 17).
6.6 Hypothese 6: Verbesserungsvorschläge
Hier wird kurz Bezug genommen auf den Zeichenstil Victor Ndulas. Anschließend wird der
Webcomic mit anderen Medien verglichen, wobei der Focus auf Printprodukten liegt.
Abschließend werden zum Großteil bereits in den Kapiteln 6.1 bis 6.5 erwähnte
Verbesserungsvorschläge zusammengetragen.
Die Zeichnungen Ndulas nehmen die Rezipienten positiv wahr. Die Panels wirken glaubhaft, wie
die größtenteils zustimmenden Antworten auf die Behauptung „Der Autor hat alles erlebt, was er
gezeichnet hat“ suggerieren (Fragebogen: 21). Die Zeichnungen wirken „professionell“, „dem
Thema angemessen“ (Transkript: 287, 275). Mehrfach erwähnen die Rezipienten lobend, dass
ihnen der Realismus im Zeichenstil zusagt, der ihnen bewusst wird, nachdem sie die Fotos
gesehen haben (vgl. etwa ebd.: 129). Die Fotos belegen demnach den Zeichenstil des Autors.
Einer der Teilnehmer erwähnt zudem, dass Form und Inhalt eine Einheit ergäben (vgl. ebd.:
275).
An wenigen Stellen unterstützen die Zeichnungen die Unterhaltungsfunktion. Hier weist ein
Leser darauf hin, dass dies möglicherweise unbeabsichtigt gewesen sein könnte, um die Realität
nicht zu verfälschen (vgl. ebd.: 113).
Im Vergleich mit anderen Medien fällt den Rezipienten auf, dass die Herangehensweise anders
46
Abb. 18: Schwer erkennbar: Icon zur Landkarte in Eröffnungssequenz von „50 Years...“
ist, als sie es aus den „Mainstream-Medien“ gewohnt sind (vgl. ebd.: 17). Als angenehm wird
empfunden, dass jeder User individuell entscheiden kann, wie tief er in die Geschichte einsteigen
möchte. Ein Leser vergleicht den Webcomic mit einem Film: „Wenn dann das Interview kommt,
muss ich mir das (…) anschauen und danach geht’s erst weiter mit (…) der Geschichte“ (ebd.:
64). Zudem wird erwähnt, dass ein (Web-)Comic mehr Möglichkeiten biete als beispielsweise ein
Zeitungsartikel (ebd.: 168).
Das allein ist aber noch kein Zeichen für mehr Glaubwürdigkeit. Insbesondere fällt hier die
Bemerkung eines Lesers auf, der zwischen einem journalistischen Comic in der Zeitung und
Online differenziert und letzterem mehr Glaubwürdigkeit zuspricht. Der Rezipient begründet
dies mit dem multimedialen Charakter, „weil ich online mehr Wege und Möglichkeiten habe, das
Thema zu erschließen. Das sind nicht nur Bilder“ (ebd.: 183-185). Hier wäre es wünschenswert
gewesen zu erfahren, ob eine solche Aussage auch Gültigkeit gehabt hätte für einen
journalistischen Webcomic ohne multimediale Elemente.
Die Verbesserungsvorschläge als Kern dieser Hypothese beziehen sich vor allem auf die
multimedialen Elemente und auf die hinweisenden Icons sowie auf Möglichkeiten zur weiteren
Erhöhung der Glaubwürdigkeit. Inhaltliche Kritik, die sich zu Verbesserungsvorschlägen
umdeuten lässt, ist im Rahmen von Hypothese 2 erhoben worden.
Mehreren Rezipienten war nicht von Anfang an klar, was es mit den Icons auf sich hatte. Einem
Rezipienten fiel erst auf der vierten von elf Webcomic-Seiten auf, dass die quadratischen grauen
Kästchen in manchen Panels eine Funktion haben (vgl. ebd.: 17). Den Link zur Karte haben
mindestens zwei Teilnehmer nicht entdeckt (vgl. Fragebogen: 7). Mehrere User merkten an, dass
die Icons Text- und Panelteile überdeckten und dass dies störend gewirkt habe (vgl. etwa
Transkript: 35). Ein Rezipient missverstand die Icons als Werbung (vgl. ebd: 34).
