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Seite 12.4-1 Die Sicherheit von Flugtriebwerken Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten: Temperatur- und Umgebungseinflüsse 12.4 Schadensursächliche Temperatur- und Umgebungseinflüsse Die Problematik der Definition schadensursächlicher Temperaturen wird in Lit. 12.4-1 wie folgt dargestellt: „In vielen Fällen ist es nicht einfach , eine qualitative oder quantitative Aussage zur Schadensursächlichkeit der thermischen Beanspruchungen zu machen, weil eine große Zahl zum Schaden beitragender Einflüsse vorliegt (Bild 12.1-3). Bereits der Begriff der „thermischen Beanspruchung“ erweist sich bei näherer Be- trachtung als problematisch. Da ist zunächst die Frage, ab welcher Temperatur die thermisch schädigende Beanspruchung beginnt. In den seltensten Fällen liegt darüber hinaus die Bauteiltemperatur als alleinige Beanspruchung vor, so wie etwa bei einer unzulässigen Gefügeveränderung auf Grund einer Übertemperatur. Gewöhnlich treten an einem Heißteil untrennbar von der Temperatureinwirkung behin- derte Wärmedehnungen auf, die zu entsprechenden mechanischen Spannungen führen. Eine Menge, in ihrem Ursprung nicht temperaturabhängige Einflüsse wie mechanische Belastungen, chemischer Angriff und metallurgische Vorgänge, können zwar in vielen Fällen unter Temperatur schadenswirksam werden (Bild 12.1-3), sollen jedoch gesondert behandelt werden. Nicht immer ist es notwendig, dass die Tempe- ratur zulässige Werte übersteigt. So ist die Temperatur also oft nicht selbst als Schadensursache zu be- zeichnen, der Schaden in diesem Sinn nicht ihre Folge. In den weiteren Betrachtungen werden unter „Schäden als Folge thermischer Beanspruchung „solche verstanden, die ohne den Einfluss von Temperaturen, die deutlich oberhalb der Raumtemperatur liegen (>600°C), nicht aufgetreten wären.“ Die folgenden Beispiele sind im Schwerpunkt auf das Werkstoffverhalten ausgerichtet. Das bauteil- spezifische Verhalten wird in den Kapiteln der Heißteile ausführlicher behandelt. Dies sind Brennkammer, Turbine, Nachbrenner, Schubdüse und Schubumkehrer.

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

12.4 Schadensursächliche Temperatur- undUmgebungseinflüsse

Die Problematik der Definition schadensursächlicher Temperaturen wird in Lit. 12.4-1 wie folgtdargestellt:

„In vielen Fällen ist es nicht einfach , eine qualitative oder quantitative Aussage zur Schadensursächlichkeitder thermischen Beanspruchungen zu machen, weil eine große Zahl zum Schaden beitragender Einflüssevorliegt (Bild 12.1-3). Bereits der Begriff der „thermischen Beanspruchung“ erweist sich bei näherer Be-trachtung als problematisch. Da ist zunächst die Frage, ab welcher Temperatur die thermisch schädigendeBeanspruchung beginnt. In den seltensten Fällen liegt darüber hinaus die Bauteiltemperatur als alleinigeBeanspruchung vor, so wie etwa bei einer unzulässigen Gefügeveränderung auf Grund einerÜbertemperatur. Gewöhnlich treten an einem Heißteil untrennbar von der Temperatureinwirkung behin-derte Wärmedehnungen auf, die zu entsprechenden mechanischen Spannungen führen. Eine Menge, inihrem Ursprung nicht temperaturabhängige Einflüsse wie mechanische Belastungen, chemischer Angriffund metallurgische Vorgänge, können zwar in vielen Fällen unter Temperatur schadenswirksam werden(Bild 12.1-3), sollen jedoch gesondert behandelt werden. Nicht immer ist es notwendig, dass die Tempe-ratur zulässige Werte übersteigt. So ist die Temperatur also oft nicht selbst als Schadensursache zu be-zeichnen, der Schaden in diesem Sinn nicht ihre Folge.

In den weiteren Betrachtungen werden unter „Schäden als Folge thermischer Beanspruchung „solcheverstanden, die ohne den Einfluss von Temperaturen, die deutlich oberhalb der Raumtemperatur liegen(>600°C), nicht aufgetreten wären.“

Die folgenden Beispiele sind im Schwerpunkt auf das Werkstoffverhalten ausgerichtet. Das bauteil-spezifische Verhalten wird in den Kapiteln der Heißteile ausführlicher behandelt. Dies sind Brennkammer,Turbine, Nachbrenner, Schubdüse und Schubumkehrer.

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-1: Werkstoffeigenschaften reagierenauf Temperaturänderung und haben so einenbedeutenden Einfluss auf Schadensmecha-nismen. Neben der Festigkeit sind nahezu alleauslegungsrelevanten Werkstoffeigenschaftenvon einer steigenden Temperatur betroffen (Lit12.4-7). Diese Änderungen stehen meist wederin linearem Zusammenhang mit der Tempera-tur, noch verändern sie sich immer in eine Rich-tung. Damit nimmt die Komplexität der Bau-teil-Dimensionierung und -Auslegung gewaltigzu. Im Folgenden sollen, ohne Anspruch aufVollständigkeit, einige Effekte aufgezeigt wer-den:

Statische Festigkeit ist zeit- und temperatur-abhängig. Die Festigkeitsabnahme beschleu-nigt sich mit dem Temperaturanstieg (Bild12.5.1-2). Dieses Verhalten wird zusätzlichdavon beeinflusst, dass unter Belastung Ver-änderungen im Werkstoff auftreten. Zu nennensind beispielsweise Porenbildung, Veränderungder Aushärtungsphase oder die Bildung sprö-der Phasen. Effekte, wie die Orientierung derKorngrenzen und die Korngröße, beeinflussenLage und Häufigkeit belastungsspezifischerSchwachstellen und bedürfen besonderer Be-achtung.

Bruchdehnung: Üblicherweise steigt imWarmzerreißversuch (Kurzzeit) die Bruch-dehnung mit der Temperatur. Einige Ni-BasisLegierungen zeigen jedoch im Temperatur-bereich um 600°C ein mehr oder weniger aus-geprägtes Minimum (Lit.12.4-10) nach demdann die plastische Verformbarkeit exponenti-ell ansteigen kann (unten rechts). Unter sehrhohen Temperaturen, die bereits zum Erweichendes Werkstoffs führen (Solidustemperatur),kann sich ein bis dahin zäher Werkstoff äußerstspröd verhalten (Bild 12.4-1). Natürlich machtsich dieses Verhalten auch in der Kerbschlag-zähigkeit bemerkbar. Diese ist im Containment-fall und bei FOD für das Bauteilverhalten vonBedeutung.

Dehnungsverhalten bei Langzeitbeanspruch-ung: Die Kriechdehnung ist temperatur- undbelastungsabhängig. Üblicherweise steigt dieKriechdehnung bis zum Bruch mit der Belas-tung (Bild 12.5.1-3 und Bild 12.5.1-4). WerdenVerformungsparameter geeignet gewählt, lässtsich ein superplastisches Verhalten erzielen.Erholungsvorgänge im Werkstoff stehen dabeimit der Schädigung durch die Dehnung imGleichgewicht. Dieses Verhalten wird in derUmformtechnik genutzt.

Elastizität: Der E-Modul fällt üblicherweisemit steigender Temperatur in einer werkstoff-spezifischen Kurve ab. Dies ist z.B. von erheb-licher Bedeutung für die Schwingfrequenzen ei-ner Turbinenschaufel und muss zur Vermeidungvon Resonanzen berücksichtigt werden. Der E-Modul ist gewöhnlich nicht von der Zeit bei er-höhter Temperatur abhängig. Interessant ist dieOrientierungsabhängigkeit des E-Modul in derWärmedehnung der einkristallinen Version vonNi-Basis-Legierungen (siehe auch Bild12.6.3.4-7) für die Vermeidung von Resonan-zen. Auch im Thermowechselverhalten machtsich die Kornorientierung bemerkbar (Bild12.6.2-7).

Verfestigung bei plastischer Verformung:Schmiedeprozesse nutzen neben demFestigkeitsabfall und einer erhöhten platischenVerformbarkeit den Abbau von Verfestigungenbei Temperatur. Umgekehrt kann mit gezielterthermomechanischer Behandlung die Festigkeitgesteigert werden. Dies ist auf schnellereDiffusionsprozesse zurückzuführen.

Eigenspannungen und Verfestigungen: Krie-chen führt zur Veränderung und Induzierungvon Eigenspannungen und dem Abbau vonVerfestigungen. Werden erwünschte Druck-eigenspannungen und Verfestigungen aus spa-nender Bearbeitung oder Kugelstrahlen abge-baut, verschlechtert sich das Betriebsverhalten.So kann z.B. ein zu langes Intervall bis zumerneuten regenerativen Kugelstrahlen zum

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

- Festigkeit (statisch und dynamisch)- Bruchdehnung (Kurzzeitversuch)- Dehnungsverhalten bei Langzeitbeanspruchung (Kriechen)- Elastizität (E-Modul)- Verfestigung bei plastischer Verformung- Eigenspannungen und Verfestigungen- Kerbverhalten- Gefüge - Bruchmechanisches Verhalten- Wärmedehnung- Wärmeleitfähigkeit

Temperatur[°C]

Ela

stiz

itäts

mod

ulre

lativ

e W

ärm

elei

tfähi

gkei

t

22.104

20.104

15.104

10.104

5.104

00 250 500 750 1000

Temperatur[°C]0 250 500 750 1000

Stähle

Aluminium

Temperatur[°C]

linea

rer

Wär

mea

usde

hnun

gsko

effiz

ient

[m/m

°C]

0 250 500 750 1000

x 10-6

30

25

20

15

10

5

0

Aluminium

Magnesium

Stahl Typ 18/8

Stahl Typ 13%Cr

1

0

0,8

0,6

0,4

0,2

Aluminium

unleg. Stahl

Stahl Typ 18/8

Die Temperaturabhängigkeit der Werkstoffeigen-schaften kann das Betriebsverhalten der Bauteile entscheidend beeinflussen.

Wichtige temperaturabhängige Werkstoffeigenschaften:

Ni-Basis-Legierunggerichtet erstarrt

Titan-Legierungen

Magnesium

Ni-Basis-Legierungen

Stahl Typ 13%Cr

Titan-Legierungen

unleg. Stahl

Ni-Basis-Legierungen

Ni-Basis-Legierungen

Titan-Legierungen

0

20

40

60

80Inconel 718

Udimet 500

Nimonic 80A

713C

600 700 800 900 1000 0

Temperatur [°C]

Bru

chde

hnun

g [%

]

Bild 12.4-1

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Schwingbruch in einem Fretting beanspruch-ten Schaufelfuß aus einer Titanlegierung kom-men. Kriechdehnungen können aber auch Ei-genspannungen umlagern und/oder induzieren.Auf diesem Effekt beruht die Thermoermüdung(Kapitel 12.6.2). Erfolgt in einem begrenztenBauteilbereich eine Kriechverformung (z.B.Stauchen in der heißen Vorderkante einerTurbinenschaufel, Bild 12.5.1-14), bauen sichdort nach dem Abkühlen Eigenspannungen auf.

