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Tanja Busse „Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich“ – Neue Wahrnehmung des Tieres in Spiritualität und Theologie Münster, 23.-25.11. 2012 Auf die Frage, welche Rolle das Tier in der christlichen Tradition im Verhältnis zum Menschen zugewiesen bekommt, fällt den meisten Menschen zuerst der Unterwerfungsimperativ aus der biblischen Schöpfungsgeschichte ein: „Macht euch die Erde untertan!“ (Genesis 1,28). Viele Christen nehmen diesen Satz als selbstverständliche Erlaubnis, Tiere so zu behandeln, wie es die ökonomischen Verhältnisse eben erfordern. Massentierhaltung auf dem katholisch oder evangelisch geprägten Land – das geht gut zusammen. Und die Pfarrer der Dorfkirchen haben sich nicht mit Kritik an der Industrialisierung der Landwirtschaft hervorgetan, die das Vieh zu einem seelenlosen Faktor in einem  betriebswirtschaftlich opt imierten Produktionsz yklus degradiert. Doch aus der Bibel lässt sich nach umfassender kritischer Lektüre eine solche Unterwerfung des Tieres in die Nützlichkeitsberechnungen der Ökonomie gar nicht ableiten. Die Tiere haben im biblischen Weltverständnis ihren eigenen Platz, als Mitgeschöpfe und nicht als Untertanen. Um diese neue Sicht auf das Tier gegen das etablierte Ausnutzungsgebot zu verbreiten, hat der Theologe und Biologe Rainer Hagencord das Institut für theologische Zoologie in Münster gegründet. Zusammen mit dem Seminar für philosophische Grundfragen der Theologie, der Seelsorge-Abteilung des Bistums Münster und der katholischen Akademie Franz Hitze Haus hat er im November 2012 zu einem Kongreß nach Münster eingeladen, unter dem programmatischen Titel: „Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich.“

Busse, T. - Doch Frag Nur Die Tiere, Sie Lehren Es Dich - Münster 2012

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  • Tanja Busse

    Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich Neue Wahrnehmung des Tieres in

    Spiritualitt und Theologie

    Mnster, 23.-25.11. 2012

    Auf die Frage, welche Rolle das Tier in der christlichen Tradition im Verhltnis

    zum Menschen zugewiesen bekommt, fllt den meisten Menschen zuerst der

    Unterwerfungsimperativ aus der biblischen Schpfungsgeschichte ein: Macht

    euch die Erde untertan! (Genesis 1,28). Viele Christen nehmen diesen Satz als

    selbstverstndliche Erlaubnis, Tiere so zu behandeln, wie es die konomischen

    Verhltnisse eben erfordern. Massentierhaltung auf dem katholisch oder

    evangelisch geprgten Land das geht gut zusammen. Und die Pfarrer der

    Dorfkirchen haben sich nicht mit Kritik an der Industrialisierung der

    Landwirtschaft hervorgetan, die das Vieh zu einem seelenlosen Faktor in einem

    betriebswirtschaftlich optimierten Produktionszyklus degradiert.

    Doch aus der Bibel lsst sich nach umfassender kritischer Lektre eine solche

    Unterwerfung des Tieres in die Ntzlichkeitsberechnungen der konomie gar nicht

    ableiten. Die Tiere haben im biblischen Weltverstndnis ihren eigenen Platz, als

    Mitgeschpfe und nicht als Untertanen. Um diese neue Sicht auf das Tier gegen das

    etablierte Ausnutzungsgebot zu verbreiten, hat der Theologe und Biologe Rainer

    Hagencord das Institut fr theologische Zoologie in Mnster gegrndet.

    Zusammen mit dem Seminar fr philosophische Grundfragen der Theologie, der

    Seelsorge-Abteilung des Bistums Mnster und der katholischen Akademie Franz

    Hitze Haus hat er im November 2012 zu einem Kongre nach Mnster eingeladen,

    unter dem programmatischen Titel: Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich.

  • So steht es im biblischen Buch Hiob (12,7), in dem Hagencord eine Theologie mit

    dem Gesicht zum Tier entdeckt und schlufolgert: Das biblische

    Schpfungskonzept ist nicht anthropozentrisch, Natur und Tiere sind vielmehr ein

    privilegierter Raum der Gotteserfahrung.1 Hiob wurde alles genommen, und auf

    seinem Leidens- und Heilungsweg spielen die Tiere eine zentrale Rolle. Die

    Theologin Evelyne Martin beschrieb die besondere Fhigkeit, die das Alte

    Testament den Tieren zuschreibt: Sie knnen Gott erkennen und loben und

    zeichnen sich also durch eine besondere Gottesnhe aus.

