Bildung Bewegt Nr 13

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    Mit den Augen der Lernendenerfolgreich lernen was wirklich wirkt

    investitionen in FortbiLdung sind investitionen in die ZukunFtinterview mit Prof. dr. Lipowsky

    NR.13 JUN/2011

  • Liebe Leserinnen und Leser,

    da steht es also auf rund 400 Seiten, schwarz auf wei, durch ber 50.000 Studien belegt und bewiesen: Die Bedeutung der Lehrkraft fr den Lernerfolg von Schlerinnen und Schlern ist immens. Ihre Einstellungen, Haltungen und konkreten unterrichtlichen Verhaltensweisen sind wirksamste Einfluss-faktoren fr erfolgreiche Lernprozesse. Und: Lehrerbildung wirkt, wenn sie bestimmte Konstruktions-merkmale erfllt.

    Das klingt zunchst wie eine Binsenweisheit. Aber was folgt daraus? Dass Lehrkrfte eine gute Hand-voll beeinflussbarer, hochwirksamer Lehr-Lern-Komponenten wie etwa Feedback, aktivierende Lernstrategien, evaluative Ausrichtung beherrschen mssen. Dass das Beherrschen dieser Tools allerdings sehr hohe Ansprche an die Lehrperson stellt, was fr die Notwendigkeit grndlicher Leh-rerausbildung spricht (S.12). Dass folglich auch die fachspezifische Lehrerfortbildung einen erhebli-chen Beitrag fr gelingenden Unterricht liefert (S.6). Und dass derart aus- und fortgebildete Lehrper-sonen Basis und Fundament fr den Lernerfolg von Schlerinnen und Schler sind, und Investitionen in die Fortbildung Investitionen in die Zukunft sind (S.14).

    Die Botschaft ist also klar: Bildet Lehrkrfte aus, die die Lehr- und Lernprozesse sichtbar machen (S.9), sichert hochwertige Lehrerbildung und gewhrleistet anspruchvolle Fortbildung, die die Fundamente guten Unterrichts zum Inhalt haben. Und nutzt dabei Anbieter die ber die notwendigen strukturellen, fachlichen Voraussetzungen und Kenntnisse verfgen, damit die Erkenntnisse der Lehr-Lernforschung auch ihren Weg in die schulische Praxis finden!

    Wenn Schule auf einen Fundus solcher Lehrkrfte zurckgreifen kann, dann wird ein bildungspolitisches Topthema wie die Selbststndige Schule beinahe zum Selbstlufer, dann werden Risikogruppen schwacher Leser der Vergangenheit angehren, dann werden viele aktuell bestehenden Hemmnisse inhaltlich gelst werden, und vielleicht entwirrt sich dann auch manch verworrene Strukturdebatte ...

    Auf die Lehrkraft kommt es an! Lesen Sie selbst, mit Ihren Augen und den Augen der Lernenden.

    Frank sauerland sabine stahlAmtsleiter Chefredakteurin

    editoriAL

    Frank sauerland / Amtsleiter sabine stahl / Chefredakteurin

    und sie wirkt doch EFFEKTE PRoFESSIoNELLER LEHRERBILDUNg KommEN BEI DEN LERNENDEN AN

    2 biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011

  • editoriAL

    und sie wirkt doch ............................................................ 2Effekte professioneller Lehrerbildung kommen bei den Lernenden an

    LeitArtikeL

    Mit den Augen der Lernenden ........................................... 4Erfolgreich lernen was wirklich wirkt

    nAchgeFrAgt

    investitionen in Fortbildung sind investitionen in die Zukunft ....................................... 10Interview mit dem Kasseler Erziehungs- wissenschaftler Prof. Dr. Lipowsky

    biLdung iM bLick

    Antworten aus dem geist der Freiheit ............................ 15Von der Praxis fr die Praxis, eine Fachtagung im Zeichen der Selbststndigen Schule

    wie Lesekompetenzen Jugendlicher wirksam verbessert werden knnen ............................... 18Ergebnisse der europischen Studie ADoRE

    next generation ................................................................. 20Klassenzimmer verwandeln sich in multimediale Lernzentren

    Fortbildungsplanung am Amt fr Lehrerbildung .............................................. 22Koordination und Steuerung

    erForscht und entwickeLt

    visible Learning .................................................................. 25Betrachtungen zur Publikation von John Hattie

    PinboArd 28

    Adressen & AnsPrechPArtner 31iMPressuM

    inhALt

    Amt fr Lehrerbildung

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    25 visibLe LeArning betrachtungen zur Publikation von John hattie

    10 investitionen in FortbiLdung sind investitionen in die ZukunFt

    interview mit Prof. dr. Lipowsky

    4 Mit den Augen der Lernenden erfolgreich lernen

    was wirklich wirkt

    biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011 3

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    LeitArtikeL

    hattie prsentiert eine Studie, an der er ber ein Jahrzehnt gearbeitet hat. Herausgekom-men ist eine gesamtschau ber 138 Einflussfaktoren zum Lernerfolg. Die Frage, was denn nun wirkt in der Schu-le, warum Kinder besser oder weniger gut lernen, ist damit sicher nicht end-gltig beantwortet. Es ist aber denoch dringend zu empfehlen, sich einge-hender mit den Ergebnissen dieser Forschungsarbeit zu befassen, bietet sie doch in ihrer Breite einen einmali-gen Erkenntnisstand.

    studie mit grter datenbasisHatties Studie ist eine meta-Studie, genauer gesagt wertet er rund 800 internationale meta-Studien aus, die sich wiederum auf ca. 50.000 Studien

    beziehen. Durch ein eigens dafr ent-wickeltes Forschungsdesign gelingt es ihm, alle Studien heranzuziehen, die bislang in englischer Sprache ber Ein-flussfaktoren zum Lernerfolg vorlagen. Umso erstaunlicher ist, dass der For-scher auf diesem hohen Abstraktions-niveau seinen konkreten Forschungs-gegenstand niemals aus den Augen verliert. Doch abgesehen von der gro-

    en Datenmenge, woran liegt es, dass Hattie in den Bildungsinstitutionen auf wachsendes Interesse stt?

    Das beginnt schon bei der enor-men Zahl von 138 Einflussfaktoren fr den Lernerfolg, die Hattie entlang der Leitfrage prft: What works best? Er identifiziert jene Faktoren, deren Wir-kung fr den Lernerfolg am strksten sind, um sie von denen zu unterschei-

    Kennen Sie John Hattie? Nein? Dann haben Sie nun die Gelegenheit, den neusee-lndischen Bildungsforscher etwas nher kennen zu lernen. Er ist mit seiner Arbeit zunehmend prsenter in der Fachwelt der Schul- und Unterrichtsentwicklung, und seine Erkenntnisse knnten dazu beitragen, den Unterricht und die Aus- und Fort-bildung nachhaltig zu verndern. Visible Learning nennt sich Hatties Werk aus dem Jahr 2009, das heute schon als Meilenstein der empirischen Bildungsforschung gilt.

    Mit den Augen der Lernendenerfolgreich lernen was wirklich wirkt

    4 biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011

  • LeitArtikeL

    den, die nur einen geringen Effekt ausben. In der daraus abgeleiteten Werteskala belegen Variablen, die sich auf den Unterricht und das Lehrerver-halten beziehen, die vorderen Positi-onen. Und das sind Einflussfaktoren wie klares Lehrerverhalten, reziprokes Lehren und Lernen als methode der Texterschlieung, variantenreiches, motivationsfrderndes Feedback an die Lernenden und noch wirkmch-tiger, so Hattie als Rckmeldung der Lernenden an die Adresse der Lehren-den1 die gedankliche Auseinanderset-zung der Schlerinnen und Schler mit dem eigenen Lernen durch metakog-nitive Verfahren sowie Lehrer-Schler- Interaktionen.

    Damit werden viele Praxiselemen-te des Amtes fr Lehrerbildung in Aus- und Fortbildung gesttzt, denn die hier skizzierten Anstze zur Fr-derung des Lernerfolgs gehren seit Jahren zum inhaltlichen Repertoire der Aktivitten des Amtes.

    Am Ende der Hattie-Rangskala befinden sich berwiegend struktur-bezogene Einflussfaktoren wie etwa Klassengre oder -wiederholung. Auch merkmale in Zusammenhang mit einer klassen-, schultyp- oder schulformbezogenen Eingruppierung der Schlerinnen und Schler nach ethnischer Zugehrigkeit, Religion, geschlecht oder Leistungsfhigkeit, sind nicht sonderlich wirkungsvoll und finden sich in den unteren Rn-gen der Werteskala wieder.

    so viel einfluss hat die Lehrkraft In einer krzlich verffentlichten Allens-bach Umfrage uerten sich Lehrerin-nen und Lehrer uerst selbstkritisch ber die eigene Rolle und Funktion. 48 Prozent der Lehrkrfte vermuteten, sie htten nur wenig oder keinen Einfluss auf die Entwicklung der Schlerinnen und Schler. Nur acht Prozent glaubten demnach, dass ihre Arbeit fr die Ju-gendlichen relevant sein knnte. John Hatties Forschungen sttzen diesen professionellen Pessimismus nicht. Im gegenteil bietet die Studie eine empiri-sche Besttigung der herausragenden Bedeutung, die die Lehrperson fr den Lernerfolg der Kinder hat. Die Formel auf den Lehrer bzw. auf die Lehrerin kommt es an scheint demnach kein bloes Wunschdenken zu sein.

    Hattie schtzt den Anteil, den Lehr-krfte neben anderen bedeutsamen Einflussfaktoren wie Peergroup oder soziale milieus am Lernerfolg der Sch-lerinnen und Schler erreichen, auf ca. 30 32 Prozent. Nach Expertenmeinung ist dies ein ermutigend hoher Wert.

    unterricht mit den Augen der Lernenden sehenAngesichts der besonderen Wirksam-keit personaler und unterrichtsbezo-gener Einflussgren empfiehlt der neuseelndische Forscher zwei grund-haltungen, die er als entscheidend fr den Unterrichtserfolg ansieht. Die erste lautet, die Unterrichtsgestaltung mit den Augen der Lernenden zu sehen: If the teachers lens can be changed to seeing learning through the eyes of students, this would be an excellent beginning.

    Als Zweites verweist er auf den zentralen Stellenwert der evaluativen Ausrichtung beim Lehren und Lernen: Wo stehen die einzelnen Lernenden? Was knnte der nchste Lernschritt sein? Durch solche Fragen richtet sich alle Aufmerksamkeit auf Informatio-nen, die den Lernstand, Lernperspek-tiven, Lernprozesse und Lernerfolge der Schlerinnen und Schler sicht-bar machen. Nicht umsonst trgt die Studie den Titel: Visible Learning.

    Die fr den Lernerfolg bedeuten-den Faktoren beziehen sich nicht nur auf die Rolle der Lehrperson, sondern auch auf die Lernenden selbst. Die mo-tivation, die persnliche Wahrnehmung des Unterrichts und der Lehrkraft, aktive Lernarbeit und individuelle Lernstrate-gien spielen eine wichtige Rolle fr den Lernfortschritt der Schlerinnen und Schler. Hattie vervollstndigt seine Sicht auf den schulischen mikrokosmos

    des Lernens konsequent, wenn er sei-ner ersten Anregung teachers see lear-ning through the eyes of the student die Forderung folgen lsst: Students see themselves as their own teacher.

    Wie aber kann ein solcher Wechsel zwischen der Perspektive des Lehrens und des Lernens im Unterricht ausse-hen? Was bedeutet es, die Rolle des teacher as evaluator wahrzunehmen und ber Lehrstrategien zu reflektie-ren? Ein Blick auf die Ausbildungsar-beit hessischer Studienseminare hilft hier weiter. So schildert eine Lehrkraft im Vorbereitungsdienst in einem Erfah-rungsbericht sehr authentisch Nutzen und Erkenntniswert vom Einsatz evalu-ativer Instrumente:

    Die Selbstdiagnosebgen haben () wertvolle Arbeit geleistet, da durch

    sie () eine transparente Zielbeschrei-bung realisiert werden konnte. Sie ha-ben nach Abschluss einer langen Un-terrichtseinheit sowohl mir als auch der Lerngruppe einen detaillierten ber-blick darber verschafft, was bisher () gelehrt wurde. Die Schlerinnen und Schler sahen sich durch die Bearbei-tung dazu in die Lage versetzt, ihren Lernstand und somit ihre Strken und Schwchen kennenzulernen, whrend ich als Lehrkraft einen Eindruck davon gewonnen habe, was die Klasse kon-kret gelernt hat. Dabei musste ich mir zwangsweise die Frage stellen, warum in einigen Bereichen eine Diskrepanz zwischen gelehrtem und gelerntem aufgetreten ist. Was uns automatisch auf die metaebene gefhrt hat, da auf grund der Erkenntnisse der Selbstdia-gnosebgen gesprche ber Lernpro-zesse stattgefunden haben (...).