Kerbverhalten: Lässt die Kerbwirkung beikriechbedingtem Spannungsabbau in der Ker-be nach, steigt die Schwingfestigkeit gegenü-ber der bei Raumtemperatur an. Dies kann fürLCF und HCF gelten. Auch die Kerbschlag-zähigkeit nimmt gewöhnlich mit der Tempera-tur zu. Von besonderer Bedeutung ist diesesVerhalten für Beschichtungen wie Diffusions-schichten und metallische Auflagschichten vomTyp MCrAlY. Diese zeigen, ähnlich Bauteilenaus intermetallischen Phasen, bis zu einigenhundert °C ein sprödes Verhalten und werdenerst dann befriedigend duktil. Damit sind siebei niedrigen Betriebstemperaturen (Anfahrenund Abstellen) rissempfindlich, was dasThermoermüdungsverhalten negativ beein-flusst (Kapitel 12.6-2). Hohe Betriebs-temperaturen führen dagegen zu Kriech-dehnungen in der Schicht, die eine „Runzel-bildung“ auslösen (Bild 12.6.2-15). Bei sehr ho-hen Temperaturen im Solidusbereich kann esjedoch zu einem deutlichen Abfall kommen.

Gefüge: Gefüge können sich bei erhöhten Tem-peraturen verändern. Bei sehr hohen Tempe-raturen kann es im Bereich plastischer Verfor-mungen zur Rekristallisation mit der Bildungneuer Körner kommen. Wird die Lösungsglüh-temperatur einer Aushärtungsphase überschrit-ten, so kann der Werkstoff einen bleibendenFestigkeitsabfall erleiden. Während einer fol-genden längeren Betriebszeit kann diese Pha-se wieder ausscheiden. Die Aushärtungsphasekann sich auch abhängig von der Haupt-

Belastungsrichtung ausrichten (z.B. Floß-bildung). Die Aussscheidung spröder Phasen(z.B. Sigma-Phase, Laves-Phase) über längereZeit kann die Zähigkeit und damit z.B. dasFOD-Verhalten beeinflussen.Diffusionsschichten erfahren unter Temperatur-einwirkung Veränderungen wie Porenbildungoder in der Verteilung von Legierungs-bestandteilen (Bild 12.4-4 und Bild 12.4-6).

Riss- und Kerbschlagzähigkeit, bruch-mechanisches Verhalten: Beide Kennwertenehmen üblicherweise mit einem charakteris-tischen Steilanstieg mit steigender Temperaturzu (Bild 12.3-5). Der Steilanstieg der Riss-zähigkeit erfolgt jedoch bei einer niedrigerenTemperatur als der Kerbschlagzähigkeit. Diesbeeinflusst auch Eigenschaften wie diewachstumsfähige Fehlergröße oder den Riss-fortschritt unter zyklischer Belastung.

Wärmedehnung: Der Wärmedehnungs-koeffizient steigt gewöhnlich mit der Tempe-ratur linear an. Die Wärmedehnung ist von gro-ßer Bedeutung für die Spalthaltung im Bereichvon Dichtungen (Band 2, Kapitel 7.1.2). Nickel-legierungen haben eine größere Wärme-dehnung als Titanlegierungen. Dies erschwertden Übergang von Titan- zu Ni-Legierungenan Gehäusen und Rotoren im hinterenVerdichterbereich. Aus diesem Grund wird eineScheibe aus einem Stahl mit geeigneterWärmedehnung (13%-Cr Stahl) zwischen Ni-und Ti-Scheiben eingefügt. An dieser Stahl-scheibe können im Betrieb Korrosionsproblemeauftreten. Passungen und Verschraubungen, diesich bei Temperatur nicht lockern, erfordernabgestimmte Wärmedehnung über den gesam-ten Betriebs-Temperaturbereich. Die Wärme-dehnung beeinflusst natürlich auch dasThermoermüdungsverhalten. Ein hoherWärmedehnungskoeffizient dürfte sich dabeiungünstig verhalten. Besonders bei kerami-schen Wärmedämmschichten ist die Wärme-

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

1250

1200

1150

1100

1050

1000

950

9000 10 20 30 40 50 60 70

Volumenanteil '-Phase [%]

Lösu

ngsg

lüh-

Tem

pera

tur

der

'-P

hase

[°C

]

MAR M 247

MAR M 246

IN 100

MAR M 200713LC

NIMONIC 115

NIMONIC 80A

UDIMET 700UDIMET 500

RENE 41

NIMONIC 105WASPALOY

INCONEL 700

Die Lösungsglühung der '-Phase ist für denFachmann ein Hinweis auf Überhitzung und die Betriebstemperaturen.

Schmiede-Werkstoffe

Guss-Werkstoffe

dehnung gegenüber dem metallischen Grund-material entscheidend.

Wärmeleitfähigkeit: Die Wärmeleitfähigkeitist für das Aufheiz- und Abkühlverhalten derBauteile und damit für die Spalthaltung vonBedeutung. Bei Anstreifvorgängen beeinflusstsie die Aufheizung und Schädigung der Bau-teile. Es gibt Werkstoffe wie Aluminium undMagnesium, bei denen für die einsatzrelevantenTemperaturen die Wärmeleitfähigkeit nahezutemperaturunabhängig ist. Ni-Basis-Legierun-gen und Titan-Legierungen zeigen dagegen ei-nen deutlichen Anstieg der Wärmeleitfähigkeitmit der Temperatur. Niedrig legierte Stähle las-sen einen deutlichen Abfall der Wärmeleitfä-higkeit bis zu Temperaturen um 500°C erken-nen. Hochlegierte Stähle vom Typ 13%Cr-Stähle und 18/8 CrNi-Stähle zeigen bis 500 °Ceinen Anstieg der Wärmeleitfähigkeit (Lit12.5.1-2).

Bild 12.4-2

Bild 12.4-2 (Lit 12.4-8): Je warmfester Ni-Ba-sis-Legierungen, um so höher ist ihr Volumen-anteil der ’-Phase. Dieses Bild zeigt, dass sichdie Lösungsglühtemperatur mit steigendem ho-hem g’-Anteil erhöht. Weil die ’-Phase einwichtiger Indikator für eine schädigende Über-hitzung darstellt, sind diese Temperaturen vonBedeutung. In einer metallografischen Unter-suchung kann der erfahrene Fachmann aus derVeränderung der ’-Phase Aussagen zu derüberschrittenen Mindesttemperatur machen(Lit 12.4-12). Diese Angaben werden unsicher,wenn längere Betriebszeiten nach der Überhit-zung wieder zur Ausscheidung der ’-Phaseführten.

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

ca. 10 mm

ca. 0,05mm ca. 0,001 mm

ca. 0,01 mm

verbrannteBauteilpartien

KorngrenzenrisseEckenausbruch OrangenschaleneffektRissfelder

interkristallineSprödbrüche

Veränderung vonDiffusionsschichten und Porenbildung

Veränderung der Aushärtungsphase

Überhitzung: typische Hinweise und Nachweise bei Turbinenschaufeln.

Typische makroskopische Überhitzungsbilder an Turbinenrotorschaufeln

Bild 12.4-3

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-3: Der Nachweis einer Überhit-zung, vielleicht auch noch Aussagen über Zeit-punkt, Dauer und Höhe der Übertemperatu-ren, ist von großer Bedeutung für die Schadens-klärung und damit eine Voraussetzung fürgezielte und erfolgreiche Abhilfen. Bereits dasMakro-Schadensbild einer Schaufel lässt wich-tige Schlüsse zu (Skizzen oben). Im Extremfall,bei Bauteiltemperaturen im Schmelzbereich(Liquidustemperatur) und/oder starker Oxida-tion („ Verbrennen“, Bild 11.2.3.2-7und Bild11.2.3.1-9) fehlen Blattpartien, ohne dassBruchflächen identifizierbar sind. Stattdessensind die Trennflächen abgerundet und rau.Lagen die Temperaturen etwas tiefer, im Be-reich der Korngrenzenerweichung (Solidus-temperatur), kommt es zum Aufreißen undAufklaffen und/oder Ausbrechen von Blatt-zonen. Diese liegt meist im Spitzenbereich undan der besonders dünnen Hinterkante. In allenFällen sind trotz Oxidation Bruchstrukturenerkennbar.In den genannten Fällen ist davon auszugehen,dass es sich um Folgeschäden handelt und an-dere Bauteile ebenfalls unzulässig geschädigtwurden. So verlangen Überholhandbüchertriebwerksspezifisch in solchen Fällen auch dieVerschrottung der Turbinenräder folgenderStufen.Parallel orientierte Rissfelder im Kanten-bereich, ohne ausgeprägten Orangenschalen-effekt, sind ein Hinweis auf eine Thermoschock-Beanspruchung. Dies ist eine sehr kurzzeitig auf-tretende Überhitzung (Bild 12.6.2-3). DieseRissbildung kann bei Bauteilen mit einertemperaturabhängig spröden Diffusions-beschichtung besonders ausgeprägt auftreten(Bild 12.6.2-15).Wirken über lange Zeit hohe Temperaturen (imGrenzbereich der Auslegung) konstant und/oder wechselnd auf Bauteilzonen ein(insbesondere Schaufeleintrittskanten), kommtes zu „ausgewaschenen“ kurzen Rissen (durchErosion und Abplatzen der Oxide, Bild 12.6.2-10) und einem „runzeligen“ flächigen meistdunkel verfärbten Abtrag, dem sog. „Orang-enschaleneffekt“ (Bild 11.2.3.2-1. Bild

11.2.3.2-7 und Bild 12.6.2-10). Diese Situationweist z.B. auf eine verschlechterte Kühlung(teilweise Verstopfung von Kühlluftkanälen)oder schlechte Temperaturverteilung im Gas-strom hin. Sie ist z.B. bei Boroskopinspektionenein Zeichen, dass das Lebensdauerende derBeschaufelung nicht mehr weit ist. Von einemspontanen Versagen muss jedoch noch nichtausgegangen werden.Die unteren Skizzen zeigen typische Über-hitzungsmerkmale im Mikrobereich. Brüche, dieim Bereich der Solidustemperatur auftreten, ins-besondere von Einkristallschaufeln, könneneine markante kristalline Struktur (spiegelndeSpaltflächen, engl. cleavage cracks) zeigen.Diese ähnelt Ermüdungsbrüchen, die beiSchwingbeanspruchung unter normalenBetriebstemperaturen entstehen. Charakteris-tisches Überhitzungsmerkmal sind unter einerelektronenmikroskopischen Vergrößerung (Lit12.4-4) erkennbare Tropfen auf den Spalt-flächen (Skizzen Mitte). Damit lässt sich dasBruchbild von Bruchflächen mit „Stadium 1-Rissen“ (Bild 12.2-4 und Bild 12.2-6) unter-scheiden.Kurzfristige Temperaturen, die deutlich überder Lösungsglühtemperatur liegen, zeigen sichin einer Veränderung der Aushärtungsphase(�����’-Phase). Lösungsglütemperaturen liegenwerkstoffspezifisch für Ni-Basis-Legierungenzwischen 950 °C und 1250°C ( Bild 12.4-2).Diese Phase geht je nach Bauteiltemperaturund Überhitzungsdauer ganz oder teilweise inLösung (Skizze unten rechts). Gewarnt sei vorFehlinterpretationen, wenn seit der Überhit-zung wieder längere Zeit (Stunden) normaleBetriebstemperaturen herrschten. Dann istbereits mit einem erneuten Aushärtungseffektzu rechnen.Ein „Glücksfall“ kann vorliegen, wenn dasBauteil eine Beschichtung aufweist, die nach-vollziehbar auf Übertemperaturen reagiert.Solche Anzeichen können z.B. Rissbildung, Dif-fusion mit veränderter Verteilung von Legie-rungselementen, Gefügeveränderung und An-schmelzungen sein (Skizze unten Mitte, Bild12.4-6).