    Die Lbecker Bischfin i. R. Brbel Wartenberg-Potter stellte den

    Unterwerfungsauftrag in Frage und verknpfte die Sicht auf das Tier mit Kritik am

    patriarchalischen Weltbild der Bibel. Ihre Argumentation: Als das Alte Testament

    niedergeschrieben wurde, spielte die Zhmung von Tieren eine wichtige Rolle fr

    die buerlichen Hirten. Das Gottesbild ihrer Zeit rechnet mit einem mnnlichen

    hchsten Wesen. Herrschaft, Befehlsgewalt, Gehorsam gehren zu diesen

    Zuschreibungen, erklrte Wartenberg-Potter. Damals sei das Nutzungsrecht als

    Unterwerfungsrecht missverstanden worden. Das zentrale Wort der Bibel sei

    aber nicht die Unterwerfung, sondern die Gerechtigkeit: Gott fordere von den

    Menschen, jedem Lebenwesen gerecht zu werden. Also auch den Tieren.

    Wartenberg-Potter beschrieb den aktuellen Paradigmenwechsel vom

    cartesianischen Weltbild zur neueren Sicht auf Mensch und Natur, nach der die

    Erde als lebendiger Organismus verstanden wird, in dem alles miteinander

    verbunden sei. Sie schlgt vor, das Paradigma der Domination, das die

    Funktionstchtigkeit der Lebenssysteme dieses Planeten zerstrt, durch das

    Paradigma der Einwohnung zu ersetzen. Darunter versteht sie die Umstellung

    smtlicher menschlicher Aktivitten auf eine nachhaltige und berlebensfhige

    Lebenswelt. Sie fordert, die anthropozentrische HERRschaftstheologie zu 1 Vgl. Hagencord, Rainer: Diesseits von Eden. Verhaltensbiologische und theologische Argumente fr eine neue Sicht der Tiere. Regensburg 2006.

  • berwinden und das nicht-menschlichen Leben in Theologie und Liturgie strker

    zu wrdigen.

    Wie das gehen knnte, stellte der Theologe Dr. Ulrich Seidel, Pfarrer und

    Vorsitzender der Aktion Kirche und Tiere (AKUT) in Brandis, Leipzig vor. Seit

    gut zwanzig Jahren werden in Deutschland Tiergottesdienste gefeiert. Fr Seidel

    sind sie symbolischer Ausdruck der Schpfungsgemeinschaft von Mensch und

    Tier und des Tierschutzgedankens und er schlgt vor, solche Gottesdienste, die in

    Kirchengebuden ohnehin mit Schwierigkeiten verbunden seien, als Zeichen des

    Protestes zum Beispiel vor Massentieranlagen zu feiern.

    Der Religionspdagoge Albert Biesinger, Professor an der Universitt Tbingen,

    und sein Kollege Ralf Gaus, Referent fr Globales Lernen in Freiburg, berichteten

    ber die Entwicklung religiser Kompetenz in Schulen und Gemeinden im

    Angesicht des Tieres. Viele Schlerinnen und Schler fragten sich in der Pubertt,

    ob man Fleisch essen drfe oder nicht. Jesus aber knne nicht als Vorbild fr

    Vegetarier gelten, so Biesinger, denn er habe laut Bibel zwar kein Schweinefleisch,

    doch das Osterlamm gegessen. Dennoch hlt Biesinger es fr eine strukturelle

    Snde, heute groe Mengen Fleisch zu konsumieren, weil bekannt ist, dass die

    massenhafte Fleischproduktion Ressourcen verbraucht, Tiere qult und das Klima

    schdigt.

    Andreas Haemisch, Forscher an der Universittsklinik Hamburg-Eppendorf,

    referierte ber den Forschungsstand der Verhaltensbiologie und die

    Veterinrmedizinerin Birgit Hegewald, Leiterin des Projekts All creatures great

    and small an der Universitt Osnabrck, informierte ber Qualzucht. Sie

    kritisierte, dass in der Haustierzucht eine Selektion allein nach dem Phnotyp und

    nicht nach dem Genotyp stattfinde. Der Philosoph und Biologe Andreas Weber

    stellte sein Konzept von Natur als Freiheitsprozess vor und pldierte fr eine

  • Abkehr der deterministischen Sichtweise auf biologische Prozesse.2 Sobald wir

    uns darauf einlassen, dass unsere Lebendigkeit darauf beruht, dass sich der Krper

    bestndig als ein sensibler und metamorphotischer Raum herstellt, sehen wir, dass

    das Element der Freiheit nicht allein ein menschliches Merkmal ist, sondern das

    Leben als solches durchzieht.

    Damit ergnzten sich die naturwissenschaftlichen und theologischen Thesen zu

    einem Bild, das die hnlichkeit und Nhe von Mensch und Tier betont und die

    Jahrhunderte alte strikte Trennung aufhebt. Viele Kongreteilnehmer leiteten aus

    dem Konzept vom Tier als Mit-Geschpf die Forderungen nach einer anderen

    Politik den Tieren gegenber ab: nach konsequentem Tierschutz in der

    Landwirtschaft, in der Forschung und bei der Haustierzucht. Die Frage, welche

    Rolle die Kirchen bei diesem Wandel spielen sollen, sorgte fr heftige

    Diskussionen zwischen von der Kirchen enttuschten Tierschtzern und

    Kirchenvertretern.

    2 Vgl. Weber, Andreas: Alles fhlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften, Berlin-Verlag 2007.