    Dies () habe ich als Anlass genom-men, ber meinen eigenen Unterricht zu reflektieren und mgliche Fehler-quellen ausfindig zu machen. gleich-zeitig konnte ich jedoch auch die Sch-lerinnen und Schler dazu bringen, das eigene Lernen zu hinterfragen und zu bestimmen, was konkret getan werden muss, um bestimmte Kompetenzen doch noch zu erreichen. Langfristig soll diese Vorgehensweise jeden Einzelnen im Sinne der Selbstwirksamkeit dazu befhigen, eigene Lernprozesse effek-tiver zu gestalten. ()

    Bemerkenswert waren () die modifikationsvorschlge der Schle-rinnen und Schler fr meinen Unter-richt, die sehr dabei geholfen haben, die Passungsphase zu planen. (Aus-zug aus einem Erfahrungsbericht ei-ner Lehrkraft im Vorbereitungsdienst, 7. Klasse, mit red. nderungen)

    Die Reflexionen der jungen Lehr-kraft stehen in bereinstimmung mit Hatties empirischen Ergebnissen: Den Unterricht mit den Augen der Lernen-den zu sehen und Lernstand, -pers-pektiven, -prozesse und -erfolge der Schlerinnen und Schler sichtbar zu machen, sind wichtige Erfolgsfakto-ren fr gelingenden Unterricht.

    Die eingangs gestellte Frage, wa-rum Hattie eine wachsende Aufmerk-samkeit erfhrt, kann somit vorlufig

    Die Motivation, die persnliche Wahrnehmung des Unter-richts und der Lehrkraft, aktive Lernarbeit und individuelle Lernstrategien spielen eine wichtige Rolle fr den Lernfort-schritt der Schlerinnen und Schler.

    biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011 5

  • LeitArtikeL

    beantwortet werden. Er fasziniert vor allem deswegen, weil er mit seiner Studie den Blick auf den eigentlichen Kern von Schule richtet, nmlich auf das Lernen und den Unterricht, auf die Beziehungen und das klassische Ver-hltnis zwischen Lehrendem und Ler-nendem. What works best? ist daher nicht zufllig eine der Leitfragen in sei-nen Forschungsarbeiten. Sie fhrt zu Fragestellungen, die sich unmittelbar auf die schulische Praxis beziehen.

    erfolgsgaranten fr effektives LernenIn seiner gesamtsicht auf den Unter-richt identifiziert Hattie Faktoren wie formative evaluation, teacher clarity, feedback, teaching strategies oder classroom management als wirk-samste Lehr- und Lernstrategien auf der Seite der Lehrkrfte. Auf Schlerseite nennt er: metacognitive strategies, self-verbalization, self-questioning, study skills (Lerntechniken), recipro-cal teaching.

    Aber was folgt daraus? Was bedeu-ten diese Forschungsergebnisse fr Praktiker aus Aus- und Fortbildung?

    Sie zeigen beispielsweise auf, wie eng Lehren und Lernen miteinander verzahnt sind; wie sich am Beispiel formative evaluation (Lehrerseite) und self-verbalisation, metacog-nitive strategies sowie reciprocal teaching and learning (Schlerseite) verdeutlichen lsst.

    Formative Verfahren sind Impuls-geber eines schlerzentrierten, zyk-lisch ausgelegten Unterrichtsprozes-ses. Sie stehen, anders als summative Lernkontrollen wie etwa Abschlusspr-fungen, nicht am Ende eines Lernpro-zesses, sondern liefern fortlaufende Standortbestimmungen und geben damit orientierung im Lernprozess selbst. Die quantitativen und qualitati-ven Daten, die im Rahmen formativer Lernstandserhebungen von Lehrkrf-ten und Lernenden ermittelt werden, sind grundlage fr Entscheidungen ber nchste individuelle Lernschritte.

    Unterrichtende, die sich daran ori-entieren, setzen konsequent auf Unter-sttzung und Frderung der Lernenden. Sie sttzen sich dabei auf vielfltige, un-terrichtsbegleitende Lernstandsbestim-mungen, die als momentaufnahmen den Lern- und Verstehensprozess wie-dergeben.

    Typische Fragen aus der Sicht der Lernenden sind dabei: Wohin will ich mich entwickeln? (Where am I go-ing?) Wie mache ich das? (How am I going?) Was ist der nchste Lern-schritt? (Where to next?) hnlich wir-ken auch Portfolios zu Lernprojekten

    oder lautes Denken beim Erlesen anspruchsvoller Texte.

    Unterrichtende gewinnen mit die-sen Verfahren wertvolle Einblicke in die individuelle Kompetenzentwick-lung der Lernenden. Aus einer sol-chen diagnostischen Routine heraus ist es ihnen mglich, Lernziele und un-terrichtsmethodische Entscheidungen immer wieder auf die Lernbedrfnisse und Fhigkeiten der einzelnen Schle-rinnen und Schler zu beziehen.

    Lehrende sollten in verschiedenen Unterrichtssituationen immer wieder in die Perspektive des Lernenden wech-seln, Seeing learning through the eyes of the teacher. Eine methode, die aus dem reciprocal teaching, einer metho-de der Texterschlieung vor allem aus

    dem Sach-, aber auch dem Sprachun-terricht, bekannt ist. Die Bezeichnung reziprok macht deutlich, dass Sch-lerinnen und Schler abwechselnd in die Rolle von Lehrenden und von Ler-nenden schlpfen und sich mit wech-selnder Perspektive gegenseitig im Verstndnis von Texten untersttzen. In der Lehrerrolle fordern sie einmal zur Anwendung von Strategien heraus, in der Schlerrolle wenden sie diese Strategien selbst an. Sie bernehmen so Verantwortung fr ihre eigenen Lernprozesse, heben diese durch ge-eignete metakognitive Verfahren wie lautes Denken, Selbstberprfung, Reflexion des jeweiligen Vorgehens beim Lsen einer Lernaufgabe ins Be-wusstsein und wachsen so in die Rol-le des Experten (Lehrperson) fr ihre eigenen Lernprozesse hinein. Dabei gibt es vier Strategien des Verstehens und der Selbstberprfung: das Stel-len von Fragen an einen unbekannten Text, die Zusammenfassung zentraler Textinhalte, das Klren von Verstnd-nisschwierigkeiten sowie die Formu-lierung einer Hypothese zum weiteren Textverlauf.

    In den Fortbildungsprojekten Kom-petenzorientiert unterrichten des AfL sind die Nutzung und teilweise auch die Entwicklung solcher Instrumente zur formativen Lernstandsbestimmung ein Schwerpunkt der praktischen Arbeit, wie die Beispiele aus dem Fach mathematik auf der materialseite (S. 7) illustrieren.

    Fachspezifische Lehrerfortbildung als wirkungsvoller einflussfaktorVisible Learning macht deutlich, un-ter welchen Bedingungen die nach dem PISA-Schock entwickelten Refor-melemente (Bildungsstandards, Kern-curricula) am wirksamsten werden knnen. Und sie zeigt auf, dass Leh-reraus- und -fortbildung hierzu einen erheblichen Beitrag leisten kann.

    Nach Einschtzung des neusee-lndischen Wissenschaftlers zhlt die fachspezifische Lehrerfortbildung zu den wirkungsvollen positiven Einfluss-faktoren fr Unterricht und Lernen. Dabei haben Programme, die von Regierungen oder Universitten initi-iert, finanziert und entwickelt wurden, eine deutlich hhere Wirksamkeit als

    Programme einzelner Schulen. Pda-gogische berzeugungen (Teachers mindsets) erfllen hier eine Schlssel-funktion. Denn um in der Rolle des ac-tivator und change agent Lernpro-zesse von Schlerinnen und Schlern anstoen zu knnen2, brauchen Unter-richtende eine positive pdagogische Haltung und berzeugung. Studien deutscher Universitten zur Wirksam-keit von Lehrerbildung besttigen Hatties Ergebnis. Dass Fortbildungen also vor allem dann wirksam werden, wenn sie neben der Fachlichkeit die Reflexion und Arbeit an subjektiven Theorien zum Lehren und Lernen, an pdagogischen berzeugungen zum Thema machen und damit die Weiter-entwicklung von Unterrichtsskripten ermglichen.

    In bereinstimmung mit diesen Er-kenntnissen definierte das Amt fr Leh-rerbildung bereits 2007 sinngem: Wir betrachten Lernen als gelungen, wenn fr Lernende ein an Lehr- und Lernzielen orientierter Kompetenzzu-wachs erfolgt, aus dem berprfbare, nachhaltige Verhaltensnderungen resultieren. gelungenes Lernen korres-pondiert mit der Prfung von Selbst-berzeugungen, der Klrung internaler Prozesse und Strkung des kontextbe-zogenen Rollenbewusstseins.3

    Damit sind einige Essentials fr wirksame Fortbildungsaktivitten be-nannt. Die Einbeziehung der gesam-ten Persnlichkeit der Teilnehmenden,

    Nach Einschtzung des neuseelndischen Wissen- schaftlers zhlt die fachspezifische Lehrerfortbildung zu den wirkungsvollen positiven Einflussfaktoren fr den Unterricht und Lernen.

    6 biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011

  • LeitArtikeL

    der Bezug zur beruflichen Situation, Reflexion und Austausch machen den schulischen Alltag zum eigentlichen Lerngegenstand.

    der Fokus richtet sich auf schule Als die ersten internationalen Ver-gleichsstudien (z.B. TImSS) bundes-deutschen Schlerinnen und Schlern nur mige Leistungen attestierten, machten Bildungsforscher wie Klieme oder Baumert auf den Zusammenhang mit bis dahin in Deutschland dominie-renden Unterrichtsformaten und pro-fessionellen Routinen von Lehrkrften aufmerksam. Damit war eine entschei-dende Weiche gestellt. Viele Institutio-nen in der Lehrerbildung - so auch das Amt fr Lehrerbildung - nutzten diese Erkenntnisse und die gunst der Stun-

    de. Fortbildungen und Qualifizierungs-manahmen wurden neu durchdacht, didaktische grundlagen berarbeitet, andere Aufgabenformate entwickelt. Vor allem rckten das Lehrerhandeln, Unterrichtsskripte und das Lehr-Lern-Verhltnis in den Fokus. Dazu gehrte auch, fr und gemeinsam mit Schle-rinnen und Schlern effektivere Lern-strategien zu entwickeln.

    Hessen hat als erstes Bundesland mit einem landesweiten Fortbildungs-projekt Qualittsinitiative SINUS auf die Ergebnisse der TImS-Studie re-agiert. Nach Verabschiedung der KmK-Bildungsstandards hat das Amt fr Leh-rerbildung die Initiative zur Entwicklung landesweiter Fortbildungsprojekte ergriffen und in Kooperation mit Schul-mtern und Universitten ein Fortbil-

    dungskonzept fr mathematik/Natur-wissenschaften entwickelt. Auf dieser Basis sind die aktuellen Fortbildungs-projekte zum kompetenzorientierten Unterrichten in Englisch/Franzsisch, Deutsch, mathematik/Naturwissen-schaften und gesellschaftswissenschaf-ten mit Angeboten zu Kompetenzen strken und erweitern, Diagnostizie-ren, Frdern, Beurteilen, Lernen, Bi-lanzieren und Reflektieren entstanden. Das AfL qualifiziert Fortbildnerinnen und Fortbildner, die in allen Schulamts-bezirken Schulen in der Entwicklung des Fachunterrichts begleiten.

    Zur Untersttzung der Fortbildungs-projekte und damit der Schulen hat das Amt fr Lehrerbildung gemeinsam mit dem IQ ein Prozessmodell zum kompe-tenzorientierten Unterricht entwickelt,

    MAteriALseite (zur verfgung gestellt von c. Maitzen; Projektleiter ku Mathe nawi AfL)

    beispiel 1:Auszug aus einem Beobachtungsbogen fr Schlerinnen und Schler, die eine Prsentation einer/s Schlerin/s beurteilen und dieser/m anschlieend eine Rckmeldung zur Prsentation geben.

    beispiel 2: Formative Lernstandsfeststellung am ende einer unterrichtsstunde:Wenn eine Lehrkraft am Ende einer Unterrichtsstunde erfahren mchte, was bei den Schlerinnen und Schlern angekommen ist, kann man folgendes Vorgehen whlen: Etwa acht minuten vor Stundenende bekommen die Lernenden folgenden Auftrag:Notiere eine zur heutigen Stunde und formuliere in 3-5 Stzen deinen zentralen gedanken zur Stunde in eigenen Worten (Distel, S. 103). Die Schlertexte sichtet die Lehrkraft zu Hause und erhlt Informationen aus der Sicht der Lernenden. mit diesen Informationen kann der weitere Unterrichtsverlauf gestalten werden.