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-4: Lötrissigkeit (engl. LiquidMetal Embrittlement = LME) hat in seinenVoraussetzungen gewisse Ähnlichkeiten mitSpannungsrisskorrosion (Band 1, Kapitel5.4.2.1). Die Gefahr der Lötrissigkeit bestehtbei Kontakt einer benetzenden Metall-schmelze mit einem metallischen Bauteilunter ausreichend hohen Zugspannungen.Voraussetzung für eine gefährliche Benetzungist der metallische Kontakt. Dies erfordertz.B. Neuteiloberflächen oder bis zum Grund-material frisch aufgerissene Oxidschichten.Für solche Bedingungen kann eine LCF-Be-anspruchung sorgen, die definitionsgemäß-unter merklichen plastischen Verformungenabläuft. Die Metallschmelze „schießt“ aufden Korngrenzen in den Werkstoff. Sie wirktauf diese Weise versprödend und rissbildend.Diese Schädigungen können sowohl unmit-telbar beim Kontakt mit der Schmelze alsauch später, z.B. während des Aufschmelzensvon Oberflächen-Verunreinigungen unterBetriebstemperaturen entstehen. Die Skizzeoben links zeigt einen Fall, in dem währendder Wärmebehandlung eines Neuteils (metal-lische, nicht oxidierte Oberfläche) in einemVakuumofen (Skizze oben rechts) Silber aufdie Bauteiloberfläche tropfte. Der Ofen warvorher für Lötungen mit Silberlot verwendetworden. Offenbar waren dabei Lotreste in denisolierenden Grafitmatten oberhalb des Bau-teils verblieben. Ein winziger Lottropfen (klei-ner als ein Stecknadelkopf) drang dabei Zen-timeter durch die Scheibe. Diese stand unterausreichend hohen Zugspannungen (wahr-scheinlich Schmiedespannungen und/oderWärmespannungen, Skizze oben Mitte).Die unteren Bilder entsprechen REM-Aufnah-men (Lit 12.4-3). Links erkennt man den Riss-verlauf im Bereich des bereits ausgelaufenenSilbertropfens der von kleinen Spritzern um-geben ist. Dieses Merkmal ist typisch für ei-nen benetzenden Tropfen und unterscheidetsich von, ebenfalls gefährlichen, Auf-schmierungen.

Das Bild rechts lässt die für Lötrissigkeit typi-sche „Röschenbildung“ erkennen. Es handeltsich um kleine Lotansammlungen auf den klaf-fenden, interkristallinen Bruchflächen (Korn-grenzen) am Rissbeginn.Gefährliche metallische Verunreinigungen kön-nen auf vielfältige Weise auf Bauteiloberflächengeraten. Hier sei besonders auf Fertigung undMontage hingewiesen.

Bild 12.4-5: Der äußere Befund geschädig-ter, thermisch beanspruchter Bauteile kannhelfen, Rückschlüsse auf Ursachen, Abläufe so-wie Schädigungsart und -ausmaß zu ziehen.Daraus lassen sich Maßnahmen für weitere Un-tersuchungen oder Abhilfen ableiten.

Rissbildung: Das Aussehen der Risse kann vielüber Entstehung und schädigende Einflüsseaussagen. Ein erstes Merkmal ist der Riss-verlauf im Gefüge. Handelt es sich um eineninterkristallinen Riss (entlang der Korn-grenzen), spricht dies für einen Kriecheffektund/oder eine Schädigung infolge Korrosionund/oder Oxidation. Verläuft der Riss trans-kristallin (durch die Körner) ist eine dynami-sche Ermüdung (Schwingbruch, Thermo-ermüdung, LCF) wahrscheinlicher. Ein nicht„ausgewaschener“ klaffender Riss (Rissuferpassen zusammen) ohne deutliche plastischeVerformungen weist auf sprödes Verhalten un-ter Eigenspannungen hin. Zu prüfen ist, obversprödende Medien wie Metallschmelzen(Bild 12.4-2) eingewirkt haben. Plastische Ver-formungen sind Merkmale hoher Dehnungenbei Überlastung. Aufgestauchte und klaffendeRissufer sind ein Zeichen für zeitweise hoheDruckspannungen oberhalb der Fließgrenze(z.B. Thermoermüdung, Bild 12.6.2-10). Festgeschlossene Risse lassen auf vorhandene hoheDruckspannungen schließen, z.B. als Folge ei-ner Eigenspannungs-Verlagerung durch eine

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

ca. 0,5 mm

mehrere Zentimeterlanger und mehreremillimeter tiefer Riss

Querschliff im Rissbereich

interkristallinerRisszum großen Teil mit Silber gefüllt

Silberlottropfen

Ni-Basis-Schmiede-legierung

Silbertropfen fällt auf dieunter Zugspannungenstehende Scheibe

Vakuumofen schematisch

Isoliermatten aus Grafit

Lötrissigkeit (Liquid Metal Embrittlement, "LME") kannzur Rissbildung und Schwächung von Bauteilen ausSuperlegierungen führen.

Für LME typische "Röschenbildung"auf den aufgerissenen Kornflächen

0,02 mm0,1 mm

Silberlottropfen

Am Rissausgang befindet sich einTropfen Silberlot.

Temperaturca. 800°C

Bild 12.4-4

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Seite 12.4-10

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Anlauffarben

Hinweise aufOberflächen-versprödung

Oxidation

Verunreinigungen undAblagerungen

- "Ausschwitzungen" bei infiltrierten Sinterwerkstoffen- örtliche Anschmelzungen

Bruchbild:- Fortschrittlinien- Oxidation- Bruchausgang

Här

te

Verzug durch - Eigenspannungen Aufbau oder Abbau- Kriechen

Härte:- Absolutwert- Verlauf

Eigenspannungen:- Art, Größe und- Verlauf

Abdrücke fürMetallografie und REM

- Tüpfelproben- Ätzung

Äußerer Befund und zerstörungsfreie Unter-suchung thermisch beanspruchter Bauteile

Rissbildung:- klaffend, geschlossen- durchlaufend, verästelt- Einzelriss, Rissfeld- Risslage im Bauteil, relativ zu Bearbeitungs- spuren usw.

Anschmelzungenund Aufreissenbei Lötungen

aufgespritzteSchmelzperlen-Schweißspritzer- vom Zerspanen (Hochgeschwindig- keitsbearbeitung

Bild 12.4-5

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

ten Sinterwerkstoffen (z.B. bei Gleitlagern undAndruckscheiben; Band 1, Bild 5.1.5-2) odersehr inhomogenen Werkstoffen oder im Bereichvon Seigerungen bei Ni-Basis-Gusslegierungenfinden.

Aufgespritzte Schmelzperlen: Auch dies ist eineForm örtlicher Überhitzung und Schädigung.Schmelzperlen von Schweißungen und Bearbei-tungsverfahren können die Festigkeit der Auf-trefffläche beeinträchtigen, sowie Zug-Eigen-spannungen induzieren. Die Schwingfestigkeitwird so deutlich abgesenkt. Bekannt sind Fällean Elektronenstrahl geschweißten Titanteilen(Verdichterleitapparate, Trommelläufer). Aberauch beim Reibschweißen oder bei Fräs-, Trenn-und Schleifarbeiten können schädigende heißePartikel abgeschleudert werden. Titanteilesind für Schweißspritzer auf doppelte Weiseempfindlich:Schmelztropfen von Titanlegierungen brennenwährend des Flugs an Luft und sind deshalbsehr heiß. Die schlechte Wärmeleitfähigkeitvon Titanlegierungen verzögert zusätzlich dieAbkühlung.Titanwerkstoffe oxidieren stark und versprö-den so im Bereich des Tropfens. Zusätzlich sindTitanlegierungen kerbempfindlich. DieVersprödung begünstigt Mikrorisse bei Verfor-mung und damit von diesen Anrissen ausge-hende Schwingbrüche.

Hinweise auf Oberflächenversprödung: Riss-bildung, insbesondere als konzentrische Ringeum Eindrücke oder Ausplatzungen, weist aufeine Versprödung der Oberfläche hin. Bei Titan-legierungen handelt es sich meist um eine Oxid-schicht, die sich unter Sauerstoffzutritt (Luft)und Temperaturen über 600°C bildet. Anlauf-farben sind ein Hinweis, grau matteOxidationsflächen ein sicheres Zeichen für einegefährlich versprödete Titanoberfläche.Versprödungsverdacht besteht generell auchfür Nickellegierungen, wenn Fremdmetall aufder Oberfläche geschmolzen ist (spröde Pha-

plastische Verformung. Von besonderer Bedeu-tung kann der Rissgrund sein (Bild 12.6.2-10).Ausrundung, Oxidation, Verästelung, Rissfeldersind wichtige Merkmale für die Fortschritts-geschwindigkeit des Risses und eventuellerUmgebungseinflüsse. Die Risslage am Bauteilund die Rissorientierung gibt Hinweise auf dieRichtung der schadensursächlichen Belastung.Einflüsse, die vor oder nach der Rissentstehungdatierbar sind (z.B. Bearbeitungsriefen, Krat-zer, aufgespritztes Material), können wichtigeInformationen über zeitliche Abläufe enthalten.

Bruchbild: Meist ist trotz Oxidation dasBruchbild makroskopisch ähnlich bewertbarwie von Brüchen und Rissen die bei „nicht oxi-dierenden“ Temperaturen entstanden sind. Ei-nen Vorteil können sogar Anlauffarben bieten,die auf zeitliche Abläufe und den Rissfortschritthinweisen.Obwohl heiße Bruchoberflächen, insbesonderereaktive frische Bruchflächen, Oxidschichtenaufweisen, zeigt die Erfahrung, dass eine er-folgreiche mikroskopische Auswertung (REM)meist noch möglich ist (Bild 12.4-7).