Demnach ist es offenbar insbesondere für Erstleser wichtig, eine Erklärung bezüglich der
Funktionen vorauszuschicken. Der Hinweis, dass es sich um einen multimedialen Comic handelt,
scheint nicht auszureichen. Alternativ oder zusätzlich sollten die Icons auffälliger platziert
werden oder so, dass sie sich deutlicher vom übrigen Webcomic abheben. Dabei sollte darauf
geachtet werden, die Icons nicht so zu platzieren, dass sie den Lesefluss stören, sondern sich in
diesen einfügen.
Die Kritik an den Audio-Elementen ist in Kapitel 6.5 ausführlich zur Sprache gekommen. Daraus
lässt sich ableiten, dass die akustische Qualität so hoch sein sollte, dass der Text verständlich ist.
Autoren sollten zudem Audio-Clips entsprechend kurz halten.
Die Beschaffenheit eines Audio-Elementes kann das Interesse an später folgenden offenbar
beeinflussen. Zudem sollten die technischen Voraussetzungen der Audio-Abspielplattform
berücksichtigt werden, da diese bei eher unerfahrenen Nutzern zu Verwirrung führen können.
47
Bezüglich der Video-Elemente ist den Rezipienten offenbar wichtig, dass sie durchdacht platziert
werden, nicht ohne Zusammenhang stehen.
Die Fotos wirkten stellenweise so, als seien sie nach dem Prinzip „hobbymäßig Handy raus“
(Transkript: 287) entstanden. Dies wird als zu niedriger Anspruch verstanden. Daraus lässt sich
ableiten, dass der Journalist vor Ort über die Bildkomposition nachdenken sollte. Dies würde
über den Selbstzweck der Fotos als Quellenbeweis hinausgehen.
Multimediale Elemente als Mittel der Glaubwürdigkeit durchziehen die Ergebnis-Diskussion wie
ein roter Faden. Dennoch machten die Rezipienten weitere Vorschläge, wie sich Glaubwürdigkeit
weiter erhöhen ließe. Sie beziehen sich dabei auf Elemente, die die (gedruckte) Zeitung nutzen
könnte. Sie lassen sich jedoch meines Erachtens auf die Online-Welt übertragen.
Ein Element setzt Ndula sowohl auf Panel-
als auch auf Foto-Ebene um: das Mikrofon im
Bild (vgl. Panel 26 und MM12 sowie vgl.
Transkript: 197). Ein Rezipient schlägt vor,
punktuell Fotos statt Panels einzusetzen, um
die Glaubwürdigkeit zu erhöhen (vgl. ebd.:
200). Ein Teilnehmer der Gruppendiskussion
weist aber darauf hin, dass die bewusste
Verwendung verschiedener Stilmittel begründet werden müsse, da das „meinungsbildende
Effekte“ auf den Leser haben könne (vgl. Transkript: 280-282).
Darüber hinaus schlagen die Rezipienten vor, vom Zeitungs-Comic über einen Link oder einen
QR-Code ins Internet zu verweisen. Dort könnten sich die Leser mit den Quellenangaben
auseinandersetzen (vgl. ebd.: 195).
Weil das Forschungsinteresse den journalistischen Webcomics gilt, wird die Diskussion über
journalistische Comics in der Tageszeitung hier verkürzt dargestellt. Gleichwohl können die
Ergebnisse Hinweise für Printprodukte geben.
In den Kapiteln 6.1 und 6.4 war bereits erwähnt worden, dass Rezipienten dem Umfeld eines
journalistischen Print-Comics Bedeutung beimessen. Die Qualität hängt vom Thema und vom
Talent des Autors/Zeichners ab (vgl. ebd.: 165). Rezipienten mutmaßen, dass sich eine Zeitung
zunächst einmal rechtfertigen müsste für einen journalistischen Comic, sich aber ein
Gewöhnungseffekt einstellen könne (vgl. ebd.: 207). Ein Rezipient sieht bei einem
journalistishen Comic in der Tageszeitung die große Gefahr, in einen
„Unterhaltungsmechanismus“ abzurutschen (ebd.: 165).