    Literatur: Distel, m.: Dialogischer Unterricht Neue Wege im Unterricht und in der Ausbildung von Lehrkrften. In: Krll, D. gender und mINT Schlussfolgerungen fr Unterricht, Schule und Studium, 2010, 91 107

    beispiel 3: Auszug aus einem schlerselbsteinschtzungsbogen zum thema rechen- und Lsungswege:Nachdem das Thema Rechen- und Lsungswege im Fach mathematik in Klasse 5 erarbeitet wurde, schtzen die Schlerinnen und Schler ihr Knnen selber ein. Sie und ihre Lehrkraft erhalten dabei einen individuellen berblick ber die Knnensstnde. Die Strken und Schwchen der Lernenden werden hierdurch sowohl fr die Lernenden als auch fr die Lehrkraft sichtbar.

    Auftrag: Flle diesen Bogen aus, nachdem du die dazugehrigen Aufgaben gerechnet hast. In der rechten Spalte findest du einen Hinweis, wo du Aufgaben zum ben findest.

    Einige Unterrichtsstunden nach der Bearbeitung des Selbsteinschtzungsbogens erhalten die Schlerinnen und Schler zur tieferen kognitiven Durchdringung des Themas Rechen- und Lsungswege einen Partnerbogen mit richtigen bzw. falschen Aussagen. Die Schlerinnen und Schler sind aufgefordert anhand von Rechnungen oder Beispielen in Worten begrndet die Aussage zu verifizieren oder falsifizieren.

    Sprache

    Haltung

    Auftreten

    deutlich, laut, langsam, abwechslungsreich, Satz/ Wortwahl verstndlich

    freudig, offen fr Nachfragen

    berzeugend, sicher, geordnet

    hervorragend gut befriedigend ausreichend

    undeutlich, leise, schnell, monoton, Satz / Wortwahl unverstndlich

    geqult, abweisend

    zaghaft, unsicher, chaotisch

    Situation

    Ich kann herausfinden, welche Zahlen man in eine gleichung oder Ungleichung (Bei-spiel: 67 3 z > 24) einsetzen darf.

    Ich kann Zahlen herausfinden, die in Rechenbumen versteckt sind.

    Ich kann meine Lsungswege anderen erklren.

    kann ich sehr sicher

    kann ich weit-gehend, mit schwierigeren Aufgaben habe ich noch Probleme

    kann ich teilweise, kann mir selber helfen

    kann ich noch nicht, brauche Hilfe Hier findest du

    bungsmaterial:

    Arbeitsblatt: gedachte Zahlen erraten

    Buch: Seite 33, Nr. 3, 4Arbeitsblatt: gedachte Zahlen erraten

    biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011 7

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    meine persnlichen Ziele sind die, dass ich alles richtig schreibe und das mit der getrennt- und der Zusammen-schreibung auch noch besser hinbe-komme und dass ich ein bisschen ordentlich darauf achte keine Flchtig-keitsfehler mehr zu machen. Was ich tun werde: Ich mache vor der Arbeit noch ein paar bungen und versuche mir die Sachen noch ein bisschen ge-nauer zu erklren. Ich be dann noch mit meiner Freundin und wir erklren uns das dann gegenseitig und was wir nicht verstanden haben.

    So endet A.s Beschreibung ihres Lernstandes, in der sie sich sehr diffe-renziert und problembewusst mit ihrer Rechtschreibkompetenz beschftigt hat. Den Text hat sie wie alle anderen auch als mailanhang an ihren Lehrer geschickt.

    Und sie hat auch noch Fragen: Also, wenn ich einen Brief schreibe und ich muss jemanden siezen, muss ich sie und hr dann gro schreiben? Da bin ich mir nmlich immer nicht sicher. Und noch etwas, wenn ich jetzt z.B. mattge-setzt habe, wird es dann auch zusam-mengeschrieben? Wegen dem ge- war ich mir nmlich nicht so ganz sicher, aber eigentlich muss man ja zusammen-schreiben, sonst knnte man ja den Un-terschied zwischen den Wrtern matt-gesetzt und matt gesetzt gar nicht finden und die Regel zum Unterschei-den der beiden Bedeutungen wrde berhaupt keinen Sinn machen.

    ganz anders H., der zwar Fortschrit-te sieht, aber auch im 8. Lernjahr den gestellten Anforderungen nach eige-ner Einschtzung noch berwiegend hilflos gegenbersteht.: Ich kann jetzt die Tageszeiten sehr gut, da ich das als Thema in der gruppe hatte (Bsp. Diens-tag morgens). Ich hab mit den s-Lauten immer noch leichte Probleme, aber die sind schon besser geworden (z.B. ob man wrter mit ss oder schreibt). Den Lernstand zu beschreiben ist auch schwer, da ich es schwer finde meine Fehler selber zu finden und zu wissen was ich kann und was nicht. (...) Leider kann ich nicht genau sagen wie sie mir helfen knnen, da ich selber nicht ge-nau einschtzen kann wo meine Pro- blem liegen, aber ich hoffe das der Plan den wir mit ihnen erarbeiten wer-den sein Ziel erreicht.1

    Seit einem halben Jahr lernen alle Schlerinnen und Schler dieser Klasse 8, ihre persnlichen Fehlerschwerpunk-te im Bereich der Rechtschreibung und

    Zeichensetzung, somit anforderungs-bezogen ihren individuellen Lernstand zu erkennen und in einer bersicht festzuhalten. Schrittweise werden da-bei grundstze der deutschen Recht-schreibung verdeutlicht und Strategien zur Fehlervermeidung erarbeitet. Nach der Rckgabe einer Klassenarbeit, die durch die Korrektur allen noch einmal persnliche Strken und Schwchen zeigt, erfolgt eine Konzentration auf drei Fehlerschwerpunkte, ein neues, aktu-elles Thema wird hinzu genommen (Schreibweise der Tageszeiten). Die nchste Klassenarbeit soll den Schwer-punkt Rechtschreibung haben. Aber der Weg dorthin ist neu, denn Lernen durch Lehren steht im mittelpunkt. Jetzt ist Transparenz als Teilaspekt eines klar strukturierten Unterrichtskonzepts not-wendig, in dessen Rahmen dann Sch-lerorientierung und ffnung ihre lern-

    frderliche Wirkung entfalten knnen. Die methode wird vorgestellt und be-grndet, die zu erreichenden Ziele wer-den so erlutert, dass fr Schlerinnen und Schler auf allen Lernniveaus An-reize entstehen und Vertrauen in die Er-reichbarkeit der Ziele mit Untersttzung der Lehrkraft entwickelt werden kann. Die Ziele erfassen entsprechend dem Kompetenzbegriff die kognitive, me-thodisch-strategische, kommunikative und personale Dimension des Lernens. So geht es nicht nur um das richtige Schreiben, sondern auch um Strategien zur Bewltigung von Anforderungen einschlielich der Erschlieung von Hilfsquellen. Zudem muss sich jeder ein konkretes persnliches Ziel setzen, und am Ende wird eine Bilanz des Erfolgs und der Qualitt der Zusammenarbeit stehen. Alle Lernenden sollen jetzt die Rolle von Lehrenden bernehmen, in-dem sie zunchst in einer von acht ge-whlten Kleingruppen zu Experten fr einen Teilbereich werden (z.B. gro- und Kleinschreibung, s-Laute einschlielich das/dass) und dann ein Konzept ent-wickeln, wie sie dieses Expertenwissen vermitteln, bung ermglichen und die Ergebnisse berprfen knnen. Die Einwahl (Doppelbesetzung) erfolgt unter orientierung am eigenen Fehler-

    schwerpunkt und dem Schwierigkeits-grad der Anforderungen. Am Ende oder zu Beginn jeder zweiten Stunde gibt es ein Plenum, in dem Erfahrungen wei-tergegeben und Empfehlungen durch die Lehrkraft ausgesprochen werden. In der Vermittlungsphase setzen sich jeweils zwei gruppen mit unterschiedli-chen Themen zusammen. Es beginnt ein wechselseitiges Lehren und Lernen. Schlielich schreiben alle Schlerinnen und Schler eine persnliche Zwischen-bilanz als mail an die Lehrkraft. Am Bei-spiel ausgewhlter, anonymisierter Zwi-schenbilanzen knnen anschlieend (mit Erlaubnis des Autors/der Autorin) Qualittsmerkmale von Lernreflexion errtert und Hinweise fr die Weiter-arbeit gegeben werden. Die anschlie-ende vertiefende bungsphase in Ein-zel- oder Partnerarbeit mit Schler- und Lehrbuchmaterial sowie gesttzt durch

    eine Lernkartei ermglicht ausgewhlte, individuelle Lerngesprche. Dabei kom-men eigene Ansprche (Ich will alles richtig schreiben) ebenso zur Sprache wie individuelle Erfolge und (Selbst-)Konzepte im Umgang mit Rechtschrei-bung. Selbsteinschtzungen (Ich kann jetzt die Tageszeiten schon sehr gut) knnen durch die Auenwahrnehmung korrigiert und ergnzt, Einzelfragen be-antwortet werden. Lerngesprche mn-den in besonderen Fllen etwa im Falle von LRS wie bei H. - in einen Frderplan. Strkenorientierung und hufig auch Vernderungen am Selbstkonzept sind dabei unerlsslich. Sie haben jetzt eine sehr konkrete grundlage.

    gesttzt auf eine solche gemeinsa-me, mehrdimensionale Lernerfahrung wird es schlielich mglich, dass Ler-nende ber Form und Bewertungs-kriterien der abschlieenden Lerner-folgskontrolle mitbestimmen.

    Lehren und Lernen werden sichtbar, mit den Augen des Anderen gesehen und miteinander verknpft sowohl fr Lernende als auch fr Lehrende.

    werner bAuch

    ber die schuLter gebLickt den individueLLen LernstAnd erkennen und FesthALten unterrichtsPrAxis in einer Achten kLAsse

    1 originalzitat Schler

    Lehren und Lernen werden sichtbar, mit den Augen des Anderen gesehen und miteinander verknpft sowohl fr Lernende als auch fr Lehrende.

    biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011 9

  • nAchgeFrAgt

    was sind aus ihrer sicht bedeutsame erkenntnisse der Metastudie visible learning?

    Lipowsky: Die Studie verdeutlicht ein-mal mehr, welche Bedeutung die ein-zelne Lehrperson und der von ihr ar-rangierte Unterricht fr die Entwicklung von Schlerinnen und Schlern haben. Hattie listet ja eine ganze Reihe von merkmalen lernwirksamen Unterrichts in sehr kompakter Zusammenfassung auf. merkmale, von denen die For-schung inzwischen wei, dass sie die Lernentwicklung von Schlerinnen und Schler positiv beeinflussen knnen. Die zweite Leistung der Studie liegt meines Erachtens darin, deutlich zu ma-chen, dass nicht alles, an was wir glaub-ten, tatschlich wirkt. Es gibt bestimmte mythen, die durch die Studie von Hattie entzaubert werden. Und die dritte Bot-schaft lautet, dass es sich lohnt, darber nachzudenken, wie die professionelle Weiterentwicklung von Lehrpersonen gefrdert und untersttzt werden kann. Hattie bezieht sich auf mehrere meta-analysen, die zeigen, dass Lehrerfort- und -weiterbildung positive Wirkung sogar bis auf die Ebene der Schlerin-nen und Schler haben kann.

    stimmen die ergebnisse der hattie-studie, die ja vor allem auf Forschun-gen im angelschsischen raum basie-ren, mit ihren eigenen ergebnissen zur wirksamkeitsforschung und mit denen im deutschsprachigen raum berein?

    Lipowsky: Hattie bezieht sich vorwie-gend auf Studien aus dem angloame-rikanischen Raum. Allerdings sind die Ergebnisse aus meiner Sicht durchaus bertragbar, vielleicht nicht bis ins letz-te Detail. Nehmen wir einen Punkt, der ein wichtiges merkmal lernwirksamen Unterrichts ist, die Teacher Clarity, also die inhaltliche Klarheit des Unterrichts. Dass die inhaltlich verstndliche Erar-beitung und Prsentation des Unter-richtsgegenstands fr das Lernen von Schlerinnen und Schlern wichtig ist, ist keine Neuerfindung von Hattie. In der einschlgigen deutschen und europischen Literatur stt man auf viele Erziehungswissenschaftler und Unterrichtsforscher, die der inhalt-lichen Klarheit hohes gewicht bei-messen. Nehmen wir als Beispiel den Schweizer Kognitionspsychologen Hans Aebli. Er beschreibt in seiner Allgemeinen Didaktik (1976) wie be-deutsam es ist, dass die Lehrperson wichtige Einsichten der Lernenden hervorhebt, wiederholt und prg-nant formuliert und den Blick fr das ganze behlt. Dadurch sorgt sie fr Kohrenz und fr den roten Faden in der Stunde. Aebli schreibt: Er [der Lehrer] pat auf, ob das Verstndnis aufleuchtet, ob sich das Aha-Erlebnis einstellt. geschieht es noch nicht, so wiederholt er das bisher Erarbeitete und stellt es noch einmal anders dar Es ist eine groe Leistung, wenn der Lehrer erreicht, dass in 20 oder 30 kleinen Kpfen Klarheit einzieht und

    Einsicht in die grundlegenden Bezie-hungen innerhalb einer operation gewonnen wird. Das ist eine gute Be-schreibung von inhaltlicher Klarheit, ohne dass Aebli damals den Begriff wirklich benutzt htte. Dies ist nur ein Beispiel. Es lassen sich weitere vielfl-tige Beziehungen zur deutschsprachi-gen Forschung herstellen. Zahlreiche merkmale lernwirksamen Unterrichts, die Hattie darstellt, zeigen umfngli-che Verbindungen zu dem auf, was wir in Deutschland in den letzten Jahren diskutieren und erforschen.

    gibt es denn in den begrifflichkeiten keine bersetzungs- oder verstnd-nisprobleme zwischen angloameri-kanischem und europischem be-griffsverstndnis?