Anschmelzungen und Aufreißen vonLötungen: Der Schmelzpunkt von Hoch-temperaturloten steigt beim Lötvorgang mitder Abdiffusion der Schmelzpunkt absenken-den Bestandteile (z.B. Bor). Auf Grund der ge-genüber dem Grundwerkstoff niedrigeren Fes-tigkeit und Sprödigkeit ist trotz des ausreichendhohen Schmelzpunkts mit einem Aufreißen derLötung bei sehr hohen Temperaturen zu rech-nen (Bild 12.4-7). Wird die Liquidustemperaturdes Lotes überschritten, können, wegen derdamit verbundenen Volumenvergrößerung,Lotperlen an der Oberfläche austreten („aus-schwitzen“). Eine mikroskopische Untersu-chung solcher Bruchflächen hat die Chance,anhand von Schmelzstrukturen und einem tei-gigen Verhalten (im REM sind „kaugummi-artige“ Bruchstrukturen erkennbar), Rück-schlüsse auf Übertemperaturen zu ziehen. Ähn-liche Ausschwitzungen kann man an infiltrier-

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-6 (siehe auch Bild 12.4-5, Bild 12.4-7 und Bild 12.4-8): Der metallografische Be-fund thermisch beanspruchter Bauteile ist einwichtiges Hilfsmittel zur Bewertung desSchädigungsausmaßes und der Klärung vonSchadensmechanismen,-abläufen und -ursachen. Auch elektronenmikroskopischeUntersuchungen (Raster-Elektronen-Mikros-kop = REM, engl. scanning electron microscopy= SEM) haben diese Untersuchungsmethodenicht entwertet. Beide können sich hervorra-gend ergänzen. Dies gilt besonders für Mikro-analysen und die Bewertung sehr kleiner Par-

sen, Versprödung der Korngrenzen durchLötrissigkeit, Bild 12.4-4).

Anlauffarben: Anlauffarben sind gewöhnlichein Zeichen für Sauerstoffzutritt an einer hei-ßen Oberfläche. Die Farben hängen lediglichvon der Schichtdicke ab („Farben dünnerPlättchen“). Die Oxidschichtdicke wird außervon der Temperatur von vielen anderen Ein-flüssen wie Reaktivität der Oberfläche (z.B.Werkstoff, Bruchflächen), Atmosphäre, Verun-reinigungen und der Reaktionszeit beeinflusst.Deshalb sind nur sehr wage Aussagen zur ma-ximalen Temperatur möglich. Für eineeinigermaßen verlässliche Temperaturab-schätzung sind viel Erfahrung und zusätzlicheInformationen (z.B. Zeit) notwendig. Besonde-re Vorsicht ist bei Titanlegierungen geboten.Deren Anlauffarben verändern sich schon un-ter der Einwirkung kleinster Verschmutzungenentscheidend.

Verunreinigungen und Ablagerungen: Beson-dere Aufmerksamkeit ist auf Flecken, Spritzeroder Aufschmierungen zu richten, die offenbardas Oxidationsverhalten der Oberfläche ver-ändert haben. Hier besteht die Möglichkeit ei-ner schädigenden Oberflächenreaktion wieKorngrenzenangriff und Diffusion. So entstehtdie Gefahr, dass sich in dieser Zone keine schüt-zende Oxidschicht aufbauen kann.

Verzug eines Bauteils kann als reine Kriech-verformung unter äußeren Belastungen oder/und die Folge frei werdender oder umgelager-ter Eigenspannungen sein. Dafür können auchausreichend hohe Bauteiltemperaturen bei nor-malem Betrieb ausreichen. Eine weitere Mög-lichkeit für Verzug sind ungewöhnlich große be-hinderte Wärmedehnungen als Folge vonTemperaturgradienten. Verformungen sindimmer im Zusammenhang mit hohen Eigen-spannungen zu sehen. Diese lassen sich beiZugänglichkeit und geeigneten Bedingungen inHöhe und Verlauf vor Ort oder im Labor mes-sen. Verfahren mit Röntgenstrahlen können nur

Eigenspannungen in einer dünnen Oberflächen-zone messen. Für den Spannungsverlauf auchunter der Oberfläche ist die Bohrlochmethodezu bevorzugen. Aufwändig (teuer) aber sehraussagefähig sind „tomografieähnliche“ Ver-fahren mit Neutronen, die auch in dicken Quer-schnitten Aussagen über den Spannungszustandund die Spannungsverteilung zulassen. Sie be-wegt sich an der Grenze zur zerstörenden Prü-fung, denn das Teil muss angebohrt werden.Unbehinderte Kriechverformungen bauen kei-ne nennenswerten Eigenspannungen auf.

Härte: Härteänderungen lassen sich in verdäch-tigen Bauteilzonen messen. Deutliche Härte-veränderungen außerhalb der für das Bauteilspezifizierten Werte sind ein Hinweis auf eineGefügeveränderung. Hohe Betriebstem-peraturen können eine Erklärung für diesenBefund sein. Dies gilt sowohl für zu hohe Här-ten als auch für einen Härteabfall.

Metallografische Untersuchung (siehe hier-zu Bild 12.4-8 und Bild 12.4-10): Wird die Ober-fläche eines Bauteils wie ein metallografischerSchliff behandelt (polieren, ätzen), lässt sie sich,bei Zugänglichkeit, direkt mikroskopisch un-tersuchen. Andernfalls ist eine indirekte Unter-suchung über einen Kunststoffabdruck (aus-härtende Abdruckmasse oder Abdruckfolie)möglich.

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

reits wichtige Hinweise auf schädliche Einflüs-se geben. Anreicherung oder Verarmung vonLegierungsbestandteilen und Fremdelementenweisen auf Werkstoffschwächen und/oderSchadensmechanismen hin. Es kann sich da-bei um Oxidation oder um Reaktionen mitOberflächenverschmutzungen handeln. Ein ty-pischer Fall ist die sog. Lötrissigkeit (Bild 12.4-4).Die Sensibilisierung von Korngrenzen, wie siebei nicht ausreichend stabilisierten CrNi-Stäh-len in bestimmten Temperaturbereichen (Band1, Bild 5.4.1.1-9 und Bild 5.4.1.1-10) z.B. ne-ben Schweißnähten auftritt, kann zu einer un-zulässigen Korrosionsanfälligkeit führen. Ist dasBauteil beschichtet (z.B. Diffusionsschicht oderAuflageschicht), können Veränderungen wich-tige Indizien für Schädigungen sein (Bild 12.4-8). Korngrenzen unterliegen bevorzugt Oxida-tion und Heißgaskorrosion (z.B. Sulfidation).Diese Schädigungen sind im Schliff gut erkenn-bar und bewertbar. Eine solche Bewertung wirdfür die Abschätzung erforderlicher Nacharbeitbei einer Reparatur benötigt. Korngrenzen-beläge oder -verarmungen geben wichtige Hin-weise auf die Empfindlichkeit des Werkstoffsgegenüber Schadensmechanismen. Anschmel-zungen der Korngrenzen lassen auf Tempera-turen im Solidusbereich schließen. In diesem Zu-sammenhang sind Warmrisse zu nennen (Band2, Bild 7.2.2-9.2 ) die bei Schweißungen, An-streifvorgängen (Bild 12.4-10) und Schleifüber-hitzungen beobachtet werden.

Flächige Schädigungen: Werkstoffe die beiTemperaturen mit lebensdauerbestimmenderOxidation zum Einsatz kommen „leben“ ge-wöhnlich von der Ausbildung einer schützen-den dichten Oxidschicht. Besonderheiten undStörungen der erwünschten Oxidations-schicht wie Al-Spritzer nach einem Verdichter-schaden, sind deshalb als schadensrelevant an-zusehen. Hierzu gehören Reaktionszonen mitVerschmutzungen. Ein Beispiel sind Fremd-metalle wie Silber aus Labyrinthbelägen undversilberten Bauteilen. Solche Ablagerungen

tikel wie Aushärtungsphasen oder Korngren-zenbelegungen.

Gefügeänderungen: Vorgänge wie Lösungs-glühen, Aushärten (z.B. Ni-Legierungen), Här-ten, Anlassen (z.B. C-Stähle, Cr-Stähle) undSensibilisieren ( z.B. CrNi-Stähle) können er-kannt bzw. nachgewiesen werden. Von beson-derer Bedeutung ist die Auswertung des Er-scheinungsbilds der ’-Phase in Ni-Legierun-gen der Heißteile (Bild 12.4-2). Die Aushär-tungspartikel sind für eine befriedigende licht-optische Bewertung gewöhnlich zu klein. Die-se erfolgt bei ausreichender Erfahrung undHintergrundinformation vorzugsweise durcheine Kombination von metallografischerSchliffherstellung und Präparation in Kombi-nation mit einer REM-Untersuchung. Größe,Form, Volumenanteil, Anordnung und Orien-tierung (Floßbildung, engl. raftening sieheLit. 12.5.1-6) sind wichtige Merkmale fürbetriebsbedingte Veränderungen und gebenHinweise auf Temperaturen, Zeiten undBelastungsrichtung.

Kriechporen: Die Chance des Nachweises ei-ner Lebensdauer bestimmenden Kriech-belastung bieten Kriechporen. Verbrauchte Le-bensdauer bzw. die Restlebensdauer lassen sichdamit abschätzen (Bild 12.5.1- 7 und Bild12.5.1-9). Ausreichend sichere Lebensdauerab-schätzungen sind trotz viel Erfahrung allenfallsdann möglich, wenn die Porenbildung nochnicht zu intensiv ist. Dann kann über einen er-neuten Einbau und/oder eine Regeneration ent-schieden werden.Die Orientierung der mit Poren belegten Korn-grenzen ermöglicht Rückschlüsse auf kriech-belastete Bauteilzonen und die Belastungs-richtung. Der angeregte Kriechmechanismuskann etwas über Art und Höhe der Belastungaussagen (Bild 12.5.1- 8).

Korngrenzen: Lage und Ausmaß geschädigterKorngrenzen (z.B.Kornausbrüche) in Ober-flächennähe oder im Querschnitt können be-

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

- Verunreinigungen und Ablagerungen- Lötrissigkeit (LME)

Metallografischer Befund thermisch beanspruchter Bauteile

Här

te

Korngrenzen:- Diffusionszonen- Beläge- Heißgaskorrosion- Anschmelzungen (Warmrisse)

Rissspitze:- scharf,stumpf- Oxidation

Härte:- Absolutwert- Verlauf

Oberfläche:- Oxidationsschicht- Reaktionszonen- Diffusionszonen- Versprödungen

Rissbild:- klaffend, geschlossen- verformte Rissufer- Trans- oder interkristallin,- durchlaufend, verästelt- Einzelriss, Rissfeld- Risslage im Bauteil, zu Bearbeitungspuren usw.

Gefügeänderungen:- Lösungsglühen, - Anlassen

Kriechporen:- Restlebensdauer- Schädigung- Lastrichtung- Belastungsart

Kornausbildung:- Rekristallisation- Kornwachstum- Umkristallisation

Bild 12.4-6

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sehr langsame Fortschrittsgeschwindigkeit hin.Umgekehrt lässt eine scharfe Rissspitze ohneOxidation einen schnellen und damit gefährli-chen Rissfortschritt vermuten.

Kornausbildung: Rekristallisation zeigt sehrhohe Betriebstemperaturen (dicht unter derSolidustemperatur) an. Neue Körner entstehenan Einkristallen im Bereich kritischer plasti-scher Veformung. Solche Gefügeveränderung-en lösen Fremdkörpereinschläge oder eineverfestigungsgestrahlte Oberfläche aus. „Fehl-körner“ in Einkristallen sind auf Abweichun-gen im Gießprozess zurückzuführen. Typischsind plastische Verformungen infolge derSchrumpfung beim Abkühlvorgang in einer zusteifen Formschale.In Schmiedematerial kann eine ungewöhnlicheKorngröße (zu groß oder zu klein) mit einerWärmebehandlung in Zusammenhang stehen(Bild 12.5.1-16). Kornwachstum weist auf zulange Glühzeiten in der Fertigung oder unge-wöhnlich hohe Betriebstemperaturen über län-gere Zeit hin. Dies dürfte eher für statischeBauteile wie Brennkammer-Komponenten gel-ten, deren mechanische Belastung relativ nied-rig ist.