Generell ist Neugier festzustellen in Bezug darauf, wie Zeitungen einen journalistischen Comic in
Kernressorts umsetzen würden. Insbesondere das Ressort Wirtschaft wird erwähnt. Ein
48
Abb. 19: Mikrofon im Bild als Mittel, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen
Rezipient hält es für möglich, dass ein Comic das als besonders komplex angesehene Ressort
verständlicher machen und gleichzeitig dafür sorgen könnte, dass der Comic ernster genommen
werde (vgl. ebd.: 228). Vorstellbar sei ein journalistischer Comic auch im Reise- oder
Auslandsressort, weil er die Fantasie anrege (vgl. ebd.: 215). Der Lokalteil wird dagegen als eher
ungeeignet empfunden, da der Bekanntheitsgrad der Bürger untereinander höher sei und sich
diese möglicherweise nicht ernst genommen fühlen würden, sähen sie sich als Comicfigur (vgl.
ebd.: 216).
6.7 Zusammenfassung
Hypothese 1 kann bestätigt werden. Das Vorwissen bezüglich Comic-Journalismus und
Webcomics ist gering. Der erste Eindruck bescheinigt comic-journalistischen Arbeiten im Web
aber durchaus ein hohes Maß an Informationsgehalt und Glaubwürdigkeit.
Hypothese 2 kann teilweise bestätigt werden. Aus der bisherigen Leseerfahrung nehmen
Rezipienten Comics generell als trivial, mithin unterhaltend wahr. Allerdings gilt das für „50
Years On, Still Hungry“ nur in geringem Maße. Die Rezipienten erkennen die Ernsthaftigkeit des
Themas und der Umsetzung, und sie erkennen diese an.
Hypothese 3 kann teilweise bestätigt werden. Als comic-journalistishe Elemente
wahrgenommen werden Belege innerhalb des Webcomic wie Fotos – Multimedia-Elemente sind
in diesem Fall nicht gemeint – sowie das mediale Umfeld wie die Internet-Plattform. Multimedia-
Elemente sind zwar von entscheidendem Nutzen, um die Glaubwürdigkeit zu ermöglichen und
zu erhöhen, werden aber nur indirekt, nicht explizit mit Comic-Journalismus in Zusammenhang
gebracht.
Hypothese 4 kann nur im Ansatz bestätigt werden. Zwar bleiben nach dem Lesen
Unstimmigkeiten. Diese führen aber nicht dazu, dass der Webcomic prinzipiell als
unterhaltsames Produkt wahrgenommen wird. Die Informationsfunktion wird als dominant
gegenüber der Unterhaltungsfunktion wahrgenommen.
Hypothese 5 ist teilweise widerlegt worden. Insbesondere ist auffällig, wie stark die Rezipienten
betonen, dass sie die Multimedia-Elemente als Quellenbeleg deuten. Dies war so nicht zu
erwarten, bestätigt aber die Arbeitsweise vieler Comic-Journalisten im Sinne der transparenten
Subjektivität. Bestätigt werden konnte hingegen, dass die Rezipienten eine differenzierte Sicht
auf die einzelnen Elemente haben und das Vorhandensein derselben insgesamt positiv bewerten.
Hypothese 6 kann bestätigt werden. Die Rezipienten haben auf Basis ihres Vorwissens und ihrer
bisherigen Erfahrungen mit Medien Vorschläge zur Verbesserung des Webcomic gemacht. Dass
das Thema Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang einen Schwerpunkt bildet, war so nicht
zu erwarten. Dies darf aber im Zusammenhang mit Journalismus durchaus als Glücksfall
49
betrachtet werden.