    Lipowsky: In Deutschland haben sich mit der effektiven Klassenfhrung, dem untersttzenden Lernklima und der kognitiven Aktivierung drei Basis-dimensionen guten Unterrichts eta-bliert, die auf Arbeiten von Baumert, Klieme und Kollegen zurckgehen. Wenn man in der Studie von Hattie nun nach dem Begriff der kognitiven Akti-vierung sucht, wird man zunchst nicht fndig. Aber wenn man zwischen den Zeilen liest, sieht man, dass Hattie die Studien einfach ein bisschen anders ordnet. So finden sich beispielsweise Hinweise auf die Bedeutung eines die Lernenden kognitiv herausfordernden Unterrichts unter den berschriften

    INVESTITIoNEN IN FoRTBILDUNG SIND INVESTITIoNEN IN DIE ZUKUNFTInterview mit dem Kasseler Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Lipowsky

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  • Frank Lipowsky studierte Lehramt fr grund- und hauptschulen an der Pdagogischenhochschule heidelberg und unterrichtete mehrere Jahre an verschiedenen schulen in baden-wrttemberg. nach seinem Lehramtsstudium war er Lehrbeauftragter fr Mathematik undabsolvierte ein diplom-Pdagogikstudium. Mit einer Arbeit zum beruflichen erfolg vonLehramtsabsolventen in der berufseinstiegsphase promovierte er 2003 an der Pdagogischenhochschule heidelberg. von 2002 bis 2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter amdeutschen institut fr internationale Pdagogische Forschung (diPF) in Frankfurt. whrenddieser ttigkeit leitete er u.a. eine deutsch-schweizerische Lehrerfortbildung. seit 2006 ist er Professor fr erziehungswissenschaften mit dem schwerpunkt empirische schul- undunterrichtsforschung an der universitt kassel.

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    Lehrerfragen und metakognitive Strategien. Hattie verweist unter der berschrift Lehrerfragen z.B. auf die Bedeutung von sogenannten higher order questions, also auf die Bedeu-tung von Fragen, die auf ein hheres kognitives Level abzielen. Das sind Fragen, bei denen die Schlerinnen und Schler etwas begrnden, erlu-tern, vergleichen, analysieren oder bewerten mssen. Solche Fragen zie-len nicht auf die Wiedergabe von Fak-ten, sondern dienen dazu, dass der Lernende sich argumentativ mit dem Unterrichtsgegenstand auseinander-setzt. Auch in den Zusammenfassun-gen seiner Kapitel ber den Unterricht stellt Hattie die Bedeutung kognitiv anspruchsvoller Aufgaben heraus.

    Der Begriff der kognitiven Aktivie-rung ist ja ein Begriff, der erst in den letzten Jahren verstrkt in Deutschland aufgekommen ist. Da sich metastudi-en auf Studien aus der Vergangenheit beziehen, die zum Teil schon in den 70er, 80er und 90er Jahren erschie-nen sind, taucht der Begriff eben noch nicht so hufig auf. Das ist vielleicht ein Schwachpunkt, den man einer sol-chen metaanalyse ber metaanalysen vorwerfen kann, aber dies ist kein Pro-blem von Hattie allein.

    wie sieht denn guter unterricht aus? sie sprechen in ihren schriften immer wieder vom didaktischen und inhaltli-chen Fundament guten unterrichts.

    Lipowsky: guter Unterricht lsst sich umschreiben als ein Unterricht, in dem der Unterrichtsgegenstand inhaltlich klar und verstndlich erarbeitet und prsentiert wird, in dem an das Vorwis-sen und an die vorhandenen Konzepte der Lernenden angeknpft wird und in dem die Lernenden durch heraus-fordernde Fragen und Aufgaben dazu angeregt werden, vertieft ber den Unterrichtsgegenstand nachzudenken und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Zu gutem Unterricht gehrt auch, dass

    die Rahmenbedingungen stimmen. Der Unterricht sollte relativ strungs-frei verlaufen; das zielt in Richtung effektives Classroom management, und die zur Verfgung stehende Zeit sollte effektiv genutzt werden, so dass berhaupt Lerngelegenheiten zur Ver-

    fgung stehen. Amerikaner sprechen hier gerne von den opportunities to learn. Es ist klar: Wenn Schlerinnen und Schler ber Tische und Bnke gehen, gibt es keine gelegenheit zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand.

    Wichtig ist auch die respektvolle und wertschtzende Beziehung zwischen Schlerinnen und Schlern und der Lehr-person. Verschiedene Studien zeigen, dass ein solches untersttzendes Klima im Unterricht, zu dem z.B. auch der kon-struktive Umgang mit Fehlern und das In-teresse der Lehrperson an ihren Schle-rinnen und Schler gehrt, dass sich ein solches Klima positiv auf die motivation, das Wohlbefinden und das Engagement der Lernenden auswirkt.

    Und die kognitive Aktivierung als dritte Basisdimension beschreibt, wie anregend, inhaltlich substantiell die Auseinandersetzung mit dem Unter-richtsgegenstand erfolgt. man kann sich durchaus einen Unterricht vorstellen, der zwar strungsfrei verluft und in dem scheinbar viel Lernzeit effektiv genutzt wird, in dem auch das Klima stimmt, aber in dem die Lernenden nicht zu ei-

    ner vertieften Verarbeitung des Inhalts angeregt und herausgefordert werden, weil sie vorwiegend Routineprozeduren ausfhren mssen, und die Lehrperson ein enges, kleinschrittiges Frageverhal-ten zeigt, das vorwiegend nur auf die Wiedergabe von Fakten abhebt.

    Und stellen Sie sich jetzt folgen-des Bild eines kognitiv aktivierenden Unterrichts vor: Da rauchen die Kpfe der Schlerinnen und Schler. Da wird argumentiert, kontrovers diskutiert, nachgedacht, erlutert und erklrt, hart ber das Thema gestritten, da werden Lsungswege verglichen und analysiert, da wird also insgesamt auf einem relativ hohen kognitiven Niveau gearbeitet...

    ...und woran erkenne ich konkret, ob schlerinnen und schler kognitiv aktiviert sind?...

    Lipowsky: ...Als Beobachter sehe ich dies an der Beteiligung der Schlerin-nen und Schler, an der Art der Lehrer-fragen, an den gestellten Aufgaben, an der Art und Weise der Schlerant-worten, daran, inwiefern die Lehrper-son die Lernenden anhlt, Aussagen zu begrnden. Ich erkenne es auch daran, wie ausfhrlich und differen-ziert Schlerantworten ausfallen.

    wie schtzen sie erfahrungen ein, die es in deutschland mit Formativer beurteilung und Feedback gibt?

    Guter Unterricht lsst sich umschreiben als ein Unterricht, in dem der Unterrichtsgegenstand inhaltlich klar und verstnd-lich erarbeitet und prsentiert wird, in dem an das Vorwissen und an die vorhandenen Konzepte der Lernenden ange-knpft wird und in dem die Lernenden durch herausfordernde Fragen und Aufgaben dazu angeregt werden, vertieft ber den Unterrichtsgegenstand nachzudenken und sich mit ihm auseinanderzusetzen.

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  • nAchgeFrAgt

    Lipowsky: Verschiedene Studien zei-gen relativ deutlich, dass das Potenzial von Formativem Assessment, also von lernprozessbezogener Beurteilung, noch zu wenig genutzt wird, noch nicht ausgereizt ist. Aber: gutes und lernfr-derliches Feedback zu geben, ist eine relativ anspruchsvolle Ttigkeit, die nicht voraussetzungslos erfolgt. Formatives Assessment bezeichnet ja manahmen und Strategien der Lehrperson, die dazu dienen, dem Lernenden etwas ber den erreichten Lernfortschritt und ber die Differenz zwischen seinem aktuellen Leistungsstand und dem Lernziel zu-rckzumelden. Hierzu bedarf es Hilfen und bestimmter manahmen, die man als diagnostische Tools umschreiben knnte. Die Lehrperson muss diagnos-tische Fragen stellen knnen, aus de-nen sie etwas ber die Konzepte, Ideen und kognitiven Vorgnge beim Schler erkennen und ableiten kann. Sie muss auch gut beobachten knnen, indem sie z.B. die Interaktion einer Kleingrup-pe bei der Bearbeitung eines mathema-tischen Problems verfolgt und aufmerk-sam auf den Austausch der Argumente achtet, die etwas ber die Verstehens-prozesse, aber auch ber die misskon-zepte der Lernenden aussagen knnen.

    Ein weiteres diagnostisches Tool wren informelle Lernstandserhebun-gen, die Auskunft ber Konzepte und Fehlvorstellungen der Lernenden ge-ben. Eine solche Diagnostik ist nicht trivial, sie erfolgt in der Situation, in der Interaktion mit dem Lernenden und unter Handlungsdruck. In der englisch-sprachigen Literatur wird dies bezeich-net mit Assessment bzw. Diagnostik on the fly.

    Formatives Assessment ist sicher eine wichtige Voraussetzung fr ad-aptiven Unterricht, stellt aber zu-gleich erhebliche Anforderungen an die Lehrperson. Wir drfen das nicht unterschtzen. Positiv ist, dass eine Lehrperson bestimmte Komponenten dieser Tools vergleichsweise einfach lernen kann. Diagnostische Lehrer-

    fragen lassen sich beispielsweise wir-kungsvoll trainieren.

    Wenn wir uns fragen, was Lehrper-son bentigen, um ein solch anspruchs-volles Formatives Assessment zu im-plementieren, dann ist sicherlich ein hohes fachliches, fachdidaktisches und pdagogisch-psychologisches Wissen

    zu nennen. Die Lehrperson muss auch abschtzen knnen, welche Informati-onen, Hilfen und Untersttzungen die Lernenden bentigen, um alleine wei-terzukommen. Es kommt also bei der Untersttzung der Lernenden darauf an, dass die Lehrperson mit Nachfra-gen und Impulsen die Lernenden zum Nachdenken und zur Anwendung von Strategien anregt, mit denen die Ler-nenden die Aufgabe selbst lsen kn-nen. Die Rckmeldung erfolgt also eher zurckhaltend nach dem Prinzip der mi-nimalen didaktischen Hilfe.

    wodurch zeichnet sich der erfolgrei-che und wirksame Prototyp eines gu-ten Lehrers oder einer guten Lehrerin fr sie aus?

    Lipowsky: Ein guter Lehrer hat das n-tige fachdidaktische und fachliche Wis-sen. Er plant und bereitet den Unter-richt sorgfltig vor. gute Planung und Vorbereitung sind wichtig. Wie baue ich den Unterricht auf? Was muss im Unterricht thematisiert werden, damit sich fr Schlerinnen und Schler ein gesamtbild eines Themas ergibt? Wie mssen Teilelemente arrangiert und

    verbunden werden, welche mssen im Unterricht behandelt werden, damit tragfhige Konzepte entstehen? Sol-che Dinge entscheiden sich auch, und vielleicht sogar in erster Linie, am hei-mischen Schreibtisch der Lehrperson. Eine gute Lehrkraft ist gewappnet fr die Verstndnisschwierigkeiten, die bei

    den Schlerinnen und Schlern auftau-chen, und kann flexibel darauf reagie-ren, hat unterschiedliche Erklrungen und Veranschaulichungen parat, wenn Lernende auf die erste Erklrung nicht reagieren oder wenn sich das Ver-stndnis noch nicht einstellt. Ein guter Lehrer stellt aktivierende Fragen, hrt zu, gibt Impulse, aber nimmt nicht alles vorweg. Er sorgt fr einen abwechs-lungsreichen Unterricht und ist begeis-tert von seinem Fach. Schlerinnen und Schler spren das. Eine idealtypische Lehrperson misst der Reflexion ber Unterricht und metakognition hohe Bedeutung bei, reflektiert mit den Ler- nenden ber das Lernen und den Lernprozess. Und die Lehrperson ar-beitet mit den Schlerinnen und Sch-lern systematisch an der Entwicklung von Selbststeuerungsfhigkeiten. Lei-der wissen Lehrkrfte hiervon oft relativ wenig, auch deshalb, weil sich die Dis-kussion darber vorwiegend in wissen-schaftlichen Journalen abspielt.

    welche konsequenzen ergeben sich fr schule und unterricht und die Leh-rerbildung aus den erkenntnissen der Lehr- und Lernforschung?