Härte: Absolutwerte und Verläufe von Mikro-härten bei metallografischer Untersuchung las-sen werkstoffspezifisch in Kombination mitanderen Befunden (z.B. Gefügebesonderheiten)schädigende Einflüsse bewerten. So zeigt sicheine gefährliche Überhitzung des Kranzbereichsvon Turbinenscheiben (Heißgaseinbruch, Bild11.2.3.1-11) bei derÜberholung in einem Härte-abfall gegenüber spezifizierten Mindestwer-ten.

können die Sulfidation erheblich begünstigen(Bild 12.4-14). Besonders gefährlich sind Re-aktionen mit Metallschmelzen, welche denGrundwerkstoff entfestigen und verspröden.Typische Beispiele sind Blei aus vergessenenRöntgenmarkierungen, Strahlgut-Verunrei-nigungen von ungeeigneten Abdeckbändernoder niedrig schmelzende Eingießlegie-rungen (z.B. Zinn/Wismuth).Oxidschichten wachsen an Titanlegierungenbei Temperaturen über 600°C schnell auf. Diesführt zusammen mit Gefüge-Veränderungen zurVersprödung mit der Gefahr einer Rissbildungund Schwingfestigkeitsabfall. Geschädigte bzw.nicht ausreichend gegen fortschreitende Oxi-dation schützende Oxidschichten können sichunter Einwirkung äußerer Einflüsse (Atmo-sphäre, Verunreinigungen) bilden. Sulfidationwird besonders von Oxidschichten begünstigt,die sich wegen fehlenden Sauerstoffangebots(z.B. in schlecht belüfteten Hohlräumen, Band1, Bild 5.4.5.2-2) nicht ausreichend dicht aus-bilden können.

Rissbild: Ob ein Riss klaffend oder geschlos-sen ist, seine Rissufer im Anrissbereich gestauchtoder gedehnt wirken, hängt von plastischenVeformungen und induzierten Eigenspannun-gen ab. Umgekehrt kann kaum von solchenMerkmalen auf diese Vorgänge (bestenfalls qua-litativ) rückgeschlossen werden. Der trans- oderinterkristalline, durchlaufende oder verästelteRissverlauf lässt sich im günstigen FallSchadensmechanismen und der Belastungshöhezuordnen (z.B. Kriechen oder Schwingungen).Die Anrisslage und der Rissverlauf, relativ zuSchwachstellen, sagt etwas über weitereschadensrelevante Einflüsse aus. SolcheSchwachstellen können eine besondere Korn-orientierung, Lunker oder fertigungsbedingteKerben wie Bearbeitungsriefen und Funken-erosionsflächen sein.Besonders aussagekräftig kann die Ausbildungder Rissspitze für die Rissfortschrittsgeschwin-digkeit sein (Bild 12.6.2-10). Starke Oxidationmit Ausrundung des Rissgrunds weist auf eine

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Verunreinigungen undAblagerungenidentifizieren

REM-Befund thermisch beanspruchter Bauteile

Rissbildungsmechanismus:- Zeitstand / Kriechen- Schwingbelastung im HCF-Bereich- Thermoermüdung (LCF)- Heißriss- Lötrissigkeit (LME)

Kon

zent

r.- Oberflächenabdrücke: (Folie, Abdruckmasse)- Thermisch bedingte Gefügeveränderung (Temperaturen)- Schädigungsart (z.B. Anschmelzung)- Zeitliche Reihenfolge des Schadensablaufs- Restlebensdauerbestimmung (Kriechporen)

Analyse und/oderBewertungabgelöster Partikeloder Oberflächen-schichten

Mikroanalysen (Verlauf, Verteilung):- Diffusionsvorgänge- Abzehrung von Schichten / Lebensdauer- Identifikation von Verunreinigungen- Falsche Hilfsstoffe (z.B. Schmiermittel)- Korrosive Umgebungsbestandteile

lichtoptisch nichterkennbare Gefüge-veränderungen ( ')

Bruchflächenauswertung:- Rissfortschritt (Richtung, Geschwindigkeit) - Oxidation (Entstehungszeit)- Bruchausgang- Schadensmechanismus

Bild 12.4-7

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-7: Thermisch beanspruchte Bauteilekönnen in vielen Fällen erfolgreich mit dem Ras-ter-Elektronen-Mikroskop (REM, engl.Scanning Electron Microscopy = SEM) unter-sucht werden. Im REM lassen sich sowohl dieBruchflächenstrukturen auswerten und doku-mentieren als auch Analysen der Zusammenset-zungen durchführen. Dazu ist es nicht immer notwendig, das Bauteilselbst oder eine zerstörend entnommene Probefür die Probenkammer des REM zu präparie-ren. In manchen Fällen genügen Abdrücke mitFolien oder Abdruckmassen, die zur Untersu-chung mit Gold bedampft werden.

Abgelöste Partikel und Schichten können imREM auf ihre Zusammensetzung hin analysiertwerden. Zusätzlich kann die Struktur (z.B. Po-rosität) von Ablagerungen und Partikeln Rück-schlüsse auf Entstehungsort (z.B. Verdichter-abrieb) und -zeit (z.B. bestimmte angesaugteStäube) ermöglichen (Bild 11.2.3.1-14).

Bruchflächenauswertung: In vielen Fällen, istdie Oxidation der Bruchfläche nicht so weit fort-geschritten, dass dies eine Auswertung im REMverhindert. Falsch ist es in jedem Fall zu ver-suchen, die (aufgewachsene!) Oxidschicht ab-zulösen, im irrigen Glauben darunter die un-beschädigte auswertbare Bruchfläche zu fin-den.Eine andere Situation liegt vor, wenn sich auf-gespritzte Beläge, z.B . nach intensiven Anstreif-vorgängen, auf der Bruchfläche befinden. Es isteine Frage des Mediums, das unter geeignetenBedingungen einwirkt (z.B. im Ultraschall-Bad),ob die Beläge ohne Beschädigung der Bruchflä-che entfernt werden können.Rissfortschrittslinien (engl. striations), die imHCF-Bereich entstehen (Bild 12.2-6) sind ge-wöhnlich so fein, dass sie nach kurzenOxidationszeiten nicht mehr erkennbar sind.Der Rissfortschritt von Thermoermüdungsrissen(LCF) lässt sich dagegen häufig noch anhandder Rissfortschrittslinien gut erkennen, der Aus-gangspunkt identifizieren (eventuelle Initial-

schwachstelle) sowie Geschwindigkeit undZyklenzahl bewerten. Auch der Anrissbereichlässt sich oft noch auf ursächliche Schwach-stellen (z.B. Lunker) untersuchen. Stärke undVerlauf der Oxidationsschicht können überzeitliche Abläufe Auskunft geben. Schmelz-perlen oder Poren (Kriechporen) sind kenn-zeichnende Merkmale. Es sei hier noch er-wähnt, dass im Labor hergestellte Brüche (vor-teilhaft nach Abkühlung der Probe in flüssi-gem Stickstoff) im Bereich vermuteter Kriech-schädigung erzeugt werden sollten. Auf die-sen nicht oxidierten Bruchflächen istgegebenenfalls eine hervorragende Auswer-tung auf Kriechporen möglich. Zu beachtenist, dass zusammengewachsene Kriechporen„weiche“ Bruchstrukturen zeigen, die leichtmit angeschmolzenen Zonen bei extremerÜberhitzung verwechselt werden können.

Auswertung von metallografischen Schliffenoder metallografisch präparierten Oberflä-chen: Mit Hilfe einer geeigneten Folge vonPoliervorgängen und Ätzungen gelingt es, dieAushärtungsphase ( ’-Phase ) auswertbar zumachen. Dies ist auf Grund der geringenPartikelgröße lichtoptisch nicht befriedigendmöglich und muss im REM erfolgen. So lassensich Rückschlüsse auf überschrittene Grenz-temperaturen (Lösungsglühen, Bild 12.4-2),Beanspruchungsrichtung und Langzeit-veränderungen ziehen. Ähnliche Technikenhaben sich auch in der Auswertung vonKriechporosität bewährt. So wurde eine Ab-schätzungen der Schädigung bzw. Rest-lebensdauer und der Beanspruchungsrichtungmöglich (Bild 12.5.1-7).

Mikroanalysen: Neben der Untersuchung vonOberflächen und abgelösten Partikeln bestehtauch die Möglichkeit, die Verteilung bzw. denVerlauf von Element-Konzentrationen zu be-stimmen. Dies kann z.B. für die Bewertung derVeränderung von Diffusionsschichten sehr hilf-reich sein (Bild 12.4-8). Auch die Identifikati-on der Diffusion von schädigenden Elemen-

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Bild 12.4-8 (Lit. 12.4-1): Diffusionsschichtendienen der Vermeidung unzulässiger Oxidati-on und Heißgaskorrosion an Heißteil-oberflächen. Häufig werden sie mit Hilfe vonAluminium-Diffusion bei hoher Temperaturin geeigneten Atmosphären hergestellt. Das Alu-minium bildet bei Betriebstemperatur eineschützende Aluminiumoxid-Schicht. DieseSchichten sind besonders geeignet Oxidationzu verringern. Bei anderen Anforderungen mitmerklichem Korrosionsanteil, z.B. als Sulfida-tionsschutz, werden andere Metalle, z.B.Chrom eindiffundiert (Inchromierung). Wäh-rend des Diffusionsprozesses in der Fertigungwächst ein Teil der Schicht mit besonders ho-hem Al-Gehalt auf dem Grundmaterial (Auf-bauzone). Ein weiterer Teil diffundiert in denGrundwerkstoff (Diffusionszone). Diffusions-schichten sind gewöhnlich bei niedrigenBetriebstemperaturen bis zu einigen hundert °Cspröd (Bild 12.6.2-15). Erst dann können sieDehnungen im plastischen Bereich, wie sie beiThermoermüdung auftreten, aufnehmen. Des-halb sind der Anfahr- und Abstellvorgang fürdie Rissbildung in Diffusionsschichten von be-sonderer Bedeutung. Diese Rissbildung beein-flusst wiederum das Thermoermüdungs-verhalten. Die Schichten können sich im Be-trieb verändern. Dabei treten typische Effekteauf (Bild 12.6.2-15):“A”: Rissbildung (sog. Schichtrisse = “Coa-ting Cracks”) entstehen bei niedrigen Tempe-raturen, wenn die Schicht noch relativ sprödist.“B”: Bildung von „Oxidnägeln” an Schicht-rissen im Bereich des Schichtgrunds. Hier bie-tet der relativ niedrige Al-Gehalt keinen aus-reichenden Oxidationsschutz mehr.“C”: „Riffelbildung” (“Rippling”) durch zy-klische Wärmedehnungen und plastischeSchichtverformung bei hohen Betriebs-temperaturen.

ten wie Silber oder Schwefel (bei Sulfidation,Band 1, Bild 5.4.5.1-4), ist in der Schadens-klärung von erheblicher Bedeutung.