„Ein Boom, Pow, Wow wäre hier komplett fehl am Platz.“Teilnehmer während der Gruppendiskussion (Transkript: 277)7 Fazit
Die Resultate aus den Untersuchungen ermöglichen eine Antwort auf die Forschungsfrage „Wie
muss ein Webcomic beschaffen sein, um als journalistisches Produkt wahrgenommen zu
werden?“. Diese werden im Folgenden zusammengefasst. Danach wird eine Erweiterung der von
Plank auf Basis McClouds aufgestellten Definition von Comic-Journalismus formuliert, die den
Online-Charakter einschließt. Abschließend folgen einige Überlegungen für mögliche weitere
Forschungen.
Wer den ersten Kontakt mit einem journalistischen Webcomic hat, benötigt eine Erklärung
dessen, was ein Webcomic ist und dass dieser ein ernsthaftes Ziel verfolgt. Dies kann
beispielsweise im Einführungstext geschehen. Auch vermeintlich
klare Begriffe sollten erklärt werden, da ein Zugriff auf den
Webcomic theoretisch von überall auf der Welt möglich ist. Im
vorliegenden Fall führte die Erwähnung der Africa Media Initiative
(AMI) zu einem Missverständnis. Eine Verlinkung außerhalb des
Panels reichte offenbar nicht aus.
Das Umfeld, in dem der Webcomic erscheint, steht in
Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit. Dies gilt gleichermaßen
für die ihn publizierende Plattform, das publizierende Medium und
das Ressort. Übertragen auf Printmedien können sich einige
Rezipienten einen nach journalistischen Maßgaben
informierenden Comic im Wirtschafts-, Auslands- oder Reiseteil
vorstellen, im Lokalteil eher nicht.
Der Autor und/oder Zeichner eines Webcomic kann dessen Glaubwürdigkeit erhöhen, wenn er
im Comic präsent ist. Er sollte seine Rolle transparent machen, indem er die Frage beantwortet,
ob er seine Arbeit als journalistisch oder künstlerisch versteht. Zudem sollte der Autor ein
gewisses Maß zeichnerischen Talentes mitbringen. Der Zeichenstil sollte dem Thema des
Webcomic angemessen sein. Ein Foto des Autors – wie im Fall von „50 Years...“ am Ende des
Webcomic – kann die Glaubwürdigkeit erhöhen, durchbricht aber den Comic-Charakter.
Welche journalistische Struktur Webcomics haben sollten, darüber gehen die Meinungen
auseinander. Auf der einen Seite wird postuliert, der Comic solle ausgewogen berichten.
50
Abb. 20: Der Autor ist im Comic zu sehen: Szene aus Joe Saccos „Kaukasus“
Andererseits wird positiv bewertet, wenn sich der Autor eine eigene Meinung bildet und diese
auch so deutlich macht.
Form und Inhalt werden vom User als Einheit verstanden und wahrgenommen. Vereinzelte
unterhaltende Elemente – im Sinne der journalistischen Unterhaltungsfunktion – stören das
Gesamtbild nicht. Panels sollten nicht mit Text überladen sein. Auf Onomatopöien und
Denkblasen sollte eher verzichtet werden, um die Glaubwürdigkeit nicht zu schmälern.
Verwendet der Autor unterschiedliche Stilmittel im Comic – beispielsweise eine Kombination
von Panels und Bildern –, so sollte dies begründet geschehen.
Multimedia-Elemente sind offenbar essenziell, um die Glaubwürdigkeit eines Webcomic zu
erhöhen und teils auch erst zu ermöglichen: Für die Rezipienten dienen sie als Beleg für den
Realismus des Zeichenstils und als Quellenbeweis. Dabei macht es offenbar keinen Unterschied,
ob die Multimedia-Elemente akustischer oder visueller Natur sind und im letzteren Fall keinen
Unterschied, ob es sich um Bewegtbilder oder Fotos handelt. Zudem sind Multimedia-Elemente
in der Lage, Erstleser allein durch ihre Existenz zu überraschen und so Interesse am
journalistischen Webcomic zu wecken. Weil der User die Wahl hat, welche Multimedia-Elemente
er wie intensiv studieren möchte, besteht potenziell die Möglichkeit, dass jeder User den
Webcomic anders erlebt.