    Wenn wir uns fragen, was Lehrperson bentigen, um ein solch anspruchsvolles Formatives Assessment zu implemen-tieren, dann ist sicherlich ein hohes fachliches, fachdidakti-sches und pdagogisch-psychologisches Wissen zu nennen. Die Lehrperson muss auch abschtzen knnen, welche Infor-mationen, Hilfen und Untersttzungen die Lernenden benti-gen, um alleine weiterzukommen.

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    Lipowsky: Zu den wichtigsten Kon-sequenzen fr die Lehrerbildung ge-hrt sicher, dass wir mittlerweile ver-gleichsweise gut darber Bescheid wissen, was lern- und motivationsfr-derlichen Unterricht auszeichnet. An diesen merkmalen und an ihren Vor-aussetzungen sollte die Lehrerbildung ansetzen. mit Voraussetzungen meine ich z.B. die Bedeutung, die man dem fachdidaktischen Wissen von Lehrper-sonen beimessen muss.

    Die Lehr- und Lernforschung kann auch mit einigen mythen aufrumen, was fr die Lehrerbildung ebenfalls bedeutsam ist. Hattie gelangt zu dem Fazit, dass die Auffassung, die Lehrper-son sei im Unterricht vorwiegend als moderator gefragt, die empirische Be-fundlage nicht wiederspiegelt. Vielmehr sei die Lehrperson eher als Activator gefragt. Er unterstreicht dies mit den-jenigen merkmalen von Unterricht, die vergleichsweise hohe Effekte auf die Lernenden zeigen, wie z.B. inhaltliche Klarheit, Lehrerfragen, verteiltes versus massiertes ben, direkte Instruktion das alles sind merkmale von Unterricht, bei denen die Lehrperson vergleichs-weise aktiv ist und den Unterricht lenkt. mitunter hre ich bei Diskussionen ber direkte Instruktion, das habe man doch schon berwunden, und der Konstruk-tivismus sage doch, wir mssten eher selbstgesteuert und offen arbeiten. Hier geben die Studien eine klare Antwort: Diese Schlussfolgerung ist in dieser Pauschalitt unzulssig. Auerdem: Der Konstruktivismus ist keine Unterrichts-theorie, sondern eine Erkenntnistheorie! Und ein hufiges missverstndnis ist, di-rekte Instruktion mit einem langweiligen Frontalunterricht gleichzusetzen. Direkte Instruktion kann sehr wohl kognitiv akti-vierend, verstndnisfrdernd und moti-vationsuntersttzend sein. Falsch wre jetzt allerdings auch, direkte Instruktion zum Allheilmittel zu erklren. Es kommt vielmehr auf eine intelligente Kombina-tion von lehrergelenkten und eher sch-lerorientierten Unterrichtsformen an.

    Fr die Fortbildung stimmt die Stu-die von Hattie ebenfalls hoffnungsvoll. Denn es zeigt sich deutlich, dass Fort- und Weiterbildungen Effekte auf Lehrer-handeln und Lernen der Schlerinnen und Schler haben knnen, wenn be-stimmte Bedingungen gegeben sind.

    inwieweit knnen durch Lehrerfortbil-dung die einstellungen von Lehrper-sonen positiv verndert werden?

    Lipowsky: Die Vorstellungen, die eine Lehrperson ber das Lehren und Lernen hat, beeinflussen natrlich ihr Handeln und auch umgekehrt beeinflussen unterrichtliche Erfahrungen die ber-zeugungen der Lehrpersonen. Insge-samt wissen wir aus der Forschung, dass solche Beliefs oder berzeugun-gen relativ stabil sind und dass sie durch Routinen geprgt werden. mit Videoanalysen aus eigenem und frem-dem Unterricht, durch den intensiven Austausch ber Unterricht und durch kontinuierliche Reflexionsimpulse kn-nen solche handlungsleitenden ber-zeugungen im Rahmen umfassender Fortbildungen bewusst gemacht und dann letztlich auch modifiziert werden. Aber das ist ein aufwndiger und hu-fig auch langwieriger Prozess.

    welche Form von Fortbildung hat denn berhaupt eine Aussicht, wirk-sam zu sein?

    Lipowsky: Forscher sind sich einig, dass es eines ausreichenden maes an Lern-gelegenheiten fr die Lehrpersonen bedarf, wenn die Wirksamkeit von Fort-bildung bis auf die Ebene der Schle-rinnen und Schler durchschlagen soll. Das bedeutet: Kurze Fortbildungen sind meist wirkungslos. Umgekehrt heit dies aber nicht: Je lnger die Fort-bildung, desto grer der Lernerfolg. Die Dauer der Fortbildung ist eine not-wendige, aber eben keine hinreichen-de Bedingung fr das Lernen und die Weiterentwicklung von Lehrpersonen.

    Vielmehr kommt es auf die geschickte Kombination von Trainings-, Input- und Reflexionsphasen an und darauf, dass Fortbildungsteilnehmerinnen und -teil-nehmer sich intensiv, engagiert und vertieft mit dem Lernen von Schlerin-nen und Schlern beschftigen.

    Der Einbezug von externen Ex-perten in die Fortbildung also von Wissenschaftlern, Fortbildnern und Personen, die den Lernprozess der Lehrerinnen und Lehrer lnger be-gleiten gilt nach einer metaanalyse von Helen Timperley, einer neusee-lndischen Kollegin von Hattie, als sehr wirkungsvoll. Timperley gelangt zu dem Fazit, dass eine solche externe Begleitung wirkungsvoller sein kann als interne Schulentwicklungsmanah-men. Im Rahmen einer groen neu-seelndischen Lehrerfortbildung, die auch wissenschaftlich begleitet wurde und die Effekte bis auf die Ebene der Schlerinnen und Schler zeigte, ar-beiteten Wissenschaftler, Fortbildner, Schulleiter und Lehrpersonen ber die Dauer von zwei Jahren eng zusammen. Experten besuchten die Lehrpersonen im Unterricht, gaben ihnen Rckmel-dungen, fhrten mit den Lehrpersonen Lernstandserhebungen und andere dia- gnostische Verfahren durch, werteten deren Ergebnisse zeitnah mit den Lehr-krften aus, interpretierten diese mit den Lehrkrften und leiteten daraus gemeinsam mgliche nchste Schrit-te fr den Unterricht ab. Das war ein sehr aufwndiges, aber auch sehr wirk-sames Unterfangen, das dann eben auch Effekte bei den Schlerinnen und Schlern zeigte.

    Nimmt man noch einmal Bezug auf die Ergebnisse der Unterrichts-forschung, so sollte sich Fortbildung auch mit solchen merkmalen von Un-terricht beschftigen, von denen wir wissen, dass sie positive Effekte auf die Schlerinnen und Schler haben. Hier kommt dann wieder die meta-analyse von Hattie ins Spiel. Das hrt sich natrlich etwas trivial an, aber

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  • nAchgeFrAgt

    wenn man betrachtet, was so alles an- geboten wird

    Eine weitere zentrale Bedingung fr den Fortbildungserfolg ist, dass die Erweiterung des fachdidaktischen Wis-sens von Lehrpersonen im mittelpunkt stehen sollte. Es geht also darum, dass die Lehrpersonen sich konzentriert und vertieft mit dem Lernen und Verstehen von Schlerinnen und Schler in einem bestimmten Fach und am besten noch zu einem spezifischen Unterrichtsthema auseinandersetzen sollten. Ein so fokus-sierter Blick erhht die Wahrscheinlich-keit, dass die Teilnehmerinnen und Teil-nehmer einer Fortbildung tatschlich Unterschiede im Lernen und Verstehen der Schlerinnen und Schler wahrneh-men knnen und einen diagnostischen Blick entwickeln. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten sich also in die Kpfe der Schlerinnen und Schler hi-neinversetzen. Sie sollten aufgefordert werden, Lsungswege der Lernenden zu antizipieren. Sie sollte vorhersehen, wie Schlerinnen und Schler reagie-ren, wenn die Lehrperson auf eine be-stimmte Weise vorgeht. Timperley, die neuseelndische Kollegin von Hattie, stellte in ihrer metaanalyse fest, dass vie-le wirksame Fortbildungen einen beson-deren Schwerpunkt auf das teachers

    assessment knowledge legen, also auf die Frderung diagnostischen, aber auch fachdidaktischen Wissens von Lehrpersonen. Hier zeigt sich im bri-gen wieder eine Querverbindung zum Thema formatives Assessment und damit zur Studie von Hattie. Unterrichts-videos haben, was die Antizipation von

    Lsungs- und Bearbeitungswegen der Schlerinnen und Schler anbelangt, eine besondere Bedeutung und bieten fruchtbare Lerngelegenheiten fr Leh-rerinnen und Lehrer.

    Auerdem sollten Lehrpersonen im Rahmen einer Fortbildung erleben (knnen), dass es eine Beziehung zwi-schen ihrem Handeln und dem Lernen der Schlerinnen und Schler gibt und dass Vernderungen im Lehrerhandeln auch zu Vernderungen im Lernen der Schlerinnen und Schler fhren. Das klingt einfach, ist es aber nicht.

    Ein Beispiel soll verdeutlichen, was ich meine: Im Rahmen einer Fortbildung am Studienseminar in Fritzar erlebten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fortbildung am Beispiel einer vi-deografierten Unterrichtseinheit zum Thema Kinder schreiben narrative Tex-te zu einem Bildimpuls, wie sich durch herausfordernde und kognitiv anregen-de Fragen der Lehrperson das Antwort-verhalten der Schlerinnen und Schler deutlich in Richtung einer zunehmen-den Komplexitt vernderte.

    Fr die Fortbildungsteilnehmer war das ein groes AHA-Erlebnis, zu sehen, wie ein Impuls, eine Frage zu vllig an-deren und auch unerwarteten Reakti-onen auf Seiten der Schlerinnen und

    Schler fhrte. mglicherweise war dies fr die Lehrpersonen auch des-halb so berraschend, weil eine solche nderung des Frageverhaltens mit re-lativ geringem Aufwand zu bewerkstel-ligen ist. Die Lehrpersonen erlebten in dieser Situation, welche Wirkungen verndertes Lehrerhandeln haben

    kann, und erprobten dieses Vorgehen nachfolgend auch in ihrem Unterricht mit dem gleichen Erfolg. Das sind klei-ne handwerkliche Steuerschrauben mit erheblicher Wirkung!

    Zum schluss: bitte ergnzen sie fol-gende stze:

    die bedeutung von Lehrerfortbildung fr guten unterricht ist in der vergan-genheit,

    Lipowsky: unterschtzt worden

    eine Fortbildung, die nicht zu vern-derungen im unterrichtspraktischen handeln der Lehrkraft fhrt,

    Lipowsky: (Prof. Lipowsky denkt lange nach, lacht) drfte wahrscheinlich auch keine nachhaltigen Wirkungen auf die Lernenden haben. Das sage ich mit Vorsicht, weil es nicht so ist, dass man jede Wirkung gleich sieht! man-che Wirkung stellt sich erst spter ein.

    Fortbildungsmanahmen haben laut empirischen erkenntnissen dann eine hohe Akzeptanz und erzeugen dann Motivation bei Lehrkrften,

    Lipowsky: wenn sie sich konkret auf Unterricht beziehen, wenn die Relevanz der Inhalte hoch ist, wenn am Vorwissen und an dem, was die Lehrpersonen mit-bringen, angeknpft wird, wenn aber dennoch neue Erkenntnisse und neue Handlungserfahrungen hinzukommen und wenn ihnen Situationen angebo-ten werden, in denen sie erleben, dass ihr eigenes Handeln Wirkung zeigt.

    investitionen in Fortbildung sind,

    Lipowsky: Investitionen in die Zukunft.

    das interview fr biLdung BEWEGT fhrte sAbine stAhL

    Foto: sabine stahl

    Auerdem sollte die Lehrpersonen im Rahmen einer Fort-bildung erleben (knnen), dass es eine Beziehung zwischen ihrem Handeln und dem Lernen der Schlerinnen und Schler gibt und dass Vernderungen im Lehrerhandeln auch zu Ver-nderungen im Lernen der Schlerinnen und Schler fhren.