“D” : Ablösung der Schicht infolge Rissbildungim Bereich spröder Phasen.“E”: Diffusionsvorgänge lösen im Betrieb dieBildung spröder Phasen aus. Betroffen sindGrundwerkstoff und Schicht in Abhängigkeitvon Temperatur und Zeit.“F”: Porenbildung am Übergang zum Grund-werkstoff im Zusammenhang mit dem“Kirkendalleffekt” (Diffusionvorgänge zumAusgleich von Legierungsbestandteilen).“G”: Abzehrung der Schicht aus einem Zusam-menwirken von Oxidation, Erosion und zykli-schen Wärmedehnungen. Sie ist das Haupt-kriterium der Schichtlebensdauer.“H”: Gefügeänderungen in der Schicht kön-nen dem Fachmann wichtige Hinweise auf dietatsächlich aufgetretenen Betriebstempe-raturen geben. So lässt sich aus bestimmtenGefügeveränderungen erkennen, ob schädi-gende Überhitzungen stattgefunden haben.“I”: Interdiffusion zwischen Grundwerkstoffund Schicht verändert die Struktur und Zusam-mensetzung beider. Solche Diffusionsvorgängekönnen, wenn auch langsam, auch bei norma-len Betriebstemperaturen auftreten. Sie werdenmit Hilfe sogenannter Diffusions-Barrierenminimiert. Hierfür eignet sich z.B. eineZwischenschicht aus Platin.“K”: Anschmelzungen der Übergangszone mitSchichtablösungen bei Temperaturen im Be-reich von 1250 °C.

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

A B C D E F G H I K

Diffusionsschichten sind ein wichtiger Schutzder Heißteile und ein sensibler Überhitzungs-indikator.

Zeit

850°C Temperatur 1250°C

A.Rossmann

ca. 0,1 mmGrundwerkstoff

Diff

usio

nszo

ne

Auf

bauz

one

Bild 12.4-8

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geöffnete Lötungen

Auch Hochtemperatur-Lötungen können als Überhitzungsindikatoren dienen.

Bild12.4-9: Häufig werden Turbinen-Leit-schaufeln aus mehreren einzeln gegossenenSchaufeln zu Segmenten verlötet. In der Re-paratur werden umfangreiche Lötungen zumSchließen von Rissen und/oder dem Aufbau ge-schädigter Bauteilzonen (Oxidation) verwen-det. Das Lot wird aus, mit dem Schaufel-werkstoff artgleichem Pulver hergestellt. Umeinen ausreichend unterhalb der Erweichungdes Grundwerkstoffs liegenden Schmelzpunktzu erhalten, wird das Pulver mit einem schmelz-punktabsenkenden Zusatz wie Bor gemischt.Ein pastenförmiger Binder sorgt für guteVerarbeitbarkeit. Der Schmelzpunkt dieser Ver-bindungen steigt durch Diffusion beimLötvorgang in die Nähe des Grundmaterials.Trotzdem tritt bei Überhitzung eine Erwei-chung des Lots ein, bevor der Grundwerkstoffseine Solidustemperatur erreicht. Diese führtzum Aufreißen der Lötung und /oder „Aus-schwitzen“ von Schmelzperlen. Derartige Er-

Bild 12.4-9

scheinungen können also als Hinweis auf hoheÜbertemperaturen gewertet werden.

Bild 12.4-10: Anstreifvorgänge können mit ge-fährlichen Überhitzungen ablaufen (Band 2,Bild 7.2.2-9.2 und Bild 8.2-21.2). Dabei erwei-chen oder schmelzen die Korngrenzen und rei-ßen unter den gleichzeitig auftretenden Wärme-spannungen auf (Warmrisse, Detail untenlinks). Diese Rissbildung ist vorzugsweise querzur Anstreifrichtung orientiert. In der oberenSkizze ist das Beispiel einer Kleingasturbinedargestellt. Ein Luftführungsblech streifte ander Rückseite des Zentripetal-Turbinenrads an.Es kam zu einer geschädigten Ringzone mit ei-nem radial orientierten Rissfeld (Pfeil). Ähnli-che Schäden treten bei der Bearbeitung imFertigungsprozess (Schleifen, hochtourigesFräsen, Trennen) auf, wenn die Verfahrens-parameter ungünstig gewählt wurden. Weil diebearbeitete Oberfläche meist verschmiert ist,

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Härteänderungen

außergewöhnliche Anlauffarben

Typische Hinweise und Nachweise von Überhitzungen an Turbinenscheiben

{A

ufw

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er D

urch

mes

ser

ca. 0,1 mm

Anstreifzone

Überhitzung durchHeißgaseinbruch

Anstreifvorgänge haben ein hohes Schädigungspotential.

ca. 10 cm

ca. 10 cm

Bild 12.4-10

werden die Risse oft erst nach einem Wärme-behandlungszyklus oder nach einiger Betriebs-zeit (z.B. bei der Überholung) oder nach einemÄtzen erkannt.Außergewöhnliche Anlauffarben können einHinweis auf schädigend hohe Betriebs-temperaturen sein. Zonen mit ungewöhnlichintensiven Anlauffarben können auch aus an-

deren Gründen im Kranzbereich (Heißgasein-bruch) oder im Nabenbereich (z.B. Ölfeuer)auftreten. Als Anzeichen für eine gefährlicheÜberhitzung kann ein Härteabfall unter spe-zifizierte Werte und eine Durchmesser-vergrößerung infolge einer bleibenden Auf-weitung der Scheibe dienen (Skizze unten).

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Oxidation und Heißgaskorrosion

Schädigungen durch Oxidation und Heißgaskorrososion wurden in Band 1, Kapitel 5.4.5 bereitsbehandelt. Im Folgenden sollen diese Angaben lediglich ergänzt werden.

Begriffe (siehe auch Band 1, Kapitel 5.4.5): Unter Oxidation werden in der Literatur unterschiedlicheSchadensmechanismen verstanden, die letztlich alle zur Oxidbildung führen. Oxidation kann man sowohlals Oberbegriff für verschiedene Schädigungen finden, als auch als Unterbegriff der Hochtemperatur-korrosion. Dabei kann die Oxidation direkt, durch Reaktion des Grundwerkstoffs mit Sauerstoff aus derUmgebung erfolgen oder über Zwischenreaktionen und Diffusionsvorgänge (z.B. bei der Sulfidation).

- Hochtemperaturkorrosion (engl. high temperature corrosion): Schädigung bzw. Angriff an ei nem Werkstoff durch Umgebungseinflüsse bei hoher Temperatur.

- Heißgaskorrosion: Korrosionsangriff eines Werkstoffs durch heiße Gase (O2, N

2, CO/CO

2, SO

2/

SO3).

- (Hochtemperatur-) Oxidation: Korrosionsangriff durch O2 unter Bildung von Oxiden.

- Sulfidation: Korrosionsangriff unter Einwirkung von Schwefelverbindungen und Bildung von Sulfiden.Sulfidation kann von Silber-Ablagerungen ausgelöst und stark beschleunigt werden (Bild 12.4-11).

- Hot corrosion: Korrosionsangriff bei hoher Tempertur unter Einwirkung flüssiger Ablagerungen (Salze, Staub, Bild 12.4-11). Hierzu gehört in den meisten Fällen die Sulfidation.

Unerwünschte Oxidbildung schädigt das Bauteil auf unterschiedliche Weise. Geometrische Verände-rung, Festigkeitsabfall, Kerbwirkung (Korngrenzenangriff) und beschleunigter Rissfortschrittkönnen einzeln und in Kombination wirken. Die Oxidation von Haftschichten verschlechtert die Haft-festigkeit der darüber liegenden Beschichtung (z.B. keramische Wärmedämmschicht, Bild 12.4-12).

Oxidation lässt sich bei triebwerkstypischen Heißteiltemperaturen nicht vermeiden. Sie ist sogar eineVoraussetzung um schädigende Oxidation zu verhindern, indem schützende dichte Oxidschichten (ge-wöhnlich Al

2O

3) gebildet werden. Deshalb werden Neuteile nicht selten voroxidiert. Es gilt diese

schützenden Eigenschaften zu optimieren. Hierzu dient eine geeignete Legierungszusammensetzung desGrundwerkstoffs (in der Hauptsache hoher Al-Anteil) und/oder Al-haltige Oberflächenbeschichtungen.Schützende Oxidschichten sind thermisch stabil, dicht gegen oxidierende Gase, inert für schädigendeUmwelteinflüsse, langsam wachsend und gut haftend.

Bei hohen Temperaturen bilden alle Legierungsbestandteile in unterschiedlicher Menge Oxide. Sind Oxidenicht ausreichend stabil, gehen sie chemisch ineinander über. Übrig bleiben nach längerer Zeit die besondersstabilen Oxide. Die Oxidationsrate hängt besonders von der Legierungszusammensetzung und von derTopografie bzw. Form der Oberfläche ab (Bild 12.4-13). Auf Hochtemperatur-Loten, wie sie an Heiß-teilen oft verwendet werden, ist die Schutzwirkung einer Al-Diffusionsschicht nicht gut.

Eine Oxidschicht wächst durch die bereits vorhandene Oxidschicht infolge Diffusion von Metall und/oder Sauerstoff. Oxidschichten weisen ein größeres Volumen als das Metall auf, aus dem sie sich gebildethaben. Dies führt zu inneren Spannungen im Oxid zwischen Oxid und Grundwerkstoff. Zugspannungenbringen die Oxide zum Abplatzen was die Oberfläche abzehrt. Der Grad der Abzehrung bestimmt dieLebensdauer von Oxidations-Schutzschichten. Dies gilt für Diffusionsschichten und Auflageschichten(z.B. MCrAlY-Schichten; Bild 12.4-13). Die Oxidationslebensdauer einer Alitierschicht steigt mit derSchichtdicke und dem Al-Gehalt.

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Oxide auf länger gelaufenen Heißteilen sind auch gegenüber Medien der Reparatur- und Fertigungs-prozesse (z.B. Säuren) chemisch stabiler als der Grundwerkstoff. Dies führt zu erheblichen Problemenbei der chemischen Entfernung von Oxiden (z.B. zur Eindringprüfung). Bevor das Oxid befriedigendentfernt ist besteht die Gefahr, dass der Werkstoff unzulässig geschädigt wurde (z.B. interkristalline Kor-rosion). Deshalb erfolgt die Entfernung gewöhnlich mit einer Kombination abrasiver (z.B. Strahlen) undchemischer Verfahren.