Im Zusammenhang mit Videos bezogen sich explizite Aussagen zu Inhalt und Form auf die
Qualität der Videos. Diese darf variieren, der Inhalt des Videos sollte aber erklären, warum das
so ist. Videos sollten Panels eindeutig zugeordnet sein. Sie sollten Panel-Inhalte lediglich
ergänzen, kein neues Themenfeld eröffnen.
Der Autor sollte sich im Vorfeld über die Komposition des Videos Gedanken machen. Ähnliches
äußern die Rezipienten über die Verwendung von Fotos. Beide sollen einen gewissen Anspruch
erfüllen. Dies wird indirekt auch für akustische Multimedia-Elemente formuliert.
Die im Webcomic auf Multimedia-Elemente hinweisenden Zeichen – in „50 Years...“ sind es
unterschiedliche Icons – müssen als solche erkennbar sein. Andernfalls kann es zu
Missverständnissen kommen, wenn etwa die Icons zunächst als Werbung verstanden werden.
Dies kann im Zusammenhang mit der Trennung werblicher und journalistischer Inhalte in
journalistischen Darstellungsformen für die Glaubwürdigkeit ein wichtiger Hinweis sein.
Auf Basis des Mehrmethodendesigns lässt sich eine Definition für diesen multimedialen
journalistischen Webcomic aufstellen, die die Arbeiten McClouds und Planks zugrunde legt und
mit Hilfe von Hammels Webcomic-Definition erweitert (Erweiterung der Plank-Definition
gefettet):
„Ein multimedialer journalistischer Webcomic ist ein online publiziertes Produkt, zu
51
dessen Rezeption ein Endgerät mit Internetzugang benötigt wird. Es bezeichnet zu räumlichen Sequenzen angeordnete, bildliche oder andere Zeichen, die Informationen vermitteln sollen und eine ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen können. Das Ziel der Informationsvermittlung steht über jenem der ästhetischen Wirkung. Die Zeichen müssen wissenschaftlich publizierte journalistische Qualitätskriterien jedenfalls teilweise und idealerweise bestmöglich erfüllen.“
Die Resultate vermitteln den Eindruck, dass der Comic als journalistische Darstellungsform auf
einem guten Weg ist. Keineswegs wird er vorrangig als Unterhaltungsmedium wahrgenommen,
sondern mit Ernsthaftigkeit konsumiert und auch so wahrgenommen. Natürlich ist diese Studie
nur ein erster Schritt in der Rezeption journalistischer Webcomics. Wünschenswert wären
weitere Forschungsimpulse in diese Richtung.
Der vorliegende Webcomic „50 Years On, Still Hungry“ bietet sich beispielsweise im Rahmen
einer komparatistischen Forschung an: Da sowohl die konventionelle als auch die multimediale
Variante des Webcomic vorliegen, wäre es etwa möglich, eine Reverenzgruppe die multimediale
Version des Comic lesen zu lassen, während eine Kontrollgruppe sich mit der konventionellen
Version befasst. Die auf Basis der mit dieser Arbeit erhobenen Ergebnisse ließen sich
nachprüfen, um so möglicherweise eine Verknüpfung zwischen zwei Varianten der
journalistischen Webcomic-Welt herzustellen.
Die Teilnehmer der Gruppendiskussion gehörten der Generation der „Digital Natives“ an, der im
Internetzeitalter aufgewachsenen Personen. Im Rahmen einer Diskussion mit einer älteren
Gruppe ließen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten, was die Rezeption eines
journalistischen Webcomic angeht. Hier könnte die Forschung auch berücksichtigen, ob und
inwiefern das Image der Comics als Schundliteratur in den Köpfen Älterer noch verankert ist.