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  • sie wertschtzte einerseits die be-obachtbaren Erfolge von Schulen auf ihrem Weg zu mehr Eigenstn-digkeit, betonte aber auch, dass vieles noch zu brokratisch und aufwndig ist, und dass zustzliche mittel notwendig sind. mit diesem Impuls stie sie unter den zahlreich vertretenen Schulleiterin-nen und Schuleitern auf offene ohren.

    von der gesamtkonferenz zu schul-verfassung und schulvorstandIch will das groe Budget, lautete denn auch das Statement von Schullei-terin Claudia Borowsky, eine von sechs Schulleitungen, die auf dem Podium zum Thema Selbststndige Schule als Chance diskutierten. Die Leiterin einer Beruflichen Schule berichtete ber ihre Erfahrungen: Zu Beginn wa-ren zwei Drittel der gesamtkonferenz fr die Teilnahme am modellversuch Selbstverantwortung Plus. Fr des-

    sen Fortfhrung waren es dann schon 92% Zustimmung. Inzwischen hat die Eugen-Kaiser-Schule mit 96% Zustim-mung des Kollegiums die gesamtkon-ferenz abgeschafft. Die Schule hat nun eine eigene Verfassung.

    An die Stelle der gesamtkonfe-renz tritt ein Plenum mit gestrafftem Aufgabenbereich, das berwiegend mit mitgliedern der Schulleitung und

    gewhlten Lehrkrften besetzt ist. Der Schulvorstand, in dem alle operativen Entscheidungen getroffen werden, lst die Schulkonferenz als strategisches Entscheidungszentrum ab. Borowsky

    sieht einen groen Vorteil in diesem Verfahren: Die Verantwortung liegt jetzt im Schulvorstand, Entscheidun-gen sind viel direkter. Allerdings muss auch viel mehr berzeugt werden.

    Berufliche Schulen hatten als ers-te Schulform mit neuen Wegen zur Selbststndigkeit experimentieren knnen. grundlage war der einstim-mige Landtagsbeschluss fr das modellprojekt SV-Plus aus dem Jahr 2003. Nach der Evaluation der Erfah-rungen der 17 beteiligten Schulen aus dem modellversuch folgte schlielich der so genannte SBS-Erlass im August 2010. Dieser ist grundlage des Trans-ferprozesses beruflicher Schulen zu

    Selbststndigen Beruflichen Schu-len (SBS). Nach Auskunft des Kul-tusministeriums sind inzwischen ein Drittel aller hessischen Berufsschulen modellversuchs- oder SBS-Schulen.

    Selbststndigkeit heit, frei entscheiden zu knnen. Mit diesen Begrungsworten verdeutlichte Hanna Kind, Vertreterin der IHK, gleich zu Beginn der IQ-AfL-Fachtagung zur Selbststndigen Schu-le einen wichtigen Baustein unternehmerischen Verstndnisses von Selbststndigkeit.

    Antworten Aus deM geist der Freiheitvon der PrAxis Fr die PrAxis, eine FAchtAgung iM Zeichen der seLbststndigen schuLe

    Die Verantwortung liegt jetzt im Schulvorstand, Entschei-dungen sind viel direkter. Allerdings muss auch viel mehr berzeugt werden.

    biLdung iM bLick

    biLdung BEWEGT NR.13 JUN/2011 15

  • biLdung iM bLick

    Bei aller Begeisterung und Zustim-mung fr zunehmende Selbststn-digkeit werden die Wege zur Umset-zung doch kontrovers diskutiert. Viele Schulleitungen und Schulleitungsver-

    bnde sind wegen geringer Zeit- und Finanzressourcen in Sorge, ob ein so komplexer Prozess gelingen kann. So fallen bei Schulen im Transferprozess beispielsweise eine pdagogische bzw. Verwaltungsstelle weg, die den modellversuchsschulen noch zur Ver-fgung stand (vgl. BB Nr.8, Leitartikel). Der Personalbedarf soll jetzt ber die 105%ige Zuweisung gedeckt werden.

    Die Rahmenbedingungen fr die Transferprozessschulen gegenber den 17 modellversuchsschulen wur-den daher durchaus auch kritisch wahr-genommen. manch einer befrchtete wegen der Konkurrenz untereinander sogar die gefahr einer Zersplitterung der Berufsschullandschaft.

    Bernd Schreier hingegen betonte, dass der Wille nach Freiheit keine Frage der Ressourcen sei. In einer engagier-ten Begrungsrede wies der IQ-Leiter darauf hin, dass die Balance der Selbst-stndigen Schulen die Freiheit und die Rechenschaft ist. Es ist unser Part Frei-heit zu wollen und umzusetzen!

    Aber auch jenseits der Ressour-cenfrage war die Bewertung dessen, was Selbststndigkeit an Hessens Schulen bedeutet oder bedeuten kann, schulformbergreifend unter-schiedlich. So stand die Position Es ist wichtig fr Schulentwicklung, sich trotz vorhandener Unzulnglichkei-ten und Unklarheiten auf den Weg zu machen fast unvereinbar neben der Einschtzung Erst mssen wir wissen, worauf wir uns einlassen, wie die Be-dingungen sind und welchen Nutzen die Entscheidung fr uns bringt, bevor wir in die Selbststndigkeit gehen.

    Und so machen sich die einzelnen Bildungseinrichtungen mit ungleichen Voraussetzungen, verschiedenen Er-

    wartungen und in ganz unterschied-lichem Tempo auf den Weg. Der Entwicklungsstand in Sachen Selbst-stndigkeit ist, das zeigt alleine das Spektrum aus dem beruflichen Schul-wesen, sehr vielfltig (SV-Plus-Schulen, Berufliche Schulen mit Anmeldung zur SBS und solche, die gegen SBS abge-stimmt haben, Berufliche Schulen mit Antrag auf das kleine Budget uvm.).

    Schulleiterin Claudia galetzka ist dennoch berzeugt: Wir brauchen die Selbststndigkeit, um bessere Be-dingungen fr unsere Lehrkrfte und Schlerinnen und Schler zu schaffen. Ihre Berufsschule ist aktuell im Trans-ferprozess angemeldet. Die Schullei-terin begrndet ihre motivation fr die Teilnahme vor allem unter Qualittsge-sichtspunkten. Vor ihrer Schulleitungs-ttigkeit hatte galetzka Q2E-Prozesse begleitet und dabei gesehen, dass Unterricht dadurch viel besser gewor-den war. Weil reflexive Lernprozesse gefrdert werden, Evaluationsergeb-nisse systematisch in die Schulentwick-lung einflieen, kollegiale Hospitation stattfindet und in den Kollegien ganz anders ber Unterricht gesprochen wird. Sie ist berzeugt: Ich brauche das groe Budget, um verlssliche Rahmenbedingungen zu ermglichen. Aber es ist auch ein groer Kraftakt, mit 160 Kolleginnen und Kollegen in diese Aushandlungsprozesse einzutreten. Als entscheidend und kritisch zugleich fr den Erfolg von Selbststndigkeit schtzt galetzka die Faktoren Support, Dienstleistungen und Untersttzung aus dem Verwaltungsbereich ein.

    wir brauchen Zeit Leitungszeit, um schule steuern zu knnen!Die Kontroversen darber, welcher Weg zur Eigenstndigkeit der richtige ist, lau-fen quer durch alle Schulformen und hngen mit den individuellen Herausfor-derungen der Schulen zusammen. Dass Selbststndigkeit helfen kann, die inklu-sive Schule pdagogisch und organisa-torisch in die Praxis umzusetzen, glaubt beispielsweise Peter Baumann, Schul-leiter einer Frderschule. Denn Selbst-stndigkeit trgt der Tatsache Rechung, dass Prozesse am besten in der Schule vor ort gelst werden knnen, davon ist Baumann berzeugt. Heiner Friedrich, Leiter einer IgS in gro gerau, hat keine Zweifel, dass die gestaltungsfreiheit der Flexibilitt zugute kommt, dass zugleich aber auf die Schulleitung auch viel mehr Arbeit zukommt. Angesichts der bereits heute schon hohen Belastung ein nicht unwesentliches Problem. Diese Positi-on wurde auch von Vertretern anderer

    Schulformen untersttzt. Wir brauchen Zeit Leitungszeit, um Schule steuern zu knnen, bekrftigte Hans-Walter Krmer. Der Leiter einer Haupt- und Re-alschule forderte Entlastung durch die Untersttzungssysteme ein. Dass die Selbststndige Schule notwendig ist, davon ist Krmer allerdings berzeugt: Ein unumkehrbarer Prozess.

    Doch dieser angestoene Prozess muss sehr behutsam entwickelt wer-den. mit dem Rollenwechsel knftiger Schulleitung ist auch ein hheres Risiko fr Leiterinnen und Leiter verbunden. Ich wei nicht, ob diesen Rollenwech-sel jeder mit Begeisterung annimmt, denn viele Schulleitungen haben ihren Dienst unter anderen Prmissen ange-treten, gibt Reinhard Rzytki, Schullei-ter eines gymnasiums zu Bedenken. meine Schule hat sich fr das kleinere Budget entschieden, weil wir die mit-tel dann effizienter steuern knnen, berichtet er. Zuletzt hatten wir 13 ver-schiedene Etats, die getrennt gerech-net werden sollen. Und weil diese zum oktober abgeschlossen sein sollen, werden Ausgaben nicht immer sinn-voll eingesetzt. Hier sind viele mittel regelrecht verbrannt worden, so seine Kritik am bisherigen Vorgehen.

    mit dem kleinen Budget ist eine hundertprozentige Rcklagenbildung mglich, die innerhalb von drei Jah-ren aufgebraucht werden muss. Da-rber hinaus knnen Schulen bisher getrennt gefhrte Budgets fr Lern-, Vertretungs-, IT-Vertretungsmittel so-wie fr Fortbildungen zusammenfh-ren. Innerhalb dieses kleinen Budgets knnen Schulleiterinnen und Schullei-ter unabhngig ber die Verwendung der bertragenen mittel entscheiden. Dabei wird als Vorteil gesehen, dass einzelne Budgetbestandteile gegen-seitig deckungsfhig sind.

    Rund 1000 Schulen haben sich inzwischen fr das kleine Budget ent-schieden darunter viele grundschu-len, die sich von diesem Schritt unab-hngigeres und flexibleres Wirtschaften erhoffen. Wir wollen dies als Chance nehmen und die Enge der Einzelbud-gets berwinden, hofft Stefan Wessel-mann. Aber wenn ich weiterdenke, zweifelt der Leiter der mittelgroen grundschule, wer soll beim groen Budget Personalmittel verwalten?

    Schulleitungen kleiner Schulen und deren Konrektorinnen und -rek-toren haben eine hohe Unterrichtsver-pflichtung. Immer wieder wird der Ruf nach mehr Leitungszeit laut, um ihre Schulen entsprechend der neuen Auf-gaben vor allem in den Feldern Bud-

    bernd schreier (Leiter des iQ) wies auf die chancen von gestaltungsfreiheit und verantwortungsber-nahme hin. (Foto: reinhold Fischenich)

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    get und Personal leiten zu knnen. Der Wunsch nach Untersttzung wie einer Anlaufstelle fr Budget- und juristische Fragen, nach geeigneten materialien, zeitnahen Rckmeldungen zum aktu-ellen Schulkontostand, Fortbildungen, Informationsveranstaltungen uvm. war Thema, das wie ein roter Faden alle Diskussionen durchzog.

    kooperation ist fr kleine systeme eine groe chanceUnd dennoch bringt jede Schulform ihre eigenen Spezifika und damit auch ihre eigenen Herausforderungen mit sich. gerade bei kleinen grundschu-len liegt eine besondere Schwierig-keit in fehlenden Sekretariatskapazi-tten. Sie verfgen nur ber wenige Sekretariatsstunden pro Woche.

    Enge Kooperation scheint fr kleine Systeme daher eine groe Chance zu sein. gnter Drenkelfort, Referent aus dem Niederschsischen Kultusministe-rium, bekrftigte, dass die verfgbaren mittel bei klein(st)en Schulen ausgespro-chen gering sind. Sie profitieren daher vor allem dann von der neuen finanziel-len Entscheidungsfreiheit, wenn sie im Rahmen selbst organisierter Netzwerke kooperieren und ihre Ressourcen wie Sachmittel und Personal zusammenle-gen, damit sie sie flexibler und effizien-ter einsetzen knnen. Die gemeinsame Nutzung personeller Ressourcen ist auch mit Blick auf neue personelle Anforde-rungen wie der Inklusion interessant. Von der Netzwerkarbeit und Koopera-tion erhoffen sich viele Schulleitungen, ihre Schulstandorte trotz sinkender Schlerzahlen aufrecht erhalten zu kn-nen. Denn 2021, so ein Prognose, wer-den nur noch 1.500.000 Schlerinnen und Schler statt der 6.500.000 (Stand 2009) im gesamten Schulsystem sein.