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-11 (Lit 12.4-4): Diese Diagramme zei-gen das Verhalten von metallischen und ke-ramischen Beschichtungen von Turbinen-schaufeln im Heißgasstrom entsprechend Be-rechnungen eines Lebensdauer-Modells. Ver-gleiche Band 1 Bild 5.4.5.1-4, Sulfidation anmetallischen Werkstoffen und Bild 5.4.5.2-4 fürZrO

2 -Thermobarrieren. Das graue Feld gibt

den Temperaturbereich an, in dem sich ag-gressive Salzschmelzen bilden. Im schemati-schen Diagramm links oben sind die Zonen derSulfidation für metallische Schutzschichtenvom Typ NiCrAlY in Abhängigkeit von Betriebs-und Werkstoffparametern gekennzeichnet. Diegestrichelte bzw. durchgehende Begrenzungs-linie gibt die Lebensdauer ohne Sulfidations-angriff, bei reiner Oxidation an. Das Diagrammoben rechts zeigt die Schädigung von ZrO

2-

Thermobarrieren unter Einwirkung typischerSalzschmelzen (Band 1, Bild 5.4.5.2-4 und Bild5.4.5.2-5). Wie zu erkennen ist, wird auch dieKeramikschicht von Salzschmelzen geschädigt.Die Lebensdauergrenze ohne die Einwirkungeiner Salzschmelze entspricht der Oxidation derHaftschicht vom NiCrAlY-Typ (Bild 12.4-13).Es lässt sich erkennen, dass die Keramikschichtanders als die metallische Schicht keine aus-geprägten Minima aufweist.Die unteren Diagramme stellen das Verhaltenvon ZrO

2-Wärmedämmschichten mit einer

NiCrAlY-Haftschicht auf der Mar-M 247 Ni-Basis-Gusslegierung dar. Sie lassen den Einflusswichtiger Betriebsparameter wie Flughöhe,Schwefelgehalt und Druck des Heißgases in derTurbine erkennen. Es ist wichtig sich zu ver-gegenwärtigen, dass es sich bei diesen Dia-grammen um Abschätzungen handelt, die aufComputerrechnungen beruhen und daher wohlnur in der Tendenz der Realität entsprechen.Einfluss der Flughöhe: Das Diagramm untenlinks lässt den deutlichen Anstieg derSulfidation mit abnehmender Flughöhe erken-nen. Dies ist auf den Anstieg des Salzgehalts inder Ansaugluft zurückzuführen. Meeressalz ist

Fortsetzung auf Seite 12.4-26

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Temperatur

log

Bes

chic

htun

gsle

bens

daue

r

Temperatur

log

Bes

chic

htun

gsle

bens

daue

r

Salz in fester Form

Salzschmelzen

OxidationOxidation derHaftschicht

Salz verdampft

Lebensdauermodell metallischer Beschichtungen

Lebensdauermodell keramischerBeschichtungen (TBC)

Salz in fester Form

Salz verdampft

Zähigkeitsverlustdes Zirkonoxids

Salzschmelzen

Schädigung durch geschmolzenenSalzfilm

600 800 1000Temperatur [°C] Temperatur [°C]

Sch

icht

-Leb

ensd

auer

[h/0

,025

mm

]

106

105

104

103

102

Oxidation1,7 Km

1,5 Km

1,0 Km

0,5 Km Meereshöhe

Heißgas-Korrosion

0,2% Schwefel im Kraftstoff25 at Druck, Salzgehalt derLuft in Meereshöhe 0,012 ppm

600 800 1000Sch

icht

Leb

ensd

auer

[h/0

,025

mm

]

106

105

104

103

102

Oxidation0,02 % S

0,2 % S

2 % S

Heißgas Korrosion

Flughöhe = 025 at Druck, Salzgehalt derLuft in Meereshöhe 0,012 ppm

Einfluss der Flughöhe

600 800 1000Temperatur [°C]

Sch

icht

Leb

ensd

auer

[h/0

,025

mm

]

106

105

104

103

102

Oxidation

25 at

Heißgas Korrosion

0,2% Schwefel im KraftstoffFlughöhe = 0, Salzgehalt derLuft in Meereshöhe 0,012 ppm

Einfluss des Drucksin der Turbine

Einfluss des Schwefelgehalts

1 at

15 at

Heißgas-Korrosion in Abhängigkeit von denBetriebsparametern eines Triebwerks.

Einfluss der Betriebstemperatur (schematisch)

550°C 1000°C 550°C 1000°C

Niedertemperatur-Heißkorrosion(Sulfidation Typ II)

MitteltemperaturHeißkorrosion(Sulfidation TypI)

Bild 12.4-11

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-12 (Lit 12.4-3): Wärmedämm-schichten (= WDS, engl. thermal barriercoatings = TBC) verändern unter Einwirkunghoher Temperaturen, mechanischer Belastun-gen und von Verunreinigungen (z.B. Staubab-lagerungen) ihre chemischen und physikali-schen Eigenschaften (Lit. 12.4-11). Davon sinddie Betriebseigenschaften betroffen. Eskommt zu Phasenumwandlungen, Korn-wachstum und Sintereffekten. Zur Minimie-rung dieser Effekte wird dem ZrO

2 das Oxid Y

2

O3 zugefügt. Die TBC wird so stabilisiert.

Sintereffekte führen bereits nach kurzer Zeitzu einem Anstieg des E- Moduls. Schon eineWärmebehandlung von einer Stunde bei1250°C ergibt einen deutlichen Sintereffekt (Lit.12.4-4). Dieser Effekt verstärkt sich mit höhe-ren Temperaturen (Diagramm rechts). Er führtzu einem Abfall der Bruchzähigkeit und so zufrüher Rissbildung wenn (Wärme-) Dehnungaufgebracht wird.

notwendig, um die schützende Oxidschicht„aufzubrechen“ damit der Schwefel korrosivwirken kann. So ist bei Flugzeugen die in nied-rigen Höhen über Wasser operieren (z.B . U-Boot-Jäger) und/oder deren Start- und Lande-bahnen sich in Meeresnähe befinden verständ-licherweise mit besonders intensiver Heißgas-korrosion zu rechnen. Diese kann durch dasWaschen des Verdichters sogar verstärkt wer-den, wenn dabei Salzablagerungen in die Tur-bine transportiert werden. Triebwerke von Ver-kehrsflugzeugen, insbesondere für Lang-streckenverbindungen, dürften dagegen ver-gleichsweise wenig von Sulfidation betroffensein, da bereits oberhalb einer Flughöhe vonwenigen tausend Metern die Oxidation Lebens-dauer bestimmend wird. Dass diese Schlussfol-gerung nur bedingt zutrifft, zeigt die intensiveSulfidation an hohlen NDT-Schaufeln von Zivil-triebwerken (Band 1, Bild 5.4.5.2-2).Einfluss des Schwefelgehalts: Verständlicher-weise fällt die Schichtlebensdauer mit demSchwefelgehalt steil ab (Diagramm unten Mit-te). Erst um 1000 °C wird die Oxidation domi-nierend, weil die schädigende Salzschmelze beidiesen Temperaturen abdampft.Einfluss des Heißgas-Drucks: Man erkennt imDiagramm unten rechts, dass der Druck desHeißgases die Sulfidation merklich unterstützt.Die angegebenen Drücke müssen im Zusam-menhang mit dem „Temperaturfenster“ fürSulfidation zwischen 550°C und 950 °C gese-hen werden. Niedertemperatur-Sulfidation(Sulfidation Typ II) ist eher in der Niederdruck-turbine zu erwarten wo die Gasdrücke bereitsrecht niedrig sind. Drücke um 25 bar tretendagegen in der Hochdruckturbine auf. Hierliegen die Bauteiltemperaturen um 900 °C.Moderne Triebwerke im zivilen Einsatz habenVerdichter-Austrittsdrücke bis 40 bar. Aus die-ser Perspektive ist in solchen Triebwerkenbesonders Sulfidation vom Typ I zu erwarten.Die Schädigungsrate einer Wärmedämm-schicht wird vom Zusammenspiel folgenderEinflüsse bestimmt:

- „Mechanische Einflüsse“:- Spannungen in der Schicht- Temperatur- Werkstoffkombination

- Bruchzähigkeit (KIC

)- Fehlergröße- Elastizitätsmodul- Dehnung die zum Abplatzen führt

- Oxidation:- Temperatur- Zeitverlauf eines Start/Abstell-Zyklus- Werkstoffkombination

- Salzablagerung:- Flughöhe (Ansaugen)- Druck in der Turbine- Salz-Verdampfung- Salz-Erstarrung- Temperatur- Gas-Geschwindigkeit- Einsatzort des Flugzeugs- Werkstoffkombination

Fortsetzung von Seite 12.4-24

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

0

1,0

0,5

norm

iert

e Z

eit b

is z

u A

bpla

tzun

gen

1050 1100 1150

Temperatur [°C]

Streubereich von Schichtenverschiedener Hersteller

1100°C

1150°CNeuteil

1,5

1,0

0,5

0

Bru

chzä

higk

eit [

KIC

] MP

a m

Zeit bei Temperatur [h]10 100

Bruchzähigkeit von Plasma gespritztemZrO2 nach einer Lagerungszeit unter Temperatur.

Schicht-Ausplatzungen in einem Heißgas-Prüfstand in Abhängigkeit von der Temperatur

Veränderung der Eigenschaften von Wärmedämm-schichten unter Temperatureinwirkung.

Bild 12.4-12

Silikate aus, während der Schubumkehrer-Be-tätigung, angesaugtem und in der Brenn-kammer aufgeschmolzenem Staub lagern sichauf der HD-Turbinen-Beschaufelung ab. In denTBC werden von den Ablagerungen Sinter-prozesse beschleunigt. Besonders Silizium undKalzium können in die Keramikschicht ein-dringen. Damit wird die thermische Schrump-fung beeinträchtigt, wenn bei PVD-Schichtendie Spalte zwischen den kolumnaren Kristal-len und bei thermisch gespritzten Schichten dieSegmentierungsrisse von der Staubschmelzeaufgefüllt werden (Bild 11.2.3.1-4). Bei derAbkühlung können sich die Spalte in der TBCnicht mehr schließen und es entstehen Druck-spannungen. Diese induzieren hohe Zugspan-nungen in der Haftschicht (Band 1, 5.4.5.2-4und Bild 5.4.5.2-4). So werden Anrisse undRissfortschritt unterstützt .

Lokale Oxidschichten (engl. thermally grownoxide = TGO) unter der TBC, auf der Haft-schicht, mit Dicken von 0,005 mm führenbereits zu örtlichen Delaminationen der Kera-mik und unterstützen Thermoermüdung im Be-reich von Schwachstellen des Grundwerkstoffs.Das linke Diagramm zeigt den Einfluss der Oxi-dation der Substrat-Oberfläche oder der Haft-schicht auf die von Abplatzungen charakteri-sierte Lebensdauer. Sauerstoff kann auf zwei-erlei Weise zur Haftfläche dringen. Durch Spal-te und Risse und/oder er wird von der als Ionen-leiter wirkenden TBC über Diffusion transpor-tiert. Hat sich eine Oxidschicht so weit gebil-det, dass die Haftfestigkeit nicht mehr aus-reicht, kommt es zu Abplatzungen. Die Emp-findlichkeit der Systeme gegenüber diesemSchadensmechanismus ist sehr unterschiedlich(graues Feld im Diagramm links).