Weitere Forschungen über journalistische Webcomics wären nicht zuletzt wünschenswert, um
der Medienwelt Hinweise darauf zu geben, dass hier eine junge Darstellungsform offenbar
darauf wartet, von ihr aufgenommen zu werden. Die User jedenfalls stehen dem journalistischen
Webcomic durchaus offen gegenüber. Dann erübrigen sich möglicherweise in Zukunft
augenzwinkernde, aber die Qualität schmälernde Zusätze wie im „Zeit“-Comic über die in die
Vergangenheit reisende Kanzlerin (Migliazzi/Klein 2013: 19): „Approved by the Unfug
Authority“.
52
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alle Internetseiten wurden, wenn nicht anders angegeben, zuletzt abgerufen am 21. März 2014
9. AbbildungsverzeichnisAbb. 1, S. 6: Herriman, George: Krazy Kat. In: Schikowski, Klaus (2009): Die großen Künstler der Comics. Hamburg: Edel Germany GmbH. S. 34
Abb. 2, S. 9: Lieske, Daniel (2010): Wormworld Saga. http://www.wormworldsaga.com/chapters/chapter02/DE/index.php (zuletzt abgerufen am 29.
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Abb. 3, S. 12: McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Hamburg: Carlsen. S. 17
Abb. 4, S. 14: Sacco, Joe: Reportagen. Zürich: Edition Moderne. S. 22
Abb. 5, S. 15: Eisner, Will: Ein Vertrag mit Gott. In: Schikowski, Klaus (2009): Die großen Künstlerder Comics. Hamburg: Edel Germany GmbH. S. 140
Abb. 6, S. 29: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 7, S. 29: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 8, S. 30: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 9, S. 30: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 10, S. 31: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 11, S. 32: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 12, S. 32: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 13, S. 33: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 14, S. 38: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 15, S. 40: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 16, S. 43: eigene Darstellung auf Basis der Rezipientenforschung zu „50 Years On, Still Hungry“
Abb. 17, S. 45: Screenshot Soundcloud www.soundcloud.com/anutha-brutha/district-commissioner-mr (27. Juni 2014)
Abb. 18, S. 46: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www .cartoonmovement/icomic/52
Abb. 19, S. 48: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www.cartoonmovement/icomic/52
Abb. 20, S. 50: Sacco, Joe (2013): Reportagen. Zürich: Edition Moderne. S. 54
Abb. 21, S. 1: Ndula, Victor: 50 Years On, Still Hungry. http://www .cartoonmovement/icomic/52
58
10. Anhang10.1 „50 Years On, Still Hungry“Untersuchungsgegenstand und sämtliche Verlinkungen zu Multimedia-Elementen (in Klammern:Nummer des Panels, in dem das Verlinkungssymbol zu sehen ist; Beschreibung des Multimedia-Elementes online)(alle Internetseiten zuletzt abgerufen am 25. Mai 2014)
59
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64
http://www.cartoonmovement.com/files/Hunger_Kenya/picture7.html (25; Hardworkingfarmers reaping big)http://www.cartoonmovement.com/files/Hunger_Kenya/picture8.html (27; Hardworkingfarmers reaping big)http://www.cartoonmovement.com/files/Hunger_Kenya/picture3.html (29; Hardworkingfarmers reaping big)https://soundcloud.com/anutha-brutha/interview-with-elizabeth (30; Interview with ElizabethMbuthyi)http://www.cartoonmovement.com/files/Hunger_Kenya/picture4.html (31; Hardworkingfarmers reaping big)http://www.cartoonmovement.com/files/Hunger_Kenya/picture9.html (33; Water Pump)
10.2 DatenträgerEnthält Screenshots des originalen Webcomic, die nachträglich selbst mit Ziffern veränderteVariante, Fragebogen, Leitfaden sowie sämtliche Analyse-Tabellen
65
11. Versicherung an Eides stattIch versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, ganz oder in Teilennoch nicht als Prüfungsleistung vorgelegt und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittelbenutzt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die benutzten Werken im Wortlaut oder dem Sinnnach entnommen sind, habe ich durch Quellen kenntlich gemacht. Dies gilt auch fürZeichnungen, Skizzen, bildliche Darstellungen und dergleichen sowie für Quellen aus demInternet.
Eichstätt, den 14. Juli 2014
66