    In der Erhhung der Stellenzu-weisung von 101 auf 105% liegt nach Auffassung vieler Schulpraktiker ebenfalls eine Chance, um disponib-le Personalressourcen zur Qualitts-entwicklung und fr Innovationen zu erhalten. gerade die Beteiligung an Kooperationen und die Verbesserung von Unterricht seien ohne gemein-same Arbeitszeit fr Kollegien kaum zu realisieren, verbindliche Qualitts-standards damit nicht einlsbar.

    Aber wie realistisch sind Wnsche nach mehr geld, Stellen und struktu-reller Untersttzung? Jrgen Weiler, Referatsleiter im HKm und dort u.a. fr Lehrerzuweisung und Budget der allgemein bildenden Schulen verant-wortlich, skizzierte den Weg. Selbstver-stndlich seien die 105% ein wichtiger

    Baustein. Bis zur vollstndigen Umset-zung 2014 gibt es einen Stufenplan. Zum 1. August sollen die SBS 1% mehr Stellen erhalten, Anfang 2012 wird ein weiteres Prozent zur Verfgung stehen. Im Folgejahr sollen auch alle anderen Schulen dann 1% mehr Stellen erhal-ten. Da bei aktuell gltiger Verord-nungslage dieses mehr an Ressourcen nur fr Unterricht und Deputate ver-wendet werden darf, muss die Pflicht-stundenverordnung gendert werden, so dass der mitteleinsatz knftig flexib-ler erfolgen kann. Auch Abteilungslei-ter Dieter Wolf (HKm) bekrftigte, dass Schulen eine verlssliche grundlage erhalten werden. Aktuell werden die Eckpunkte fr das groe Schulbudget festgelegt. Wenn diese zusammen mit der 105%igen Zuweisung kommen, verfgen Schulen ber grere finan-zielle Spielrume. Das neue Schulge-setz und hier insbesondere 127 sind aktuell gendert und sollen zum ersten August in Kraft treten. Und er ergnz-te, dass auch die Dienstordnung mo-difiziert wird, so dass Schulleitungen Befugnisse auch auf andere Personen bertragen knnen. Es geht also um ein gesamtinstrumentarium, so Wolf.

    Ausbildung und Qualifizierung von Lehr- und Fhrungskrften ist kern- thema der selbststndigen schuleBesonders intensiv wurde auch um die Rollenzuschreibung fr Schulleitung gerungen. Nach Einschtzung vieler Fachexperten umfasst das zuknftige

    Berufsbild Schulleitung neue Aufga-ben im Bereich Schul- und Personal-entwicklung und Schulmanagement. Allerdings gibt es Klrungsbedarf, wie knftig Aufgaben verteilt, Leitungszeit verndert und andere pdagogische Aufgaben definiert und zugeordnet werden. Da selbststndige Schulen beispielsweise ber ein umfassendes Qualittsmanagementsystem, also p-dagogisches Qualittsmanagement durch Individualfeedback, Fokusevalu-ation, Steuerung der Qualittsprozes-se durch die Schulleitung und meta-feedback verfgen, wurde hinterfragt, inwiefern Q2E-Schulen noch eine Schulinspektion bentigen.

    Und noch mehr zu den Rollenanfor-derungen: Schulleiterinnen und Schul-

    leiter steuern nicht nur eine organisa-tion. Sie sind letztlich verantwortlich, dass an ihren Schulen guter Unterricht gehalten wird. Sie bentigen demnach ein konkretes Bild davon, wie kompe-

    tenzorientierter Unterricht in der Praxis aussieht. Und da Schulleitungen als oberste Hter und Entwickler von Un-terrichtsqualitt ihre Kollegien mitneh-men mssen, brauchen sie Kenntnisse in der Steuerung von Vernderungs-prozessen. Hier sind externe Unter-sttzung, Begleitung beim Prozess der Unterrichtsentwicklung, Qualifizierung von Fachschaften und vieles mehr Vor-aussetzung und gelingensbedingung gleichermaen. Der Erfolg von Selbst-stndigkeit wird sich unter anderem daran messen lassen mssen, wie gut Lernende unterrichtet werden, wie hoch Kompetenzzuwchse bei Sch-lerinnen und Schlern sind. Es wird

    in den nchsten Jahren daher darauf ankommen, Schulleitungen und Kolle-gien gerade auch in der Unterrichts-entwicklung zu untersttzen.

    Nach Ansicht des Leiters des Amtes fr Lehrerbildung, Frank Sauerland, be-rhrt die Frage nach Ausbildung und Qualifizierung der Lehr- und Fhrungs-krfte ein Kernthema der Selbststndi-gen Schule. Selbststndige Schulen gibt es, um die Unterrichtsqualitt zu verbessern. Es ist Kernaufgabe des AfL, Lehrkrfte gut aus- und fortzubilden. Das Stichwort lautet kompetenzorien-tierter Unterricht. Selbststndige Schu-le kann nur gelingen, wenn Personal entsprechend qualifiziert ist bzw. wird.

    sAbine stAhL

    Selbststndige Schulen gibt es, um die Unterrichtsqualitt zu verbessern. Es ist Kernaufgabe des AfL, Lehrkrfte gut aus- und fortzubilden.

    Jaqueline vogt (FAZ) (Mitte), Moderatorin der Fachtagung, machte sich zur Anwltin, damit alle themen, auch die schwierigen, aufs Parkett kamen. (Foto: reinhold Fischich)

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  • wie LesekoMPetenZen JugendLicher wirksAM verbessert werden knnenergebnisse der euroPischen studie Adore

    das transnationale Projekt wur-de von einem Dreiergespann Prof. Dr. Christine garbe (Universitt Kln), Dr. Karl Holle und Prof. Dr. Swantje Weinhold (beide Leuphana Universitt Lneburg) geleitet.

    das AfL-Fortbildungskonzept und seine umsetzung sind modellhaft fr die europische LesefrderungAuf Einladung des Konsortiums hatte neben Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern aus 11 europischen Uni-versitten und Lehrerbildungsinstituten auch ein Team des Amtes fr Lehrerbil-dung an dieser Studie teilgenommen. Transnationale Wissenschaftlerteams begutachteten das Fortbildungskon-zept Lesen macht schlau, das im AfL

    entwickelt worden ist, und dessen Umsetzung auf regionaler Ebene. Das Wissenschaftlerteam war sich einig, dass die Qualifizierung von Lehrkrften

    zu Fortbildnerinnen und Fortbildnern durch das AfL positive unterrichtliche Effekte in den besuchten hessischen Schulen hervorgebracht hat. Das Leh-rerfortbildungskonzept und auch seine Umsetzung durch die Fortbildnerinnen und Fortbildner auf der Ebene des

    Schulamts und der Einzelschule wur-den vom Wissenschaftlerteam als mo-dellhaft fr die europische Lesefrde-rung hervorgehoben.

    In einem ihrer Beitrge zum Pro-jektbericht fr die Europische Kom-mission stellt Dorothee gaile, Leiterin des AfL-Teams, zentrale gelingens-bedingungen fr kompetenzorien-tierten Leseunterricht in allen textba-sierten Fchern dar. Ein innovatives

    Auch die neuesten PISA-Ergebnisse 2009 besttigen, dass in der Verbesserung der Lesekompetenzen Jugendlicher dringender Handlungsbedarf besteht: Bis zum Jahr 2020, so die Zielvorgabe der European Education Benchmarks, sollen weniger als 15 Prozent der europischen Fnfzehnjhrigen zur Risikogruppe der schwachen Leser gehren; aktuell sind es jedoch rund 23 Prozent. Wie dieses anspruchsvolle Ziel erreicht werden kann, ist der Gegenstand eines europischen Forschungsprojektes gewesen, das in den Jahren 2006 bis 2009 unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus 11 europischen Lndern durchgefhrt wurde: ADoRE- Teaching StrugglingADolescentREaders. A Comparative Study of Good Practice in European Countries.

    Der Aufbau eines positiven Lese-Selbstkonzeptes ist das oberste Ziel aller Manahmen zur Lesefrderung und das Herzstck der ADoRE-Philosophie.

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    Prozessmodell des Lehrens und Ler-nens wird durch vielfltige Blicke in europische Klassenzimmer verdeut-licht. Ein weiteres Kapitel der Autorin ist der Bestandsaufnahme zur Rolle von Lesefrderung in der europi-schen Lehrerbildung und deren Per-spektive gewidmet.

    ADoRE hat Best-Practice-modelle schulischen Leseunterrichts in Se-kundarstufen in allen Teilen Euro-pas untersucht. Das PISA-Siegerland Finnland (Risikoschler lt. PISA 2006: 4,8%) war ebenso vertreten wie das europische PISA-Schlusslicht Ru-mnien (Risikoschler lt. PISA 2006: 53%). Als Ergebnis umfangreicher Er-hebungen qualitativer Daten und Stu-dien vor ort hat das ADoRE-Konsorti-um nun eine Publikation vorgelegt, in der 13 Schlsselelemente guter Praxis in Unterricht, Schulprogrammen und Bildungspolitik definiert und an Bei-spielen veranschaulicht werden.1

    isolierte Leseanimation greift zu kurzLesefrderung ist eine Aufgabe al-ler Unterrichtsfcher in allen Klas-senstufen whrend der gesamten Schulzeit. Lesefrderung muss auf die gesamte Schlerpersnlichkeit zielen; isolierte Leseanimation oder Trainingsprogramme greifen zu kurz. Entscheidend ist die Vernderung des lese- und lernbezogenen Selbstbildes der schwachen Leserinnen und Leser. Erst wenn diese durch entsprechende positive Erfahrungen die Zuversicht gewonnen haben, dass sie Texte lesen und verstehen knnen, werden sie diese auch lesen wollen. Der Aufbau eines positiven Lese-Selbstkonzeptes ist darum das oberste Ziel aller ma-nahmen zur Lesefrderung und das Herzstck der ADoRE-Philosophie.

    Bildungssysteme, denen das Prin-zip der Frderung zugrunde liegt (supportive systems), weisen einen weitaus effektiveren Leseunterricht auf als Bildungssysteme, die auf dem Leistungs- und Selektionsprinzip ba-sieren (selective systems). Deutsch-land gehrt bislang zu den Lndern, deren Bildungssystem besonders se-lektiv und wenig untersttzend ist.

    Wenn Lehrkrfte aller Fcher schwache Lerner im Lesen gezielt frdern sollen, brauchen sie zunchst selbst Untersttzung: durch eine qua-lifizierte Ausbildung und Fortbildung, durch entsprechende Schulprogram-me und engagierte Schulleitungen,

    durch multiprofessionelle Unterstt-zungsteams in den Schulen (Schul-psychologen, Lese-Experten, Sozial-arbeiter etc.), durch Wissenschaftler, die eine praxisrelevante Forschung und Wissenstransfer betreiben, durch Kommunen und vor allem durch eine Bildungspolitik, die angemessene rechtliche und finanzielle Ressourcen zur Verfgung stellt.

    hoch entwickelte expertise von Lehrkrften als bedeutsamer erfolgsfaktorDie Leseschwche Jugendlicher kann nur durch qualitativ hochwertigen Unterricht effektiv bearbeitet werden: Die Vernderung von Unterricht ist da-rum das Hauptanliegen der ADoRE- Studie. Der ADoRE Reading Instruction Cycle stellt eine Alternative zum her-kmmlichen Unterricht vor. Seine grundlegenden Prinzipien sind die kontinuierliche Diagnose der Sch-lerfhigkeiten als Ausgangspunkt der Planung von Lernprozessen sowie die Einbeziehung der Schlerinnen und Schler in die Definition von Lernzielen, die Auswahl von Lesestof-fen und die Erarbeitung von Lesestra-tegien sowie in die berprfung der eigenen Erfolge. Die Lehrkraft agiert dabei als kompetenter Anderer, der die Lernenden in die Zone ihrer nchsten Entwicklung (Vygotsky) be-gleitet, sie bert und untersttzt, aber auch bis zu ihren Leistungsgrenzen herausfordert.

    Der wichtigste Erfolgsfaktor einer im Unterricht kontinuierlich realisier-ten Lesefrderung ist eine hoch ent-wickelte Expertise von Lehrkrften, die in der Lehrerausbildung und einer regelmigen Fortbildung gesichert werden muss.