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-13: Sieht man einmal von der Riss-bildung durch Thermoermüdung ab (Bild12.6.2-15) ist das Lebensdauer bestimmendeKriterium für Oxidationsschutzschichten derAbtrag. Dieser wird von einer Kombinationmehrerer Einflüsse wie Oxidation, Schicht-veränderungen (Diffusion), Abplatzen der Oxid-schichten (zyklische Wärmedehnung) und Ero-sion durch Partikel und/oder Heißgas (Band 1,Kapitel 5.3.1) bestimmt. Die Praxis zeigt über-einstimmend mit zyklischen Versuchen im Heiß-gas, dass der Abtrag bzw. ein Ausbrechen of-fenbar in deutlichem Zusammenhang mit derKrümmung der beschichteten Fläche steht(Skizze oben). Konvexe Flächen brechen bevor-zugt aus. Diese Schäden nehmen zu, je flacherdie Krümmung (je größer der Radius), jedicker die Schicht und je höher die Druckspan-nungen (Lit. 12.4-13). Ebene Flächen verhal-ten sich vergleichsweise gut, konkave Flächendeutlich besser. Eine Erklärung für dieses Phä-nomen dürfte in den, während Temperatur-zyklen auftretenden, Eigenspannungen in derSchicht und dem Grundmaterial zu suchen sein.Druckspannungen wirken bei einer konvexenSchicht abhebend, während sich die Schicht ankonkave Flächen schmiegt (Skizze oben). DasDiagramm unten zeigt das Verhalten vonDiffusionsschichten und Auflageschichten wiethermischen Spritzschichten. Oxidations-beständigkeit und Beständigkeit gegen Heiß-gaskorrosion schließen einander nicht unbe-dingt ein. Hoch Cr-haltige Systeme sollen z.B.eine hohe Beständigkeit gegen Sulfidation auf-weisen, dagegen schützen sie schlecht gegenOxidation. Ähnliches gilt für CoCrAlY-Schich-ten. Umgekehrt haben NiCrAlY Schichten einehohe Oxidationsbeständigkeit, schützen aberrecht wenig vor Heißgaskorrosion. CoNiCrAlY-Schichten scheinen einen guten Kompromiss zubilden und einen akzeptablen Schutz gegenbeide Schädigungsformen zu gewährleisten. Dieam häufigsten angewendeten Al-Diffusions-schichten bestehen aus Aluminiden und sindbesonders oxidationsfest. Platin verbessert dasHeißgas-Korrosions-Verhalten der Aluminide.

O3 zugemish

Voraussetzung für befriedigende Abhilfen ge-gen Schäden infolge Oxidation und Heißgas-korrosion ist zuerst die Art der Schädigungbzw. den Hauptschadenseinfluss zu ermitteln.Erst dann kann mit einiger Aussicht auf Erfolgdie geeignete Schutzschicht ausgewählt werden.Der Verbesserungsnachweis erfordert immererst die ausreichend betriebsnahe Schadens-reproduktion.

Beispiel 12.4-1 (Bild 12.4-14, Lit 12.4-11):

Zitat: „...(The OEM) is planning to replace silvercoating on F110-GE-100 engine high pressureturbine disk front and rear fasteners after aninspection revealed that small cracks haddeveloped in the disk during intensive testing....aftermore than 4,000 ground operation cycles(equivalent to about 2,000 flight hours). Smallcracks were found after a routine inspection witha fluorescent penetrant of a disk...

The silver coating used on nuts and boltssecuring the disk’s front and rear retainer hadreacted with sulfur in the engine’s jet fuel,creating a sulfate compound that exposed thedisk surface to acid. The acid led to corrosionand about half a dozen cracks in the disk.

Appearance of the cracks on the rear edge ofthe disk rather than the forward edge indicated thatthe problem was not structural...Forward edgecracks are related to structural changes in the enginebecause of the heat generated during the engineoperations. The silver material was used to preventthe fasteners from seizing and to allow bolt rem-oval after engine run.

...(the OEM) is planning to replace the silvercoating on all disk nuts and bolts to prevent thecracks from developing in other ... engines.“

Kommentar: Das beschriebene Phänomen istoffenbar bereits länger bekannt (Lit 12.4-5) undwurde in mehreren Fällen beobachtet (Lit 12.4-7). Es ist falsche Sparsamkeit, wenn weiterhin inpotentiell gefährdeten Bereichen versilberte Ver-schraubungen verwendet werden.

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Oxi

datio

nsbe

stän

digk

eit

Korrosionsbeständigkeit (HGK z.B. Sulfidation)

AluminidePlatin-Aluminide

NiCrAlY

CoCrAlY

NiCoCrAlY

CoNiCrAlY

hoch Cr-haltigeSysteme

Schematische Darstellung der Oxidations- und Heißgas-Korrosions-beständigkeit verschiedener Schichtgruppen.

Oxidationsbedingter Abtrag von Schutzschichten.

Schnitt A-A

Schaufelhinter-kante im metallo-grafischen Schliff

Abtrag in Abhängigkeit von der Oberflächenkontur.

Druckspannungen in derSchicht führen zum Anschmiegen der Schicht

konkave Flächemit spröder Beschichtung

Druckspannungen in derSchicht führen zum Abhebenund Abplatzen

konvexe Flächemit spröder Beschichtung

A A

konkave Flächeniedriger Abtrag

konkave Flächewenig "Abtrag"

konvexe Flächehoher "Abtrag"

Bild 12.4-13

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Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Bild 12.4-14: Silber wird bei Heißteilen ausNi-Basis-Werkstoffen und hochlegierten Stäh-len verwendet, um „Fressen“ (Verschweißen)und Fretting (Schwingverschleiß) zu vermeidenund einen kontrollierbaren Reibbeiwert zu er-halten. Deswegen werden besonders Schrau-ben, Muttern und Passflächen von Bolzen ver-silbert. Silber kann Bauteile aus Nickel-(Band 1, Seite 5.4.1.1-7) und Titanlegierungenauf gefährliche Weise schädigen.

Skizze1:Auslösen und Unterstützen vonSulfidation durch eine Art katalytische Wir-kung von Silber auf Heißteiloberflächen (sieheauch Band 1, Bild 5.4.5.1-4).

Skizze 2: Bei erhöhten Bauteiltemperaturen(vermutlich >700 °C) kann Silber gefährlichin Ni-Legierungen und hochlegierte Stähleeindiffundieren. Besonders wenn diese, wie beiSchrauben und Bolzen üblich, unter hohen Zug-spannungen stehen. Solche Schäden bevorzu-gen den Gewindebereich. Es kommt zuVersprödung, unzulässigem Festigkeitsabfallund zum Bruch. Die Diffusion wird bei versil-berten Bauteilen vom metallischen Kontaktdes Silbers mit dem Grundmaterial begünstigt.Eine Schädigung durch Diffusion ist an Baut-eilen mit schützenden oxidierten Oberflächenbei Kontakt mit Silber weniger wahrscheinlich.

Skizze 3: Auslösen von Sulfidation an Heiß-teilen aus Ni-Legierungen im Kontakt mit ver-silberten Flächen. Dadurch kann auch dieErmüdungsfestigkeit unzulässig verringertwerden (Lit 12.4-5;Lit 12.4-11 siehe Beispiel12.4-1)

Skizze 4: In Literatur 12.4-5 wird beschrieben,dass zwei Verdichterscheiben aus der Titan-legierung Ti-7Al-4Mo barsten, nachdem Ris-se in den Bolzenbohrungen der Verschraubungdes Rotorverbands auftraten. Die Rissbildungwird auf den Kontakt der Titanlegierung mitgegen Fretting versilberten Bolzen aus hoch-legiertem Stahl (A-286) zurückgeführt. Cl-

haltiges Schwitzwasser hat offenbar zur Bil-dung von Silber-Chlorid bei den erhöhtenBetriebstemperaturen geführt und darausSilberablagerungen in den Bolzenbohrungenentstehen lassen. Mit derartigen Verunreini-gungen, insbesondere Chloriden, ist in Meeres-atmosphäre immer zu rechnen. In Lit. 12.4-7wird erwähnt, dass bei Langzeiteinwirkung vonAg Schädigungen am ScheibenwerkstoffWaspaloy beobachtet wurden. Es wurde auchbeobachtet, dass sich Ag von den Verschrau-bungen ablöst und benachbarte Bauteile schä-digen kann.

Skizze 5: Im Rotor einer Niederdruckturbineaus einer Ni-Legierung trat Lochfraß im Be-reich von Silberablagerungen auf. Die Ablage-rungen entstanden wahrscheinlich aus einge-dampftem Schwitzwasser in dem Silber-verbindungen gelöst waren. Das aggressiveWasser (Meeresatmosphäre?) hatte anschei-nend die Verschraubung im Stillstand ent-silbert und wurde dann beim Anfahren desTriebwerks nach außen in die Flanschansätzegeschleudert, wo es verdampfte.Es handelt sichalso um eine Kombination der Schadens-mechanismen aus Skizze 1 und 4.

Skizze 6: Diese HDT-Scheibe eines Kampf-flugzeugtriebwerks besteht aus einer Ni-Legie-rung. An beiden Flanschen entstanden nachlängeren Versuchsläufen (siehe Beispiel 12.4-1) Risse. Sie wurden von Silber der Verschrau-bung ausgelöst.

Um derartige Schäden in Verbindung mit Sil-ber zu vermeiden, muss auf ein Versilbern derKontakt- und Gleitflächen verzichtet werden.Dies hat den zu akzeptierenden Nachteil, dasslösbare Verbindungen (z.B. Schrauben) bei derDemontage so geschädigt werden, dass eineWiederverwendung nicht mehr möglich ist.

Merksatz: Versilberte Befestigungselementewie Schrauben und Muttern sollten im Heiß-teilbereich nicht verwendet werden.

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Eindiffusionvon Silber

versilberterSpannbolzen

Rissbildung

Verdichterscheibeaus einer hochfestenTitanlegierung

Silberpartikel

Sulfidationsangriff

Ni-Legierung

Bauteiloberflächeim Heißgas Die Anwendung von Silber

ist im Triebwerk mit vielenProblemen verbunden.

1

2

3

4

Silberschicht

Sulfidation

5

Rissbildung (Pfeile) in der HD-Turbinen-scheibe. Ausgelöst durch Silber von den Flanschverschraubungen.

Korrosion

Silberionen in wässriger Lösung

versilberte Mutter

Turbinenscheibeaus Ni-Legierung

6

Lochfraß an ND-Turbinenscheiben. Ausgelöst durch Silber von den Flanschverschraubungen

Bild 12.4-14

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Die Sicherheit von Flugtriebwerken

Seite 12.4-32

Betriebsbelastung und Werkstoffverhalten:Temperatur- und Umgebungseinflüsse

Literatur zu Kapitel 12.412.4-1 A.Rossmann, „Untersuchung von Schäden als Folge thermischer Beanspruchung“, Beitrag

aus J.Grosch „Schadenskunde im Maschinenbau“, Band 308, aus der Reihe „Kontakt &Studium Maschinenbau“, Expert Verlag, ISBN 3-8169-1202-8, 2. Auflage 1995, Seite162-187.

12.4-2 L. Engel, H. Klingele, „Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen von Metallschäden“,Carl Hanser Verlag München Wien, ISBN 3-446-13416-6, Seite 58.

12.4-3 T.E. Strangman, J.F. Neumann, A. Tasooji, „Thermal Barrier Coating Life Prediction, ModelDevelopment“, NASA Host Program (NAS3-23945). Proceedings N88-11183.

12.4-4 P.A. Langjahr, R. Oberacker, M.J. Hoffmann, „Langzeitverhalten und Einsatzgrenzen vonplasmagespritzten CeO

2- und Y

2O

3-stabilisierten Zr O

2-Wärmedämmschichten“, Zeitschrift

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