    Heutzutage verfgen selbst Deutsch-lehrkrfte in der Regel nur ber unzureichende Kenntnisse der inzwi-schen hoch entwickelten Lesedidak-tik, Lehrkrfte anderer Fcher meist ber gar keine. Eine systematische Lehrerfortbildung zur gestaltung eines guten, fachspezifischen Lese-unterrichts ist darum eine der drin-gendsten weiteren Aufgaben der Bildungspolitik. Um dieses Desiderat zu bearbeiten, haben Christine garbe und Karl Holle bereits ein neues EU-Projekt eingeworben: In BaCuLit2 wird es darum gehen, ein modularisiertes Kerncurriculum zur fcherbergrei-fenden Lehrerfortbildung in der Lese-didaktik fr Europa zu erarbeiten. An diesem Projekt sind acht europische Lnder und zwei US-Experten betei-ligt. Es ist im Januar 2011 gestartet.

    thoMAs von MAchui Dezernat Fortbildung (Amt fr Lehrerbildung)

    inFokAsten

    Weitere Informationen unter: www.adore-project.eu. Unter downloads findet sich der Artikel, in dem die Ergebnisse des ADoRE-Projektes ausfhrlicher beschrieben werden: garbe/gro/Holle/Weinhold: Blick ber den Zaun: Lese-frderung in Europa. Ergebnisse und Einsichten aus dem EU-Projekt ADoRE. Erschienen in: Bayerisches Staatsmi-nisterium fr Unterricht und Kultus/Staatsinstitut fr Schulqualitt und Bildungsforschung (Hrsg.): ProLesen. Auf dem Weg zur Leseschule. Lesefrderung in den gesellschaftswissenschaftlichen Fchern. Aufstze und materialien aus dem KmK-Projekt ProLesen. Donauwrth: Auer Verlag 2010; Ansprechpartnerin im AfL: Dorothee gaile

    1 Eine 18-seitige Zusammenfassung der Er-gebnisse (Executive Summary) ist in deut-scher und englischer Sprache auf der Projekt-Homepage verfgbar: www.adore-project.eu. Als ein Ergebnis des Projektes wurde zu-dem ein internationales Adolescent Literacy Network gegrndet, dessen Aktivitten auf der Homepage www.alinet.eu dokumentiert werden.

    2 Basic Curriculum for Teachers In-service Trai-ning in Content Area Literacy in Secondary Schools, Comenius multilateral Projects, www.baculit.eu

    Der wichtigste Erfolgsfaktor einer im Unterricht kontinuierlich realisierten Lesefrderung ist eine hoch entwickelte Expertise von Lehrkrften, die in der Lehrerausbildung und einer regel-migen Fortbildung gesichert werden muss.

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  • viele hessische Schulen werden zunehmend mit interaktiven Whiteboards ausgestattet. In manchen Schulen werden sie inzwi-schen sogar ausschlielich eingesetzt - es gibt dort keine klassischen Tafeln mehr. Weg von der Kreidetafel hin zu interaktiven Whiteboards lassen sich nun benutzerfreundlich Texte, Bilder, Schulbuchseiten, Internetseiten oder Videosequenzen aufrufen und bear-beiten. Entwickelte Tafelprsentatio-nen knnen gespeichert und spter als Datei oder Ausdruck allen Sch-lerinnen und Schlern zur Verfgung gestellt werden. Kurz: Das Klassenzim-mer verwandelt sich in ein interaktives Lernzentrum. Dies ist eine Herausfor-derung an eine zeitgeme Lehrer-bildung im Sinne der Vorbereitung zuknftiger Lehrerinnen und Lehrer auf die vernderte mediale Wirklich-keit in den Schulen. Es bedarf dabei

    im Besonderen auch der Vermittlung von methodischen und didaktischen Kompetenzen zur Nutzung der neuen medien im Unterricht.

    mit seinem landesweiten Projekt Interaktive Whiteboards in der hessi-schen Lehrerausbildung will das Amt fr Lehrerbildung zuknftig Ausbilde-rinnen und Ausbilder zentral fortbilden sowie materialien und Empfehlungen fr einen pdagogisch fundierten Ein-satz zur Verfgung stellen. Ziel ist es, alle Lehrkrfte im Vorbereitungsdienst und somit Hessens Nachwuchskrfte mit der Anwendung des neuen Lehr- und Lernmediums sowie mit zukunfts-orientierten didaktisch-methodischen Unterrichtskonzepten vertraut zu ma-chen. In Kooperation mit dem Unter-nehmen SmART Technologies wurden alle hessischen Studienseminare mit neuen interaktiven Whiteboards aus-gestattet, so dass eine moderne tech-nische Ausrstung gesichert ist.

    kreidestaub und ausgetrocknete hnde all das scheint (knftig) ein relikt aus vergangenen ZeitenAber wie sieht er nun aus, der Unter-richt mit einem interaktiven White-board? Dr. Sabrina Alfonso wei den Nutzen der neuen generation Tafeln sehr zu schtzen. Internet, Fernseher, DVD, overheadprojektor, Tafel - alle medien aus einer Hand, so bringt sie es auf den Punkt. Als Quereinsteigerin und somit Neuling im Schuldienst arbeitet sie im Unter-

    richt von Beginn ihrer Lehrerkarriere an mit interaktiven Whiteboards.

    Quietschende Kreidetafeln, nasse Schwmme, Kreidestaub und ausge-trocknete Hnde - all das scheint fr die junge Lehrerin ein Relikt aus ver-gangenen Zeiten. mit interaktiven Stif-ten und flinken Fingern zaubert sie in ihrem Unterricht Abbildungen, Filmse-quenzen, Internet- oder Lehrbuchsei-ten auf die Tafel. Alles, was an der neu-en Tafel (ent)steht, lsst sich einfach und schnell abndern, beschriften und natrlich speichern. Die Biologielehre-rin hat so die mglichkeit, Unterrichts-sequenzen zu dokumentieren, in der nchsten Stunde wieder einzusetzen oder fr die Lerngruppe auszudru-cken. Zahlreiche intuitive Programme stehen zur Verfgung. So lassen sich zum Beispiel mit Hilfe von Abbildun-gen Frsche nach und nach sezieren, Herzen in 3D darstellen oder anhand von technisch aufwendigen Videose-quenzen der Blutkreislauf erklren. mit einer zustzlichen Dokumentenka-mera knnen Hefte oder Arbeitsbltter an die Tafel projiziert und gemeinsam besprochen bzw. korrigiert werden.

    Die Schlerinnen und Schler freut es, besticht das neue medium nicht nur in der Einfhrungszeit durch einen enorm hohen Aufforderungs-charakter, vor die Klasse zu treten und an der Tafel zu agieren.

    Praktisch findet Alfonso auch, dass sie die intuitive Software des Boards auf ihrem Laptop installiert hat. So

    Jetzt ist es so weit: Die Zukunft beginnt. Das Amt fr Lehrerbil-dung startete im Mrz eine hessenweite Initiative zum Einsatz in-teraktiver Whiteboards in der Lehrerbildung. Immer strker pr-gen Informations- und Kommunikationstechnologien den Alltag. Auch die klassischen Medien des Lernens verndern sich.

    next generAtionkLAssenZiMMer verwAndeLn sich in MuLtiMediALe LernZentren

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    kreide war gestern. heute wird in klassenzim-mern mit Laptop, spezialstiften und flinken Fingern an interaktiven whiteboards gelernt. (Foto: sabine stahl)

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    kann die Tafel-oberflche jederzeit am heimischen PC angezeigt und praktisch von zu Hause aus vorberei-tet werden. manche Kolleginnen und Kollegen hingegen bemngeln, dass Zeichnungen, wie zum Beispiel ein detailgetreues Auge fr den Biolo-gieunterricht, am interaktiven White-board nicht gelingen, da die Vielfalt der klassischen Kreidefarben sowie die mglichkeit des Schraffierens feh-le. Auch reiche oftmals die Projekti-onsflche des Whiteboards nicht fr das klassische Tafelbild aus, das ber die Stunde hinweg entwickelt wurde. Dr. Alfonso hlt dagegen, dass eigen-hndige Zeichnungen mit dem inter-aktiven Whiteboard fast berflssig werden, da zahlreiche modifizierbare Abbildungen zur Verfgung stehen. Zudem wei sie den Vorteil zu scht-zen, dass sie bei der interaktiven Ta-fel zwischen mehreren Tafelbildern hin- und herblttern, ltere Sequenzen wieder aufrufen und diese sogar ver-ndern oder Teile davon herausko-pieren kann. Ebenso fllt das zeitrau-bende und kostenintensive Herstellen von Farbfolien weg, da sich vielfarbige Abbildungen nun ganz bequem der Klasse prsentieren lassen. Die Flexi-bilitt eines interaktiven Whiteboards gegenber einer klassischen Tafel ist unglaublich gro. Wichtig ist, dass man mit mglichst vielen Funktionen vertraut ist, und diese entsprechend einsetzen kann, so die junge Lehrerin. Als bergangslsung hat sich in ihrer Schule hauptschlich im naturwissen-schaftlichen Bereich eine Kombination aus beidem bewhrt: eine klassische Tafel neben einem interaktiven White-board. Das bietet vor allem skepti-schen Kolleginnen und Kollegen die mglichkeit, sich langsam dem neuen medium zu nhern, ihren Unterricht und somit auch die Unterrichtsvorbe-reitungen nach und nach umzustellen und vor allem die vielfltigen mglich-keiten kennenzulernen.

    erprobte pdagogische Anwen-dungskonzepte zum whiteboard sind noch MangelwareWas in der Tat bisher noch in vielen Kollegien fehlt, ist der Leiter des Pro-jekts Whiteboards in der hessischen Lehrerausbildung, manfred Knig, berzeugt, sind erprobte und an den Fchern orientierte pdagogische An-wendungskonzepte. mit seiner Initiati-ve will das Amt fr Lehrerbildung knf-tige Lehrerinnen und Lehrer bereits in der Ausbildung noch strker auf die Nutzung interaktiver Whiteboards

    vorbereiten. Deshalb haben wir ge-meinsam mit der Frankfurter goethe-Universitt und der Firma SmART ein Konzept erstellt, um die Anwendung in der Lehrerausbildung zu etablieren, erklrte manfred Knig weiter.

    Der Hersteller SmART Technolo-gies stellte allen Studienseminar-standorten und den Tagungssttten des AfL interaktive SmART Boards zur Verfgung. Nun knnen die Semi-nare die neuen Tafeln in praxisnahen Unterrichtsszenarien und in die p- dagogische Ausbildung der Lehrkrfte im Vorbereitungsdienst einbeziehen.

    Whrend der Erffnungsveranstal-tung zum landesweiten Projekt fhr-ten Ausbilderinnen und Ausbilder zusammen mit Lehrkrften im Vorbe-reitungsdienst aus den Darmstdter Studienseminaren anhand von kurzen Unterrichtssequenzen der ffentlich-keit anschaulich vor, wie die interak-tiven Tafeln in Schule, Unterricht und Lehrer(aus)bildung eingesetzt wer-den knnen.

    Staatssekretr Heinz-Wilhelm Brockmann begrte die Initiative des Amtes fr Lehrerbildung und die Be-reitschaft des Unternehmens SmART Technologies, die Entwicklung p-dagogisch sinnvoller Konzepte in der Lehrerausbildung zu frdern. Das Ler-nen mit und durch digitale medien ge-rade auch in der schulischen Bildung hat eine herausragende Bedeutung in einer Welt, die in Alltag, Wirtschaft und

    Wissenschaft immer strker durch In-formations- und Kommunikationstech-nologien geprgt wird.

    Der Vertreter von SmART Techno-logies, Frank Adameit, erklrte, dass das Unternehmen Anbieter von Kom-plettlsungen sei und Wert darauf lege, Hard- und Softwareprodukte im Bildungsbereich aufeinander abzu-stimmen. Unser groes Interesse ist es, gemeinsam mit den Anwenderin-nen und Anwendern unsere Lsun-gen stndig weiterzuentwickeln. Das macht fr uns die Zusammenarbeit mit dem Amt fr Lehrerbildung so be-deutsam. Frank Sauerland, Leiter des Amtes fr Lehrerbildung, hob hervor, dass neue Technologien in den Schu-len nur dann sinnvoll genutzt werden knnten, wenn es dazu die passenden pdagogischen Konzepte gebe. Dass wir nun so schnell die interaktiven Whiteboards quasi flchendeckend in der Lehrerausbildung zur Verfgung haben und testen knnen, ist ein klei-nes Wunder und eine groe Chance

    fr uns. Wir sind entschlossen, diese Chance auch zu nutzen. Fr das AfL ist die Lehreraus- und -fortbildung Kern-geschft und mit dieser Kooperation tragen wir dazu bei, die Potenziale fr besseres und zeitgemeres Lernen auszuschpfen, die in den interaktiven Whiteboards angelegt sind.

    JustinA heinZ

    Frank Adameit (sMArt technologies), Frank sauerland (Amt fr Lehrerbildung), staatssekretr heinz-wilhelm brockmann (hessisches kultusministerium) (v.l.n.r.) und Lehrkrfte im vorbereitungs-dienst betrachten whrend der erffnungsveranstaltung zum landesweiten Projekt interaktive whiteboards in der hessischen Lehrerausbildung aufmerksam den einsatz der neuen tafeln in praxisnahen unterrichtsbeispielen. (Foto: sabine stahl)

    Dass wir nun so schnell die interaktiven Whiteboards quasi flchendeckend in der Lehrerausbildung zur Verfgung haben und test